Politik für die Zukunft: Wie lassen sich Wirtschaft, Klima und Entwicklung nachhaltig vereinbaren? Eine Nachlese zum Reformgespräche 2009 Arbeitskreis im Rahmen der Alpbacher Die Erarbeitung eines „Fünf-Punkte-Programms“ mit konkreten Vorschlägen und Handlungsaufträgen für österreichische EntscheidungsträgerInnen bildete das ambitionierte Ziel eines vom Ökosozialen Forum gemeinsam mit dem Lebensministerium organisierten Arbeitskreises bei den heurigen Reformgesprächen in Alpbach. Die geladenen ExpertInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Interessensvertretung und dem NGO-Bereich präsentierten dazu eingangs jeweils eigene Vorschläge, die im Anschluss vom Publikum kommentiert und erweitert wurden. Ulrich Brand vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien brachte zu Beginn den Demokratiebegriff des vor wenigen Monaten verstorbenen Soziologen Ralf Dahrendorf in die Diskussion. Demokratie benötigt Konflikte, lautete der daraus abgeleitete Imperativ. Diese allein bilden die Basis für Kompromisse und Problemlösungen. Und sie ermöglichen es nicht zuletzt auch marginalisierten Bevölkerungsgruppen, sich in die politische Debatte einzubringen und Gehör zu verschaffen. Des Weiteren forderte Brand eine gerechtere Verteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzungen und eine Reform staatlicher und globaler Governance. Im Rahmen letzterer sei vor allem das Diktum der Wettbewerbssicherung in Frage zu stellen. Die Vertreterin des Lebensministeriums, Elisabeth Freytag, nannte an erster Stelle eine umfassende Bildungsreform als notwendige und nach wie vor ausstehende politische Maßnahme. Sie sprach in diesem Zusammenhang von einer Bildungskrise, da wesentliche Bereiche wie Migration und das frühe Ausscheiden vieler Jugendlicher aus dem Bildungssystem (Stichwort: Jugendarbeitslosigkeit) zuwenig debattiert werden. Auf inhaltlicher Ebene wiederum werden etwa Grundlagen der politischen Bildung und relevante Themen wie Partizipation sowohl in der schulischen Praxis als auch in der bildungspolitischen Debatte kaum berücksichtigt. Zum Thema Klimawandel unterstrich Freytag, dass dadurch auch positive Entwicklungen eingeleitet wurden, wie etwa die Tatsache, dass in Österreich gegenwärtig bereits rund 180.000 Menschen in Bereichen wie Umwelttechnik beschäftigt sind.1 Freytag wies abschließend auf das Vorhaben der Europäischen Union hin, nach der Lissabon- und 1 Diese Zahl wurde in weitere Folge vom Publikum in Frage gestellt und mit dem Hinweis versehen, dass im engeren Sinne lediglich 22.000 Personen in so genannten „green jobs“ tätig seien. 1 Ökosoziales Forum: Nachlese zum Arbeitskreis „Politik für die Zukunft“. Alpbach, August 2009 Nachhaltigkeitsstrategie eine umfassende „EU-Entwicklungsstrategie“ zu erarbeiten, die wesentliche Themenbereiche wie Umwelt, Klima, Gender, Bildung usw. zusammenführen soll. Damit soll auf EU-Ebene ein, wie vom Arbeitskreis thematisiert, nachhaltiges Vereinbaren relevanter Materien erleichtert werden. Dies im Unterschied zur Gegenwart, in der die EU-Nachhaltigkeitsstrategie de facto etwa keinen Einfluss auf die EU-Klimapolitik besitzt. Fritz Hinterberger vom Sustainable Europe Research Institute (SERI) plädierte für eine Priorisierung von Lebensqualität anstelle von Wirtschaftswachstum. Dass Wachstum, etwa durch materiellen Konsum, natürliche Grenzen hat, sei heute keine neue Erkenntnis mehr. Der Weg in eine nachhaltige Gesellschaft führt über die Nutzung der Potentiale von Technik und Innovation und dem Infragestellen von Wachstum um jeden Preis. Als konkrete Maßnahmen sprach sich auch Hinterberger für Arbeitszeitverkürzungen und entsprechende Rahmenbedingungen, das Akzeptieren von Wachstumsbeschränkungen sowie die Entwicklung neuer Indikatoren zur Messung von Lebensqualität aus. Die Steuerexpertin des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Margit Schratzenstaller, kam in Folge einer Analyse der jüngsten Konjunkturpakete zu dem Schluss, dass die „Chance der Krise“, etwa für verstärkte Investition in grüne Technologie, bislang kaum genutzt wurde. Schratzenstaller plädierte deshalb für eine umfassende Zukunftsstrategie, bei der die Konjunktur nur als ein Ausgangspunkt zu betrachten sei, eine Umstrukturierung des Abgabensystems in Richtung Nachhaltigkeit sowie die Einführung internationaler Steuern, wie einer Finanztransaktions- und einer Kerosinsteuer. Der Präsident der Wiener Industriellenvereinigung und Firmenchef Georg Kapsch konstatierte in seinem Beitrag eine Ethikkrise, welche seiner Ansicht nach bedeutsamer sei als jede Strukturkrise. Nachhaltigkeitsmängel sieht er in den vier Bereichen Umwelt, soziale Kohäsion, Lebensqualität – in Abgrenzung zu Lebensstandard – und Migration. In Richtung politischer EntscheidungsträgerInnen appellierte Kapsch: Es geht nur global und nur mit Blick auf langfristige Wirkungen, vor allem in den Bereichen Bildung und Technologie. Investitionen in Sektoren mit Hebelwirkung seien dringend notwendig. Er sprach sich darüber hinaus für eine Eindämmung der Finanzspekulation aus. Die Finanzwirtschaft müsse sich auf ihre Rolle der Finanzierung der Realwirtschaft rückbesinnen. Ein klares Nein kam von Kapsch zur Frage nach Vermögenssteuern. Der Präsident der Land&Forst Betriebe Österreich, Felix Montecuccoli, sprach über die unmittelbare Betroffenheit der Landund Forstwirtschaft durch den Klimawandel und zugleich über mögliche Beiträge zur seiner Verringerung, etwa durch geänderte, CO2-neutrale Produktionsmethoden. Auf globaler Ebene wiederum seien die Produktionsbedingungen für Nahrungsmittel sehr ungleich verteilt. Hier seien sowohl technische Lösungen als auch Kreativität gefragt, und auch Zusammenhänge mit anderen Bereichen, wie der Energiepolitik, zu berücksichtigen. Als konkrete umzusetzende Maßnahmen nannte Montecuccoli eine Veränderung des Lebensstils und der Produktionsmethoden, eine Neudefinition der Mehrfachfunktionen 2 Ökosoziales Forum: Nachlese zum Arbeitskreis „Politik für die Zukunft“. Alpbach, August 2009 der Landwirtschaft Abgabensystem. und Leistungsanreize im Steuer- und Ruth Picker, Geschäftsführerin des entwicklungspolitischen Dachverbands „AG Globale Verantwortung“, kritisierte eingangs, dass Entwicklungspolitik in Österreich generell als Randthema wahrgenommen werde. Bei Entwicklungspolitik geht es zum einen um Symptombekämpfung mittels zur Verfügung gestellter Geldmittel für Entwicklungs-zusammenarbeit, zum anderen um die Bekämpfung Verteilungsungerechtigkeit zementierender Strukturen, etwa im Welthandel. Picker identifizierte als dringlichste politische Maßnahmen die konsequente Umsetzung des Kohärenzprinzips, eine stärkere Regelung des Finanzsektors sowie die Schließung von Steueroasen. Die eingangs von Ulrich Brand gestellte Forderung, Konflikte im demokratischen Prozess wieder deutlich zu machen und zuzulassen, konnte im Rahmen des Arbeitskreises auf kleinem Niveau erfüllt werden. Besonders die aufgeworfenen Verteilungsfragen führten auch an diesem Nachmittag zu heftigen Diskussionen. Die Notwendigkeit von Substanz- oder Vermögens-steuern wurde unter anderem vor dem Hintergrund der auch in Österreich höchst ungleichen Verteilung von Vermögens- und Immobilienbesitz argumentiert. Die Verkürzung von Arbeitszeiten wurde wiederum auch als gezielte Maßnahme gegen die vielen Prognosen zufolge bereits ab Herbst 2009 weiter steigende Arbeitslosigkeit sowie als langfristiger Beitrag zu einem ökosozialen Umbau unserer Gesellschaft diskutiert. Gegen Ende bewiesen die TeilnehmerInnen jedoch auch ihre Fähigkeit zum Kompromiss, und einigten sich auf folgende fünf Maßnahmen, die auf der Prioritätenliste österreichischer EntscheidungsträgerInnen für eine nachhaltige Bewältigung der aktuellen Mehrfachkrise an oberster Stelle stehen sollten: 1. Die Entwicklung einer kohärenten Nachhaltigkeitspolitik anstelle eines „BIP-Wachstums um jeden Preis“: Dies impliziert eine Neudefinition von Wachstum – über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hinaus denkend – sowie die Entwicklung eines alternativen Indikatorensystems zur Messung von Lebensqualität. 2. Ein Umbau des Steuer- und Abgabensystems mit dem Ziel einer Verlagerung der Steuerlast weg vom Faktor Arbeit hin zum Verbrauch von Ressourcen. 3. Eine stärkere und bessere Regulierung des Finanzsektors und die Schließung von Steueroasen. 4. Investitionen in den Bereich der erneuerbaren Energien sowie in Forschung und Entwicklung neuer Technologien. 5. Die Umsetzung einer kohärenten Entwicklungspolitik: Eine erste umzusetzende Maßnahme wäre hier die seit langem versprochene Aufstockung des Budgets für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE). Siehe auch: Gastkommentar von Ulrich Brand in der Tageszeitung Der Standard: 3 Ökosoziales Forum: Nachlese zum Arbeitskreis „Politik für die Zukunft“. Alpbach, August 2009 http://derstandard.at/fs/1250691223764/Kommentar-der-anderen-Eswird-nichts-mehr-wie-es-einmal-war Analyse der bisherigen Konjunkturpakete des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO): http://www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=36361&typeid=8& d Analyse der Struktur von Konjunkturpaketen (ausgewählte Länder, inkl. Österreich, im OECD-Raum), Statement von Margit Schratzenstaller (WIFO) im Rahmen eines Pressegespräches des Ökosozialen Forums bei den Reformgesprächen: http://www.oekosozial.at/osf/osf?cid=30257#id5 4