6. Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen Abstracts der

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6. Hamburger Symposium Persönlichkeitsstörungen
Abstracts der Workshops
Freitag, der 04. September 2009
Gerhard Dammann: „Lug und Trug bei Borderline“
Thema des Workshops sind dissoziale Tendenzen bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Diese Phänomene werden insgesamt oft zu wenig beachtet. Es wird ein Überblick gegeben über
Ausprägungsformen, mögliche modellhafte Zusammenhänge und die damit zusammenhängende
Psychodynamik (antisoziale Abwehr; maligner Narzissmus). Es wird auch auf die empirische Literatur auf
diesem Gebiet eingegangen und abgeleitete Aspekte für die Therapie beleuchtet. Daneben werden auch
das Lügen und das so genannte pathologische Lügen angesprochen.
Literatur:
F. Lackinger, G. Dammann, B. Wittmann (Hrsg.) (2008) Psychodynamische Psychotherapie bei Delinquenz. Praxis der
Übertragungsfokussierten Psychotherapie. Schattauer, Stuttgart.
Ulrich Sachsse: „Redlichkeit, Taktik und Schutz in der therapeutischen Beziehung“
In der ambulanten Praxis kommt die therapeutische Beziehung überwiegend aufgrund gegenseitiger
freier Wahl zustande. In der Klinik gibt es Versorgungsaufträge, Pflichtversorgung und unfreiwillige
Zuordnung. Es gibt auch PatientInnen, die niemand behandeln möchte, die aber Behandlung benötigen.
Hier ist Professionalität in der Therapie und in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung gefordert.
Andererseits stellen gerade PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen immer wieder die Frage nach
Ehrlichkeit, Redlichkeit und persönlicher Authentizität. Durch berufliche Professionalität fühlen die sich oft
abgespeist und betrogen. Eine authentische Antwort „Niemand will Sie hier behandeln, ich schon gar
nicht, aber ich bin dazu verpflichtet“ wäre unprofessionell. Eine Deutung “Sie fühlen sich ja immer und
überall unerwünscht, hier jetzt auch“ wird oft nicht hingenommen. Eine taktische Lüge „Sie sind mir so
lieb und unlieb wie alle meine PatientInnen“ würde kontinuierlich auf den Prüfstand gestellt.
Worauf haben unsere PatientInnen denn ein „Recht“? Worauf haben wir als TherapeutInnen denn ein
„Recht“? Wie und wie weitgehend dürfen wir uns schützen, müssen wir uns schützen?
Anhand eigener Fälle der TeilnehmerInnen soll der Zielkonflikt zwischen Selbstschutz und
PatientInnenschutz, Professioneller Beziehung und authentisch persönlicher Beziehung diskutiert
werden. „Lösbar“ ist dieser Konflikt nicht immer.
Mathias Hirsch: „Schuld und Schuldgefühl“
Wenn die Psychoanalyse sich nicht mehr auf die Untersuchung des Intrapsychischen beschränkt, wird
sie das äußere traumatische Geschehen, und zwar nicht nur als augenfällige Extremtraumatisierung,
sondern auch als subtiles Beziehungstrauma, einbeziehen. Die Schuld des Täters wird zum Schuldgefühl
des Opfers (Ferenczi), weil das durch die Internalisierung der Gewalt entstandene Introjekt wie ein
feindlich verfolgendes Über-Ich wirkt. Die Abhängigkeit vom traumatischen System erzeugt stets einen
Konflikt durch die entgegengesetzten Lösungsbestrebungen. Die Therapie sollte irrationales Schuldgefühl
sorgfältig von realer Schuld, auch der durch die Identifikation des Opfers mit dem Täter entstandenen,
unterscheiden. Weit über ein Verständnis des Schuldgefühls als Ausdruck eines ödipalen Konflikts hinaus
differenziert der Autor Schuldgefühl folgendermaßen: 1. Basisschuldgefühl, d. h. eines aufgrund der
bloßen Existenz des unwillkommenen Kindes; 2. Schuldgefühl aus Vitalität, d. h. aufgrund expansiver
Bestrebungen, Begehren, Erfolg haben Wollen; 3. Trennungsschuldgefühl: Autonomiebestrebungen
des Kindes stellen für die elterlichen Objekte eine Bedrohung dar. 4. Traumatisches Schuldgefühl:
Opfer verschiedenster Gewalt- und Verlusterfahrungen entwickeln immer eine schwere
Schuldgefühlsymptomatik.
Literatur:
Hirsch, M. (1997): Schuld und Schuldgefühl – Zur Psychoanalyse von Trauma und Introjekt. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen
Hubert Speidel: „Die Histrionische Persönlichkeitsstörung“
Hans-Jürgen Tecklenburg: „Lügen Alkoholiker oder sagen sie nur nicht die Wahrheit?“
Philipp Martius: „Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TfP): Trügt mich mein Gefühl oder
lügt der Patient?“
TFP, die Übertragungsfokussierte psychodynamische Psychotherapie für Borderline-PatientInnen nach
Otto F. Kernberg, ist eine störungsorientierte Modifikation der psychodynamischen Psychotherapie. TFP
wurde für ärztliche und psychologische PsychotherapeutInnen entwickelt und kann ambulant und
stationär eingesetzt werden. Das Verfahren eignet sich für die Behandlung von PatientInnen mit
Borderline- Störungen und im Weiteren für (sog. frühgestörte oder strukturell gestörte) PatientInnen mit
einer Borderline-Organisation im Sinne von Kernberg. TFP ist manualisiert und seine Wirksamkeit wurde
in mehreren wissenschaftlichen Studien erfolgreich überprüft. Es wird eine Übersicht über das TFP und
den theoretischen Hintergrund gegeben, gefolgt von der Darstellung des Behandlungsrahmens (sog.
Contract setting) und der einzelnen Therapiephasen. Anlässlich des Tagungsthemas wird auf die
TFP-spezifische therapeutische Haltung und die Bearbeitung der Beziehungsdyaden fokussiert, vertieft
(auf Wunsch) durch Rollenspiele.
Birgit Möller: „Die Familienlüge“
In der psychotherapeutischen Praxis sind Therapeuten häufig mit der Situation konfrontiert, dass
Patienten oder Familienmitglieder etwas verschwiegen oder bewusst die Unwahrheit sagen bzw. lügen.
Familien sind oft ein idealer Nährboden für Lebenslügen. Ob verschwiegene Affären, äußereheliche
Kinder, sexuelle Identität oder Orientierung, Erkrankungen oder Beteiligung an Kriegsverbrechen – häufig
erfahren noch nicht einmal die engsten Familienangehörigen von den Geheimnissen der nächsten
Verwandten. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Angst und Schutz vor negativen Konsequenzen, Scham,
Aufrechterhaltung eines (Wunsch-)Selbstbildes, Notsituation etc. Lebenslügen erzeugen eine
Scheinrealität, in der nichts hinterfragt werden darf, weil die Aufdeckung der Wahrheit zu Erschütterungen
führen könnte. Familienlügen führen auf Dauer zu Belastungen. Manche Menschen kommen in
Behandlung, weil sie seit vielen Jahren unter den Folgen (unbewusst) leiden. Bis sie das Geheimnis
aufdecken und erkennen, dass das, was damals in der Kindheit geschah, die Ursache für die heutigen
Probleme ist, vergehen meist Jahre harter Erinnerungs- und Erkenntnisarbeit.
Anhand von Beispielen aus der Praxis soll der Frage nach den Gründen und Folgen der Familielüge und
dem therapeutischen Umgang mit diesem nachgegangen werden.
Michael Mohr: „Lug und Trug bei Indikationsstellung von Psychotherapie und Pharmakotherapie“
„Neueste Forschungsergebnisse“ – Vorträge der Bewerber zur „Hamburger Fellowship
Persönlichkeitsstörungen“. Stephan Doering (Vorsitz); Anna Buchheim, Birger Dulz, Sven Olaf
Hoffmann, Jörg Weidenhammer
Sonnabend, der 05. September 2009
Horst Kächele: „Linehan oder Kernberg oder gar Schema-Therapie“
Evidenz-basierte Psychotherapie löst viele Probleme, und schafft aber auch neue. Angesichts der
unübersehbaren Faktenlage, dass wir zu vielen Störungsbildern nicht nur eine evidenz-basierte
Therapie haben, sondern gleich mehrere im Angebot sind.
Was tun, wie entscheiden – ist es dann doch wieder einfach die eigene Therapieschule, die eigene
Ausbildung – VT oder GT oder Psychoanalyse – die dann dem Griff in den Werkzeugkasten prägt – oder
sollten wir doch gemeinsam diskutieren, ob bereits klinische Erfahrungen zu der differentiellen Indikation
zu Therapien von Borderline-Persönlichkeitsstörungen vorliegen. In diesem Sinne können wir fragen:
„Linehan oder Kernberg oder gar Schema-Therapie?“
Thomas Giernalczyk: „Persönliche und institutionelle Dynamik von Lug und Trug in
Organisationen“
Lug und Trug in Organisationen wird von der persönlichen Dynamik der Akteure und von der
institutionellen Dynamik des Systems bestimmt.
Dabei geht es um die Frage, welche Persönlichkeiten mit spezifischen Verantwortlichkeiten und Rollen
betraut werden und wie das System Ehrlichkeit und Trug sanktioniert. Dabei wird Lug und Trug wird als
spezifischer Umgang mit Aspekten der jeweiligen primären Aufgabe und dem primären Risiko der
Organisation interpretiert. Ausgehend von Fallbeispielen (des Referenten und der Teilnehmer) wird
herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen betrügerische Dynamiken entstehen, selbständig
werden und sich zurück entwickeln.
Heidi Möller: „Lügen in der Supervision“
Wer kennt das nicht: „Lieber dem Kontrollanalytiker nicht berichten, dass ich der Pat. P. vor den Ferien
auf Ihren Wunsch hin ein Buch ausgeliehen habe“. Endlose Diskussionen über die Frage der Abstinenz
wären die Folge…“Lieber den Konflikt mit der Patientin in der Supervision etwas glätten, sonst stehe ich
ja als mieser Anfänger da“. Optimal habe ich mich sicher nicht verhalten…
Aus der Forschung wissen wir, dass die Darstellungen der Therapieverläufe in der Supervision oft wenig
mit den Videodokumentationen derselben zu tun haben. Jeder kennt Beschönigungen, Auslassungen
und Vermeidungen in der Team-, Gruppen oder Einzelsupervision. Dabei sind es oft gerade diese
Bruchstellen, die uns viel über die Psychodynamik des Patienten/der Patientin und/oder die
Supervisionsbeziehung erzählen könnten.
Im Workshop soll es zunächst um die persönlichen Erfahrungen von uns als FalldarstellerInnen und/oder
SupervisorInnen gehen. Gemeinsam wollen wir uns auf die Suche nach fehlerfreundlichen
Supervisionsbedingungen machen.
Susanne Hörz, Anna Buchheim: „Die scheinheiligen Mütter“
Bei Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gibt es in der Vorgeschichte häufig ein
missbrauchendes Familienmitglied (Vater, Onkel etc.) und eine Bindungsperson (z.B. Mutter), die den
Missbrauch nicht sieht oder sogar wegschaut. In diesem Workshop soll anhand von Einzelfällen die
Beziehung von Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung zu diesen „scheinheiligen Müttern“
herausgearbeitet werden. Mit Hilfe von Videoaufnahmen des „Adult Attachment Interview“ (AAI; George
et al. 1984), des „Adult Attachment Projective (George et al. 1997) und des „Strukturierten Interviews zur
Persönlichkeitsorganisation“ (Clarkin et al. 2004) sollen Bindungs- und Strukturdiagnostik exemplarisch
mit speziellem Fokus auf die Beziehungserfahrungen mit einer „scheinheiligen Mutter“ vermittelt werden.
Klinische Implikationen werden diskutiert.
Literatur
Buchheim A, West M, Martius P, George C (2004). Die Aktivierung des Bindungssystems durch das Adult Attachment Projective bei
Patientinnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung – ein Einzelfall. Persönlichkeitsstörungen 8, 230-242.
Clarkin JF, Caligor E, Stern BL, Kernberg OF (2004). Structured Interview of Personality Organization (STIPO). Unpublished
Manuscript. Personality Disorders Institute, Weill Medical College of Cornell University, New York. (Deutsche Übersetzung
von S. Doering, Universität Münster, freier download unter:
http://zmkweb.uni-muenster.de/einrichtungen/proth/dienstleistungen/psycho/diag/index.html).
George C, Kaplan N, Main M (1984). (1984/1985/1996). Attachment interview for adults. Unpublished manuscript. University of
California, Berkeley.
George C, West, M, Pettem O (1997). The adult attachment projective. Unpublished attachment measure and coding manual. Mills
College, Oakland, CA.
Charlotte Ramb, Martin Lison: „Psychose versus Borderline“
Jörg Weidenhammer: „Lug und Trug als Lebensform“
Stephan Doering: „Grenzsetzungen in der Borderline-Therapie“
Es ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass Borderline-Patienten von einem klar strukturierten
Therapierahmen profitieren. Dazu gehören zum einen klare und verlässliche Absprachen hinsichtlich des
Therapiesettings, Erreichbarkeit des Therapeuten, Honorarfragen und Umgang mit Absagen von
Sitzungen. Zum anderen ist es wichtig, den Formen des Agierens beim Patienten Grenzen zu setzen, die
den Patienten oder andere gefährden, oder die das Fortbestehen der Therapie in Frage stellen.
Insbesondere in störungsspezifischen Therapieansätzen ist es inzwischen üblich, einen mündlichen oder
schriftlichen Therapievertrag zu vereinbaren, der die Verantwortung von Therapeut und Patient und
Vereinbarungen zum Umgang mit verschiedenen Gefahren und Krisen zum Inhalt hat. Am Beispiel des
Therapievertrags in der Übertragungs-fokussierten Psychotherapie (TFP) wird in diesem Workshop unter
Einbeziehung von Praxisbeispielen der Umgang mit dem Therapievertrag diskutiert.
Carsten Spitzer: „Dissoziative Störungen“
Dissoziative Phänomene und Störungen finden sich sehr häufig bei Patienten mit
Persönlichkeitsstörungen, zumal Dissoziation in der Regel auf persönlichkeitsstrukturelle Defizite und/
oder biographisch frühe Traumatisierungen verweist. In dem Workshop wird nach einer kurzen
historischen Einführung die heterogene Phänomenologie dissoziativer Psychopathologie erarbeitet und
an Hand von Videobeispielen demonstriert. Neben Hinweisen auf diagnostische Instrumente zur
Erfassung dissoziativer Symptome und Störungen werden psychodynamische Interpretationsansätze und
daraus resultierende therapeutische Implikationen gerade bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen
diskutiert. Die Teilnehmer sind herzlich eingeladen, eigenes „Fallmaterial“ in das Seminar einzubringen.
Dissoziative Phänomene und Störungen finden sich sehr häufig bei Patienten mit
Persönlichkeitsstörungen, zumal Dissoziation in der Regel auf persönlichkeitsstrukturelle Defizite und/
oder biographisch frühe Traumatisierungen verweist. In dem Workshop wird nach einer kurzen
historischen Einführung die heterogene Phänomenologie dissoziativer Psychopathologie erarbeitet und
an Hand von Videobeispielen demonstriert. Neben Hinweisen auf diagnostische Instrumente zur
Erfassung dissoziativer Symptome und Störungen werden psychodynamische Interpretationsansätze und
daraus resultierende therapeutische Implikationen gerade bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen
diskutiert. Die Teilnehmer sind herzlich eingeladen, eigenes „Fallmaterial“ in das Seminar einzubringen.
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