Jacques Camatte Gegen die Zähmung Die kapitalistische Gesellschaft hat nie eine so kritische Periode wie die gegenwärtige gekannt. Alle Elemente einer klassischen Krise existieren im Dauerzustand, ausser der Produktionsverminderung, die nur gewisse Länder in beschränktem Umfang betrifft. Wir wohnen einer Zersetzung der gesellschaftlichen Beziehungen und des traditionellen Bewusstseins bei. Jede Institution rekuperiert die sie bekämpfende Bewegung (die katholische Kirche zählt ihre Aggiornamenti nicht mehr!). Die Gewalt und die Qualen, welche die Menschen empören, bewegen sollten, blühen und sind weltweit endemisch; gegenüber der heute praktizierten Tortur erscheint die „Barbarei“ der Nazi als handwerklich-archaische Methode. Alle Elemente sind beisammen, um eine Revolution zu begründen. Was aber hindert oder hemmt die Menschen, all diese Krisen aus der Neustrukturierung des Kapitals in eine Katastrophe für das Kapital zu verwandeln? Es ist die Zähmung. Sie ist eingetreten, als sich das Kapital als materielles Gemeinwesen installierte und dabei den Menschen fragmentierte und zerstörte. Das Kapital hat ihn nach seinem Bilde als kapitalisiertes Wesen zur Ergänzung seiner eigenen Anthropomorphose neu zusammengesetzt. Eng damit ist das Entkommen des Kapitals verbunden, welches die Passivität der Menschen noch verstärkt: die Kontrolle über die Wirtschaft geht verloren und diejenigen, welche kraft ihrer Stellung über diese einen Einfluss ausüben sollten, merken, dass sie ohnmächtig und überfordert sind. Das kommt in der weltweiten Währungskrise zum Ausdruck,. 1 aber auch in der Überbevölkerung, Verschmutzung und in der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Es ist folglich hundert Jahre zu spät, die Revolution antreiben zu wollen. Die Revolution entkommt den Revolutionären. Wenn irgendeine Erschütterung eintritt, dann geschieht sie ausserhalb von ihnen, weshalb die Revolutionäre der „Revolution“ hinten nachrennen müssen, um anerkannt zu werden. Die Menschen werden im eigentlichen Sinne des Wortes von der Kapitalbewegung überholt. Sie haben auf diese schon lange keinen Einfluss mehr. Viele suchen eine Lösung in der Flucht in die Vergangenheit (Zen, Yoga, Tantrismus etc. in den USA) oder in alte Mythen (Ablehnung der Wissenschaft, welche das ganze Leben despotisch beherrscht, und der Technik; dies häufig im Zusammenhang mit Drogenkonsum, der die Illusion verschafft, schnell zu einer andern Welt aus einer Welt Zugang zu finden, die grausamer als die Welt ohne Herz ist, von der Marx in der Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie spricht). Für Was man die Währungskrise nennt, betrifft nicht nur die Etablierung eines neuen Goldpreises und eines neuen allgemeinen Äquivalentes (ein neues Eich-System), die Einsetzung von „gültigen“ Paritäten zwischen den nationalen Währungen, die Integration der Ökonomien des Ostens in den Geldmarkt (Kapital als Totalität, Marx), sondern auch die Rolle des Kapitals unter der Geldform, oder genauer, die Überwindung der Geldform selbst, wie ja auch die Warenform überwunden worden ist. 1 1 andere kann die Lösung nur durch Wissenschaft und Technik erfolgen, viele Feministinnen beispielsweise, welche ihre Emanzipation in der Parthenogenese und in der Fabrikation von Babys in Retorten sehen. 2 Wieder andere möchten die Gewalt bekämpfen, indem Mittel gegen die Aggressivität bereitgestellt würden, etc. Ganz allgemein hat für diese Personen jedes Problem seine wissenschaftliche Lösung, weswegen sie sich passiv verhalten. Der Mensch ist in ihren Augen einfach ein manipulierbares Objekt. Sie sind unfähig, neue zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen (worin sie sich mit den Gegnern der Wissenschaft treffen). Sie merken nicht, dass eine wissenschaftliche Lösung eine kapitalistische Lösung ist, da sie den Menschen beseitigt und zur vollständigen Kontrolle der Gesellschaft strebt. Wer etwas unternehmen will, muss sich also Rechenschaft darüber ablegen, dass eine wirkliche Einflussnahme fehlt. Wenn man das zu überspielen trachten, erscheint die eigene Ohnmacht umso deutlicher. Die andern, die „schweigende Mehrheit“, sind von der Unmöglichkeit einer Einflussnahme durchdrungen. Ihr Schweigen ist keine reine Hinnahme, sondern eher Unfähigkeit zur Einflussnahme. Beweis dafür ist ihre Mobilisierung. Sie sind nie für etwas in Bewegung zu setzen, sondern immer nur gegen etwas: negative Passivität. Diese beiden Gruppen darf man nicht links und rechts ansiedeln. Hier spielt die alte politische Dichotomie nicht mehr. Es ist hier eine wichtige Verschiebung eingetreten: Früher waren diejenigen, welche sich für die Technik aussprachen, links, während jetzt die Technik von der Neuen Linken in den USA verdammt wird. Die Dichotomie dauert hinsichtlich der alten Gruppierungen weiter: die Rackets der Vergangenheit (Links- und Rechtsparteien). Sie hat aber keinen Sinn mehr, denn beide verteidigen auf die eine oder andere Weise das Kapital, am effektivsten aber die Linksparteien, denn sie sind darin wissenschaftlich und rational. Alle insgesamt aber wirken in einer Bewegung: in der Bewegung der Zerstörung der menschlichen Gattung. Es läuft nämlich auf dasselbe hinaus, sie auf einige alte Verhalten zu reduzieren oder sie einem technologischen Mechanismus zu unterziehen. Diese Alternativen gehören nämlich zu einem und demselben Entwicklungsstrang und begründen ihn; sie erscheinen von dem Moment an, wo die KPW substanziell den Produktionsprozess zu beherrschen beginnt und auch in der Gesellschaft eine wesentliche Kraft wird (Anfangs des 19. Jahrhunderts). Gegen Voraussetzung einer solchen absurden Forderung ist eine wissenschaftliche Illusion: die angenommene Unterlegenheit der Frau. Die Wissenschaft leitet daraus ihr Gebot ab, diesen Makel zu beheben. Braucht es zur Zeugung den Mann nicht mehr (Parthenogenese), dann für das Austragen auch nicht mehr die Frau (Embryonenkultur oder sogar Ovarienkultur). Stellt sich logischerweise die weitere Frage: Braucht es überhaupt noch die Gattung Mensch? Diese Leuten glauben alles mit Amputation beheben zu können. Warum nicht die Schmerzen durch Organentfernung beseitigen? Wer die gesellschaftlichen und menschlichen Fragen mittels Technik und Wissenschaft lösen möchte, macht die Menschheit letztlich überflüssig. Natürlich kann man die Frauenemanzipationsbewegung nicht auf diesen Aspekt reduzieren. Wir kommen später auf die Bedeutung zurück, die sie im Kampf gegen das Kapital einnimmt. Gerade für die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft und für die Kritik der traditionellen revolutionären Bewegung hat sie bemerkenswerte Elemente beigebracht. 2 2 das Kapital wendet sich beispielsweise Carlyle. 3 Marx ist eine Überwindung: Er bejaht die Entwicklung der Produktivkräfte als Notwendigkeit (und damit der Wissenschaft und Technik), denunziert aber die unmittelbare Auswirkung der Produktivkräfte auf die Menschen; für ihn stellt sich der Widerspruch so dar, dass die Entwicklung der Produktivkräfte erst mit der Zerstörung der KPW möglich wird, dann nämlich, wenn die Menschen diese Entwicklung lenken würden; dann sollte es keine Entfremdung mehr geben. Das setzte aber voraus, dass sich das Kapital nicht wirklich verselbständigen, sich nicht den Zwängen seiner sozioökonomischen Grundlage entziehen könnte, d. h. dem Wertgesetz, der Tauschbeziehung zwischen Kapital und Arbeit, dem Diktat des allgemeinen Äquivalenten etc. Das Kapital vermochte sich aber in Bezug auf seine Grundlage zu verselbständigen, indem es sie einfach vereinnahmte – und damit entkam es besagten Widersprüchen. Seit vielen Jahren stürmt es in seinem Entwicklungsgang vorwärts und wird zu einer schweren Bedrohung für die Menschheit und die ganze Natur. Nicht einmal die Sprecher der euphorischen und einlullenden Diskurse können das ignorieren. Bis zu einem gewissen Grade sind sie gezwungen, sich auf den Boden derjenigen zu stellen, welche den apokalyptischen Diskurs halten. Die Apokalypse ist in Mode, weil unsere Welt an ihr Ende gelangt ist. Das war eine Welt, wo der Mensch, so geschwächt und degeneriert er war, noch der Massstab war, der Bezugspunkt. Nach dem Tod Gottes wird derjenige des Menschen Der Kampf der Menschen gegen das Kapital ist bis anhin nur immer durch das extrem enge Prisma des Klassenkampfs betrachtet worden. Nur die aktiven Fürsprecher des Proletariates konnten als wirkliche Gegner des Kapitals Anerkennung finden, die andern galten als blosse Romantiker, Kleinbürger etc. Selbst nach dem Klassenkampfschema ist diese Betrachtungsweise zu eng, denn das Proletariat sollte alle Klassen abschaffen. Untersagt man dem proletarischen Standpunkt, den tragischen Diskurs gewisser Personen zu untersuchen, die sich gegen das Kapital richteten, ohne überhaupt ihren wahren Gegner richtig auszumachen Beispiel: Bergson), so verhindert man die Selbstzerstörung des Proletariates als Klasse. Heute, wo dieser Klassenstandpunkt jede solide Grundlage verloren hat, ist es sinnvoll, sich mit dem Inhalt des Denkens der Rechten zu beschäftigen. Die Rechte ist jene Widerstandsbewegung, welche an einem bestimmten Moment der Vergangenheit festhalten will. Die Strömung von Action française fordert zur Abschaffung der Klassenkonflikte, des kapitalistischen Hyperindividualismus, der Spekulation usw. eine Gemeinschaft, welche ihrer Meinung nach von einer Monarchie garantiert werden kann (siehe „Le capitalisme“ in „Les dossiers de l’Action française“). Es scheint, jede gegen das Kapital stossende Bewegung muss sich eine menschliche Gegebenheit, nicht irgendeine sondern eine grundsätzlich unveränderliche, vornehmen, worin sich die Menschen wiederfinden können. So wollten auch die Nationalsozialisten das Gemeinwesen, die „Volksgemeinschaft“, wieder herstellen. Man beachte auch ihre Diskussion um den Urmenschen. Unseres Erachtens haben das viele nicht richtig begriffen und als totalitäre Demagogie negiert. Die Nazi nahmen aber nur eine alte Forderung deutscher Soziologen, etwa von Tönnies und Weber, auf. Die Frankfurter Schule, insbesondere T. W. Adorno dagegen versackte im schlimmsten Demokratismus, da sie unfähig war, das Phänomen zu begreifen. Dabei hatte Marx gezeigt, dass es darum ging, wieder ein Gemeinwesen zu bilden, eine Bewegung, welche die ganze Menschheit umfasst. 3 Die Probleme in ihrer bestehen für alle. An verschiedenen politischen Ecken wird an Lösungen gearbeitet. Revolutionäre und Konterrevolutionäre unterscheiden sich in den vorgeschlagenen Lösungen, nicht in den Problemen an sich. Auch hier zeigt sich das racketistische Denken: Es gäbe theoretische Gebiete der Rechten und andere der Linken. Nehme man auf Fragen des feindlichen Lagers Bezug, so trete man zu diesem über. Man erhält dann jeweils die entsprechende Etikette. Auch hier stellt man Verdinglichung fest: Das Objekt ist entscheidend, nicht das Subjekt! 3 verkündet. Der eine wie der andere lassen ihren Platz der göttlichen Dienerin des Kapitals: der Wissenschaft. Diese ist heute auf der Suche nach Mechanismen der Anpassung (Eingliederung) der Menschen und der Natur an die KPW. Es ist klar, dass die am wenigsten zerstörten Menschen, vor allem die jungen, eine solche Anpassung und Zähmung nicht akzeptieren können und daher das System verwerfen. Die Zähmung geschah zuweilen mit Gewalt (primitive Akkumulation), häufiger jedoch auf hinterhältige Weise: die Revolutionäre akzeptierten nämlich dieselben Elemente wie das Kapital und vergötterten dieselbe Diva, gemeint sind die Produktivkräfte und die Wissenschaft. Zähmung und repressives Bewusstsein haben uns in Jahrhunderte altem Verhalten versteinert, haben unsere Gesten ebenso starr werden lassen, wie unsere Gedanken stereotyp. Entstanden ist daraus eine Armee von Salzfiguren, die auf die Vergangenheit gerichtet sind, selbst dort, wo sie in die Zukunft zu blicken glauben. Aber das Leben ist eingebrochen und hat wieder Bewegung gebracht, die Bewegung des Kommunismus. Es ist also keine neue Theorie, keine neue Aktionsform beigebracht worden. Es ist eh und je darauf angekommen, worauf Theorie und Handeln abzielten, welches der Punkt war, auf den die Forderungen hinausliefen. Es handelte sich nicht mehr um Politik, oder um Ideologie oder Wissenschaft, auch nicht Sozialwissenschaft, denn das alles wurde total zurückgewiesen. Dagegen setzte sich die Forderung nach Leben gleichzeitig gegen diese Gesellschaft und darüber hinaus: gegen die vom Kapital auferlegte Passivität, für die wiedergefundene Kommunikation zwischen den Menschen, für eine befreite Kreativität, für eine schrankenlose Phantasie in der menschlichen Entwicklung. Seit Mai-Juni 1968 ist alles verändert und verändert sich weiterhin. Man kann den Aufstand der Mittelschüler nicht verstehen, ohne auf jene Bewegung zu weisen. Wir haben Mai-Juni 1968 als Zeichen für die auftauchende Revolution charakterisiert und behauptet, dass mit ihm ein neuer revolutionärer Zyklus begonnen hat. Dabei stützten wir uns aber auf ein klassistisches Erklärungs-Schema ab.4 So waren wir noch der Meinung, die Bewegung vom Mai hätte das Ergebnis, das Proletariat auf die Grundlage seiner Klasse zurückzubringen. Zudem fanden wir im Ablauf der Ereignisse jenes Jahres die Revolutionstheorie nach Marx bestätigt: Zuerst treten diejenigen Klassen und Gesellschaftsschichten auf, die der herrschenden Gesellschaft am nächsten stehen, also die „staatstragenden“ Darauf intervenieren die unterdrückten Klassen, welche die Widersprüche lösen, welchen die andern Schichten mit Reformen begegneten. Marx nahm am Ablauf der englischen und französischen Revolution Mass. In der französischen Revolution beispielsweise gab es vor 1789 die bekannte Adelsrevolte, welche den Kampf des Bürgertums einleitete und vorspurte. Der aufgeklärte Absolutismus war ihr Produkt. Später traten Schichten des Bürgertums auf, welche von der Staatsmacht weiter entfernt waren, u. a. eine Art Intelligentsia, wie Kautsky sagt. Doch die Siehe die im Mai 1968 verteilte Schrift: „A propos de la semaine rouge: L’être humain est la véritable communauté de l’homme“ („Das menschliche Wesen ist das wirkliche Gemeinwesen des Menschen“, Marx); auch in Invariance Serie I, Nr. 4, 1968. 4 4 Reformen schlugen fehl und der Bruch des Systems zog den Fall des Königtums nach sich. Diese Entwicklung schob schlussendlich die Bauern und bras-nus (der Vierte Stand, das zukünftige Proletariat) in den Vordergrund. Sie vollzogen den Bruch und verunmöglichten eine Rückkehr zu den alten Zuständen. Ohne ihr Mitwirken hätte die Revolution im Sinne einer Änderung der Produktionsweise viel länger gedauert. In Russland verlief die Sache ähnlich. Man kann also sagen, dass die am meisten Unterdrückten und objektiv an einer Revolution Interessierten – die wirkliche revolutionäre Klasse, wie einige sagen – erst in Bewegung kommen, wenn der Bankrott eingetreten ist und der Staat in beträchtlichem Masse geschwächt ist. Erst dann ist der Weg offen und sei es auch nur, weil eine Rückkehr nicht mehr möglich ist. Es gilt also sehr wohl, etwas zu unternehmen. Das Ablaufschema zeigt im übrigen, dass keine Revolution reinen Klassencharakter hat. Für die kommunistische Revolution wird das noch viel ausgeprägter sein, denn sie ist nicht nur das Werk einer Klasse, sondern der ganzen Menschheit. Um auf die Gegenwart zurückzukommen, so stellt man fest, dass innerhalb der universellen Klasse, also die Menschheit als Sklavin des Kapitals, die dem Kapital am nächsten stehenden Gesellschaftsschichten, d. h. die Studenten und die neuen Mittelklassen, sich gegen das System erhoben haben. Sie (v. a. die Studenten) nahmen sich als besondere Gesellschaftsschicht wahr, welche als Zünder zur Explosion des Proletariates, der revolutionären Klasse, wirken sollte. Die Revolution erschien erneut im alten Gewand, in alten Schemata steckend. Immerhin interpretierte unsere Klassenanalyse ein wirkliches Phänomen, welches die wesentlichen Akteure des Mai sich nach den klassischen RevolutionsSchemata wahrnehmen liess. Tatsächlich waren es die Funktionäre des Kapitals, welche diesem am nächsten standen, ja sogar das Leben im Kapital rechtfertigen und ihm die notwendigen Repräsentationen liefern müssen 5, welche rebelliert haben. Diese Rebellion ist aber grundsätzlich rekuperierbar, solange sie sich im Geleise des Klassenkampfes bewegt: das Proletariat regenerieren wollen, damit es seine Aufgabe erfülle. Hier ist die Sackgasse. Die Rolle des Proletariates bestand darin, die kapitalistische Produktionsweise (KPW) zu zerstören, um die in dieser eingeschlossenen Produktivkräfte zu befreien. Erst dann sollte der Kommunismus beginnen können. Doch weit davon entfernt, die Produktivkräfte zu hemmen, exaltiert sie das Kapital, denn sie sind nicht für den Menschen, sondern für es. Also ist das Proletariat überflüssig. Dank der Entwicklung der Wissenschaft ist das möglich geworden. Dem entspricht aber die Zähmung der Menschen: Sie akzeptieren das Leben des Kapitals. Und der Marxismus selbst hat das Kapital selbst theoretisiert und verbissen die in ihm liegende Entwicklung der Produktivkräfte verteidigt. Mit der Verallgemeinerung der Lohnarbeit und der Löschung jeder möglichen Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit ist das Proletariat als Produzent des Mehrwerts negiert. Was bis anhin als Proletariat: künftiger Zerstörer des Kapitals, gerühmt wurde, wurde Wir sprechen hier von Technikern, Wissenschaftern, Politikern und Ökonomen wie den Mitgliedern des Club of Rome: S. Mansholt, R. Dumont, Laborit etc 5 5 mit dieser Entwicklung zu sichersten Stütze der KPW. Was ist es denn, was dieses Proletariat und die in seinem Namen Sprechenden und es Hätschelnden wollen? Sie wollen Vollbeschäftigung und Selbstverwaltung, also die Verewigung des Kapitals, indem ihm ein menschliches Gesicht gegeben wird. Sie halten den Produktionsprozess für die Rationalität in Aktion, weshalb man nur seinen Nutzniesser ändern müsste. Das sollte nunmehr der Mensch sein. Diese Rationalität ist aber das Kapital. Die Mythologie vom Proletariat haben wir den Populismus des Mai genannt. Die Benennung „Proletarismus“ wäre treffender gewesen: zum Proletariat gehen, seine kämpferischen Tugenden wecken, es an seine negative Kraft erinnern, damit es seinen üblen Chefs absage und den Proletaristen auf dem Weg der Revolution folge. Mit dem Mai 68 beginnt die Zeit der Verachtung. Man verachtet sich und den Andern oder die Andere, weil man bzw. sie keine Proletarier ist („prolo“), denn nur das Proletariat ist potenziell revolutionär. Darin drückt sich nur die Sackgasse der Protestbewegung gegen die herrschende Gesellschaft aus. Diese Sackgasse wird aber nicht sofort augenscheinlich, denn der dem Mai 68 folgende Enthusiasmus liess die wesentlichen Fragen noch ausgeklammert. Zudem bewirkte der Schock des Mai, dass unter der Verachtung der herrschenden Parteien verschüttete und vergessene Strömungen der Arbeiterbewegung, etwa die Rätebewegung mit ihren Varianten oder die KAPD, aber auch Theorien (von Lukacs, Korsch etc.) wieder auftauchten. Diese Wiederauferstehung der Vergangenheit deutete einesteils auf die Unmöglichkeit, direkt auf die Wirklichkeit Einfluss zu nehmen, andernteils auf das Unvermögen, andere Kampfformen und andere theoretische Annäherungen zu finden. Einen zurückgelegten Weg zu überdenken, ist eine andere Form der Revolte, denn das heisst, das Diktat dessen, was einfach eingetreten ist, nicht akzeptieren. Die Besinnung kann den Ausgangspunkt für die Suche des Momentes bilden, wo die Verirrung der Menschheit begonnen hat, also einen erster Versuch, der Fatalität zu entkommen, welche die Menschheit aus der menschlichen Bahn in die produktivistische Hölle geworfen hat. Sackgasse ist ein ungenügendes Bild. Es wird dem Fazettenreichtum des Darzustellenden nicht gerecht. Auf jeden Fall finden sich die verschiedenen Gruppierungen dieser grossen Strömung vor einer Aporie – und diese Aporie ist das Proletariat. 6 Die Militanten Der Mensch ist nicht immer in die Natur eingelassen, das Dasein ist nicht immer mit dem Sosein, das Sein mit dem Bewusstsein identisch. Aus dieser Trennung entspringt die Vorstellung (représentation). Sobald die Zeit in ihrer Unwiederbringlichkeit gedacht wird, das vergangene Subjekt also vom gegenwärtigen geschieden ist, tritt die Erinnerung auf, tritt die Vorstellung dazwischen. Von dieser sprechen, heisst die Philosophie und Wissenschaften ins Spiel bringen, was früher oder später unvermeidlich ist. Zur Vorstellung (représentation) möchten wir sagen (verschiedene Autoren haben sich mit ihr beschäftigt: Cardan mit dem Imaginären, die Situationisten mit dem Spektakel, Foucault mit ihrer Bedeutung im 16. Jahrhundert), dass wir das Wort im Sinne von Marx benutzen, der damit u. a. von der Vorstellung des Wertes im Preis der Ware spricht. In „A propos du Capital“ (Invariance Serie II, Nr. 1) haben wir kurz darauf hingewiesen, dass das Kapital dazu gekommen ist, zur selbständigen Vorstellung zu werden. Von nun an kann es nur noch wirklich bestehen, wen es von allen anerkannt wird, d. h. wenn die Menschen die Vorstellung des Kapitals verinnerlichen. 6 6 wechseln von einer Gruppe zur andern und gleichzeitig ihre Ideologie, wobei sie in ihrem Gepäck immer dieselbe Dosis Starrsinn und Sektierertum mit sich tragen. Einige vollziehen dabei beträchtliche Umläufe: vom Leninismus zum Situationismus, zum Rätekommunismus etc. Alle stossen an diese Mauer des Proletariates und prallen mehr oder weniger weit in die Vergangenheit zurück, wobei erstaunliche Neukombinationen möglich werden, etwa antiautoritäre oder korschistische Trotzkisten ... In diesen Gruppen und einzelnen Individuen ist nicht alles negativ; vieles ist begriffen worden, wobei jedoch alles, den unmöglichen Kombinationen entsprechend, von einer geistigen Bastelei verdorben wird. Es ist offensichtlich (...) dass man das Hemmnis nur beseitigen kann, wenn die Theorie vom Proletariat und die marxsche Auffassung von der Entwicklung der Produktivkräfte, vom Wertgesetz usw. in Frage gestellt wird. Es ist aber der Fetischismus des Proletariates mit seinen praktisch-ethischen Konsequenzen, der am meisten auf dem Bewusstsein der Revolutionäre lastet. Indem man diesen Fetisch angreift, d. h. ihn als solchen begreift, löst sich das ganze theoretischideologische Gebäude auf. Welche Bestürzung! Umso mehr, als es ein Nichtgesagtes gibt: die Notwendigkeit, sich an eine Gruppe zu binden, sich mit ihr zu identifizieren, sich abzusichern, um die Kraft zu finden, den Feind anzugreifen. Hier zeigt sich nicht nur die Angst vor dem Alleinsein und damit die Einsicht der notwendigen Vereinigung, um die Macht zu entwickeln, die KPW niederzuschlagen, nein, es zeigt sich auch die Angst vor der Individualität 7, die Unfähigkeit, „autonom“ die grundsätzlichen Fragen unserer Epoche anzugehen: ein weitere Ausdruck der Zähmung der Menschen, die am Übel der Abhängigkeit leiden. Diesbezüglich nun ist die Mittelschüler-Bewegung von Frühling 1973 wichtig. Sie stellt in den Vordergrund, was im Mai 1968 nur angefangen worden ist: die Kritik des repressiven Bewusstseins. Dies ist eine Form des Bewusstseins, welche mit dem Marxismus und seinem konkreten Lösungsvorschlag für Zukunft der menschlichen Gattung entstanden ist: die proletarische Revolution. Diese soll eintreten, wenn die Entwicklung der Produktivkräfte das zulässt. Dieses Die Frage der Vorstellung ist bedeutungsvoll. Vom Moment an, wo die unmittelbare Einheit MenschNatur nicht mehr besteht (wenn sie überhaupt je bestanden hat), wird die Vorstellung notwendig. Sie ist Aneignung der Wirklichkeit und Mittel der Kommunikation zwischen den Menschen. In diesem Sinne kann sie nicht abgeschafft werden, denn der Mensch kann nicht in ununterschiedener Einheit mit der Natur leben. Er hat sich also von ihr verselbständigt-entfremdet. Diese Tendenz muss gebremst werden. 7 Das ist von N. O. Brown in „Eros und Thanatos“ hervorgehoben worden. Die Furcht vor der Individualität kann allein aber nicht erklären, was die Menschen dazu bringt, sich in ihr Schneckenhaus zurück zu ziehen, sich mit einem Seins-Typus zu identifizieren und sich hinter einer Gruppe zu verstecken. Der Mensch hat Angst, weil er sich nicht kennt. Es braucht deshalb enorm viel, bis es zu „Exzessen“ kommt, welche die gesellschaftliche und eigene Ordnung des Individuums durcheinander bringe. Offensichtlich sind die gesellschaftlichen Organisationen zu labil, dass sie die freie Entwicklung menschlicher Möglichkeiten erlauben könnten. Mit der KPW wird alles möglich, aber nur insoweit, als es Element der Kapitalisierung werden kann. Das heisst: Alles ist möglich, insofern es erlaubt ist. Das Individuum wird bezüglich Verhalten als normal oder abnormal klassiert. Totalität ist der Diskurs des Kapital, unzugänglich und pervers. Die Furcht vor der Individualität ist häufig in den Utopien wesentliches Element und führt zur Despotie der egalitären Vernunft. 7 Bewusstsein ist repressiv und normierend und hat zur Auswirkung, dass Aufstände von Menschen abgelehnt werden, da sie vorzeitig, kleinbürgerlich, abenteuerlichunverantwortlich etc. seien. Dieses repressive Bewusstsein ist das verdinglichte Bewusstsein der Organisationen: der Parteien, Gewerkschaften und Grüppchen. Sie organisieren die Repression gegen diejenigen, die nicht organisiert sind, zumindest nicht so, wie sie das verstehen. Der Unterschied zwischen diesen Organisationen ermisst sich am Ausmass der Repression welche sie auszuüben vermögen. Die Kritik der Mittelschüler nimmt den Mythos vom Proletariat nicht direkt aufs Korn, indem sie ihn hinterfragt, sondern, indem sie ihn ignoriert und lächerlich macht. Solange die Jungen nicht in die Falle liefen und die Arbeiterorganisationen zu Hilfe riefen, um eine Einheitsfront à la Mai 68 zu bilden, rannten die Politiker aller Ordnungen herbei, um sie zu einer solchen zu überreden: Der PCF, PS, PSU, die CGT, die CFDT etc. In der Tat liefen die Mittelschüler aus den Einheitsdemos davon, bis da nur noch die alten Parteigänger und Besserwisser des PCF und CGT das Gros bildeten, welche nun fünf Jahre nach dem Mai 68 die Wichtigkeit der Jugend entdeckten und unter den spöttischen Augen der Jungen die militärische Zurückstellung für alle forderten: Hatte die Jugend sich in ihrer Verkörperung getäuscht? Lächerlich war auch, wie an solchen Veranstaltungen von verschiedenen Seiten das Primat des Proletariates betont wurde: das momentan wesentliche revolutionäre Ereignis sei der Streik der O. S 8. Diese Leute können sich die Revolution nur in blauer Arbeitsmontur vorstellen; die O. S. stellten aber keine Forderungen, welche das System bedrohten. Die KPW hat schon seit langem Lohnerhöhungen akzeptiert und was die Arbeitsbedingungen anbelangt, so ist man bereit, sie zu verbessern. Die Notwendigkeit, die Fliessbandarbeit abzuschaffen, wird auch in Unternehmerkreisen erkannt. Die Bewegung der Mittelschüler hat die Institutionen und die Menschen, welche sie verteidigen, wie gesagt lächerlich gemacht. Und wenn sie rekuperiert worden ist, dann zum Preis der Lächerlichkeit derjenigen, welche sich wider ihren Willen in die Nähe der „guten Jungs“ stellen wollten. Wer dagegen von Anfang an gegen diese Bewegung war und sie nicht verhindern konnte, machte sich mit seinem Ärger lächerlich. So klagten Leute der Regierung: Wir haben immerhin ein Parlament und Abgeordnete; damit sollen die hängigen Fragen gelöst werden! Die Jungen tun so, als gäbe es das nicht. Erneut zeigten sich Unverständnis und fehlende gemeinsame Sprache. 9 „Wir sind für Argumente durchaus offen, ich sehe gegenwärtig nur nicht, was man wünscht.“ (Fontanet). Was für eine Illusion, die Jungen wollten mit Leuten wie ihm diskutieren, Argumente austauschen. Da hat sich das Leben erhoben 10 , da 8 ouvrier spécialisé, Facharbeiter. Siehe den Artikel von P. Drouin in „Le Monde“ vom 27. März 1973 und auch das Buch von R. Tourneux „Le moi de mai en général“, welches die Handlungsweise De Gaulles glorifizieren will, aber nur klar macht, wie wenig dieser Mann kapiert hat. 10 Siehe den Artikel von P. Viansson-Ponté, „Le Monde“ vom 31. Dez. 1972. P. Cardan hat 1974 die Bedeutung der Jugendrevolte verstanden, sie aber als etwas Äusseres wahrgenommen, etwas, das man benützen sollte, ganz gemäss der Auffassung, dass das Bewusstsein von aussen kommt. 9 8 wird eine andere Lebensform gesucht. Ein Dialog ist nur zwischen denjenigen möglich, welche diesbezügliche Versuche machen, nicht zwischen der Gesellschaftsordnung und denjenigen, welche sich gegen diese erheben; wenn aber doch, so weil die Bewegung noch „stotterte“. Schon zum Mai 1968 wiesen wir auf ein grundlegendes Phänomen: Die kapitalistische Gesellschaft passt vom ersten Moment ihrer Entstehung an mit dem menschlichen Leben nicht überein. Die kapitalistische Gesellschaft ist der organisierte Tod unter dem Anschein des Lebens. Es handelt sich nicht mehr um den Tod als das Jenseits des Lebens, sondern um den Tod im Leben, um den Tod der Lebenssubstanz. Der Mensch ist tot, und das Leben nur noch Zelebration des Kapitals. Die Jungen haben noch die Kraft, den Tod zurückzuweisen. Sie rebellieren gegen die Zähmung; sie sind das Verlangen nach Leben. Diese Forderung ist natürlich für diejenigen, welche Dreck im Mund und Phantome in den Augen haben, irrational oder gleich einem definitionsgemäss unerreichbaren Paradies. Die Jugend ist ein Übel für das Kapital, denn sie ist noch nicht gezähmt. Die Mittelschüler haben gleichermassen gegen die Armee, die Schule, die Universität und die Familie demonstriert. Die Schule ist die Organisation der Passivität, auch wenn Methoden der Befreiung und aktiven Beteiligung angewandt werden. Die Schule befreien hiesse, die Bedrückung befreien. Im Namen der Geschichte, der Wissenschaft und der Philosophie wird das Individuum durch einen Schacht der Passivität geschleust, ein Labyrinth voller Mauern; Theorien und Kenntnisse bilden unüberwindliche Mauern, welche verhindern, die andern zu sehen und mit ihnen zu sprechen, wozu einige Kanäle genügen. Am Ende des Schachtes aber erwartet die Jungen die Zähmungsfabrik: die Armee. Sie beruht auf dem Willen, den andern zu töten; sie prägt ihnen die weltliche Moral der Unterscheidung zwischen Vaterland und allen andern, potenziellen Feinden ein. Menschen werden dazu erzogen und abgerichtet, ein nie zu rechtfertigendes Verhalten zu rechtfertigen: Menschen zu töten. In den Unruhen von vor Ostern ist auch ein reformistisches Element aufgetreten, worauf sich die Rekuperation stützen kann. Das interessiert uns hier aber nicht, denn es lehrt uns nichts über den wirklichen Kampf der Gattung gegen das Kapital. Die reformistisch-oberflächliche Strömung in der Bewegung, die nur durch die radikale Aufwühlung an die Oberfläche kommen konnte, wird dem Kapital seine Restrukturierung, also die Modernisierung des Despotismus, zu verwirklichen ermöglichen. Universität und Schule sind für den globalen Prozess des Kapitals zu starre Strukturen; das gilt auch für die Armee. Hinsichtlich dieser muss übrigens der Betrug der Argumentation aufgedeckt werden, welche die nationale Armee in „Die revolutionäre Bewegung wird der gewaltigen Revolte der heutigen Jugend einen Sinn geben und daraus das Ferment der gesellschaftlichen Wandlung machen, wenn sie die wahre und neue Sprache findet, welche diese Revolte sucht, und ihr ein Aktionsfeld gegen die Welt zuweisen kann, welche sie ablehnt.“ („Socialisme ou Barbarie“, Nr. 35, Seite 35) 9 Gegensatz zur Berufsarmee stellt und ganz erpresserisch argumentiert: Wenn man den Militärdienst abschafft, erhält man dafür eine prätorianische Garde. Also Achtung auf den Faschismus! Heute besteht die Kombination: Die Berufsarmee erzieht und dressiert die Bürgerarmee. Wie war das übrigens mit dieser von Jaurès so gerühmten Nationalen Armee? 11 Die Heilige Union von 1914, also die heilige Abschlachtung, die man heute noch verehrt, ist dabei herausgekommen. Die schnelle Hinfälligkeit jedes Wissens und die Entwicklung der Massenmedien haben die Schule zerstört. Lehrer und der Professoren werden für das Kapital unnütze Posten. Es tendiert darauf, sie durch programmierten, maschinell verteilten Unterricht zu ersetzen. Das gilt ebenso für die Bürokratie, welches die Übermittlung von Information und damit die Mobilität des Kapitals behindert. Das Missverständnis besteht darin, dass viele, welche für das Leben kämpfen, bereit sind, Lösungen anzunehmen, welche das menschliche Leben beseitigen, da sie den Unterricht Maschinen anvertrauen. Ganz allgemein proklamieren diejenigen, welche die Modernisierung befürworten, ihren eigenen Untergang als Wesen mit noch gewisser Funktion in der Gesellschaft; sie fordern ihre eigene Entäusserung. Diejenigen aber, welche zum Autoritarismus von vor Mai 68 zurückkehren möchten, werden dasselbe Schicksal erleiden, denn zur Durchsetzung ihrer Forderung müssen sie sich notgedrungen auf das Kapital stützen. Dieses profitiert folglich von der Linken wie von der Rechten! Der Despotismus des Kapitals erlegt den Menschen durch die neuen Verhältnisse neue Verhaltensweisen auf. Beispielsweise Mobilität, Kurzlebigkeit, Wechsel und, am wenigsten ersichtlich, Bedeutungslosigkeit. Sie treten zwangsläufig in Gegensatz zu den alten Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Denkensarten. Die Dinge sind die wahren Subjekte. Sie zwingen den Menschen ihren Rhythmus, ihren auf ihre einzelne Existenz beschränkten Sinn auf. Die Dinge aber selbst werden vom Kapital manövriert. Diese neue Bedrückung könnte eine Aufstandsbewegung gegen das Kapital auslösen. Aber auch diese subversive Bewegung könnte vom Kapital zur Konsolidierung seiner Macht benutzt werden, wie es schon die auf die Fabriken beschränkte Revolte der Proletarier in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zur Durchsetzung der realen Herrschaft benutzt hatte: die Eliminierung der für seinen Prozess unnützen Schichten, Sieg der Vollbeschäftigung, Aufgabe der alten liberalen Schemata usw. Siehe „L’armée nouvelle“. Bei der Lektüre dieses Buches wird klar, dass der « Faschismus » seine Theorie nicht selbst finden musste, da sie ihm schon von der internationalen Sozialdemokratie vorgegeben worden ist. Schon Jaurès wollte die Armee mit der Nation versöhnen (was anderes wollte und verwirklichte Hitler?). 1914 war es soweit und die braven Franzosen zogen fröhlich zur Abschlachtung. Worin unterscheidet sich Jaurès, wenn er schreibt: „Das Vaterland greift mit seinen Wurzeln zu den Grundlagen des menschlichen Lebens, ja der Physiologie des Menschen selbst.“ (Edition 19/128, Seite 268) Jenseits des Rheines verkündigte Bebel ungefähr dasselbe. 11 10 Wir wollen damit nicht sagen, eine Revolution könnte direkt aus diesem Konflikt entspringen, auch nicht, es wären die konservativsten Kreise ihre Träger. Es soll nur unterstrichen werden, dass das Kapital alle Menschen beherrschen muss und es sich nicht mehr einfach auf die alten Gesellschaftsschichten stützen kann, weil diese ebenfalls bedroht sind. Borkenau hatte das im Wesentlichen schon begriffen: „Der gewaltige Unterschied zu den vorangegangen Revolutionen übersetzt eine neue Tatsache. Bis zu den letzten Jahren stützte sich die Konterrevolution im allgemeinen auf die reaktionären, technisch und intellektuell den Kräften der Revolution unterlegenen Kräften Die Situation hat sich mit dem Aufkommen des Faschismus geändert. Nunmehr wird jede Revolution wohl dem Angriff des modernsten, wirksamsten und erbarmungslosesten Apparates ausgesetzt sein. Das bedeutet das Ende des Zeitalter, in dem die Revolutionen sich frei nach ihren eigenen Gesetzen entwickelten.“ 12 Man darf nicht vergessen, dass das Kapital, indem es ständig die Lebensweise verändert, selbst Revolution ist. Damit stellt sich die Frage nach ihrer Natur neu; das Kapital kann die auf den Sturz der vom Kapital beherrschten Gesellschaft gerichtete aufständische Energie umlenken. 13 Mehr denn je ist eine klare Vision, ein tiefes Verständnis erfordert. Jede Teil-Revolte ist nur Antrieb für die Bewegung des Kapitals. Andrerseits ist es aber gerade ein Ergebnis des Zähmungsprozesses der Menschen, dass sie nicht mehr fähig sind, theoretisch zu denken und der Wirklichkeit in ihrer geschichtlichen Entwicklung entgegenzutreten. Die Unfähigkeit, dieses theoretische Denken mit der materiellen Entwicklung des Planeten und der menschlichen Gattung zu verbinden, ist auf die Trennung von Sinnen und Gehirn und auf die alte Trennung von manueller und intellektueller Arbeit zurückzuführen, wobei letzteres vom Kapital durch die Automation überwunden wird. Die Revolution ist nicht mehr streng gleichbedeutend mit der Zerstörung des Alten, des Konservativen. Das hat das Kapital schon besorgt. Die Revolution erscheint als ein Zurück zu etwas (Revolution gemäss mathematischer Theorie): zum Gemeinwesen; nicht zu einer besonderen Form desselben, die schon bestanden hätte. Die Revolution wird durch die Zerstörung dessen in Erscheinung treten, was am modernsten, am fortschrittlichsten ist, denn Wissenschaft ist Kapital. Das wird gleichzeitig die Wiederaneignung alles dessen sein, was sich schon als menschliches Sein gezeigt hat oder zeigen wollte. Man braucht keinen manichäischen Diskurs wieder zu erwecken, um diese Tendenz zu begreifen, denn es ist dieselbe, welche der Verselbständigungsbewegung des Wertes hinderlich war. Wenn mit dem Kommunismus die Menschheit geschaffen wird, dann muss im Verlauf der Jahrhunderte der Wunsch nach dem Kommunismus sich schon Zitiert von N. Chomsky in „L’Amérique et ses nouveaux mandarins“, Ed. du Seuil, Seite 196. Die Asiatische Produktionsweise (APW) kennt ebenfalls Aufstandsbewegungen zur Regeneration. Mitunter wurden sie sogar, gemäss verschiedenen Historikern, vom Staat selbst ausgelöst. Ein Beispiel ist die Grosse maoistische Kulturrevolution. In diesem Fall wird die von uns behauptete Konvergenz zwischen APW und KPW unterstrichen. 12 13 11 geäussert haben. Aber auch hier ist nichts leicht, nichts klar und zweifelsfrei. Nach der Erfahrung des Kolonialismus, des Nazismus und wiederum des Kolonialismus, der sich trotz der Revolte der unterdrückten Länder zu behaupten sucht – man denke an die Quälereien der Engländer in Kenia, der Franzosen in Algerien und der US-Amerikaner in Vietnam -, angesichts der endemischen, täglich wütenden Gewalt könnte man daran zweifeln, was menschlich ist. Ist die Menschheit nicht zu weit vom Weg abgekommen, zu sehr in ihren „bösen“ Irrsinn verbohrt, um sich noch retten zu können? Die Bewegung der Mittelschüler trägt den Charakter der kommunistischen Revolution: die Revolution mit menschlichem Titel. In der Tat griff sie, wenn auch nicht in der ganzen Tragweite, die Frage der Gewalt auf: Ablehnung der Armee, des Militärdienstes, der Lizenz zum Töten für alle. Ausser den Anarchisten predigen alle Gruppen und Grüppchen der (extremen) Linken die Notwendigkeit, zu töten, damit man den Tod gegen das Kapital umkehren könne. Vor allem aber die zum Äussersten Bereiten legen sich dabei aber nicht Rechenschaft ab, dass damit von Anfang an die Notwendigkeit gefordert wird, zur Vollendung der Revolution Menschenleben zu vernichten. Wie kann man eine Revolution aus dem Gewehrlauf preisen? Eine Armee zu welchem Zweck auch immer fordern, heisst, Unterdrückungsstrukturen auf allen Ebenen beibehalten wollen. Auch hier haben wir das repressive Bewusstsein: Du sollst die Unlust, zu töten, überwinden, denn eines Tages wird das notwendig sein (einige betonen sogar diese Notwendigkeit). Das (repressive) Bewusstsein zwingt mich, unmenschlich zu sein, bis von einem theoretischen Geschick der Tag dekretiert wird, an dem ich mich in ein menschliches Wesen verwandeln darf. „Ihre (der verschiedenen linken Gruppen) Sorge hinsichtlich des Militärs besteht darin, dass zwischen der „bürgerlichen“ Absicht, den Militärdienst abzuschaffen und dem libertären Pazifismus der Ablehnung des Militärdienstes aus Gewissensgründen, der bei den Jungen mehr oder weniger latent ist, keine Konvergenz eintrete.“ (T. Pfister, „Le Monde“ vom 27. 3. 1973). Die Gewalt ist in der gegenwärtigen Gesellschaft eine gegebene Tatsache. Die Revolution ist die Entfesselung von Gewalt, wobei sie beherrscht werden muss und nicht blind wüten oder gar gefeiert werden darf. Das ist richtig, aber ungenügend, denn die Natur der Gewalt wird von ihrem Ziel bestimmt. Die nie zu hoch anzusetzende Gewalt ist diejenige gegen das kapitalistische System, nicht gegen die Menschen. Das System wird aber von Menschen gebildet, weshalb das System häufig nur über diese getroffen werden kann. Hierin besteht die Frage der Einschränkung der Gewalt, oder man bleibt auf der Ebene des Kapitals. Despotismus des Kapitals heisst Verallgemeinerung der Gewalt gegen die Menschen. Das Kapital kann nur noch herrschen, indem es Menschen gegeneinander stellt. Dazu kleidet es sie in verschiedene Rollen. Andrerseits stellt im Konflikt jedes der beiden Lager das andere als von Nicht-Menschen gebildet dar (siehe die US-Amerikaner gegenüber den Vietnamesen). Man kann Menschen nur vernichten, wenn man sie zuvor ihrer Menschlichkeit entäussert. Hiesse es nicht 12 einfach, kapitalistische Methoden kopieren, ginge man im revolutionären Kampf ebenso vor? Was anderes machen aber die Linken, wenn sie von der Zerstörung der herrschenden Klasse oder der Polizisten (nur ein toten Polizist ist ein guter Polizist)sprechen, statt von der Zerstörung der sie tragenden Struktur sprechen? Die Gleichung CRS=SS im Slogan mag die Rolle der Polizei richtig wiedergeben; die Liquidation der Polizei ist damit nicht gerechtfertigt. 1. Jede Unterminierung der Polizei-Corps wird durch die Darstellung als Untermenschen verunmöglicht. Im Gegenzug revoltieren die Polizisten dagegen und behaupten ihr Menschsein gegenüber den Jungen gerade als die mörderische Maschinen, als welche sie dargestellt werden. 2. Jeder Polizist oder CRS ist auch ein Mensch, ein Mensch mit bestimmter Rolle in der Gesellschaft, wie wir alla auch. Man darf nicht jede Unmenschlichkeit einem Teil der Menschheit, alles Menschliche einem andern zusprechen. Es geht hier nicht um Gewaltlosigkeit 14, sondern darum, den Zweck der Gewalt zu bezeichnen und sie streng zu begrenzen. Wir dürfen nicht die Masken und Rollen übernehmen, welche uns das Kapital verpassen will. Nicht wer das Kapital verteidigt, sondern das Kapital soll vernichtet werden. Andrerseits lehnen wir die Theorie ab, die Verteidiger des Kapitals seien nicht frei; das System produziere Polizisten ebenso wie Revolutionäre. Daraus lässt sich Gewaltlosigkeit ableiten oder jede Gewalt; die Repressionsorgane wären ja nichts als Automaten. Den Polizisten soll man als menschlichen Wesen begegnen. Wenn von Anfang an diesen Menschen ihr Menschsein abgesprochen wird, wie soll es dann je post festum erscheinen können? In Wirklichkeit denken die meisten an eine radikale Lösung: die andern unterdrücken – was noch eine Methode der Klassengesellschaft ist. Wir aber haben gesagt: eine Revolution mit menschlichem Titel, auch in diesem Belang. Im – unvermeidlichen – Zusammenstoss mit Menschen, welche die KPW verteidigen, dürfen diese Gegner nicht auf Bestien oder Mechanismen reduziert werden; im Gegenteil, die Gegner sollen in ihrer Menschlichkeit, diejenige, die sie zu besitzen glauben oder diejenige, welche sie wiederfinden können, bestätigt werden. Der Kampf hat also auch eine spirituelle-bewusstseinsmässige Dimension. Man muss versuchen, diese Individuen mit ihrer Mystifikation zu konfrontieren, welche sie das Kapital verteidigen lässt, muss versuchen, in ihnen Zweifel zu erwecken. Die Frage des Terrorismus ist unter diesem Lichte zu stellen. Seine Schädlichkeit ist schon aufgewiesen worden, was aber nicht genügt. Den Terrorismus akzeptieren, heisst, vor der Macht des Kapitals kapitulieren. Der Terrorismus appelliert an den Tod, um eine hypothetische Rebellion zu erwecken. Man kann den Terrorismus indifferent zur Kenntnis nehmen, ihn aber nicht als Handlungsweise vorschlagen. Terrorismus heisst: die Mauer wird als unüberwindlich und unzerstörbar wahrgenommen. Terrorismus ist das Eingeständnis der Niederlage. Alle jüngeren Beispiele beweisen das zur Genüge. Der Pazifismus ist im übrigen nur eine scheinheilige, maskierte Gewalt und beweist nichts als die Unfähigkeit, zu sein. 14 13 Wenn man die vernichtende Herrschaft des Kapitals erkennt, muss man auch anerkennen, dass es auf alle seinen Einfluss ausübt. Keine menschliche Gruppe wäre davon nicht betroffen. Umgekehrt muss demnach im gegnerischen Andern auch sein mögliches Menschliches anerkannt werden. Die Gewalt soll gegen sich selbst gehen: die Zähmung durch das Kapital, die versichernden und aufwertenden Erklärungen, und gegen die Aussenwelt: die Rackets der politischen Gruppen, die „Kapitalisten“, die verschiedenen Polizeien. . . Das alles gewinnt nur seine ganze Tragweite, wenn gleichzeitig die alten Methoden des Kampfes aufgegeben werden. Die Bedeutung der Mittelschülerbewegung liegt auch darin, dass sie, wie schon die Bewegung vom Mai 1968, deutlich macht, dass die alten, gewohnten Methoden unausweichlich zur Niederlage führen. Die Demonstrationen, Paraden, Spaziergänge und Feste führen zu nichts. Plakate, Spruchbänder, Flugblätter, Zusammenstoss mit der Polizei: all das ist zu einem Ritual geworden, worin die Polizei die Rolle der ewigen Gewinnerin spielt. Diese Kampfformen müssen grundsätzlich kritisiert werden, da sie für die Entwicklung neuer Kampfformen hinderlich sind. Das gilt natürlich auch für die alten Kampfplätze: den Arbeitsplatz, die Strasse. Solange die Revolution sich nicht auf ihrem Boden bewegt, bleibt sie auf demjenigen des Kapitals, solange ist kein qualitativer Sprung möglich. Und um diesen geht es ganz genau, oder die Revolution stagniert, versickert und wirft uns für Jahre zurück. Um die alten Kampfplätze aufzugeben müssen gleichzeitig neue Lebensformen geschaffen werden. Wozu nützt eine Fabrikbesetzung, diejenige einer Autofabrik z. B., wo doch die Autoproduktion gestoppt werden muss? Besetzung zur Selbstverwaltung? Ebenso könnten die Gefangenen des Systems sich ihrer Gefängnisse bemächtigen, um ihre Gefangenschaft besser zu organisieren! Eine neue Gesellschaftsform baut sich nicht auf der alten auf. Schicht auf Schicht sich folgende Zivilisationen sind selten. Das Bürgertum errang seinen Sieg auf seinem Terrain, der Stadt. Das ist für den Kommunismus noch vermehrt gültig, der weder eine neue Produktionsweise, noch eine neue Gesellschaft ist. Heute kann die Menschheit ihren Kampf gegen das Kapital weder in der Stadt, noch auf dem Land 15 austragen, sondern muss ausserhalb gehen. Aus diesem Grunde drängt sich die Schaffung kommunistischer Formen auf, welche dem Kapital wahrhaft entgegengesetzt sind und wo sich die revolutionären Kräfte vereinen können. Mit dem Mai 1968 ist die Notwendigkeit der Revolution wieder auf der Tagesordnung. Darauf müssen Kapital und Konterrevolution Rücksicht nehmen. Letztere versucht die Entwicklung der Revolution zu beschränken, allerdings mit wenig Erfolg, denn die Revolution ist irrational. Die Irrationalität ist der Grundzug der Revolution. Natürlich gibt es heute die alte Dichotomie Stadt – Land nicht mehr. Das Kapital verstädtert den Planeten. Das Kapital veranstaltet die Mineralisierung der Natur. Es gibt aber noch Konflikte, wo in ländlicher Region einige Bauern überleben, etwa wegen des wachsenden Wasserbedarfs der Städte. So werden Staudämme erbaut, bis 200 Kilometer von den Zentren entfernt. Mit diesen geht gutes Land für Landwirtschaft und Jagd, gehen Fischgründe verloren. Aber auch Quellen werden gekappt, welche für die Landwirtschaft wichtig sind. Das kann aber auch Leute aus der Stadt treffen, welche auf dem Land ein Ferienhaus haben. Die Konfrontation verläuft also kaum mehr entlang der traditionellen Front zwischen Bauernschaft und Stadtherrschaft. Es geht um die globale Beziehung des Menschen zur Natur. 15 14 Alles, was für die herrschende Ordnung rational ist, ist vom System einverleibbar. Die Revolution kann aber dennoch gehemmt werden, wenn sie auf dem Boden ihres Feindes bleibt. Sie kann ihre Ketten nur zerstören und dabei ihren uneinholbaren Aufschwung nehmen, indem sie ihren authentischen Grund erobert. Ziel der Revolution ist das menschliche Gemeinwesen. Dabei soll sich dieses Ziel schon in der Bewegung auf dieses Ziel hin zeigen. Die Benutzung der Mittel der herrschenden unmenschlichen Klassengesellschaft ist also ausgeschlossen. Somit ist es absurd, den langen Marsch durch die Institutionen zu fordern, um sie in den Dienst der revolutionären Bewegung zu nehmen. Man bleibt dabei in der Mystifikation befangen, dass der historische Prozess mit dem Kapital seine Vollendung gefunden habe. Es entspricht auch durchaus der Mystifikation des Kapitals, den Menschen als unwesentlich, nicht bestimmend, ja unnütz hinzustellen. Im kapitalistischen System ist das allerdings wahr: Der Mensch wird überflüssig, es ist aber auch eine Tatsache, dass der Mensch seit seinem Auftauchen invariant geblieben und nicht zerstört worden ist – oder ihm käme nicht einmal die Idee einer Revolte, und solange die Jugend von der Zähmung nicht in einen Käfig eingeschlossen wird, ist alles möglich. Daher muss im Kampf versucht werden, das in jedem Menschen weiterbestehende Menschliche wieder aufwachen zu lassen, weswegen man nicht verleitet werden darf, die Menschen nur von ihrem verdinglichten Äussern her zu beurteilen. Auch ein dermassen verhärtetes Individuum, dass es zum organischen Automaten des Kapitals wird, kann seine Konstrukte aufsprengen. Hier soll man den alten Ratschlag von Marx befolgen: die Ketten nicht nur sichtbar, sondern zur Schmach machen. Jedes Wesen soll in Krise geraten. In der Konfrontation mit der Polizei geht es nicht nur darum, Repressionskräfte zu beseitigen, sondern auch darum, in ihnen das Menschliche aufbrechen zu lassen. Dazu taugen die alten Methoden der direkten Konfrontation wenig, umso mehr neue, wie etwa das Lächerlichmachen von Institutionen16, was nichts anderes heisst, als sie in ihre eigene Falle setzen. Es wäre absurd, eine solche Methode theoretisieren und verallgemeinern zu wollen. Gewiss ist aber, dass sie wirkungsvoll ist. Es gibt aber eine Menge weiterer Methoden. Der springende Punkt ist: die Einsicht, dass Kampfplatz und Mittel gewechselt werden müssen. Einige haben diese Notwendigkeit bis zu einem gewissen Punkt begriffen und ziehen daraus ihren – negativen – Schluss, indem sie alles liegen lassen und sich auf die Reise begeben. Ja, man muss aus dem Teufelskreis der gegenwärtigen Kämpfe herauskommen. Die Linken dagegen bleiben innerhalb dieses Teufelskreises von Provokation, Repression und Subversion, woraus die Revolution entspringen soll. Damit wird aber in Kauf genommen, dass Menschen geopfert werden, damit andere in So haben sich US-amerikanische Psychiater in Psychiatrien einweisen lassen, um zu zeigen, dass Wahnsinn nicht wissenschaftlich zu definieren ist. Fügen wir noch bei, dass der gegenwärtige Wahnsinn eine notwendige Produktion des Kapitals ist. 16 15 Bewegung kommen. Die kommunistische Revolution verlangt keine Martyrer und braucht auch keine. Der Martyrer ist ein Lockvogel. Doch was taugt eine Revolution, welche den Tod als Lockvogel benutzt. Der Tod wird zu einem wesentlichen Element zur Bildung des Bewusstseins, was sicher eine langwieriger Weg des Innewerdens ist. Dafür gibt es aber Abkürzungen und Notstege: Irgend jemand stirbt wie gerufen (was seinen Hinschied leichter macht) und man schwenkt diesen Leichnam, um die revolutionären Fliegen anzuziehen. Die kommunistische Revolution ist der Sieg des Lebens. Sie darf keinesfalls den Tod glorifizieren oder ihn gar benutzen wollen, was sich noch mehr auf das Terrain der Klassengesellschaft zu begeben hiesse. Den auf dem Feld der Ehre für das Kapital gestorbenen Helden möchten einige die für die Revolution gestorbenen gegenüberstellen – was auf denselben Karneval der Leichenfledderei hinausläuft! Diese schwere Verirrung ist Folge der Tatsache, dass die Revolution nie als ein notwendiges Phänomen erkannt worden ist, das die Bedeutung eines Naturphänomens hat. Dagegen wird allgemein angenommen, eine Revolution hänge von irgendeiner Gruppe ab, welche die Explosion des Bewusstseins veranstalte. Gegenwärtig stehen wir aber vor folgender Alternative: Entweder es findet wirklich eine Revolution statt (Übergang von der Bildung von Revolutionären zur Zerstörung der KPW) oder die menschliche Gattung wird auf die eine oder andere Weise vernichtet. Etwas Drittes gibt es nicht. Sobald die Revolution einmal losbricht, rechtfertigt man nichts mehr und es kann nur noch darum gehen, Exzesse zu vermeiden. Dazu bedarf es aber autonomer Menschen, die von keinem Chef mehr abhängen und ihre Revolte selber steuern können. Natürlich geht es hier um die Tendenz. Vor allem aber muss der kannibalische Diskurs der Abrechnung, der physischen Beseitigung einer herrschenden Klasse oder Gruppe von Menschen, aufhören. Wenn der Kommunismus für die Gattung wirklich eine Notwendigkeit darstellt, stellen sich solche Fragen nicht. Ganz allgemein zweifelt die Mehrzahl der Revolutionäre am Kommen der Revolution; um ihren Zweifel zu beschwichtigen flüchten sie in verbale Gewalt. Ihr Zweifel äussert sich auch im Bedürfnis, die Revolution zu legitimieren, erkennen sie doch die gegenwärtigen Zeichen der Revolution nicht als solche. Dann stürzen sie sich, zur weiteren Selbstvergewisserung in die Gewinnung von Anhängern: jeder „Neue“ lindert ihren bohrenden Zweifel, „beweist“ er doch die Nähe des günstigen Zeitpunkts... Also: noch mehr Agitation und so weiter. Agitation ist Bewusstseinsexport, ist Revolutionieren.... . Diese Leute begreifen nicht, dass am Tag der Revolution niemand mehr die alte Ordnung verteidigt. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Leute von einem auf den andern Tag sich ihres Krams entledigt hätten, nein, es geht nur um die Feststellung, dass die Revolution sowohl von Menschen der Rechten wie der Linken gemacht wird. Natürlich tauchen nach Beseitigung des kapitalistischen Überbaus und der Hemmung der kapitalistischen Dynamik die alten Verhalten und Schemata wieder auf, da die Voraussetzungen des Kapitals noch bestehen. In der Tat kleidet sich die Revolution in alte Kleider. Das wird auch für die kommunistische Revolution gelten, sowenig sie mit früheren 16 Revolutionen gemein hat. Die Nachrevolution wird also auch alte Elemente reaktivieren, um damit die verschiedensten Dimensionen des menschlichen Gemeinwesens zu betätigen. In schwierigen Situationen können aber auch die alten institutionellen Schemata wieder auftauchen, ja gewisse Elemente könnten versteckterweise ihre einstigen Privilegierten wieder einbringen wollen. Andere werden die Selbstverwaltung propagieren ohne realisiert zu haben, dass der Kommunismus keine neue Produktionsweise, sondern eine neue Lebensform ist. Im übrigen darf man nicht vergessen, dass etwas Neues in altem Gewand erscheinen kann. Sich auf die passeistischen Elemente versteifen, ist total verkehrt. Die Nachrevolution ist nicht der hehre Augenblick der vollständigen und sofortigen Versöhnung und der wunderbaren Überwindung der ganzen unterdrückerischen Vergangenheit. Man wird dafür zu kämpfen haben, dass die neue Lebensweise sich durchsetzt. Die Frage ist aber, welcher Art dieser Kampf sein wird. Jeder sektiererische und inquisitorische Geist ist Gift für jede Revolution. Auf jeden Fall kann auf keine klassische Diktatur zurückgegriffen werden, womit nur eine Seinsform der Klassengesellschaft reaktiviert würde. Nur durch die Befreiungsäusserungen der Individuen ist die Überwindung dieser kritischen Übergangssituation möglich. Der kommunistische Druck, der Druck der immensen Überzahl der Menschen schafft das menschliche Gemeinwesen und wird helfen, die Hindernisse zu beseitigen. Dank einer Bekräftigung des Lebens oder: „wenn du den Menschen als Menschen und seinen Bezug zur Welt als einen menschlichen Bezug annimmst, kannst du Liebe nur gegen Liebe, Vertrauen nur gegen Vertrauen tauschen“ (Marx). Der Fall gewaltsamer Zusammenstösse wird eine Ausnahme darstellen. Mit der Annahme, eine Diktatur sei notwendig, gibt man zu, dass man die Menschheit nie für reif hält, zum Kommunismus überzugehen. Hingegen ist der Weg zu diesem einzigartigen Augenblick lang, schmerzhaft und schwierig, wo die Mystifikation offensichtlich wird und die Verirrung der Menschheit erkannt wird: ihre eigene Zerstörung, in die sie sich eingelassen hat und die zu einem grossen Teil darin besteht, dass sie ihr Geschick dem ungeheuerlichen, automatischen System des Kapitals überlassen hat, der „Prothese“, wie G. Ceserano und G. Collu das nennen 17. Der besagte Moment lässt die Menschen klar darüber werden, dass sie Siehe „Apocalisse e rivoluzione“ , Ed. Dedalo, 1973. Dieses Buch versteht sich als Manifest der biologischen Revolution. Es ist von einem Inhaltsreichtum, der hier nicht wiedergegeben werden kann. Auch diese Autoren behandeln Vorstellung und Symbolik in den gesellschaftlichen Beziehungen. Hier zwei Zitate, welche zeigen, in welche Richtung ihre Auffassungen gehen: „Die fortschrittlichen Kommentatoren des MIT-Berichtes und der Vorschläge von Mansholt haben falsch, wenn sie behaupten, dass das Kapital nur weiterbestehen könne, wenn es fortwährend die Produktion von Waren, Substrat des zu verwertenden Wertes, steigere, wenn sie unter Ware nur „Dinge“ verstehen. Die Natur der Ware hat aber geringe Bedeutung. Sie kann „Ding“ oder „Person“ sein. Damit das Kapital sein Wachstum fortsetzen kann, genügt es, dass innerhalb der Zirkulation ein Moment bestehe, worin irgendeine Ware die Aufgabe übernimmt, sich gegen A zu tauschen, um sich anschliessend gegen A’ zu tauschen. Das ist theoretisch vollständig möglich, wenn sich das konstante Kapital statt zum Grossteil in Anlagen zur Produktion von Gegenständen in Einrichtungen investiert wird, welche „gesellschaftliche Personen“ (gesellschaftliche und persönliche Dienste) erzeugen können.“ (Seite 82) 17 17 die bestimmenden Elemente sind und dass sie auf ihre Macht nicht zugunsten der Maschinerie verzichten dürfen, nicht hoffen dürfen, durch diese Entäusserung ihr Glück zu erreichen. Dieser Punkt einmal erreicht, ist die Sache gelaufen. Es wird kein Retour mehr geben. Die ganze Vorstellung des Kapitals wird wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Der Mensch wird nicht mehr das Kapital in seinem Kopf haben, er wird sich und seinesgleichen erkennen. Damit steht der Schaffung eines menschlichen Gemeinwesens nichts mehr im Weg. Die Ideologien, die Wissenschaften, die Kunst etc. versuchen mittels ihrer Tätigkeiten und Organisationen dem Menschen einzureden, dass er absolut unwesentlich sei, dass er nichts machen könne (nicht dieser oder jener einzelne Mensch dieser oder jener Epoche sondern der Mensch als invariantes Wesen überhaupt), dass das gegenwärtige Stadium unausweichlich eintreten musste, sobald wir begonnen hätten, die Technik zu benutzen. Es bestände also eine mit der Technik verbundene Fatalität: ohne sie kein Fortschritt Man könnte also, dieser Ideologie gemäss, nur gewissen Übeln abhelfen, nicht aber der ganzen Maschinerie dieser Gesellschaft selbst entkommen. Die Menschen stecken in der Falle dieser Ideologie können sich nicht mehr bewegen. Es ist die Repräsentation des Kapitals. Sie besteht darin, dass ein vernünftiger gesellschaftlicher Prozess nur noch als derjenige des Kapitals gedacht werden kann, womit das ganze System nicht mehr als Unterdrückung durchschaut werden kann. Zur Erklärung der negativen Aspekte wird auf Fakten 18 zurückgegriffen, welche als ausserkapitalistisch bezeichnet werden . „Die höchste Kohärenz des Fiktiven besteht darin, sich als vollkommene Repräsentation zu zeigen, also als Organisation vollständig irrealer Erscheinungen. Dem entspricht die endgültige Trennung vom Konkreten, das Verschwinden des Sinnlichen (das Fiktive ist das Wesen der Religion). Die Gattung kann sich aber von den Prothesen, dem Fiktiven und von der Religion nur emanzipieren, wenn sie sich als konsubstantielle Subjektivität der organischen Naturbewegung (movimente organico naturante) und der globalen, prozessierenden Kapazität beweist. Die biologische Revolution besteht in der definitiven Umkehr der Beziehung, welche während der ganzen Vorgeschichte [die der kommunistischen Revolution vorhergehende Epoche; Anmerkung des Übersetzers] die Körperlichkeit der Gattung der Herrschaft der gesellschaftlichen Maschinerie unterworfen sah.; sie besteht in der Befreiung der organischen Subjektivität und in der unumkehrbaren „Zähmung“ der Maschine, wie immer sie erscheint.“ (Seite 153) 18 Hier ein interessantes Beispiel: „Wir schliessen also, dass die Finanzierung des Wachstums durch die dem Kapitalismus eigenen Mechanismen fast nicht gewährleistet ist. Diese Mechanismen erforderten nämlich, dass die Einzelnen bereit erklärten, wären, sich zu verschulden, um zu Liquiditäten zu gelangen, welche sie nichtliquid in diesen oder jenen Unternehmen platzierten und somit deren Wachstum ermöglichten. Das frische Geld dränge so über die Börse in die Wirtschaft ein. Und die Unternehmen wären von der Börse finanziert, müssten sich also nicht selbst finanzieren. Bei abwesender Inflation wäre die Höhe der Verschuldung der Einzelnen gleich der Höhe der für das Wachstum notwendigen Liquiditäten und nicht höher. Um sein Wachstum zu finanzieren muss es nämlich Spekulanten (Wettende) geben, die bereit sind, ihren Geldeinsatz nominal zu verlieren, falls sie sich etwa in diesem oder jenem Unternehmen getäuscht haben. Ist die Höhe dieses Einsatzes ungenügend, so müssen sich die Unternehmen direkt bei Finanzinstituten verschulden... Diesen Mechanismus gibt es im nichtkapitalistischen System. Letztlich finanziert mit der Existenz der Zinsrate, dem Preis des nichtgeliehenen Geldes (im Fall der Platzierung in Liquiditäten) oder des praktisch risikolos in Obligationen geliehenen Geldes das kapitalistische System nur in geringem Masse das Wachstum und erzeugt eine kumulative Inflation.“ („Analyse de l’inflation“, J. Fau, in “Le Monde“ , vom 5. Dezember 1972) 18 Es geht darum, ein Verhalten zu zerschlagen, welches der Repräsentation des Kapitals erlaubt, am menschlichen Hirn zu schmarotzen. Weg mit der gezähmten Haltung, worin das Kapital der Herr ist! Das ist umso dringender, als heutzutage die alte Dialektik von Herr und Knecht infolge der Unwesentlichkeit des Knechts, des Menschen, am verschwinden ist. Der Kampf gegen die Zähmung versteht sich als weltweiter Kampf. Auch in dieser Hinsicht haben sich Stimmen erhoben. Sie stellen das eingleisige Schema der menschlichen Evolution in Frage und protestieren dagegen, dass die KPW für alle Länder ein Fortschritt gewesen sei. Damit entmythifizieren sie die universelle a priori-Rationalität des kapitalistischen Systems. Die in den Augen der Propheten des ökonomischen Wachstums und Take off zurückgebliebenen oder Entwicklungsländer sind in Tat und Wahrheit Länder, wo es der KPW nicht gelingt, sich festzusetzen. In Asien, in Südamerika und in Afrika können Millionen von Menschen nicht unter das Joch des Kapitals gezwungen werden. Ihr Widerstand ist zumeist negativ, d. h. sie vermögen kein anderes Gemeinwesen zu setzen. Er ist aber wichtig, um im Weltmassstab einen Pol des menschlichen Protestes aufrecht zu erhalten, den allein die kommunistische Revolution in eine Bewegung der Bildung eines neuen Gemeinwesens verwandeln kann. Dieser Pol wird auch beim Ausbruch der Revolution eine entscheidende Rolle für die Zerstörung des Kapitals bilden. In den sogenannten zurückgebliebenen Ländern hat sich die Jugend unter verschiedenen Parolen erhoben (in Ceylon, Madagaskar 1972, in geringerem Masse aber auch in Senegal, Tunesien und in Zaire). Die Forderungen gehen aber in dieselbe Richtung wie im Westen. Seit zehn Jahren nun schon bezeugt der Aufstand der Jugend seinen Grundzug: die Verweigerung der Zähmung. Ohne Prophet spielen zu wollen, versuchen wir ihre Aussicht abzuschätzen. Im Mai 1968 erinnerten wir an die Vorhersage von Bordiga, dass 1968 die revolutionäre Bewegung wieder einsetzen werde und eine Revolution 1975 – 1980 zu erwarten sei. Wir halten diese Prophezeiung aufrecht. Jüngere politisch-gesellschaftlichökonomische Ereignisse bestätigen diese Voraussage und auch andere Autoren gelangen zu diesem Schluss. Die KPW befindet sich in einer Krise, welche sie vollständig erschüttert. Sie ist nicht vom Stil 1929, wenn sich auch ähnliche Elemente finden lassen. Es geht um eine Restrukturierung: Diese ist dringend erforderlich, wenn das Kapital die zerstörerischen Konsequenzen seines globalen Prozesses eindämmen will. Die ganze Debatte um das Wachstum bezeugt das; die Protagonisten glauben aber, die Bewegung noch einmal eindämmen zu können und empfehlen Verlangsamung... Um des Widerstandes der Menschen Herr zu werden, kann das Kapital nur versuchen, sie absolut zu beherrschen. Dagegen, gegen diese deutlich sich abzeichnende Tendenz unserer Tage, erhebt sich die Jugend und viele Erwachsene beginnen sie zu begreifen. 19 Fast überall findet man diesen Wiederanstieg der revolutionären Wellen, ausser in der Sowjetunion, einem riesigen Land, das ein grosses Hindernis darstellen und die Revolution um Jahre zurückwerfen könnte, wodurch unsere Voraussage zu einem frommen Wunsch würde. Doch die Ereignisse in der Tschechoslowakei, in Polen und der wachsende Despotismus in den Sowjetrepubliken zeigen, wenn auch in negativer Form, dass dort die Subversion ebenfalls nicht abwesend ist. Die Unterdrückung ist umso despotischer, je umfassender eine Erhebung zu werden droht. Andrerseits spielt die Bewegung der Entstalinisierung eine ähnliche Rolle wie die Adelsrevolte 1825 in Russland. Diese wurde in der Folge von der Intelligentsia, darauf von der Bewegung der Narodniki abgelöst. Es wird also in Russland wohl eine Subversion bestehen, welche über den Widerstand des Demokraten Sacharow von der Akademie der Wissenschaften hinausgeht. Es bestehen da historische Konstanten: In Frankreich und Russland sind Revolutionen radikale Wirklichkeit geworden, deren Keime aus andern Ländern stammten. Die französische Revolution verallgemeinerte die bürgerliche Revolution über ganz Europa. Die russische Revolution war eine doppelte Revolution, worin sich letztlich nur die kapitalistische Revolution durchsetzte. Die Studentenrevolte entstand nicht in Frankreich, erreichte dort aber ihre grösste Heftigkeit und führte zu einer nachhaltigen Erschütterung der Gesellschaft. In der Sowjetunion kann keine ähnliche Erschütterung eintreten, solange die Folgen der Revolution von 1917 nicht ausgeschöpft sind: die antikolonialen Revolutionen. Dies ist nun insofern der Fall, als die wichtigste antikoloniale Bewegung, die chinesische, an ihr Ziel gelangt ist. Zwischen der französischen und der russischen Revolution bestand eine beträchtliche Phasenverschiebung. Das gilt nun auch für den neuen revolutionären Zyklus. In unserer Epoche ist der Despotismus des Kapitals mächtiger als der damalige des Zaren; die heilige Allianz zwischen der UdSSR und den USA erweist sich als wirkungsvoller als die damalige zwischen Russland und England. Eine Phasenverschiebung stellt aber keine Aussetzung des Phänomens dar. Wir können voraussagen, dass die Dimension „Gemeinwesen“ der Revolution deutlicher als im Westen in Erscheinung treten wird und diese in Riesenschritten fortschreiten lassen wird. Bordiga vermochte in einer Periode der totalen Konterrevolution ihrem zerrüttenden Einfluss nur widerstehen, indem er die künftige Revolution im Auge behielt, sich also nicht nur mit einer Vergangenheit abgab, welche in solchen Perioden nur noch totes, von der bestehenden Ordnung bestimmtes Gewicht ist. Die Überlegungen des Kampfes waren also auf die Zukunft gerichtet: „Wir sind die einzigen, welche unser Handeln auf die Zukunft abstützen.“ Oder 1952: „Wir sind stärker in der Wissenschaft der Zukunft, als in derjenigen der Vergangenheit und Gegenwart.“ („Esploratori del futuro“, in Battaglia comunista, Nr. 6) Indem Bordiga die Zukunft im Auge behielt, vermochte er die revolutionäre Bewegung zu durchschauen und liess er sich nicht von gegebenen Fakten blenden. Nun, seither hat die Futurologie einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Das 20 Kapital dringt in dieses neue Gebiet ein und versucht es auszubeuten. Es projektiert dabei die künftige Enteignung und Zähmung des Menschen. Ja man kann sagen, dass die KPW sich von andern Produktionsweisen durch Zukunftsplanung unterscheidet. Von Anfang an erwies sich für das Kapital die Beziehung zur Vergangenheit und zur Gegenwart als weniger wichtig als die Beziehung zur Zukunft. Das ist schon seinem Gesamtprozess eingeschrieben: Der Mehrwert, das potenzielle Kapital, kann sich nur realisieren und wirkliches Kapital werden, indem er sich gegen künftige Arbeit tauscht. Vom Moment der Erzeugung des Mehrwertes an hat dieser seine Wirklichkeit erst in einer Zukunft. Diese Zukunft ist nur hypothetisch und nicht unbedingt nahe und erfordert die künftige Aktivierung von Arbeitskraft. Tritt diese nicht ein, so vermag sich dieser potenzielle Mehrwert nicht zu realisieren, womit ein Substanzverlust schon in der Gegenwart eintritt. Es liegt also im Wesen des Kapitals, die Zukunft zu beherrschen, um seine Produktions-Zyklen vollenden zu können. Das Kreditsystem erlaubt ihm diese Eroberung der Zukunft. Das Kapital hat sich die Zeit angeeignet und modelliert sie nach seinem Modell. Die Zeit wird quantitativ 19. Mit der Entwicklung der Zukunfts-Industrie (Futurologie) wird die Programmierung der Zeit wissenschaftlich; die Entwicklung der Industrie wird kapitalisiert. Nunmehr produziert das Kapital die Zeit 20. Wo sollten die Menschen von nun an ihre Utopien und Uchronien verwirklichen können? In den früheren Stadien beherrschte die herrschende Gesellschaft die Gegenwart und in einem geringerem Masse die Vergangenheit, während die Revolution die Zukunft für sich hatte. Die bürgerlichen und proletarischen Revolutionen sollten den Fortschritt sichern, der nicht nur die Existenz einer verwerteten Zukunft im Hinblick auf die Gegenwart und die Abschaffung der Vergangenheit war, wenn auch die Vergangenheit im Verhältnis zur Zukunft wie das Reich der Finsternis im Verhältnis zum Reich des Lichtes erschien. Jetzt aber hat das Kapital die Zukunft erobert. Es fürchtet die Utopien, ja versucht selbst, sie zu erzeugen. Die Zukunft ist rentabel. Produktion der Zukunft heisst, die Menschen hinsichtlich einer bestimmten Produktion konditionieren. Das ist die absolute Programmierung. Der Mensch als Gerippe der Zeit (Marx) ist aus der Zeit ausgeschlossen. Die Herrschaft der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft mit Ausschluss des Menschen erlaubt die strukturale Vorstellung, worin Es ist nicht sosehr das Quantitative bzw. die Negation des Qualitativen, welches das Kapital charakterisiert, sondern ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen qualitativ und quantitativ, worin das Quantitative das Qualitative bestimmt. Man kann nicht die Qualität ohne die Quanität oder den Gebrauchswert ohne den Tauschwert wollen. Dagegen braucht es eine totale Veränderung, worin jede Logik der Herrschaft ausgelöscht ist. Qualität und Quantität sind eng mit dem Mass, dieses mit dem Wert verknüpft. Mass gibt es aber sowohl im Tausch-, wie im Gebrauchswert. Im Falle des Gebrauchswertes besteht persönliche Herrschaftsbeziehung: die Gebrauchswerte messen den sozialen Status und das Prestige. Es gibt ebenso einen Despotismus des Gebrauchswertes wie einen des Tauschwertes (heute des Kapitals) In seinen Notizen kritisiert Marx James Mill, den Philosophen, dessen Utilitarismus den Menschen zu einem Gebrauchsding reduziert, wobei sich gleichzeitig der Tauschwert verselbständigt. 20 Sternberg hat das gut in „Futur sans avenir“ ausgedrückt. 19 21 alles nur noch Kombination von Gesellschaftsbeziehungen, Produktivkräften und Mythemen ist . . .Die Struktur in ihrer Vollendung beseitigt die Geschichte. Die Geschichte ist aber, was die Menschen getan haben. Man versteht nun, dass die kommunistische Revolution nicht nur eine andere Zeit setzen muss, sondern auch einen neuen Raum. Beides geschieht gleichzeitig, wo die Menschen in ein neues Verhältnis zur Natur eintreten und sich mit der Natur versöhnen. Wir haben gesagt, dass alles partikuläre Beute der Konterrevolution ist. Wir müssen nicht nur einfach die Totalität fordern, sondern vor allem die Vereinigung dessen, was getrennt, vermittelt worden ist. Wir müssen die integrale Zukunft mit Individualität und Gemeinwesen fordern. Dieses zukünftige Wesen existiert schon als vollständige Forderung. Es charakterisiert den revolutionären Charakter der Bewegung vom Mai 1968 und der Mittelschüler dieses Frühlings 1973 am besten. Der revolutionäre Kampf ist Kampf gegen die Herrschaft allerorten, aller Zeiten, aller Aspekte des Lebens. Seit 5 Jahren überflutet der Protest alle Gebiete des Lebens im Kapital. Jetzt erreicht die Revolution ihren Kampfplatz, dessen Zentrum überall und dessen Oberfläche nirgends ist 21; ihre Aufgabe ist unendlich: Zerstörung der Beherrschung, Setzung der unendlichen Äusserung des kommenden Menschenwesens. Doch kein Optimismus raunt uns zu, dass in fünf Jahren die wirkliche Revolution beginnt: die Zerstörung der KPW! (Aus „Invariance“ Serie II, Nr. 3, 1973. übersetzt von A. Loepfe) ************** Dies ist die Definition des Unendlichen von Blanqui, der dabei den berühmten Satz von Pascal verändert. Siehe: „L’Eternité par les astres“, Ed. La Tête de Feuille, S. 119. 21 22 „Gegen die Zähmung“, von Jacques Camatte, wiedergelesen Andres Loepfe Die Übersetzung und Herausgabe der Schrift „Contre la domestication“ von Jacques Camatte ist Gelegenheit zu ihrer Befragung. „Contre la domestication“ ist in Nummer 3 der Serie II von „Invariance“ erschienen und bildet mit „Errance de l’humanité“ und „Déclin du mode de production capitaliste“ eine Einheit (wie J. Camatte heute betont). „Contre la domestication“ nimmt zur Bewegung der Mittelschüler im Frühling 1973 Stellung. Es folgt jeweils eine Passage aus der besagten Schrift, woran sich Überlegungen knüpfen. Die Zitate stammen aus „Gegen die Zähmung“ in Exitus Nr. ???? (Seite 1) „Die kapitalistische Gesellschaft hat nie eine so kritische Periode wie die gegenwärtige gekannt. Alle Elemente einer klassischen Krise existieren im Dauerzustand, ausser der Produktionsverminderung, die nur gewisse Länder in beschränktem Umfang betrifft“ Nach marxistischer Krisentheorie ist eine Krise Krise des Kapitalzyklus, welche den Gesellschaftskörper erschüttert. Eine solche Krise beinhaltet den Zerfall des Marktes, da sich Wert und Mehrwert nicht mehr realisieren lassen etc. Das war 1973 nicht der Fall. Jacques Camatte stimmt hier offensichtlich nicht mit der marxistischen Theorie überein, geht darüber aber stillschweigend hinweg. (S. 1) „Die Gewalt und die Qualen, welche die Menschen empöre und bewegen sollten, blühen und sind weltweit endemisch; gegenüber der heute praktizierten Tortur erscheint die „Barbarei“ der Nazi als handwerklich-archaische Methode.“ Eine Macht bedarf nur insofern der Gewalt und Folter, als sie bedroht ist. Der kapitalistische Staat besteht im Vertrag der Bürger. Dieser ist die ÜBEREINKUNFT FREIER Individuen, auf Gewalt und Übergriffe zu verzichten. Es geht um den Frieden des freien Marktes. Die Macht bleibt 23 in einer Zentralgewalt konzentriert. Jeder Demokrat respektiert diesen Frieden. Gewalt darf im Rechtsstaat nur von Seiten des Rechtes und seines Polizei-Apparates ausgeübt werden, um den Frieden und die allgemeine Abwesenheit von Gewaltakten zu garantieren. Ausserdem verbürgt im Falle inneren und äusseren Krieges der bewaffnete Souverän (die Armee), den freien Markt freier Bürger wiederherzustellen. Natürlich ist diese Theorie des Gesellschaftsvertrages eine (vielfach durchaus zugegebene) Konstruktion; wirksam ist sie nichts desto weniger: Das Leben der demokratischen Gesellschaft beruht auf einer stillschweigenden Übereinkunft. 1973 gab es noch den Krieg in Vietnam. Dieser Krieg sollte aber den Grundstein zu einer künftigen Demokratie in diesem Land legen, d. h. er sollte sich dereinst legitimieren. (und in der Tat ist Vietnam auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft). Wie sollten Grausamkeiten die Menschen dazu bringen, die Revolution zu machen? Humanitäre und humanistische Organisationen beschäftigen sich mit Grausamkeiten; diese sind aber weit davon entfernt, die kommunistische Revolution zu fordern. (S. 1) „Es ist die Zähmung. Sie ist eingetreten, als sich das Kapital als materielles Gemeinwesen installierte und dabei den Menschen fragmentierte und zerstörte. Das Kapital hat ihn nach seinem Bilde als kapitalisiertes Wesen zur Ergänzung seiner eigenen Anthropomorphose neu zusammengesetzt.“ Es tritt Kapitalisierung des Menschen und Anthropomorphose des Kapitals ein, eine Doppelbewegung, welche die Menschen zähmt und beherrscht: dies die Theorie von Jacques Camatte. Das Kapital autonomisiert (verselbständigt) sich also und wird „automatisches Subjekt“ (Marx). Die Menschen werden Opfer der strukturellen Dynamik, der Ökonomie, des Kapitals. Früher wurden die Völker Opfer ihrer Mythen, Sitten, Verwandtschaftsstrukturen, der Struktur ihrer Grammatik oder Semantik ihrer Sprache: alles Abspaltungen der Dialektik zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Diese Denkweise scheint mir strukturalistisch zu sein. Ich komme darauf zurück. (S. 2)Wer etwas unternehmen will, muss sich also Rechenschaft darüber ablegen, dass eine wirkliche Einflussnahme fehlt Also Ohnmacht! Man vergleiche diese Aussage mit der Verwerfung jeden Zweifels weiter unten. [Zur Fussnote 3: Meiner Ansicht nach einer der Höhepunkte der hier vorliegenden Schrift: die Ablehnung der alten Dichotomie von links und rechts. Damals und auch heute noch ist die Nichtrespektierung dieser 24 Frontlinie (aus opportun.] revolutionärer bürgerlicher Vergangenheit) wenig (Seite 3/Fussnote 3) „Die Probleme in ihrer Dringlichkeit bestehen für alle. An verschiedenen politischen Ecken wird an Lösungen gearbeitet. Revolutionäre und Konterrrevolutionäre unterscheiden sich in den vorgeschlagenen Lösungen, nicht in den Problemen an sich“ Die Auffassung von Erkenntnis, die hier J. Camatte zum Ausdruck bringt ist realistisch-naif. Dieser Auffassung gemäss besteht auf der einen Seite die Welt mit ihren Problemen, auf der andern Seite ihre Vorstellung (représentation; er kommt anschliessend auf diese zu sprechen), die mehr oder weniger korrekt sein kann. Das setzt aber etwas wie Repräsentanten voraus, die objektiv beschreibbar sind. Die Menschen sind aber nicht beschreibbar wie Ameisen, welche Teil ihrer Umwelt sind und diese mehr oder weniger treffend wiederspiegeln (und sogar diese Ameisen...). Die Welt mit ihren Problemen ist nicht für alle Menschen dieselbe, weil die Subjekte ihre kognitive Welt produzieren, die integraler Bestandteil der „objektiven“ Welt ist. Ein Humanist beispielsweise betrachtet die Welt mit humanistischen Augen; er ist blind für die Hybris seiner Forderungen. Selbst auf der Ebene des Biologischen stellt man fest, dass es z. B. nicht einfach das Problem des Hungers gibt, das alle Menschen gleichermassen berührte. Zivilisierte Menschen können Hungers sterben, wo primitive Menschen sich den Magen vollschlagen könnten! Das Denken von J. Camatte leidet an Naturalismus-Szientismus.. (S.3) „Marx ist eine Überwindung: Er bejaht die Entwicklung der Produktivkräfte als Notwendigkeit (und damit der Wissenschaft und Technik), denunziert aber die unmittelbare Auswirkung der Produktivkräfte auf die Menschen; für ihn stellt sich der Widerspruch so dar, dass die Entwicklung der Produktivkräfte erst mit der Zerstörung der KPW möglich wird, dann nämlich, wenn die Menschen diese Entwicklung lenken würden; dann sollte es keine Entfremdung mehr geben. Das setzte aber voraus, dass sich das Kapital nicht wirklich verselbständigen (...) könnte“. Ich sehe nicht, wie Marx etwa einem Carlyle bezüglich der Frage der Technologie und des Industrialismus überlegen wäre. J. Camatte will Marx retten, wo er nicht zu retten ist. Er vertuscht hier. Es sind gerade Reaktionäre wie Carlyle, welche die Zerstörung wahrgenommen haben, welche die Technologie brachte. In der Tat besteht Affinität zwischen Kapital und Technologie, die Frage der Technologie (Technologie spezifiziert die Technik der Herstellung von „commodities“ nach Albert Borgmann) kann aber nicht der Frage nach dem Kapital unterordnet werden. 25 (S. 3) „Das Kapital vermochte sich aber in Bezug auf seine Grundlage zu verselbständigen, indem es sie einfach vereinnahmte – und damit entkam es besagten Widersprüchen.“ Wieder stehen wir vor der berühmten „Verselbständigung des Kapitals“, eine fast formelhaft gewordene Wendung in der camattschen Theorie. Eine Beziehung (der ökonomische Wert), ein prozessierendes Verhältnis (das Kapital) unterwirft sich die Individuen und die menschlichen Gesellschaften. Das Kapital wird die Umwelt und determiniert, formt und konditioniert die menschlichen Wesen seinen Ansprüchen gemäss (Erziehung und Ausbildung kapitalkonformer Arbeitskraft; Verwertung dieser menschlichen Ware deren Produktion nichts desto weniger ausserökonomisch, ausserindustriell bleibt (die Aufzucht von Arbeitskräften bleibt von der kapitalistischen Produktion ausgeschlossen)). Diese Theorie erklärt alles, ausser die Entstehung des Kapitals, das heisst: Die Theorie von der Verinnerlichung des Kapitals und der Zähmung durch das Kapital erklärt nicht sehr viel. Ist das Kapital nicht letztlich vom Menschen produziert? Der magische Mensch schafft eine magische Welt, der mythische eine mythische Welt und vice versa. Und der rationalistische, techno-kapitalistische Mensch bringt seine kapitalistische, freie und demokratische Welt hervor, die beste von allen möglichen, et vice versa. Der techno-kapitalistische Mensch entledigt sich nicht des Kapitals und der Technologie, und nichts legt uns nahe, die Zeichen zu sehen, dass sich das ändert. Es ist wahr, es hat historisch gesehen Fortschritt und Revolutionen in Moral und Zustand menschlicher Vereinigungen gegeben, Resultate der Widersprüche in diesen Vereinigungen gemäss marxistischer Theorie. Ob das allerdings auch für die kapitalistische Welt gilt, ist noch nicht erwiesen. Wie auch immer, die Theorie der Entwicklung, welche J. Camatte hier präsentiert, ist wissenschaftlich-materialistisch und vernachlässigt die subjektive Seite. Die Subjekte werden objektiviert („verdinglicht“, S. ???/ Zeile ???); das ist die marxistische Methode, das Subjekt-ObjektProblem zu lösen. Die subjektive Seit negieren heisst aber: Freiheit, Spontaneität, Geist und Moral beim Menschen ableugnen. (S. 4) „Zähmung und repressives Bewusstsein haben uns in Jahrhunderte altem Verhalten versteinert, haben unsere Gesten ebenso starr werden lassen, wie unsere Gedanken stereotyp. Entstanden ist daraus eine Armee von Salzfiguren, die auf die Vergangenheit gerichtet sind, selbst dort, wo sie in die Zukunft zu blicken glauben. Aber das Leben ist eingebrochen und hat wieder Bewegung gebracht, die Bewegung des Kommunismus.“ 26 Nach J. Camatte ist die ganze Phase nach einem bestimmten Datum, einem katastrophalen Ereignis eine einzige Verirrung: die Verdrängung „des Lebens“. Dieses Datum ist verschiebbar: es kann der Moment des Auftauchens des Kapitals, des ökonomischen Wertes oder der Sesshaftwerdung/neolithischen Revolution sein. Die Entwicklung der camattschen Theorie legt die Vermutung nahe, die Radikalisierung bestände in der Vordatierung dieses Datums des Bruchs mit dem biologischen Phylum. Diese Darstellung der Dinge ist unannehmbar. Camatte schwimmt im Vitalismus. Die Bewegung des Vitalismus ist Antipode, Gegenmittel und Ergänzung der Bewegung des Szientismus. Berührungspunkt zwischen Vitalismus und Szientismus ist die Definition des Menschen als animal rationale, ein sprach-und vernunftbegabtes Lebewesen, sicher, vor allem aber ein Lebewesen, Tier mit Sinnen und Instinkten. Seine intellektuellen, vor allem aber spirituellen (d. h. moralischen!) Fähigkeiten sind dagegen eher verdächtig. Das Übel kommt von oben: von den herrschenden Klassen, von den „Vorstellungen“, welche für das einfache und reine Leben als gefährliche „Abstraktionen“ eingestuft werden. In der hier vorliegenden Schrift greift J. Camatte das repressive Bewusstsein an. Er meint damit die materialistische Theorie des Algorithmus des Prozesses, welche besagt, dass die Revolution dann eintreten werde, wenn die Situation reif ist. Stellen wir hier ein erstes Mal fest, dass J. Camatte sich hierbei selbst widerspricht: Einerseits akzeptiert er die materialistische Konzeption der historischen Entwicklung, andrerseits aber verteidigt er hier ein nicht-repressives Bewusstsein: den Willen der revolutionären Subjekte, die Revolution zu machen, statt eine weitere Drehung des geschichtlichen Weltlaufes mitzuvollziehen. (in den späteren Schriften von J. Camatte trägt der Objektivismus-Materialismus aber doch den Sieg über die Subjektivität davon: In einer weiteren Drehung der Radikalisierung erklärt er, dass das Bewusstsein an sich repressiv sei! Somit bleibt vom Menschen nur noch ein lebendiges Bündel physiologischer Reflexe. Der Enthusiasmus des Vitalismus ist an einem Auge blind: Ist das Leben nicht auch die Nahrungskette mit Räubern und Opfern? Heisst Leben nicht auch strenge Rangordnung (z. B. bei den höheren Säugetieren)? Zudem darf man nicht vergessen, dass „das Leben“ nicht die „Grundlage“ ist. Die vor-biologische Welt ist viel älter. Mit dem Leben wird Gestalt Subjekt (Helmut Plessner). Leben bedeutet die relative Trennung von der Welt der Mineralien und von der subatomaren Welt! (S.4) „Es ist also keine neue Theorie, keine neue Aktionsform beigebracht worden. Man weiss nicht, ob das J. Camatte freut oder nicht: Einerseits verteidigt er die Invarianz der marxschen Doktrin, die keiner Modernisierung bedarf 27 – ein altes Postulat von A. Bordiga, der jeden Revisionismus des Marxismus verwarf; andrerseits kreidet er die alten Kampfformen an: die Demonstrationen, Flugblätter, die Agitation auf den Strassen, die Besetzungen, die Zusammenstösse mit den Ordnungskräften etc. an. (S. 4) „Dagegen setzte sich die Forderung nach Leben gleichzeitig gegen diese Gesellschaft und darüber hinaus: gegen die vom Kapital auferlegte Passivität, für die wiedergefundene Kommunikation zwischen den Menschen, für eine befreite Kreativität, für eine schrankenlose Phantasie in der menschlichen Entwicklung.“ Der zweite Teil dieses Satzes könnte einer „Einführung in die Public Relation“ entstammen; nur der Zusammenhang erweist den Bezug zu einer Schrift, die gegen die Zähmung durch das Kapital Stellung nimmt. J. Camatte hat diesen situationistisch-linksradikalen Jargon aber schon lange aufgegeben. Jedermann liess sich in den Jahren nach 68 von der Welle des Enthusiasmus über die Befreiung davontragen, von der wir heute wissen, dass sie die Nach-Kriegs-Sklerose durchbrach, welche den freien Fluss des Kapitals behinderte. (S. 5) „Das Ablaufschema zeigt im übrigen, dass keine Revolution reinen Klassencharakter hat. Für die kommunistische Revolution wird das noch viel ausgeprägter sein, denn sie ist nicht nur das Werk einer Klasse, sondern der ganzen Menschheit.“ Es kündigt sich hier die Revolution mit menschlichem Titel an. J. Camatte wird davon noch sprechen. Mit dem Konzept der „universellen Klasse“, welche diese Revolution mit menschlichem Titel tragen soll, enthüllt sich J. Camatte als Humanist. Er glaubt an die beschwörbare Kraft des menschlichen Wesens, der menschlichen Natur. Es ist kein Zufall, dass er sich hier auf die Schriften des jungen Marx bezieht, welche noch den idealistischen und voluntaristischen Geist der Revolution von 1848 atmen. Der moderne Humanismus hat die Maxime: Wir sind grundsätzlich Meister unserer Seins. Dieser Voluntarismus ist das pure Gegenteil der Theorie von der Verselbständigung des Kapitals, die Fatalismus nahe legt und geschichtliche Gnade erhofft. Eine subjektivistische Korrektur dieses Objektivismus? Auf jeden Fall stossen wir auf den schon erwähnten Widerspruch. Ich greife dabei nicht den Widerspruch an sich an, nur die Verwischung von Widersprüchen. Antinomische Thesen müssen erklärt werden. In der Theorie kann man nicht nach eigenem Gutdünken basteln („Verwilderung“ des Denkens“). (S. 6) „Die Besinnung kann den Ausgangspunkt für die Suche des Momentes bilden, wo die Verirrung der Menschheit begonnen hat, also einen erster Versuch, der Fatalität zu entkommen, welche die 28 Menschheit aus der menschlichen Bahn in die produktivistische Hölle geworfen hat“ Gemäss Camatte verlief die Geschichte ungefähr so: Am Anfang lebte die Menschheit ihr Gattungsleben. Ein ausserordentliches Ereignis warf sie aus ihrem Geleise. Die kommunistische Revolution ist die Wiederherstellung des menschlichen Wesens. Es handelt sich daher darum, den Grund, den Ursprung dieses Unfalls, dieses desaströsen Ereignisses zu finden. In der hier vorliegenden Schrift findet J. Camatte diesen Grund im Kapital, in einem dynamischen menschlichen Verhältnis, welches sich vom ganzen gesellschaftlichen Zusammenhang des menschlichen Lebens abgespalten hätte. In späteren Schriften beginnt die Suche nach den Wurzeln der Entwicklung des Wertes, des Kapitals, des Staates, der Nation etc. in der neolithischen Revolution. In den letzten 10 Jahren hat J. Camatte die Suche nach dem Faktor der menschlichen Verirrung ins Innere, in die Psyche des Menschen verlegt und es geht um die Auswirkungen der elterlichen Repression. Die Psyche des Menschen ist von den Eindrücken der Repression infolge der Dysfunktion der Aufeinanderfolge der Generationen traumatisiert und verwüstet. Allgemein stellt man fest, dass, dass Camatte alle seine Forschungen auf die Suche eines objektiven Faktors des „Übels“ richtet. Er bleibt dabei im rein Wissenschaftlichen, wo man die objektiven Gründe einer Wirkung (in der unendlichen Kausalkette) identifiziert . Diese Suche schliesst das Subjekt aus, seine Spontaneität und Freiheit (die potenziell schon in biologischen und vorbiologischen Formen angelegt sind) (Fussnote 6, S. 6) „Der Mensch ist nicht immer in die Natur eingelassen, das Dasein ist nicht immer mit dem Sosein, das Sein mit dem Bewusstsein identisch. Aus dieser Trennung entspringt die Vorstellung (représentation).“ „Die Frage der Vorstellung ist bedeutungsvoll. Vom Moment an, wo die unmittelbare Einheit Mensch-Natur nicht mehr besteht (wenn sie überhaupt je bestanden hat), wird die Vorstellung notwendig. Sie ist Aneignung der Wirklichkeit und Mittel der Kommunikation zwischen den Menschen. In diesem Sinne kann sie nicht abgeschafft werden, denn der Mensch kann nicht in ununterschiedener Einheit mit der Natur leben. Er hat sich also von ihr verselbständigt-entfremdet. Diese Tendenz muss gebremst werden.“ Die „Vorstellung“, in gewisser Hinsicht „Abbild der Wirklichkeit“, wäre also ein Behelfsmittel, eine notwendige Prothese, etwas, wie ein notwendiges Übel, von dem zu wünschen wäre, man könnte sich seiner entledigen ... In den Schriften von J. Camatte findet man ein tiefes Verlangen nach vollständiger Harmonie, gänzlichem Heil, absoluter Heiterkeit. Und so 29 erstaunt man nicht, auf der andern Seite den eingefleischten Willen zu finden, das Böse ein für alle Mal auszutreiben, ja zu exorzieren. Woher dieser Unwille, den Widerspruch und die damit verbundene Unruhe auszuhalten? Ist dieser Wille, mit den Übeln Schluss zu machen, nicht wesentliche Eigenart des modernen Subjektivismus, welcher zum allgemeinen Narzissmus von heute geführt hat? (Seite 7) „Hier zeigt sich nicht nur die Angst vor dem Alleinsein und damit die Einsicht der notwendigen Vereinigung, um die Macht zu entwickeln, die KPW niederzuschlagen, nein, es zeigt sich auch die Angst vor der Individualität22, die Unfähigkeit, „autonom“ die grundsätzlichen Fragen unserer Epoche anzugehen: ein weitere Ausdruck der Zähmung der Menschen, die am Übel der Abhängigkeit leiden.“ Man staunt in verschiedener Hinsicht. Erstens, es schient mir unbestreitbar, dass die Entwicklung des Kapitals, zumindest im Westen, von der Entfaltung der Individualität und des Individualismus begleitet wird. Möglich, dass seit 100 oder 150 Jahren diesbezügliche eine Regression stattgefunden hat; die „Angst vor der Individualität“ ist aber sicher nicht das Produkt der „kapitalistischen Kultur“. Zweitens, bezüglich des „Übels der Abhängigkeit“: Ist es nicht ein herausragender Zug der Dynamik des aktuellen Systems, Autonomie, Autarkie und Unabhängigkeit hochzujubeln ? Welcher Kult des Ich, des Selbst! In der aktuellen Un-Welt will jedermann, jede Frau alles sein haben und kontrollieren, zumindest in seiner, ihrer (virtuellen) Sphäre. Welch Traum von Allmacht und Allgegenwart in diesen Köpfen! Jede glaubt sich unabhängig und ohne Schuld (man schuldet nichts irgendwem, nichts der Natur, nichts den Vorfahren und Ahnen, nichts der Zukunft und kommenden Generationen). Aber gleichzeitig schafft man mit diesem autonomistischen Verhalten ein komplexes System totaler Abhängigkeit und Über-Gesellschaftlichkeit. (Seite 7/Fussnote 7) „Offensichtlich sind die gesellschaftlichen Organisationen zu labil, dass sie die freie Entwicklung menschlicher Möglichkeiten erlauben könnten.“ In der Zwischenzeit ist die Frage nach den „menschlichen Möglichkeiten“ Sache der „human ressources“ geworden.... Möchten wir nicht lieber mit dem ganzen Wahnsinn der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten aufhören? Nun, „Selbstverwirklichung“ (Ausdruck seines Wesens, der Ursprünglichkeit, Eigenheiten ... Thema der Romantik und von Herder) könnte man noch durchlassen, nicht aber den Konsum der „commodities“: Apparate, Installationen, Programme und Organismen zur Aktualisierung dieser Potenzen der Subjekte. Genug! 30 (Seite 9) „Die Jungen haben noch die Kraft, den Tod zurückzuweisen.“ Der Vitalismus ist gleichbedeutend mit der Betonung der Jugend, deren Leben noch nicht verhärtet ist, wie die geronnene Natur der natura naturata. Wir müssen endlich anerkennen, dass Technologie und Kapital Potentialitäten des Menschen sind, der aus dem Kosmos (Einheit der Pole Geist und Drang) hervorgegangen ist. Das Lebens des Kapitals weist viele Eigenheiten des Lebens der Arten auf (man kann durchaus von der Ökologie des Kapitals sprechen). Damit will ich sagen: Mann kann nicht das Lob der Natur, des Lebens und der Spontaneität des Kosmos singen, ohne die Möglichkeit ihrer Verirrungen zu bedenken. Die Jungen „rebellieren gegen die Zähmung“? Ganz im Gegenteil. Die Jugend ist die der techno-kapitalistisch-demokratischen Gesellschaft am besten angepasste Fraktion. Sie trägt sie und bringt sie vorwärts. (S. 9) „Die Jugend ist ein Übel für das Kapital“. Der Kampf der Jungen (im Frühjahr 1973) „gegen die (schulische, familiäre, militärische) Unterdrückung“ berührte kaum den Nerv der Sache. Schon die Kritik von Marx am Kapitalfetisch geht viel weiter als jeder Kampf gegen die Repression oder gegen die gesellschaftliche Dressur. J. Camatte wusste schon damals sehr gut, dass „born to be wild“ die definitive Entfesselung der Konsumkräfte der Menschen bedeutete. Was ist diese Jugend 1968 nicht geschmäht; wie ist der 68er-Jugend geschmeichelt worden! (S. 9) „Sie (die Armee) organisiert die Abrichtung des Willens auf die Tötung des andern.“ Absurd! Die Armee ist eine durch ihre Natur als ultima ratio rigide Organisation. Ihr Ziel ist die Beseitigung des Feindes, der Sieg über den Feind, nicht die Abschlachtung des Feindes. Dies ist auf jeden Fall die technisch-strategische Vision einer modernen Armee. Unglücklicherweise vollzieht sich diese Beseitigung des Feindes noch nicht so human, wie man möchte; immer noch fliesst Blut – der Horror für alle Zivilisierten. Aus diesem Grunde muss jede heutige moderne Armee (die mehr als eine martiale und patriarchale Folklore wie das schweizerische Milizsystem ist; es wird übrigens gegenwärtig aufgelöst) die Rekruten auf eine Gewalt vorbereiten, an die sie nicht gewohnt sind. Ich bin gegen den Pazifismus, den J. Camatte nur verbal zurückweist (siehe Fussnote 13; Camatte schützt sich gern gegen mögliche Angriffe durch kleine Anmerkungen, welche aber an der allgemeinen Tendenz der Darstellung nichts ändern). Die verschiedenen Pazifismen haben wesentlich zur allgemeinen Verweiblichung beigetragen, von der 31 niemand zu sprechen wagt. Das gilt auch für die vegetarischveganistische Ideologie. Die zivilisierte Menschheit verliert den Kontakt mit der Wirklichkeit, mit allem, was den Wünschen widerstrebt. Mit der Verstädterung wird die „Gewalt“ (= puissance-force; „violence“ ist nicht gleich „Gewalt“, sondern meint Durchdringung, Vergewaltigung, Unterwerfung) extra muris, extra societatibus ausgeschlossen. Gegenwärtig wird die Gewalt, wird Kampf vollständig marginalisiert. Ziel der Gesellschaft ist die Ausmerzung jeder Kraftäusserung, jeder Äusserung eines leidenschaftlichen und begeisternden Lebens. J. Camatte beendet diesen Abschnitt mit „(...) um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist: Männer und Frauen zu töten.“ Er folgt offenbar einer deontischen Ethik: „Du sollst nicht töten“, „non nocere“. Das sind in der Theorie schöner Seelen gültige Maximen. Jedes Leben beruht aber auf dem „vita mea mors tua“. Möchten die Verteidiger der erwähnten edlen Leitsätze soweit gehen, Katastrophen anzunehmen („fiat iustitia pereat mundus“)? Wir müssen nicht alle Prinzipien fallen lassen („Der Zweck heiligt die Mittel“), um einen gewissen Pragmatismus anzunehmen (denjenigen der utilitaristisch-konsequenzialistschen Ethik), welcher besagt: Es gibt Situationen, in denen man eine gewisse Zeit lang gegen unsern starken Instinkt „pro vita“ handeln muss. Das kann darauf hinauslaufen, Männer und Frauen zu töten. Allgemeine Bemerkung: Es ist sehr wichtig, in den strittigen Fragen (hier: bezüglich der Armee) den Standpunkt des Gegners zu beachten und ihm die ehrenvollsten Argumente zuzugestehen. (S. 10) „Die Schule ist die Organisation der Passivität.“ Die 35 vergangenen Jahre sah man Alternativschulen, „Nicht-Schulen“, „keine Erziehung, keine Bildung, keine Repression - Schulen“, integrale Verschulung und Verkindlichung ... mit niederschmetternden Resultaten. (S. 10) „(...) programmierter, von Maschinen verteilter Unterricht“ Ich möchte hier auf etwas Nebensächliches weisen. Die Kritik greift zumeist die Maschinen, nicht die Geräte an. Die Computer sind aber Geräte ( „devices“ = „commodities“) Von Maschinen zu sprechen legt das Gewicht zu sehr auf die physisch-energetische Seite; die Geräte machen aber keinen Lärm, im besten Fall brauchen sie wenig Energie und sogar wenig Material. Sie sind aber „black boxes“, was das Wissen anbelangt, das in ihnen steckt. Dieses Wissen entlastet denjenigen, der diese Geräte benutzt, und dient zur Entfaltung seiner Wünsche. Der „user“ ist ein desangagiertes, freies Wesen. Man fordert es auf, sich überhaupt nicht um das innere Funktionieren zu kümmen, ebenso die gesellschaftliche und ökologische Auswirkung des „userfriendly“ Gerätes ganz ausser Acht zu lassen. 32 Mit dem Computer hat man die Auflösung der alten Schule, d. h. das Ende einer repressiven Struktur: Die Forderungen der Rebellen der Mittelschule von 1973 verwirklichen sich. (S. 11) „Die Revolution ist nicht mehr strikt gleichbedeutend mit der Zerstörung des Alten.“ Die Theorie des Proletariates ist Teil des Programmes der Modernisierung der alten Welt. Jacques Camatte bemerkt das wohl, wagt aber nicht, den glatten Bruch mit dieser Theorie expressis verbis zu vollziehen.; er laviert. Im zitierten Satz lässt er einen annehmen, der revolutionäre Wille, das Alte zu zerstören, sei einst legitim gewesen und das sei erst heute nicht mehr der Fall. (S. 12) „Man kann die Menschen nur töten, indem man sie zuvor ihrer Menschlichkeit beraubt.“ Es gibt zweifellos Situationen, wo man einen oder mehrere Menschen eliminieren, vielleicht sogar töten muss. Ich denke dabei nicht nur an revolutionäre Situationen, sondern auch an kriminelle Handlungen. Der Marxismus hat sich nie ernsthaft mit der Kriminalität befasst. Er glaubt oder tut dergleichen zu glauben, dass die Kriminalität ein Phänomen der Klassengesellschaften ist, welche Privateigentum, elterliche Unterdrückung kennen oder von Gesellschaften, welche vom Tauschwert oder vom Kapital durchdrungen sind, etc. Die Kriminalität stellt aber eine dauerhaft Bedrohung jedes Gemeinwesens und jeder menschlichen Lebensgemeinschaft dar. Sie besteht in schweren Übergriffen von Personen ( Individuen und Kollektiven; „schwer“ im Sinne einer Bedrohung des Lebensvollzuges). Solange sich Leben äussert und in einzelnen und besonderen Wesen konkretisiert, kann es Übergriffe geben. Es ist aber keine unbedingt notwendige Bedingung, die Wesen, die man beseitigt oder tötet, ihres Wesens (z. B. der Menschlichkeit) zu berauben. Man muss schändliche Handlungen verachten, aber nie diejenigen, welche sie begehen. Der Hass ist ein wesentliches Element im Zustand eines Wesens, das kämpft-negiert. Der Hass auf den Gegner/Feind darf das Verhalten aber nie bestimmen. (S. 12) „Man soll ihnen (den Polizisten) im Gegenteil als Menschen gegenübertreten.“ Das ist sehr richtig, das schliesst aber nicht aus, diese Leute unter Umständen zu hassen und sie, wenn nötig, physisch und moralisch anzugreifen. In der Situation des Kampfes gibt es nur ein Ziel: siegen. Natürlich versucht man nach dem Sieg den vorherigen Feind zu überzeugen (vaincre – convaincre). Jede Rache, jede Grausamkeit ist ausgeschlossen. Man darf sich aber keine Illusionen machen. In der 33 Regel ändern sich Sitten, Verhalten und Auffassungen erst mit dem Aussterben der Leute, welche ihre Träger sind. J. Camatte ist Opfer der linken, humanistischen Einstellung, die annimmt, der Mensch sei von Natur aus gut und das Böse komme von der verdorbenen Gesellschaft, von ihren Institutionen, Aberglauben und falschen Überzeugungen, oder von repressiven Strukturen. Es ist keine individuelle oder “historische“ Erfahrung , die mich zur Gesinnungsänderung bewegt! Die eben dargestellte Einstellung ist eine reine Behauptung ohne Beweis. Ein „logischer“ Beweis müsste aber erklären, wie das Böse auf den Menschen und ihre Institutionen Einfluss haben und sie schlecht machen kann. (S. 13) „Den Terrorismus akzeptieren heisst vor der Macht des Kapitals kapitulieren. (...) Er (der Terrorismus) appelliert an den Tod, um eine hypothetische Rebellion zu erwecken.“ J. Camatte entwickelt im Folgenden etwas wie eine anti-terroristische Theorie. Hier meine Antwort. 1 Man kann für die Sache mit transzendentem Wert sterben. Das heisst: im Angriff auf das System (und seine Träger) das Risiko auf sich nehmen zu sterben. Das heisst auch: Verweigerung, am System teilzunehmen – was ebenfalls zum Tod führen kann. 2 Das Leben, das die einzelnen und kollektiven Personen führen, ist nicht der oberste Wert, das absolute Gut. Es kann Gründe geben, auf das Leben, darauf, „sein Leben“ weiter zu führen und es (in der Zeugung) weiterzugeben, zu verzichten. 3 das demokratische System nennt die Bewegungen und Handlungen von Einzelnen und von Gruppen, die Gewalt anwenden, „terroristisch“. Von Terrorismus im Falle von gewaltsamen Handlungen, von Revolutionären begangen, zu sprechen, heisst, die Sprache des Systems annehmen. Das Problem solcher Handlungen besteht in ihrer klandestinen Natur. Wer legitimiert diese isolierten Gruppierungen, solche Akte zu begehen, welche das System und diejenigen, welche mit ihm konform sind, schädigen und provozieren? Die Entscheidung, solche Methoden anzuwenden, darf nur von einer Partei gefällt werden, welche der antizipative Pol eines andern In-der-Welt-Seins der ganzen Menschheit, der Pol des Bruches mit der Technologie und dem Kapital ist. (Diese Partei, formal oder informal, fehlt.) 4 Die Frage des Opfers: Es ist pathologisch, leiden oder sterben zu wollen. Man kann nicht „für eine bessere Welt sterben wollen“. Hingegen kann man sein persönliches Leben zur Rettung einer Bewegung, anderer Personen oder einer „Idee“ hingeben. Man kann solche Handlungen heroisch nennen. Der Heroismus kann aber nicht Teil einer Strategie sein. Eine politische Gruppe, welche mit dem 34 (selbstmörderischen oder nicht selbstmörderischen) Tod Militanten rechnet, spielt das klassische Spiel der Rackets. seiner (S. 14) „Seit dieser Epoche hat man begriffen, dass die Demos und Paraden, Spektakel und Feste zu nichts führen. Spruchbänder tragen, Plakate kleben, Flugblätter verteilen, sich mit der Polizei schlagen ist ein Ritual, worin die Polizei ewige Siegerin ist.“ Das ist durchaus wahr. Nun, heute haben wir das Internet! Die Dinge und Kampfplätze sind also sehr verschieden geworden. Wenige Zeit nach „Contre la domestication“ zieht Camatte den Schluss aus seiner Kritik an den Kämpfen klassischen und klassistischen Typs und verkündet: Die Welt verlassen! Die Welt des Kapitals und der Protest- und Widerstandsbewegung aufgeben! Die Städte, die Zivilisation verlassen und das Gemeinwesen ausserhalb der gegebenen Strukturen neu begründen. Diese Parole: „Die Welt verlassen!“ ist von den verschiedenen Wellen der Gründung von Gemeinschaften, Öko-Dörfern und Zurück-aufs-LandBewegung realisiert worden. Die Bilanz der Gesamtbewegung ist zwiespältig und es wäre zu einfach, die Niederlage (meines Erachtens ist die Bilanz eher negativ) sei ganz dem Mangel an Radikalität anzulasten. Es scheint mir aber, „Quitter le monde“ hat einen Quitesmus sanktioniert. Es ist wahr, dass der Kampf gegen das System das System stärken kann; andrerseits kann man das System nicht (mehr) fliehen. Nicht nur auf der Ebene des Raumes-Bodens ist dieses Unterfangen zur Niederlage verurteilt. Wir stehen im alltäglichen Kleinkrieg mit dem System; man kann nicht gegen das System nicht-kämpfen wollen oder man ergibt sich ihm. Aus der Scheiss herauskommen heisst Scheisse durchqueren. . . Man kommt nicht darum herum, gegen das System zu kämpfen – und da der Angriff die beste Verteidigung ist, geht man dabei soweit wie möglich. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass J. Camatte Angst hat, die Herausforderung anzunehmen. Steckt hinter seinem Vertrauen in die grundsätzliche Güte der Menschen ein Mangel an Realismus? Ist es gar Feigheit? (S. 15) „Die Irrationalität ist der grundsätzliche Charakter der Revolution.“ In einem gewissen Sinne ist das, was für das techno-kapitalistische System rational ist, für ein anderes In-der-Welt-Sein irrational. Man kann aber die Verrücktheiten und Exzesse der Antibürgerlichkeit nicht anpreisen. Das weiss und wusste J. Camatte sehr wohl Es scheint mir wirklich so, dass er sich von der Jugendbewegung der 60 und 70er-Jahre hat verführen lassen. 35 (S. 15) „Man kann die Mittel der unmenschlichen Klassengesellschaft nicht anwenden.“ Man ist dazu aber gezwungen (ich wiederhole mich)! Das Gegenteil behaupten zeugt von reinem gutem Willen und läuft Gefahr, sich selbst zu belügen. “Die Welt verlassen“ ist nicht ein individueller Aufruf; diese Parole hat aber nicht in Betracht gezogen, dass die gegenwärtigen Bedingungen nur eine individuelle Befolgung offen lassen. Das gemahnt etwas an die Parole des Mittelalters: „Stadtluft macht frei“. Die Flucht der Leibeigenen in die Städte war eine unpolitische Bewegung, welche die bürgerliche Revolution vorbereitete. Glaubt J. Camatte, eine Bewegung, welche zum Blutverlust des Sozialkörpers der kapitalistischen Gesellschaften führt, könnte zu einer friedlichen Revolution in den verschiedenen Ländern führen? (S. 15) „Im kapitalistischen System wird der Mensch in der Tat überflüssig, es ist aber klar, dass der Mensch als Invariante seit seinem Auftauchen noch nicht zerstört worden ist (...).“ Diese Textstelle schneidet verschiedene Themen an: 1 Strukturalismus. Für die verschiedenen Strukturalismen verselbständigen sich die kollektiven Elaborate der Subjekte und werden materiell oder quasi-materiell (die linguistischen, kulturellen, ökonomischen Strukturen). Die (marxistische) Theorie des verselbständigten Kapitals scheint mir dem Strukturalismus sehr nahe zu sein. Auf Seite 10 liest man: „Die Dinge sind die wirklichen Subjekte welche den Menschen ihren Lebensrhythmus aufzwingen (...) Die Objekte, die Dinge aber sind ihrerseits von der Kapitalbewegung bewegt (...).“ Der Strukturalismus ist die objektive Wissenschaft, welche den Einfluss der Menschen auf Null reduziert (als Methode und in seinen Ergebnissen). Folglich bleibt die Produktion von Revolutionären, also von historisch bewussten Subjekten, rätselhaft. 2. In der kapitalistischen Produktionsweise wird der Mensch überflüssig (das Verhältnis von v nimmt in der Gesamtformel des unmittelbaren Gesamtprozesses von Mehrwert gegenüber c kontinuierlich ab); gleichzeitig aber lebt das Kapital vom Menschen, ja: Der Mensch trägt das Kapital. Das Kapital ist sichtlich mit dem menschlichen Wesen kompatibel, zumindest mit einem gewissen menschlichen Wesen! 3 Spricht man vom Menschen als „Invarianten seit seinem Auftauchen“ zielt man doch auf eine Definition des Menschen ab, was den nicht rein naturalistischen Charakter des Menschen glatt verneint. Stellt man denn nicht grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen menschlichen Kulturen fest? Die Verhaltensweisen, Bedürfnisstrukturen, die Ethiken und Metaphysiken: haben sie nicht in der Geschichte und Vorgeschichte der Menschheit grundsätzliche Wandel erlebt? Der anthropologische Naturalismus unterstellt etwas wie ein biologisches Modell, dem gemäss 36 man einen Kern oder eine Mitte hätte, worum eine Cuticula und ganz zu äusserst eine Epicuticula läge Beim Menschen bildete der Körper mit seinen Trieben den natürlichen Kern. Darauf käme die Seele: die Emotionen. Ganz aussen befänden sich Vernunft, Moral und die ganze spirituelle Superstruktur. Der Kern des Menschen würde aber von dieser Superstruktur nicht wesentlich berührt ... Das ist eine vollständig mechanische, irre Vorstellung vom Menschen. Wenn der wesentliche Unterschied das Wesen von etwas gegenüber einem Andern ausmacht, so müsste wohl am ehesten der Geist für das Menschliche schlechthin gelten; die Schimpansen haben einige Intelligenz, aber keinen Geist. (S. 8) „(...) mit Hilfe von (...) neuen Methoden wie z. B. derjenigen, die Institutionen lächerlich zu machen (...).“ Eine neue Methode? Das „c’est le ridicule qui tue“ ist doch sprichwörtlich. Die Menschen identifizieren sich mit ihren Institutionen, Mythen und Glaubensvorstellungen. Zudem scheint mir, man macht lächerlich, was heilig ist, was Autorität hat. Die materialistische libertine Bewegung hat sich immer schon einen Sport daraus gemacht, sich über heilige Gegenstände lächerlich zu machen . . . Nun, wir finden uns vor den Trümmern dieser Dekonstruktion. Die techno-kapitalistische Welt ist die absolute Libertinage, worin nichts mehr heilig ist. Sie macht sich grausam sogar über sich selbst lustig. Da das Verhängnis in diesem System aber vollständig ist, bringt dieses Sich-selbst lächerlich-Machen das Systems aber auch nicht mehr in Gefahr. (S. 16) „Die kommunistische Revolution ist der Sieg des Lebens.......... eines Naturphänomens.“ Die Aussage, dass die Revolution ein quasi-natürliches Phänomen ist, ist mit dem Fatalismus der Entwicklung der Produktivkräfte (d. h. mit der Theorie eines E. Bernsteins von der deutschen Sozialdemokratie) 100% verträglich. Wozu dann noch das repressive Bewusstsein bekämpfen? Wenn in einer revolutionären Bewegung heroische Menschen im Kampf sterben, sehe ich nicht ein, warum man ihre Akte der SelbstTranszendenz nicht in Erinnerung behalten soll. Diese Handlungen sind nicht beispielhaft, weil sie zum Tod (zur Einkerkerung, Folterung und zum elenden Leben) derer geführt haben, welche sie begangen haben, sondern weil sie die Aspiration auf ein integrales Leben und Sein ausdrücken. Solange die Kluft zwischen gutem und richtigem Leben so gross bleibt, kämpft man mit allen Mitteln gegen das System, welches diese Kluft aufrecht erhält. Natürlich widerspricht diese Auffassung der Dinge jedem Hedonismus. 37 (S. 16) „Im allgemeinen zweifelt der Grossteil der Revolutionäre am Kommen der Revolution (...).“ Möglicherweise glauben diese Leute nicht, dass das Kommen der Revolution so sicher ist wie das Eintreten eines Naturphänomens aufgrund eines Naturgesetzes. Offenbar fehlt ihnen der gute Glaube von J. Camatte. Oder ... wollen sie im Grunde ihres Herzens gar nicht wirklich die Revolution?!? (Das hiesse dann, am guten Glauben dieser Menschen Zweifel zu hegen!) Für J. Camatte (und die bordigistische Schule) ist die marxsche Lehre eine Wissenschaft der Geschichte, welche den Mechanismus ihres Funktionierens kennt. Daraus entspringt für die in diese Wissenschaft Eingeweihten die Möglichkeit zu Prognosen. Der Prognostiker rechnet mit den sozialen, ökonomischen, natürlichen, psychischen etc. Faktoren und verkündet: Es wird eine Revolution geben ... (S. 16) „Das ist der Druck des Kommunismus, d. h. der Druck der immensen Mehrheit der Menschen der menschlichen Gemeinschaft (...). Unglaublich: Der Kommunismus wäre also die Sache der immensen Mehrheit? Doch schauen wir genauer. Warum weiss diese Mehrheit offenbar nicht, dass sie den Kommunismus will? Und die Minderheit? Was hätte sie im Kommunismus zu verlieren? „Privilegien“? Welches ist der argumentative Wert von „Mehrheit“, d. h. einer Quantität von Argumentierenden? Ist eine Wahrheit wahrer, wenn sie von der Mehrheit geteilt wird? Was kann „Mehrheit der Menschen“ anderes bedeuten als eine Aussage bezüglich des Kräfteverhältnisses im Kampf der Wahrheit? „Mehrheit der Menschheit“ hiesse demnach: Die Macht der Verwirklichung einer Forderung, von der man behauptet, dass sie richtig ist. Von „Mehrheit“ bezüglich des wahrhaften In-der-Welt-Seins sprechen – heisst das nicht, den demokratischen Diskurs aufnehmen, der seine Legitimität auf die Mehrheit der Meinung der Bürger abstellt? Zudem, was heisst „menschliche Gemeinschaft“? Es gibt Gemeinschaften von Kriminellen, von Automobilisten, von Fernsehzuschauern, von Klassen- und Volksgenossen; das sind menschliche Wesen. „Gemeinschaftlich“ ist ein Adjektiv wie rot, ohne Wert an sich. Ein Wechsel der Orientierung, des In-der-Welt-Seins ist ein Bruch. Einen Bruch vorschlagen heisst, Menschen, die an ein bestimmtes Regime gewohnt sind, verunsichern; man macht sich damit im allgemeinen zu ihrem Feind. 38 Das Wort „Revolution“ mit seinem geschichtlichen Inhalt hat heute keinen Sinn mehr. Doch wenn es heute keine Bewegung, Gruppen oder sogar Programme gibt, die eine Revolution fordern, so weist das nur teilweise in Richtung der eben geäusserten Einsicht. Zur Hauptsache haben diese Leute jedes Ziel verloren. Der Kapitalismus und vor allem die Technologie befriedigen die revolutionären Forderungen von einstmals. Die gegenwärtige Linke hat sich auf liberale und reformistische Standpunkte zurückgezogen (die sie übrigens schon früher nur teilweise hinter sich gelassen hat). Zu Fussnote 18. Es ist zumindest übertrieben, Marx als Anti-Utilitaristen darzustellen. Seine Sicht des Kommunismus, der auf einer industriellen Überfluss produzierenden und maximal automatisierten Produktion beruht (die Produktivität der Industrie sollte die Fruchtbarkeit der Natur ersetzen), fördert eher eine technokratische, also produktivistischutilitaristische Auffassung der Dinge. Der Sozialismus beseitigt den kapitalistischen Markt, auf dem die einzelnen Produkte sich als gesellschaftliche Güter verifizieren müssen, indem sie die Form des Tauschwertes annehmen. Dieser Sozialismus verlangt dafür die umfängliche Organisation aller Ressourcen: Rohstoffe, Energie, Wissen, Arbeitskapazitäten. Dies gilt auf jeden Fall solange, als die totale Automation der Produktion, Verteilung und des Verkehrs überhaupt nicht erreicht ist... ein unendliches Ziel. Gilt nicht für diesen Sozialismus: „Eine Zukunft produzieren heisst die Menschen nunmehr in Funktion einer gewissen Produktion konditionieren, was die absolute Programmierung bedeutet“ (S. 21)? Die marxistische Lehre vom Wert der Arbeit bzw. des Kapitals auf Grundlage der wissenschaftlichen Produktion stellt ein totales Handicap für jede „Versöhnung mit der Natur“ (S. 7) dar. Der Marxismus schlägt die maximale Vernutzung der Natur, ihre Instrumentalisierung, vor. Der „universelle Gesamtarbeiter“ (nach Marx), beansprucht für sich die schöpferische Spontaneität der Natur, die zum Steinbruch degradiert wird. J. Camatte hat versucht, den Marxismus zu retten, indem er den Klassenkampf über Bord warf. Die Theorie vom Klassenkampf ist aber engstens mit der Arbeits-Wert-Theorie von Marx verknüpft, welche einige für das Hauptstück der marxschen Lehre halten. Heute erleben wir das Ende der menschlichen Arbeit. Während 400-500 Jahren drehte sich eine wichtige Strömung des europäischen Denkens um die „Arbeit“: Protestantismus, klassische Physik, Eigentumsund Gerechtigkeitstheorien, die englische klassische Ökonomie, Hegel, Marx. In der Theorie vom Ressentiment von Nietzsche und Scheler wird die Arbeit als (zugegebenes oder heimliches) Zentralmotiv der kritischen und praktischen Philosophie angegriffen. 39 ********** In den späteren Schriften von J. Camatte wird die Frage nach der Zähmung von Pflanzen und Tieren im Gefolge der neolithischen Revolution aufgegriffen. Dort wird meines Erachtens der Begriff der Zähmung sehr wichtig. „Zähmung“ bleibt aber als durch das Kapital bzw. das repressive Bewusstsein bewirkte problematisch: Wie sollte da Zähmung möglich sein, wo Zähmende und Gezähmte identisch sind? Jacques Camatte hat auf meine Vorbehalte in einem langen Brief geantwortet. Interessierten stelle ich gerne eine Kopie zu. 40