Interview „Am besten wirst du Arzt. Wie Eltern ihren Kindern wirklich helfen „Die Arbeitswelt von morgen können wir Eltern uns noch kaum vorstellen“ Beeinflussen Eltern die Berufswahl? Und wie! Nichts hat einen nachhaltigeren Einfluss als das berufliche Leben der Eltern. Die Eltern bestimmen ja unser gesamtes Bild von Arbeit. Wie unsere Eltern Arbeit erlebten und lebten, so lernen wir sie kennen. Kinder von Beamten sehen eine ganz andere Welt als Kinder von Selbstständigen. Es kann, in beiden Fällen, eine traurige und auch eine schöne Welt sein. Denn natürlich gibt es unglückliche und glückliche Beamte genauso wie glückliche und unglückliche Selbstständige. Dass die Familienberufsgeschichte so wichtig ist, heißt indes nicht, dass Kinder von Beamten immer selbst in die Verwaltung streben. Es kann sein, dass sie genau aus dem Grund – eben weil sie einen Beamtenhaushalt erlebt haben - das Unternehmertum anstreben. Ist das denn ein Problem? Nein, wenn die Kinder sich damit beschäftigt haben, warum sie solche Entscheidungen treffen. Nur wenn es eine reine Fluchtbewegung ist, kann diese falsch sein. Beispiel: Ein Arztsohn entscheidet sich gegen das Medizinstudium, weil der Vater unglücklich im Job war. Er selbst ist aber ein topgeeigneter Mediziner. Sie schreiben von Identifikation und Revolution. Genau. Entweder ich identifiziere mich mit dem, was die Eltern tun oder ich grenze mich ab. Das ist wichtig und richtig, nur sollte dies bewusst geschehen. So mag der Sohn eines Dachdeckers den Ehrgeiz entwickeln, akademische Ehren zu erlangen, weil er den Elternwünschen entsprechen möchte. Und der Sohn eines Arztes entscheidet sich für ein Handwerk, aus Protest. Empfehlen Eltern heute denn noch Berufe? Oh ja, nur häufig nicht mehr diktatorisch „Du musst...“ Es ist unterschwellig, indirekter. Ich kann aber auch einer indirekten Berufsempfehlung Folge leisten oder ihr widersprechen. Man sieht es auf den ersten Blick nicht, aber in beiden Fällen hat der Beruf der Eltern Wesentliches zur Entscheidung beigetragen. Möglicherweise hat der Arzt-Papa immer gezeigt, wie wenig er seinen Job mag. Vielleicht hat der Dachdecker lange Phasen der Arbeitslosigkeit vorgelebt und den damit einhergehenden Frust. Was bewirken denn Empfehlungen von Eltern? Nehmen wir Peter: Seine Mutter ist Erzieherin und hat gehört, dass Informatik eine gute Wahl sei, da es Job-Sicherheit verspreche. Das sagt sie nicht mal direkt - allein die Erwähnung von Vorbildern und das ewige Hinweisen auf die Arbeitslosigkeit von Papa, der „nur“ Kaufmann ist, reicht schon. Ein nach Anerkennung der Eltern suchendes Kind, wird das annehmen. Und sich nicht hinterfragen, ob das Studium und auch der Job, den er hinterher bekommen kann zu ihm passt. Ein kritischeres Kind wird die Empfehlung ablehnen und sich vielleicht aus Protest für genau das Gegenteil entscheiden. Beide Wege sind nicht optimal. Wie macht man es dann richtig? Eltern müssen begreifen, dass sie eine wichtige Rolle für die Berufswahl spielen, gleich, ob sie eine direkte Empfehlung geben oder nicht. Deshalb müssen sie ihre Rolle positiv ausfüllen. Das bedeutet, dass sie keinen „Tipp“ geben, sondern bei der Auswahl helfen. Das Beste, was sie für ihr Kind tun können, ist, es bei seiner Recherche zu begleiten. Sie haben die Aufgabe, ihr Kind durch die Phase der Orientierung zu begleiten und es anzuleiten, sich Informationen zu beschaffen, die eine fundierte Entscheidungsgrundlage ermöglichen. Sie müssen ihm raten, nicht nur im Internet zu googeln, sondern auch Gespräche zu führen. Sie müssen kritisch sein, gerade dann, wenn ihr Kind es nicht ist. Sie müssen sich aber auch selbst auf den neuesten Stand bringen. Und wenn das Kind genau weiß, was es will? Wunderbar, das betrifft etwa zwei Prozent eines Jahrgangs, aber wenn es so ist: Interesse Kinder sind ein Geschenk. Die braucht man nicht anleiten. Ich meine aber richtiges Interesse, nicht der oft irreale Wunsch nach Glanz und Glamour im Fernsehen oder der nach „irgendwas mit Medien“. Was bedeutet die veränderte Arbeitswelt für die Berufswahl? Es ist ganz wichtig, sich darüber klar zu sein, wie sich die Arbeitswelt verändert. Wir Eltern dürfen nicht davon ausgehen, dass bei den Kindern alles so bleibt wie bei uns. Wir mögen sagen: Das fügt sich schon alles. Doch treiben lassen funktioniert nur noch bedingt. Es gibt viel mehr Möglichkeiten und der komplett zufällige Lebensweg ist definitiv ein Auslaufmodell. Deshalb muss ich mich als Elternteil, der Lehrer, Arzt oder Versicherungskaufmann ist, damit beschäftigen, was auf die Kinder zukommt. Wir neigen dazu Empfehlungen auf der Basis unserer Erfahrung von gestern zu geben. Überlegen Sie mal, wie schnell sich Smartphones durchgesetzt haben. Es gibt Drucker für Schuhe und Häuser und Putz-Roboter. Die Arbeitswelt von morgen können wir uns noch kaum vorstellen. Es wäre deshalb idiotisch von unseren eigenen Erfahrungen auf die unserer Kinder zu schließen.