begründen, verstehen, beurteilen II– Argumentation, Hermeneutik und Kritik als Methoden wissenschaftlichen Arbeitens 190464 VO, UE - Grundlagen: philosophische Methoden II, 2.2.3 [21b2] laut Studienplan Pädagogik 2002 (2 Std.) Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Dr. Martin Steger /TutorInnen: Emanuel Frass, Claudia Gusenbauer, Angela Janssen, Markus Mandl, Kristina Willebrand Donnerstag, 8.00 - 10.00, HS C1 Campus 12. Termin 14.06.07: kritische Positionen der Pädagogik Formales: Rückmeldungen zur 1. Gruppenarbeit: sollten Sie alle bereits erhalten haben – wenn nicht, senden Sie mir bitte ein mail. Arbeitsblatt zu pädagogischen Positionen der Kritik bitte nochmals durchlesen und nächste Lv mitnehmen ( alle, die es noch nicht ausgedruckt haben, finden es bei den Skripten). Inhalte: Wir haben das letzte Lv begonnene Kriterienmodell der Pädagogik nochmals systematisierend diskutiert. Nochmals auch der Hinweis zum Umgang damit: Es geht hier nicht um eine Definition der Pädagogik, sondern um Kriterien, die konstitutiv für Pädagogik sind und die in verschiedenen Definitionen unterschiedlich gedeutet werden (bis hin zur Negation des Kriteriums (etwa der Normativität in den empirischen Erziehungswissenschaften, die dieses in eine philosophische (meint: nicht- wissenschaftliche ) Pädagogik auslagern wollen, weil sie glauben, als Wissenschaft damit nicht umgehen zu können). Als definitorisches Konzept wäre unser Modell zur kärglich , ein Skelett, das erst Fleisch erhalten muss – das bekommt es natürlich von positionell orientierten Pädagogiken, die genau deswegen anhand des Modells vergleichbar werden. Die Unterschiede reichen bis ins Welt- und Menschenbild, denn Überlegungen zu Welt und Mensch sind in der Pädagogik bis hinunter auf grundsätzliche Ebene notwendig: Wann immer wir pädagogische Texte lesen, wird uns eine gegenstandstheoretische Auseinandersetzung mit einem Phänomen geboten, die pädagogische Texte als pädagogische Texte legitimiert. Auf dieser gegenstandstheoretischen Ebene der Pädagogik sind aber bereits Metaaussagen zu pädagogischen Gesetzmäßigkeiten, 1 Legitimationen, zur Disziplin Pädagogik selbst etc mitgedacht. Es sind Vorstellungen dazu mitgedacht, was Wissenschaft ausmacht und noch allgemeiner, es ist ein Menschen-, ein Weltbild und Vorstellungen zur Beziehung beider vorausgesetzt. Damit haben wir bereits zumindest drei Sphären ineinanderfließender Metaebenen angesprochen, die sich über dem Gegenstandstheoretischem Thema aufspannen: ontologische Aussagen (Seinslehren: Weltbild) anthropologische Aussagen (humane Wesenslehren: Menschenbild) epistemologische Aussagen (Erkenntnislehren: Welt- und Menschenbild aufeinander bezogen) wissenschaftstheoretische Aussagen methodologische Aussagen gegenstandstheoretische Metaaussagen auf Ebene der Disziplin gegenstandstheoretische Metaaussagen auf Ebene des Phänomens/Gegenstandsbereichs gegenstandstheoretische Aussagen auf Ebene des Phänomens Diese nur behelfsmäßig abgrenzbaren Ebenen sind in Paradigmen aufeinander abgestimmt. Diese lassen sich in Positionen umreißen. Wir haben solche Positionen bereits auf erkenntnistheoretischer Ebene kennengelernt, weil diese Ebene eine Schnittstelle nicht gegenstandstheoretischer (ontologischer, anthropologischer, wissenschaftstheoretischer, methodologischer) Metaebenen darstellt: In die Frage, wie der Mensch die Welt erkennen und beschreiben kann, fließen die anderen Ebenen mit ein: 2 Doch zu dieser positionellen Ausdeutung unseres Kriterienmodells kommen wir nächste Lv – zunächst zum Modell selbst – in einer Wiederholung, Ergänzung und Fortschreibung des letzten Skripts: Pädagogik ist... eine Wissenschaft (bzw. eine Lehre) bei uns Wissenschaft, weil wir uns auf unseren eigenen Fokus konzentriert haben. Jedenfalls bildet Pädagogik eine Metaebene zu den interessierenden Prozessen. Der Unterschied: Wissenschaft geht auf Wahrheit, Lehre geht auf funktionieren – das Risiko der Wissenschaft ist, dass sie sich daher zu wenig darum kümmert, ob sie praxisrelevant ist (sagt die Praxis – aus Sicht der Wissenschaft/der Theorie wäre noch zu klären, wie weit sie das überhaupt soll: das 'Theorie-Praxis – Verhältnis ist mit gutem Grund Thema eigener Lvs – eine Empfehlung!) diese Wissenschaft thematisiert - grob vereinfacht formuliert - Lernprozesse Wir haben uns dann dem Lernbegriff über das Offensichtliche genähert und ausdifferenziert: Lernen ist.... eine Veränderung, ein Prozess Um diese Veränderung festzustellen, braucht man einen Anfangs- und einen Endpunkt. Lernen ist eine positiv besetzte Veränderung: Der Endpunkt wird als besser bewertet als der Anfang. – es sind in irgendeiner Form Entwicklungsprozesse, d.h. jemand wird dabei – wie auch immer - 'besser' (zumindest besteht dieser Anspruch). Ich sage im Folgenden 'lernen' dazu, weil es das prominenteste der Vokabel ist, die diesen Prozess ansprechen – wie er jeweils genannt wird, ist wieder Frage der Position und des Bereichs, in dem sich diese Entwicklung vollzieht (lernen, selbständig, mündig, kompetent werden, (er)wachsen etc.). Dabei beginnen die Perspektiven zentral zu werden. Aus der Innenperspektive des Lernenden ist dieser Endpunkt ein Ziel. Die Veränderung ist eine 'gerichtete', nicht zufällige. Diese Gerichtetheit wird aus der Vergangenheit (Motive, um überhaupt mit dem Lernen zu beginnen) in die Zukunft (Absichten, Ziele, die man erreichen will) fortgeschrieben. Dabei fokussiert der Lernende von Anfangs- auf Endpunkt, d.h. er stellt diese Entwicklung in den Vordergrund, Nebenaspekte, Zufälligkeiten etc. werden möglichst ausgeblendet. Das ist kausales Denken aus der subjektiven Perspektive der 1. Person: Es beurteilt Handlungsmöglichkeiten anhand von Werten und leitet daraus Absichten und Ziele ab. Und damit sind wir letztendlich bei Motivation (Interesse, Bedürfnis, Nutzen), beim Willensmoment, bei der 3 unhintergehbaren Frei-willigkeit angelangt, also der Entscheidung zur Auseinandersetzung (und der Möglichkeit dazu) und dem Ausgangspunkt dazu im Willen des Lernenden angelangt. Aus der Außenperspektive des Beobachters – in unserem Kontext: des Lehrenden - ist dieser Endpunkt ein Ergebnis, das in seinem Kontext (mit anderen Schülern, mit der Lebenswelt des Lernenden, mit allgemeinen Standards,..) beurteilt wird – d.h. es geht nicht darum, ob ein Ziel erreicht wurde (diese subjektiven Aspekte sind für den Außenstehenden ja auch nicht direkt beobachtbar/beurteilbar), sondern um eine verbesserte Gesamtsituation. Das ist homöostatisches Denken. Es ist eines der 'kritischen' Punkte jedes Lernmodells, wem wie und mit welcher Dominanz das 'Beurteilungsprivileg' zugestanden wird. Im Prinzip werden immer beide Aspekte mit unterschiedlicher Gewichtung zu beachten sein – nicht zuletzt auch im Kontext der Schule, die sich sowohl über die Lebensbefähigung der Schüler als auch über die Erteilung von Berechtigungen definiert. 1 Wie auch bei den anschließenden Punkten sind es eben nicht die Lösungen, also die fertigen Definitionen, sondern die Probleme, also Kriterien, die den verschiedenen Lernmodellen gemeinsam sind. Interessant ist, wie sie im Zusammenspiel der selben Kriterien2 einen je eigenen Lösungsvorschlag – einen Lernbegriff – finden, der eben die Aspekte, die der Position wichtig sind, besser behandeln wird – zuungunsten anderer Aspekte. Das heißt, es geht um die unterschiedlichen Erklärungsgehalte und –stärken bezüglich des selben Phänomens. Dass beide Beurteilungsperspektiven unverzichtbar sind, hat natürlich mit dem Prozess des Lernen zu tun. Wir haben gesagt, dass dieser eine positiv bewertete Veränderung, die diese Bewertung durch Vergleich, also Rückbezug des Endpunktes auf den Anfang gewinnt.3 Dieser Rückbezug muss immer in zwei 1 siehe dazu den Text 'Zum Verhältnis von Bildung und Ausbildung' von Bernd Hackl und Maria Spindler, der als Vorbereitung zu diesem Termin zu lesen war. 2 Die jeweilige Ausbalancierung dieser Kriterien - bezogen auf den Anlassfall - kann man wohl als die Praxis einer theoretisch fundierten Didaktik bezeichnen. Das heißt, auch Didaktik ist nicht lediglich ein technisches Wissen, ein 'Know how'. Natürlich gibt es auch in der Praxis der Didaktik 'Techniken', um einiges darüber zu wissen, was funktioniert und was nicht (z.B. der Vorrang positiver vor negativen Sanktionen) – aber diese Techniken haben in der Lehre den selben Status wie überall sonst: Sie erleichtern die Umsetzung, nachdem man etwas mit Gründen als wünschenswert und machbar beurteilt hat. Sie haben auch die selben Gefahren wie überall sonst: Sich für das durch Technik Machbare zu entscheiden, ohne zu überlegen, wie wünschenswert es ist. 3 Dabei ist nach dem Gesagten klar, dass die Bewertung je nach Perspektive auch zu unterschiedlichen Zeit- bzw. Bezugspunkten stattfindet. In der praktischen Perspektive liegt die Bewertung schon in der Zielsetzung, d.h. am Beginn des Prozesses (mit laufender Korrektur), in der poetischen Perspektive ist der Bezugspunkt das Ende, 4 Richtungen hin erfolgen (lernen ist ein 'zweiwertiger' Begriff) und damit kommen wir zu den Voraussetzungen des Lernens: Es wird immer etwas gelernt, d.h. ich brauche ein Objekt des Lernens - lernen ist immer Auseinandersetzung mit der Welt, mit einem Gegenüber (selbst wenn ich 'Selbsterfahrung' treibe, setze ich mich mit mir als Objekt auseinander). Im Begriff der Auseinandersetzung ist neben dem dynamischen Aspekt des Prozesses auch der der Relation impliziert, dass also ein Verhältnis gesetzt wird, dass die Beziehung zur Welt Thema ist und wie diese zu gestalten ist, sowie die Welt, das Gegenüber selbst als Fokus des Interesses - wobei diese Welt, wie gesagt, man selbst als Teil der Welt sein kann. Hier kommt wieder zentral die Erkenntnistheorie ins Spiel: nämlich die Frage, wie weit ich Welt als Gegenüber überhaupt unabhängig von mir erkennen kann. Im Zusammenhang mit lernen ist dabei der phänomenologische Ansatz besonders interessant, der davon ausgeht, dass alles, was wir erkennen, uns als 'Phänomen' vorgegeben ist – d.h. soweit und wie es vor unser Bewusstsein tritt. Das kann ebenso eine Idee wie ein Sinneseindruck sein. In diesem Ansatz ist damit zugleich das Verhältnis zur Welt bereits unauflöslich eingebunden und der Gegensatz zwischen der Auseinandersetzung mit der 'äußeren Welt' und der mit mir selbst aufgehoben (beim lernen besonders wichtig): Ich setze mich mit dem auseinander, das mir 'ins Bewusstsein kommt' – egal ob ein 'äußerer' Gegenstand oder ein Gedanke – es ist beides Phänomen und wird im Prinzip gleich reflektiert. Lernen heißt damit immer, dass unser Verhältnis zur Welt verbessert wird. Dieser Aspekt wird von äußerer Beurteilung erfasst. Zugleich braucht Lernen ein 'Lernendes'. Lernen bezieht damit diesen beurteilenden Vergleich des eigenen Prozesses auch immer auf den Lernenden selbst. Aus Sicht der Subjekttheorien können das immer nur Subjekte, konkret Menschen, sein. Die Gruppendynamik und vor allem die Systemtheorie versucht das zu erweitern – aus Sicht der Systemtheorie, die ja nicht subjektivgegenständlich, sondern funktional denkt, heißt das, es müssen die Funktionen/Prozesse identifiziert werden, die Lernen ausmachen. Finden sich diese auch in Organisationen, so kann man von lernenden Organisationen sprechen. Dabei ist klar, dass ich dafür auch andere – nicht subjektive – Begriffe verwenden muss Offensichtlich ist, dass das zur Zeit eine der 'heißesten' positionellen Grenzlinien unseres Faches ist – mit einem gegenseitigen Vorwurf der Unvollständigkeit, des das Ergebnis (der klassische Konflikt des schlechten Schülers, der subjektiv besser wird, etwas leistet, aber vom Ergebnis her dennoch ungenügend bleibt – der Prototyp von Demotivation). 5 defizienten Modells – subjektbezogene Pädagogik sieht in der systemischen eine Funktionalisierung, die eben den Themenbereich der 1.Person – Perspektive, und damit des gesamten normativen Bereichs, des Willens und der Freiheit etc. nicht behandeln zu können (und damit das, was den Menschen zum Menschen macht), systemische Pädagogik sieht soziale Lernprozesse, also solche, die nicht mehr den einzelnen Individuen zugeschrieben werden können, über Subjektmodelle nicht mehr behandelbar – und damit einen immer zentraleren Bereich unserer Welt. Man könnte das als einen Streit Tiefe (Subjekt) versus Breite (System) des Konzepts ansehen. Die Erweiterung des Modells, wer lernfähig sei, hat aber auch in allen anderen Bereichen von Lernen grundlegende Konsequenzen – so sind Lernvorstellungen, die auf 'Eigenschaftsmodellen' beruhen (also Steigerung von Kompetenzen, Fähigkeiten) systemisch nicht haltbar - eben weil Eigenschaften 'Seinszustände' beschreiben, d.h.. im gegenständlichen Denken verankert sind, während Systeme über das 'Tun', also funktional bestimmt sind. Wenn ich also den Lernenden nicht gegenständlich zuordnen kann (also keinen Handelnden, Agierenden als Einzelwesen festmachen kann, der in irgendeiner Form im Handeln das zu Lernende erwirbt) , kann ich versuchen, ihn funktional einzugrenzen, also über die Prozesse, die geschehen müssen, damit man sinnvollerweise von lernen sprechen kann. Was also brauche ich aus dieser Perspektive, um von einem Lernenden zu sprechen, was muss gegeben sein, damit gelernt wird? eine Einheit, die sich auf sich rückbeziehen kann, sich also thematisieren kann – ein 'Selbst' (Subjekt, Gruppe, System) als Erweiterung des Subjektbegriffs, das o sich als ein 'Selbst' begreift, das auch die Welt auf sich bezieht und sich damit auseinandersetzt d.h. Selbstbewusstsein oder Selbstreferenz oder Selbstbezüglichkeit besitzt. Diese Auseinandersetzung ist also eine, die sich selbst auch reflektiert (nicht bloße Adaption, die passiert) und / weil sie mit dem Anspruch des Gelingens geschieht und diesen beurteilt, somit bewusst ist.4 o für sich steht, eigene Beurteilungsinstanz ist, also selbstbestimmt (im praktischen), selbstbenennend (=autonom im theoretischen), selbsterzeugend (=autopoietisch im poietischen Kontext). o 4 aus diesen Bewertungen Anstoß für Handlungen bezieht, also eigenaktiv ist. Damit ist noch nicht gesagt, dass jeder einzelne 'Lernschritt' im Zuge dieser Auseinandersetzung bewusst geschieht oder gar beabsichtigt ist (klassisch: welches viellesende Kind liest, damit es besser liest? Zumeist will es einfach die Spannung des Buches auskosten, den Inhalt kennen etc.) 6 o Damit ist klar, dass lernen die Aktivität des Lernenden – eben seine Auseinandersetzung mit etwas anderem - ist (und nicht bloß das Auffüllen eines Empfängers, eines leeren Gefäßes etc.) – wenn auch das Beurteilungsprivileg nicht klar ist, wer agiert, ist geklärt. o Ebenso impliziert ist damit der Prozesscharakter des Lernens und zwar im engen Wortsinn: es vergeht nicht nur Zeit dabei, sondern es wird etwas prozessiert: also Gedanken und/oder(?) damit verbunden Bewegungen etc. – hier ist auch ein Konnex zwischen subjektiven und sozialen Lernvorstellungen: Denen liegt zugrunde, dass Kommunikation ebenso in Abfolge und Rückbezug prozessiert wird wie Bewusstsein oder Leben (darum psychische und analog soziale und biologische Systeme) und daher auch soziale Systeme lernen können – nämlich zu relevanten Entscheidungen als Basis weiteren Vorgehens kommen. (das ist auch der Konnex zum Handlungsbegriff) o Damit verbunden ist auch eine Vorstellung des Gelingens, einer Erreichbarkeit der Werte durch Handeln. Dieses Gelingen ist kein diskretes (dh. ohne Abstufungen eindeutig positives oder negatives) Kriterium, sondern ein fließendes, d.h. es ist immer noch ein besser vorstellbar und ein umfassenderes, tieferes Ziel in der Legitimation des erreichten Ziels bereits angelegt– lernen ist aus Sicht des Lernenden im Prinzip als Bezug auf den Prozess nie abschließbar und es hat nie begonnen - weil im Rückblick Voraussetzungen des Lernens diesem Prozess zugerechnet werden. Es ist damit auch immer auf einen noch früheren Anfangspunkt rückbeziehbar – der paradoxe Charakter des Lernens ist analog dem des Verstehens: es muss immer schon etwas gelernt worden sein, um lernen zu können. o In diesem nicht abschließbaren Rückbezug zeigt sich lernen aus Perspektive des Lernenden als zirkulär und bei zirkulären Prozessen wie lernen oder auch verstehen ist kein Anfang und kein Ende vorstellbar (im Gegensatz zu linearen (kausalen) Prozessen aufstehen oder gehen etc.). Das wird in Lern- und Verstehensmodellen (wie Hermeneutik) als zentrales Paradoxon behandelt: Man muss immer schon etwas gelernt/verstanden haben, um lernen/verstehen zu können und mit jedem lernen/verstehen ist man bereits in einem weiteren lernen/verstehen begriffen. Bei in sich rückgreifenden Kreisbewegungen ist der Anfangs- und Endpunkt zwar notwendig anzunehmen, aber immer nur vorläufig und willkürlich gewählt. 7 o Im nicht abschließbaren 'Vorbezug' zeigt sich lernen aus Perspektive des Lernenden als normativ: es bildet nicht relationierbare Werte aus (eine Vorstellung eines Guten hinter all den aus einander folgenden Zielen). Damit rücken Anfangs- und Endpunkt des Prozesses, die aus Sicht des Beobachters zur Operationalisierung und Bemessung der 'Lernleistung' unverzichtbar sind, in den Hintergrund bzw. verlieren an Relevanz. Es wird also beim Lernen eine Relation hergestellt zwischen einem Selbst und seiner (erfahrbaren) Um-Welt, und über eine aktive Auseinandersetzung dieses Selbst unter dem unabschließbaren wertenden Anspruch des Gelingens thematisiert. Wir sind somit wieder bei unserem erkenntnistheoretischen Bild angelangt: Lernen ist eine Form der Auseinandersetzung mit der Welt als menschliche Grundrelation: Wir haben damit einen Begriffsumriss, der Ihnen ermöglicht zu bestimmen, um was es bei dem von Ihnen intendierten Lernprozess geht: Wer ist dieses Selbst, (wie weit sind die Schüler etc?), die Welt/der 'Stoff', welche Auseinandersetzung bietet sich an etc. etc. Wovon wir nicht sprechen können, ist eine Definition – dazu ist unser Umriss zu allgemein (und es sollen ja unterschiedliche Positionen darin ihren Rahmen finden): die handlungstheoretische Gleichsetzung von Lernen mit Handeln findet hier ihren Platz (besser gesagt – wird auf eine Priorisierung hin moduliert – steht die Dynamik des immer besseren Gelingens oder die Akzeptanz des jetzt konkreten Ergebnisses im Vordergrund) ebenso wie systemtheoretische kommunikative Rückkoppelungsprozesse. Es werden also die Kriterien eines Lernprozesses, nicht die jeweiligen Ausformungen, Ausprägungen, Konkretisierungen dieser Kriterien thematisiert. Sie werden aber diese Kriterien in unterschiedlichsten Lernvorstellungen wiederfinden – die Art, wir sie mit Leben gefüllt werden, sagt enorm viel über die dahinter stehende Position aus (wird etwa in der Auseinandersetzung eher der Handlungs/Problemlösungsaspekt oder der der Orientierung betont? Was wird als Selbst zugelassen und wie wird beschrieben, dass dieses Selbst jene Leistungen vollbringt, die den Kriterien so weit entsprechen, um von Lernen reden zu können? Welche Kriterien werden noch weiter ausdifferenziert, weil sie besonders wichtig sind? Wo werden weitere Implikationen in das Grundbild der anspruchsvollen Auseinandersetzung mit Welt herausgearbeitet (etwa Bezug auf die Natur des Menschen)? 8 Auswirkungen auf die Vorstellung von Lehre Warum aber behandeln wir in unserem Modell überhaupt zuerst Lernen? Warum steht Lernen und nicht Lehre im Zentrum der Überlegungen in der Pädagogik (der 'Kinderführung')? Wie jede Hilfestellung erklärt sich Lehre nicht aus sich selbst, sondern aus dem Charakter dessen, bei dem geholfen wird – also aus lernen. Was können wir also aus Sicht des Lernens für Lehre in diesem (verkürzten heuristischen) Modell festhalten? Die Beziehung zu einem Erzieher/Lehrer ist ein besonderer Moment dieser Auseinandersetzung mit der Welt– vor allem für die Pädagogik, die darin ihren zweiten theoretischen Bezugspunkt findet (die also die Tätigkeit des Lehrens und die Befähigung des Lehrers als einen besonderen Moment von Lernen noch besonders thematisiert – weil das ja das ursprüngliche Problemfeld der Pädagogik, der 'Kinderführung' ist) - d.h. Pädagogik thematisiert Lernprozesse aus der Perspektive möglicher Hilfestellungen. Diese stellvertretende Auseinandersetzung mit der Welt über Lehrer heißt auch, dass der Rückbezug auf die Welt entschärft wird – um den Rückbezug auf den Lernenden selbst in den Vordergrund zu stellen. Dieses Verhältnis wird in allen Positionen als ein zum Lernen gegenläufiger Prozess beschrieben – etwa 9 im pädagogischen Ethos der Hilfe zur Selbsthilfe – hier grenzt sich die Pädagogik von anderen Hilfsleistungen ab und stellt für sich eine Priorität bei den beiden Rückbezügen her: Es geht nicht in erster Linie darum, dass die je konkrete Auseinandersetzung mit der Welt gelingt, sondern um die Befähigung für jede tendenzielle Auseinandersetzung (bis hin zur Selbsterziehung, die wir in der Lv diskutiert haben). Bezogen auf das Selbstbild des Lehrers impliziert das wieder den Anspruch (etwa bei Pestalozzi), sich selbst überflüssig zu machen. Dahinter steht das Bild des Lehrers als 'Stellvertreter' für die noch unbewältigbare Welt und die eigene sukzessive Rücknahme und Problematisierung der je konkreten Lehrhandlung bis hin zum 'Pädagogischen Paradoxon' als Bild der inneren Widersprüchlichkeit der Fremdbestimmung zur Selbstbestimmung – d.h. dass jede Handlung des Lehrenden ja eine ist, die von der Zielvorstellung des selbständigen Lernenden her immer nicht notwendig sein sollte/oder nicht legitim ist. Das Pädagogische Paradoxon schärft somit das padagogische Telos, des sich selbst überflüssig Machens weiter zu, indem es eine zeitliche Entwicklung als Problem und Spannungsverhältnis und Widerspruch auch in jeder einzelnen Handlung verortet etc. Die funktionale Aufschlüsselung der Anforderungen an den Lernenden zeigt auch wieder einiges über die Anforderungen an den Lehrenden auf. Wichtig ist hier vor allem der perspektivische Bezug: Es ist nicht von vornherein gesagt, dass der Lehrende notwendigerweise aus der Perspektive der 3. Person heraus agiert – also beobachtet, beurteilt, damit hierarchisch dem Lernenden übergeordnet ist etc. Er kann auch zum gemeinsamen Lernprozess einladen, also aus der Perspektive der 1. Person heraus mit agieren – ein gemeinsames System initiieren. Das passiert etwa oft in offenen Lernformen, Projektunterricht etc.. Damit ändern sich allerdings auch die Attribute dramatisch: Der Lehrer ist in diesen Prozessen prinzipiell gleichgestellt, der gemeinsame Lernprozess impliziert, dass auch er lernt und auf ihn die Konsequenzen aus der Einnahme der 1. Person mit zutreffen. Das ist die Rolle des Lehrers als Helfender, Führender, Mit-Wisser. Er kann allerdings kaum zugleich die Perspektive der 3. Person einnehmen, etwa den gemeinsamen Prozess zugleich objektiv individuell beurteilen etc. Das ist die Problematik der Doppelfunktion als 'Helfer' und 'Richter'. Selbst wenn er durch unterschiedliche 'ritualisierte' Situationen versucht, beide Rollen zu erfüllen (etwa die Situation des diskursiv angelegten Lehrvortrages als Beteiligter und dann eigene Prüfungssituationen), kann er von den Lernenden durchaus entsprechend zwiespältig 10 aufgenommen werden (bzw. in eine der Rollen nicht akzeptiert werden – etwa die Schwierigkeit strenger Prüfer, mit Schülern unverbindlich zu plaudern etc.) Umgekehrt übernimmt der Lernende dominante Beurteilungsansprüche aus der 3. Person – so dass wir oft genug vor der paradoxen Situation stehen, dass Lehrer aus der Perspektive 1. Person zum 'gemeinsamen Lernabenteuer' einladen – und frustriert sind, dass die Schüler eigentlich nur interessiert sind, möglichst aufwandslos akzeptable Noten zu erreichen (Perspektive 3. Person). Erweitern wir diese Überlegungen in einer Systematik, kommen wir auf 3 grundlegende Lehrer - Schüler – Verhältnisse, die wir in der Diskussion angesprochen haben: Lehrer bewirkt Lernen: Das entspricht einem kausalen Denken, in dem nicht der Schüler, sondern der Lehrer Subjekt des Lernprozesses ist: Er wirkt auf die Schüler so ein, dass Sie lernen, was der Lehrer als lernenswertes Wissen vorab definiert hat Die Aktivität des Schülers erscheint somit als Wirkung, als Fortsetzung des Handelns des Lehrers. Dieses Bild liegt dem traditionellen Unterricht zugrunde. Handlungsmöglichkeiten des Lehrers liegen im Sanktionieren: Gewolltes Verhalten der Schüler wird belohnt, ungewolltes bestraft – eine Form des Konditionierens. Diese Rolle vereinigt somit Charaktere der beiden Lehrerperspektiven 1. und 3. Person. Der Lehrer 11 beurteilt von außen, wirkt aber in absichtsvoller Perspektive 1. Person. Das kann nur bei geringer Komplexität gelingen, wenn also Schüler möglichst wenig Handlungsalternativen haben (dass traditioneller Unterricht auf massiver Homogenisierung (Jahrgangsklasse, lehrerzentrierte Kommunikation, Fächerprinzip etc. etc.) beruht, haben wir bereits besprochen). Je komplexer die Anforderungen, umso weniger kann Lernen durch den Lehrer vorentschieden und ursächlich bewirkt werden. Das erzwingt Rollen, in denen der Lehrer mit Schülern umgeht, die er als Subjekte ihres Lernen anerkennt – unsere 4 Positionen vollziehen alle diesen Komplexitätsschritt mit: Lehrer bedingt Lernen: Das ist im Grunde die besprochene poietische Perspektive des Lehrers aus der Beobachterperspektive 3. Person: Im Bereich des Lehrens haben wir vor allem den Unterschied zwischen Lehren über Rahmenbedingungen (Systemtheorie und Konstruktivismus) und über Zielvorgaben (Handlungstheorie und Gruppendynamik) angesprochen: Wir haben festgestellt, dass dem Beobachter (in diesem Kontext in der Systemtheorie aber auch analog im Konstruktivismus und im kritischen Rationalismus (dem am ehesten klassische Lehrmodelle entsprechen, die ebenfalls Wahrheit über unbeteiligte Beobachter feststellen) das 'Innenleben' des beobachteten Systems (Gründe, Absichten, Motive) nie zur Genüge zugänglich ist (siehe Text: eine kleine Geschichte der Systemtheorie). Genau das ermöglicht ihm aber, das System auf der Metaebene in seinem Gesamtzustand, wie es ist, zu sehen, die 'blinden Flecken', die dem System/Agierenden selbst, das in seine Ziele verstrickt ist - d.h. kausal agiert - nicht zugänglich ist, weil es ja im kausalen Denken 'Nebengeräusche' wegblendet, um sich auf gewollte Wirkungen zu fokussieren. Das ist die 'homöostatische' Perspektive des zirkulären Denkens in der Systemtheorie (und Konstruktivismus). Es wird eine Metaebene eingenommen, aus der man 'Gesamtergebnisse' und die Rahmenbedingungen, unter denen Sie zustande kommen, beobachten kann – das was ist, nicht das, was eigentlich gewollt war. Man kann diese Perspektive als 'poietische' bezeichnen 5. Die Bezeichnung geht auf Aristoteles zurück, der nicht nur zwischen Theorie und Praxis unterscheidet, sondern die Praxis noch einmal differenziert und somit 3 Handlungsperspektiven herausarbeitet 6: die Theoria, das Handeln um einer Erkenntnis willen; die Praxis als Handeln um des Handeln/des Menschen willen und die Poiesis als Handeln um eines Ergebnisses/Produktes willen. Welche Aktionsmöglichkeiten habe ich damit aus der poietischen Perspektive des zirkulären Denken in Systemtheorie und Konstruktivismus: 5 Dieses Perspektivenspiel erkläre ich auch in dem Essay, den ich gemeinsam mit Maria Spindler für die neue Publikation des Instituts für Bildungswissenschaften geschrieben habe, anhand des Problems der Hochschulreform. Sie finden diesen Text auf meiner Homepage bei den Downloadtexten. 6 Aristoteles: Nikomachische Ethik.- Stuttgart: Reclam 19832, 1106b. 12 Ich kann meine Beobachtungen mitteilen. darunter fallen Erweiterung des Selbstund Weltbildes, Irritationen etc.. Ich kann nicht bestimmen, was das informierte System mit den Informationen tut – d.h. ich kann auch nicht direkt Ziele vorgeben. Ich kann aber etwa Schülern, die sich für Chemie interessieren, in konstruktivistischer Sicht mit jenen Informationen versorgen, die sie brauchen, um einen konsistenten Fachkontext aufzubauen, ich kann sie soweit irritieren, dass sie sehen, dass sie derartige Informationen auch brauchen. Ich kann aus systemtheoretischer Sicht geeignete Strukturen schaffen, in dem ich etwa einen Freigegenstand 'Chemische Experimente' initiiere oder ein Tutorsystem in meinem Unterricht einbaue, in dem die interessierten Schüler den anderen helfen und damit eine neue Wissensebene (der Vermittlung) aufbauen können etc.. Ich kann sehr wohl auch Rahmenbedingungen vorgeben, denn die sind mir zugänglich (Unterrichtsformen, Ressourcen wie Arbeitszeit oder Material oder Wissen, Gruppeneinteilungen etc.). Damit kann ich darauf Einfluss nehmen, was gemacht wird (also auf das Ergebnis), nicht jedoch, wie es gemacht wird – klassisch etwa im Hochschulbereich die Verknüpfung der Budgets für Institute mit Zielvereinbarungen, in denen sich die Institute zu bestimmten Ergebnissen verpflichten (aber etwa den Studienplan als Weg, wie diese Ergebnisse erreicht werden autonom beschließen – weil sie sich ja in der praktischen Perspektive des Handelnden sehr wohl Ziele setzen). Der Unterschied zur Sanktion der traditionellen Lehrerrolle liegt darin, dass mit der Bedingung, die der Schüler vorab kennt, letztlich ein Tausch vorgeschlagen wird, für oder gegen den sich der Schüler entscheiden kann (ohne moralische Verurteilung etc.). In der Sanktion ist diese Möglichkeit des Tausches im Prinzip nicht vorgesehen, eine Handlungsalternative soll nicht gewählt werden können (weil damit das Verursacherprinzip gebrochen wird). Daher wird die Sanktion vorher nicht definiert, es soll nur klar sein, dass sie massiver als der Reiz ist - oder aber die Sanktion wird verschärft, sobald der Schüler doch eine andere Alternative wählt, um das Ungleichgewicht aufrecht zu erhalten. Handlungsmöglichkeiten des Lehrers liegen damit im informieren: Information schafft Möglichkeiten, erweitert Komplexität, irritiert; zugleich strukturiert es diese Möglichkeiten7, bedingt sie (siehe oben: Rahmenbedingungen schaffen) reduziert in dieser Hinsicht Komplexität. 7 Lehrer begleitet Lernen: Jede Struktur weist diesen Doppelcharakter auf: Sie ermöglicht und sie begrenzt zugleich – es ist wie bei einer Leiter: Sie ermöglicht, nach oben zu steigen, aber nur in einem streng begrenzten Rahmen. 13 Das ist im Grunde die besprochene praktische Perspektive des Lehrers aus der Beteiligungsperspektive 1. Person. Handlungsmöglichkeiten des Lehrers liegen damit im einigen: Der Lehrer kann im Rahmen der Freiwilligkeit/Einigkeit führen ( also im Regelfall durch Vorbildwirkung und Vertrauenshierarchie), er kann (auf Einsicht oder wieder Vertrauen) appellieren, er kann verhandeln. Wir haben damit in unseren 4 Positionen zwei Wege vorgezeichnet, etwas Subjekten zu vermitteln: die praktische Perspektive des kausalen Denkens (bei Subjekttheorien), in der der Lehrer perspektivisch mit involviert ist, selbst wenn er sich zurücknimmt (man spricht von der Perspektive der 1. Person – des Handelnden): Er achtet auf Ziele, auf das Wie der Problemlösung und die damit verknüpften Absichten und Motive. Wie Sie sehen, ist damit auch der moralische Norm- und Rechtsbereich in dieser Perspektive beheimatet – die Kategorien sind: gut oder: schlecht. Es geht somit um das Procedere, um eine gelingende Problemlösung, nicht um ein vorherbestimmtes Ergebnis (das sollen ja etwa Gruppen erst aus vielen denkbaren Alternativen erarbeiten). Die 'praktische Perspektive' beruht auf kommunikativen Austausch, auf Einigungsmomente und intersubjektuver (kultureller) Gemeinsamkeit. Das heißt aber auch, dass die praktische Perspektive tendenziell egalitär angelegt ist (der Austausch von , die Einigung auf Ziele ist nicht anordenbar). Das heißt nicht, dass es keine Hierarchie zwischen Lehrer und Schüler gibt, aber es ist eine Vertrauens-Hierarchie, d.h. eine, die vom Schüler freiwillig zugestanden und nicht eingefordert werden kann (insgesamt, in einzelnen Situationen kann die zugestandene Autorität natürlich eingefordert werden). Diese Vertrauenshierarchie beruht letztlich darauf, dass der Lehrer etwas besser kann/weiß, das der Schüler auch können/wissen will – das klassische Meister-Schüler Verhältnis. die poietische Perspektive des zirkulären Denkens (bei Konstruktivismus und Systemtheorie), in der der Lehrer perspektivisch nicht involviert ist, selbst wenn er informiert (man spricht von der Perspektive der 3. Person – des Beobachtenden): Er achtet auf Ergebnisse und Gesamtbalance des Systems, Weltbildes etc. (das wichtigste Ergebnis ist immer die Brauchbarkeit, Lebensfähigkeit, d.h. das Funktionieren des Gesamten), auf das Was der Problemlösung und die damit verknüpften (auch unbeabsichtigten) Konsequenzen, Folgen und Weiterungen. Damit ist eben nicht der moralische, sondern der ästhetisch-funktionale Bereich in dieser Perspektive beheimatet – die Kategorien 14 sind: schön/brauchbar oder eben nicht8. Die poietische Perspektive geht von Beobachtung und gegenseitiger Information von prinzipiell selbständigen und unberechenbaren Systemen aus, die vom Äußeren auf das Innere (also vom Ergebnis auf das Ziel, vom Gesagten auf das Gedachte/Gemeinte etc.) rückschließen. Das entspricht in der Grundfigur der hermeneutisch/subjekttheoretischen Vorstellung von 'Verstehen', nur ist – wie erkenntnistheoretisch abgehandelt – nicht die Einheit (die Verständigung), sondern die Differenz (die Unterschiedlichkeit, das Unprognostizierbare, Uneinsichtige) im Vordergrund). Im Idealfall treffen sich diese Perspektiven wieder im Konkreten. Systemische Organisationsberater wie Malik oder Schwaninger (siehe auch Literatur der Gruppe Systemtheorie) empfehlen nun, mit zunehmender Komplexität immer stärker zirkulär und damit regulativ zu agieren – d.h. Rahmenbedingungen zu bestimmen, aber nicht in die Ziele einzugreifen, also so zu agieren, dass " gewissermaßen die Spielregeln für die Elemente festgelegt werden, diese sich aber im Rahmen dieser Spielregeln frei verhalten können."9 Je weniger komplex, umso mehr macht es Sinn, isoliert und kausal ein Problem zu lösen versuchen (siehe auch Schwaninger: Projektmanagement – ein Text der Literaturempfehlungen für die Gruppe Systemtheorie). Warum? 'Top-Down' – Vorgaben in einer Hierarchie (wie sie der Lehrer als Beobachter einrichtet) haben prinzipiell lediglich bedingenden Charakter, weil sie immer nur in der Abweichung regulativ fassbar und sanktionierbar sind - nach dem Motto: Handle, wie du es für richtig hältst, aber schreibe eine positive Schularbeit (das 'Schummelprinzip' ist in der Schule strukturell verankert), störe nicht oder gib deine Hausübungen ab. Das gerne zu tun oder motiviert zu sein, kann der Lehrer nicht vorgeben (weil nicht sanktionieren und nur aus den Ergebnissen rückschließen). Sie sind damit letztlich negativ bestimmt; sie formulieren Rahmenbedingungen, also Begrenzungen, die mit zunehmender Komplexität diffundieren: Selbst wenn die 'Top-Down' – Vorgaben als Handlungsziele formuliert werden, werden sie von den Schülern als Bedingungen behandelt, als 8 Es mag Sie überraschen, dass hier Schönheit ins Spiel kommt – aber das ist eben die ganzheitliche Beurteilungsform. Aristoteles definiert etwa Schönheit mit "hier ist nichts wegzunehmen und nichts hinzuzufügen" (Nikomachische Ethik.- Stuttgart: Reclam 19832, 1140b. Auch wenn dieser Gedanken ungewohnt erscheint, entspricht es dennoch dem Alltagsgebrauch, das Wie mit gut, das Was mit schön zu beurteilen: Man sagt etwa: Jemand macht etwas gut (nicht: schön), das Ergebnis ist aber schön. Der Vollständigkeit halber: Die Urteilkategorie der Theoria ist dann natürlich: wahr. Damit hätten wir auch den Bogen zu den erkenntnistheoretischen Kategorien geschlossen, die wir besprochen haben . 9 Malik, Fredmund (2003 [1984]): Strategie des Managements komplexer Systeme. Ein Beitrag zur Management- Kybernetik evolutionärer Systeme. – Bern, Stuttgart, Wien, S. 216 15 Informationen, zu denen man sich verhalten kann. Je weniger komplex die Situation ist, d.h. je weniger Verhaltensalternativen zur Verfügung stehen, umso eher werden sie tatsächlich einfach umgesetzt (oder verweigert). Je komplexer die Situation, umso allgemeiner/irrelevanter bzw. unpassender können sie werden 10 und es bilden sich immer unterschiedlichere Umsetzungsweisen der Vorgabe aus. 10 Nicht umsonst gilt etwa im Berufsleben der 'Dienst nach Vorschrift', d.h. die Drohung, tatsächlich genau so zu agieren, wie es sich das Metasystem das vorstellt, als eine der stärksten 'Waffen' gegen 'Top-Down' Anordnungen. 16