Tutorium Theorie des kommunikativen Handelns Was ist Rationalität? → es gibt eine enge Beziehung zwischen Rationalität und Wissen → Wissen als propositionale Struktur: formulierbar als Informationseinheit → Unterscheidung von Rationalität und Erkenntnis Erkenntnis hat man Rationalität: Wissen erwerben und verwenden, dadurch handlungsfähig sein → Wissen ist Handlungen wohnt Handlungen inne sprachliche Äußerung: Wissen wird explizit ausgedrückt zielgerichtetes Handeln: ein Können, ein Wissen ist der Handlung implizit → das bedeutet: ein rationales Handeln muss anschlussfähig sein, verstanden werden können → also setzt es ein Wissen darüber voraus, welche Formen des Handelns auf eine bestimmte Weise von anderen entgegengenommen werden können, wie sie in einem sozialen Zusammenhang wirken → das heißt auch: das der Handlung implizite Wissen kann sprachlich artikuliert werden: das know-how wird in die Form eines know-that übersetzt bzw. überführt werden wer oder was kann rational sein? → „Personen, die über Wissen verfügen und symbolische Äußerungen, sprachliche und nichtsprachliche, kommunikative oder nicht-kommunikative Handlungen.“ [S.25] → das konkretisiert die Antwort auf die Frage aus dem letzten Tutorium: es gibt natürlich Handlungen, die nicht sprachlich ausdrückbar oder nicht-kommunikativ sind – dann sind sie aber nicht rational – Rationalität setzt ein Wissen über die Unterscheidung von rationaler und nichtrationaler Handlung voraus. für die Frage ob rational oder irrational führt Habermas die Kategorie der Zuverlässigkeit ein: „die Rationalität einer Äußerung [hängt] von der Zuverlässigkeit des in ihr verkörperten Wissens“ ab [S.25f] zwei Typen von Handlung: kommunikative Handlung Äußerung einer Meinung setzt ein Wissen über die Wahrheit der Meinung voraus, es kann bestritten werden, dass die Äußerung wahr ist Aussage muss sich begründen lassen können Kategorie: Wahrheit Bezug auf objektive Welt, wie sie ist teleologisches Handeln Handeln, das das Erreichen eines Ziels bezweckt setzt ein Wissen darüber voraus, dass die Handlung Erfolg hat Wahl der Mittel muss sich begründen lassen können Kategorie: Erfolgsaussicht, Wirksamkeit „Die Wirksamkeit einer Handlung steht in einer internen Beziehung zur Wahrheit der bedingten Prognosen, welche der Handlungsplan bzw. die Handlungsregel implizieren.“ [S.26] Bezug auf das, was in der objektiven Welt sein soll → Rationalität ist auf Kritisierbarkeit und Begründungsfähigkeit zurückzuführen Objektivität der Beurteilung einer Handlung: wird sie als transsubjektiver Geltungsanspruch anerkannt? Habermas konkretisiert dies: kommunikative Rationalität: → geht zurück „auf die zentrale Erfahrung der zwanglos einigenden, konsensstiftenden Kraft argumentativer Rede“ [S.28] → Überwindung der subjektiven Auffassungen, kommunikative Vergewisserung über die „Einheit der objektiven Welt“ und über die „Intersubjektivität ihres Lebenszusammenhangs“ → es gibt also sowohl im kommunikativen, als auch im teleologischen Handeln idealerweise einen Bezug auf ein gemeinsames Wissen über die objektive Welt → beides kann scheitern, wenn das konsensuale Wissen nicht zustandekommt, das bedeutet aber auch: „Fehlschläge können erklärt werden.“ [S.29] unterschiedliche Handlungstypen bedeuten einen unterschiedlichen Bezug auf das gemeinsame Wissen: → teleologisches Handeln: instrumentelle Verfügung → kommunikatives Handeln: kommunikative Verständigung zur weiteren Explizierung führt Habermas 2 verschiedene Theorien ein, die auf unterschiedliche Weise gemeinsames Wissen thematisieren a.) realistisch → eine objektive Wirklichkeit wird vorausgesetzt, wie sie unabhängig von den Subjekten besteht → die Frage nach der Rationalitä lässt sich darüber ermitteln, wie man diese objektive Wirklichkeit analysiert und dadurch fragt ob eine Handlung dieser Wirklichkeit entspricht, bzw. einen Erfolg haben kann, wie umweltbedingte Probleme gelöst werden b.) phänomenologisch → setzt die Existenz einer objektiven Welt nicht einfach voraus, sondern macht diese Setzung selbst zum Problem → sie konstituiert sich für die Subjekte erst in der Intersubjektivität: „Objektivität gewinnt die Welt erst dadurch, daß sie für eine Gemeinschaft sprach- und handlungsfähiger Subjekte als ein und dieselbe Welt gilt.“ [S.31] → die Frage nach der Rationalität ist also eine Frage danach wie ein kommunikativer Konsens adäquat hergestellt werden kann → diese kommunikativ geteilte Welt ist der Hintergrund sozialer Handlungen, der dem Begriff der Lebenswelt entspricht a.) und b.) lassen sich kombinieren: „Es besteht nämlich eine interne Beziehung zwischen der Fähigkeit zur dezentrierten Wahrnehmung und zu Manipulation von Dingen und Ereignissen einerseits, und der Fähigkeit intersubjektiver Verständigung über Dinge und Ereignisse andererseits.l“ [S.33] d.h. die kommunikative Verständigung über die objektive Welt hat einen Einfluss darauf wie die Welt wahrgenommen wird oder umgedreht, wie ich mit der Welt umgehe hat einen Einfluss darauf wie sie kommunikativ verhandelt wird Zurechnungsfähigkeit rationales Handeln setzt Zurechnungsfähigkeit voraus, d.h.: für teleologisches Handeln: die Fähigkeit a.) zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten wählen zu können b.) auf Umweltbedingungen eingehen zu können, bzw. sie zu kontrollieren c.) Mittel wählen zu können mit denen ein Ziel erreicht werden kann für kommunikatives Handeln: die Fähigkeit „als Angehöriger einer Kommunikationsgemeinschaft, sein Handeln an intersubjektiv anerkannten Geltungsansprüchen orientieren“ zu können [S.34] Autonomie für teleologisches Handeln: „Ein höheres Maß an kognitiv instrumenteller Rationalität verschafft eine größere Unabhängigkeit von Beschränkungen (…).“ [S.34] für kommunikatives Handeln: „Ein höheres Maß an kommunikativer Rationalität erweitert innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft den Spielraum für die zwanglose Koodinierung von Handlungen und eine konsensuelle Beilegung von Handlungskonflikten.“ [S.34] es gibt auch andere Formen von Rationalität, die anerkannt sind, aber nicht auf dem Geltungsanspruch einer gemeinsam anerkannten Wirklichkeit basieren: a.) Legitimität (Orientierung an Normen) b.) Aufrichtigkeit bzw. als Handlungstypen kategorisiert: a.) normenregulierte Handlungen b.) expressive Selbstdarstellung „Statt eines Tatsachenbezugs haben sie einen Bezug zu Normen und Erlebnissen.“ [S.35] a.) verbunden mit dem Anspruch auf die Richtigkeit der Handlung in einem bestimmten Kontext b.) Wahrhaftigkeit der Äußerung eines persönlichen Erlebens → auch hier spielt Wissen eine Rolle – nicht als Wissen von Tatsachen, sondern Wissen über „Sollgeltung von Normen“ und vom „Vorscheinkommen subjektiver Erlebnisse“ [S.35] → hier findet also kein Bezug auf eine objektive Welt statt, sondern auf die soziale oder subjektive Welt evaluative Äußerungen [evaluativ = wertend] → sind weder einfach expressiv, noch nehmen sie normative Verbindlichkeit in Anspruch → sie sind auf Werturteilen begründet → es geht um die Interpretation des eigenen Bedürfnisses und es ist somit sowohl subjektiv, als auch intersubjektiv → man gibt einen objektiven Grund an, etwas subjektiv zu bewerten, d.h. auch eine evaluative Äußerung kann rational oder irrational sein → das Werturteil muss für andere nachvollziehbar, wiedererkennbar sein, auch wenn sie das Urteil nicht teilen → demgegenüber idiosynkratische Bewerung: sie können kein Verständnis erzeugen → Begriff der Idosynkrasie: überempfindliche Reaktion auf eine Sinneswahrnehmung Bsp.: man kann die Berührung mit einem bestimmten Stoff oder einem bestimmten Geräusch nicht ertragen, ohne einen Grund dafür angeben zu können → Idiosynkrasie hat privatistischen Charakter → normenregulierte Handlungen, expressive und evaluative Äußerungen begleiten eine kommunikative Praxis: „Zusammenfassend läßt sich sagen, daß normenregulierte Handlungen, expressive Selbstdarstellungen und evaluative Äußerungen konstative Sprechhandlungen zu einer kommunikativen Praxis ergänzen, die vor dem Hintergrund einer Lebenswelt auf die Erzielung, Erhaltung und Erneuerung von Konsens angelegt ist, und zwar eines Konsenses, der auf der intersubjektiven Anerkennung kritisierbarer Geltungsansprüche beruht.“ [S.37] → kommunikative Praxis verweist auf Argumentations-Rationalität: wenn ein Dissens auftaucht, kann sich auf das Argument als Berufungsinstanz bezogen werden → der Konsens muss nicht durch Gewalt hergestellt werden „Der Begründungsfähigkeit von rationalen Äußerungen entspricht auf seiten der Personen, die sich rational verhalten, die Bereitschaft, sich der Kritik auszusetzen und erforderlichenfalls an Argumentationen regelrecht teilzunehmen.“ [S.38] „Das Konzept der Begründung ist mit dem des Lernens verwoben.“ [S.39] → Lernen als Aneignung von Wissen, um handlungsfähig zu werden und Äußerungen und Handlungen begründen zu Können → die Fähigkeit, sich den Fehlschlag einer Handlung erklären zu können → praktische Fragen können grundsätzlich argumentativ entschieden werden → kulturelle Werte bilden einen Hof intersubjektiver Anerkennung: d.h. sie finden eine Anerkennung in einem bestimmten Kontext, haben aber keine universelle Geltung Beispiele zur Veranschaulichung mit Habermas' Konzept des rationalen Handelns, lassen sich soziale Probleme bspw. Schwierigkeiten erklären: 1. Nicht nimmer wird in sozialen Zusammenhängen das den gruppenspezifischen Handlungen implizite Wissen auch explizit versprachlicht. [Etwa: die Gruppenmitglieder schöpfen ein gemeinsames Wissen auf einer gemeinsamen Vergangenheit, aus gemeinsam Erlebten.] Ein Zugang zu einer sozialen Gruppe wird mir dann dadurch erschwehrt, dass ich die Handlungen interpretieren muss um mir das ihnen implizite Wissen anzueignen – dazu muss ich lernfähigsein. Wenn es nicht gelingt, finde ich keinen Anschluss an die soziale Gruppe. 2. Eine bestimmte Konvention stellt keine sprachlichen Formen zur Verfügung, in denen ich mein individuelles Bedürfnis artikulieren kann → ein zielgerichtetes Handeln, das zur Befriedigung meines Bedürfnisses führt, ist mir dadurch erschwert. Z.B. stehen kaum sprachliche Formen für ein Begehren jenseits von Hetero- und Homosexualität zur Verfügung – ich, der weder homo- noch heterosexuell empfindet, kann also mein spezifisches Begehren nicht als eine als gemeinsam anerkannte (Selbst- und Welt-) Erfahrung verhandeln. Queere Gruppen versuchen genau das zu verändern: sie suchen nach sprachlichen Formen, in denen ein nicht-kategorisiertes Begehren ausgedrückt, geteilt werden kann. Sie problematisieren gleichzeitig die Problematik dieses Versuchs: mit dem Versuch sprachliche Formen zu schaffen, wird kommunikativ eine Erfahrungswelt verhandelt, deren Anerkennung wieder andere Formen des nicht-kategorisierten Begehrens ausschließt. Frage zur Diskussion: Ist es sinnvoll soziale Anerkennung über eine Veränderung der Sprache erreichen zu wollen? Würde Habermas hier ausschließlich von einer sprachlichen Praxis ausgehen, oder spielen andere Aspekte eine Rolle? Beispiel: Also sprach Zarathustra: Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie mit Niemandem gemeinsam. Freilich, du willst sie beim Namen nennen und liebkosen; du willst sie am Ohr zupfen und Kurzweil mit ihr treiben. Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist Volk und Heerde geworden mit deiner Tugend. […] Besser thätest du sagen: »unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele Qual und Süße macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist.« Deine Tugend sei zu groß für die Vertraulichkeit der Namen: und musst du von ihr reden, so schäme dich nicht, von ihr zu stammeln. Wie wäre der hier beschrieben Handlungsvorschlag mit Habermas zu analysieren? Habermas sagt: eine Handlung muss auf gemeinsames Wissen fundieren um anschlussfähig zu sein, die Bewertung einer Empfindung oder die Beschreibung inneren Fühlens, müssen auf gemeinsamen Wissen fundiert sein, um nachvollzogen werden zu können – das heißt, sie muss auch in Sprache übersetzt werden können, die verstanden werden können muss. Im Urteil darüber, dass die Versprachlichung der Handlung oder des Empfindens auf Gemeinsames rekuriert, sind sich Habermas und Zarathustra einig. Habermas formuliert dies positiv als rationales kommunikatives Handeln, Zarathustra formuliert es negativ als ein „sich der Heerde gemein machen“. Was empfielt Zarathustra? Eine idiosynkratische Praxis. Nach Zarathustra ist es eine Tugend, inneres Empfinden oder Wohlgefallen für sich zu behalten oder wenn, dann nur im Modus des Stammelns zu „versprachlichen“, es soll also ausdrücklich nicht nachvollzogen werden können. Habermas zielt auf Konsens, Zarathustra zielt auf Individualität. Frage zur Diskussion: Welche Position ist menschlicher? Kann man dies vielleicht in unterschiedlichen Sphären oder Situationen unterschiedlich bewerten? Öffentlichkeit / Intimität