FAQs Version 07-2011

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Frequently Asked Questions - FAQs
Diese Fragen wurden in einer Umfrage im Januar als häufig gestellte Fragen ermittelt
und im Rahmen der Lehrtherapeutenkonferenz bearbeitet.
1. Was ist Sensorische Integration?
Sensorische Integration ist der Prozess mithilfe dessen Menschen in ihren
sensorischen Systemen Sinnesreize aus dem eigenen Körper oder der Umgebung
registrieren, modulieren und diskriminieren, um darauf eine bedeutungsvolle
angepasste Verhaltensreaktion für sich und/oder die Umwelt zu erzeugen. (Ayres
1988/2010)
Dieser Prozess schließt ein: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren und
Berührt werden, Körperstellungen spüren sowie Gleichgewicht und
Bewegungsspüren.
Eine effektive Verarbeitung dieser Sinnesherausforderungen fördert die Fähigkeiten
einer erfolgreichen Partizipation in verschiedenen sozialen Rollen, wie insbesondere
Selbstversorgung, Entwicklung der Handhabung von Gegenständen und Versorgung
von bzw. Umgang mit anderer Menschen und damit soziale Interaktion.
Die Theorie der Sensorischen Integration, zahlreiche Untersuchungsverfahren und
ein Behandlungsverfahren wurde ursprünglich von der amerikanischen
Ergotherapeutin Dr. Jean Ayres entwickelt und ist bekannt unter dem Namen
„Sensorische Integrationstherapie“ (SI).
Die SI-Theorie sowie verschiedene SI-Untersuchungsverfahren und das SIBehandlungsverfahren wurden nach dem Tod von Dr.Jean Ayres durch zahlreiche
Wissenschaftler aus der Ergotherapie evidenz-basiert weiterentwickelt.
2. Was versteht die Sensorische Integrationstheorie unter „Modulieren“ und
wodurch unter scheidet sich dies von „Diskriminieren“?
Die Sensorische Integrationstheorie schließt die Begriffe der sensorischen
Modulation und Diskrimination ein. Es handelt sich um Prozesse des Nervensystems
und zählt zu typischen Fähigkeiten der Sensorischen Integrationsverarbeitung.
Unter Modulation versteht man die Fähigkeit, die eigene Reaktion auf Sinnessreize
zu regulieren und zu organisieren, um eine der Situation angemessene Interaktion zu
produzieren und sich damit an Veränderungen der Umwelt anpassen zu können –
dies bedeutet, dass der Mensch auf die umgebenden Reize weder über- noch
unterreagiert.
Unter Diskrimination versteht man die Fähigkeit der genauen Wahrnehmung und
Unterscheidung (räumlich, zeitlich, Intensität) eines oder mehrer sensorischen Reize,
um angemessene funktionelle Anpassungen hervorzubringen.
Beide Prozesse braucht ein Mensch zur Entwicklung von erfolgreicher Performanz
und angemessenen Verhaltensstrategien, und darüber hinaus um von seiner
Umgebung zu lernen, in ihr zu Recht zu kommen und mit ihr zu interagieren.
3. Was bedeuten im Kontext des Sensorischen Integrationsverständnisses die
Begriffe hyper- und hyporeaktiv bzw. hyper- und hyporesponsiv?
Die genannten Begriffe werden im Kontext von sensorischer Modulation bzw. deren
Verarbeitungsstörung verwendet. Hyperreaktiv (hyperresponsiv, Antwort auf einen
Sinnesreiz) bedeutet eine übermäßige (stärkere, deutlichere als bei
Vergleichspersonen) Reaktion auf einen sensorischen Reiz. Hyporeaktiv
(hyporesponsiv, Antwort auf einen Sinnesreiz) bedeutet eine reduzierte (schwächere,
verhaltenere als bei Vergleichspersonen) Reaktion auf einen sensorischen Reiz.
Die Reaktionen auf sensorische Reize zeigen sich als vegetative, körperliche
und/oder als Verhaltensreaktionen.
4. Wie beeinflusst der Vorgang der Sensorischen Integration die
Betätigungsperformanz eines Menschen und was bewirkt sie in unserem
Leben?
Kinder lernen in ihrer normalen Entwicklung angemessen auf sensorische Reize zu
reagieren und diese zu verarbeiten. Sie lernen somit Reize zu modulieren und zu
diskriminieren. Mit diesen Fähigkeiten sind sie in der Lage auf sensorische
Informationen eine angemessene Verhaltensreaktion zu entwickeln. Das beinhaltet:
Aufmerksamkeitsausrichtung, Spielfähigkeit, feine und grobmotorische
Geschicklichkeit sowie Handlungskompetenz und Selbstzufriedenheit,
Probleme einer effizienten sensorischen Verarbeitung können sich ausdrücken in
mangelhafter Aufmerksamkeitsausrichtung, Schwierigkeiten einen Handlungsplan zu
entwerfen bzw. in der richtigen Reihenfolge auszuführen. Ineffiziente sensorische
Verarbeitung kann auch zu Problemen in der Fein- und Grobmotorik führen, die das
Ausführen von alltäglichen Betätigungen beeinträchtigen.
Sensorische Verarbeitungsprobleme können sich in Schwierigkeiten bei
Kindergarten- oder Schulabläufen ausdrücken, als Schwierigkeit bei der häuslichen
Selbstversorgung, bei der Beteiligung an familiären Aktivitäten oder der Teilhabe im
erweiterten sozialen Umfeld, wie auf dem Spielplatz, der Umgang mit
Nachbarskindern oder der Teilhabe in einem Sportverein.
Beeinträchtigt können also sein: Performanz, Aktivität und Partizipation eines Kindes.
5. Kann es sein, dass ein Kind eine sensorisch bedingte Motorikstörung hat
und gleichzeitig ein Modulationsproblem?
Ja. Sensorisch bedingte Motorikstörungen sind verursacht durch propriozeptivvestibuläre und/oder durch taktil epikritische Diskriminationsstörungen. Sie sind
beobachtbar bei grob- und/oder feinmotorischen Betätigungen.
Modulationsstörungen können in unterschiedlichen Sinnessystemen auftreten und
äußern sich in unangemessenen Reaktionen auf sensorische Reize in Form von
Hyper-/Hyporeaktivität oder sensorischer Reizsuche. Modulationsstörungen zeigen
sich in unangepasstem Verhalten des Kindes im Umgang mit sensorischen
Anforderungen.
6. Kann es sein, dass ein Kind auf sensorische Reize gleichzeitig über- und
unterreagiert?“
Ja. Es handelt sich um Kinder mit einer sensorischen Modulationsdysfunktion (SMD).
Die klinischen Erfahrungen führen zu der Annahme, dass sensorische Modulation
kein Kontinuum darstellt, sondern mehrdimensional ist. Die Schwankungen der
Verhaltensreaktion auf sensorische Reize begründen die Schwierigkeiten der Kinder
entsprechende Anpassungsleistungen auf sensorische Herausforderungen zu
erbringen.
7. Woran mache ich fest, dass ein Kind im vestibulären System schlecht
diskriminieren kann?
Das vestibuläre System kann das Gleichgewicht nicht selbständig regulieren und
braucht für die Anpassung der Muskulatur und für die Rückmeldung von Körper- bzw.
Kopfpositionen im Raum das propriozeptive System
Beobachtbar sind Diskriminationsstörungen im vestibulär/propriozeptiven System in
Situationen, in denen das Kind gleichgewichtsanpassende Reaktionen auf
Veränderungen der Kopf- oder Körperpositionen zeigen muss.
Dies wird v. a. im Rahmen der Gezielten Beobachtungen nach J. Ayres oder auch
mit dem SIPT überprüft.
8. Hat ein Kind mit einer sensorischen Diskriminationsstörung immer auch eine
sensorisch bedingte Motorikstörung?“
Eine sensorische Diskriminationsstörung bezeichnet eine Schwäche die räumlichen
und/oder zeitlichen Qualitäten von Berührung, Bewegungen oder Körperpositionen
zu interpretieren. Es wird angenommen, dass sich das Körperschema, das eine
Grundlage der Praxie ist, aus diskriminativen Sinnesinformationen entwickelt. Aus
einer Diskriminationsstörung geht häufig eine sensorisch bedingte Dyspraxie hervor.
Da für die Aufrechterhaltung eines stabilen Haltungshintergrundes die
vestibulär/propriozeptive Verarbeitung eine wichtige Rolle spielt, kann aus einer
vestibulär/propriozeptiven Diskriminationsstörung auch eine posturale Dysfunktion
entstehen.
9. Warum werden „Gezielte Beobachtungen“ durchgeführt und was sollte ich
sehen?
„Gezielte Beobachtungen“ werden durchgeführt, um qualitative Informationen für die
SI-Diagnosestellung über die Diskriminationsfähigkeit der Basissinne zu bekommen.
Bei der Anwendung der GB soll aus neuromotorischer Perspektive insbesondere
Haltungskontrolle, Dosierung und Automatisierung von Bewegungen, die
motorischen Planungsfähigkeit und bilaterale Integration angesehen werden.
Zusätzlich erhält der „Beobachter“ Informationen über Verhaltensorganisation, die
Komplexität der Anpassungsreaktionen des Kindes und Basisfertigkeiten der
sozialen Interaktion mit dem Untersucher.
10. Wenn ein Kind auf Reizsuche ist, dann bedeutet das doch, dass das Kind
sich nicht genug spürt und somit wenig mitbekommt; wie kann es denn dann
ein Kind mit einer Modulationsproblematik sein?
Kinder mit Modulationsstörungen versuchen, ihren Erregungszustand durch die
Suche oder Vermeidung von Sinnesreizen zu regulieren. Versuch heißt, dass die
Regulation nicht immer in der gleichen Art gelingt, das Verhalten ist schwankend.
Wenn ein Kind hingegen Probleme in der Diskrimination von Reizen hat, also nicht
genau genug unterscheiden kann, was genau oder wo genau es spürt, kann es sich
durch aktives Verhalten Informationen über bestimmte Reizqualitäten verschaffen.
Dies geschieht oft im Sinne einer Kompensation, wobei das Verhalten nicht auffällig
werden muss. Eine Unterscheidung ist häufig nur im Zusammenhang möglich.
11. Was ist kennzeichnend für eine Sensorische Integrationsbehandlung?
Wenn die Evaluation der Alltagsschwierigkeiten, verursacht durch die mangelhafte
Verarbeitung sensorischer Informationen, abgeschlossen ist, entwirft die
Ergotherapeutin einen Interventionsplan und gemeinsam mit den Eltern werden
konkret überprüfbare, auf Alltagskompetenzen bezogene Therapieziele vereinbart
(SMART-Regeln).
Der Interventionsplan sieht ein auf die Schwierigkeiten des Kindes hin abgestimmtes
Angebot von sensorischen Herausforderungen vor, die in für das Kind bedeutsamen
ziel- und zweckgebundenen Aktivitäten eingebunden sind. Das Setting soll reich an
taktilen, propriozeptiven und vestibulären Angeboten sein. Dazu zählen vielfältige
Tastangebote sowie Bälle, Roll- oder Schaukelgeräte. Die Betätigungsangebote
sollen das Kind zu angepassten Reaktionen ermuntern und seine planerische
Leistung herausfordern. Das Kind wird in physisch gesicherter Umgebung ermutigt
Pläne für kreative Betätigung zu entwickeln, der Therapeut unterstützt das Kind. Die
Betätigungen zielen beispielsweise ab auf eine Verbesserung des Gleichgewichts
und der Kraftanpassung ebenso wie auf eine der Situation jeweils angemessene
Verhaltenssteuerung.
Eine spielerische und emotional abgesicherte Atmosphäre sind kennzeichnend für
die sensorische Integrationsbehandlung.
12. Bis zu welchem Alter ist eine sensorisch-integrative Behandlung wirksam?
Dazu aus dem Buch "sensorische Integrationstherapie" von Bundy/ Lane/ Murray
auf Seite 326-327 folgende Aussage:
"Da Ayres(1972) davon ausging, dass die Plastizität des ZNS nach dem neunten
Lebensjahr abnimmt, schrieb sie, dass jüngere Kinder besser auf die Therapie
ansprächen als ältere Kinder oder Erwachsene. Diese Aussage wurde
fehlinterpretiert und so ausgelegt, dass SI-Therapie bei Kindern über 9 Jahren nicht
wirksam sei. Allerdings deuten immer mehr Beweise darauf hin, dass die Plastizität
des Gehirns auch bei voll entwickelten Organismen vorhanden ist (Elman et al.
1998).
Auch Erwachsene berichten, dass eine Sensorische Integrationstherapie bei Ihnen
höchst erfolgreich war. Ältere Kinder und Erwachsene, die aufgrund von
sensorischen Integrationsstörungen viel gelitten haben, sind meist höchst motiviert,
eine Therapie zu beginnen. Ein Schlüssel zum Erfolg dürfte die Überzeugung sein,
dass die Therapie ihr Leben einfacher machen kann.“
13. Können Kinder mit sensorisch-integrativen Schwierigkeiten schulische
Probleme haben?
Sicherlich. Alle Kinder verlassen sich auf ihre Fähigkeiten der erfolgreichen
Modulierung und Diskrimination von sensorischen Informationen, die sie aus ihrer
Umgebung aufnehmen, um daraus schulische Fertigkeiten, und damit Performanzen,
zu entwickeln, die bedeutsam sind für eine erfolgreiche schulische Partizipation.
Die Schulfähigkeit eines Kindes kann durch sensorische Verarbeitungsprobleme
beeinträchtigt sein. Dadurch können die Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit, die
Fähigkeit Anweisungen zu verstehen und umzusetzen, Objektmanipulation und
Lese- wie Schreibfähigkeit sowie die Fähigkeit der Aufrechterhaltung einer stabilen
Sitzposition im Unterricht eingeschränkt sein.
14. Sind Sensorische Integrationsschwächen Teilbilder von bestimmten
Diagnosen oder gibt es sie auch ohne spezifische Diagnose?
Es sind Diagnosen bekannt, mit denen häufig auch Sensorische
Verarbeitungsschwächen als Teilbild einhergehen. Dazu zählen Kinder mit
Erkrankungen aus dem Autismusspektrum, Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen
oder Kinder mit Regulationsstörungen. Weiter sind sensorische
Verarbeitungsschwächen bekannt bei Kindern mit unspezifischer Diagnose, wie z.B.
allgemeine Entwicklungsverzögerung oder Störungen der groben oder feinen
Motorik. Für die letztere Gruppe gilt, dass sie besonders dann von der SIBehandlung profitieren, wenn sie noch recht jung sind und keine ausgewiesene
Lernbehinderung haben.
Darüber hinaus gibt es immer wieder Kinder, die unter kein zuordnungsbares
Diagnosebild passen, keine Entwicklungsverzögerung oder Lernbehinderung
aufweisen, aber dennoch erhebliche Probleme im Alltag haben.
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