Merz und Niebel

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Merz und Niebel
Friedrich Merz und Dirk Niebel gehören einer Gruppe an, die in diesem Land zu Recht nicht
mehr „Elite“ genannt wird, sondern „politische Klasse“.
Eigentlich ist „Klasse“ als Bezeichnung für einen Teil der Gesellschaft auch nicht mehr
korrekt, denn dahinter lugt der böse Karl Marx hervor. Und in einer Zeit, in der man sich
schon nicht traut, die Unterschicht auch Unterschicht zu nennen, gilt das Wort von der
sozialen Klasse als noch größere Verfehlung.
Tatsächlich gibt es keine geschlossene Arbeiterklasse mehr und schon gar keine mit einem
revolutionären Bewusstsein. Das hat die Zeit mit sich gebracht. Aber bei Politikern ist die
Bezeichnung „Klasse“ doch wieder gut, denn viele von ihnen eint ein nur dort feststellbares
Bewusstsein, das allerdings nicht revolutionär, sondern eher illusionär ist.
Jüngste Beispiele dafür sind die genannten Protagonisten. Friedrich Merz hat mit dem Volke,
das er repräsentieren soll, etwa so viel zu tun wie eine Palme mit der Arktis. Er stammt aus
dem Sauerland, hat in Bonn studiert und war Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Eigentlich ist er mehr Unternehmer als Rechtsanwalt. Er wehrt sich dagegen, dass seine
wirtschaftlichen Verhältnisse transparent gemacht werden, weil er nun einmal Abgeordneter
des Deutschen Bundestages ist. Dass Abgeordnete ihr Mandat verhökern, kann er sich nicht
vorstellen, und so akzeptiert er keine Transparenz, weil er nicht sieht, dass dieses Mandat
nicht ihm, sondern dem Volk gehört. Merz ist Spitze, und er weiß das: Blitzintelligent,
rhetorisch brillant, konzeptionell gut drauf: Darin ist er weit über dem Durchschnitt, auch über
dem Durchschnitt seiner Kollegen im Deutschen Bundestag. Dass er das weiß, kann und will
er nicht verbergen, lässt es die anderen spüren. Deswegen ist er als politischer Führer
gescheitert, deswegen konnte Angela Merkel ihn ausstechen. Denn „die anderen“ haben nicht
gerne jemanden über sich, dessen intellektuelle Überlegenheit ihnen gewärtig ist. Sie folgen
lieber Menschen, die in ihren Biographien oder ihrem Auftreten Brüche haben und von daher
Emotionen erzeugen. Schröder, Fischer oder Blüm sind solche Menschen. Merz nicht.
Nun verlässt Merz die Politik, denn sein Bewusstsein war allzu illusionär. Eine Steuerreform
auf einem Bierdeckel ist zwar schick für die Medien aber nicht realisierbar in der praktischen
Politik. Und wo sind denn die Massen, die Friedrich Merz folgen könnten, wenn er schreibt:
„Der Umbau des Sozialstaates ist dringend nötig. Denn nur so vermeiden wir schwere soziale
Verwerfungen…“? Da folgt ihm keiner, auch wenn er die Verwerfungen vorsichtiger Weise
für die Mittelschichten prognostiziert und die größer werdende Unterschicht erst gar nicht
erwähnt. Alle glauben Merz, dass er den Sozialstaat umbauen möchte. Aber keiner glaubt,
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dass er dadurch den Unteren helfen will. Deswegen hat er in der Großpartei CDU Einfluss
und Status verloren.
Da kommt Dirk Niebel daher, Generalsekretär der FDP und traut sich etwas. Die FDP, so sagt
er, werde sich nach dem Abgang von Merz „verstärkt an die in der Union und von der Union
enttäuschten Anhänger der sozialen Marktwirtschaft wenden.“ Viele werden es nicht sein, die
sich da angesprochen fühlen. Fast drohend fügt der Generalsekretär daher hinzu: „Was mit
der Union nicht mehr geht, das geht mit uns.“ Warum bietet Niebel Merz nicht gleich die
Mitgliedschaft in der FDP an? Weil er es – ebenso wie die meisten seiner CDU-Kollegen –
auch nicht ertragen könnte, dass da einer elitär über das Durchschnittsniveau auch der FDPParteigänger hinweg agiert, und wohl, weil Niebel ahnt, dass Merz viel zu schlau ist, sich der
FDP zu verpflichten. Denn der Generalsekretär der FDP hat ebenso wie andere Angehörige
der politischen Klasse illusionäre Vorstellungen: „…das geht mit uns.“ Sieht der Mann nicht,
dass mit seiner Partei seit 1998 gar nichts mehr geht? Die Partei, die bis dahin am längsten
mit regiert und gestaltet hat, ist seit 1998 drei Mal vom Volk in die Opposition geschickt
worden. Ihr Teil der politischen Klasse gebärdet sich dabei als Gesinnungspolitiker: Nicht wir
sind schuld, dass wir nicht wieder an die Macht kommen, sondern das uneinsichtige
Wahlvolk. Das sieht halt nur den neoliberalen Eifer aber keine soziale Absicht der FDP.
Wozu also trauert Niebel dem Herrn Merz nach? Um einer Illusion willen.
Aber der Diplomverwaltungswirt und – auch er ! – Fallschirmspringer hat noch eine weitere
Illusion: Er hält sich für einen Gralshüter der Markwirtschaft. Hat ihm der Herrgott das in die
Wiege gelegt, oder wie kommt er darauf? Diese Illusion nun führt dazu, dass er eine dicke
parteiensoziologische Fehleinschätzung verbreitet: „Die FDP setzt alles daran, das
freiheitliche Gegengewicht zu allen Sozialdemokraten zu sein.“: „zu allen…“ - auch das
noch! Weiß Herr Niebel nicht, dass es Otto Wels und nicht Theodor Heuss war, der 1933 eine
mutige
Rede im Reichstag gegen Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ gehalten hat? Für die
Freiheit hat der Sozialdemokrat sein Leben riskiert. Auch scheint ihm nicht präsent zu sein,
dass nach Ludwig Erhard Karl Schiller – ein Sozialdemokrat – der erfolgreichste
marktorientierte Wirtschaftsminister der Republik war – erfolgreicher auch als seine
„liberalen“ Nachfolger.
Herr Niebel ist Generalsekretär jener Partei, der auch ich angehöre. Er ist offensichtlich
Genosse der illusionistischen politischen Klasse. In meinem Berufsleben habe ich als
Staatssekretär und FDP-Mitglied mit viel Gewinn für einen Politiker gearbeitet, der im Leben
wie in der Politik freiheitsliebend und Marktwirtschaftler durch und durch zugleich war:
Senator Dr. Peter Mitzscherling. Das war ein gestandener Sozialdemokrat, der sich seinen
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Realismus bewahrte und nicht zum Illusionisten mutierte. Was hätte er, der früh Verstorbene,
wohl über die Äußerungen des Dirk Niebel gesagt?
Jürgen Dittberner
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