Sprecherin

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
WISSENSWERT
Psychologische Schlüsselbegriffe
Wiederholungszwang
Von Lisa Laurenz
Donnerstag, 30.11.2006, 08.30 Uhr, hr2
Sprecherin:
Zitator:
06-136
COPYRIGHT:
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Musik 1.......(einblenden in Take 1 unter Zeile zwei...soll am Ende von Take 1
ausgeblendet sein)
Sprecher (Zitator)
Ein Mann macht in seinen Liebesbeziehungen zu Frauen immer wieder die Erfahrung,
dass er nach wenigen Monaten verlassen wird.
Eine Frau, die als Kind von ihrem Vater wiederholt sexuell missbraucht wurde, arbeitet
heute als Prostituierte.
Eine andere Frau leidet seit Jahren unter heftigen Essattacken,
von denen sie nicht loskommt:
Take 1
(Beate Martius)
0`19
Wenn jemand immer wieder erzählt in seiner Lebensgeschichte, dass etwas
sehr Ähnliches oder sehr Vergleichbares passiert, dann spreche ich schon
davon, dass sich ja da etwas wohl wiederholt und dass es doch seltsam ist. Und
dann muss er sich schon fragen: warum?
Sprecherin
Therapeuten wie die Psychoanalytikerin Beate Martius erleben in ihrer Praxis
tagtäglich Menschen, die bestimmte leidvolle Situationen ständig wiederholen.
Hartnäckig halten sie gerade an solchen Verhaltensweisen oder Beziehungsmustern fest, unter denen sie am stärksten leiden.
Wiederholungszwang nannte Siegmund Freud diesen seelischen Mechanismus.
Der Psychoanalytiker Stefan Reichard ist Autor eines Buches über das Phänomen des
Wiederholungszwangs:
Take 2
(Stefan Reichard) 0`48
Dieser Wiederholungszwang, der so seltsam klingt, bezieht sich auf den
Eindruck, den man manchmal bekommen kann, dass jemand wie unter
Zwang handelt, also dass er scheinbar selber gar nicht weiß was er tut, sondern
einem Zwang zu folgen scheint. In der Tat hat Freud den Begriff eingeführt und
zwar in einem Text von 1914 Erinnern, wiederholen, durcharbeiten und da
beschreibt er die Situation, dass Patienten sich anders verhalten als er das
ursprünglich erwartet hat. Er hatte erwartet, dass wenn sie auf der Couch liegen
und anfangen, aus ihrer Vergangenheit zu erzählen, sich erinnern und hat dann
festgestellt, dass sie teilweise gar nicht viel erzählen. Ihm ist aber dann
aufgefallen, dass sie handeln und agieren.
Und schließlich kam er zu dem Schluss, das ist ihre Form sich zu erinnern.
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Sprecherin
Wenn jemand dazu neigt, sich von Autoritäten einschüchtern zu lassen oder
sich selber klein zu machen, dann wird er diese Erfahrung irgendwann auch
in der Therapie wiederholen, so der Psychoanalytiker, denn es sei typisch für
unerledigte Kindheitssituationen, dass sie sich bei Gelegenheit reinszenieren:
Take 3
(Reichard)
0`48
Es geht oft zum Beispiel um eine Grundkonstellation: darf ich meinen eigenen
Wünschen folgen oder muss ich mich anpassen? Wo eigentlich ein Gefühl
vorherrscht bei dem Patienten: ich muss alles gut machen, eigentlich bin ich für
den Analytiker da wie ich früher für die Eltern da war, ein braves Kind und der
Stolz meiner Eltern. Manchmal können sich durchaus dramatische Szenen
abspielen. Zum Beispiel eine Szene, wo ein Kind mit einer Mutter zusammen
war, die zwar sehr emphatisch war, die aber selber hilflos war, der es nicht gut
ging und das Kind einerseits total wütend ist, gleichzeitig aber Angst hat, die
Mutter zu verlieren, weil es ihr offensichtlich schlecht geht. Das führt dann zu
schrecklichen Auseinandersetzungen, aus denen man manchmal das Gefühl
hat, man kommt nicht mehr heraus. Und so etwas kann sich in analytischen
Sitzungen wiederholen.
(O-Ton nicht klar)
Sprecherin
Es ist an sich kennzeichnend für uns Menschen, dass wir bestimmte Erfahrungen
und Handlungen immer wiederholen. Kinder wiederholen im Spiel, was sie erlebt
haben. Wir lernen, indem wir bestimmte Dinge einüben und trainieren, also
wieder-holen. Wiederholung schafft Vertrautheit, Sicherheit und ein Gefühl für die
eigene Identität:
Take 4
(Reichard)
0`18
Gott sei dank sind das ja oft gute Erfahrungen, so ein Grundgefühl, dass ich
meinem Gegenüber vertrauen kann, dass der andere zuhört, dass er sich für
mich interessiert. Das sind ja auch Erwartungen, die man wiederholen kann und
die haben ja nichts Pathologisches. Auffällig wird es nur, wenn etwas
sich wiederholt, was unangenehm ist.
Sprecherin
Die problematische Seite des Wiederholungszwangs zeigt sich besonders
in zwischenmenschlichen Beziehungen. Sigmund Freud beobachtete, dass
sich oft auch bei scheinbar nicht neurotischen Menschen bestimmte schlimme
Beziehungskonstellationen wiederholen. Das veranlasste ihn den Wiederholungszwang auch als etwas Schicksalhaftes zu betrachten:
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Zitator
“So kennt man Personen, bei denen jede menschliche Beziehung den gleichen
Ausgang nimmt: Wohltäter, die von jedem ihrer Schützlinge nach einiger Zeit im
Groll verlassen werden, so verschieden diese sonst auch sein mögen, denen also
bestimmt scheint, alle Bitterkeit des Undankes auszukosten; Männer, bei denen
jede Freundschaft den Ausgang nimmt, dass der Freund sie verrät; andere, die
eine andere Person zur großen Autorität für sich oder auch für die Öffentlichkeit
erheben und diese Autorität dann nach abgemessener Zeit selbst stürzen, um
sie durch eine neue zu ersetzen.... Wir verwundern uns über diese ewige
Wiederkehr des Gleichen.”
Sprecherin
Es war Friedrich Nietzsche, der den Begriff von einer
Zitator
“ewigen Wiederkehr des Gleichen”
Sprecherin
geprägt hat. Freud griff diese Formulierung auf und wandte sie auf
das Leben des einzelnen Menschen an. Er postulierte dahinter einen besonderen
Mechanismus, der jenseits der Lust liegt. Er kam schließlich zu seiner Theorie des
Todestriebes, womit er das Selbstzerstörerische im Menschen meinte.
Psychoanalytiker haben lange Zeit auf den Wiederholungszwang zurückgegriffen,
um zu erklären, warum bestimmte Behandlungen erfolglos bleiben und Menschen
die alten schlimmen Erfahrungen immer wiederholen, obwohl sie es eigentlich
besser wissen. Doch es gab auch bei Freud selbst schon Ansätze, das Phänomen des
Wiederholungszwangs positiver zu sehen:
Take 5
(Reichard)
0`52
Er spricht nämlich vom sog. Bemächtigungstrieb, also einem Mechanismus
letztlich, wo schon Kinder im Spiel Erfahrungen, die ursprünglich für sie
schmerzlich und unangenehm waren, wiederholen, um sie sich sozusagen
anzueignen im Spiel, also eine Form der Verarbeitung. Ich bin nicht nur das
Opfer, es passiert mir, sondern ich stelle die Situation aktiv her und werde
dadurch sozusagen Herr über die Situation. Das war in der Folge ein wichtiger
Aspekt bei der klassischen Ich-Psychologie, einer Weiterentwicklung der
Analyse besonders in den Vereinigten Staaten in den 30er und 40er Jahren,
dass dieser Aspekt sehr betont wurde. Die haben gesagt, es mag zwar so
was Triebhaftes sein, aber das kann das Ich sich doch zunutze machen,
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eben im Sinne des Lernens, des Einübens, des Bewältigens von schwierigen
Situationen.
Musik 2... (direkt dran.... und einige Sek. frei stehen lassen)
Sprecherin
Die Erkenntnisse der modernen Entwicklungs- und Gedächtnispsychologie
haben dazu beigetragen, dass das Phänomen des Wiederholungszwangs heute
besser verstanden wird. So weiß man aus der Hirnforschung, dass belastende
Lebensereignisse ihre Spuren auch im Gehirn hinterlassen, jede Erfahrung schafft
neue neuronale Ketten im Gehirn. Wiederholt man bestimmte negative Erfahrungen,
werden die Bahnen im Gehirn gewissermaßen immer breiter und damit negative
Gefühls- und Verhaltensmuster gestärkt. Will man diese alten Bahnen hemmen,
also aus dem Wiederholungsmuster herauskommen, muss man neue positive
Erfahrungen machen.
In normalen Alltagssituationen sind Menschen eher bereit, das Neue anzuwenden.
In Krisensituationen jedoch greift man meist auf alte Kindheitsmuster zurück und gerät
damit in die Falle des Wiederholungszwangs. Doch warum klammern Menschen sich
immer wieder an leidvolle Kindheitserfahrungen?
Der Analytiker Stefan Reichard:
Take 6 (Reichard)
Ein Verständnis ist, dass es letztlich eine intensive Beziehungserfahrung in der
Kindheit war. Es war eine schlimme, aber immerhin eine Erfahrung: ich bin nicht
allein, da ist ein Gegenüber, das behandelt mich zwar schlecht, aber ich spüre,
dass es da ist. Die Alternative, die ja vielleicht noch viel schlimmer ist und von
dem Betreffenden vielleicht auch erlebt wurde ist: ich bin total allein. Es ist
letztlich ein Festhalten an einer vertrauten Beziehung, aus Angst, ganz allein
dazustehen. Wenn man den Blick auf das Selbstgefühl richtet, kann es auch
sein, dass diese wiederholten Erfahrungen, auch wenn es schlimme
Erfahrungen sind, starke Gefühle auslösen, die einem das Gefühl geben: jetzt
bin ich wieder so wie ich mich kenne, das ist Identität. Es gibt ein Bild davon,
wer man ist und auch wie die Welt ist, was ich zu erwarten habe, das sollte man
nicht unterschätzen.
Sprecherin
Man weiß heute, dass es verschiedene Formen des Erinnern gibt. So können
Beziehungserfahrungen, die man in den ersten achtzehn Lebensmonaten
gemacht hat, nicht bewusst erinnert werden, trotzdem sind sie im Verhalten
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präsent und können auch noch später im Leben re-inszeniert werden:
Take 7
(Reichard)
Zum Beispiel wenn ein kleines Kind, ein Säugling, wenn er sich mit einer Rassel
beschäftigt und die Mutter ihm das regelmäßig aus der Hand nimmt und ihm
zeigt, wie man es richtig macht und letztlich die Mutter anfängt, damit zu
spielen, dann kann daraus ein Gefühl entstehen: eigene Impulse bleiben nie bei
mir, sondern werden letztlich immer etwas vom Gegenüber. Es ist kein Gefühl
da: meine Gefühle sind meine Gefühle und das Gegenüber interessiert sich
dafür, sondern sozusagen die werden immer ausgebeutet.
Sprecherin
Das zwanghafte Wiederholen leidvoller Kindheitserfahrungen betrachtet man
heute als ein Erinnern in Handlung. Man geht davon aus, dass unbewältigte seelische
Verletzungen und Traumata sich so quasi ihren Weg in die Gegenwart bahnen, mit der
Hoffnung, geheilt zu werden. Im Grunde also ein entwicklungs-fördernder
Mechanismus, der für den Betroffenen jedoch mehr oder weniger anstrengend sein
kann:
Take 8 (Beate Martius)
0`26
Für den Patienten schrecklich, aber eigentlich versucht der Mensch es immer
wieder zu lösen, dass er immer wieder in die gleiche Beziehungskonstellation
hineinkommt, die nämlich, dass die Beziehungen nach wenigen Tagen zu Ende
gehen und er vom Donner gerührt ist und nicht weiß, warum er das macht, weil
er denkt, er hat alles richtig gemacht.
Sprecherin
Anfangs denken viele, so Beate Martius, dass sie ohne eigenes Zutun immer
wieder in die gleiche Situationen hineingeraten, dass es einfach so passiert:
Take 9 (Martius)
0`50
Ich glaube, dass das Wort Wiederholung schon ausreicht, um klar zu machen,
hoppla, das ist vielleicht etwas, was mit mir zu tun hat und es nicht immer so ist,
dass es einfach nur passiert. Und es geht darum, das zu lösen, erst mal zu
verstehen, warum er sich Frauen aussucht, die keine Beziehung wollen. Es
klingt jetzt so, als ob das ganz leicht zu lösen wäre, häufig ist es nicht so leicht
zu lösen, sondern es muss wiederholt und durchgearbeitet werden und das
früheste Ereignis was dazu passt, muss erinnert werden. Ganz wichtig ist, es
muss emotional erinnert werden.
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Sprecherin
Wenn man in Beziehungen immer wieder das gleiche Drama erlebt – am Anfang
himmelhochjauchzend ist und nach kurzer Zeit wieder verlassen wird - entdeckt
man vielleicht, dass man als Kind unzuverlässig wechselnde Bezugspersonen
hatte und sich diesem Wechsel hilflos ausgeliefert gefühlt hat. Fühlt man aber
diese alten schmerzlichen Gefühle noch einmal ganz bewusst und drückt sie
auch aus, dann verliert die Wiederholung offenbar das Zwanghafte, bestätigt der
Psychoanalytiker Stefan Reichard:
Musik 3... (einblenden unter Take 10 in Zeile 2...)
Take 10
(Reichard)
0`41
Also es ist dann nicht etwas, was einfach immer passiert, ohne dass ich
etwas damit zu tun habe, sondern der Betreffende bekommt ein eigenes
inneres Gefühl dafür, dass er ein Fühlender und ein Handelnder ist und das
bedeutet immer auch, dass er aktiv ist und auch aktiv einwirken kann. Es laufen
nicht immer dieselben Interaktionen ab, sondern der Betreffende bekommt ein
Gefühl dafür, was er sich eigentlich wünscht, dass er vielleicht konflikthafte
Wünsche hat, also sich einerseits Nähe wünscht, aber anderer-seits auch gerne
mal für sich sein möchte, Abstand möchte. Er bekommt ein Gefühl für die
eigenen Ängste und kann dadurch aktiver sein Leben gestalten.
(Musik rasch ausblenden)
Sprecherin
Wenn man nicht mehr so sehr mit den eigenen Gefühlen identifiziert ist, fällt es
leichter, aus alten Denk- und Verhaltensmustern herauszukommen. Ein achtsamer
Umgang mit sich selbst und den eigenen Gefühlen hilft erfahrungsgemäß, zwanghafte
Wiederholungsmuster zu durchbrechen und Alternativen zu entwickeln:
Take 11
(Martius)
0`53
Zum Beispiel der eine falsche Partnerinnenwahl trifft, dass der wenn er eine
Frau kennen lernt sich fragt: will die Frau wirklich eine Beziehung? In einem Fall
ist er auf die Frau zugegangen und hat gesagt: was möchtest du von mir? Und
dann hat die Frau gesagt: ich will gar nichts von dir, höchstens mal mit dir
tanzen, vielleicht landen wir im Bett, aber mehr ist nicht drin. Und er war ganz
stolz, weil er sagte: die Frau die hätte ich doch wieder gewählt und wäre wieder
enttäuscht worden, die will gar nichts. Und so konnte er mit ihr ein Bier trinken
und hat dann gesagt: nein, mehr will ich von dir dann auch nicht. Ihm ist klar
geworden, dass er die falschen Frauen sich aussucht und damit konnte er
anders handeln.
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