Mallepally/Tübach im Februar 2011 Bericht von SolidarAndhra Indien (Indien-Aufenthalt vom 25.11.2010 bis 12.02.2011) Der zentrale Mittelpunkt unseres diesjährigen Indien-Aufenthaltes bildete das AnnualMeeting von SolidarAndhra in Mallepally am 28. November. Zwar freuten wir uns schon lange auf diesen Tag. Ein faszinierender Gedanke, einmal sämtliche SolidarAndhra-Kinder sowie Angehörige um sich zu scharen. Doch, je näher dieser Tag rückte, um so mulmiger wurde es mir bei dem Gedanken, sozusagen als „Wohltäter“ im Mittelpunkt von 500 Leuten zu stehen. Da sassen sie nun, die Kinder in ihren farbenfrohen Schuluniformen, dichtgedrängt in Reihen zu 25, auf dem mit einer Plane abgedeckten Boden im Zelt. Father Anand ist mit 60 Kindern von der Don Bosco-Academy mit einem Schulbus aus Nalgonda angereist, um ihre Tanzkünste zu demonstrieren. Auch nach 2 Stunden mitreissender Tanz- und Gesangsdarbietungen sowie geduldig ertragener Reden - kein lärmender „Sauhaufen“ – immer noch diszipliniert mit verschränkten Beinen und Armen auf dem Boden. Abgesehen von einigen offiziellen Reden von Vertretern aus Schulen und Erziehungsministerium ergriffen „Akteure aus den eigenen Reihen“ spontan das Mikrofon und berichteten über ihr persönliches Schicksal. Ein eigens für diesen Anlass zu Ehren von SolidarAndhra komponierter Song wurde von einer Gruppe Mädchen vorgetragen. Still wurde es im Zelt, als Srikant - P.G. Student an der Uni in Hyderabad - das Mikrofon ergriff und mit eindrücklicher Stimme verkündete: “Niemand mehr, weder Verwandte noch Freunde betraten unser Haus oder unterstuetzten mich und meinen Bruder, als unsere Eltern nacheinander an AIDS starben. Die Leute im Dorf wendeten sich von uns ab. Erst als SolidarAndhra unser Haus betrat fassten wir wieder Mut und konnten unser Studium fortsetzen. Bhaskar hat unsere Schulbuecher und das Schulgeld bezahlt. Sogar die Kleider, die ich hier trage wurden von SolidarAndhra bezahlt. Seht mich an – all das was ich bis heute erreicht habe könnt auch ihr dank SolidarAndhra erreichen! Sobald ich einen Job habe und Geld verdiene, werde ich SolidarAndhra unterstützen, damit auch andere Jugendliche eine Chance bekommen“. Diese Form des Dankes und der Anerkennung ergriff uns. Es zeigt auch, dass die Arbeit von SolidarAndhra nicht umsonst ist. Sogar Rama Devi, die von AIDS schwer gezeichnete Mutter ergriff mit dünnen Fingern und zittriger Stimme das Mikrofon und dankte SolidarAndhra für die medizinische Hilfe und den bezahlten Spitalaufenthalt. Bei ihrem späteren Besuch in unserem Office erleuchtete ein hoffnungsvolles Lächeln ihr makelloses Gesicht. Die indische Kultur, besonders diejenige der Lambadis(Urbevölkerung) in den Dörfern lässt für uns heute noch viele Fragen offen und stösst bei unserer westlichen Denkweise oft auf Unverständnis oder gar Ablehnung. Dies müssen wir akzeptieren, denn es liegt nicht an uns, Masstäbe zu setzen. Im Vordergrund muss für uns immer das Wohl des Kindes stehen. Auf dem Land werden Heiraten heute noch ausschliesslich von den Eltern, bzw. der Familie bestimmt. Eine Witwe wird von sich aus kaum wichtige Entscheidungen treffen, ohne vorgängig Ihre Familie um Rat zu fragen. Dies kann unter Umständen auch entscheidende Folgen haben, wie beispielsweise für den Jungen Nagaraju der seit 2 Jahren von uns unterstützt wird. Er hat 2 Klumpfüsse und hat Mühe zum gehen. Wir haben der Mutter schon vor längerer Zeit empfohlen, eine Operation in Betracht zu ziehen. Bhaskar ging mit ihr (Analphabetin) und dem Jungen in ein Spital um die Möglichkeit einer Operation zu prüfen. Der Arzt versprach ihr gute Heilungschancen. Als die Mutter einige Tage später in unser Office kam ermutigten wir sie, einer Operation zuzustimmen. Sie zögerte jedoch, also rieten wir ihr, eine zweite Meinung bei einem Spezialisten in Hyderabad einzuholen. Nach einigen Tagen kam sie wieder und wollte nichts mehr von einer Operation wissen. Ihren Verwandten sei ein Fall bekannt, bei dem eine solche Operation nicht erfolgreich gewesen sei. W e r möchte da schon Verantwortung übernehmen? Wenn es nach dem Familienclan geht, müssen auch junge Witwen möglichst bald wieder verheiratet werden „sie könnten es als alleinstehende Frau mit zunehmendem Alter schwer haben, wenn einmal ihre eigenen Eltern gestorben sind, zu denen sie nach dem Tod ihres Mannes meist zwangsläufig ziehen muss“. Die Leidtragenden sind meist die Kinder, weil der neue Mann die Kinder der Frau oft nicht übernehmen will. So wurden wir im abgelegenen Dorf Kombalapally zum Haus eines älteren Ehepaars geführt. Es sind die Grosseltern des ca 2 ½-jährigen Mädchens Srija. Ihre Mutter Manjula ist 22 Jahre alt und wurde wieder verheiratet. Sie zog mit ihrem neuen Mann in ein weit entferntes Dorf und liess das Kind einfach bei ihren betagten Eltern Papayah und Laxsmamma zurück. Der Anblick des weinenden Mädchens, welches sich auf dem Arm der Grossmutter um deren Hals geschlungen hatte verriet uns alles über dieses tragische Schicksal. Die Leute sprachen von Waisenhaus als Lösung. Nur das nicht, sagte ich mir. Der Hof um die Hütte ist aufgeräumt und peinlich sauber gehalten, die Grosseltern strahlen Liebe und Zärtlichkeit aus. Weil sie kein Einkommen haben, werden wir sie mit einem monatlichen Beitrag unterstützen, damit sie weiterhin für das Kind sorgen können. Bestimmt wird sich mit der Zeit einiges ändern, wenn einmal die heutige Jugend - dank Bildung - in der Familie mehr Einfluss gewinnt und in der Gesellschaft Entscheidungen mitbestimmen kann. Aber dies ist noch ein weiter Weg, wenn man bedenkt, dass in Andhra Pradesh heute immer noch 50 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben kann. Unsere Hauptanliegen gilt einmal mehr der Taubstummenschule Mallepally. Wir haben uns nach geeignetem Bauland umgeschaut und werden an der nächsten HV am 02. Mai entsprechende Vorschläge unterbreiten. Ein würdiges und bleibendes „Zuhause“ für diese Kinder liegt uns am Herzen. Josef Aeberhard