Politische Identitäts- und Bewusstseinsbildung im Kontext europabezogenen Lernens Grundlegende Intentionen und Fragestellungen Die Einführung des Euros als gemeinsame europäische Währung, die Erweiterung der Europäischen Union auf nunmehr 27 Mitgliedsländer, das Forschreiten des Ratifizierungsprozesses der Europäischen Verfassung sowie die weitere Bündelung ehemals nationalstaatlicher Politikfelder auf europäischer Ebene verdeutlichen, dass die Europäische Union die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in ihrer Alltagswelt stärker betrifft, als das bisher allgemein wahrgenommen wurde. So sind zum Beispiel schon jetzt über 50 Prozent aller nationalen Gesetze Ausdruck europäischer Rechtssetzung. Insbesondere Jugendliche können sich der zunehmenden Europäisierung nicht verschließen, da sie das Europa von morgen gestalten werden. Europabezogenes Lernen und der intensiver werdende interkulturelle Austausch werden im zusammenwachsenden Europa immer mehr zu einer Selbstverständlichkeit, zumal Schule, Ausbildung, Beruf und Freizeit weiter europäischen Charakter annehmen. Die Bedeutung von Entscheidungen auf europäischer Ebene steht dabei jedoch offenkundig in Diskrepanz zu den geringen Wissensgrundlagen und ambivalenten Einstellungen, die in der Regel mit Europa verbunden sind. Hinsichtlich der Akzeptanz bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen steckt die EU in einer „Erfolgsfalle“. Die mit dem Integrationsprozess verbundenen Folgen – wie z.B. die offenen Grenzen, der freie Warenaustausch, die EU-Mitgliedschaft – betrachten Jugendliche als Selbstverständlichkeit. Andererseits entstehen aber Risiken für ihre Alltagsbewältigung, z.B. wachsende Mobilität und Freizügigkeit bei der Arbeitssuche, aber auch steigender technologischer Wandel und immer häufiger notwendige berufliche Umorientierung. Europäische Entwicklungen und Lernerfahrungen sowie interkulturelle Lehr- und Lernräume finden sich zusehends auch „vor Ort“. Für viele Jugendliche wird es insgesamt immer schwieriger, die besonderen Vorteile der EU wahrzunehmen, da die notwendige affektive und kognitive Bindung selten gegeben ist. Obwohl die EU ein hochkomplexes und dynamisches Aufgabenfeld der politischen Bildung darstellt und der Umgang mit europäischer Komplexität in der Schule dezidiert gefordert wird, scheint es bislang nicht zu gelingen, eine europapolitische Bildung zu vermitteln. Diese kann nicht die Aufgabe haben, für die EU zu werben, sondern muss die tatsächliche politische Bedeutung der europäischen Integration verständlich machen, Probleme und offene Zukunftsfragen herausarbeiten und eine reflektierte Urteilsbildung fördern. Letztlich ist davon auszugehen, dass die Politische Bildung partiell daran scheitert, an bestehende Einstellungsmuster, Vorurteilsstrukturen und Europabildern von Jugendlichen anschlussfähig anzuknüpfen, weil über die europäischen Identitäts- und Bewusstseinsbildung 1 bei Kindern und Jugendlichen noch zu wenig bekannt ist. Um sich diesem Forschungsdesiderat zu nähern, geht das Forschungsvorhaben der Fragestellung nach, wie eine europäische Identitäts- und Bewusstseinsbildung bei Jugendlichen geprägt wird und wie diese gefördert werden kann. Im Besonderen wird dabei zu fragen sein: In welchen Lebensweltbezügen begegnen Jugendliche der europäischen Wirklichkeit? Wie nehmen sie den Prozess der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Integration einschließlich gegenläufiger Tendenzen in Europa wahr? Wie wird Jugendlichen bewusst, dass sie in ihrem Alltag und für ihre Zukunft von diesem Prozess betroffen sind? Wie nehmen Jugendliche wahr, dass sie zukünftige Bürger/innen eines größeren, grenzüberschreitenden Gemeinwesens sind? Welche Informationen über Motive und Perspektiven des europäischen Integrationsprozesses sind für Jugendliche wichtig? Wie reflektieren und bewerten sie diese Informationen? Wie können Jugendliche eine europäische Identität hin zum „Europa-Bürger“ entwickeln? Zur Hypothesenbildung wird hierbei die Vision einer europäischen Bewusstseinsbildung auf der Basis der bisher kaum vorhandenen politikdidaktischen Ansätze kategorial aufgeschlüsselt. Daraus könnte sich ein Indikatoren-Set ergeben, das unter anderem folgende Aspekte politischer Sozialisationsprozesse bei Kindern und Jugendlichen umfasst: Kultureller Hintergrund Soziometrische der Herkunftsfamilie Daten, Motivation bzw. zum Migrationshintergrund, Spracherwerb, Idole, Familienbilder, Peer-Group-Milieu, Mediennutzung, Reisen, Wissen über Europa, Bürgerleitbilder, Schulerfahrungen etc. . Methodischer Ansatz - Schriftliche Befragung mit weitgehend standardisiertem Fragebogen, ggf. ergänzt durch Leitfadeninterviews mit Jugendlichen der Sekundarstufen I und II - Lehrplananalysen und Schulbuchvergleiche Einordnung in Fachgebiete und Forschungsprofile der Universität Augsburg Die europäische Dimension der Polischen Bildung bezieht sich insbesondere auf den Bereich des Interkulturellen Lernens und der Internationalen Politik. Der Lehrstuhl für Didaktik der Sozialkunde sieht sich in diesem Zusammenhang zur Vermittlung einer bürgergesellschaftlichen politischen Kultur verpflichtet, die über die ethnischen und politischen Grenzen des Nationalstaates hinausgeht und die europäische Vernetzung von Gesellschaften und politischen Systemen in ihrer Komplexität, Abstraktheit und Kohäsion etc. thematisiert. Insofern ergeben sich auf diesem Gebiet enge Bezüge zur Internationalen Politik im Rahmen der Politikwissenschaft. Da die europäische Wirklichkeit vor dem Hintergrund 2 der kulturellen Heterogenität der gegenwärtigen Schülergeneration die Schulen längst erreicht hat, lässt sich das Forschungsvorhaben auch im DFG-Sonderforschungsbereich Heterogenität und Bildungserfolg sowie im geplanten Kompetenzzentrum Kultur- und Bildungswissenschaft verorten. Modularisierung / Bereitstellung von Modulen Die Einbindung der europäischen Dimension politischer Bildung in die Modularisierung der verschiedenen Studiengänge erfolgt in gleicher Weise wie in dem bereits beschriebenen Forschungsprojekt zur UN-Weltdekade der Bildung für nachhaltige Entwicklung (siehe Seite 4). Kooperation mit Bildungsinstitutionen - Hauptschulen und entsprechende Schulämter verschiedener Landkreise und kreisfreier Städte - Gymnasien und Realschulen. Aktueller Stand des Forschungsvorhabens und Kontextualisierung in der Lehre Zielperspektiven der auf die EU ausgerichteten Lehrveranstaltungen soll es sein, dass Studierende in die Thematik des europabezogenen Lernens eingeführt werden. In diesem Zusammenhang sollen sie Gelegenheit erhalten, im Rahmen des forschenden Lernens in der Schule selbst Aspekte einer Identitäts- und Bewusstseinsbildung bei Jugendlichen zu ermitteln und zu fördern. 3