Grüner Rudi? Das jüngste 68er-Gedenken hat merkwürdige Blüten getrieben. Da wurde der einstige Nachahmer und Vermarkter eines heute vergangenen Musikempfindens, Peter Kraus, zum APO-Helden stilisiert. Menschen, die 1968 keiner kannte, tauchen 2008 in Gazetten auf und betonen ihre einstige Bedeutung. „Joschka“ Fischer, der alte Pflastersteinrebell, wird zum „68er“ umgemünzt. Ein Teil der Medien tut so, als habe die 68er Studentenbewegung nur aus Uschi Obermaier, Rainer Langhans und Fritz Teufel bestanden: Wie sexy und lustig war es doch gewesen, damals... Heute hat die APO mehr Veteranen als 1968 auf die Straße gegangen waren. Und weil alle dabei sind, das Gewesene umzumünzen, tun sich auch „Gegner“ auf, unbeeinflusst von seinerzeitigen Ereignissen und Zusammenhängen. Guido Westerwelle beispielsweise sieht die 68er-Bewegung als Quelle allgemeinen Leistungsunwillens, als Anfang des Versorgungsstaates und zu deren Freude als Ursprung der „Grünen“. Diejenigen, die seinerzeit geschmäht und als „langhaarige Affen“ diffamiert wurden, gelten aber dem Mainstream von heute als Gutmenschen, als mutige Demokraten und einstige Vordenker der Republik. Trotz der Kritik von Westerwelle und einiger anderer: Heute ziert es zumeist, als ehemaliger „68er“ zu gelten. Da mögen die Grünen nicht fehlen. Sie machen Rudi Dutschke, den Studentenführer von damals, zu ihrem Ahnherren. Claudia Roth vereinnahmt „Rudi“ in ihr grünes Weltempfinden, und Hans-Christian Ströbele wünscht sich ihn als Mitstreiter im Deutschen Bundestag. Zwar hatte sich Dutschke 1979 bei den Bremer Grünen engagiert, war zum Delegierten für den Gründungskongress der Grünen gewählt worden, doch kam am 24. Dezember 1979 sein Tod als Spätfolge des Attentats. Der Gründungskongress verlief ohne Dutschke. Der einstige SDSler und „Stamokap“-Experte wird dennoch 2008 zum Parteimenschen gemacht, der sich trotz „Fundis“, „Realos“ und „Feminat“ in der grünen Partei gehalten habe und heute darüber diskutieren würde, wie man in Hamburg eine Koalition mit der CDU gestaltet. Die Liste der ehemaligen Idole der Grünen ist lang. Herbert Gruhl und Baldur Springmann – konservative „Grünen“-Gründer – sind vergessen; Petra Kelly und General Bastian endeten im Freitod; Jutta Ditfurth – die einstige Parteivorsitzende - gehört zu den erbittertsten Gegnern der Grünen; Otto Schily machte Karriere bei der SPD, und Oswald Metzger versucht, bei der CDU anzudocken. Warum sollte Rudi Dutschke - wäre er grüner Politiker geworden – alle diese Personen politisch überdauert haben? Rudi Dutschke war wirksam als Studentenführer, als SDSler bis zu dem feigen Attentat auf ihn. Der SDS war der nach der Godesberger Reform von der „Mutter SPD“ abgestoßene 1 Studentenverband der Sozialdemokraten. Ihn brachte es auf die Barrikaden, dass die akademische Jugend nicht mehr Karl Marx lesen sollte. Marx lesen, verstehen und erklären aber konnte Dutschke. Darin lag seine Wirkung bei Kommilitonen. Und in seiner respektlosen Rhetorik: Prof. Dr. Otto Stammer war zu jener Zeit einer der in akademischen Kreisen angesehensten Lehrer. Er war ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat und intimer Gegner von Herbert Wehner. Diesem nahm er übel, dass das „Godesberger Programm“ der SPD nicht auf einer grundlegenden Analyse der Gesellschaft fußte. Stammer war einer der Großen der Soziologen-Zunft. Die Berliner SPD hätte ihn gern als Wissenschaftssenator gehabt. Stammer aber blieb auf seinem Lehrstuhl. Diesem geschätzten Lehrer sagte der Student Dutschke, dazu noch in einem „Oberseminar“, ins Gesicht: „Wir werfen Otto Stammer vor, dass er sich nicht beteiligt an den aktuellen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen!“ Ohne „Professor“, ohne „Dr.“ in der Anrede hatte Dutschke das dem Ordinarius in einer akademischen Veranstaltung entgegen geschleudert. Das war eine Tabuverletzung. Damals ging es immer um die SPD und ihre politische Linie. Die „Grünen“ gab es noch nicht. Die „68er“ waren Kinder der SPD. Um diese Partei, ihre Anpassung an die von der CDU geformte Bundesrepublik, ihren „Verrat“ an althergebrachten Grundsätzen drehte sich alles. Noch in tiefer Gegnerschaft zur offiziellen SPD blieben die „68er“ auf diese Partei fixiert. Dutschkes „Marsch durch die Institutionen“ war primär der Aufruf, die SPD von innen zu verändern – zu „unterwandern“. Leute wir Gerhard Schröder begaben sich auf diesen Marsch und setzten, an die Macht gekommen, die globalisierungsverträglichen „Hartz“-Gesetze durch, aber auch die Verweigerung einer Teilnahme am Irak-Krieg. „Rudi“ - wie ihn heute viele nennen, die ihn damals gar nicht kannten – war in seiner Zeit als Studentenführer kein Grüner. Er war ein Sozialist, der in der SPD seine Heimat nicht fand. Er wollte das Klassenbewusstsein nicht nur der Studenten, sondern vor allem der Arbeiter wecken. Das ist ihm nicht gelungen, weil es in Wirklichkeit keine Arbeiterklasse mehr gab. So gesehen war Dutschke ein Illusionist. Aber der „Marsch durch die Institutionen“ war ein realistischer Ansatz und bewirkte eine solide Reform. Viele machten sich auf den Weg, einige sogar in der CDU. Dem etablierten Parteiensystem wuchs ein Teil der Generation der Postmateriellen zu, während die in den Kinderschuhen steckenden Grünen sich als „Anti-Parteien-Partei“ ausprobierten. Niemand weiß, was gewesen wäre, hätte es das Attentat nicht gegeben. Der Studentenführer Dutschke, der öffentliche „Rudi“, hatte sich nicht entschieden zwischen Politik und Wissenschaft. Im seinerzeitigen Oberseminar hatte es Teilnehmer gegeben, bei denen 2 erkennbar war, dass sie exzellente Wissenschaftler werden könnten. Dutschke gehörte nicht zu ihnen. Dann gab es welche, die sich aufführen konnten wie routinierte Parteipolitiker. Dutschke gehörte auch nicht zu diesen. Er war nicht an der Weggabelung zwischen Wissenschaft oder Politik als Beruf angekommen. Die Schüsse auf dem Kurfürstendamm trafen den Studentenführer Rudi Dutschke. Er lebte fortan als kranker Mann, anfangs abseits vom Geschehen in Deutschland und traumatisiert. Einen großen Schritt in die Wissenschaft machte er mit seiner Promotion, wo er bei seinem alten Thema „Sozialismus“ blieb: „Zur Differenz des asiatischen und westeuropäischen Weges zum Sozialismus". Dann setzte er an zu einem Schritt zu den Grünen, konnte den aber nicht mehr tun. Kein Wissenschaftler, kein Politiker sollte Dutschke für sich zu reklamieren. Einst war er der „68er“ schlechthin. Diesem ist die Öffentlichkeit heute zu Respekt und Anerkennung verpflichtet. Rudi Dutschke hat die deutsche Politik in seiner Rolle als „68er“ mehr verändert als mancher hauptamtliche Parteipolitiker. An weiterem Tun hat ihn das Schicksal gehindert. Das ist traurig, aber wahr. Jürgen Dittberner 17 ..4.08 3