Frequently Asked Questions - FAQs Diese Fragen wurden in einer Umfrage im Januar als häufig gestellte Fragen ermittelt und im Rahmen der Lehrtherapeutenkonferenz bearbeitet. 1. Was ist Sensorische Integration? Sensorische Integration ist der Prozess mithilfe dessen Menschen in ihren sensorischen Systemen Sinnesreize aus dem eigenen Körper oder der Umgebung registrieren, modulieren und diskriminieren, um darauf eine bedeutungsvolle angepasste Verhaltensreaktion für sich und/oder die Umwelt zu erzeugen. (Ayres 1988/2010) Dieser Prozess schließt ein: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren und Berührt werden, Körperstellungen spüren sowie Gleichgewicht und Bewegungsspüren. Eine effektive Verarbeitung dieser Sinnesherausforderungen fördert die Fähigkeiten einer erfolgreichen Partizipation in verschiedenen sozialen Rollen, wie insbesondere Selbstversorgung, Entwicklung der Handhabung von Gegenständen und Versorgung von bzw. Umgang mit anderer Menschen und damit soziale Interaktion. Die Theorie der Sensorischen Integration, zahlreiche Untersuchungsverfahren und ein Behandlungsverfahren wurde ursprünglich von der amerikanischen Ergotherapeutin Dr. Jean Ayres entwickelt und ist bekannt unter dem Namen „Sensorische Integrationstherapie“ (SI). Die SI-Theorie sowie verschiedene SI-Untersuchungsverfahren und das SIBehandlungsverfahren wurden nach dem Tod von Dr.Jean Ayres durch zahlreiche Wissenschaftler aus der Ergotherapie evidenz-basiert weiterentwickelt. 2. Was versteht die Sensorische Integrationstheorie unter „Modulieren“ und wodurch unter scheidet sich dies von „Diskriminieren“? Die Sensorische Integrationstheorie schließt die Begriffe der sensorischen Modulation und Diskrimination ein. Es handelt sich um Prozesse des Nervensystems und zählt zu typischen Fähigkeiten der Sensorischen Integrationsverarbeitung. Unter Modulation versteht man die Fähigkeit, die eigene Reaktion auf Sinnessreize zu regulieren und zu organisieren, um eine der Situation angemessene Interaktion zu produzieren und sich damit an Veränderungen der Umwelt anpassen zu können – dies bedeutet, dass der Mensch auf die umgebenden Reize weder über- noch unterreagiert. Unter Diskrimination versteht man die Fähigkeit der genauen Wahrnehmung und Unterscheidung (räumlich, zeitlich, Intensität) eines oder mehrer sensorischen Reize, um angemessene funktionelle Anpassungen hervorzubringen. Beide Prozesse braucht ein Mensch zur Entwicklung von erfolgreicher Performanz und angemessenen Verhaltensstrategien, und darüber hinaus um von seiner Umgebung zu lernen, in ihr zu Recht zu kommen und mit ihr zu interagieren. 3. Was bedeuten im Kontext des Sensorischen Integrationsverständnisses die Begriffe hyper- und hyporeaktiv bzw. hyper- und hyporesponsiv? Die genannten Begriffe werden im Kontext von sensorischer Modulation bzw. deren Verarbeitungsstörung verwendet. Hyperreaktiv (hyperresponsiv, Antwort auf einen Sinnesreiz) bedeutet eine übermäßige (stärkere, deutlichere als bei Vergleichspersonen) Reaktion auf einen sensorischen Reiz. Hyporeaktiv (hyporesponsiv, Antwort auf einen Sinnesreiz) bedeutet eine reduzierte (schwächere, verhaltenere als bei Vergleichspersonen) Reaktion auf einen sensorischen Reiz. Die Reaktionen auf sensorische Reize zeigen sich als vegetative, körperliche und/oder als Verhaltensreaktionen. 4. Wie beeinflusst der Vorgang der Sensorischen Integration die Betätigungsperformanz eines Menschen und was bewirkt sie in unserem Leben? Kinder lernen in ihrer normalen Entwicklung angemessen auf sensorische Reize zu reagieren und diese zu verarbeiten. Sie lernen somit Reize zu modulieren und zu diskriminieren. Mit diesen Fähigkeiten sind sie in der Lage auf sensorische Informationen eine angemessene Verhaltensreaktion zu entwickeln. Das beinhaltet: Aufmerksamkeitsausrichtung, Spielfähigkeit, feine und grobmotorische Geschicklichkeit sowie Handlungskompetenz und Selbstzufriedenheit, Probleme einer effizienten sensorischen Verarbeitung können sich ausdrücken in mangelhafter Aufmerksamkeitsausrichtung, Schwierigkeiten einen Handlungsplan zu entwerfen bzw. in der richtigen Reihenfolge auszuführen. Ineffiziente sensorische Verarbeitung kann auch zu Problemen in der Fein- und Grobmotorik führen, die das Ausführen von alltäglichen Betätigungen beeinträchtigen. Sensorische Verarbeitungsprobleme können sich in Schwierigkeiten bei Kindergarten- oder Schulabläufen ausdrücken, als Schwierigkeit bei der häuslichen Selbstversorgung, bei der Beteiligung an familiären Aktivitäten oder der Teilhabe im erweiterten sozialen Umfeld, wie auf dem Spielplatz, der Umgang mit Nachbarskindern oder der Teilhabe in einem Sportverein. Beeinträchtigt können also sein: Performanz, Aktivität und Partizipation eines Kindes. 5. Kann es sein, dass ein Kind eine sensorisch bedingte Motorikstörung hat und gleichzeitig ein Modulationsproblem? Ja. Sensorisch bedingte Motorikstörungen sind verursacht durch propriozeptivvestibuläre und/oder durch taktil epikritische Diskriminationsstörungen. Sie sind beobachtbar bei grob- und/oder feinmotorischen Betätigungen. Modulationsstörungen können in unterschiedlichen Sinnessystemen auftreten und äußern sich in unangemessenen Reaktionen auf sensorische Reize in Form von Hyper-/Hyporeaktivität oder sensorischer Reizsuche. Modulationsstörungen zeigen sich in unangepasstem Verhalten des Kindes im Umgang mit sensorischen Anforderungen. 6. Kann es sein, dass ein Kind auf sensorische Reize gleichzeitig über- und unterreagiert?“ Ja. Es handelt sich um Kinder mit einer sensorischen Modulationsdysfunktion (SMD). Die klinischen Erfahrungen führen zu der Annahme, dass sensorische Modulation kein Kontinuum darstellt, sondern mehrdimensional ist. Die Schwankungen der Verhaltensreaktion auf sensorische Reize begründen die Schwierigkeiten der Kinder entsprechende Anpassungsleistungen auf sensorische Herausforderungen zu erbringen. 7. Woran mache ich fest, dass ein Kind im vestibulären System schlecht diskriminieren kann? Das vestibuläre System kann das Gleichgewicht nicht selbständig regulieren und braucht für die Anpassung der Muskulatur und für die Rückmeldung von Körper- bzw. Kopfpositionen im Raum das propriozeptive System Beobachtbar sind Diskriminationsstörungen im vestibulär/propriozeptiven System in Situationen, in denen das Kind gleichgewichtsanpassende Reaktionen auf Veränderungen der Kopf- oder Körperpositionen zeigen muss. Dies wird v. a. im Rahmen der Gezielten Beobachtungen nach J. Ayres oder auch mit dem SIPT überprüft. 8. Hat ein Kind mit einer sensorischen Diskriminationsstörung immer auch eine sensorisch bedingte Motorikstörung?“ Eine sensorische Diskriminationsstörung bezeichnet eine Schwäche die räumlichen und/oder zeitlichen Qualitäten von Berührung, Bewegungen oder Körperpositionen zu interpretieren. Es wird angenommen, dass sich das Körperschema, das eine Grundlage der Praxie ist, aus diskriminativen Sinnesinformationen entwickelt. Aus einer Diskriminationsstörung geht häufig eine sensorisch bedingte Dyspraxie hervor. Da für die Aufrechterhaltung eines stabilen Haltungshintergrundes die vestibulär/propriozeptive Verarbeitung eine wichtige Rolle spielt, kann aus einer vestibulär/propriozeptiven Diskriminationsstörung auch eine posturale Dysfunktion entstehen. 9. Warum werden „Gezielte Beobachtungen“ durchgeführt und was sollte ich sehen? „Gezielte Beobachtungen“ werden durchgeführt, um qualitative Informationen für die SI-Diagnosestellung über die Diskriminationsfähigkeit der Basissinne zu bekommen. Bei der Anwendung der GB soll aus neuromotorischer Perspektive insbesondere Haltungskontrolle, Dosierung und Automatisierung von Bewegungen, die motorischen Planungsfähigkeit und bilaterale Integration angesehen werden. Zusätzlich erhält der „Beobachter“ Informationen über Verhaltensorganisation, die Komplexität der Anpassungsreaktionen des Kindes und Basisfertigkeiten der sozialen Interaktion mit dem Untersucher. 10. Wenn ein Kind auf Reizsuche ist, dann bedeutet das doch, dass das Kind sich nicht genug spürt und somit wenig mitbekommt; wie kann es denn dann ein Kind mit einer Modulationsproblematik sein? Kinder mit Modulationsstörungen versuchen, ihren Erregungszustand durch die Suche oder Vermeidung von Sinnesreizen zu regulieren. Versuch heißt, dass die Regulation nicht immer in der gleichen Art gelingt, das Verhalten ist schwankend. Wenn ein Kind hingegen Probleme in der Diskrimination von Reizen hat, also nicht genau genug unterscheiden kann, was genau oder wo genau es spürt, kann es sich durch aktives Verhalten Informationen über bestimmte Reizqualitäten verschaffen. Dies geschieht oft im Sinne einer Kompensation, wobei das Verhalten nicht auffällig werden muss. Eine Unterscheidung ist häufig nur im Zusammenhang möglich. 11. Was ist kennzeichnend für eine Sensorische Integrationsbehandlung? Wenn die Evaluation der Alltagsschwierigkeiten, verursacht durch die mangelhafte Verarbeitung sensorischer Informationen, abgeschlossen ist, entwirft die Ergotherapeutin einen Interventionsplan und gemeinsam mit den Eltern werden konkret überprüfbare, auf Alltagskompetenzen bezogene Therapieziele vereinbart (SMART-Regeln). Der Interventionsplan sieht ein auf die Schwierigkeiten des Kindes hin abgestimmtes Angebot von sensorischen Herausforderungen vor, die in für das Kind bedeutsamen ziel- und zweckgebundenen Aktivitäten eingebunden sind. Das Setting soll reich an taktilen, propriozeptiven und vestibulären Angeboten sein. Dazu zählen vielfältige Tastangebote sowie Bälle, Roll- oder Schaukelgeräte. Die Betätigungsangebote sollen das Kind zu angepassten Reaktionen ermuntern und seine planerische Leistung herausfordern. Das Kind wird in physisch gesicherter Umgebung ermutigt Pläne für kreative Betätigung zu entwickeln, der Therapeut unterstützt das Kind. Die Betätigungen zielen beispielsweise ab auf eine Verbesserung des Gleichgewichts und der Kraftanpassung ebenso wie auf eine der Situation jeweils angemessene Verhaltenssteuerung. Eine spielerische und emotional abgesicherte Atmosphäre sind kennzeichnend für die sensorische Integrationsbehandlung. 12. Bis zu welchem Alter ist eine sensorisch-integrative Behandlung wirksam? Dazu aus dem Buch "sensorische Integrationstherapie" von Bundy/ Lane/ Murray auf Seite 326-327 folgende Aussage: "Da Ayres(1972) davon ausging, dass die Plastizität des ZNS nach dem neunten Lebensjahr abnimmt, schrieb sie, dass jüngere Kinder besser auf die Therapie ansprächen als ältere Kinder oder Erwachsene. Diese Aussage wurde fehlinterpretiert und so ausgelegt, dass SI-Therapie bei Kindern über 9 Jahren nicht wirksam sei. Allerdings deuten immer mehr Beweise darauf hin, dass die Plastizität des Gehirns auch bei voll entwickelten Organismen vorhanden ist (Elman et al. 1998). Auch Erwachsene berichten, dass eine Sensorische Integrationstherapie bei Ihnen höchst erfolgreich war. Ältere Kinder und Erwachsene, die aufgrund von sensorischen Integrationsstörungen viel gelitten haben, sind meist höchst motiviert, eine Therapie zu beginnen. Ein Schlüssel zum Erfolg dürfte die Überzeugung sein, dass die Therapie ihr Leben einfacher machen kann.“ 13. Können Kinder mit sensorisch-integrativen Schwierigkeiten schulische Probleme haben? Sicherlich. Alle Kinder verlassen sich auf ihre Fähigkeiten der erfolgreichen Modulierung und Diskrimination von sensorischen Informationen, die sie aus ihrer Umgebung aufnehmen, um daraus schulische Fertigkeiten, und damit Performanzen, zu entwickeln, die bedeutsam sind für eine erfolgreiche schulische Partizipation. Die Schulfähigkeit eines Kindes kann durch sensorische Verarbeitungsprobleme beeinträchtigt sein. Dadurch können die Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit, die Fähigkeit Anweisungen zu verstehen und umzusetzen, Objektmanipulation und Lese- wie Schreibfähigkeit sowie die Fähigkeit der Aufrechterhaltung einer stabilen Sitzposition im Unterricht eingeschränkt sein. 14. Sind Sensorische Integrationsschwächen Teilbilder von bestimmten Diagnosen oder gibt es sie auch ohne spezifische Diagnose? Es sind Diagnosen bekannt, mit denen häufig auch Sensorische Verarbeitungsschwächen als Teilbild einhergehen. Dazu zählen Kinder mit Erkrankungen aus dem Autismusspektrum, Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen oder Kinder mit Regulationsstörungen. Weiter sind sensorische Verarbeitungsschwächen bekannt bei Kindern mit unspezifischer Diagnose, wie z.B. allgemeine Entwicklungsverzögerung oder Störungen der groben oder feinen Motorik. Für die letztere Gruppe gilt, dass sie besonders dann von der SIBehandlung profitieren, wenn sie noch recht jung sind und keine ausgewiesene Lernbehinderung haben. Darüber hinaus gibt es immer wieder Kinder, die unter kein zuordnungsbares Diagnosebild passen, keine Entwicklungsverzögerung oder Lernbehinderung aufweisen, aber dennoch erhebliche Probleme im Alltag haben.