Die Potenziale des Web 2.0 bei der Unterstützung von informellen Lernprozessen im Rahmen lebenslangen Lernens Autoren/innen: Jasper Ehrich, Claudia Golombek, Bastian Pelka, Susanne Westbrock1 Abstract Der Aufsatz klopft Angebote des „Web 2.0“ auf ihre Tauglichkeit zur Unterstützung von Lernprozessen ab. Dabei wird in drei Schritten vorgegangen: Zunächst werden die Potenziale des Web 2.0 für Lernprozesse bestimmt. Dazu wird das „Web 2.0“ auf seine Funktion der Förderung von „user generated content“ verkürzt und argumentiert, dass diese starke Nutzerzentrierung Prozesse des eigenständigen Lernens und des Lernens von und mit anderen Lernenden fördert. Anschließend werden quasi „Bedarfsfälle“ der Erwachsenenbildung verortet und gefragt, wo im Rahmen von lebenslangem Lernen Einsatzmöglichkeiten für Web 2.0 gestütztes Lernen bestehen. In einem dritten Schritt wird mit kooperativem Lernen als pädagogischem Ansatz und Communities und wikis als Web 2.0-Angeboten praktische Beispiele diskutiert. Der Aufsatz schließt mit einer Skizzierung möglicher didaktischer Gewinne durch eine stärkere Nutzung von Web 2.0Angeboten in Lernkontexten. Sich wandelnde Anforderungen an Weiterbildung erfordern neue Lernangebote Durch einen fundamentalen Wandel der Anforderungen an berufliches Wissen - flankiert durch Meta-Trends wie Globalisierung oder demografischen Wandel - wird es für Beschäftigte in den „Wissensgesellschaften“ zusehends unabdingbar, einmal erworbene Qualifikationen und Wissensbestände laufend zu erneuern. (Vgl. Bretschneider 2004, Livingstone 1999, Berichtssystem Weiterbildung) Parallele Anforderungen gelten für allgemeine und politische Bildung, denen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von demokratischer und kultureller Teilhabe, Integration, der Erhaltung oder Weiterentwicklung der Beschäftigungsfähigkeit sowie der Entwicklung personaler Kompetenzen in einer stets komplexer werdenden Gesellschaft beigemessen wird. Alle Bereiche der Erwachsenenbildung sehen sich mit Anforderungen an eine zeitliche wie inhaltliche Verstetigung des Lernens – auch über Grenzen traditioneller Aus- und Weiterbildung hinweg – konfrontiert. Kurz: Die Wissensgesellschaft verlangt Lernen nicht nur in definierten Zeitkorridoren (wie z.B. Ausbildung, Wochenendseminar) und Themenbereichen, sondern ein Leben lang und ganzheitlich. Mit dieser Ausweitung der Anforderungen an Bildung und Lernen muss jedoch auch eine Differenzierung der 1 Der Aufsatz entstand in einem Seminar am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover zum Thema „Wikis als content management Systeme für ELearning“ unter der Leitung von Dr. Bastian Pelka. Die weiteren Autoren/innen sind Studierende, die ihre Seminarleistung in Form eines Beitrags zu diesem Aufsatz erbracht haben. 1 Lernangebote einher gehen; die strikt definierten und voneinander getrennten Strukturen von Aus- und Weiterbildung, von Schule und Hochschule sowie von allgemeiner, politischer und beruflicher Bildung stehen den skizzierten Anforderungen diametral gegenüber. (vgl. Harney/Hochstätter/Kruse 2007) Es ergibt sich also die Frage nach neuen Lernformen, die die Lücke zwischen umfassendem Lernanspruch und separierten Lehrangeboten schließen können. Diese Grundanforderung, in pädagogischen wie bildungspolitischen Diskursen unter dem Schlagwort „Lebenslanges Lernen“ (vgl. bmbf 2008a) zusammengefasst, ist Ausgangsbasis der Frage nach neuen Konzepten der Wissensaneignung, die Lernende für diese Anforderungen wappnen. Eine mögliche Antwort soll hier umrissen werden: die Aneignung von Wissen durch „Web 2.0“-gestützte Lernangebote. Die Autoren vertreten die Position, dass sich diese Angebote auf Grund ihrer – weiter unter erläuterten – spezifischen Merkmale besonders zur Unterstützung von Lernprozessen anbieten. Die Autoren haben dabei vor allem solche Lernprozesse im Auge, die eben nicht in definierten Korridoren verlaufen, sondern den Lernenden die Hoheit des Lernprozesses zusprechen. Diese Prozesse werden hier unter dem Begriff des selbstgesteuerten Lernens zusammengefasst.2 Ihnen prognostiziert etwa das „BildungsDelphi für Bildungsprozesse der Zukunft“ (vgl. Kuwan/Waschbüsch 1998) einen deutlichen Bedeutungsgewinn. Innerhalb der selbst gesteuerten Lernprozesse spielen informelle Lernprozesse eine an Bedeutung wachsende Rolle für das „Lern-Portfolio“ der Wissensgesellschaft, da sie in allen Lebenssituationen stattfinden, große Potenziale bei der Unterstützung der Persönlichkeitsentfaltung und der persönlichen Orientierung entwickeln und somit einen großen Teil des Wissenserwerbs abdecken können (vgl. bmbf 2008b). Doch messbare Belege für diese Potenziale gibt es zu Zeit nicht – so weist das Berichtssystem Weiterbildung im aktuellen Bericht (bmbf 2006) zwar auf die Potenziale „neuer Medien“ für formalisierte Weiterbildungsformen und Selbstlernen hin, hat eine analoge Abfrage für informelle berufliche Weiterbildung aber noch nicht umgesetzt. (vgl. bmbf 2006: 210) In dieser Lücke wären Web 2.0-gestützte Bildungsangebote zu verorten. Potenziale des Web 2.0 Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eröffnen vielschichtige Möglichkeiten für die Unterstützung des Lernens (vgl. statt vieler: Zürcher 2007). Insbesondere Online-Angebote verbinden die Multimedialität als „klassischen“ Vorteil des computergestützten Lernens mit Vorteilen der Interaktion, da sie nicht nur Lernende und 2 Bislang gibt es keine allgemein akzeptierte, klare begriffliche Abgrenzung des selbstgesteuerten Lernens von anderen Lernprozessen. Um eine klarere Abgrenzung gegenüber der informellen beruflichen Weiterbildung herzustellen, nimmt das Berichtssystem Weiterbildung (bmbf 2004: 60) eine Einschränkung des Selbstlernens auf „außerhalb der Arbeitszeit“ vor. Dieser Unterscheidung soll hier nicht gefolgt werden. In diesem Aufsatz wird der Begriff des Selbstlernens daher vermieden; unter „selbstgesteuertem Lernen“ sollen solche Lernprozesse verstanden werden, in denen Lernende Lernzeit sowie den Lernstoff und dessen Sequenz selbst wählen können. (vgl. Zürcher 2007: 25f.) 2 Lehrstoff, sondern auch Lernende und Lehrende oder Lernende untereinander vernetzen. Seit 20043 präsentieren sich Angebote des „Web 2.0“ als neue technologische Entwicklung. Die Diskussion um den tatsächlichen Neuerungswert und die Rechfertigung eines einheitlichen Namens („2.0“) für unterschiedliche Angebote soll hier nicht nachvollzogen werden (vgl. statt vieler: Maaß/Pietsch 2007). Auch soll der Ansatz vermieden werden, ein „Web 2.0“ von einem – wie auch immer zu definierenden - „Web 1.0“ abzugrenzen oder Unterschiede in der eingesetzten Software-Technologie zu verorten. Diese genotypische Perspektive soll durch eine phänotypische ersetzt werden, nach der Web 2.0-Angebote sich durch eine spezifische Nutzungsinnovation auszeichnen. Diese Innovation sehen die Autoren im Ansatz des „user generated content“ – also der Übergabe der Erstellung der veröffentlichten Inhalte an die Nutzer selber. Denn im Vergleich zu „klassischen“ Medien, bei denen eine Redaktion4 Inhalte erstellt und distribuiert, werden alle Inhalte bekannter Web 2.0-Angebote – als Beispiele seien genannt: Tagebucheinträge (z.B. Blogs), Enzyklopädien (z.B. wikis), Bildsammlungen (z.B. Flickr), Videos (z.B. youtube) oder Netzwerke (z.B. Xing) – von den Nutzern erzeugt und von einer „Redaktion“ des Anbieters lediglich überwacht oder moderiert. Dies zwingt zu einer begrifflichen Klarstellung: Unter „Applikation“ soll die technische Plattform (Software) verstanden werden, die Inhalte verwaltet und den Nutzern alle Möglichkeiten zur Interaktion bereit stellt (z.B. die Software Mediawiki, die der bekanten Wikipedia zu Grunde liegt); „Inhalte“ oder „Content“ meint die von den Nutzern erstellten Inhalte (also z.B. einen Wikipedia-Eintrag); der Begriff „Angebot“ beschreibt die Gesamtheit von technischer Plattform und angebotenen Inhalten. (Vgl. Pelka/Schultze 2010) Unter „Web 2.0“ soll im Folgenden eine lose Sammlung unterschiedlicher interaktiver und kollaborativer Angebote im Internet verstanden werden, deren verbindendes Element der Einbezug der Nutzer bei der Erstellung von Inhalten („user generated content“) über Applikationen ist. Das Konzept des user generated content funktioniert aber erst mit einer kritischen Masse von Nutzern, die diesen Content auch erstellen. Aus dieser Nutzerzentrierung ergibt sich somit die Anforderung an eine leicht erlernbare und intuitive Bedienbarkeit, da jede technische Hürde die Zielgruppe der möglichen Nutzer verringern würde. Leichte Anwendbarkeit und eine großer Nutzergemeinde bedingen sich also gegenseitig. (Vgl. Pelka/Schultze 2010) Web 2.0-Applikationen stellen die Schnittstelle zwischen dem Nutzer und dem Datenbestand – in Form einer durch die Applikation gesteuerten Datenbank - dar und erlauben es ihm, ohne Programmierkenntnisse Inhalte zu erzeugen, zu verwalten, zu diskutieren, mit anderen Inhalten zu verbinden und sie zu veröffentlichen. All dies ist auch mit den Technologien 3 Zur Kritik der Genese des Begriffs vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0 Der Blick auf Redaktionen als Orte der Aussageentstehung ist hier extrem verkürzt wieder gegeben. Auch die in der Kommunikationswissenschaft übliche Trennung zwischen Medien und Massenmedien wurde hier ignoriert. Zum Einstieg in die Diskussion: Neuberger/Nuernbergk/Rischke 2007; Weischenberg 1998. 4 3 möglich, die bereits seit der Verbreitung des Internet zur Verfügung standen – das Konzept des „user generated content“ ließ sich jedoch durch hohe technische Hürden und eine – sich daraus ergebende – fehlende kritische Nutzerzahl nicht realisieren. Dieser Aufsatz konzentriert seinen Fokus auf die Potenziale von Web 2.0-Angeboten bei der Unterstützung von Lernprozessen. Gemäß des hier eingeführten – verkürzten -, aber begründeten Verständnisses des Web 2.0 sollen insbesondere solche Angebote untersucht werden, die das eigene Erstellen oder Bearbeiten von Lernstoff sowie die Kollaboration mehrerer Lernende unterstützen und somit einen Nährboden für Lernprozesse bereiten. Die Technologie aller Angebote ist so nutzerfreundlich, dass die Partizipation jedem Nutzer mit basalen EDV-Kenntnissen gelingen kann; dass also die technologische Hürde sehr niedrig gehängt wird. Dieser einfache Zugang zu Kommunikation und Kollaboration kann durchaus als das eigentlich Neue an den Angeboten des Web 2.0 verstanden werden. (Vgl. Pelka/Schultze 2010) Ein Weiteres vereint die verschiedenen Angebote des Web 2.0: Der Nutzer ist gleichzeitig Autor, Vermittler und Kommunikator und kann sich selbstgesteuert Wissen aus dem Angebot aneignen oder gleichzeitig sein Wissen über das Angebot der Öffentlichkeit zugänglich machen und somit selbst zum Wissensanbieter avancieren. Dies führt zur Unterscheidung von zwei Formen von Interaktivität: die Interaktion von Lernenden mit dem Lehrstoff und die Interaktion von Lernenden untereinander. Quiring und Schweiger (2006: 21) gelangen nach einer Analyse des Diskurses zum Interaktionsbegriff zu dem Schluss, dass es sich bei der Erklärung von Interaktivität „um ein überdefiniertes Konzept handelt, dem es allerdings sowohl an begrifflicher Klarheit als auch an ausreichenden Systematisierungsbefunden mangelt“. Grund dafür sind die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs in der Soziologie und Informatik. In der Soziologie beschreibt er „wechselseitig aufeinander bezogene menschliche Handlungen (…), also die Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Menschen“ (Goertz 1995: 478). Dabei geht es um verbale, nonverbale und paraverbale Face-to-Face Kommunikation zwischen Menschen, auch wenn sie durch technische Hilfsmittel ermöglicht wird. In der Informatik steht jedoch die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine im Mittelpunkt der Forschung (Quiring/Schweiger 2006). Nach Haack (1995) beschreibt Interaktivität „die Eigenschaft von Software, dem Benutzer ein Reihe von Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten zu eröffnen.“ Darüber hinaus bezeichnet Interaktivität das Verhältnis zwischen Benutzer und Medium, „so dass man von einer Wechselwirkung zwischen Benutzer und Medium sprechen kann, oder auch davon, dass das Medium selbst interaktiv ist, also eine solche Wechselwirkung zulässt“ (Back/Bendel/Stoller-Shai, 2001: 296). Für Lernprozesse bedeutet dies, dass Interaktivität sich durch ihre 4 dynamischen, ergebnisoffenen Austauschprozesse zwischen Mensch und Computer von vordefinierten Lernprozessen löst (Back/Bendel/Stoller-Shai 2001: 296). Schulmeister (2005) unterscheidet sechs aufsteigende Stufen der Interaktivität: vom reinen Betrachten und Rezipieren (Nr. 1) bis hin zur Beeinflussung des Inhalts und dem Feedback durch die Software selber (Nr. 6). Rhodes und Azbell (1985) haben drei unterschiedliche Formen des Designs von Interaktivität bei Lernprogrammen festgestellt: reaktives, coaktives und proaktives Design. Bei der reaktiven Interaktion antwortet der Nutzer auf präsentierte Stimuli z.B. eine ihm gestellte Frage. Bei der proaktiven Interaktion steht die Konstruktion und generierende Aktivität des Lernenden im Vordergrund. „Die Handlungen des Lernenden gehen über die Auswahl vorhandener Informationen und die Antwort auf vorhandene Strukturen hinaus und generieren einzigartige Konstruktionen und Elaborationen jenseits der vom Designer eingerichteten Regeln“ (Schulmeister 1997: 47). Der Lernende kann sich das Lernprogramm individuell anpassen. Für die coaktive Interaktion ist eine deutlich stärkere Aktion von seiten der Software nötig; sie findet im Bereich der künstlichen Intelligenz oder virtuellen Realität statt. (vgl. Pelka 2003) Hierbei passen sich der Lernende und das System wechselseitig aneinander an, zum Beispiel indem das Lernprogramm die bevorzugten Einstellungen und Aktivitäten seines Nutzers erkennt und die Lernstruktur darauf aufbauend neu organisiert. Verbunden hiermit ist die Übergabe von Kompetenzen (z.B. der Auswahl des eigenen Lernpfades) an eine Software. Diese Übergabe setzt ein starkes Vertrauen des Lernenden gegenüber der Software voraus (vgl. Kuhlen 1999) und wird durchaus kritisch diskutiert (vgl. Pelka 2003). Dieser Exkurs offenbart eine weitere Eigenschaft von Web 2.0-Angeboten, denn sie ermöglichen beides: das freie Bewegen in Wissensräumen, wie auch die Kommunikation mit anderen Lernenden oder Lehrenden.5 „Interaktion“ meint im Folgenden beides - die Interaktion von Mensch und Maschine ebenso wie die zwischen Mensch und Mensch -, die Autoren bemühen sich jedoch um eine Klarstellung der jeweiligen „Spielart“. Informelles Lernen ist eine Antwort auf Herausforderungen lebenslangen Lernens Beide Formen der Web 2.0-Angebote sollen einer Untersuchung ihrer Eignung zur Unterstützung von Lernprozessen unterzogen werden. Hintergrund ist das eingangs skizzierte Szenario eines wachsenden Bedarfs an lebenslangem oder lebensbegleitendem und ganzheitlichem Lernen und damit nach Angeboten, die Zäsuren „klassischer“ Lernangebote durch selbst gesteuertes Lernen füllen. 5 Der Grad beider Interaktionsdimensionen kann dabei stark variieren. So bieten Beispielsweise communities wie Xing zahlreiche Möglichkeiten frei gestaltbarer Kommunikation (z.B. Chat, Mail, Foren), andere wie etwa youtube lediglich Interaktion durch Kommentierung von publizierten Inhalten (Videos, Töne). 5 Als formales Lernen wird solches bezeichnet, das in einer Bildungseinrichtung statt findet, pädagogisch betreut wird und sich an Gruppen richtet, die ein gemeinsames Bildungsziel verbindet (vgl. bmbf 2001, Cross 2008), wie beispielsweise Berufsschülern. Der curriculare Lehrplan beinhaltet nach erfolgreichem Bestehen einer Lerneinheit eine Anerkennung (vgl. bmbf 2008b), etwa ein Zeugnis oder ein Zertifikat. Vorteile der dem formalen Lernen zu Grunde liegenden strukturellen Verankerung des Lernens sind in der Qualitätssicherung, der Anschlussfähigkeit des Lernstoffes und dessen Vergleichbarkeit über Institutionengrenzen hinweg sowie der Standardisierung und relativ hohen Transparenz und Anerkennung zu sehen. Als Nachteil formalen Lernens wird vielfach die geringe Flexibilität in Zeiteinteilung und Sequenzierung der Lerneinheit angeführt, da in der Regel linear gelehrt und gelernt wird und einzelne Inhalte somit aufeinander aufbauen. Außerdem führen formale Lernangebote zu einer Zäsur zwischen „bestandenen“ und „nicht bestandenen“ Prüfungen und negieren damit Lernerfolge, die erzielt wurden, obwohl eine abschließende Prüfung – aus welchen Gründen auch immer – nicht erfolgreich abgelegt wurde. Kurz: Formales Lernen kann zu einem „Lernen für die Prüfung“ führen, wohingegen selbst verantwortetes Lernen vielfach stärker auf einen Anwendungskontext fokussiert ist. Selbst gesteuertes Lernen wird hingegen vom Lerner selbst strukturiert – dies in Bezug auf Inhalte, Lernziele und Lernwege. Zürcher (2007: 26) differenziert daher selbstgesteuertes, selbstorganisiertes und selbstverantwortetes Lernen: „Selbstorganisiertes Lernen bedeutet, sich bei vorgegebenen Inhalten und Lernzielen um die Rahmenbedingungen des Lernprozesses (Unterlagen, Ort, Zeit, Dauer, Prüfungstermin usw.) selbst zu kümmern. Selbstgesteuertes Lernen heißt, in einem vorgegebenen Lernarrangement den Weg zu den extern fixierten Lernzielen selbst zu gehen und entsprechende Maßnahmen (Aufrechterhaltung der Motivation, Überwachung und Regulierung des Lernprozesses,…) zu setzen. Selbstbestimmtes bzw. autonomes Lernen beinhaltet, alle Parameter des Lernprozesses (Organisation, Steuerung, Lernziele) selbst wählen und kontrollieren zu können.“ Selbst gesteuertes Lernen kann durchaus Teil von Lehrpfaden innerhalb formaler Strukturen sein und liegt in der Tat „Quer“ zur Unterscheidung von formalem und informellem Lernen. Zürcher (2007: 25) zeichnet Überschneidungs- und Ergänzungsflächen der beiden Perspektiven auf Lernen systematisch nach, kommt aber zu dem Schluss, dass die Begriffe selbstgesteuertes und informelles Lernen zwar unterschiedliche Perspektiven vertreten, aber „auf Annäherung angelegt“ sind. Da der Großteil des selbst gesteuerten Lernen wohl nicht innerhalb pädagogisch betreuter Strukturen statt findet, soll es hier in Anlehnung an Zürcher in der Nähe informellen Lernens verortet werden. Wichtiges Charakteristikum informellen Lernens ist neben der Aneignung des Wissens außerhalb einer Bildungsinstitution das Ausbleiben von 6 pädagogischer Begleitung beim Lernen - etwa durch Lehrpläne, curriculare Abläufe oder Dozenten (vgl. Zwiefka 2007). Es wird daher häufig gleich gesetzt mit dem Lernen durch Lektüre sowie durch Beobachten oder Imitieren, aber auch durch Anleitung von Kollegen, Bekannten oder anderen „nicht-professionellen“ Wissensvermittlern. Die Trennung zwischen „formalem“ und „informellem“ Lernen ist also insofern arbiträr, als dass sich gleiche Lernerfolge nur durch den Einbezug „professioneller“ Strukturen unterscheiden würden. Als „informelles“ Lernen wird darum vielfach verkürzt alles Lernen außerhalb solcher Strukturen bezeichnet. Informelles Lernen erfolgt häufig ungeplant und beiläufig (vgl. Zwiefka 2007) oder gar unbewusst; es ergibt sich eher aus einer persönlichen Lebenssituation oder dem Wunsch nach der Lösung eines konkreten Problems (vgl. bmbf 2001), als einem abstrahierten Weiterbildungsinteresse. Informelle Lernprozesse werden daher als Antwort gesehen, um mit den sich schnell verändernden Anforderungen in Ausbildung und Beruf Schritt zu halten (vgl. Panke 2007). Da das Lernen selbst gesteuert durch den Lernenden selbst erfolgt, erfordert es jedoch eine hohe Eigenmotivation. Diese kann durch eine motivierende und flexible Lernumgebung unterstützt werden; als wichtiger Unterstützungsfaktor wird beispielsweise die Möglichkeit zum ungestraften Lernen aus eigenen Fehlern genannt (vgl. bmbf 2001). Cross (2006) unterscheidet zwei Arten von informellem Lernen im Internet: Auf der einen Seite steht das „rapid informal learning“. Es impliziert die schnelle Informationssuche, „um das Wissen eines ‚High Performers’ aktuell zu halten“. Als Techniken für diese schnelle Lernform für eine EDV-affine Elite sieht Cross das „Fragen, Suchen, Abschöpfen, Beobachten, Abbonieren, Trial-and-Error“. Die andere Form, informell zu lernen, wird „deep informal learning“ genannt (vgl. ebenda). Dabei geht es um Wissen und Erfahrungen, die durch kritische Reflexion, Vernetzen von Informationen oder auch durch Feedback gewonnen werden können. Auch diese Form wird vor allem von einer elitären Nutzergruppe eingesetzt, es lassen sich jedoch auch Lernarrangements vorstellen, in denen auch weniger EDV-affine Zielgruppen durch entsprechende Angebote bei Reflexion und Kommunikation unterstützt werden. Hier ist sicher eine Schnittstelle zu Web 2.0Angeboten im oben ausgebreiteten Verständnis zu sehen, da diese in der Lage sind, Lernangebote mit Kommunikationsschnittstellen zu kombinieren – und dies in einer Form, die geringe technische Hürden aufstellt. Der Lerner erhält in informellen Lernprozessen weder Unterstützung, noch formale Anerkennung (vgl. bmbf 2008b). Dass Kompetenzen wie beispielsweise Teamfähigkeit, kritisches Hinterfragen und Eigenmotivation durch informelles Lernen trainiert wurden, wird nicht bescheinigt. Lernende, die sich Wissen durch Mitarbeitergespräche, 7 Erfahrungen oder auf anderen informellen Wegen aneignen, können das Wissen sowie die damit verbundenen Kompetenzen und Fähigkeiten nicht nachweisen. In der Berufswelt sind derartige Kompetenzen und Soft Skills wichtige Faktoren in Personalentscheidungen, jedoch ist eine Vergleichbarkeit unter den Bewerbern aufgrund der fehlenden Anerkennung nur in geringem Maße gegeben. Daher versuchen bildungspolitische Ansätze wie der Europäische Qualifikationsrahmen, dieses Manko durch eine bessere Anerkennung informell erworbenen Wissens auszugleichen. Durch das Anerkennen derartiger Fähigkeiten würde die Motivation für das lebenslange Lernen wachsen und die persönliche Einstellung positiv verändert werden. Aus dieser Anforderung lassen sich wichtige Gestaltungsaufgaben an EDV-gestütztes informelles Lernen ableiten. So ließe sich beispielsweise an eine EDV-gestützte Dokumentation von Lernpfaden und Lernerfolgen denken. Wikis halten diese Möglichkeiten bereits jetzt in Ansätzen vor – so können Autoren über Diskussionsforen, die direkt mit einzelnen Artikeln verbunden sind, Inhalte diskutieren. Außerdem lassen sich über die so genannte „History“ alle Editierungen an einem Artikel nachvollziehen und Änderungen zwischen verschiedenen Versionen vergleichen. Bei entsprechender Einstellung können alle Änderungen und Diskussionsbeiträge einzelnen Autoren zugeordnet oder alle Arbeiten eines Autors kenntlich gemacht werden. So ließe sich der Lehr-Lernpfad eines Autors nachzeichnen. Diese Ansätze können zur Nutzung im Kontext von informellem Lernen ausgebaut werden – sie sind bisher auf das Ziel der Kooperation bei der Erstellung von Artikeln ausgerichtet, lassen jedoch ihre Potenziale für die Gestaltung von Lehr-Lern-Kontexten erkennen. Allein: Vielen Menschen wird dies nichts nützen. Sie sind gerade auf die professionelle Unterstützung bei der Wissensaneignung angewiesen, weil ihnen die Kompetenzen zum eigenständigen Lernen fehlen. Die Betrachtung informellen Lernens und dessen Förderung sollte darum auch stets über die Exklusion von Zielgruppen Rechenschaft geben – dies gilt insbesondere für das EDV-gestützte informelle Lernen, für das hier Vorschläge unterbreitet werden. Es setzt hinter die Hürde der fehlenden pädagogischen Unterstützung eine zweite: nämlich die Anforderung des kompetenten Umgangs mit der notwendigen EDV. Menschen mit geringer schulischer und beruflicher Qualifikation sowie Personen, die aus einem bildungsfernen Umfeld stammen, nehmen seltener an Weiterbildungsangeboten teil als qualifizierte Personen aus einem bildungsaffinen Umfeld (vgl. bmbf 2008b), gleichzeitig verfügen sie über geringere EDV-Kompetenzen und weniger Zugangsmöglichkeiten zum Internet (vgl. Gerhards/Mende 2008). Gründe für das unausgeglichene Verhältnis liegen zum einen am fehlenden Zugang zu derartigen Angeboten (zu große Entfernungen oder zu teure Angebote etc.), zum anderen ist die persönliche Einstellung gegenüber Bildung entscheidend. Dies führt zu der Forderung, „bildungsfernen“ Zielgruppen Unterstützungsstrukturen anzubieten und ein Bewusstsein 8 zu vermitteln, das die Notwendigkeit der Weiterbildung und dementsprechend die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens erkennt. Ist dieses Bewusstsein vorhanden, sind individuelle Lernangebote denkbar, in denen das informelle Lernen gefördert wird. Da informelle Lerner gezielt nach Wissen suchen (vgl. Cross 2008), eignen sich EDVAngebote zur Unterstützung dieser Suche. Die „EDV-Hürde“ bleibt jedoch zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund bieten sich Applikationen des Web 2.0 zwar zur Ermöglichung informellen Lernens an, da sie sich durch eine einfache Bedienbarkeit auszeichnen, die Zugangshürde zur EDV können sie jedoch nicht überwinden helfen. Für Zielgruppen ohne ausreichende EDV-Kompetenz sollten darum Arrangements vorbereitet werden, in denen diese Hürde durch externe Hilfe beseitigt wird. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Vorteil der meisten Web 2.0-Anwendungen zu sehen: Sie basieren in der Regel auf Open-Source-Software, unterliegen einer Lizenz zur freien Weitergabe und Veränderung des Quellcodes und sind kostenfrei und damit auch für die notorisch klammen öffentlichen Bildungseinrichtungen realisierbar. Potenziale ausgewählter Beispiele: Communities und Wikis Im Folgenden sollen zwei Angebote6, die dem Web 2.0 zugeordnet werden können, auf ihre Potenziale und Risiken beim Einsatz als Lernangebote untersucht werden. Beide Angebote können dem „Web 2.0“ im oben explizierten Verständnis zugeordnet werden. EDV-gestützte Netzwerke oder “Communities” sind keine Erfindung des Web 2.0, sondern lassen sich bereits für die Zeit des nicht-öffentlichen Internet nachweisen (vgl. Rheingold 1992). Neu ist lediglich die Reichweite der Web 2.0-communities, die nicht mehr Treffpunkte einer EDV-affinen Elite sind, sondern eine breite Masse von Menschen erreichen, deren primäres Interesse oft nicht in der EDV selber liegt, sondern das durch diese gefördert wird. „A social network consists of a finite set of actors and the relation or the relations defined on them. The presence of relational information is a critical and defining feature of a social network.” (Wasserman/Faust 1994: 20). Es geht demnach um ein Netzwerk von Mitgliedern, die eine Beziehung untereinander aufbauen, da sie gemeinsame Interessen vertreten und Informationen zu ihren Interessen suchen und veröffentlichen. Durch die Schnittmenge an gemeinsamen Interessen der Benutzer wird dem informellen Lerner der Wissenserwerb in Social Networks erleichtert. Diese Schnittmenge kann entweder in einem Thema, einer Zielgruppe, einem geteilten Ziel, einer Sprache oder einer medialen Verbreitungsform begründet sein. Wichtig in einem Social Network ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, denn alle Mitglieder sind 6 Die Auswahl erfolgte auf Basis einer Expertenbefragung, in der das MMB Institut für Medien- und Kompetenzforschung im Frühjahr 2008 Trends und generelle Veränderungen im eLearning-Bereich erfragte. (MMB 2008) Auf die Frage, welche Lerntechnologien in Unternehmen innerhalb der kommenden drei Jahre stark an Bedeutung zunehmen, entschieden sich 87% der Experten (Besucher der Fachtagung „Learntec“) für „Lerner Communities“. 80% sprachen sich für „Wikis“ aus. 9 aufeinander angewiesen. Standards und Verhaltensregeln müssen eingehalten werden, damit ein soziales Netzwerk im Internet funktionieren kann. Medienkompetenz, das Filtern relevanter und glaubwürdiger Informationen sowie der Umgang mit Charakteren in einer virtuellen Gemeinschaft können dort erlernt werden. Ein Social Network kann auch als Lernraum verstanden werden, der das Lernen durch Kooperation mit anderen unterstützt (s.u.). Communities bieten Kontext lebenslangen Lernens vor allem zwei Potenziale: Die Verbindung von Lernenden mit ähnlichen Zielen und Ausgangsbedingungen sowie die Verbindung von Kommunikation und Content. Die Verbindung von Lernenden meint das Schaffen eines Netzwerkes zum Thema Lernen unter Gleichgesinnten, die einander unterstützen können – und dies auf zwei Ebenen: Erstens können sich Lerner gegenseitig in üblicherweise von Pädagogen beantworteten inhaltlichen Fragen helfen, zweitens können sie sich gegenseitig auf der mit dem Lernprozess verbundenen sozialen und emotionalen Ebene unterstützen. Das Netzwerk avanciert somit zur Unterstützungstruktur für den Selbstlernprozess und übernimmt damit Funktionen von Bildungsträgern. Die Verbindung von Kommunikation und Content meint das Zurverfügungstellen einer technischen Infrastruktur zum Abruf von Content sowie auf diesen Content bezogenen Kommunikationsmöglichkeiten. Konkret wird dies zum Beispiel durch Foren innerhalb einer Community realisiert, in denen Mitglieder zu verschiedenen Themen kommunizieren können. Auch dies imitiert die Möglichkeiten, die im Kontext formalen Lernens meist gegeben sind. Ein Wiki7 ist ein Online-Lexikon, dessen Inhalte von Autoren kooperativ und verteilt erstellt, verändert und diskutiert werden können. Mit Hilfe der dem Wiki zu Grunde liegenden Applikation können Inhalte gesammelt, diskutiert und publiziert werden. Das Prinzip eines Wikis ist das der kollektiven Intelligenz: Jeder, der etwas weiß, kann sein Wissen der Allgemeinheit bereitstellen. Innerhalb eines Wikis können Wissensbestände aufgebaut, Projekte und Erfahrungen dokumentiert und – unterstützt durch Kommunikationsformen, die das Wiki selber vorhält - diskutiert werden. Das Wiki (als Angebot im oben dargestellten Sinn) verbindet damit den eigentlichen Wissensbestand (den „Content“/die Inhalte) mit Unterstützungsangeboten zur Kooperation und Kommunikation der Autoren zu eben diesen Inhalten. Die Unterstützungsangebote – Diskussionsforen sowie Möglichkeiten zur Kommentierung, zum Redigieren und Verwalten der Artikel – sind in der Regel intuitiv zu bedienen; oder setzen doch zumindest keine Programmierkenntnisse voraus. 7 „Wiki“ ist das hawaiische Wort für „schnell“. 10 Ein Wiki ist immer erweiterbar und erhält durch externe und interne Links stetig neue Aspekte und Sichtweisen und damit verbunden die Möglichkeit, sich tiefer in ein Thema einzuarbeiten. Eine eingebaute Suchfunktion im Wiki ermöglicht es dem informellen Lerner schnell zu gesuchtem Wissen zu gelangen. Zudem ermöglicht ein Wiki die Ortsungebundenheit der Wissensaneignung, denn der Nutzer kann weltweit problemlos kommunizieren, über Inhalte diskutieren und Vorschläge präsentieren. Die kollektive Intelligenz stellt jedoch auch ein Risiko im Bezug auf die gelieferten Inhalte und deren Authentizität dar. Jeder Autor eines Wikis ist gefordert, medienkompetent zu handeln, indem er Falschaussagen oder unvollständige Quellenangaben erkennt und diese berichtigt. Informell lernt der User einerseits inhaltliche Aspekte, andererseits erlernt er redaktionelle Kompetenzen wie den Umgang mit Texten, sachlich-richtiges Zitieren und Recherchieren. Hieraus ergeben sich als Potenziale die schnelle Suche und Distribution von Inhalten, die Verknüpfung von Wissensaneignung und Wissensvermittlung sowie die Anschlussmöglichkeiten an eine Nachzeichnung und Anerkennung von Lernwegen. Kooperatives Lernen Als Sonderform des EDV-gestützten Lernens hat sich in den letzten Jahren das kooperative Lernen oder CSCL (Computer Supported Cooperative Learning Computerunterstütztes kooperatives Lernen) herauskristallisiert. Anders als bei anderen E-Learning Angeboten werden nicht nur für sich, sondern vor allem in der Gruppe Probleme eruiert. Hierbei werden Tutoren und Mitlernende aktiv in den Lernprozess einbezogen, es werden Gruppenziele festgelegt, die gemeinsam erarbeitet werden. Insbesondere der Einbezug von Tutoren als professionellen Unterstützern des Lernprozesses lässt CSCL eher in den Bereich des formalen oder non-formalen als des informellen Lernens fallen. Wessner (2005) sowie Konrad/Traub (2005) gehen davon aus, dass die Motivation von Lernenden durch den Einbezug anderer Lernender gesteigert wird. Einige Autoren „sprechen sogar von CSCL als einem neuen Paradigma in der Bildungstechnologie“ (Wessner 2005: 195); kooperative Lernformen gelten daher als effektiver als individuelle. Beispielsweise lernen die meisten Menschen durch aktive und gemeinsame Erarbeitung eines Wissensgebietes in der Gruppe besser als durch isolierte Buchlektüre oder passives Zuhören. Im Zentrum des Lernens steht der wechselseitige Diskurs, das gemeinsame Lernen und nicht die einseitige Rezeption (Slavin 1995). Das kooperative Lernen wird in der Lehre schon seit Jahren angewendet, seit einigen Jahren bestehen auch CSCL-ELearning-Angebote. Die oft komplexen Programme bieten die Möglichkeit, dass viele Lernende gleichzeitig an einem Thema arbeiten und online oder offline gemeinsam am 11 Computer lernen, sie sind jedoch mit erheblichen Anforderungen an die EDV-Kompetenz der Nutzer verbunden und schließen damit breite Nutzerschichten aus. Die theoretische Basis des CSCL bilden drei Komponenten. Zum einen die Annahmen des Konstruktivismus, nach denen Wissen Ergebnis eines mentalen Konstruktionsprozesses ist (Bremer 2000: 2) und Umwelt auf Grund der Erfahrungen konstruiert wird. So konstruiert sich jeder – auf Grund seiner Erfahrungen und Bildung - seine Welt und sein Wissen individuell. Lernen wird als sozialer und kooperativer Prozess angesehen, an dem die Lernenden aktiv und selbstgesteuert beteiligt sind (Neo 2003: 465). Darüber hinaus ist kooperatives Lernen immer auch situiertes Lernen, d.h. dass das Wissen in einem anwendungsnahen Kontext vermittelt wird. Die Aufgaben sollen realitätsnah und authentisch sein, so dass der Lernende das Gelernte später, z.B. im Beruf besser umsetzen kann. Drittes Kernelement des kooperativen Lernens ist die verteilte Kognition. Auch wenn eine Gruppe gemeinsam lernt, verfügen nicht alle Lernenden nach einem Lernprozess über das gleiche Wissen. Das Wissen ist eher über die Mitglieder der Gruppe verteilt – weshalb Wessner (2005: 197) von „verteilter Kognition“ spricht. Diese Elemente verschaffen dem kooperativen Lernen seinen besonderen Charakter, der schon in der früheren Schullehre entdeckt wurde, so dass Gruppenarbeiten und das aktive Arbeiten im Team in den Schulunterricht integriert wurden und werden. Beim CSCL arbeiten Personen mit unterschiedlichem Vorwissen und Hintergründen bzw. Perspektiven unter zu Hilfenahme virtueller Technologien an einer gemeinsamen Aufgabe (Kirschner & Van Bruggen 2004: 137). Hierbei lernen sie vor allem im Team zu arbeiten und Sichtweisen anderer zu akzeptieren. Die eingesetzten neuen Medien unterstützen den Prozess, in dem eine Gruppe gemeinsam ein gemeinschaftliches Projekt online oder offline mit dem Computer gestaltet. Angebote des „Web 2.0“ eignen sich auf Grund ihrer Unterstützung der Kooperation mehrerer Lernender dazu, Prozesse des selbst gesteuerten sowie informellen Lernens von Anderen anzustoßen und zu begleiten (vgl. Görting/Pelka/Schmitt 2008) und damit CSCL umzusetzen. Ein gutes Beispiel für ein solches Netzwerk, in dem viele Lernende gemeinsam arbeiten können, bietet ein Wiki, in dem Dokumente abgelegt und die Texte untereinander verlinkt werden können. Zusätzlich zu dem Netzwerk werden den Lernenden Informationen von Ihrem Tutor oder Lehrer bereitgestellt und sie haben die Möglichkeit an Livechats teilzunehmen. Hierbei kann man sich über Probleme austauschen und Ideen weitertragen. Je nachdem wie ausgeklügelt das Programm, das Netzwerk und letztendlich die Arbeit ist, wird mehr oder weniger Wert auf die gemeinsame Arbeit und das Gesamtziel gelegt. Innerhalb der Gruppenarbeit kann es noch zu weiteren Aufteilungen kommen, so dass z.B. auch Paararbeit ein Teil des CSCL 12 sein kann. Besonders vorteilhaft an einer virtuellen Umgebung ist auch, dass man neben Text auch Videos, Bilder, Zeichnungen und Graphiken einbinden, Dateien hochladen und die Texte untereinander verlinken kann. Darüber hinaus können alle zu jeder Zeit auf das Bearbeitungsthema zurückgreifen. Jedoch ist zu unterscheiden, ob die Gruppe gemeinsam, d.h. zeitgleich an den Computern oder individuell, z.B. von zuhause aus an der Aufgabe arbeitet. Wichtig ist dies, da „im Vergleich zur face-to-face-Situation […] die Wahrnehmung sozialer und non-verbaler Hinweisreize (z.B. Körperhaltung) aufgrund der technisch verfügbaren Kommunikationskanäle (je nach Realisierung: Text, Audio, Video) eingeschränkt ist. Dadurch ist es schwierig, Gruppenbewusstsein (“group awareness”) zu schaffen und die soziale Orientierung zu unterstützen“ (Pfister/Wessner 2000: 140). Gruppenmitglieder sollten sich daher vor Beginn des Lernprozesses kennenlernen, auch eine vorherige Absprache ist empfehlenswert. Durch das Zusammenkommen und gemeinsames Absprechen des Gruppenziels wird dem einzelnen Lernenden verdeutlicht, dass jeder Einzelne zur Erreichung des Gruppenziels wichtig ist und auch eine Verantwortung der Gruppe gegenüber trägt. Beim kooperativen Lernen gibt es somit zwei Ebenen der Verantwortung: Die zur Erreichung des Gruppenziels und zum anderen die individuelle Verantwortung jedes Gruppenmitglieds seinen Arbeitsbereich gewissenhaft zu erledigen (Slavin 1995). Ein positiver Aspekt des CSCL ist, dass die Lernenden aktiv und konstruktiv in den Lernprozess einbezogen werden und nicht nur passiv Wissen aufnehmen, bspw. wie bei einer Vorlesung oder einem Video. Diese aktive Teilnahme und das Wissen darüber, dass der eigene Teil zur Erreichung des Gesamtziels notwendig ist, sollen die Lernenden motivieren. Anwendungen, die dem hier zu Grunde gelegten Verständnis des Web 2.0 entsprechen, können den Kooperationsprozess der Lernenden unterstützen und sind gleichzeitig in der Lage, Wissen zu speichern und in geeigneter Form zu repräsentieren, um Schritte der Aufgabenbearbeitung zu dokumentieren und Ergebnisse festzuhalten. Neben diesen Vorteilen können aber auch einige Probleme auftreten wie z.B. mangelnde Teamfähigkeit oder aber das Fehlen einer Gruppendynamik, was insbesondere in den Gruppen auftreten kann, die nur individuell von zu Hause aus arbeiten und die Gruppenmitglieder gar nicht oder schlecht kennen. Darüber hinaus weist Wessner (2005: 219) darauf hin, dass gelingendes kooperatives Lernen große Anforderungen an die einfache Bedienbarkeit der verwendeten Softwaren stellt – jede Hürde birgt die Gefahr des Abbruchs des Lernprozesses oder der notwenigen Kooperation. Diese Anforderung spricht für eine Modellierung kooperativen Lernens innerhalb der Angebotsstrukturen von Web 2.0-Applikationen. Fazit und Ausblick 13 Dieser Aufsatz verfolgt das Ziel, Vorteile von Web 2.0-Angeboten für Lernkontexte sichtbar zu machen und damit zwei bislang zu wenig verbundene Praxisfelder, nämlich lebenslanges Lernen und das Web 2.0, miteinander zu verknüpfen. Dazu wurden sowohl Leistungen des Web 2.0, als auch Anforderungen von Bildungsnachfragern skizziert. Als wichtigste Vorteile von Web 2.0-gestützten Lernangeboten wurden identifiziert: einfach zu bedienende Software, Unterstützung bei der Erstellung von user generated content, eine potenziell große Gruppe von Nutzern, Vernetzung von Lernern untereinander sowie von Lernern und Dozenten; die Unterstützung von Kooperation unter Lernenden bei der Erarbeitung von Wissen; der Nachweis von Lehr- und Lernpfaden und damit eine Schnittstelle zur Anerkennung von Lerninvestitionen wie auch Lernergebnissen. Dabei bleibt der Zusammenhang zwischen der aktiven Teilnahme an der Erstellung von user generated content und learning outcomes jedoch ein weitgehend unkartographiertes Forschungsfeld. Gleichzeitig sind mit der Nutzung von Web 2.0-Angeboten in Lernkontexten neue Anforderungen verbunden. Diese sind in erster Linie mit dem Begriff der Medienkompetenz assoziiert und umfassen Anforderungen an den Umgang mit EDV sowie der Kommunikation der Lerner. Beide Anforderungen können zu einem Ausschluss von potenziellern Lernern führen und sollten durch geeignete Unterstützungsstrukturen abgefedert werden. Während die erforderliche EDV-Kompetenz für Web 2.0-Angebote relativ gering ist, darf nicht vergessen werden, dass die Kommunikation mit und innerhalb von Web 2.0-Angeboten neue Kompetenzen erfordert – etwa im Umgang mit der eigenen Privatsphäre, aber auch im Such- und Nutzungsverhalten, da das Web 2.0 neue Umgangsformen sowie neue Angebotsarrangements geprägt hat. Der kursorische Überblick einiger zur Verfügung stehender Technologien hat jedoch gezeigt: Die Technik steht. Sie ist einfach zu bedienen und oft kostenfrei verfügbar. Nun kann das Augenmerk auf die Inhalte gelegt werden (vgl. Panke, 2007). Um die Vorteile eines „Web 2.0“-gestützten Lernens und damit dessen Potenziale für lebenslanges Lernen zu eröffnen, sollte nun vorrangig an derer tatsächlicher Nutzung in Lernkontexten angesetzt werden. Aus Sicht der Autoren sind es vor allem drei Hürden, die einer weiteren Nutzung entgegenstehen: Zum einen stellen sich im Zusammenhang mit user generated content Fragen der Qualität der angebotenen Inhalte. Hier kann beispielsweise die Wikipedia auf beachtliche Erfolge verweisen; ein pauschaler Garant ihres Prinzips für Qualität ist dies aber nicht. Gerade Lernen benötigt jedoch einen Vertrauensvorschuss der Lernenden, das das, was sie rezipieren auch qualitativ abgesichert ist. In diesen Kontext gehört auch die Anmerkung, dass das kritische Auseinandersetzen mit der Qualität von Inhalten und den Interessen der Veröffentlicher zu den Basis-Kompetenzen beim Umgang mit user generated content gehören. Zweitens benötigen Lerner 14 Hilfestellung außerhalb der technischen Systeme, beispielsweise durch Tutoren oder Blended Learning-Konzepte. An Hochschulen wird bereits mit der Einbettung von Web 2.0-Angeboten in Präsenzlehre experimentiert und einzelne Hochschulen weisen beachtliche Erfolge aus; in anderen Lernkontexten stehen Erfahrungen jedoch noch aus. Insbesondere ist die Frage zu klären, welche spezifischen Bedarfe Zielgruppen wie Teilnehmer von Erwachsenenbildung oder Berufsschüler von Studierenden unterscheiden. Die dritte Hürde steht allen Formen informellen Lernens gegenüber und ist mit der Anerkennung informell erworbenen Wissens verbunden. Diese Einsicht führt zu der Forderung nach einer besseren gesellschaftlichen Anerkennung und Unterstützung des selbst gesteuerten Lernens. Erste Schritte müssten über eine bessere Anerkennung der erworbenen Kompetenzen erfolgen. Langfristig steht jedoch auch die Frage nach der Anerkennung der Erstellung von user generated content im Raum. Die inhaltlich tiefe und gleichzeitig kommunikativ und sozial kompetente Mitarbeit an der Erstellung beispielsweise eines Wikipedia-Artikels wird bislang nur innerhalb der jeweiligen Community honoriert. Dabei erwirbt der Autor Wissen und Kompetenzen, die er auch in anderen Kontexten einsetzen kann. Und er trägt zur Weiterbildung der Leser bei. Diese Win-Win-Situation ließe sich in vielen Lernkontexten fruchtbar machen. Ein erstes Handlungsfeld kann in der besseren Verzahnung von formalen und informellen Bildungsangeboten gesehen werden – wie es Hochschulen durch eine Verknüpfung von Vorlesung und Seminar-Wiki oder Unternehmen durch corporate wikis oder blogs versuchen. Während des Lernprozesses sollten Anreize zu informellem Lernen geboten werden, damit jeder die Chance hat, sich individuell weiterzubilden. Auch im beruflichen Umfeld können informelle Lernangebote und die individuelle Lernumgebung gefördert werden. Dies entspricht auch expliziten bildungspolitischen Entwicklungszielen auf europäischer wie auch nationalstaatlicher Ebene. Insbesondere die Betrachtung von communities als potenziellen Lernorten hat gezeigt, dass Web 2.0-Angebote auch in der Lage sind, die Aneignung von Kompetenzen im kommunikativen und kooperativen Bereich zu unterstützen. Vor dem Hintergrund einer weiter voran schreitenden Diffusion von EDV in viele Lebenskontexte und dem sich zu verbreitern drohenden Digital Divide sollte der Umgang mit den neuen Technologien stärker in Schul- und Allgemeinbildung integriert werden, um den kompetenten Umgang mit EDV und deren Nutzung zu Kommunikation, Kooperation und Lernen zu trainieren. Neben den hier näher beleuchteten Web 2.0-Angeboten eignen sich auch weitere wie Blogs oder Podcasts zur Unterstützung informellen Lernens. Im Sinne einer Anschlussfähigkeit an die zitierte Studie wurden diese hier nicht betrachtet. Die 15 Ausweitung der hier skizzierten Überlegungen auf andere Web 2.0-Angebote bleibt ein spannendes Forschungsthema. Als weitere lassen sich folgende Fragen verstehen: 1.) Wie lassen sich weitere (vorhandene) Lernkonzepte mit (vorhandener) Technologie (web 2.0) umsetzen? Eine interessante Schnittstelle besteht sicher zum Erfahrungslernen, das ein Lernen bezeichnet, „das untrennbar mit der verändernden Tätigkeit verbunden ist und Bedingungs-Handlungs-Resultat-Zusammenhänge relativ ganzheitlich reflektiert und mit vorangegangenen Erfahrungen akkumulierend zusammenführt.“ (Kirchhöfer 2004: 86) 2.) Welche zusätzlichen Potenziale bieten die spezifischen Angebote des Web 2.0? Welche Gewinne lassen sich beispielsweise aus der Verbindung der beschriebenen Vorteile wie Kooperation und Kommunikation mit der hier nicht weiter behandelten Multimedialität ziehen? 3.) Welche Adaptionen sind für welche Zielgruppen notwendig? Denn wenn es gelingen soll die Vorteile des Web 2.0 einer größeren Zielgruppe anzubieten, werden die Angebote deren jeweils spezifische Anforderungen, Vorkenntnisse und Restriktionen berücksichtigen müssen. Ein Forschungsfeld ließe sich also als Matrix von Zielgruppen und sinnvollen Web 2.0-Angeboten beschreiben. 16 Literatur: Back, Andrea/Bendel, Oliver/Stoller-Schai, Daniel (2001): E-Learning im Unternehmen. Orell Füssli Verlag Ag, Zürich (2001). Bremer, C. (2000): Forschend und handelnd im Netz: Instrumente für aktives,kooperatives Lernen in virtuellen Lernumgebungen. In: Handbuch Hochschullehre. Raabe Verlag. S. 1-37. Bretschneider, M. (2004). Non-formales und informelles Lernen im Spiegel bildungspolitischer Dokumente der Europäischen Union. Verfügbar unter: http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2004/bretschneider04_01.pdf [11.09.2008]. Bundesministerium für Bildung und Forschung. (bmbf) (Hrsg). (2001). Das informelle Lernen: Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller. Verfügbar unter: http://www.bmbf.de/pub/das_informelle_lernen.pdf [11.09.2008]. Bundesministerium für Bildung und Forschung. 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