VII. Die Umformung staatlicher Handelsmonopole (Art

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Prof. Dr. Ingolf Pernice
Humboldt-Universität zu Berlin
WS 2010/11
Stand: 6. Nov. 10
EUROPÄISCHES WIRTSCHAFTSRECHT
(SCHWERPUNKT 6)
§2
Freier Warenverkehr: Das System der Art. 28, 34 ff. AEUV
(EuGHE 1987, 1227 – Reinheitsgebot)
Lesen: EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649 - Cassis de Dijon
EuGH, Rs. – Rs. C-267/91 und 268/91, Slg. 1993, 6097 - Keck
u. Mithouard
EuGH, Rs. C-110/05, Slg. 2009, I-519 – Kommission/Italien
(betr. Anhänger für Krad und EuGH)
EuGH Rs. C-142/05, Slg. 2009, I-4273 – Mickelsson und Roos
(betr. Verbot der Benutzung von Wassermotorrädern)
I. Vorfragen: ......................................................................................................... 2
II. Die Zollunion und das Prinzip des freien Verkehrs ............................................ 3
III. Das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher
Wirkung (Art. 34 AEUV) .................................................................................... 5
IV. Rechtfertigung von diskriminierenden Handelsbeschränkungen: Art. 36
AEUV ................................................................................................................ 10
V. Grundrechte als Schranke der Warenverkehrsfreiheit ...................................... 12
VI. Prozedurale Absicherung der Warenverkehrsfreiheit: ....................................... 12
VI. Geltung des Grundsatzes freier Warenverkehr auch für die EU-Organe? ........ 13
VII. Die Umformung staatlicher Handelsmonopole (Art. 37 AEUV):......................... 13
VIII. Verbot von Ausfuhrbeschränkungen ................................................................. 14
EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
1. Was bedeutet freier Warenverkehr, welches sind die grundlegenden
Regelungen im AEUV dazu (Wiederholung)?
2. Wie unterscheiden sich Abgaben mit zollgleicher Wirkung von
inländischen Abgaben, wo sind beide geregelt?
3. Enthält Art. 34 AEUV ein Diskriminierungs- oder
Beschränkungsverbot? Was versteht man unter der DassonvilleFormel und welchen Einschränkungen unterliegt sie nach der späteren
Rechtsprechung?
4. Ist Abfall „Ware“ iSd. Art. 30, 34 AEUV?
5. Was versteht man unter sog. „zwingenden Erfordernissen“? Wie
muss die mitgliedstaatliche Maßnahme beschaffen sein, dass jene
„zwingenden Erfordernisse“ zur Anwendung kommen?
6. Was versteht man unter der Keck-Formel? Welche Bedeutung hat hier
das Kriterium des Markzugangs ?
7. Wie ist die Auslegungsregel des EuGH zu Art. 36 AEUV dogmatisch
mit der Formel der „zwingenden Erfordernisse“ in Einklang zu
bringen?
8. Wie verhält sich das Erfordernis, dass eine nationale Beschränkung
des Warenverkehrs den EU-Grundrechten entsprechen muss, mit Art.
51 I GRCh?
9. Wie sorgt die EU präventiv dafür, dass die Freiheit des
Warenverkehrs nicht durch neue Gesetzgebung der Mitgliedstaaten
beschränkt wird?
10. Was sind staatliche Handelsmonopole ? Sind sie nach dem
Unionsrecht erlaubt oder verboten?
11. Worin unterscheidet sich das Verbot der Ausfuhrbeschränkungen im
Unionsrecht von dem der Einfuhrbeschränkungen?
I.
Vorfragen:
1. Was bedeutet freier Warenverkehr, welches sind die grundlegenden
Regelungen im AEUV dazu ?
a. Art. 3 III EUV, 26 II; Art. 28, 34 ff., sowie 110 ff. AEUV
b. Begleitend: Art. 63 II AEUV: Freiheit des Zahlungsverkehrs;
Rechtsangleichung: Art. 113, 114 und 115 AEUV, sowie die
c. Richtlinien zum öffentlichen Auftragswesen (Rechtsgrundlagen: Art. 114
AEUV und teilweise Art. 62, 50 AEUV
2. Freier Warenverkehr als grundlegendes Vertragsprinzip: Verbote für:
a. Zölle und zollgleiche Abgaben
b. Mengenmäßige Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung Dassonville-Formel des EuGH (s. auch unten III.1.) für Maßnahmen
gleicher Wirkung:
aa. sämtliche Handelsregelungen der Mitgliedstaaten die geeignet sind,
den innerunionalen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich
oder potenziell zu beeinträchtigen.
2
Ingolf Pernice
bb. Grenze
seit
Keck/Mithouard:
nicht
Bestimmungen
über
Verkaufsmodalitäten, soweit sie im Inland für alle gleich gelten und
den Absatz in- wie ausländischer Waren "rechtlich wie tatsächlich in
gleicher Weise berühren"
cc. Entscheidend ist das Kritierium der Beschränkung des Marktzutritts,
das
gilt
dann
auch
für
Nutzungsoder
Verwendungsbeschränkungen, s. u.
c. inländische Abgaben (Art. 110 ff. AEUV)
3. Frage: Art. 34 AEUV Diskriminierungsverbot oder Beschränkungsverbot?
Das Ursprungslandsprinzip (vgl. auch Art. 100b EGV aF - mit Amsterdamer
Vertrag aufgehoben!) - S. auch V. Götz, Der Grundsatz der gegenseitigen
Anerkennung im europäischen Binnenmarkt, in: Liber Amicorum Günther
Jaenicke, 1998, S. 763 ff. Heute wohl weitgehend unbestritten: Art. 34 ist
Beschränkungsverbot (ausdrücklich EuGH, Rs. 16/83, Slg. 1984, 1299, Rn.
20 – Prantl).
II. Die Zollunion und das Prinzip des freien Verkehrs
Die finanzielle Seite des Binnenmarktes (vgl. im einzelnen Jörn Sack,
Bedeutung der Zollunion für die Gemeinschaft, in: Dauses C II)
1. Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung (Art. 30 AEUV)
a. Zölle oder Abgaben zollgleicher Wirkung: Begriff weit fassen, vgl. EuGH,
verb. Rs. 2 u. 3/63, Slg. 1969, 211, Rnrn. 15/18 – Diamantarbeiders: der
Belgische Staat hatte Beiträge von Diamantimporteuren verlangt, die
über Sozialleistungen den belgischen Diamantarbeitern zu gute kamen:
„Um zu erkennen, ob eine Abgabe die gleiche Wirkung wie ein Zoll hat, muss daher diese
Wirkung mit den Zielen verglichen werden, die der Vertrag insbesondere hinsichtlich des
freien Warenverkehrs in dem die Artikel 9 und 12 enthaltenden Teil, Titel und Kapitel verfolgt.
Eine auch noch so geringe – den in- oder ausländischen Waren wegen ihres Grenzübertritts
einseitig auferlegte finanzielle Belastung stellt sonach, wenn sie kein Zoll im eigentlichen
Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe
gleicher Wirkung im Sinne von Artikel 9 und 12 dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des
Staates erhoben wird und keine diskriminierende oder protektionistische Wirkung hat und
wenn die belastete Ware nicht mit inländischen Erzeugnissen in Wettbewerb steht“.
b. Gerechtfertigt sind Abgaben nur, wenn sie
aa. als Teil einer allgemeinen inländischen Gebührenregelung
systematisch sämtliche inländischen und eingeführten Waren nach
gleichen Kriterien erfaßt (EuGH, Rs. 132/78, Slg.1979, 1923 Denkavit)
bb. ein angemessenes Entgelt für dem Wirtschaftsteilnehmer tatsächlich
geleistete Dienste erhoben wird (EuGH, Rs. 158/82, Slg. 1983, 3573
- Kommission/Dänemark),
cc. sich auf Kontrollen beziehen, die vom EU-Recht gefordert werden,
für alle betreffenden Waren gleichmäßig gelten und nicht die
tatsächlichen Kosten der im Unionsinteresse (vgl. Art. 36 AEUV)
liegenden Kontrollen übersteigen, vgl. EuGH, Rs. 18/87, Slg. 1988,
5427 - Lebendviehtransporte.
c. Abgrenzung zu inländischen Abgaben i.S.d. Art. 110 AEUV: Die
Belastung trifft nicht inländische gleichartige Waren in gleicher Weise
(„wegen ihres Grenzübertritts“, vgl. oben).
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EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
aa. Im Fall, daß die betreffende Ware fast ausschließlich importiert
wird: EuGH, Rs 193/85, Slg. 1987, 2085 - Co-Frutta): kein Zoll,
wenn
es
Teil
eines
"allgemeinen
inländischen
Abgabensystems" ist (aber Verstoß gegen Art. 110 AEUV,
wenn primär eingeführte Produkte höher besteuert werden als
Inlandswaren: EuGH, Rs. 168/78, Slg. 1980, 347 - Whisky und
Cognac).
bb. Auslegung des Begriffs der inländischen Abgaben ist weit, vgl.
für den Fall der italienischen Differenzierung der Steuern für
aus Korn gebrannten Brandy bzw. aus Wein etc. gebranntem
Weinbrand: EuGH, Rs. 169/78, Slg. 1980, 385 Kommission/Italien (Branntwein), Leitsätze.
1 . IM AUFBAU DES EWG-VERTRAGES ERGÄNZEN DIE BESTIMMUNGEN DES
ARTIKELS 95 ABSÄTZE 1 UND 2 DIEJENIGEN ÜBER DIE ABSCHAFFUNG DER ZÖLLE
UND DER MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG. SIE SOLLEN DEN FREIEN
WARENVERKEHR ZWISCHEN DEN MITGLIEDSTAATEN UNTER NORMALEN
WETTBEWERBSBEDINGUNGEN DADURCH GEWÄHRLEISTEN, DASS JEDE FORM
DES SCHUTZES, DIE AUS EINER WAREN AUS ANDEREN MITGLIEDSTAATEN
DISKRIMINIERENDEN INLÄNDISCHEN BESTEUERUNG FOLGEN KÖNNTE, BESEITIGT
WIRD. ARTIKEL 95 SOLL DIE VOLLKOMMENE WETTBEWERBSNEUTRALITÄT DER
INLÄNDISCHEN
BESTEUERUNG
FÜR
INLÄNDISCHE
UND
EINGEFÜHRTE
ERZEUGNISSE SICHERSTELLEN .
2 . ARTIKEL 95 ABSATZ 1 IST WEIT AUSZULEGEN IN DEM SINNE , DASS ER ALLE
STEUERLICHEN MASSNAHMEN ERFASST, DIE DIE GLEICHBEHANDLUNG VON
INLÄNDISCHEN UND EINGEFÜHRTEN ERZEUGNISSEN BERÜHREN KÖNNTEN ;
FOLGLICH IST DER BEGRIFF DER „GLEICHARTIGEN WAREN“ HINREICHEND
FLEXIBEL AUSZULEGEN . ALS GLEICHARTIG SIND WAREN ANZUSEHEN , DIE IN DEN
AUGEN DES VERBRAUCHERS DIE GLEICHEN EIGENSCHAFTEN HABEN UND
DENSELBEN BEDÜRFNISSEN DIENEN . DER ANWENDUNGSBEREICH DES ARTIKELS
95 ABSATZ 1 IST SOMIT NICHT ANHAND EINES KRITERIUMS DER STRENGEN
IDENTITÄT ZU BESTIMMEN , SONDERN ANHAND EINES SOLCHEN DER GLEICHEN
ODER VERGLEICHBAREN VERWENDUNG .
3 . ARTIKEL 95 ABSATZ 2 SOLL JEDE FORM EINER MITTELBAREN STEUERLICHEN
SCHUTZPOLITIK BEI ERZEUGNISSEN ERFASSEN , DIE ZWAR NICHT GLEICHARTIG IM
SINNE DES ABSATZES 1 SIND , DIE ABER DOCH MIT BESTIMMTEN ERZEUGNISSEN
DES EINFUHRLANDES WENIGSTENS TEILWEISE , MITTELBAR ODER POTENTIELL IM
WETTBEWERB STEHEN . DIESE BESTIMMUNG IST SCHON DANN ANWENDBAR ,
WENN DAS EINGEFÜHRTE ERZEUGNIS MIT DER GESCHÜTZTEN INLÄNDISCHEN
PRODUKTION BEI EINER ODER MEHREREN WIRTSCHAFTLICHEN VERWENDUNGEN
IM WETTBEWERB STEHT , AUCH WENN DAS TATBESTANDSMERKMAL DER
GLEICHARTIGKEIT NACH ARTIKEL 95 ABSATZ 1 NICHT VOLL GEGEBEN IST .
Wichtig aus neuerer Zeit auch EuGH, Rs. C-475/01, Slg. 2004, I-08923 Kommission/Griechenland (Ouzo):
13 Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, die Gemeinschaftshandlungen des
abgeleiteten Rechts seien in einer mit dem EG-Vertrag zu vereinbarenden Weise auszulegen
und in die interne Rechtsordnung der Mitgliedstaaten umzusetzen. Dies impliziere, dass das
Vorhandensein einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts, die es den Mitgliedstaaten erlaube,
ein inländisches Erzeugnis mit einem ermäßigten Verbrauchsteuersatz zu belegen, diese
Staaten keineswegs von ihrer Verpflichtung befreie, die fundamentalen Grundsätze des EGVertrags zu beachten, zu denen auch der des Artikels 90 EG gehöre. Die Hellenische
Republik habe gegen Artikel 90 Absatz 1 EG verstoßen, indem sie allein auf Ouzo einen
ermäßigten Verbrauchsteuersatz angewandt habe. Aus der wiederholten Rechtsprechung
des Gerichtshofes ergebe sich, dass ein nationales Steuersystem, um mit Artikel 90 EG
vereinbar zu sein, auf jeden Fall ausschließen müsse, dass ausländische Erzeugnisse höher
besteuert würden als gleichartige inländische Erzeugnisse.
d. Problematisch: Höherer Steuersatz auf Autos mit mehr als 2 Liter
Hubraum: Verstoß gegen Art. 110 AEUV, da keine einheimische
Produktion. Nicht Teil eines allgemeinen inländischen Abgabensystems?
2. Begriff der Waren: EuGHE 1968, 633 - Kunstschätze, Rn. 7
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Ingolf Pernice
„Unter Waren im Sinn dieser Vorschrift sind Erzeugnisse zu verstehen, die einen Geldwert
haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können“.
a. Abfall als Ware? Vgl. dazu EuGHE 1992 I 4431 - Abfalltourismus:
"Hinweis, dass Gegenstände, die im Hinblick auf Handelsgeschäfte über eine Grenze
verbracht werden, unabhängig von der Natur dieser Geschäfte Art. 30 unterliegen. Wie im
übrigen vor dem Gerichtshof dargelegt wurde, ist die Unterscheidung zwischen rückführbaren und nicht rückführbaren Abfällen aus praktischer Sicht sehr schwierig, insbesondere
was die Kontrollen an der Grenze angeht..."
b. Dem freien Verkehr (vgl. Art. 29 AEUV) unterliegen dabei nur Waren mit
Ursprung in der EU und Waren aus Drittländern, die
Einfuhrförmlichkeiten erfüllt haben und für die die geltenden Außenzölle
entrichtet wurden. Zum Ursprung vgl. Art. 22 ff. VO 2913/92/EWG, ABl. L
302, s. auch EuGHE 1989 I 4253 - Schreibmaschine .
3. Gemeinsamer Außenzolltarif: Art. 31 - Zollkodex - Versandverfahren
a. Gemeinsamer Außenzoll seit 1. 7. 1968 (RatsE 66/532 v. 26. 7. 1966),
als GZT seit VO 2658/87/EWG über die zolltarifliche und statistische
Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, ABl. 1987 L 256/1, seit
1. 1. 1994 ergänzt durch den
b. "Zollkodex", VO 2913/92/EWG des Rates, ABl. 1992 L 302 mit
Durchführungsvorschriften der VO 2454/93 der Kommission, ABl. 1993 L
253, dem Gesetzbuch für den Zoll, einschließlich des allgem.
Verwaltungsrechts (Art. 5-19 und 243-246 Zollkodex).
c. Gemeinschaftliches Versandverfahren (gVV):
Dieses im Zollkodex (VO 2913/92/EWG, ABl. L 302) geregelte Verfahren
wird für die zollrechtlichen Versandverfahren zwischen den EUMitgliedstaaten (und Andorra und San Marino) verwendet. Es gilt im Allgemeinen für die Beförderung von Nichtunionswaren, für welche die
Zölle und die anderen Abgaben bei der Einfuhr ausgesetzt werden, und
für Unionswaren, die zwischen Abgang und Bestimmung das Gebiet
eines Drittlandes durchqueren.
d. Gemeinsames Versandverfahren (gemVV):
Dieses Verfahren wird für die Beförderung von Waren zwischen den 27
EU-Mitgliedstaaten und den EFTA-Ländern (Island, Norwegen, Liechtenstein und der Schweiz) verwendet. Es beruht auf dem
Übereinkommen über ein gemeinsames Versandverfahren vom 20. Mai
1987. Die Vorschriften stimmen im Wesentlichen mit dem gemeinschaftlichen Versandverfahren überein.
4. Umsatzsteuerliche Hindernisse für den freien Warenverkehr und ihre
(teilweise) Beseitigung: RL 2006/112/EG über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem, Abl. Nr. L 347, gestützt auf Art. 93 EVG (jetzt Art.
113 AEUV)
III. Das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher
Wirkung (Art. 34 AEUV)
1. Die Dassonville-Formel (EuGH, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 - Dassonville, Rn.
5)
„Jede Handelsregelegung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen
Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, ist als Maßnahme
mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen“.
und ihre Einschränkung durch EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649 - Cassis
de Dijon, Rn. 8 - lesen
„Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der
nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, müssen
hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden
Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen
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EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des
Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes...“.
a. Diskriminierende Maßnahmen: Beispiele
aa. EuGH. Rs. 12/74, Slg. 1975, 181 – Kommission/Deutschland (Sekt
und Weinbrand), wo diese Bezeichnung Produkten aus
deutschsprachigem Raum vorbehalten wurden
bb. EuGH, Rs. Rs. 249/81, Slg. 1982, 4005 – Kommission/Irland (Buy
Irish): staatliches Programm zur Förderung der inländischen
Produktion mittels Werbung, inländische Produkte zu kaufen
Nichteinschreiten gegen handelsbeeinträchtigende private Praktiken, so
EuGH, Rs. C-265/95, Slg. 1997, I-6959 – Kommission/Frankreich
(Agrarblockaden), Rn. 32:
„Artikel 30 verbietet den Mitgliedstaaten somit nicht nur eigene handlungen oder
Verhaltensweisen, die zu einem Handelshemmnis führen könnten, sondern verpflichtet sie in
Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag auich dazu, alle erforderlichen und geeigneten
Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit
sicherzustellen“.
Ähnl. EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659 – Schmidberger, Rn.
58: Blockade des Brenner als Beschränkung des Warenverkehrs, in
Grenzen aber gerechtfertigt unter dem Gesichtspunkt des Schutzes
der freien Meinungsäußerung
dd. Höchstpreise, EuGH Rs. 65/75, Tasca, Slg. 1976, 291 unzulässig,
wenn sie so niedrig sind, dass Einfuhren der Ware nur mit Verlust
möglich ist, Rn. 26/28:
„EIN UNTERSCHIEDSLOS FÜR EINHEIMISCHE WIE EINGEFÜHRTE ERZEUGNISSE
GELTENDER HÖCHSTPREIS IST ZWAR ALS SOLCHER NOCH KEINE MASSNAHME
GLEICHER WIRKUNG WIE EINE MENGENMÄSSIGE BESCHRÄNKUNG, DOCH KANN ER
EINE SOLCHE WIRKUNG ENTFALTEN, WENN ER DERART FESTGESETZT WIRD,
DASS DER ABSATZ VON EINFUHRERZEUGNISSEN UNMÖGLICH ODER GEGENÜBER
DEM EINHEIMISCHER PRODUKTE ERSCHWERT WIRD. DAHER STELLT EIN
HÖCHSTPREIS, JEDENFALLS SOWEIT ER FÜR EINFUHRERZEUGNISSE GILT,
INSBESONDERE DANN EINE MASSNAHME MIT GLEICHER WIRKUNG WIE EINE
MENGENMÄSSIGE BESCHRÄNKUNG DAR , WENN ER SO NIEDRIG FESTGESETZT
WIRD , DASS HÄNDLER, DIE DAS FRAGLICHE ERZEUGNIS IN DEN BETREFFENDEN
MITGLIEDSTAAT EINFÜHREN WOLLEN , DIES - UNTER BERÜCKSICHTIGUNG DER
ALLGEMEINEN LAGE BEI IMPORTERZEUGNISSEN VERGLICHEN MIT DER BEI
EINHEIMISCHEN PRODUKTEN - NUR MIT VERLUST TUN KÖNNTEN“.
ee. Allgemeine Preisfestsetzung von ausländischen Büchern durch den
Importeur (unzulässige, behindernde Sonderregelung) bzw. für
reimportierte Bücher den inländischen Verleger: EuGH, Rs. C412/93, Slg. 1985, 1 - Leclerc, lesen!):
„erschwert eine derartige Bestimmung den Absatz reimportierter Bücher, da sie dem
Importeur eines solchen Buches die Möglichkeit nimmt, den im Ausfuhrmitgliedstaat erzielten
Vorteil eines günstigeren Preises im Endverkaufspreis weiterzugeben“.
ff. Mindestpreise, vgl. EuGHE 1978, 25 - Van Tiggele. Zusammenfassend betont EuGHE 1986, 3359/3380 - Brotpreise,
"dass unterschiedslos für einheimische wie eingeführte Erzeugnisse geltende Systeme als
solche zwar noch keine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige
Einfuhrbeschränkung darstellen, jedoch eine solche Wirkung entfalten können, wenn die
Preise derart festgesetzt werden, daß die eingeführten Erzeugnisse gegenüber gleichartigen
inländischen Erzeugnissen benachteiligt werden, sei es, weil sie zu den festgesetzten
Bedingungen nicht gewinnbringend abgesetzt werden können, sei es, weil der sich aus dem
niedrigeren Gestehungspreis ergebende Wettbewerbsvorteil neutralisiert wird".
gg. Verbot des Apothekenversandhandels, EuGH, Rs. C-322/01, Slg.
2003, I-14887 – DocMorris, Rn. 74:
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Ingolf Pernice
„Ein Verbot wie das im Ausgangsfall fragliche [Versandhandelsverbot] beeinträchtigt nämlich
außerhalb Deutschlands ansässige Apotheken stärker als Apotheken in Deutschland. Auch
wenn das Verbot den inländischen Apotheken unstreitig ein zusätzliches oder alternatives
Mittel des Zugangs zum deutschen Markt der Endverbraucher von Arzneimitteln nimmt,
bleibt ihnen doch die Möglichkeit, Arzneimittel in ihren Apotheken zu verkaufen. Dagegen
könnte für Apotheken, die nicht im deutschen Hoheitsgebiet ansässig sind, im Internet ein
Mittel liegen, das für den unmittelbaren Zugang zu diesem Markt eher geeignet ist. Ein
Verbot, das sich auf außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets ansässige Apotheken stärker
auswirkt, könnte jedoch geeignet sein, den Marktzugang für Waren aus anderen
Mitgliedstaaten stärker zu behindern als für inländische Erzeugnisse“.
hh. Verwendungsbeschränkungen: EuGH, Rs. C-110/05, Slg. 2009, I519 – Kommission/Italien (betr. Anhänger für Krad und EuGH);
EuGH Rs. C-142/05, Slg. 2009, I-4273 – Mickelsson und Roos (betr.
Verbot der Benutzung von Wassermotorrädern).
c. Unterschiedslos anwendbare Maßnahmen: Beschränkungsverbot
aa. EuGH, Rs. C-120/78, Slg. 1979, 649 - Cassis de Dijon. Der Eingriff
in den freien Warenverkehr ergibt sich aus dem Bestehen an sich
neutraler, aber in ihren Auswirkungen die Vermarktung der Produkte
beschränken. Das Vorliegen "zwingender Erfordernisse" schließt
nach einer Mindermeinung bereits den Tatbestand des Art. 34 AEUV
aus, die herrschende Auffassung geht davon aus, dass „zwingende
Erfordernisse“ die Ebene der Rechtfertigung betrifft.
bb. "zwingende
Erfordernisse"
zum
Ausschluss
von
nichtdiskriminierenden
Beschränkungen
aus
dem
Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV sind auch der
Verbraucherschutz (Schutz vor Täuschungen, vgl. EuGHE 1988,
4233 - Pasta), der lautere Handelsverkehr, der Umweltschutz
(EuGHE 1988, 4607 - Pfandflaschen, sozialpolitische Erwägungen
(EuGH, EuZW 2000, 148 – Geldspielautomaten), die Pressevielfalt
(EuGHE 1997, I-3689 Familiapress), Rn. 18:
„Die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt kann ein zwingendes Erfordernis darstellen, das
eine Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigt. Diese Vielfalt trägt nämlich zur
Wahrung des Rechts der freien Meinungsäußerung bei, das durch Artikel 10 der Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt ist und zu den von der
Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört (Urteile vom 25. Juli 1991 in
der Rechtssache C-353/89, Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, Randnr. 30, und
vom 3. Februar 1993 in der Rechtssache C-148/91, Veronica Omreop Organisatie, Slg.
1993, I-487, Randnr. 10).“
ebenso: die Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme (EuGH
Rs. C-157/99, Slg. 2001 I-5473 Rn. 72 - Smits und Peerbooms.
Nach welchen Kriterien der Gerichtshof diese Prinzipien entwickelt,
ist weitgehend ungeklärt. Naheliegend ist, dass er sich dabei von
(europäischen) Gemeinwohlbelangen, wie sie auch im Vertrag zum
Ausdruck kommen, leiten lässt.
Vgl. Vassilis Hatzopoulos, Exigences essentielles, impératives ou impérieuses: une théorie,
des théories ou pas de théorie du tout? RTDE 34 (1998), S. 191.
cc. Neuere Diskussionen (1): Rechtfertigung auch von mittelbaren
Diskriminierungen durch ungeschriebene Gründe i.S.v. „Cassis„?
(1) Argument: Unterscheidung oft schwierig oder unmöglich, ob Beschränkung oder
mittelbare Diskriminierung vorliegt
(2) Wenn Tatbestand allgem. Beschränkungen erfasst, muss auch großzügigere
Rechtfertigung ermöglicht werden, so Gundel, Jura 2001, 79 ff.
(3) Gegenargument: Wenn Art. 34 AEUV gegeben ist, sieht AEUV nur Art. 36
AEUV vor.
(4) Zwischenlösung: Rechtfertigung von mittelbaren Diskriminierungen zumindest in
Bereichen, wo eine Unionskompetenz nicht besteht oder nicht ausgeübt wurde
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EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
(etwa: Bereich der Beschäftigungspolitik, des Sozial- und Steuerrechts), so
Steinberg, EuGRZ 2002, 20 ff. (Arg. des unvollkommenen Binnenmarktes).
dd. Neuere Diskussionen (2): Rechtfertigung auch von direkten
Diskriminierungen durch ungeschriebene Gründe iSv „Cassis„?
Für eine kurze Zusammenfassung der gegenwärtigen Diskussion vgl. Hindelang, The Free
Movement of Capital and Foreign Direct Investment, S. 257-261
ee. Rechtfertigung
nach
Cassis
nur
möglich,
wenn
kein
harmonisierendes Sekundärrecht erlassen wurde, EuGHE 1999, I 2921 Rn. 24 – Monsees; EuGHE 1996, I-2553 - Hedley Lomas, Rn.
18.
Merke aber EuGH, Rs. C-322/01, Slg. 2003, I-14887 – DocMorris,, Rn. 64: Wenn
in der Richtlinie steht, dass Mitgliedstaaten bestimmte Regelungen “unter
Beachtung des EG-Vertrags” erlassen dürfen, kam insofern Art. 34 AEUV zur
Anwendung (ebenso, wenn die Harmonisierung nicht vollständig durchgeführt ist,
für die Rechtfertigung Art. 36 AEUV: vgl. Rn. 102).
ff. Rechtfertigung nur durch „nichtwirtschaftliche Gründe“, neuerdings
aber Erweiterung, „nicht rein wirtschaftliche Gründe“, EuGH Rs. C158/96 - Kohll, Slg. 1998 I-1931 Rn. 41. Grund: extensive
Anwendung der Grundfreiheiten.
Krit.: Steinberg/Kanitz, Grenzenloses Gemeinschaftsrecht?“ Die Rechtsprechung zu
Freizügigkeit, Unionsbürgerschaft und Grundrechtsschutz als Kompetenzproblem, EuR
2003, 1013 ff., vgl. auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales
Steuerrecht: ‚Konvergenz’ des Gemeinschaftsrechts und ‚Koherenz’ der direkten Steuern in
der Rechtsprechung des EuGH, 2002, 134 ff., insb. 136 f.
d. Anwendung des Art. 34 AEUV auf rein innerstaatliche Sachverhalte:
Wenn der Fall in keinem Element über die Grenzen eines einzelnen
Mitgliedstaats hinausweist (hier Bezeichung „montagne“ nur für im franz.
Alpengebiet hergestellte Erzeugnisse), kann nach EuGHE 1997, I-2343
– Poucet und Pistre (Rn. 45):
„sich nämlich die Anwendung der nationalen Maßnahme auf den freien Warenverkehr
zwischen den Mitgliedstaaten auswirken, und zwar insbesondere dann, wenn die fraglichen
Maßnahme den Vertrieb von Waren inländischen Ursprungs zum Nachteil eingeführter
Waren begünstigt. Unter solchen Umständen wird durch die bloße Anwendung der
Maßnahme, auch wenn sie auf inländische Hersteller beschränkt ist, eine
Ungleichbehandlung zwischen den beiden Warengruppen geschaffen und aufrechterhalten,
die zumindest potentiell den innergemeinschaftlichen Handel behindert“.
dazu H. Weyer, Freier Warenverkehr, rein innerstaatliche Sachverhalte und umgekehrte
Diskriminierung, EuR 1998, 435 ff.: Anwendbarkeit des Art. 34 AEUV gegeben, auch
umgekehrte Diskriminierung verboten.
e. Beachte die – durch Richterrecht fortentwickelte - Definition der Richtlinie
70/50/EWG der Kommission über die Beseitigung von Maßnahmen
gleicher Wirkung, wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, die nicht
unter andere aufgrund des EWG-Vertrages erlassene Vorschriften fallen,
ABl. 1970 L 13/29, Art. 2: Verbotene Maßnahmen sind
„Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verwaltungspraktiken sowie alle Akte, die von einer
öffentlichen Behörde ausgehen, einschließlich der Anregungen, die die Einfuhren gegenüber
dem Absatz inländischer Erzeugnisse erschweren, verteuern oder benachteiligen“.
2. Einschränkungen durch die Rechtsprechung seit 1993 (Vorläufer: EuGHE
1979, 3409 - Pferdefleisch; EuGHE 1981, 1993 - Nachtbackverbot
("spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme"); EuGH, Slg. 1989, S. 3851
(3888 ff.), Rn. 10 ff. - Torfaen Borough: Schutz von „soziokulturellen
Besonderheiten“
a. EuGH, Rs. – Rs. C-267/91 und 268/91, Slg. 1993, 6097 - Keck u.
Mithouard: kein Verkauf unter Einstandspreis), s. auch EuGHE 1993, I6787 = EuZW 1994,119 – Hünermund (sog. Keck-Formel):
8
Ingolf Pernice
"...das die Anwendung nationaler Vorschriften, die bestimmte Verkaufsmodalitäten
beschränken oder verbieten, auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten nicht geeignet ist,
den Handel zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne des Urteils Dassonville unmittelbar oder
mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, sofern diese Vorschriften für alle
betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie
den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten
rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren. Sind diese Voraussetzungen nämlich
erfüllt, so ist die Anwendung derartiger Regelungen auf den Verkauf von Erzeugnissen aus
einem anderen Mitgliedstaat, die den von diesem Staat aufgestellten Bestimmungen
entsprechen, nicht geeignet, den Marktzugang für diese Erzeugnisse zu versperren oder
stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeuger tut. Diese Regelungen fallen
daher nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 30 EWG-Vertrag".
Wird der Absatz ausländischer Produkte erschwert, gilt Art. 34 AEUV,
auch wenn die Maßnahme formal unterschiedslos auf in- und
ausländische Ware anwendbar ist, vgl. EuGH Rs. C 322-/01 – Doc
Morris, Rn. 67 ff. Entscheidend ist, ob der Marktzugang erschwert wird,
vgl. die Erläuterung in : EuGH, Slg. 1995, S. I-1141 (1176) - Alpine
Investments, Rn. 37:
„Der Grund hierfür liegt darin, dass die Anwendung derartiger Regelungen nicht geeignet ist,
den Marktzugang für diese Erzeugnisse im Einfuhrmitgliedstaat zu versperren oder stärker
zu behindern, als die dies für inländische Erzeugnisse tut“.
Das Kritierium des Markzugangs wird auch im Blick auf die
Verwendungsbeschränkungen herangezogen, etwa nach EuGH, Rs. C110/05, Slg. 2009, I-519 – Kommission/Italien (betr. Anhänger für Krad
und EuGH), Rn.
37 ... „sind Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen bezweckt oder bewirkt wird,
Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln, sowie die in
Randnr. 35 des vorliegenden Urteils genannten (sc.: unterschiedslog anwendbare, den
Handel hemmende) Maßnahmen als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige
Einfuhrbeschränkungen in Sinne des Art. 28 EG anzusehen. Ebenfalls unter diesen Begriff
fällt jede sonstige Maßnahme, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für
Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindert.“...
56 ... Hierzu ist festzustellen, dass ein Verbot der Verwendung eines Erzeugnisses im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher
hat, das sich wiederum auf den Zugang des Erzeugnisses zum Markt des Mitgliedstaats
auswirkt.
57
Denn die Verbraucher, die wissen, dass sie ihr Kradfahrzeug nicht mit einem eigens
dafür konzipierten Anhänger verwenden dürfen, haben praktisch kein Interesse daran, einen
solchen Anhänger zu kaufen (vgl. entsprechend zum Verbot, farbige Folien an der
Windschutzscheibe von Kraftwagen zu befestigen, Urteil vom 10. April 2008,
Kommission/Portugal, C‑ 265/06, Slg. 2008, I‑ 0000, Randnr. 33). Damit verhindert Art. 56
der Straßenverkehrsordnung die Nachfrage nach derartigen Anhängern auf dem
betreffenden Markt und behindert somit deren Einfuhr.
58
Soweit das in Art. 56 der Straßenverkehrsordnung angeordnete Verbot dazu führt, den
Zugang zum italienischen Markt für Anhänger zu versperren, die eigens für Kradfahrzeuge
konzipiert und in anderen Mitgliedstaaten als der Italienischen Republik rechtmäßig
hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, stellt es eine Maßnahme mit gleicher
Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen dar, die nach Art. 28 EG verboten ist,
sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt werden kann.
Ebenso EuGH Rs. C-142/05, Slg. 2009, I-4273 – Mickelsson und Roos
(betr. Verbot der Benutzung von Wassermotorrädern).
b. Gründe für diese Rechtsprechung:
aa. Durch Herausnahme aus den binnenmarktrelevanten Bestimmungen
werden die Harmonisierungsmöglichkeiten nach Art. 114 AEUV
eingeschränkt vgl. J.H.H. Weiler, in Craig/Búrca (Hrsg.), The
Evolution of EU Law, 1999, S. 349 (371 f.).
9
EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
bb. Jedenfalls sollte der uferlosen Weite der Dassonville-Formel
entgegengewirkt werden, der sonst möglicherweise sogar die
Sonntagsruhe zum Opfer gefallen wäre EuGH, Slg. 1989, S. 3851
(3888 ff.), Rn. 10 ff. (Torfaen Borough).
cc. Das Sonntagsladenschlussgesetz wurde hier noch als “Ausdruck
bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen”
bezeichnet. Vgl. auch EuGH, Rs. – Rs. C-267/91 und 268/91, Slg.
1993, 6097 - Keck u. Mithouard, Rn. 14-17. Weitere Nachweise bei
Leible in Grabitz/Hilf, Kommentar z. EUV/EGV, Art. 28 Rn. 27 (Juli
2000).
c. Wichtig : EuGH EuZW 2004, 21 – Doc Morris, Rn. 68, wo Modalitäten
des Verkaufs (Internetangebote für Arzneimittel) wegen der stärkeren
Auswirkung auf ausländische Anbieter als diskriminierend betrachtet
werden (Rn. 74 f.) und deshalb Art. 36 AEUV geprüft wird.
3. Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit: strategische Güter, Art. 346 ff.
AEUV, Grenzen: EuGHE 1991 I 4621/4650 ff. – Richardt.
IV. Rechtfertigung von diskriminierenden Handelsbeschränkungen: Art. 36 AEUV
1. Bedeutung des Art. 36 AEUV: ist keine Souveränitätsreserve: EuGHE 1991
I 4621/4651 - Richardt:
"Nach ständiger Rechtsprechung behält Art. 36 EWG-Vertrag nicht bestimmte Sachgebiete
der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten vor: vielmehr läßt er nur Ausnahmen
vom Grundsatz des freien Warenverkehrs durch innerstaatliche Normen insoweit zu, als dies
zur Erreichung der in ihm bezeichneten Ziele gerechtfertigt ist und weiter gerechtfertigt
bleibt".
2. Art. 36 AEUV ist „eine eng auszulegende Ausnahme“, vgl. EuGH v. 23.9.03,
EuZW 2004, 30 – Lebensmittel, Rn. 46). Maßnahmen sind nach Art. 36
AEUV nur gerechtfertigt, wenn "sie geeignet sind, dem durch diesen Artikel
geschützten Interesse zu dienen, und wenn sie den innerunionalen Handel
nicht mehr als unbedingt notwendig beeinträchtigen" (ebd.). Die Gründe des
Art. 34 AEUV sind abschließend. –
Frage: Wie ist diese Auslegungsregel in gedanklichen Einklang mit der
grundsätzlich nicht abschließenden Ausnahme- oder Rechtfertigungsregel
der „zwingenden Erfordernisse“ zu bringen?
3. Voraussetzungen der Berufung auf Art. 36 AEUV: Nach st. Rspr. ist sind
a. Legitimer
Schutzzweck
der
(diskriminierenden,
den
Handel
beschränkenden) Maßnahme: in Art. 36 AEUV genanntes Interesse stellt
eine abschließende Aufzählung dar, vgl. EuGH, Rs. C-412/93, Slg. 1985,
1, Rn. - Leclerc: Verbraucherschutz oder Kultur können diskriminierende
Maßnahmen nicht rechtfertigen)
aa. öffentliche Sittlichkeit: Vgl. EuGHE 1979, 3795 - Henn & Darby:
unzüchtige Gegenstände
bb. Öffentliche Ordnung: EuGHE 1987, 2247/2257 - Thompson: Ausfuhr
von zur staatlichen Einschmelzung vorgesehenen Silbermünzen)
cc. Öffentliche Sicherheit: EuGHE 1984, 2727 - Campus Oil: Sicherung
der Existenz der einzigen irischen Raffinerie und damit der
Ölversorgung Irlands durch Verpflichtung zur Bedarfsdeckung strenger: EuGHE 1990 I 4747/4788 ff. - Erdölerzeugnisse)
dd. öffentliche Gesundheit: dynamischer Begriff, dem Wandel
unterworfen, Spielraum der MSt., aber justiziabel (Fallgruppen:
Gesundheitspolizeiliche
Grenzkontrollen,
Rückstände
von
Pestiziden, Zusatzstoffe in Lebensmitteln, vgl. EuGHE 1987, 1213 Reinheitsgebot). Kriterien auch Codex Alimentarius von FAO und
WHO. Nach EuGH EuZW 2004, 21 – Doc Morris, Rn. 103, nehmen
die Zwecke des Schutzes von Leben und Gesundheit “ersten Rang”
10
Ingolf Pernice
ein: so etwa die Apothekenpflicht für Arzneimittel, womit ein Verbot
des Versandhandels gerechtfertigt werden kann (Rn. 119)
“Angesichts der Gefahren, die mit der Verwendung dieser Arzneimittel verbunden sein
können, könnte das Erfordernis, die Echtheit der ärztlichen Verschreibungen wirksam und
verantwortlich nachprüfen zu können und die Aushändigung des Arzneimittels an den
Kunden selbst oder an eine von ihhm mit dessen Abholung beauftragte Person zu
gewährleisten, ein Verbot des Versandhandels rechtfertigen... Im übrigen kann die
tatsächlich gegebene Möglichkeit, dass ein Arzneimittel, das ein in einem Mitgliedstaat
wohnender Käufer bei einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat erwirbt, in einer
anderen Sprache etikettiert ist als in der Sprache des Heimatstaats des Käufers, im Fall von
verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gravierende Folgen haben”.
ee. gewerbliche Schutzrechte (s. unten)
ff. Kulturgüterschutz: vgl. Richtlinie 93/7, ABl. 1993, L 74/74, dazu
Jürgen Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturguts im Binnenmarkt,
JZ 1994, 111;L R. Mußgnug, FS Bernhardt, 1995, S. 1225 ff.
Merke: Eine „erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems
der sozialen Sicherheit (sc. kann) einen zwingenden Grund des
Allgemeininteresses“ darstellen, den der EuGH im Rahmen des Art. 36 AEUV
prüft (ebenso: „die Intaktheit des nationalen Gesundheitssystems“).
b. Geeignetheit der Maßnahme zur Verwirklichung des betreffenden Zieles
c. Erforderlichkeit der Maßnahme: dasselbe Ziel darf nicht "durch eine
andere, unter dem Gesichtspunkt des freien Warenverkehrs weniger
einschneidende Maßnahme erreicht werden können" (EuGHE 1991 I
4621/4651 - Richardt).
4. Art. 36 S. 2 AEUV: Gegenausnahme: Willkürliche Diskriminierung oder
verschleierte Beschränkung führen zum Ausschluß der Ausnahme
(Mißbrauchsklausel, EuGHE 1979, 3795 Rn. 21 - Henn & Darby). Kriterium
ist die Verhältnismäßigkeit, vgl. EuGHE 1991 I 4151 - Aragonesa
(katalanisches Werbeverbot an Straßen, in Kinos etc. für Alkoholika mit über
23%: daß die in K. hergestellten Mengen der betreffenden Produkte
geringer sind als in anderen Landesteilen führt nicht zur Annahme einer
willkürlichen Diskriminierung)
5. Vereinbarkeit mit Unionsgrundrechten: die von den Mitgliedstaaten
vorgebrachten Rechtfertigungsgründe/Allgemeinwohlbelange müssen mit
den von der Union anerkannten Grundrechten übereinstimmen, sog. ERTRechtsprechung, zusammengefasst in: EuGH Rs. 60/00, Rn. 40 ff. –
Carpenter:
„Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Mitgliedstaat nur dann auf Gründe des
Allgemeininteresses berufen kann, um eine innerstaatliche Regelung zu rechtfertigen, die
geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, wenn diese Regelung
mit den Grundrechten, deren Wahrung der Gerichtshof sichert, im Einklang steht (vgl. in
diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I2925, Randnr. 43, und vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-368/95, Familiapress, Slg.
1997, I-3689, Randnr. 24)“.
Dies gilt sinngemäß auch für die Warenverkehrsfreiheit, denn der
Gerichtshof kann ganz allgmein keine Maßnahme im Anwendungsbereich
des Unionsrechts als legitime Beschränkung von Grundfreiheiten
betrachten, wenn sie mit den Unionsgrundrechten, an die er gebunden ist,
unvereinbar sind.
6. Wettbewerbsschutz und Warenverkehrsfreiheit. Zu EuGH, EuZW 1993,
420: Walter Leisner, Wahrheitssuche statt Suggestionsvermutung, EuZW
1993, 655), s. auch BGH EuZW 1994, 411 - Grand Marnier, BGH - EuZW
1994, 413 - Mozarella; zuletzt: KG EuZW 1994, 541
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EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
V. Grundrechte als Schranke der Warenverkehrsfreiheit
Neben Art. 36 AEUV prüft der EuGH auch, ob die Anwendung des Art. 34
AEUV möglicherweise im Einzelfall Grundrechte des einzelnen verletzen
würde: So im Fall der Blockade des Brenner, die von den österreichischen
Behörden für 30 Stunden genehmigt wurde und als Maßnahme gleicher
Wirkung angesehen wurde, die die Ein- und Durchfuhren durch Österreich
beschränkte: EuGHE 2003, I-5659 – Schmidberger, Rn. 68 ff.
VI. Prozedurale Absicherung der Warenverkehrsfreiheit:
Sicherstellung der Achtung der Freiheit des Warenverkehrs präventiv durch das
Informationsverfahren nach der Richtlinie 98/34/EG: Für alle Rechtsakte der
Mitgliedstaaten, die technische Handelshemmnisse begründen könnten,
besteht eine Mitteilungspflicht und eine Stillhaltepflicht, vgl. EuGHE 1996, 2201
(2245, Rn. 40) - CIA Security International) = EuZW 1996, 379 ff.
1. Pflichten aus der Richtlinie 98/34/EG:
a. Notifizierungspflicht für alle neuen technischen Vorschriften (dazu
EuGHE 1994, 2039 - Verfalldatum = EuZW 1994, 500: Begriff der
technischen Spezifikation hins. der Veränderung des Verfalldatums für
sterile medizinische Geräte)
b. Wartefrist von 3 Monaten für Stellungnahme der Kommission nach
Anhörung der anderen Mitgliedstaaten. Im Fall des Änderungswunsches
Verlängerung der Wartefrist um 3 Monate, insgesamt aber 12 Monate,
wenn Kommission Absicht mitteilt, entsprechende Regel auf EG-Ebene
vorzuschlagen
2. Rechtsfolge des Verstoßes: Nichtanwendbarkeit der innerstaatlichen
Maßnahme bei Verletzung der Pflichten: EuGHE 1996, I-2201 CIA Security
International = EuZW 1996, 379 mit Anm. Fronia: unmittelbare Wirkung der
Richtlinie trotz der Pflicht nur gegenüber der Kommission, weil Zweck der
Schutz des freien Warenverkehrs ist (Rn. 48).; die RL begründet Rechte
einzelner, ist also unmittelbar anwendbar, vgl. EuGH Rs. C-194/94, Slg.
1996, I-2201 – CIA Security, Rn. 47; EuGH Rs. C-443/98, Slg. 2000, I-7535
– Unilever, Ls. 2 :
„2 Die Unanwendbarkeit einer technischen Vorschrift als Rechtsfolge der Nichtbeachtung der
Mitteilungspflicht gemäß Artikel 8 der Richtlinie 83/189 über ein Informationsverfahren auf
dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften kann in einem Rechtsstreit zwischen
Einzelnen geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt für die Nichteinhaltung der
Aussetzungsfrist für eine technische Vorschrift gemäß Artikel 9 dieser Richtlinie. Zwar kann
eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen Einzelner begründen und daher nicht als solche
ihnen gegenüber herangezogen werden; diese Rechtsprechung gilt jedoch nicht in
Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen, in denen die Nichtbeachtung der Artikel 8 oder 9
der Richtlinie 83/189, die einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, die Unanwendbarkeit
der unter Verstoß gegen einen dieser Artikel erlassenen technischen Vorschrift nach sich
zieht.
In einem solchen Rechtsstreit legt die Richtlinie 83/189, die weder Rechte noch Pflichten für
Einzelne begründet, nämlich keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm fest, auf
deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden
hat. Dementsprechend muss das nationale Gericht in einem Zivilrechtsstreit zwischen
Einzelnen über vertragliche Rechte und Pflichten die Anwendung einer nationalen
technischen Vorschrift ablehnen, die während einer Aussetzungsfrist nach Artikel 9 der
Richtlinie 83/189 erlassen worden ist.“
Dazu Gundel, Neue Grenzlinien für die Direktwirkung nicht umgesetzter EGRichtlinien, EuZW 2001, 143 ff. Enger noch EuGHE 1998, I-3711 = EuZW
1998, 569 ff. - Lemmens (zur Verwendung eines Alkoholmeters, das nicht
notifizierten technischen Vorschriften entspricht, als Beweismittel im
Strafverfahren).
12
Ingolf Pernice
VI. Geltung des Grundsatzes freier Warenverkehr auch für die EU-Organe?
1. Gegenüber der unionalen Verfolgung des Umweltschutzes durch Vorgaben
für die Altölbeseitigung, vgl. EuGH, Rs. 240/83, Slg. 1985, 531, Rn. 9
ADBHU:
„Die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Wettbewerbs sowie die
grundrechtliche Handelsfreiheit stellen allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dar,
über deren Einhaltung der Gerichtshof wacht. Die erwähnten Vorschriften der Richtlinie sind
also anhand dieser Grundsätze zu prüfen“.
Entsprechend weist der EuGH in EuGH, Urteil vom 20. Mai 2003 in der Rs.
C-469/00, Ravil SARL, EuZW 2003, 564 ff., Rn. 86 darauf hin,
„dass das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen und von Maßnahmen gleicher
Wirkung nach st. Rspr. nicht nur für nationale Maßnahmen gilt, sondern auch für
Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane...“ (mwN.) gilt.
2. Zum Gesundheitsschutz im Agrarbereich: EuGHE 1998, I-2265 (2289) =
EuZW 1998, 431 - BSE-Exportverbote, insbes. zur Geltung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ebd., S. 437 f.
3. Umfang strittig, teilweise wird die Union nur an Grundsätze gebunden
gesehen. Zumindest aber abgeschwächte Prüfung, s. Maduro, We, the
Court, 1998, S. 77, differenzierend
Müller-Graff in: v. d.
Groeben/Thiesing/Ehlermann, 5. Aufl. 1997, Art. 30 Rn. 294 ff.
VII. Die Umformung staatlicher Handelsmonopole (Art. 37 AEUV):
1. Zum Grundsatz: Instrument zur Sicherstellung des freien Warenverkehrs:
vgl. dazu EuGHE 1990 I 4747/4789 - Erdölerzeugnisse:
"sowohl aus dem Wortlaut von Artikel 37 wie aus seiner Stellung im System des Vertrages
(ergibt sich), daß dieser Artikel die Einhaltung der Grundregel des freien Warenverkehrs
innerhalb des gesamten Gemeinsamen Marktes... gewährleisten und auf diese Weise
normale Bedingungen für den Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften der
Mitgliedstaaten für den Fall aufrechterhalten soll, daß ein bestimmtes Erzeugnis in dem einen
oder anderen dieser Staaten einem staatlichen Handelsmonopol unterliegt".
2. Voraussetzung der Anwendung: Dient das Monopol der Sicherung der
inländischen Produktion des öffentlichen Sektors, dann ist Art. 37 AEUV
verletzt.
3. Folge: Umformung der staatlichen Handelsmonopole nach Art. 37 AEUV ist
eine Sondernorm für öffentliche Unternehmen, die dem Ausschluss von
Handelsbeschränkungen dient, die sich aus möglichen von den Monopolen
ausgehenden Diskriminierungen ergeben. Damit ist nicht notwendig die
Abschaffung der Handelsmonopole verbunden, es werden jedoch strenge
Maßstäbe für den Ausschluss von Diskriminierungen gestellt, vgl. EuGH Rs.
C-189/95 – Franzen, sowie EuGH Rs. C-438/02 – Hanner:
„39
...folgt aus dem Urteil Franzén (Randnrn. 44 und 51), dass zunächst das
Auswahlverfahren eines Verkaufsmonopols auf Kriterien beruhen muss, die unabhängig vom
Ursprung der Erzeugnisse sind, und dass es transparent sein muss, indem es sowohl eine
Pflicht zur Begründung der Entscheidungen als auch ein unabhängiges Kontrollverfahren
vorsieht.
40 Sodann muss das Verkaufsnetz eines Verkaufsmonopols so organisiert sein, dass die
Zahl der Verkaufsstellen nicht derart begrenzt ist, dass die Belieferung der Verbraucher
gefährdet wird (vgl. in diesem Sinne für Artikel 28 EG Urteil Banchero, Randnr. 39, und für
Artikel 31 Absatz 1 EG Urteil Franzén, Randnr. 54).
41 Schließlich müssen die Vertriebs- und Werbemaßnahmen eines Verkaufsmonopols
unparteiisch und unabhängig vom Ursprung der Erzeugnisse sein, und die Verbraucher
müssen über neue Erzeugnisse informiert werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Franzén,
Randnr. 62).“
13
EuR II – Europäisches Wirtschaftsrecht
VIII. Verbot von Ausfuhrbeschränkungen
1. Anwendungsbereich des Verbots: EuGH, Urteil vom 20. Mai 2003 in der Rs.
C-469/00, Ravil SARL, EuZW 2003, 564 ff., Rn 40:
„Artikel 29 EG verbietet Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme
bezwecken oder bewirken und unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb
eines Mitgliedstaats und seinem Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion
oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates einen besonderen Vorteil erlangt.“ St. Rspr.,
vgl. EuGH, Urteil vom 23. Mai 2000 in der Rs. C-209/98, Sydhavnens Sten & Grus, Slg.
2000, I-3743, Rn. 34; Urteil vom 10. März 1983 in der Rs. 172/82, Inter-Huiles u. a., Slg.
1983, 555, Rn. 12; Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rs. 238/82, Duphar, Slg. 1984, 523, Rn.
25.
Anwendungsbereich des Artikel 35 AEUV ist enger als der des Artikel 34
AEUV, vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Rs. C-469/00, Ravil SARL,
Rn. 96:
„Der Tatbestand des Artikels 29 EG ist (...) von der Rechtsprechung dahin gehend
konkretisiert worden, dass nicht jede Ausfuhrbeschränkung, sondern nur diejenigen
Maßnahmen, die spezifisch die Ausfuhr von Waren verhindern, nach dieser Vorschrift
verboten sind. Diese Rechtsprechung definiert den Anwendungsbereich des Verbotes der
Ausfuhrbeschränkungen
wesentlich
enger
als
den
Anwendungsbereich
für
Einfuhrbeschränkungen nach Artikel 28 EG.“
Folge: Es muß eine gezielte, die Ausfuhr diskriminierende Regelung
gegeben sein. Damit entfallen die Notwendigkeit für die zu Art. 34 AEUV in
Cassis und Keck entwickelten Einschränkungen. Entsprechend behandelt
EuGH ein Abkommen zwischen Italien und Frankreich, in dem der Schutz
der italienischen Ursprungsbezeichung „Grana Padano“ in Frankreich
vereinbart ist, als diskriminierend („mengenmäßige Beschränkung“ wird hier
sehr weit verstanden, die „Maßnahme gleicher Wirkung umfassend“):
„Das zweiseitige Abkommen, mit dem diese Rechtsvorschriften in einem anderen
Mitgliedstaat für anwendbar erklärt werden, bewirkt daher spezifische Beschränkungen der
Ausfuhrströme von Käse, der die Ursprungsbezeichnung führen kann, und schafft dadurch
unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und
seinen Außenhandel. Es hat somit mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen im Sinne von
Artikel 29 EG zur Folge (...)“ In diesem Sinne – in Bezug auf eine nationale Maßnahme –
auch schon EuGH, Urteil vom 16. Mai 2000 in der Rs. C-388/95, Belgien/Spanien (Rioja),
Rn. 38 und 40 bis 42 und Urteil vom 9. Juni 1992 in der Rs. C-47/90, Delhaize et Le Lion,
Slg. 1992, I-3669, Rn. 12 bis 14.
2. Rechtfertigung von Beschränkungen: Nur nach Art. 36 AEUV.
* * *
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