KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : Vom Mythos zum Comic-strip“ Der Nibelungen-Boom auf deutschen Bühnen Beobachtungen von AutorIn: : Hartmut Krug Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 23.3.2010 Regie : Klaus-Michael Klingsporn Besetzung : Zitator, Sprecherin, Autor, 2.männl. Stimme/kurz szenisch O-Töne und Musik im V-Speicher Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 1 „Vom Mythos zum Comic-strip“ Der Nibelungen-Boom auf deutschen Bühnen Beobachtungen von Hartmut Krug Deutschlandradio Kultur: 23.3.2010 Redaktion: Barbara Wahlster Zitator Uns ist in alten maeren wunders vil geseit von heleden lobebaeren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen von küener recken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen Sprecherin: Ob das am Ende des 12. Jahrhunderts entstandene mittelhochdeutsche Nibelungenlied so begann, ist nicht sicher, denn das Werk blieb nicht im Original erhalten. Nachdem es mit dem Niedergang der ritterlichen Kultur in Vergessenheit geraten war, entdeckte man es im 18.Jahrhundert neu. Richard Wagner hat bei seinem Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ allerdings vor allem auf nordische Mythologie, z.B. auf die Ältere Edda, zurückgegriffen. Zitator: aus Hebbels „Die Nibelungen“ (Gunther) Erzähl´ uns was, der Tag wird sonst zu lang. Sprecherin Auf die Bühne des sogenannten „Sprechtheaters“ gelangte zuvor lange Zeit nur Friedrich Hebbels 1861 in Weimar uraufgeführte „Nibelungen“-Trilogie: Zitator und 2.männliche Stimme: 2 Du weißt so mancherlei von starken Recken und von stolzen Fraun. (Hagen) Nur von Lebend´gen, wenn es dir beliebt, Dass man sich sagen darf: die krieg ich noch, Den vor mein Schwert und die in meinen Arm! (Volker) Ich will dir von Lebendigen erzählen, Und der Gedanke soll dir doch vergehn. Ich kenn´ den Recken, den du nimmer forderst, Und auch das Weib, um das du nimmer wirbst. Sprecherin: Hebbels hier so gemächlich beginnende Trilogie weitet sich zu einer Tragödie, bei der im Kampf zweier Weltanschauungen, einer heidnischen und einer christlichen, die Nibelungen mit dem germanischen Götterglauben untergehen. Eine kurze Inhaltsangabe: , Zitator: Siegfried kommt an den Hof der Burgunder in Worms und besiegt König Gunther im Steinwurf. Um dessen Schwester Kriemhild zur Frau zu bekommen, muss er für Gunther die starke nordische Brunhild erobern, die bisher all ihre Freier im Kampf besiegt hat. Nachdem ihm dies unter der Tarnkappe gelungen ist, muss er aber Brunhild für und als Gunther auch noch in der Hochzeitsnacht überwältigen. Das Geheimnis seiner Eroberung vertraut er seiner Frau Kriemhild an, worauf die Eifersüchtige dies bei einem Streit der beiden Frauen öffentlich macht. Hagen, der von Kriemhild die einzig verwundbare Stelle Siegfrieds erfahren hat, tötet diesen. Kriemhild verlangt vergeblich Sühne. Sie nimmt die Werbung des Hunnenkönigs Etzel an, und als die Burgunder nach Jahren zu einem Besuch kommen, gibt es 3 ein blutiges Rachegemetzel, dem die Burgunder mit Gunther und Hagen zum Opfer fallen, aber auch Kriemhild selbst. Sprecherin: Das mittelhochdeutsche Nibelungenlied gilt als der Deutschen Nationalepos und gehört zum UNESCO-Welt-Dokumentarerbe. Es wurde zum Material für zahlreiche Dramen, Gedichte und Erzählungen, für eine Operette, zwei Opern, vier Filme und ein Computerspiel. Vor allem aber wurde es, spätestens seit der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Jahr 1806, nationalpolitisch interpretiert und instrumentalisiert. August Wilhelm Schlegel wünschte, dass es zum „Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend“ werde und deren Nationalgefühl stärke, und sogar Friedrich Engels schwärmte 1840 von Siegfried als einem Vorbild. Zitator: Siegfried ist der Repräsentant der deutschen Jugend. Wir fühlen alle denselben Tatendurst, denselben Trotz gegen das Herkommen in uns, der Siegfried aus der Burg seines Vaters trieb; das ewige Überlegen, die philiströse Furcht vor der frischen Tat ist uns von ganzer Seele zuwider, wir wollen hinaus in die freie Welt, wir wollen die Schranken der Bedächtigkeit umrennen, und ringen um die Krone des Lebens, die Tat. MUSIK: Wagner, Motiv aus „Rheingold“ (Hedahedo) Sprecherin: 4 Wilhelm II. hatte ein Motiv aus Wagners „Rheingold“ als Sirenenton seines Automobils installieren lassen, und seine Soldaten stürmten im 1.Weltkrieg in Frankreich beim „Hagenangriff“ über den „Drachenweg“ oder zogen sich hinter die „Siegfriedlinie“ zurück, also hinter den Todesstreifen zwischen Arras und Reims. Später missbrauchten die Nationalsozialisten den Mythos. So spricht Hermann Göring in einem Appell im Völkischen Beobachter am 2.Februar 1943 vom Kampf um Stalingrad als dem größten Heroenkampf unseres Jahrhunderts und setzt ihn mit dem blutigen Kampf der in den Tod gehenden Nibelungen gleich. Autor: Deshalb verschwanden Hebbels Nibelungen nach 1945 weitgehend von den Bühnen. Erst seit Ende der achtziger Jahre wagten die Theater sich wieder an sie heran. Volker Braun schrieb 1986 sein Stück „Siegfried Frauenprotokolle Deutscher Furor“, und Heiner Müller ließ die Nibelungen in „Germania Tod in Berlin“ in den Kessel von Stalingrad gelangen. Die Regisseure Wolfgang Engel in Dresden und Frank Castorf in Berlin befragten Hebbels Trilogie gleichermaßen auf ihre Geschichtlichkeit wie auf ihre Aktualität. Der wirkliche Durchbruch, hinauf auf die großen und kleinen Stadttheaterbühnen, aber kam, nachdem der Filmregisseur Dieter Wedel die Nibelungenfestspiele in Worms 2002 mit der Uraufführung eines Nibelungen-Stückes vor dem Dom eröffnet hatte. Sein Autor Moritz Rinke schrieb ein Stück mit „heutigen Figuren in modernen Gewändern“. Seitdem stürmen die Nibelungen wieder über die deutschsprachigen Bühnen. Nicht nur in Hebbels umfangreicher, fast zehnstündiger, wenn auch meist stark gekürzter Trilogie, sondern auch in neuen Versionen des alten Mythos: und zwar als Tragödie, aber auch als Komödie oder sogar als Comic. 5 Sprecherin: Drei Beispiele: Selbstbewusst, als könne er die Natur beherrschen, so tritt Siegfried in Katharina Gerickes Nibelungenstück 2009 in Wilhelmshaven auf, während in einer Fernsehfassung des Stoffes aus dem Jahr 2005 der Mythos mit ironischem Pathos zur Klamotte veralbert wird. Und schließlich zeichnet Oliver Schmaering seinen Siegfried, der 2007 in Schwerin auf die Bühne kam, als einen politisch bewussten Mann, - ganz von heute: : Take 1: (Siegfried) Ich bin ein Kämpfer – knallhart! Stärker als jedes andere Wesen! Unschlagbar! (Balder) Stark nennst du dich? (Siegfried) Wer spricht vom Himmel – mit Donner-Bass? (Balder) Balder (Siegfried) Natur, der Mensch kann dich bezwingen. Take 2: Es war eine finstere Zeit, als der Rhein sich rot färbte vom Blut der Unschuldigen. Eine Zeit des Tötens und Sterbens, der Kriege und Schlachten um den sagenhaften Schatz der Nibelungen, lange vor unserer Zeit. Aber es war auch eine Zeit tapferer Recken und wahrer Helden, - einer überragte sie alle. Zitator: (Siegfried) Ich suche eine Aufgabe. Ich komme aus einem rülpssatten Erdteil Alle grellen Ängste sind bei uns lange besiegt, so dass wir nun den dunklen Ahnen dieser Ängste ausgeliefert sind. (…) Ich bin Investor. Ich möchte Aufbauarbeit leisten. (…) Ich will ganz in euch aufgehen, mich zwischen euch und die Welt werfen. Wenn ihr tanzt, dann tanzt ihr wahre Schritte. Kocht ihr, so kocht ihr wahrhaftiges Wasser. Liebt ihr, dann ist es wahrhafte Liebe. 6 MUSIK Sprecherin: Goethe sah den Mythos als „Menschenkunde in höherem Sinne“ und meinte, in ihm spiegelten sich grundsätzliche menschliche Konflikte und Konstellationen. Das Interesse der Theatermacher an diesem Stoff speist sich aus einer ähnlichen Überzeugung. Volker Braun schrieb zu seinem Siegfried-Stück: Zitator: Die Gegenwart schleppt so viel Altes mit, alte Verlaufsformen, Strukturen, Denkweisen, dass die alten Vorgänge als Modelle für heutige dienen können. (…) Aufregend an den alten großen Stoffen ist das Unerledigte. Autor: Katharina Gericke lässt in ihrem Nibelungen“-Stück Götter aus älteren Sagen auftreten, weil sie damit den Zusammenstoß einer noch von heidnischen Göttern bestimmten Welt mit dem Christentum stärker hervorheben kann. Take 3: Gericke Mich hat die deutsche Mythologie interessiert, die Geschichte, die Figuren, auch vom Gedanken ausgehend, dass es alles so Prototypen von Figuren einerseits und auch von Archetypen von Konflikten sind. Von Liebeskonflikten, von verlassen werden und warten, Verrat und Betrug. Das halte ich für einen großen Theaterstoff und große dramatische Themen, die einfach in der Geschichte liegen, nicht in der Interpretation oder der Ideologie, sondern in dem, was in den Figuren geschieht, (…) ohne dass ich so viel daran interpretiere und ihn mit Ideologie überfrachte, sondern dass er als Stoff einfach lebt, dieser alte Mythos. Autor: 7 Die Wilhelmshavener Uraufführung von Gerickes Nibelungen wurde zu einer wilden Farce, ja fast zu einem Bühnen-Comic. Take 4: (Szene aus der Wilhelmshavener Uraufführung von Katharina Gerickes Stück): Euch, Herr Nibelung, will ich die Mär von meinen Kindern erzählen. Alle Stunde musste ich letzte Nacht unter die Betten kriechen, nach den Alpträumen spähen. Denn meine Kinder hatten gestern auf helllichter Flur beim Holzsammeln einen Drachen gesehen. Take 5: von Düffel Tatsächlich war der Grundgedanke einer, der dem „Leben des Brian“ ähnlich ist, nämlich eine Verwechslung. Sprecherin John von Düffel war neben seiner Dramaturgenarbeit bei Ulrich Khuon am Hamburger Thalia Theater zugleich Dramaturg der Nibelungenfestspiele in Worms. Seine dort im letzten Jahr uraufgeführte Komödie „Das Leben des Siegfried“ zitiert bewusst einen Filmtitel der englischen Comedy-Truppe Monty Python: Take 6: von Düffel Jemand, der nicht Siegfried ist, also auch nicht seine Kräfte besitzt, wird für Siegfried gehalten, begegnet dann aber wegen des Rufs der Unverwundbarkeit auch lauter Situationen, durch die er durchkommt, weil ihn alle für unverwundbar halten. Es genügt ja, für stark gehalten zu werden, man muss ja nicht immer stark sein. Insofern erlebt er, ähnlich wie Brian in „Das Leben des Brian“, auch den Wahnsinn mit der Siegfried-Figur, (…) und Siegfried ist eher der passive Held, dem das alles widerfährt. Für mich hat nach sieben, acht Jahren Nibelungen-Beschäftigung der Komikstau eine Höhe erreicht gehabt, wo ich gedacht hab, ich muss jetzt auch mal die komischen Geister, die dieser Stoff aufruft, loslassen. Es gibt viel unfreiwillige Komik in der Geschichte, es war auch vom Publikum her so, Worms möchte nicht wieder jedes Jahr über dieselben Sachen weinen, sie wollen auch mal irgendwann wieder darüber lachen. 8 Autor: Zu lachen gibt es bei den Nibelungen sonst nicht allzu viel, da Hebbels Pathos heute eher unterspielt wird und die alten Helden meist Alltagskleidung tragen. So auch an der Berliner Schaubühne, an der Dramaturg und Hausautor Marius von Mayenburg Hebbels Nibelungen auf einer bühnenbreiten 17stufigen Treppe agieren lässt: Take 7: Mayenburg Was mich am meisten an dem Stoff fasziniert hat, ist die Irrationalität dieser Figuren, dass es auf der einen Seite eine ganz logische, fast mechanische Konsequenz dieser Racheabfolge gibt, dass die aber letztlich bei aller Logik was sehr irrationales hat, und dass das Stück in seinem Zentrum rätselhaft ist. Und wenn man mit solchen Schlagworten kommt wie „es ist deutsch“ oder es ist irgendwie ein Mythos, dann ist es ja letzten Endes nichts anderes, als dass man versucht, diesen rätselhaften Kern mit einem Etikett zu versehen, um es doch irgendwie greifbar zu machen. Take 8: (Szene aus der Schaubühneninszenierung) Ihr bleibt ja lange bei Tische sitzen, schmeckt´s denn heut´ so gut? Nur immer zu, die Zeche ist bezahlt. Was ist geschehn? Von allen Burgunden, die ihr mir anvertraut, ist nicht ein einziger am Leben mehr. Und Du? Und Du? Mein Kind, das Kind!! Du triefst von Blut! Autor: Die Materialfülle des Stoffes und die sinnliche, zuweilen kräftig pathetische Sprache von Hebbels Figuren reizen viele Regisseure – vielleicht gerade weil ihnen beides Probleme bereitet. Michael Thalheimer, dessen „Nibelungen“-Inszenierung am 26.März des Jahres am Deutschen Theater in Berlin Premiere hat: Take 9: Thalheimer 9 Es ist unmöglich, unpsychologisch zu spielen, weil es dann einfach hohl und banal wird. Das ist auch die große Gefahr bei diesem Stück, weil sie die Sprache, die voller Pathos ist, nur zu einem hohlen, pathetischen Ausdruck bringt. Das hilft uns auf der Bühne nicht weiter. Aber es gilt vielleicht, das psychologische Verständnis zu haben, und das dann wiederum überspringen zu können, dass es nicht nur spannend ist, dem Zuschauer bis ins Kleinste psychologisch deutlich erklärbar zu machen, wie es zu diesem oder jenem Vorgang kommt, sondern dass sich das von einem Vorgang zu dem anderen Vorgang auch bedingt. Hebbel selbst hat über diese unglaubliche Maschine gesprochen, die er da in Gang wirft, und das gibt es auch auf der Bühne zu behaupten, dass es eine Zwangsläufigkeit hat. Ich mag diese Sprache, auch wenn sie mir eher fremd ist, auch sehr martialisch in ihrem Pathos ist, gilt es aber trotzdem auch, diese Sprache und den Ausdruck dieser Sprache auf den Proben zu untersuchen. Take 10: (Szene aus der Dresdner Bürgerbühnen-Aufführung) Aber was geht das Deinen Siegfried an. Er ist ja fest und schüttelt alle Pfeile ab. Hast Du´s vergessen, oder weißt Du nicht, dass er an einem Fleck verwundbar ist? Es stimmt, das hab ich ganz vergessen. Sprecherin: Was die tolle, wilde und uralte Nibelungengeschichte mit ihnen zu tun hat, haben sich zwanzig Dresdner Jugendliche im Alter zwischen 13 und 24 Jahren gefragt. Sie spielen am Staatsschauspiel Dresden in einer sogenannten Bürgerbühne und fanden unter Leitung des Regisseurs Marc Prätsch im alten Mythos viele aktuelle Fragen: Kann man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, und wenn ja, wie? Gibt es wirklich ein unangreifbares Recht des Stärkeren, und schützt äußere Unbesiegbarkeit vor allen Verletzungen, und warum fürchten Menschen so oft das Fremde? Autor: 10 In der Bürgerbühnen-Version betreiben die Burgunder eine HausgeräteReparatur und nutzen ausgeschlachtete Waschmaschinen als Rüstungen. Gunther ist ein Weichei, sein Bruder Giselher ein junger Neonazi, und der muskelbepackte Siegfried kein blonder deutsche Held, sondern ein junger Mann mit deutlich auch fremdländischen, asiatischen Wurzeln. Die Jugendlichen zeigen ein tolles, wildes Spiel, das bei allen aktualisierenden Einfällen dennoch eng an den Fragen des Stückes bleibt. Der Streit der Königinnen wird als Wackelpudding-Schlacht ausgetragen, und statt Hebbelschem Pathos gibt es jugendliche Lockerheit. Die 16jährige Henriette Hölzl spielt Kriemhild: Take 11: Hölzl Marc kam z. B. bei mir auf die Idee, dass ich im ersten Akt eine kurze Hose tragen sollte, mit heutigen Chucks, also Turnschuhen, und einem feschen Oberteil, wo ich im ersten Moment dachte: warum. Und dann hat er es mir so erklärt: dass er möchte, dass ich spielerisch rüberkomme, lustig, verspielt, naiv, kämpferisch, und noch nicht so streng in ein Kleid gezwängt, nach den Sitten erzogen, nach irgendwelchen Normen gefertigt. Er wollte, dass ich noch freies Mädchen bin, unbekümmert, das wollte er mit diesem Kostüm darstellen. Und ich habe mich sofort damit angefreundet. Auch mit meinem späteren sogenannten Geishakostüm. Dieses kriegerische Geisha-Kostüm hat zu den Hunnen gepasst, es soll halt kämpferisch sein, es soll Selbstsicherheit ausstrahlen. Sprecherin: In den Nibelungen geht es um die Entmachtung heidnischer Frauen in einer Übergangszeit, also auch um die Befragung und Neudefinition von Geschlechterrollen und sozialem Standort. John von Düffel, Michael Thalheimer und Marius von Mayenburg sind sich dessen bewusst. : Take 12: Düffel Es gibt eine psychologische Deutung, die sagt, Kriemhild ist eigentlich ein dummes Blondchen und weiß es nicht besser. Das wäre psychologisch natürlich eine sehr langweilige Erklärung und auch eine, die es dann schwierig macht, den zweiten Teil weiter zu erzählen. 11 Weil: wie kann ein dummes Blondchen dann zur Rachefurie per se werden. Die andere Ausdeutung ist, dass man sagt, O.K., sie ist eigentlich unglücklich mit Siegfried, sie will ihn auch noch mal herausfordern, sie will vielleicht sogar für einen Moment, dass er stirbt. Sie verrät ihn, und Hagen macht diesen Verrat sozusagen perfekt, und in dem Moment, wo er es tut, wird er natürlich von ihr gehasst, so wie man den hasst, der die schlimmen Taten, die man denkt, ausführt, hasst. Take 13: Thalheimer Ich glaube, dass ihr die Welt, die Siegfried verkörpert, entrissen wird. Ich glaube, dass sie dadurch in ein schwarzes Loch gestürzt wird und dass sie nichts anderes sehen kann als diese Rache. Wenn man durch Rache in einen Rausch getrieben wird, ist man Teil einer Maschine und wird die Maschine nicht mehr in Frage stellen. In diesen Rausch begibt sie sich bewusst. Wahrscheinlich gibt es den Moment, am Ende des Stückes, wo es ihr auch Lust bereitet. Take 14: Mayenburg Man hat immer so das Gefühl, es geht um die Germanen, die irgendwie gerade erst von den Bäumen heruntergestiegen sind, und die sich jetzt da gegenseitig mit Blutrache überziehen. Das Interessante ist, wenn man den Hebbel liest, dass es eigentlich ein Rechtssystem gibt, auf das sich Kriemhild auch immer wieder beruft. Sie sagt, sie will, dass die Leute zusammenkommen und Gericht halten und einen Spruch sprechen, und dass dieser Spruch dann auch vollzogen wird, und dann heißt es immer wieder von Gunthers Seite: das weigere ich. Dieses Beharren auf Recht im Sinne eines legalen Systems, dass diesen Staat strukturiert und ihm eine Form gibt finde ich auch einen faszinierenden Punkt. Dass in dem Moment, in dem es keine Instanz mehr gibt, die man anrufen kann, um zu seinem Recht zu kommen, dass eigentlich nur noch etwas wie Selbstjustiz möglich ist, und das ist etwas, was man natürlich auch irgendwie dann wieder im weltpolitischen Zusammenhang sehen kann, auf Konflikte in Israel bezogen, und alle möglichen anderen Konflikte zwischen erster und dritter Welt, und das finde ich auch ein interessantes Phänomen, das zu untersuchen. Musik Sprecherin: Da der Nibelungen-Stoff große existentielle, zeitlos aktuelle Fragen behandelt, ist auf der Bühne vieles möglich: Man kann die Nibelungen in historischem Gewand zeigen, sie in unsere Zeit marschieren lassen oder sie in einem abstrakten politischen Denkraum belassen. 12 Musik (aus der Inszenierung Gera/Altenburg) Autor: Amina Gusner, neue Schauspielchefin der Thüringischen Landesbühnen GeraAltenburg, hat Hebbels Nibelungen in einen heutigen Sprachsound verpackt und zeigt die Burgunder als eine Gruppe junger Leute, die sich langweilen und deshalb auf der Suche nach „Action“ sind. Take 15: (Szene aus der Aufführung in Gera/Altenburg) So hat das angefangen: er ist in den Wald gegangen, er hat zwei Typen getroffen, die waren schwer besoffen. Er sollt bei ihnen weilen, sollt ihnen ihr Erbe teilen, und das im großen Schwung, für Papa Nibelung. Sprecherin: Trotz aller äußerlichen Aktualisierung bleibt in Amina Gusners Inszenierung der archaisch-mythische Untergrund der Figuren hör- und spürbar. Take 16: Gusner Während die Brunhild ja schon aus dem Stück heraus diese wilde archaische, nicht domestizierte Frau ist, die domestiziert wird, aus ihrer Stärke wird sie im Prinzip das Opfer, ist die andere das Opfer, sie wird ja auch, ohne zu fragen, mal eben verheiratet. Dass sie zufällig verknallt ist in den Siegfried, spielt ja eigentlich keine Rolle. Also aus ihrem Opfersein wird sie zur Täterin. Das ist für mich der grundlegende Unterschied. Die eine, die in dieser Gesellschaft klar kommt, wird auf Grund ihrer Erfahrungen, des Verrats, des Mords, zu einer Luxushure, die verkauft sich ja dem Etzel, und zur absoluten Rachegöttin: ne Frau, die nichts mehr zu verlieren hat. Und Brunhild genau umgekehrt: ne Frau, die denkt, sie hat nichts zu verlieren und dann ihre Freiheit verliert. Autor: 13 Interessanterweise gerät trotz des Blicks auf die Frauen Hagen, changierend zwischen Machtpolitiker, Pragmatiker, Intrigant und Stratege oft zur spannendsten Figur in Nibelungen-Inszenierungen. Weil er eine wie eine Projektionsfläche wirkt und zugleich ein in seinen Zwängen festsitzender Mensch ist. Take17: Gusner Ich habe nicht gesagt, dass er der Gute ist. Aber er ist der, der fürs Gemeinwohl tatsächlich denkt. Er ist der Konservative. Take 18: Thalheimer Der verschlagene Politiker? Nein, langweilig. Ich weiß auch gar nicht, wieweit Hagen ein Politiker ist. Er ist ja zu keiner Diskussion und keinem Diskurs bereit. Sein Ziel ist Machterhalt. Das in einer Stringenz, die erschreckend ist. Der Vorwurf, den man ihm machen kann, ist, ob er denn überhaupt kein Gewissen hat. Er ist nur an Machterhalt interessiert, und das bis zur letzten Konsequenz Take 19: Mayenburg Das Auftreten von Siegfried stellt ihn infrage. Er ist nicht nur der Älteste in dieser Gruppe, er ist auch derjenige, der physisch am stärksten ist, was in dieser Männergesellschaft ja von entscheidender Wichtigkeit ist. Diesen Status verliert er sofort, wenn Siegfried dort auftaucht. Und das nagt an dem. Für mich ist das jemand, der gar nicht so der clevere Intigrant ist. Aber er ist ein sehr spielerischer Improvisierer, der sehr geschmeidig sich der nächsten Chance anpasst. Sprecherin: Hagen von Tronje kommt bei den jugendlichen Laien der Dresdner Bürgerbühne am schlechtesten weg. In der Darstellung des 18jährigen Ron Helbig erscheint er völlig skrupellos und hinterlistig: Take 20: Helbig Er guckt sich das Treiben auf dem Burgunderhof an und macht sich Gedanken, wie das mit Siegfried verläuft. Ab dem zweiten Akt merkt Hagen, dass Siegfried Mist gebaut hat, und entwickelt so einen Hass auf ihn, dass er ihn sogar im peinlichen Gericht umbringen möchte. Wenn man es so nimmt, ist er auch eine Art von Diplomat, der die ganze Zeit zwischen den Leuten zu verhandeln sucht. Autor: 14 So überwiegen in vielen aktuellen Nibelungen-Inszenierungen Zweifel am Sinn und an der Berechtigung und an und an der über Sinn und Richtigkeit der gezeigten Haltungen. Und die Erlöser-Figur des Dietrich von Bern, die bei Hebbel das Kreuz der Christen aufrichtet und für einen hoffnungsvollen Schluss sorgt, fällt in den meisten Inszenierungen fort. Dass zuweilen Kriemhild überlebt, bringt auch keine Hoffnung. So sitzt Kriemhild in Marius von Mayenburgs Inszenierung einsam mitten auf der riesigen Treppe, und Eimer für Eimer wird eine rote Blutflut über deren Stufen geschüttet. Das ist ein starkes, wenn auch nicht bestürzendes Bild, - weniger grausig als schön und von ästhetischer Kraft. So will es Marius von Mayenburg: Take 21: Mayenburg Das Blut ist in der Sprache wirklich überpräsent, und ich hab gedacht, wenn man das wirklich ernst nimmt und es nicht so ne Comic-Veranstaltung werden soll, habe ich nach was gesucht, was einen diese schiere Menge von Blut ahnen lässt. Gleichzeitig ging es mir auch um die Isoliertheit von Kriemhild. Sprecherin: Der Dramatiker Oliver Schmaering geht in seiner Schweriner NibelungenVersion noch einen Schritt weiter: Take 22: Schmaering Meiner Erinnerung nach ist es so, dass die vorletzte Szene Hagen und Kriemhild sind, die beiden sind die letzten, die übrig geblieben sind, die sich selbst spiegeln, sich im anderen erkennen, merken, dass sie eigentlich aus einem Holz geschnitzt sind, also im Willen, auch sich selbst zu geben für die Sache oder was auch immer, und sagen: ja schade, wenn wir auf der gleichen Seite gestanden hätten, dann hätten wir uns sicher gut verstehen können, irgendwie noch ne Zigarette zusammen rauchen, dann richtet Kriemhild Hagen hin. Und die allerletzte Szene ist dann wieder ein Rückgriff auf die Götterdämmerung von Richard Wagner, da geht die Welt unter, die Götterwelt, die Drachenwelt, die Zwergenwelt geht sozusagen mit unter. Ja, ein dystopischer Schluss, kann man sagen. Sprecherin: 15 Oliver Schmaering zeigt also das Ende aller Utopien, indem er die alte Sagenwelt in seinem Stück in das 21. Jahrhundert holt. 50 Prozent Hebbel, 50 Prozent Schmaering und eine Sprache, die mal alltagssprachlich schnoddrig, mal in Heiner Müllers riesigen Schuhen einher spaziert. Autor: Kaum ein Stoff kommt in so unterschiedlicher Form auf die Bühnen wie der von nordischen Mythen umrahmte Nibelungenmythos. Take 23: (Szene aus der Aufführung in Netzeband) Teure Freundin, sei gegrüßt. Es freut mich, dich auf dem Weg zu jenem Gott zu sehn, an den in Worms die Menschen glauben. Autor: Auch als Freilichttheater gibt es ihn. Im Gutspark des brandenburgischen 200-Seelen-Dorfes Netzeband, 100 Kilometer nördlich von Berlin, wird seit 1996 im Sommer Theater gespielt. Festivalleiter, Regisseur und Schauspieler Frank Matthus hat seine NibelungenFassung aus den nordischen Göttersagen heraus entwickelt. Ende Juli kommt bereits der 3.Teil seiner formal einzigartigen Version zur Uraufführung: Take 24: Matthus Wir nennen es Synchrontheater. Wir nehmen den Text komplett auf Band auf, mit sehr guten Schauspielern. Dann wird das zusammen geschnitten, noch ein bisschen auch mit Geräuschen bearbeitet und wird als Toninstallation in den Park gesetzt. Und dazu bewegen sich Darsteller, Tänzer, Schauspieler, auch sehr viel Laien mit Masken zum Text. Sie synchronisieren ganz simpel den Text. Dabei entsteht eine Form. Es ist ein unglaublich praktisches Mittel, diese großen Räume zu füllen, auch da war der Park wieder die Inspiration. Take 25: (Szene aus der Aufführung in Netzeband) 16 Liebe Schwägerin, ich grüsse dich. Gewohnt, sich es Schutzes vieler Götter zu erfreuen, sieht Brünhilde keinen Grund, nicht auch den Römergott in Worms in seinem Hause zu besuchen. Was jeder glaubt, was nicht, bleibt jedem selber überlassen. Nach dir, liebe Freundin. Musik Autor: Tragödie, Komödie, Comic, Synchrontheater, Jugendstück: der alte Mythos, gespiegelt im Heute, wird auf der Theaterbühne mit einer Vielfalt unterschiedlichster Theatermittel und Aktualisierungen lebendig. Die Nibelungen erweisen sich dabei als zeitloser und zugleich zeitgenössischer Mythos. Zitator: Uns ist in alten maeren wunders vil geseit von heleden lobebaeren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen von küener recken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen 17