H I N T E R G R U N DI NF O R MA TI O N Die Zukunft der Zervixkarzinom-Vorsorge Das Zervixkarzinom ist nach dem Mammakarzinom weltweit die zweithäufigste Krebsart bei Frauen. In Deutschland erkranken daran jedes Jahr etwa 5.500 Frauen, etwa 1.500 von ihnen versterben an dieser Krankheit.1 Eine wichtige Maßnahme zur Verhinderung von Gebärmutterhalskrebs ist die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV), die inzwischen als Hauptursache für diesen Krebs identifiziert sind. 30 Prozent der Zervixkarzinome werden jedoch durch HPV-Typen verursacht, gegen die die Impfung keinen wirksamen Schutz bietet. Ebenfalls nicht indiziert ist die Impfung bei einer bereits vorhandenen HPV-Infektion. Umso wichtiger ist für alle Frauen die regelmäßige Teilnahme an der jährlichen Krebsvorsorgeuntersuchung zur Früherkennung und Vorbeugung. Experten sehen heute die Möglichkeit, mit einer Kombination aus Impfung und einem effektiven Screening das Zervixkarzinom innerhalb einiger Jahrzehnte vollständig zu eradizieren. Bisherige Vorsorge in Deutschland unzureichend Jede Frau sollte ab dem 20. Lebensjahr einmal jährlich vom Gynäkologen einen zytologischen Abstrich vom Gebärmutterhals (Pap-Abstrich/Pap-Test) vornehmen lassen. Die Kosten dieser Untersuchung werden von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Der im Jahr 1971 in die Krebsvorsorge aufgenommene Pap-Test hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Zervixkarzinom heute seltener auftritt und die Sterblichkeit zurückgegangen ist. Allerdings nehmen zwischen 30 und 60 Prozent der Frauen nicht an der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchung teil. Zudem ist die Sensitivität des Pap-Tests gering: Nur etwa 50 Prozent der Karzinome und direkten Vorstufen werden durch einen einmaligen Abstrich erfasst2. Ein wesentlich zuverlässigeres Verfahren zum Nachweis von Zellveränderungen am Muttermund ist der digene® HPV Test. Er identifiziert die eigentliche Ursache des Zervixkarzinoms: die Hochrisiko-Typen des HP-Virus. Der Test alleine erreicht eine Sensitivität von knapp 98 Prozent3. Wenn Pap-Abstrich und HPV-Test kombiniert werden, beträgt die Sensitivität bis zu 100 Prozent. Es werden also praktisch alle Krebsvorstufen entdeckt.4 Der HPV-Test in der Vorsorge für Frauen ab 30 Während sich von den sehr jungen Frauen mit Beginn ihrer sexuellen Aktivität innerhalb weniger Jahre etwa jede zweite (meist nur vorübergehend) mit HPV infiziert 5, nimmt die Ansteckungsgefahr mit zunehmendem Alter bei den meisten Frauen ab. Von den über 30Jährigen sind etwa sechs Prozent mit Hochrisiko-HPV-Typen infiziert.6 Jedoch besteht in 1 dieser Altersgruppe häufiger als bei Jüngeren eine dauerhafte – also potenziell Krebs verursachende – Infektion, nämlich bei immerhin 2,5 Prozent. Anhaltend mit HPV infizierte Frauen müssen als Risikogruppe für die Entwicklung eines Zervixkarzinoms angesehen werden. Innerhalb von vier bis 36 Monaten führt eine Infektion mit Hochrisiko-HPV bei etwa 20 Prozent der Betroffenen zu hochgradig krebsverdächtigen Zellveränderungen. 7 In einem Zeitraum von mindestens sieben Jahren kann ein Karzinom entstehen. Meist dauert diese Entwicklung jedoch sehr viel länger. Um die Entstehung eines invasiven Zervixkarzinoms zu verhindern, müssen verdächtige Zellanomalien möglichst früh erkannt werden. Für Frauen im Alter ab 30 Jahren sollte der HPV-Test deshalb ein fester Bestandteil im Krebsvorsorgeprogramm sein. Leitlinienempfehlung der DGGG Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) empfiehlt in ihrer S2kLeitlinie8, Frauen ab 30 Jahren im Rahmen des Zervixkarzinom-Primärscreenings routinemäßig auch auf eine Infektion mit Hochrisiko-Typen des Humanen Papillomvirus (HRHPV) zu testen. Der digene® HPV Test soll in Kombination mit dem Pap-Test eingesetzt werden. Fallen beispielsweise sowohl HPV-Test als auch Pap-Abstrich negativ aus (kein HPV-Nachweis, keine höhergradigen Zellveränderungen), kann entsprechend der Leitlinie das Intervall der Vorsorgeuntersuchung an der Zervix verlängert werden. Das mögliche Vorgehen stellt sich wie folgt dar: Auch bei Verlängerung des Screeningintervalls auf Gebärmutterhalskrebs sollten Frauen unbedingt weiterhin an den jährlichen gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. 2 Diese Screenings schließen unter anderem ein Abtasten der Brust und der Brustdrüsen zur Frühdiagnostik von Brusterkrankungen ein. Zukunftsweisendes Pilotprojekt – das Wolfsburger Modell In Deutschland wird die Effektivität einer kombinierten Vorsorgeuntersuchung mittels digene® HPV Test und Pap-Abstrich seit 2006 im Rahmen eines Pilotprojektes – dem so genannten Wolfsburger Modell – überprüft. Initiiert von der Deutschen Betriebskrankenkasse (Deutsche BKK), dem Wolfsburger Klinikum und niedergelassenen Gynäkologen in Wolfsburg werden die Parameter Durchführbarkeit, Akzeptanz und Kosteneffizienz einer kombinierten Untersuchung mittels Pap- und HPV-Test im Primärscreening untersucht. Das Angebot ist für Versicherte der Deutschen BKK in Wolfsburg ab einem Alter von 30 Jahren kostenfrei und wurde bisher von mehr als 19.000 Frauen in Anspruch genommen. „Die Akzeptanz ist sehr hoch“, sagt Prof. Dr. Karl Ulrich Petry vom Klinikum Wolfsburg, der das Projekt leitet. „In der gesamten Zeit lehnten lediglich zwei Frauen das Angebot ab.“ Die jüngste Auswertung der Ergebnisse zeigte, dass in 4,81 % der Fälle trotz unauffälliger Zytologie der HPV-Test positiv war. Bei genauerer Diagnose wurden in dieser Gruppe dreimal invasiver Gebärmutterhalskrebs, in vier Fällen Adenocarcinoma in situ und 61 Fälle mit CIN3+ festgestellt. „Mit dem bisherigen Screeningsystem wären diese hochgradigen Vorstufen verzögert oder sogar erst als Krebserkrankung diagnostiziert worden“, erklärt Petry. Im Wolfsburger Projekt konnte die Erkennungsrate von CIN3+ verdoppelt werden. „Würde der HPV- Test wie in unserem Modell flächendeckend eingesetzt, so könnte in Zukunft etwa die Hälfte aller Zervixkarzinome vermieden werden. Wenn es der deutschen Gesundheitspolitik tatsächlich ernst damit ist, sich an evidenzbasierter Medizin auszurichten, dann muss die bisherige Vorsorge in Deutschland zwingend geändert werden“, so Petrys Resümee. HPV-Test im Primärscreening auch kosteneffektiv Eine Reihe breit angelegter Untersuchungen in mehreren Ländern, darunter Kanada 9, die Niederlande10, Schweden11, Italien12 und Indien13 (siehe auch Studienübersicht), haben ebenfalls übereinstimmend ergeben, dass der HPV-DNA-Test sensitiver ist und nach einem negativen Ergebnis einen besseren Langzeitschutz vor CIN2+ und invasivem Zervixkarzinom bietet als die Zytologie alleine. Zudem gibt es überzeugende Belege dafür, dass das Risiko für CIN2+-Läsionen im Anschluss an einen negativen HPV-Test bis zu sechs Jahre lang extrem niedrig ist. „Wir haben es hier mit einem neuen Paradigma für langfristig kostengünstiges Screening zur Prävention von Gebärmutterhalskrebs zu tun“, so die Einschätzung von Professor Jack Cuzick vom Cancer Research UK Centre for Epidemiology, Mathematics and Statistics, London. „Der Wert des HPV-DNA-Tests als Langzeit-ScreeningInstrument ist überzeugend belegt. Zudem liegen umfangreiche Patienten-Sicherheitsdaten vor, die erkennen lassen, dass der Schutz nach einem negativen HPV-DNA-Testergebnis wesentlich länger andauert als nach einem negativen Zytologieergebnis.” Viele deutsche Experten hoffen daher, dass zukünftig bundesweit die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den HPV-Test in Höhe von 50 bis 95 Euro im Primärscreening für Frauen ab dem 30. Lebensjahr übernehmen. Während diese aktuell von den meisten privaten 3 Krankenversicherungen erstattet werden, sind sie für gesetzlich Versicherte in der Regel eine individuelle Gesundheitsleistung (IGeL). 1 Robert Koch-Institut und Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. Krebs in Deutschland 2005-2006. Häufigkeiten und Trends; Robert Koch-Institut, Zentrum für Krebsregisterdaten (2010). Verbreitung von Krebserkrankungen in Deutschland. Entwicklung der Prävalenzen zwischen 1990 und 2010. 2 Cuzick J. et al. Overview of the European and North American studies on HPV testing in primary cervical cancer screening. Int J Cancer 2006;119:1095-1101 3 Mayrand MH et al. Human papillomavirus DNA versus Papanicolaou screening tests for cervical cancer. N Engl J Med 2007;357:1579-1588 4 Petry KU et al. Inclusion of HPV testing in routine cervical cancer screening for women above 29 years in Germany: results for 8466 patients. Br J Cancer 2003;88:1570-72 5 Ho GY et al. Natural history of cervicovaginal papillomavirus infection in young women. N Engl J Med 1998; 338:423-428 6 Petry KU. HPV-Screening zur Früherkennung des Zervixkarzinoms. Der Gynäkologe 2003;36:289-296 7 Bory JP et al. Recurrent human papillomavirus infection detected with the hybrid capture II assay selects women with normal cervical smears at risk for developing high grade cervical lesions: a longitudinal study of 3,091 women. Int J Cancer 2002;102(5):519-25 8 Interdisziplinäre S2k-Leitlinie für die Prävention, Diagnostik und Therapie der HPV-Infektion und präinvasiver Läsionen des weiblichen Genitiale. AWMF 015/027 (Stand: 07/2008) über: www.dggg.de 9 Mayrand MH et al. Human papillomavirus DNA versus Papanicolaou screening tests for cervical cancer. N Engl J Med 2007;357:1579-1588 10 Bulkmans NWJ et al. Human papillomavirus DNA testing for the detection of cervical intraepithelial neoplasia grade 3 and cancer: 5-year follow-up of a randomised controlled implementation trial. Lancet 2007;370:1764-72 11 Naucler P et al. Human papillomavirus and Papanicolaou tests to screen for cervical cancer. N Engl J Med 2007;357:1589-1597 12 Ronco G et al., Efficacy of human papillomavirus testing for the detection of invasive cervical cancers and cervical intraepithelial neoplasia: a randomised controlled trial. The Lancet Oncology 2010;11(3) :249-257 13 Sankaranarayanan R et al. HPV Screening for Cervical Cancer in Rural India. N Engl J Med 2009;360:1385-1394 4