1 Sensorische Integrationstherapie Geschichte der Sensorischen Integrationstherapie Entwicklung der Sensorischen Integrationstherapie durch Jean Ayres 1.1.1. 1.1.2. Jean Ayres • Geboren 1920 auf einer Farm in Visalia (Kalifornien) • Als Kind hatte sie Lernprobleme • sie studierte Humanistische Psychologie, arbeitete danach am Hirnforschungsinstitut der Universität Südkalifornien • Wurde in den 60er Jahren eine anerkannte Spezialistin für Ergotherapie. Erste Forschungen • In den 50er-Jahren vergab der Staat Kalifornien einen Forschungsauftrag an das Hirnforschungsinstitut der Universität Südkalifornien, weil die Zahl der Kinder mit deutlichen Lernproblemen von 2 auf 10 Schüler pro Klasse gestiegen war. Es gab dafür keine Erklärung, weder unter den Lehrern, noch unter den Ärzten. • In diesem Institut arbeitete auch Jean Ayres mit Patienten, die an den Folgen einer Schädel-Hirn-Verletzung litten. • Anfangshypothese: Zahlreiche Schwierigkeiten und Einschränkungen von Hirnverletzten können auch bei Kindern beobachtet werden, die schon zu Beginn ihrer Schullaufbahn entsprechende Störungen aufgezeigt haben. Das waren u.a.: o idiomotorische Dyspraxien: Unfähigkeit, für einen Handlungsplan die entsprechenden Bewegungsmuster abrufen zu können o Untersuchung im EEG: keine Auffälligkeiten o Untersuchung im ENG (Elektronystagmogramm): Überprüfung des Ausgennygastmus nach Körperdrehung. Mit dieser Methode werden Patienten untersucht, die an einer Gleichgewichtsstörung leiden und bei denen eine Veränderung an einem Vestibularorgan vermutet wird. o da keine organische Störung vorhanden war, vermuteten die Forscher eine Störung der Verarbeitung vestibulärer Informationen o Weitere Untersuchungen bestätigten die Vermutung, dass neuronale Dysfunktionen zu Problemen führen können, die mit Störungen infolge Schädigung des Zentral-Nerven-Systems vergleichbar sind. • Auffälligkeiten der Kinder in der frühkindlichen Entwicklung: o Deutlich erhöhter Fernsehkonsum (bis zu 8 Stunden am Tag bei den 2 bis 5jährigen) o Spitzer (2002) wies nach, dass fernsehen Aggression und Gewalttätigkeit vermitteln und steigern kann. o Der amerikanische Medizinerverband schätzt, dass ein Kind in Amerika nach Abschluss der Grundschule bereits 25000 Stunden vor dem Fernseher saß, aber nur 13000 Stunden in der Schule o Mangelnde Bewegung steht im Zusammenhang mit den Defiziten der neuronalen Reifung der ZNS. 2 1.1.3. 1.1.4. Grundidee Wenn sich neuronale Strukturen bei Schädel-Hirn-Verletzten wieder regenerieren können, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, hirnfunktionale Störungen durch gezielte Nachentwicklung zu verbessern? Man muss also fehlende Bewegungserfahrung nachholen, um entsprechende Nachreifung zu bewirken. Erste Schritte • Beobachtung der Kinder bei Haltung, Bewegung und der Gleichgewichtsreduktion • Teil der Beobachtung konnte standardisiert werden, Entwicklung des Southern California Sensory Integration Test (SCSIT) Gründung der Ayres-Klinik • 1967 in einem leer stehenden Einkaufszentrum als große ergotherapeutische Praxis • evidenzbasierte Praxis: Enge Zusammenarbeit mit der Universität, um praktische Erfahrungen wissenschaftlich zu begleiten. Durch den wechselseitigen Lernprozess soll ein tragfähiges Konzept zur Behandlung von Lernstörungen entstehen. • Sie entwickelte eigene Geräte zur Stimulation des Vestibularsystems zur Verbesserung der motorischen Antworten („Motor Response“). • Motor Response: ist die motorische Anpassungsreaktion zur Beibehaltung des Gleichgewichts bei Körperlageveränderung. Aufgabe des Kindes ist es, auf dem Gerät zu bleiben und die Haltung zu kontrollieren. • Die Kinder benötigen eigene Motivation (Inner drive) und sollen sich ihren eigenen Weg suchen, um motorische Planungssicherheit zu entwickeln. • Weiterer Forschungsschwerpunkt: Berührungsüberempfindlichkeit oder taktile Abwehr. Jean Ayres behandelte sie mit Vibration und Tiefendruck. Sie hatte Kontakt zu Temple Gradin, einer heute sehr bekannten Autistin • Ab den Siebzigern wurde die Klinik auch ein Zentrum für die Lehre für das Konzept. Wirksamkeitsnachweise • SCSIT (1970): 17 Items prüfen Ergebnisse vor und nach der Behandlung. Für Kritiker war der Test nicht valide genug. • Trotz fehlender Beweise ihrer Methode verbreitete sich die SI auch in Europa, Australien und Japan • 1987 erschien der Nachfolgetest Sensory Integration and Praxis Test (SIPT) Fortführung der Sensorischen Integrationstherapie • 1988 stirbt Jean Ayres an Krebs • 1996 kommt es unter ihren Nachfolgerinnen zu größeren Diskrepanzen, seitdem gibt es zwei verschiedene Organisationen, die die Idee der Sensorischen Integrationstherapie vertreten: o die ursprüngliche Ayres-Klinik o Pediatric Therapy Network o 1985: Erstes europäisches Zentrum in den Niederlanden 3 Die Sensorische Integrationstherapie in Deutschland Die Anfänge • Erste Kontakte durch Helga Treml-Sieder: von 1960 bis 1970 Leiterin des Fachkreises Zerebralparese es Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten; Vorstellung des Konzepts 1970 in Augsburg • Die Kinderneurologin Dr. Inge Flehming am Institut für Kindesentwicklung und dem Sozialpädiatrischem Zentrum (SPZ) in Hamburg übersetzte das Standardbuch von Jean Ayres (deutsch: Bausteine der kindlichen Entwicklung). Sie setzte sich für die leistungsrechtliche Anerkennung der ärztlichen Notwendigkeit zur Behandlung entwicklungsgestörter Kinder ein. • 1980: Erste Kurs in Deutschland durch die deutschstämmige Antje Price, einer Mitstreiterin von Jean Ayres Großer Aufwand, denn alle Unterlagen mussten übersetzt und auf den Wissensstand deutscher Ergotherapeuten gebracht werden. Problem: Die Grundausstattung deutscher Ergotherapeuten entsprach nicht dem internationalem Standard. • In der Folge weitere Kurse in 2jährigem Abstand. Etablierung und Weiterentwicklung der Sensorischen Integrationstherapie in Deutschland • Gründung einer AG SI 1990 in Kassau mit folgenden Zielen: o Verbreitung und Weiterentwicklung des Konzepts o Entwicklung der Gesamtweiterbildung im Baukastensystem o Öffentlichkeitsarbeit o wissenschaftliche Fundierung • Faktoren, die zur Etablierung beigetragen haben: o Das deutsche Gesundheitssystem mit der Kostenübernahme durch die Krankenkassen o Die Veränderung der Klientel in der Pädiatrie o Verknüpfung von Theorie und Praxis durch gleichzeitig lehrende und behandelnde Lehrtherapeuten o Zusammenarbeit mit den Kinderärzten o Einbeziehung der Forschung o Veränderung der Sicht von Gesundheit durch die ICIDH o Integration neuer ergotherapeutischer Denkmodelle Philosophie und Theorie der Sensorischen Integrationstherapie Philosophische Grundlagen der Sensorische Integrationstherapie Philosophische Hintergründe: • Reduktionismus: zugeordnet ist das biomedizinische Modell, mechanistisch-naturwissenschaftliche Sichtweise, findet sich überwiegend in der westlichen Medizin. Es geht davon aus, dass der Körper und seine Funktionen verstanden werden können, wenn man seine Einzelteile untersucht und analysiert. o es gibt nur Krankheit oder Gesundheit. Krankheit ist durch Therapie zu bekämpfen, jeder Arzt und jeder Therapeut hat die Aufgabe zu heilen. Grundlage sind empirisch nachweisbare Daten. o auch in der Psychologie und der Verhaltensforschung bei der klassischen Konditionierung angewandt. 4 • Phänomenologie: zugeordnet das systemische Modell. ganzheitlich-organismische Sichtweise: Menschen stehen in einer komplizierten Wechselwirkung und Interaktion mit Ihrer Umwelt. Motivation, Gefühle und Gedanken nehmen wichtigen Einfluss auf den Gesamtorganismus und seine Gesundheit. Untersuchungsmethoden sind qualitativ, d.h. sie versuchen ein Phänomen zu verstehen, in dem sie es aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. o sieht in Gesundheit oder Krankheit eher die Auswirkungen eines Ungleichgewichts oder/ und im Beziehungssystem, indem das Individuum lebt. Gesundheit ist immer mehr oder weniger stark ausgeprägt. Ärzte versuchen herauszufinden, vor welchem Hintergrund eine Krankheit entstanden ist, was sie verändert und was sie beeinflusst o Es wird nicht Krankheit bekämpft, sondern nach fehlenden Voraussetzungen für Gesundheit gesucht. o Ärzte leiten an, beraten und begleiten. Ziel: der Patient soll von selbst wieder gesund werden. o Bsp.: Homoöpathie • Postmoderne: zugeordnet das klientenzentrierte Modell.Die objektive Wahrheit gilt als unerreichbar, sie betont die Subjektivität der Wirklichkeit. Die Selbstbestimmtheit des Patienten wird besonders betont. o es gibt nur eine subjektiv wahrnehmbare Krankheit, d.h. der Mensch kann sich nur selbst als krank erklären. Es kann also Menschen geben, die nach wissenschaftlichen Kriterien als gesund gelten, sich aber krank fühlen und umgekehrt. Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem WHO • ICD-10 o Auflistung und Katalogisierung aller Krankheiten o Instrument des biomedizinischen Modells • ICIDH o o • ICF o • Verkörpert ein biopsychosoziales Krankheitsmodell: neben biomedizinischen werden auch soziale und psychische Faktoren in die Entstehung und besonders in die Auswirkungen von Beeinträchtigungen einbezogen Drei Faktoren: Impairment: Physische oder psychische Schädigung Disability: Fähigkeitsstörungen mit sozialer Zuordnung. Darunter fallen Einschränkungen bei Bewegung, Sehen, Hören, Sprechen etc. Impairment: Subjektiv empfundene Beeinträchtigung der Aktivitäten im sozialen Umfeld Anspruch eines jeden Menschen an der Teilhabe am sozialen Leben Die Sensorische Integration profitiert besonders von den Modellen des ICIDH und ICF. 5 Theoretische Grundlagen der Sensorischen Integrationstherapie SI beruht auf dem Humanistischen Menschenbild: Prinzipien: Ganzheitlichkeit physischer und psychischer Prozesse sowie ihre Einbettung in den sozialen Kontext und den Dialog in der Begegnung mit anderen Menschen. Selbstverwirklichung des Menschen (im Gegensatz zur Konditionierung im mechanistischen Weltbild) Akzeptanz der Individualität des Menschen Sowohl Geist als auch Körper werden als Einheit gesehen, die sich wechselweise beeinflussen und deren Entwicklung sich gegenseitig stärkt Körper-Geist-Einheit in der SI Motorik Sowohl Antwort als auch Anregung auf alle Wahrnehmungen der Umwelt „Keine Wahrnehmung ohne Bewegung, keine Bewegung ohne Wahrnehmung“ Motorik und Emotion Jede Emotion als Gefühlsbewegung hat eine motorische Komponente in Form von Muskelspannungsveränderungen: Gestik, Mimik, Körperhaltung) Besonders bei Kindern ist die Emotion mit Körperbewegung verbunden wichtig für die Behandlung Motorik und Kommunikation 1. Stufe in der kindlichen Entwicklung: Kommunikation mit der Bezugsperson: vorsprachlich durch Berühren und Berührt-werden („tonischer Dialog“) 2. Stufe: Imitation. Der Säugling imitiert schon wenige Wochen nach der Geburt die Motorik der Bezugsperson emotional und motorisch Motorik und Kognition Bewegung Erkennen und Wissen gegenseitige Förderung Jede Erkenntnis, jeder Generalisierungsvorgang und jede Form der Abstraktion basiert auf Handlungserfahrung Allerdings genügt die alleinige Bewegungserfahrung nicht, um Kognition zu fördern und Lernprobleme zu beheben. Plastizität des Nervensystems als neurologische Grundlage Die Anpassungsfähigkeit in den ersten Lebensmonaten ist extrem hoch Das Gehirn unterliegt lebenslang Entwicklungs- und Veränderungsprozessen Das Nervensystem passt sich sowohl in seinem inneren Wachstumsprozess (z.B. bei Verletzungen) als auch äußeren Bedingungen durch Nutzung bzw. Nichtnutzung neuronaler Bahnen ständig an. Die Neubildung von Neuronen scheint möglich Ständiger Gebrauch sichert und entwickelt das Gehirn und seine Leistungsfähigkeit. Je mehr aufgenommen, genutzt und gelernt wird, desto mehr Lernkapazität ist vorhanden! Anpassung an externe Veränderungen: Was sich im Gehirn ausbildet, ist eine Frage der Notwendigkeit. Anpassung an interne Veränderungen. (Bsp.: Gehirntumor) 6 Sensorische Integration als Entwicklungsprozess Die SI ist Teil des Entwicklungsprozess des Nervensystems und strukturiert das ZNS entsprechend der an das Inviduum gestellten Anforderungen. Entscheidend sind die Wachstumsprozesse vor dem ersten Lebensjahr, aber der Prozess zieht sich lebenslang fort und somit ist immer in Lernerfolg notwendig. Körperwahrnehmung wird umso genauer, je mehr Berührungen ein Kind bekommt. Das Eigenbild des Körpers entwickelt sich Eigenwahrnehmung als Instrument der Erforschung der Umwelt Handlungskompetenz und Umfeldkenntnisse werden gesteigert Sprachliche Begriffe können gebildet werden. Sensorische Systeme Sensorische Systeme dienen zur Wahrnehmungsaufnahme, da ZNS zur Wahrnehmungsverarbeitung und die Motorik zur Umsetzung. Sinnessysteme werden in 2 Gruppen unterteilt: Propriozeptive Körper- und Nahsinne: informieren über verschiedene Sensoren über den eigenen Körper Exterozepive Umfeld- und Fernsinne: Sensoren der Zunge, Ohren, Augen informieren den Menschen über das direkte oder weitere Umfeld Zusammenfassung Sinnessysteme: Wichtig: organisch intakte und funktionsfähige Sinnesorgane der Eigen- und Fremdwahrnehmung. Kompensationen führen zu einer veränderten Sensorischen Integration. Hilfsmittel können unterstützen Die Sinnessysteme sind nicht in der Lage, alles aufzunehmen, sie erfassen nur einen Teil der Wirklichkeit Sie nehmen eine große Fülle von Informationen auf, die jedoch zum Gebrauch in der aktuellen Situation angemessen ausgewählt werden müssen Interaktion Körper-Umfeld-Inner Drive Anregungen für die Sinnesorgane als Voraussetzung für Sensorische Integration aus dem eigenen Körper oder aus dem Umfeld Probleme treten auf bei Heimkindern Behinderten Kindern Eingesperrten, vernachlässigten oder misshandelten Kindern Aber auch bei Unbeabsichtigte Deprivation (z.B. Verbot von Daumenlutschen) Lust an der Erkundung: Neugier, Interessen, Sehnsüchte, Entdeckungsdrang Der Inner Drive ist auf folgenden Ebenen zu finden: Bedürfnisebene, die Überleben gewährleistet, wie Hunger, Durst, Wärme, Berührung Ebene des Bedürfnisses nach physischer und psychischer Sicherheit Bedürfnis nach Liebe und sozialer Anerkennung Suche nach Wissen, Neuem und Entdeckung Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und Streben nach Wissen, Weisheit und Gerechtigkeit Wichtig ist das Zusammenspiel der drei Faktoren: wenn die drei Faktoren zusammenpassen, erzeugt das Anstrengungungsbereitschaft (Volition) 7 Selbstvertrauen in das eigene Können Positive Spirale ist an folgenden Kriterien erkennbar: Enorme Lebenslust Große Neugier Gefühl, zu erreichen, was es will Willenskraft, sich die für seine eigene Entwicklung entsprechenden Räume bzw. Objekte zu beschaffen Negative Spirale erkennt man an folgenden Kriterien: 8 Die Kinder brauchen professionelle Hilfe, um den Prozess in Gang zu bekommen Lustlosigkeit Mangelnde Sprachfähigkeit Antriebsarmut Mangelnde Spielfähigkeit Die Annahme, alleine das richtige Umfeld reiche aus, und die Kinder würden alleine einen Weg finden, erfolgreich zu sein, ist falsch! Bild aus: Schaefgen, Rega: Praxis der Sensorischen Integrationstherapie. Erfahrungen mit einem ergotherapeutischem Konzept, Thieme Verlag, Stuttgart 2007 9 Wahrnehmungsverarbeitungsstufen Inner Drive und Intake Der Inner Drive steuert den Sensorischen Intake, d.h. er bestimmt die Fokussierung der Wahrnehmungsaufnahme Weiterleitung und Filter Prüfung, welche Informationen wann und wie verarbeitet werden können Beugt der Überlastung vor und schützt somit das ZNS Modulation „neurale Modulation“: Beschleunigung gewünschter und Hemmung unerwünschter Informationen Verknüpfung Die Wahrnehmung von beiden Körperseiten werden miteinander verbunden Emotionale Bewertung Im limbischen System werden die Informationen bewertet und als angenehm/ gewünscht oder als unangenehm/ unerwünscht gestempelt und zur Verarbeitung weitergeleitet Deutung Wird ermöglicht mit Vergleich mit bereits Gespeichertem Jede Sache wird vom Menschen interpretiert! Motorischer Plan Der motorische Plan erhält die Informationen vom Kleinhirn und der Plan wird an die Ausführungsorgane geschickt. Motorische Antwort und Feedback Folgen für den Förderansatz Befundaufnahme: Untersucht die Vorläuferfunktionen der gestörten integrativen Funktion und die zur Kompensation genutzten Ressourcen des Kindes und seines Umfelds Verbesserung des Inner Drive Es werden auch die mangelnden Voraussetzungen des Umfelds besorgt und sorgt dafür, dass die Ressourcen dem Kind zur Verfügung stehen. Merkmale der Sensorischen Integrationstherapie 1) Ganzheitliche Sichtweise Das Kind wird nicht auf seine Defizite und inadäquaten Verhaltensweisen reduziert, sondern als Gesamtpersönlichkeit gesehen und respektiert. Bei der Befunderhebung ist es wichtig, auch die Stärken der sensorischen, emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten zu ermitteln 2) Problemorientierung Bei der SI geht es nicht um bestimmte Funktions- oder Leistungsverbesserungen im Sinne einer symptomorientierten Behandlung, sondern das Kind lernt die grundlegenden Fähigkeiten, um mit dem Problem fertig zu werden. 3) Prädiktoren Man sucht und fördert Vorläuferfunktionen, die für den Erwerb bestimmter Leistungen notwendig sind. Beispiel: Evaluierte Prädiktoren für Schulfähigkeit sind u.a. die Gleichgewichtsregulation und Haltungskontrolle. 10 4) Inner Drive Die Nutzung der inneren Antriebskräfte ist für den Erfolg einer Therapie. Es gilt, die innere Motivation zu nutzen, um eine optimale sensorische Reizaufnahme zu garantieren Schwierigkeit in Therapiesituationen: welches Setting passt für welches Kind am besten? 5) Eigenaktivität Das Kind wird nicht behandelt, sondern ermutigt, selbst zu handeln. Dieses Handeln ist oft Spiel. Die Handlung selbst verkörpert Verstärkung und Belohnung, so dass Belohnung von außen nicht notwendig ist. 6) Motorisch anpassende Reaktionen Das Kind erwirbt sich durch die „Eroberung motorisch anpassender Reaktionen“ ein Repertoire an Möglichkeiten, eigene motorische Handlungen zu planen. Dazu zählen: Stütz- und Haltereaktionen Sprungbereitschaft Gleichgewichtsreaktionen 7) Intersensorische Wirkungsmechanismen Die exzitatorische, inhibitorische und tonisierende Wirkung der Sinnessysteme aufeinander, ist das 7. Merkmal. Das bedeutet: Bestimmte Reize erzeugen bestimmte Wirkungen Eine vestibuläre Beschleunigung in hoher Frequenz erhöht die Gleichgewichtskontrolle. Beispiel: 4jähriges Mädchen mit niedrigem Muskeltonus auf einer Schaukel 8) Arousal Jeder Körper reagiert je nach Erregungslevel unterschiedlich sensibel auf Informationen aus dem Körper und aus dem Umfeld. Beispiel: Stress in der Schule kann Therapieerfolg gefährden, deshalb ist es besser, wenn sich das Kind vor der Behandlung abreagieren kann. 9) Emotionale Bewertung der Perzeption In der Sensorischen Integrationstherapie wird die sensomotorische Fähigkeit nicht von der emotionalen Interpretation getrennt. Wichtig bei der Behandlung ist also das Vermeiden von negativ besetzten Situationen 10) Handlungsfähigkeit Es geht nicht nur um Funktionsverbesserung, sondern auch um die Anwendung und deren Variationsfähigkeit im täglichen Gebrauch des Kindes in seinem Umfeld 11) Selbstbewusstsein Das Selbstbewusstsein steigert sich beim Kind durch gestiegene Selbstsicherheit, besserer Selbsteinschätzung und der Erfahrung von Handlungskompetenz. Das Kind wird mutiger und es wappnet sich auch für partielle Mißerfolge. Damit steigt auch die emotionale Sicherheit 12) Spezielle Geräte Es gibt spezielle Geräte, die die Sensorische Integration anregen. Alle Geräte sind den Herausforderungen der Natur nachempfunden 11 Sinnessysteme und Wahrnehmungsverarbeitung Intrauterine(vorgeburtliche) Entwicklung der Sinnessysteme o o Das ungeborene Kind bildet alle Sinne intrauterin in einer bestimmten Reihenfolge aus und benutzt diese bereits. Es kann wahrnehmen, darauf reagieren, Schmerz empfinden, sich selbst Lust bereiten und am Leben der Mutter und ihrem Umfeld in gewisser Weise teilhaben. Die verschiedenen Sinne und ihre Bedeutung 1. 2. 3. 4. Spüren o Die Haut wird als erstes Organ sensitiv und reagiert bereits nach sechs Wochen auf mechanische Reize o 10. Schwangerschaftswoche: Streck- und Beugebewegungen als Zeichen der Funktion der Muskeln o Berührung durch das Fruchtwasser wird als angenehm empfunden und als positive Erfahrung gespeichert. o Nach der Geburt wird es sich bei Berührung beruhigen; bei fehlender Berührung kann es zu Befremdung, Angst und Unsicherheit kommen. o Besonders wichtig bei Frühgeborenen Riechen und Schmecken o Das Kind riecht und schmeckt das Fruchtwasser o Anteil an Veränderung, da es große Mengen davon auch schluckt o Erkennt die Mutter am Geruch Hören o Der Embryo hört verschiedene Körpergeräusche der Mutter o Das Kind erinnert sich später an die Geräusche: Möglichkeit der Therapie: Eine Melodie, die die Mutter während der Schwangerschaft hört oder singt, kann später zur Beruhigung dienen. Sehen • erst in der 39. Woche öffnen sich die verklebten Augenlider, das Ungeborene nimmt aber lediglich ein Dämmerlicht wahr. • Es ist möglich, dass sich Kinder mit Hilfe einer Lampe vor der Geburt drehen lassen, um die beste Geburtsmöglichkeit zu schaffen • nach der Geburt sieht das Kind nur Hell oder Dunkel Einteilung der Sinnessysteme • Unterscheidung zwischen Körperinneren und Körperäußeren Sinnen. • Körperäußere Sinne sind: o Riechen o Schmecken o Hören o Sehen o Tasten • Körperinnere Sinne sind: o Hautsinn o Gleichgewichtssinn o Muskelsinn o Diese Sinne werden in der Regel wenig beachtet vom Menschen, sondern erst wahrgenommen, wenn es Probleme dabei gibt. 12 • Jeder Reiz wird auf eine bestimmte Art von den Rezeptoren verarbeitet. Dabei kommt es auf bestimmte Punkte an: o Intensität: Eine bestimmte Stärke ist notwendig, damit der Reiz verarbeitet wird. Die Reizschwelle ist variabel! o Reizdauer: Die Wahrnehmung eines Reizes ist nicht identisch mit der Dauer eines Reizes! (Fachbegriff: Adaption) Bsp: Geruch o Lokalisation: Wir haben paarige Sinnesorgane für das Sehen und das Hören, damit wir räumlich wahrnehmen können o Unterscheidung nach Information: Unterscheidung, ob die Information aus dem Körper kommt, oder aus der Umgebung. Nah- oder Körpersinne (Interozeptive Sinne) a) Taktile-protopathisches System Ein Erklärungsversuch: die taktile-protopathische Funktion ist eine Schutzfunktion. Sie dient dem Wohlbefinden der eigenen Haut und warnt z.B. bei unerwarteter Berührung und kann einen Fluchtreflex auslösen Unterschied zu taktil-epikritiche Funktion: Diese dient dazu Reize am Körper zu lokalisieren und Gegenstände des Umfeldes zu ertasten und zu unterscheiden. 1. Berührung der Haut ist lebenswichtig! Das zeigen zahlreiche Tier- und leider auch Menschenversuche. 2. Ausreichende Berührungen zu schaffen, ist eine Grundvoraussetzung für die Förderung und Therapie von Kindern. 3. Alle anderen Wahrnehmungen werden von der taktil-protopathischen Wahrnehmung gesteuert 4. Hyper- bzw. Hyposensibilität wirken sich besonders auf die Beziehung, die Kommunikation mit anderen Menschen und das Verhalten aus. 5. Sensibilität des taktil-protopathischen Systems: 1. Berührungsempfindung 2. Schmerzempfindung 3. Kälte- und Wärmeempfindung im eigenen Körper: Kälte ist oft für die Kinder angenehmer, so dass oft wärmende Kleidung abgelehnt wird, die Kinder sind gerne nackt. 6. Funktion des taktil-protopathischen Systems: 1. Wohlbefinden 2. Abwehr 3. Rückzug 4. Angriff 5. Temperaturregulation b) Propriozeptives System Propriozeption ist die Wahrnehmung der Lage und Bewegung der Körperteile und des Spannungszustandes der Muskulatur ohne vestibuläre Wahrnehmung Beispiel: Kraftsinn, Stellungssinn und Bewegungssinn • In der Sensorischen Integrationstherapie wird die Propriozeption als eigenes Sinnessystem betrachtet. • Die Tiefensensibilität ist die Empfindung von Haltung und Bewegung • Die Propriozeption ist das Ausführungsorgan des vestibulären Systems • Die Propriozeption hat einen hohen Anteil an der Gleichgewichtsregulation • Die Propriozeption ist an fast allen Reaktionen auf sensorische Wahrnehmung beteiligt. 13 Sensibilität des propriozeptiven Systems: • Haltungsempfindung, in Verbindung mit der Haltungskontrolle • Bewegungsempfindung: Unterschied zwischen Grob- und Feinmotorik. Beide Systeme enthalten auch Elemente des jeweils anderen Systems (Bsp.: Werfen eines Balls) • c) Kraftempfindung: Wichtig ist die richtige Dosierung der Kraft o Metrik: Zielgenauigkeit und visuomotorische Koordination (bspw.: das zielgenaue Werfen eines Balles) o Timing: die genaue zeitliche Abstimmung der Muskeln (wenn man etwas fangen will) Viszerales System betrifft die Körperinnenwahrnehmung der inneren Organe; Teil der Propriozeption, aber da sie sich z.T. willentlich steuern lässt, ein eigenständiges System Bei mangelndem Wohlbefinden sind alle anderen Wahrnehmungsbereiche gestört. Sensibilität des viszeralen Systems: • Empfindung des Spannungszustands von Magen, Darm, Blase und des Herzschlags Wenn Kinder nach dem 4. Lebensjahr noch einnässen, ist eine Störung der viszeralen Wahrnehmung zu überprüfen. Eine Störung in der Wahrnehmung des Magens kann zu Übergewicht und auch zu Essstörungen führen. Kritik: Oft wird die Störung von den Eltern den Säuglingen antrainiert, da die Kinder selten über die richtige Nahrungsmenge entscheiden dürfen. d) Vestibuläres System Das v.S. empfindet die Gravitation und misst die Stellung des Kopfes in Bezug zur Erdanziehung Wichtig: das vestibuläre System kann das Gleichgewicht nicht selbstständig regulieren und benötigt deshalb immer das Zusammenspiel mit dem propriozeptiven System Störungen können sich in Drehschwindel äußern. Exterozeptive Sinne – Fernsinne a) Taktil-epikritisches System • Das t.-e.-System dient der Wahrnehmung unseres Umfeldes und unterstützt das visuelle System, bzw. ersetzt es bei Dunkelheit • Störungen können durch das visuelle System nahezu kompensiert werden. • Die Unterscheidungs- bzw. Lokalisierungsfunktion am eigenen Körper entwickelt sich durch Berührung und damit der Ausbildung des sensomotorischen Kontexts. Je häufiger man sich berührt oder berührt wird, desto genauer kann später auch der Reiz zugeordnet werden. Probleme bei Hyper- bzw. Hyposensibilität oft eine Ursache für Aggression! b) Olfaktorisches System Eine der wichtigsten Funktionen bei Neugeborenen (Erkennen die Mutter am Geruch) Gerüchen kann man nicht ausweichen! Vier Funktionen des Geruchs: 14 • Schutzfunktion: Warnung z.B. vor Feuer, Gas, verdorbenen Essen (verdorbenes Fleisch wird vom Menschen von einem 1400trillionsten Gramm pro Liter Luft wahrgenommen). Heute verlässt man sich eher auf das Mindesthaltbarkeitsdatum • Erkennungsfunktion: Bekannter Geruch vermittelt Sicherheit! • Erinnerungsfunktion • Kommunikationsform: sprichwörtlich „jemanden riechen können“ Gefährlich wird eine Hyposensibilität, da sich die Kinder eventuell selbst Schaden zufügen, aber auch eine Hyperfunkton kann für die Kinder sehr anstrengend sein. c) Gustatorische Wahrnehmung • Eng vernetzt mit den olfaktorischen Systemen • Hyper- und Hyposensibilitäten wirken sich stark auf das Essverhalten aus • Mangelnde Geschmacksfähigkeit ist eine hohe Einschränkung des Lebensgenusses • Störungen im Geschmackssinn können durch den Geruchssinnwettgemcht werden, aber nicht umgekehrt! d) Auditives System Es ist immer ein gewisser Geräuschpegel vorhanden. Die meisten Menschen sind in der Lage, selektiv zu hören, das heißt, sich auf einzelne Geräusche zu fokussieren. • Das auditive System dient der Orientierung, der Kommunikation und der Verständigung und ist Voraussetzung für den Erwerb von Lautsprache Störungen im auditiven System: • Störungen der Hörverarbeitung: Überempfindlichkeit führt zu Angst • Auditive Figur-Grundwahrnehmungsstörung: die Kinder haben Probleme , Töne oder Stimmen aus Hintergrundgeräuschen herauszuhören • Merkfähigkeit von Reihenfolgen • Störungen der audio-visuellen Vernetzung: Das Kind kann einen Buchstaben nachsprechen, findet ihn aber auf einem Papier nicht • Lautanalysestörung: Das Kind kann keine Einzellaute aus einem Wort heraushören (A-meise, B-eine) • Lautsynthesestörung: verhindert das Lesen, da die Laute nicht zusammengefügt werden können. • e) Störung des sinnentnehmenden Lesens: Die Kinder können lesen, entnehmen dem Text aber nicht dem Sinn. Problem ist oft ein mangelnder Wortschatz visuelles System Das visuelle Sinnessystem ist Grundlage für die Orientierung im Raum, für visuomotorische Koordination, Lesen, Schreiben und Rechnen. Wir leben in einer strak visuellen Welt, tatsächlich kann Sehen aber relativ gut von Hören und Tasten ersetzt werden. Erst mit acht Monaten ist der Sehsinn voll entwickelt und der Säugling kann Formen, Farben und Größen erkennen. Sensibilitäten und Funktionen des visuellen Systems (nach Frostig): • Figur-Grundwahrnehmung: Fähigkeit, einen bestimmten Gegenstand zu fokussieren und ihn vom Hintergrund zu unterscheiden • Formkonstanz: Fähigkeit, eine bestimmte Form unabhängig von ihrer Farbe, ihrer Größe, Lage oder Beschaffenheit wiederzuerkennen. 15 • Räumliche Lage: Fähigkeit, die Lage eines Gegenstandes in Bezug auf sich selbst wahrzunehmen und zu definieren („vor, neben, hinter, etc.) • Räumliche Beziehung: Fähigkeit, die Lage zweier Gegenstände unabhängig vom Betrachter zu erkennen und als gleich oder verschieden zu erkennen. • Visuomotorische Koordination: Bewegungen werden auf das Gesehene abgestimmt Funktionsstörungen und Probleme Störungen der Sensorischen Integration 1. Medizinische Indikation für sensorisch-integrative Therapie 1.1. ICD-Diagnosen in Verbindung mit sensorisch-integrativen Störungen Sensorische Dysfunktion ist noch keine eigene Diagnose in der ICD-10 Diagnosen, in denen häufig eine sensorisch-integrative Dysfunktion als Hintergrundstörung vorliegt, können sein: • Entwicklungsstörungen mit sensomotorischen Defiziten (F83) • ADS, ADSH (F90: hyperkinetische Störungen) • Lernstörungen und Merkfähigkeitsstörungen (F81) • Angststörung und zwanghafte Verhaltensweisen (F93/F95: Ticstörungen) • Autismus (F84) 1.2. Typische Probleme bei Kindern • Schreikinder • Berührungsschwierigkeiten • Mutter-Kind-Beziehungsprobleme • Einschlaf-und Durchschlafprobleme • Bewegungsunsicherheit und Bewegungsvermeidung • Bewegungsunruhe • Entwicklungsdiskrepanzen • Störung der Spielfähigkeit • Lernprobleme • Einnässen und Einkoten • Verhaltensprobleme mit oder ohne Aggressivität • Kommunikationsstörungen • Kindliche Antriebs-und Lustlosigkeit 1.3. Welche Therapie ist die Richtige? Ergänzend zu den Problemen, die in Punkt 1.2. geschildert wurden, muss man sich vor einer Behandlung folgende Fragen stellen: • Sind die geschilderten Beobachtungen und Beschwerden so gravierend, dass ein Leidensdruck im Bezugssystem erkennbar ist? • Sind das Kind oder die Eltern psychisch, physisch oder in der zwischenmenschlichen Kommunikation beeinträchtigt? • Reichen die vorhandenen Ressourcen und allgemeinen Interventionen aus, um die Beeinträchtigung zu beheben oder auszugleichen? Der weitere Behandlungsplan muss davon abhängen, inwieweit die Störung auf einer Entwicklungsstörung basiert, oder inwieweit eine sensorische Dysfunktion dahinter steckt. 16 Entwicklungsstörungen 1. Entwicklungsstörungen im ersten Lebensjahr • Sensomotorische Defizite, leichte und schwere zerebrale Paresen werden behandelt von Ergotherapeuten oder Physiotherapeuten Wichtig ist die Elternanleitung und die Gestaltung der häuslichen Umgebung • 2. Hyperexzitable (leicht erregbare) Kinder Schreikinder und Kinder mit Mutter-Kind-Anpassungsproblemen – Behandlung von einer Therapeutin mit SI-Zertifikat Besonders wichtig ist die Elternanleitung im Umgang mit diesen Kindern. Je nach Struktur der Eltern sind direkte Hilfen erforderlich oder Empfehlungen für Hilfsmittel Diskussion: Bei diesem Problem sind weder verhaltenstherapeutische noch medikamentöse Ansätze geeignet, um das Problem zu lösen! Ist das wirklich so? Entwicklungsstörungen im zweiten und dritten Lebensjahr • Hypotone und bewegungsunlustige Kinder • 3. 4. Sensomotorische und sprachliche Defizite Bedingt durch mangelnde Integration von Wahrnehmung und Motorik Entwicklungsstörungen im Vorschulalter • Hyperaktive Kinder Bei Kinder unter fünf Jahren ist eine Behandlung mit Methylphenidatpräparaten noch nicht erlaubt, deshalb Förderung durch SI, um später auf Medikamente verzichten zu können. • Probleme mit der Grob- und Feinmotorik Selten aufgrund mangelnder Übung, so dass Übungskurse oft wenig erfolgsversprechend sind. • Bewegungsunsicherheit, mangelnde Konzentration beim Spiel und kommunikative Probleme • Sprach- und Sprechprobleme Entwicklungsverzögerungen im Grundschulalter • 5. • Dyskalkulie und Legasthenie Entwicklungsstörungen im Jugendalter • 6. Schulunreife und Lernprobleme Kommunikationsstörungen, Aggressivität und Isolierung • Lernstörungen Störungen der Sensorischen Integration bei Erwachsenen Erwachsene mit Störungen in der SI haben gelernt, mit ihrem Problem zu kompensieren, ihre Störung zu vertuschen, andere zu instrumentalisieren; sie suchen sich meist keine professionelle Hilfe. Häufige Probleme: • Nähe-Distanzstörung • Lernprobleme • Merkfähigkeitsstörungen • Auditive Integrationsstörungen 17 Störungsebenen der Sensorischen Integration Es sind im komplexen Prozess der Wahrnehmungsverarbeitung vor allem drei Bereiche verantwortlich: 1) Innere Motivation und der Antrieb, Ziele zu verfolgen 2) angemessene Angebote im personalen und sächlichen Umfeld zur richtigen Zeit 3) funktionierende Sinnessysteme und neurales und zentrales Nervensystem, das Aufnahme, Vernetzung und Verarbeitung leistet. zu 3) Störung der Sensibilität • bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt. • Problem: zu große Offenheit: Man kann Wichtiges nicht mehr von Unwichtigem trennen, Reize werden nicht ertragen • Unterempfindlichkeit; erst Segen, dann Gefahr • Beispiel: Autismus Störung der Vernetzung • Beispiel Vernetzung: Richtungshören bzw. räumliches Sehen Störung der sensorisch-emotionalen Verknüpfung • Alle Wahrnehmungen werden im Gehirn mit Erfahrungen und Erinnerungen verglichen, das dient einer Zuschreibung (positiv oder negativ) und kann willentlich kaum beeinflusst werden. • positiv: Weihnachten • negativ: Krankenhaus Störung der Assoziation und Antizipation • Wenn keine Erfahrungen vorliegen, kann keine angemessene Handlungsplanung erfolgen • Bsp.: Mann steht neben Pfütze, sieht das Auto kommen und springt rechtzeitig weg. Störung der Interpretation Beispiel: Erzieher nähert sich dem Kind, um es zu beruhigen. Er hebt die Hand, um es zu streicheln. Das Kind reißt die Arme vor das Gesicht und schreit, da es die Geste als Aggression deutet. Störung der Handlungsplanung Bei gestörter Handlungsplanung sind alle neuen Aufgaben schwer und problemlösendes Handeln nicht möglich Störung der Handlungsausführung • Zur Steuerung von willkürlichen Bewegungen ist eine hohe Aufmerksamkeit nötig, das ist langsam und anstregend • Der Körper führt mit viel Übungen Bewegungen nicht mehr willkürlich aus, sondern automatisch. • Nötig für viele Handlungen (z.B. Autofahren) 18 Erscheinungsbilder sensorisch-integrativer Dysfunktion in Deutschland 1. Reizfilterstörung der sensorischen Sensibilität Die neuronale Fähigkeit der Neurotransmitter Hemmung oder Erregung auf die aufgenommen Reize auszuüben, ist gestört • Hypersensibilität • Hyposensibilität • Wechsel zwischen beiden Störungen möglich (Reizfilterstörung) • Beobachtungen gehen von einer wachsenden Zahl von Kindern aus, die an dieser Schwäche leiden Verhaltensweisen bei einer Reizfilterstörung: 2. • Besondere Reizvermeidung bzw. Reizsuche • Extreme Kitzligkeit oder mangelndes Kitzelgefühl • Flüchtige Berührung oder sanftes Streicheln werden als Unangenehm empfunden • Heftiges Rangeln oder Drücken wird bevorzugt • Probleme in der Körperpflege • Probleme mit Stuhlkreis, Hände fassen wird verweigert • Essprobleme • Probleme mit der Sauberkeitserziehung • Motorische Unruhe oder Bewegungsunlust Labile Haltungsdyspraxie • Haltungsschwierigkeiten bei Kindern nimmt bei Kindern zu • Kinder können ihr Gewicht nicht an einer Stange halten, wenn sie an den Fingern oder einer Stange hochgehoben werden (Klimmzüge) • freies Stehen wird mit Anlehnen kompensiert • Probleme beim Roller-, Dreirad- oder Fahrradfahren • Mangelnde Akzeptanz der Peer-Group (kämpft nicht gern) Problemlösung durch Übung wenig erfolgreich; Problematisch ist allerdings, dass es weniger Möglichkeiten für Kinder zum Toben und Spielen gibt. 3. 4. Körpereigenwahrnehmungsstörung Bei dieser Störung handelt es sich um eine unzureichende Fähigkeit, den eigenen Körper zu spüren Problem ist: wie soll man das messen, wenn das Kind es nicht bewerten kann? Körperkoordinationsstörung oder ideomotorische Dyspraxie • Die Körperkoordinationsstörung bezeichnet die Schwierigkeit, den Körper bei bestehendem gutem Handlungsplan zu steuern (bei Erwachsenen: ideomotorische Dyspraxie) • Ausführung koordinative Bewegungen zur Bewältigung des täglichen Lebens Dazu gehören: 5. • Tätigkeiten, die angeboren sind und durch Wiederholung effektiver, genauer und schneller werden (Treppensteigen, laufen, krabbeln) • kulturelle Tätigkeiten, die durch Nachahmung erworben werden und durch Übung ebenfalls genauer und schneller ablaufen (mit Besteck essen) • Tätigkeiten, die gelernt werden und dann automatisch ablaufen (z.B. Schuhe binden, stricken) Sequenzierungsstörung 19 6. 7. Eine besondere Koordinationsstörung, bei der nicht die Koordination des Körpers gestört ist, sondern nur die Reihenfolge der motorischen Muster und deren Timing, d.h. die Bewegungen in der richtigen Reihenfolge und im richtigen Moment einzusetzen Beispiel: Schwungholen beim Schaukeln Motorische Planungsstörung Es kann kein motorischer Plan angefertigt werden. Teilschritte können für sich gesehen richtig sein, bauen aber nicht aufeinander korrekt auf. Beispiel: Anziehen Problem: Aufmerksamkeit schwierig Audiodyspraxie oder auditive Integrationsstörung Lesen und Rechtschreiben enthält viel mehr auditive als visuelle Wahrnehmungsanteile ->Hauptanteil für Lese-Rechtschreibstörungen • 8. Die Störungen fallen nicht sofort auf, sondern zeigen sich erst in mangelnder Sprache oder Lese- und Schreibschwierigkeiten bemerkt Visuodyspraxie oder visuelle Integrationsstörung Verkehrt-herum-Brillen-Experiment: Auf der Netzhaut werden alle Personen und Gegenstände auf dem Kopf und seitenverkehrt abgebildet. Im Kopf wird dann das Bild richtig zusammengefügt, unterstützt mit anderen Erfahrungen wie Greifen, etc. Ergotherapeutische Befunderhebung bei Kindern Ergotherapeutische Vorgehensweise Problematik bei Behandlungsbeginn • Probleme sind oft nicht offensichtlich und können nicht benannt werden, Kinder haben oft keinen Vergleich, wie es ihnen besser gehen könnte • Kinder finden sich schneller mit dem Mangel ab und kompensieren ihn, deshalb Informationen von Eltern un Bezugspersonen einholen • Kind ist immer in der Einheit mit den Eltern zu sehen, dazu kommt der Arzt mit den Therapievorstellungen und dem Budget • Gemeinsames Anliegen finden • Erste Vereinbarung treffen o Erste Tests, um sich ein Bild von den Fähigkeiten des Kindes zu machen o Hypothesenentwicklung Erste Einschätzung der Situation • Befragung zu bereits versuchten Hilfen o man kann daraus auch den Grad des Leidensdrucks erfahren und auch die Bereitschaft zur Mitarbeit der Eltern • Befragung zum Hintergrund der Schwierigkeiten o Es ist wichtig, sich die Schwierigkeiten und Probleme der Kinder genau schildern zu lassen, ein „er ist immer so ungeschickt“ reicht nicht aus. o Dazu gehören: bei welchen Tätigkeiten fällt das Kind auf wie oft und in welchen Kontext wird das Verhalten beobachtet Welche Hilfen wurden bereits versucht, welche waren erfolgreich, welche nicht? 20 • Freie Beobachtung o dient dazu, das Kind in Situationen ohne direkte Aufgabenstellung zu beobachten Im Wartezimmer auf dem Weg zum Therapieraum Erkundung eines Raumes Erkundung des Materials o Es ist auch möglich zu erkennen, welche Strategie das Kind anwendet. • Strukturierte Beobachtung Folgendes Verhalten muss beobachtet werden: Händedruck bei der Begrüßung Blickkontakt bei der Begrüßung Treppen steigen farblich bezeichnete Türen finden, eine bestimmte Tür wieder finden Schuhe ausziehen und anziehen auf einem Stuhl sitzen auf eine Schaukel steigen, sich Schwung geben einen Ball werfen und fangen und prellen auf einem Bein hüpfen rückwärts zählen Farben benennen Eine Rolle kneten Trampolin hüpfen Vor Beginn einer Beobachtung legt man fest, welche Merkmale man beobachten will und erfasst diese in einem Protokoll Entwicklungsstand feststellen Entwicklungsscreenings Definition: Screenings sind schnelle Einschätzungen, die durch Fragen und Beobachtungen ergänz werden müssen. Sie dienen dazu, einen Gesamtüberblick zu bekommen und Hypothesen zu entwickeln, die zu weiteren Befunden und Behandlungsmaßnahmen führen. Einige Beispiele für Screenings: 1. Denver-Entwicklungs-Screening Für Kinder bis zum Alter von 6 Jahren. Es können gezielt Beobachtungen gemacht werden zu den Bereichen: Sozialer Kontakt und Wahrnehmung Feinmotorik und Adaption Sprache Grobmotorik 2. 3. 4. 12-Punkte-Screening für Kinder im Alter zwischen 4 und 6 Jahren 12-Punkte-Screening für Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren Menschzeichnung oder Mann-Zeichen-Test Ab 4 Jahren, das Kind wird aufgefordert, auf ein weißes DIN-A4 Blatt einen Menschen zu zeichnen Die Zeichnung zeigt neben der inneren Körpervorstellung auch den kognitiven Aspekt des Körperwissens/ bewusstseins. Dieser korreliert stark mit der Gesamtentwicklung 21 5. Differenzierungsprobe Ein Screening der auditiven und visuellen Wahrnehmung für Kinder im Alter zwischen 5 und 7 Jahren Nachzeichnungsaufgabe einfacher Zeichen zum Screening der Graphomotorik eine Überprüfung der phonematischen Differenzierung anhand von Abbildungen, die klangähnliche Namen haben, z.B. Bäcker und Wecker kinästhetischen Differenzierung: Nachsprechen von Wörtern, wie Blitzableiter oder Schellfischflosse melodische Differenzierung: Singen eines bekannten Liedes oder das Unterscheiden zwischen gleichen und ungleichen Klangfolgen. rhythmische Differenzierung: Nachklopfen von drei kurzen Rhythmen Hypothesen bilden Um Fragen gezielt stellen zu können und Beobachtungen gezielt vornehmen zu können, entwickelt der Therapeut/ die Therapeutin Hypothesen, welche Voraussetzungen möglicherweise fehlen könnten. Nur so ist gezielte Beobachtung möglich. Sensibilitätsbefund Verdacht auf Sensibilitätsstörungen Durch die Zunahme von Risikogeborenen wird es immer wichtiger, rechtzeitig die Säuglinge zu erkennen, deren Entwicklung durch eine schlechte sensorische Integration beeinträchtigt ist. • übererregbare Kinder (die viel schreien, sich extrem schlecht beruhigen lassen, wenig schlafen) • hypoaktive Kindern • hyperaktive Kinder, mit extremer Unruhe • … 1.1. Fragen für eine sensorische Anamnese • Gab es Belastungen oder Komplikationen bei der Schwangerschaft? • Gab es Komplikationen bei der Geburt? • Brauchte das Kind Übergangshilfen nach der Geburt? • Wie lange war die Verweildauer des Kindes nach der Geburt im Krankenhaus? • Wie lange war die Eingewöhndauer zu Hause? • Wie lange konnte das Kind gestillt werden? • Was war der Abstillgrund? • Hatte das Kind Saugschwierigkeiten? • Hatte das Kind Essprobleme? • Hatte das Kind Schlafprobleme? • Wodurch ließ es sich beruhigen? • Wodurch war das Kind leicht beunruhigt? • Gab es Geräusch- oder Lichtempfindlichkeiten? • War der Blickkontakt beeinträchtigt? • Hat das Kind Gegenstände mit dem Mund untersucht? • Konnte sich das Kind bei Berührung anschmiegen? • Gab es Probleme mit dem Baden, Waschen, Duschen oder Abtrocknen? • Gab es Probleme Haare zu schneiden oder zu waschen? • Gab es Probleme Finger- oder Fußnägel zu schneiden? 22 • Sucht das Kind Körperkontakt und wie? • Lässt sich das Kind ohne Probleme an- und ausziehen? • Lässt sich das Kind leicht eincremen, massieren, einölen? • War das Kind schmerzunter- oder überempfindlich? • Mochte das Kind lieber Kälte oder Wärme? • Mochte das Kind vibrierende Dinge? • War das Kind extrem kitzelig? • Hatte das Kind Probleme mit bestimmter Kleidung? • Mussten die Schildchen aus der Kleidung entfernt werden? • Mochte das Kind gern barfuß laufen? • Hat das Kind besonders gefremdelt? • Kam das Kind nachts ins Elternbett? • Hatte das Kind Schwierigkeiten, klebrige Dinge anzufassen? • Hatte das Kind Probleme mit anderen Kindern? • Hat sich das Kind gewehrt, wenn ihm Dinge weggenommen wurden? • Hat das Kind Rückenlage akzeptiert? • Hatte das Kind Probleme mit Lagewechseln? • Konnte das Kind im Spiel mit dem Kopf nach unten gekippt werden? • Mochte das Kind gern geschaukelt werden? • Mochte das Kind gern gedreht werden? • Mochte das Kind gerne klettern und springen? • Gab es Probleme beim Auto fahren, Fahrstuhl oder Rolltreppe? Die Befragung wird durch Beobachtungen des Therapeuten zu den gleichen Fragestellungen ergänzt. 1.2. Standardisierte Befragungen zur Sensibilität: Diagnostischer Elternfragebogen zur taktil-kinästhetischen Responsivität im frühen Kindesalter (DEFTK) Ist eine standardisierte Befragung zur Anamnese und zur aktuellen Situation. Der Bogen untermauert die Ergebnisse der eigenen Befragung Touch Inventory for Elementary-School-Aged Children (TIE) 1.3. Tests zur Sensibilität Test of Sensory Functions in Infants (TSFI) Der Test ermöglicht eine Überprüfung der Sensibilität und Sensorischen Integration für Kinder im Alter von 4 bis 18 Monaten. Somatosensorischer Befund 2.1. Verdacht auf eine Störung der somatosensorischen Wahrnehmung Hinweise sind dafür: • Schlafstörungen • Probleme mit der viszeralen Kontrolle • Essprobleme • mangelnde Schmerzlokalisation • mangelnde Praxie 23 Probleme, die auf eine Störung der Tastwahrnehmung hindeuten sind: • Unterscheidung von Oberflächen und Gegenständen ohne visuelle Kontrolle fällt schwer • Ängste im Dunkeln • Graphomotorische Probleme 1.4. Fragen zur somatosensorischen Wahrnehmung • Mit wem und wann kuschelst du am liebsten? • Wann und wobei fühlst du dich am wohlsten? • Kannst du baden und duschen genießen? • Magst du gerne massiert werden? • Kannst du dich wehren, wenn dir jemand zu nahe kommt? • Kannst du gut einschlafen? • Was machst du, wenn du nachts aufwachst? • In welcher Kleidung magst du dich am liebsten? 1.5. Beobachtungen zur somatosensorischen Wahrnehmung • Aufstehen aus der Rückenlage ohne Arme und Hände? • Nachahmung der Zungenmotorik • Nachahmung der Mundmotorik • Nachahmen von Körperstellungen und Bewegungen 1.6. Standardisierte Tests zur Somatosensorik • Somatosensorische Testreihe des Southern California Sensory Integration Test (SCSIT) • Somatosensorische Testreihe des Sensory Integration and Praxis Tests (SIPT) 1.7. Beobachtungen zur Tastinformation Befund der Lateralisierung 3.1. Fragen zur genetischen Veranlagung 3.2. Fragen zu alltäglichen Verrichtungen • Mit welcher Hand greift das Kind die Tasse? • Mit welcher Hand putzt das Kind die Zähne? • Mit welcher Hand bürstet oder kämmt sich das Kind die Haare? • Mit welcher Hand scheidet das Kind? • Mit welcher Hand malt das Kind? 3.3 Standardisierte Überprüfung der Lateralität • Bürstentest: Das Kind bekommt eine Handbürste und soll sich abbürsten • Bleistift anspitzen • Perlen auffädeln • Stern nachmalen: die langsamere Hand ist die bessere und bevorzugte Hand • Schmetterling nachmalen 24 Sensomotorischer Befund 4.1. Verdacht auf Störungen der Sensomotorik • Schwierigkeiten bei der Fortbewegung (Laufen, Springen) • Langsamkeit oder Ungeschicklichkeit beim Anziehen oder Essen • Schwierigkeiten beim Malen oder Vermeiden des Malens • Ungeschicklichkeit bei täglichen Verrichtungen • Probleme im Umgang mit Werkzeugen 1.8. Anamnesebogen zur Sensomotorik • Konnte das Kind problemlos an der Brust und Flasche saugen? • Hat das Kind die Bauchlage akzeptiert? • Fühlt sich das Kind beim Tragen „leicht“ an? • Hat sich das Kind gut gedreht? (von der Bauchlage in die Rückenlage und zurück?) • Konnte das Kind krabbeln? • Konnte sich das Kind selbst gut aufrichten und wieder runter kommen? • Konnte das Kind problemlos kauen? • Wann konnte das Kind freihändig laufen? • Wann konnte das Kind die Treppe steigen? • Wann konnte das Kind Dreirad oder Roller fahren? • Wann konnte das Kind Fahrrad fahren? • Wann konnte sich das Kind alleine anziehen? Sozioemmotionale Einschätzung Bei bestimmten Entwicklungsstörungen wirken die Mutter-Kind-Beziehung und die Interaktion in der Familie negativ auf die Entwicklung des Kindes aus. Das Kind reagiert mit negativem Verhalten, u.a.: • Rückzugsverhalten mit depressiver Tendenz • aggressives Verhalten gegenüber Sachen und Menschen • verweigerndes Verhalten • Enuresis • Enkopresis • Essstörungen • Ängste • zwanghaftes Verhalten • Kontaktstörungen Folgende Fragen muss man sich bei einer Beobachtung der familiären Situation der Familie stellen: • Wie einfühlsam sind die Eltern am Wohl der Kinder interessiert? • Lassen die Eltern ihr Kind ausreden und versuchen sie, seine Situation zu verstehen? • Üben die Eltern direkten oder indirekten Druck auf das Kind aus? • Scheint das Kind über- oder unterfordert? • Gibt es Schuldzuweisungen? • Haben die Eltern ihre Rolle akzeptiert für das Kind Verantwortung zu übernehmen und dahingehend Entscheidungen zu treffen? • Werden dem Kind Grenzen gesetzt und kennt das Kind die Konsequenzen? • Ist die Nähe oder die Distanz angemessen für das Alter des Kindes? 25 • Wie viel frei verfügbare Zeit hat das Kind? • Wie lange braucht das Kind für die schulischen Anforderungen? • Welche Aufgaben übernimmt das Kind zu Hause? • Hat das Kind frei verfügbares, regelmäßiges Taschengeld? Auditiver Befund Auditive Wahrnehmungsprobleme werden häufig erst sehr spät erkannt, da sie häufig vom Kind kompensiert werden. Folgende Schwierigkeiten können auf auditive Wahrnehmungsprobleme hinweisen: • Kommunikationsprobleme • Leseprobleme • Rechtschreibprobleme • Merkfähigkeit für Gehörtes • Verweigerung des Singens • Kind bewegt sich nicht zur Musik • Kind kann nicht rhythmisch klatschen Befragungen und Beobachtungen zur Hörfähigkeit: • Bewegt das Kind den Kopf in Richtung einer Schallquelle? • Lautiert das Kind? • Bewegt sich das Kind zur Musik? • Erkennt das Kind bekannte Geräusche? • Ahmt das Kind Laute und Worte nach? • Spricht das Kind undeutlich? Visueller Befund Visuelle Wahrnehmungsstörungen können sich folgendermaßen bemerkbar machen: • Orientierungsschwierigkeiten • Probleme beim Anziehen • Lustlosigkeit beim Malen • Merkschwäche für Gesehenes • Probleme, die Uhr zu lesen • Schwierigkeiten beim konstruktivem Bauen • mangelnde Fähigkeit, Pläne zu lesen und umzusetzen (Bauanleitungen, z.B. bei Lego) • Rechenprobleme • Leseschwierigkeiten Fragen und Beobachtungen zur Sehschärfe in die Ferne: • Blinzelt das Kind? • Kneift das Kind die Augen zusammen, wenn es etwas sehen möchte? • Sind die Augen gerötet? • Zittern die Augen? • Rückt das Kind nah an den Bildschirm heran? • Kann das Kind nah besser beobachten? 26 Fragen und Beobachtungen zur Sehschärfe in der Nähe: • Kopfschmerzen? • Augenschmerzen? • Schnelles Ermüden? • Ist das Abschreiben von der Tafel schwer? • Kleine Bilder und Texte sind nicht erkennbar? Kein Interesse? Sprachlich-kognitive Einschätzung Ein Verdacht auf sprachliche und kognitive Einschränkungen besteht bei: • kleinem Wortschatz • mangelndem Verständnis von Anweisungen • Artikulationsschwierigkeiten • Satzbildungsschwierigkeiten • Schwierigkeiten, einen erlebten Umgang zu schildern • Leseschwäche • mangelndes Verständnis von Textaufgaben Befundübersicht und Interpretation 1. 2. 3. Befund und Hypothesen – Gegenüberstellung Es werden die Ergebnisse nun mit den Hypothesen, die vorher aufgestellt werden, verglichen. Interpretation der Befunde in Bezug auf das Problem Wichtig ist, das Ergebnis den Eltern und den Kindern detailliert zu erläutern, um ihnen einen Zugang zu verschaffen, was die Probleme ausgelöst haben könnte. Die Interpretation ist der Schlüssel zur Therapieplanung und zum Einschätzen der geeigneten Empfehlungen für Kind, Eltern, Erzieher und Lehrer Prognostik in Bezug auf das Anliegen Ist der Zeitrahmen für das gewünschte Förderziel ausreichend? Eine klare Prognose kann den Eltern Mut machen und die Mitarbeit fördern Sollte die Therapiezeit zu lange sein, sollte man das Therapieziel in Einzelziele unterteilen, um die Erwartungen zu reduzieren und sich auf das Erreichbare fokussieren. Planung des Therapieziels 1. Übertragung der Befunde in ein Kreisprofil 2. BILD kreisprofil Behandlungsziele und deren Gewichtung • Die Behandlungsziele orientieren sich an den Problemen des Kindes und seiner Befähigung, das Problem selbst zu lösen. • Es gibt auch Stufenziele, die den Weg markieren, auf dem das Ziel erreicht werden soll. • Die Normalisierung der Sensibilität ist Voraussetzung, um die angestrebten Ziele in der Ausführung von Betätigungen zu erreichen. 27 • Die Funktionen der Sinneswahrnehmung sind eng miteinander verknüpft. Bestimmte Wahrnehmungsfunktionen bilden die Grundlage für andere Sinneswahrnehmungen. Formulierung der Ziele in Stufen • Zunächst werden Ziele ausgesucht, deren Befund auf eine Schwäche oder Störung in einer der Vorläuferfunktionen hinweist • Für die Formulierung von Zielen sollten die Kriterien von SMART zum Einsatz kommen: o S steht für spezifisch o m steht für messbar o A steht für angemessen o R steht für realistisch o T steht für terminiert Bsp.: Verbesserung der Schulleistung durch ein leserliches Schriftbild Kurzfristige Ziele könnten sein(voraussichtlich binnen 5 Behandlungen erreichbar): • Verbesserung der Motivation o Das Kind setzt sich selbst Ziele o Das Kind arbeitet freudig mit o Das Kind formuliert selbst seine Erfolge • Verbesserung der ergonomischen Bedingungen o Das Kind schreibt an einem Tisch mit freier Armbewegung o Das Kind sitzt oder kniet auf einem Stuhl mit Halt für seine Füße o Das Kind nutzt ein angepasstes Schreibgerät • Verbesserung der Fingersensibilität o Das Kind ertastet 5 Gegenstände mehr als zu Beginn der Behandlung o Das Kind korrigiert seine Stifthaltung, wenn es abrutscht • Verbesserung der Haltungskontrolle o Das Kind springt vom Stuhl und landet sicher auf den Füßen o Das Kind stützt beim Schreiben den Kopf nicht mehr mit einer Hand. o Das Kind bleibt auf dem Rollbrett sitzen, ohne umzufallen, wenn es gezogen wird Mittelfristige Ziele könnten sein (voraussichtlich binnen 10 Behandlungen erreichbar): • Verbesserung der Dissoziation o Das Kind zeigt freie Armbewegung mit dem Schleifenband o Das Kind wischt zu Hause den Tisch ab o Die Hand des Kindes gleitet über Papier • Verbesserung der Daumen-Finger-Opposition o Das Kind kann Klammern anstecken und abnehmen o Das Kind hilft beim Wäsche aufhängen o Das Kind kann Kopfstecknadel einstecken • Verbesserung der bilateralen Integration o Das Kind kann eine Schüssel halten und mit der anderen Hand rühren o Das Kind kann eine Drachenschnur aufwickeln o Das Kind hält mit einer Hand das Blatt fest, während es schreibt • Festigung der Schreibhand o Das Kind greift den Stift sicher mit der Schreibhand und wechselt nicht mehr 28 Langfristige Ziele könnten sein (innerhalb von weiteren 5-10 Bahandlungen): • Verbesserung der visuomotorischen Koordination o Das Kind kann einen Ball prellen o Das Kind kann mit einer Schere auf einer Linie schneiden o Das Kind kann Formen nachmalen • Verbesserung der Kraftdosierung o Das Kind kann ein Ei aufschlagen o Das Kind kann Murmeln eine schräge Ebene (in einer Rinne) hochschieben o Die Linie des Stiftes ist auf der Rückseite des Blattes nicht mehr durchgedrückt • 3. Verbesserung der Zielgenauigkeit o Das Kind kann Zielwerfen o Das Kind kann eine Flasche angeln o Das Kind kann leserlich auf einer Linie schreiben Formulierung der Ziele für Eltern Wichtig ist, dass alle Unterziele, die man für Eltern formuliert, ein oder mehrere Merkmale aufweisen, an denen die Eltern und die Kinder selbst erkennen können, dass sie auf einem guten Weg sind und tatsächlich eine Etappe nach der anderen erreichen Sensorisch-integrative Behandlung 1. Grundpfeiler der Therapie De beste therapeutische Situation ist die, bei der das Kind, seinem inneren Drang nach Betätigung entsprechend, genau die richtige Herausforderung findet. Die drei Grundpfeiler der therapeutischen Kunst sind Wissen, Empathie und Intuition. Sie helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen: Wissen umfasst: • Kenntnisse aus der Anatomie und Physiologie des Gehirns und seiner Funktionsweise • Kenntnis der neurologischen Zusammenhänge; zum Verständnis der Theorie der Sensorischen Integration • Wissen um die innersensorischen Wechselwirkungen und Vernetzungen • Kenntnis der Methoden zur Beeinflussung neuronaler Wachstumsprozesse • Verständnis der Plastizität des Nervensystems • Kenntnisse der Geräte und Materialien und deren therapeutische Einsatzmöglichkeiten Empathie bedeutet: • die Fähigkeit, sich in die Situation des Kindes hineinzuversetzen und die Welt mit seinen Augen zu sehen • das Kind zu beobachten, seine Signale zu verstehen und zu beantworten • die Fähigkeit, sich auch in Eltern oder Lehrer hineinzuversetzen und deren Sichtweise nachzuvollziehen ohne zu urteilen • die Fähigkeit, mit allen Beteiligten zu kommunizieren • die eigenen Grenzen erkennen und die letzte Verantwortung den Eltern zu überlassen Intuitionsfähigkeit ist: 29 • Die Fähigkeit, intuitiv therapeutisch zu agieren und dabei das Richtige im richtigen Moment und auf angemessene Weise zu tun • nicht allein eine Fähigkeit. Intuition beruht auch auf Erfahrung. 2. Therapieprinzipien • Problemorientierung • Entwicklung der Prädikatoren (Voraussetzungen zur Entwicklung des Kindes) • Zielorientierung • Ganzheitliche und gestufte Vorgehensweise o primär ist Wohlbefinden zu erreichen und sekundär Sicherheit zu schaffen. • Aktive Teilnahme des Kindes • Remediation vor Kompensation Remediation bedeutet Heilung und Wiederherstellen von verloren gegangenen Funktionen. Bevor nicht ausreichend versucht wurde die Funktionen zu erreichen, sollte keine Kompensation angeboten werden! • Elterneinbeziehung 3. Therapieumfeld und Medien 3.1. Therapeutisches Umfeld Das richtige Umfeld einer Sensorischen Integration ist das normale Umfeld eines Kindes. Wo es dies nicht mehr vorfindet muss man ein therapeutisches Angebot schaffen, dass sich an diesen normalen Situationen orientiert. 3.2. Therapiegeräte Therapiegeräte schaffen künstlich Gelegenheiten, die dem natürlichen Umfeld nachempfunden sind, die aber die Körpergröße und das Gewicht der Kinder berücksichtigen • Die Therapiegeräte sind in vier Kategorien einzuteilen: a) hängende Geräte (für vestibuläre Anreize) b) fahrende Geräte (zur Balance) c) stehende Geräte (zum Klettern d) mobile Geräte (für multisensorischen Einsatz) zu a): Hängende Geräte lassen sich in folgende Unterkategorien aufteilen: o o o Geräte für horizontale Beschleunigung: Pferdeschaukel Plattformschaukel mit Vierpunktaufhängung Hängematten Seilbahn Geräte für Drehbeschleunigung: Hängender Baum Hängematte Trapez oder T-Schaukel Geräte zur wechselnden Beschleunigung 30 zu b): Geräte: o o o o o o o o Decke, die gezogen wird Bobby-Car Dreirad Rollbrett Laufrad Roller Fahrrad Skateboard zu c): Geräte: 4. o Bänke, Tische o Leitern, Standleitern, Hängeleitern o Klettersteine o Klettergerüste 3.3. Therapiemittel Werden ebenfalls aus dem therapeutischen Umfeld entnommen und handhabbar gemacht. Beispiele: o Wasser o Eis o Sand, Erde, Ton, Wachs, Knete und Teig o Feuer o Papier und Farben o Holz Therapiegestaltung Wichtig ist bei der Therapie: • Kindliches Interesse und angemessene Angebote • Handlungen mit genau abgestimmter Handlung anbieten • Motorisch anpassende Reaktionen hervorrufen • Intersensorische Wirkungsmechanismen nutzen • Unterschiedliche Wirkung verschiedener Frequenzen beachten • Sensorisches Angebot in Form und Dosierung anpassen • Neugier und Kreativität fördern, flexibel reagieren