Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Die Sprachentwicklung 1. Der Sprachbaum – ein Bild für den kindlichen Spracherwerb 1 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch 2. Die Sprachpyramide – Durchschnittswerte, wann ein Kind was kann 2 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Störungen im kindlichen Spracherwerb 1. Störungen des Sprechens und der Sprache 1.1 Semantisch – lexikalische Sprachebene (Bedeutungs- und Wortschatzebene) 1.1.1 Sprachverständnisstörung/eingeschränktes Sprachverständnis Kinder mit ca. 2 Jahren können keine 50 Wörter aktiv gebrauchen und weniger als 300 Wörter verstehen. Das rezeptive Lexikon ist eingeschränkt. Kinder mit dieser Störung wiederholen z. B. die letzten Wörter einer Frage wie ein Echo, ohne eine Antworte geben zu können (Echolalie). 1.1.2 Eingeschränkter Wortschatz „Late talkers“, die mit 24 Monaten aktiv noch über keine 50 Wörter verfügen und keine 2-Wort-Sätze kombinieren, gelten als Risikokinder für eine Sprachentwicklungsverzögerung. Bei diesen Kindern bleiben die Wortschatz-Spurts oft aus. Der aktive und kreative Umgang mit Sprache fehlt. 1.2 Phonetisch-phonologische Sprachebene (Lautebene): Aussprachestörung, Dyslalie 1.2.1 Phonetische Störung: Sprechstörung, Artikulationsstörung Einzelne Laute und Lautverbindungen können nicht korrekt gebildet werden. Dabei wurde das Sprachsystem korrekt erworben und das Kind kann auch richtig darüber verfügen. Grundformen: - Laute bzw. Lautverbindungen werden weggelassen - Laute bzw. Lautverbindungen werden durch andere, in der Muttersprache vorkommende Laute bzw. Lautverbindungen ersetzt (Kuh – Tuh) - Laute bzw. Lautverbindungen werden durch einen Laut ersetzt, der in der Muttersprache nicht vorkommt (Lispeln) Benennung nach den betroffenen Lauten: z. B. Sigmatismus: /s/-Laute, Schetismus: /sch/, Rotazismus: /r/ Myofunktionelle Störung als besondere Aussprachestörung Es liegt ein Ungleichgewicht zwischen Kau-, Schluck- und Gesichtsmuskulatur vor. Hauptsymptom ist der falsche Schluckvorgang. Erscheinungsbild: - Lautfehlbildungen - Eingeschränkte Wahrnehmung im Mundraum - Mundatmung oder offene Mundhaltung - Speicheln, Speichellaufen - Lymphödem: Wasseransammlungen im Gesichtsbereich - Kieferanomalie und Zahnfehlstellungen - Störungen von Haltung, Bewegung, Koordination 3 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Ursachen - Neurologische Störungen und Erkrankungen - Gesichtsmissbildungen, z. B. LKG-Spalte - Falsche Saug- und Lutschgewohnheiten Therapie durch Logopäden (Behebung der Schluckfehlfunktion) 1.2.2 Phonologische Störung: Sprachstörung, Lauterwerbsstörung Die Aussprache eines Lautes gelingt im sprachlichen Kontext nicht störungsfrei. Das Kind kann die fehlenden oder fehlerhaft gebildeten Laute mit Unterstützung bilden, verwendet sie aber nicht zuverlässig in der Spontansprache. Der Lauterwerb ist nicht abgeschlossen. Das Kind kennt die bedeutungsunterscheidende Funktion der Laute nicht. Der Erwerb des Phonologischen Systems beginnt mit ca. 18 Monate. Dabei kommt es zu regelhaften Abweichungen im Sinne von Vereinfachungen. Diese Vereinfachungen werden Phonologische Prozesse genannt. - Silbenstrukturprozesse - Harmonisierungsprozesse - Substitutionsprozesse Störungen treten auf, wenn folgendes deutlich wird: - Verzögerung bei der Überwindung Phonologischer Prozesse - Ungewöhnliche Prozesse - Unausbalancierte Entwicklung - Lautpräferenz 1.2.3 Physiologische Dyslalie Altersgemäßes Unvermögen, keine Störung, das in der Entwicklung eines jeden Kindes auftritt. 1.3 Morpho-syntaktische Sprachebene (Grammatikebene): 1.3.1 Dysgrammatismus Störung im Erwerb und Gebrauch von Grammatik, dh. der Wort- und Satzbildung Grundformen - Störungen als zeitliche Abweichung: Kinder kombinieren Wörter erst deutlich verspätet mit ca. 4 Jahren oder später - Strukturelle Störungen: Qualitative Abweichung vom normalen Ablauf der Sprachentwicklung Merkmale - Telegrammstil - Fehlende/fehlerhafte Form 1.3.2 Physiologischer Dysgrammatismus Altersgemäßes Unvermögen, die Wortabfolge, den Satzbau und die Grammatik regelrecht zu bilden. Notwendige Phase, die jedes Kind durchlaufen muss, damit es die Regeln der Sprache erwerben kann. 4 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Sprachentwicklungsverzögerung Die Sprachentwicklung verläuft in allen vier Bereichen (Sprachverständnis, Wortschatz, Lautbildung, Grammatik) zeitlich verzögert. Es wird angenommen, dass der sprachliche Rückstand in absehbarer Zeit aufgeholt werden kann. Sprachentwicklungsstörung Sie liegt vor wenn folgende vier Auffälligkeiten gemeinsam auftreten: Sprachverständnisstörung, eingeschränkter Wortschatz, Dyslalie und Dysgrammatismus. Der Sprachentwicklungsrückstand muss mindestens ½ Jahr betragen. Entwicklungsdysphasie spezifische Sprachentwicklungsstörung als massive Störung des Sprachlernprozesses Häufigkeit: 6 – 8 % der Vorschulkinder sind betroffen Alalie, Nichtsprechen Extreme Form der Sprachentwicklungsstörung, die Sprachentwicklung bleibt aus. 2. Störungen des Sprechablaufes 2.1 Alle Sprachebenen 2.1.1 Poltern Überhastetes, oft unregelmäßiges Sprechtempo Verwaschene, undeutliche Aussprache Laute, Silben und Wörter werden verschluckt, verstellt, verstümmelt Die Verständlichkeit verbessert sich, wenn die Aufmerksamkeit auf das Sprechen gerichtet ist. 3. Störungen der Kommunikation 3.1 Kommunikativ-pragmatische Sprachebene (Beziehungsebene) 3.1.1 Stottern Störung des Redeflusses - Wiederholung von Silben und Lauten - Dehnen von Lauten länger als 1 sec - Pausen als Hängenbleiben an einem Laut vor und im Wort - Mitbewegungen - Gestörter Blickkontakt - Emotionale Begleiterscheinungen - Sprachliches Vermeidungsverhalten - Soziales Vermeidungsverhalten - Störungsbewusstsein - Verschlimmerung, wenn sich die Konzentration auf die Sprache richtet 5 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch 3.1.2 Altersgemäße Sprechunflüssigkeit Keine Sprachstörung, dauert in der Regel ½ Jahr Sprechunflüssigkeiten, die bei allen Kindern in der Sprachentwicklung zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr auftreten können 3.1.3 Mutismus Sprechverweigerung Kinder, die Sprache bereits erworben haben, sprechen nicht mehr bzw. teilen sich lautsprachlich nicht mehr mit. 4. Störungen der Stimme und des Stimmklangs Stimmstörung/Kindliche Dysphonie Stimmklang und/oder Lautstärke und/oder Tonhöhe sind verändert Die Stimme klingt dauernd piepsig oder heiser bis zur Stimmlosigkeit Meistens wird mit zu viel Kraftanstrengung gesprochen (Hyperphonie): Es besteht die Gefahr, dass sich Stimmlippenknötchen bilden Abklärung durch den HNO-Arzt erforderlich Näseln/Rhinophonie/Rhinolalie Sprechen mit näselndem Stimmklang Offenes Näseln: Beim Sprechen entweicht die Luft verstärkt durch die Nase statt durch den Mund. Das Gaumensegel schließt den Mundraum nicht zum Nasenraum hin ab. Geschlossenes Näseln: Beim Sprechen entweicht die Luft verstärkt durch den Mund. Ursachen von Störungen des Sprechens und der Sprache Multifaktorielle Erklärung: Vier Ursachenbündel Das Ursachenproblem ist nicht gelöst. Mit Sicherheit weiß man aber, dass es nicht eine einzelne Ursache sondern in der Regel mehrere Faktoren sind, die eine Störung auslösen und aufrechterhalten. 6 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Allgemeine Prinzipien der Sprachförderung 1. Blickkontakt Wendlandt: „Der Blickkontakt ist wie eine Brücke, auf der sich zwei Menschen aufeinander zubewegen und sich begegnen.“ 2. Grundsätze zum Modellverhalten/Sprachvorbild Spreche ich selbst langsam, klar und deutlich? Halte ich dabei Blickkontakt? Zeige ich Kommunikationsfreude und schaffe echte Sprechanlässe? Höre ich aufmerksam und mit echtem Interesse zu? Gebe ich ausreichend Zeit, damit das Kind Worte finden und aussprechen kann? Nehme ich Stärken, Interessen und Bedürfnisse der Kinder wahr? Spreche ich selbst in vollständigen, grammatikalisch korrekten Sätzen? Begleite ich mein Handeln sprachlich? Beachte ich das sprachliche Niveau des Kindes und bleibe dabei immer einen Schritt voraus? Achte ich auf meine Lautstärke, damit ich die Kinder nicht übertöne? Achte ich auf meinen Stimmklang und meine Betonung? 3. Kontakt zum Kind Akzeptanz und Empathie wecken die Freude an menschlichen Beziehungen und an Sprache. 4. Zuhören Ist genügend Zeit, dass sich das Kind mitteilen kann, auch wenn es sich sprachlich ungeschickt äußert? Aktives Zuhören erfordert das Einstellen von Nebentätigkeiten, die körperliche Hinwendung zum Kind und die Herstellung von Blickkontakt. 5. Sprachhandeln Sprachbegleitetes Handeln unterstützt das Kind beim Spracherwerb. Sprachverständnis und Wortschatz werden so aufgebaut und erweitert. 6. Bestätigende Rückmeldung Durch das Wiederholen richtiger Äußerungen des Kindes wird das Kind sprachlich bestätigt. 7. Korrigierende Rückmeldung/Korrektives Feedback Fehlerhafte Äußerungen des Kindes sollen einmal durch den Erwachsenen richtig wiederholt werden, und zwar unmittelbar, nachdem das Kind seine Äußerung beendet hat. 8. Fragen stellen Mit Fragen kann am Mitteilungsbedürfnis des Kindes angeknüpft und ein Gespräch initiiert werden. Fragen und Antworten geben Aufschluss, ob das Kind Begriffe und Sachverhalte richtig verstanden hat. 7 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Hemmendes Sprachverhalten 1. Das Sprechen abnehmen 2. Sätze unterbrechen Wer nicht die Zeit bekommt, auszusprechen, verliert die Sprechfreude. 3. Korrigieren Ständiges Verbessern führen zum Verlust der Sprechfreude. Der Inhalt muss wichtiger bleiben als die Form. Die Spontaneität im Ausprobieren von Sprache und in der Kontaktaufnahme geht verloren. 4. Nachsprechen lassen Das Nachsprechen von Worten und Lauten, die das Kind noch nicht beherrscht, hemmt den spontanen Redefluss. 5. Kritisieren und bestrafen Abwertende Bemerkungen, Ironie, Kritik oder das Androhen von Strafen vermögen Sprache nicht zu fördern. 6. Sätze unterbrechen Erwachsene sollen vollständige und richtige Sprachimpulse geben, keine verstümmelten Sprachangebote. Spezifische Förderprinzipien bei den verschiedenen Sprachentwicklungsstörungen 1. Störungen des Sprechens und der Sprache 1.1 Semantsich-lexikalische Sprachebene: aktiver und passiver Wortschatz Dannenbauer: Sprachtherapie ist ein inszenierter Spracherwerb Das Kind soll die Fähigkeiten entwickeln können, Sprache nach Inhalt und Form eigenständig handlungsbegleitend und handlungsleitend aufzunehmen und äußern zu können. Sprachförderung im semantischen Bereich muss themenorientiert sein, ein semantisches Feld aufbauen. Sie soll den Kindern Strategien vermitteln, damit sie lernen, ihre semantischen Fähigkeiten selbst zu erweitern. Sprachverstehen und Sprachproduktion sollen sich innerhalb des semantischen Feldes angleichen. 1.2 Phonetisch-phonologische Sprachebene: Phonetische/Phonologische Störung Sprachförderung muss immer einen individuellen Lösungsansatz haben. Ziel: Erhöhung der Verständlichkeit der sprachlichen Äußerungen 8 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Die kindliche Phonetik und Phonologie entwickelt sich in einer zeitlichen Reihenfolge. Diese Reihenfolge kann Anhaltspunkt sein, welche Laute sprachentwicklungsverzögerte Kinder als nächstes lernen können. Lautunterstützende Maßnahmen Techniken des Modellieren Arbeit mit Minimalwortpaaren Myofunktionelle Störung Ziel der Sprachförderung ist die Behebung der Schluckfehlfunktion und die Herstellung des orofazialen Muskelgleichgewichts. Therapeut muss ein Logopäde oder Sprachheilpädagoge sein Unterstützende Maßnahmen auch in der Schule möglich Lippenübungen Blaseübungen 1.3 Morho-syntaktische Sprachebene: Dysgrammatismus Entwicklungsproximale Sprachtherapie als Trotzdem-Grammatikerwerb Unterstützung für die Entwicklungsaufgabe der Kinder, die grammatikalischen Formen und Prinzipien in der Sprache ihrer Umgebung zu identifizieren und nach und nach über Vor- und Zwischenformen in ihre Spontansprache aufzunehmen. Bei gemeinsamem Tun und mit direktem Sachbezug wird dem Kind die Zielstruktur mit erhöhter Frequenz und deutlicher Betonung immer wieder dargeboten. Dies geschieht durch Modellierungstechniken. Modellierungstechniken können den Spracherwerb insgesamt anregen Ein permanentes Einsprechen auf das Kind muss dabei vermieden werden Modellierungstechniken: Die der kindlichen Sprachäußerung vorausgehen, zB. Präsentation Gehäufte Einführung der Zielform Parallelsprechen Versprachlichung kindlicher Intentionen Linguistische Markierung Versprachlichung vorrangig beachteter Situationsmerkmale Alternativfragen Angebot zweier Zielstrukturen zur Beantwortung Die der kindlichen Sprachäußerung nachfolgen, zB. Expansion Vervollständigung der kindlichen Äußerung unter Einbau der Zielstruktur Umformung Veränderung der kindlichen Äußerung unter Einbau der Zielstruktur Korrektives Feedback Wiedergabe der kindlichen Äußerung mit berichtigter Zielstruktur Extension Sachlogische Weiterführung der kindlichen Äußerung unter Einbau der Zielstruktur Nach einer Zeit intensiven Modellierens treten Spontanimitationen auf, die immer häufiger und immer korrekter werden. Etwas zeitversetzt nehmen die eigenständigen Spontanproduktionen zu und die Imitationen nehmen ab. Das Verb ist der Kern des dialogischen Sprech-Handlungs-Geschehens. Verben sind Handlungsbegriffe. Sie fördern den Aufbau von Grammatik, weil sie in wechselnder Form mit anderen Wortarten in Verbindung treten. 9 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch 2. Störungen des Sprechablaufes 2.1 Alle Sprachebenen Poltern Ein gutes Sprechvorbild sein Ruhe in den Gesprächen pflegen Bei Konzentration auf das Sprechen verringert sich das Poltern 3. Störungen der Kommunikation 3.1 Kommunikativ-pragmatische Sprachebene Stottern Stottern ist keine schlechte Angewohnheit, Kinder können ihr Stottern selbst willentlich nicht beeinflussen. Wenn sie sich anstrengen, verstärkt sich das Stottern in der Regel. Ermahnungen führen nicht selten zu Mutlosigkeit und Sprechscheu der Kinder Aufregungen verstärken das Stottern: Stottern hängt vom jeweils herrschenden Kommunikationsdruck ab. Den Druck können Kinder ganz subjektiv erleben. Viele kommunikative Sprechsituationen schaffen Stotterfreie Sprechsituationen schaffen Ein gutes Sprechvorbild sein Ruhig und gelassen mit den Sprechunflüssigkeiten umgehen Umgang mit Gleichaltrigen: das Kind braucht Freunde, die es als Person annehmen, nicht wegen des „guten“ Sprechens Mutismus Entscheidend ist der personelle Bezug zum Kind: Vertrauen, Geborgenheit und das Gefühl des angenommen Seins müssen gegeben sein Nonverbale Kommunikation zulassen Keinen Druck aufbauen 4. Störungen der Stimme und des Stimmklangs Dysphonie Vorstellung beim HNO-Arzt Näseln Vorstellung beim HNO-Arzt Vielfältige Blaseübungen zum Training des Gaumensegels, damit es aktiv gespannt oder locker gelassen werden kann 10 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Unterrichtspraktische Beispiele: Spiel und Sprache 1. Die Bedeutung des Spiels für die Sprachentwicklung Das Spiel stellt in der Sprach- und Kommunikationsförderung für Kinder ein grundlegendes Prinzip dar. Nach Bruner stellen Spiele eine Wirklichkeit dar, auf die sich das Kind schrittweise immer besser zu beziehen versteht. Anfangs wird diese „begrenzte Realität“ durch Sprache begleitet, später durch Sprache vorweggenommen. Auch Wolfgang Wendlandt betont die Wichtigkeit des Spiels für die Sprachentwicklung: Es ist eine sehr gute Möglichkeit, die Kommunikationsfähigkeit der Kinder zur Entfaltung zu bringen. Iris Füssenich stellt heraus, dass die altersgerechte Tätigkeit des Kindergartenkindes (und jungen Schulkindes) stets das Spielen ist. Es fordert und fördert seine nichtsprachlichen und sprachlichen Fähigkeiten. Jede sprachliche Übung mit dem Kind soll deshalb spielerisch gestaltet sein. Im Spiel geht es immer darum sich zu verständigen, auch wenn geschwiegen wird: durch Blicke, durch Körperkontakt, durch mimische Signale durch Gesten und Körperbewegungen. Geübt wird die Austauschbarkeit von Rollen, mit anderen Personen sind zahlreiche Absprachen zu treffen und Einverständnis muss hergestellt werden. Darüber hinaus ist Spiel eine eigenaktive Tätigkeit, die Freude macht und stets freiwillig geschieht. Im Spiel erwerben Kinder all die Fähigkeiten, die notwendig sind um zwischen-menschliche Beziehungen zu gestalten. Eine wesentliche Grundbedingung ist eine Umgebung, in der sich das Kind angenommen und geborgen fühlt, geprägt von Akzeptanz, Kongruenz und Empathie. Spracherwerb ist ein dialogischer Prozess, an dem Kinder und Bezugspersonen gleichermaßen beteiligt sind. Gemeinsames Handeln und Austauschprozesse sind bestimmend. 2. Spiele und Spielformen im Laufe der kindlichen Entwicklung Stufen der kindlichen Spielentwicklung nach Dr. Elisabeth Wildegger-Lack 11 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch 2.1 Sensumotorisches Spiel Das sensumotorische Spiel erreicht seinen Höhepunkt zwischen dem ersten und zweiten Lebensjahr. Es bleibt aber während der gesamten frühen Kindheit wichtig. Wahrnehmungsfördernde Spiele dienen als Grundlage zur allgemeinen Förderung sprachauffälliger Kinder, sie können aber auch als präventive Maßnahmen eingesetzt werden. 2.1.1 Taktil-kinästhetische Wahrnehmung Zum Beispiel: Berührungen oder leichten Druck am Körper lokalisieren: Ameisen krabbeln – Körperteile benennen Zwerg-Riese-Mensch-Spiel 2.1.2 Visuelle Wahrnehmung Zum Beispiel: Memorie 2.1.3 Auditive Wahrnehmung Zum Beispiel: Übungen zur phonologischen Bewusstheit Stichwortgeschichten Spiele mit Minimalwortpaaren Rätsel 2.2 Das konstruierende, darstellende und szenische Spiel: Symbolspiel Nach Piaget beginnt das Symbolspiel im präoperationalen Stadium (2 – 4 Jahre). Das Symbolspiel ist eine wichtige Phase für die kognitive und sprachliche Entwicklung des Kindes. Das zweijährige Kind befindet sich im Übergang von der sensomotorischen zur operativen Intelligenz. Sensomotorische Aktivitäten werden zunehmend durch kognitive Leistungen wie das Symbolspiel und die Sprache mitgetragen. Im Spiel werden wie in der Sprache innere Repräsentationen symbolisiert. Bruner betont die besondere Bedeutung des Spiels für die Einübung interaktiver und sprachlicher Grundmuster. Es lenkt die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Kommunikation und ermöglicht die Zuweisung von Rollen. Ein Vorteil des Symbolspiels liegt nach Homburg in seiner „Als ob Relation“ zur Realität. „Das Kind kann aus seiner eigenen sprachgehemmten Rolle herausschlüpfen und in einer anderen Rolle neue und andersartige Erfahrungen machen.“ Zum Beispiel: Kaufladen (HSU: Ernährung, Sachaufgaben, Rechnen mit Geld …) Verkleidungskiste: Märchen, Zauberer, Zirkus, Zoo, Schule, Schloss, Prinzessin Der Brummer 2.3 Rollenspiel Dem Rollenspiel kommt eine besondere Bedeutung für die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes zu. Es agiert nicht mit einem Medium, es spielt selbst als Person. Im Rollenspiel hat das sprachauffällige Kind die Möglichkeit, seine pragmatisch-kommunikativen Kompetenzen ebenso zu entwickeln und zu erweitern, 12 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch wie seinen Wortschatz, seine Erfahrungen, sein Wissen, seine Vorstellungskraft und seine Fähigkeiten zur positiven sozialen Interaktion. Rollenspiele stehen am Ende der kommunikativen Auseinandersetzung, da sie schon hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit des Kindes stellen. 2.4 Regelspiel Zum Beispiel: Ratz – Fatz/Ratzolino 2.5 Bewegungsspiel Kinder lernen in einem vorgegebenen Spiel- und Bewegungsrahmen ihre kommunikativen Absichten mit sprachlichen Mitteln auszudrücken und zu erproben. Sie erfahren Sprache als vielschichtiges Handlungsinstrument. Das Spielthema legt die Handlung fest, lässt die Situation überschaubarer werden und Sprache damit leichter aufnehmen und anwenden. Zum Beispiel: Autospiele: Motorengeräusche zum Laut /r/ Fingerspiele: Das Krokodil, Wi Wa Wackelgans, Pick, pick, pick Frau Fledermaus Ich hab´ gefischt Bewegungsspiele mit Musik nutzen zudem die Gemeinsamkeiten von Sprache, Bewegung und Musik für die Sprach- und Kommunikationsförderung. Singen, Bewegen und Tanzen sind elementare menschliche Ausdrucksformen, die einem inneren Bedürfnis entsprechen. Das wichtigste gemeinsame Merkmal von Musik und Sprache ist, „dass es sich bei beiden um strukturierte akustische Zeichengestalten handelt, die nur im Nacheinander und im Erlebtwerden existieren“. (Eggert, Lütje, Johannisknecht) In musikalisch-rhythmischen Spielen wird das sprachtherapeutische Handeln in einen bedeutsamen, sinnvollen und motivierenden Sprachhandlungszusammenhang eingebaut. Aber: Beim Singen findet idR keine gezielte verbale Kommunikation statt und auch kein Austausch über den Inhalt des Gesungenen. Zum Beispiel: Sieben kecke Schnirkelschnecken Ein kugelrundes Schwein Spiellieder: z. B. 10 kleine Indianer 13 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Unterrichtspraktische Beispiele: Bilderbücher und Sprache 1. Auswahlkriterien für Bilderbücher 1.1 Was soll das Bilderbuch bewirken? eine verbale Auseinandersetzung mit einem Thema unter Einbeziehung eigener Erfahrungen und Eindrücke will Wegbereiter sein für den Aufbau einer kritischen Fragehaltung will die Fantasie anregen will Dialoge zu Mitmenschen anregen Aufgrund dieser umfangreichen Zielsetzung ist es unverzichtbar, sich mit den drei wesentlichen Hauptbereichen eines Bilderbuches auseinandersetzen: Inhalt – Illustration – Sprache 1.2 Welche Kriterien soll ein Bilderbuch in seinen Hauptbereichen erfüllen? 1. Inhalt soll altersadäquat sein soll eine übersichtliche, klare Strukturierung des Handlungsverlaufes aufweisen soll eine Orientierung an der Lebenswelt der Kinder haben soll Möglichkeiten der Identifikation und Abwechslung bieten 2. Illustration Farbe Zeichnungen mit überschaubaren Details große, klare, einfache und übersichtliche Darstellungen keine Konturenzeichnungen, dafür ganze Figuren mit durchgängigen Linien Perspektiven sind unbedeutend vereinfachtes oder schrittweises Erschließen der Bilder durch Abdecken 3. Sprache Eindeutige Text-Bild-Beziehung Möglichkeiten der Wortschatzarbeit Einfache und richtige Grammatik Häufung bestimmter Laute und Satzstrukturen zur Festigung Texte in Gedichtform Berücksichtigung des Sprachstandes oder Förderbedarfs: Passung des Textes an die Kinder 2. Bilderbuchbetrachtung unter dem Aspekt der sprachlichen Förderung 2.1 Förderung des Sprachverständnisses Unsinnsätze zum Bild Namen vertauschen Satzanfänge fortsetzen Nacherzählung Vermehrter Gebrauch abstrakter Begriffe 14 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch 2.2 Förderung der Artikulation Spielerischer Umgang mit der eigenen Stimme Mimische und mundmotorische Übungen Gehäuftes Vorkommen bestimmter Laute, Anlaute betonen, Wiederholung von Satzmustern mit dem Ziellaut 2.3 Förderung der Grammatik Sprachliche Zielstruktur unter Beibehaltung von Aussage und Form des Originaltextes einfügen Hervorheben der Genusmarkierung: die Maus – sie Hervorheben der Pluralmarkierung Verwenden von Adjektiven Verbzweitstellung mit Objektverwendung Beschreiben von Vorgängen und Handlungen (Verben) Fragesätze: W-Fragen, Voranstellung des Verbs Präpositionen 2.4 Förderung des Wortschatzes Hervorhebung neuer Wörter aus dem Sprechfluss Scheinbare Selbstgespräche Forced-alternative-Fragen: Heißt entmutigen jemanden Mut machen oder ihm den Mut nehmen? Selbstkorrekturen: Entmutigen bedeutet Mut machen, ach nein, im Gegenteil … Zusätzliche Sinnstützen, um den neuen Begriff einzubetten Phonologische Hinweise: Wörter klatschen. Gleiche Teile in anderen Wörtern hören, Reimwörter suchen 3. Methoden der Bilderbuchbetrachtung 3.1 Bilderbuchbetrachtung und Vorlesen Wird der Text eines Bilderbuches vorgelesen, geschieht das meist in klassischer Form, d.h. das Buch wird von Anfang bis zum Ende gelesen. Voraussetzungen sind entsprechendes Sprachverständnis und angemessene Konzentrationsfähigkeit. Durch das Vorlesen geschriebener Texte lernen Kinder andere stilistische Formen von Sprache kennen und verstehen. Das Niveau der Schriftsprache ist höher als das der gesprochenen Sprache, der Wortschatz ist generell viel reichhaltiger, es gibt mehr Variationen im Satzbau. 3.2 Bilderbuchbetrachtung und Erzählung Beim Erzählen orientiert sich die/der Vorlesende meist stärker am Sprachentwicklungsstand des Kindes. 3.3 Bilderbuchbetrachtung im Dialog Im Hinblick auf Kinder, die noch Unterstützung bei der Erweiterung ihrer sprachlichen Kompetenzen brauchen, ist die Methode der dialogorientierten Bilderbuchbetrachtung besonders hervorzuheben. Die Kinder sind von Anfang an aktiv einbezogen. Bei dieser Methode steht die sprachliche Aktivierung des Kindes im Vordergrund, es ist gleichzeitig Zuhörer und Erzähler. 15 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Eventuell muss man sich dabei von der Vorstellung verabschieden, dass die Geschichte von Anfang bis Ende und so wie im Buch erzählt wird. 4. Beispiele Helme Heine: Der Hase mit der roten Nase, Beltz und Gelberg: 20042, ISBN 3 407 77006 5 Pappbilderbuch mit einfacher, gereimter Sprache, kurzen Texten und klaren Bildern Thema: Anderssein – Schwierigkeiten und Vorteile der Einmaligkeit Gefühle versprachlichen, Begriffe dafür sammeln Warum ist der Hase traurig? Der Hase ist traurig, weil … Argumente finden lassen als mündlicher Sprachgebrauch mit vorgegebenem Satzmuster Warum hat der Fuchs den Hasen nicht erkannt? Warum freut sich der Hase am Schluss? Reime in der Geschichte finden und aufschreiben … Eric Carle: Die kleine Spinne spinnt und schweigt, Gerstenberg: 1984, ISBN 3 8067 41506 Pappbilderbuch mit Fühlelementen, einfacher Sprache mit Adjektiven, Fragesätzen und gleichbleibenden, wiederkehrenden Sätzen (Die kleine Spinne spinnt und schweigt). Die Illustration ist groß, klar und ohne ablenkende Details. Häufig vorkommender Laut /sch/, zum Teil als Graphem SCH, SP oder ST Gut einsetzbar bei der Erarbeitung des Buchstaben SCH in seiner Lautqualität. Aber auch wenn ST und SP eingeführt werden – die Phoneme sind gleich, die Grapheme unterschiedlich. Das Nachahmen der Tierstimmen fördert die Artikulationsfähigkeit Wiederkehrendes Satzmuster ist der Fragesatz Überraschung der Geschichte ist die Fliege Wertschätzung der Spinne und ihrer Tätigkeit als Gegensatz zur Ablehnung vieler gegenüber Spinnen … Faustin Charles und Michael Terry: Das sehr unfreundliche Krokodil, Bloomsbury: 20042, ISBN 3 82705000 6 Bilderbuch mit Papierseiten, zweiseitigen, liebevollen und z.T. detaillierten, Illustrationen, vielfältige Sprache mit unterschiedlichen Adjektiven und Verben. Thema: Einer will der „Chef“ sein und vergrault alle anderen, bis er selbst in Not ist und er sehr froh darüber ist, dass trotzdem einer den Mut findet ihn anzunehmen. So lernt der Chef, dass die Gemeinschaft gut und wichtig ist. Häufig vorkommende Lautverbindung /kr/, Wörter mit diesem Konsonantencluster sammeln und lesen Verben sammeln: sagte, fragte, zwitscherte, grunzte … Adjektive sammeln Was könnten die Tiere zum Krokodil sagen, als es sie nicht mehr zum Fluss lässt? Krokodil, bitte … als Satzanfang vorgeben 16 Fortbildung „Sprachförderung in der Grundschule“ am 26.06.2012 Carola Böhm, StRinFöSch Was könnten die Tiere sagen, als das Krokodil vor Schmerz brüllt? Wie wird die Geschichte weitergehen, als die Maus über den Bauch des Krokodils läuft? Als die Maus in das Krokodilmaul klettert? Wörtliche Rede Zahnpflege Fingerspiel: Das Krokodil Gerda Muller: Was war denn hier bloß los? Ein geheimnisvoller Spaziergang, Moritz Verlag, ISBN 3 89565 109 5 Einziger Satz des Bilderbuches: Geh den Spuren nach! Ein geheimnisvoller Winterspaziergang, der zu mündlichem Sprachhandeln einlädt und auffordert Aussagesätze mit Verbzweitstellung: Das Kind geht … Der Hund läuft … Präpositionalgefüge: Das Kind geht ins Bad. Visuelle Wahrnehmungsförderung Logisches Denken: Was ist da passiert? In der Deckseite sind Bilder, die beim Erzählen unterstützen können oder zugeordnet werden können. Wortschatzarbeit: Fehlende Wörter können eingeführt und verwendet werden Ein sehr aufschlussreicher Erzählspaß … 17