Starterkulturen für die Rohwurst

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Didaktisierung von Texten
Silke Coordes
Klasse 13, Berufliches Gymnasium
Vorwissen: Fleischeiweiß, Veränderungen bei der Fleischreifung, Salzen und Pökeln.
Wie die Rohwurst entsteht.
Die Rohwurstreifung ist ein vielschichtiger Vorgang, bei dem chemische, biologische und
physikalische Prozesse sowohl gleichzeitig als auch nacheinander ablaufen. Dabei verändert sich die
Rohwurstmasse derart, dass aus ihr nach Abschluss des Reifeprozesses eine schnittfeste Wurst
geworden ist. Sie hat ein eigenes, typisches Rohwurstaroma und ist durch ihre trockene
Beschaffenheit auch ohne Kühlung für längere Zeit haltbar. Eine kräftige, stabile Farbe ist entstanden.
Der pH-Wert und seine richtig gesteuerte Absenkung sind maßgebend für eine günstig ablaufende
Rohwurstreifung. Von seiner Höhe hängen Wassergehalt, Farbhaltung und Gelbildung ab. Auch der
zeitliche Ablauf der Reifung ist von Bedeutung.
Quelle: Bischoff, Bamberger, Bippes. Fleischverarbeitung. Fachkunde und Fachrechnen. Schroedel. Hannover 1978. S. 165
Lesen Sie den nachfolgenden Fachtext einmal durch.
Notieren Sie, welche Stoffe/Verbindungen an der Reifung bzw. Aromabildung beteiligt sind.
Starterkulturen für die Rohwurst
Lothar Kröckel, Kulmbach (Auszug)
(…) Starterkulturen liefern einen wesentlichen Beitrag zur Produktsicherheit der Rohwurst. In ihrer
Funktion als Schutzkulturen unterdrücken sie das Wachstum lebensmittelvergiftender und –verderbender Mikroorganismen im Lebensmittel. Die Hemmung des Wachstums von unerwünschten
Mikroorganismen kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Der konservierenden Wirkung der
Milchsäurebakterien kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie produzieren eine Vielzahl
antagonistischer Substanzen (Milchsäure, Wasserstoffperoxid, Kohlendioxid, Diacetyl) und
verschaffen sich so einen Wachstumsvorteil gegenüber konkurrierenden Mikroorganismen. Dem
Rohwurstbrät werden pro Gramm meist 1-10 Millionen Milchsäurebakterien als Starter zugegeben, um
auch eine zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber unerwünschten Konkurrenten sicherzustellen. Je
nach Reifebedingungen erfolgt dann eine Vermehrung auf 10-100 Millionen Milchsäurebakterien pro
Gramm Wurst. Die während des Wachstums abgegebene Milchsäure hemmt die meisten lebensmittelvergiftenden und -verderbenden Bakterien. Diese Hemmung wird durch das zugesetzte Nitritpökelsalz und die Abtrocknung der gesäuerten Wurst verstärkt. Damit ausreichend Säure gebildet wird,
setzt man dem Rohwurstbrät 0,3-0,5 % verwertbare Zucker zu. So wird ein hygienisch sicherer
Säuregrad von pH < 5,3 erreicht. Unterhalb dieses pH-Wertes haben Salmonellen, Listerien und
Staphylococcus aureus in Rohwurst praktisch keine Vermehrungsmöglichkeiten. Bei schimmelpilzgereiften Rohwürsten verhindern die als Starter eingesetzten Mikroorganismen die Besiedelung
der Rohwurstoberfläche durch giftige oder unansehnliche Schimmelpilze und unerwünschte Hefen
und Bakterien.
(…) Milchsäurebakterien verwerten den im Fleisch natürlicherweise vorhandenen oder bei der
Herstellung zugesetzten Zucker für ihr Wachstum und scheiden als „Abfallprodukte" ihres Stoffwechsels eine Reihe von aromawirksamen Substanzen aus. Zu diesen zählt vor allem die Milchsäure, die je nach Konzentration einen mehr oder weniger mildsaueren Geschmack verleiht. „Wilde"
Kulturen können dagegen auch beachtliche Mengen an Essigsäure produzieren und so ein „kratzig,
beißendes Aroma" hervorrufen. Außerdem können solche Kulturen Gas (Kohlendioxid) bilden, das zu
Porigkeit und Rissen in der Wurst führen kann. Die Säuerung der Rohwurst ist gleichzeitig Voraussetzung für das Biß-/ Schnittfestwerden und die Abtrocknung der Wurst, da das Fleischeiweiß nur
nach Erreichen eines bestimmten Säuregrades (pH < 5,4) freiwillig Wasser abgibt und „abbindet".
Sorgfältig ausgewählte Starterkulturen gewährleisten ein sauberes, angenehm säuerliches Aroma,
das nicht durch fremdartige und unangenehme sensorische Eindrücke überlagert wird. (…)
Die aromawirksame Reifung (Spaltung) von Fleischeiweiß und Fetten erfolgt zum Teil durch
fleischeigene Enzyme (Proteasen, Lipasen). Die häufig in Mehrstamm-StarterkuIturen enthaltenen
Micrococcaceae, sowie gesundheitlich unbedenkliche Schimmelpilze können ebenfalls derartige
Veränderungen vornehmen. Bei der Eiweißspaltung entstehen kurzkettige Peptide und Aminosäuren. Fette werden zu Glycerin und Fettsäuren umgesetzt. Beim weiteren Abbau der Fettsäuren
entstehen dann sensorisch aktive Verbindungen. Schimmelpilzgereifte Produkte besitzen ein
typisches Aussehen und ein charakteristisches Aroma, welches zu einem wesentlichen Teil durch die
Schimmelpilze hervorgerufen wird. Etwa 5 % der deutschen Rohwürste werden als Schimmelrohwürste angeboten. Schimmelpilze liefern mehrere Qualitätsattribute für bestimmte, lange gereifte und
gepökelte Fleischerzeugnisse (z.B. Mailänder Salami, Ungarische Salami). Diese sind hauptsächlich
ästhetischer Natur (gleichmäßige, farblich ansprechende Beschimmelung), obgleich Verbesserungen
in Aroma, Textur (Minderung der Trockenrandbildung) und Konservierungeigenschaften (Verlängerung der Haltbarkeit, Verhinderung des Ranzigwerdens, bessere Farbe) ebenfalls von Bedeutung
sind. (…)
Micrococcaceae und Schimmelpilze sollen außerdem schädliche Peroxide, die zu unerwünschten Farb- und Fettveränderungen führen (Vergrauung, Vergrünung, Ranzigwerden), mittels
des von ihnen bereitgestellten Enzyms Katalase zerstören. Solche Peroxide können in Gegenwart von
Sauerstoff auch von Milchsäurebakterien produziert werden. Schließlich tragen die Micrococcaceae
auch zur sicheren, stabilen Farbbildung (Umrötung) der Rohwurst bei, indem sie durch ihr Enzym
Nitratreduktase aus Nitrat das für die Umrötung wichtige Nitrit bilden.
Ausgewählte Hefe-Stämme der Art Debaryomyces hansenii verbessern als Oberflächenkulturen Aroma und Farbe vor allem bei luftgetrockneten Rohwürsten und Rohschinken. Durch ihren
Sauerstoffverbrauch und den Abbau von Peroxiden schützen sie die Erzeugnisse zudem vor möglichen Farbfehlern. Sie reduzieren den Feuchtigkeitsverlust während der Reifung und schützen das
Fleisch vor schädlichen Lichteinwirkungen. Durch Lipolyse und schwache Proteolyse verleihen sie
den Erzeugnissen einen typischen Geschmack. (…)
Quelle: AID-Verbraucherdienst. Juli 1995, S. 147 – 154
Lesen Sie den ersten Absatz erneut. Beantworten Sie danach die nachfolgenden Fragen.
Starterkulturen werden als Schutzkulturen bezeichnet. Begründen Sie dies in einem Satz.
Was sind antagonistische Substanzen? Welche werden von den Milchsäurebakterien produziert?
Der bei der Rohwurstreifung angestrebte pH-Wert liegt bei pH< 5,3. Warum gilt er als hygienisch
sicher?
Lesen Sie den zweiten Absatz erneut. Beantworten Sie danach die nachfolgenden Fragen.
Milchsäurebakterien verändern Aroma und pH-Wert. Wie kommt es zu den Aromaveränderungen?
Welche Aromastoffe entstehen dabei? Unterscheiden Sie zwischen erwünschten und unerwünschten.
Welche Folge hat die pH-Wert-Absenkung?
Lesen Sie den dritten Absatz erneut. Beantworten Sie danach die nachfolgenden Fragen.
Nennen Sie drei Ursachen für die aromawirksame Spaltung von Fetten und Eiweißstoffen.
Nennen Sie Folgeprodukte von a) Eiweißabbau und
b) Fettabbau.
Lesen Sie den vierten Absatz erneut. Bearbeiten Sie danach die nachfolgende Aufgabe.
Ergänzen Sie die nachfolgende Skizze zu möglichen Wirkungsweisen der Mikrokokken und
Schimmelpilze.
Milchsäurebakterien  schädliche Peroxide




Mikrokokken
Schimmelpilze



(Umrötung)
Lesen Sie den letzten Absatz erneut. Beantworten Sie danach die nachfolgenden Fragen.
Kreuzen Sie richtige Aussagen über die Wirkungsweise bestimmter Hefestämme an.
 Sie schützen die Peroxide.
 Sie schützen vor Farbfehlern.
 Sie Bewirken eine Abtrocknung der Wurst.
 Sie Können Fette verändern.
 Sie können Eiweiße nicht verändern.
 Sie produzieren Sauerstoff
Lesen Sie den ganzen Text erneut. Unterstreichen Sie alles, was Sie verstanden haben.
Zusatzaufgabe
Stellen Sie die Reifungsvorgänge bei der Rohwurst in einer Übersicht dar.
Begründen Sie die lange Haltbarkeit der Rohwurst.
Originaltext:
Starterkulturen für die Rohwurst
Lothar Kröckel, Kulmbach
Historisches
Der Ursprung fermentierter Fleischerzeugnisse verliert sich im Dunkel der Menschheitsgeschichte. Die
Herstellung fermentierter Würste soll zuerst in den das Mittelmeer umgebenden Ländern bekannt
gewesen sein. Die Tradition der Rohwurstherstellung existiert im Mittelmeerraum vermutlich seit mehr
als 2000 Jahren. Die „Kunst" der Wurstherstellung wiederum kann fast immer auf Südeuropa
zurückverfolgt werden, von wo aus eine Verbreitung in andere europäische Länder stattfand. Die
Würste der Nord- und Süddynastien Chinas (589-420 v. Chr.) hatten wenig mit den uns heute bekannten fermentierten Würsten"zu tun und waren zudem zum Warmverzehr gedacht. Die
Trockenpökelung von Schinken und anderem Fleisch basiert auf einer viel älteren Technologie.
Rohschinken werden sowohl bei Cato 160 v.Chr. als auch bei Diokletian 301 n.Chr. erwähnt. Im ersten Jahrhundert n.Chr. gab es in Europa bereits einen schwunghaften Handel mit Rohschinken.
Rohschinken waren auch in anderen Kulturen, etwa im alten China, und bei primitiveren Kulturen
bekannt, wo die Trocknung die vorwiegende Art der Fleischkonservierung war.
Die bekanntesten gepökelten und fermentierten Würste sind nur etwa 250 Jahre alt und
wurden wahrscheinlich zuerst von Italienern hergestellt. Die Ungarische Salami und
die ersten Deutschen Rohwürste - damals meist geräuchert - sind kaum älter als 150 Jahre. Andere
Varietäten fermentierter Würste, u.a. streichfähige Rohwurst, nicht getrocknete oder halbtrockene
Würste, erschienen später im Zuge verbesserter Fleischverarbeitungs- und Kühltechnologien.
Europäische Emigranten etablierten die Rohwurstherstellung in den USA, Südamerika und Australien.
Auf den Seychellen, Philippinen und Papua Neuguinea sind Kenntnisse über fermentierte Würste
meist Ergebnis europäischer Einflüsse, obwohl die Nahrungsmittelfermentation als solche gut bekannt
ist.
Bei der Herstellung fermentierter Lebensmittel spielen Mikroorganismen die Hauptrolle. Im
Prinzip kann ausgezeichnete Salami völlig ohne Starterkulturen hergestellt werden. In solchen
Erzeugnissen wächst während der Reifung eine spontane Mikroflora heran, welche die erwünschten
Veränderungen des Fleisches bewirkt. Spontane Fermentationen sind aber auch mit einer Reihe
von Risiken verbunden, die von Fehlprodukten bis zur Gesundheitsgefährdung der Verbraucher
führen können. Traditionell wurde das zerhackte Fleisch vorgesalzen, um die Entwicklung der
Milchsäurebakterien zu fördern, oder man beimpfte mit Brät von einer bereits gelungenen Charge.
Viele ursprünglich eingesetzte Salzarten waren nicht einfach reines Kochsalz, sondern enthielten
unterschiedliche Mengen an Kalium- oder Natriumnitrat. Das Nitrat wurde während der Fermentation
zu Nitrit reduziert und half so bei der Erhaltung der rosa Fleischfarbe und bei der Steuerung des
Pökelvorgangs. Die ursprünglich lokale Entwicklung in Kleinbetrieben resultierte durch die Verwendung vieler verschiedener Herstellungstechnologien in einer variablen Mikroflora. Die moderne
großindustrielle Produktion benötigte dagegen einheitliche und beschleunigte Prozessabläufe. Die
industrielle Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte schließlich zur heute weit
verbreiteten Anwendung mikrobieller Starterkulturen.
Kulturen von Milchsäurebakterien der Gattung Lactobacillus wurden zwar zunächst erfolgreich eingesetzt, konnten aber noch nicht
mit garantierten Aktivitäten hergestellt und vertrieben werden. Die erste kommerziell erhältliche
Starterkultur wurde 1957 in den USA angeboten. Es handelte sich um eine Einstammkultur des
Milchsäurebakteriums Pediococcus cerevisiae (heute: P. acidilactici) zur Herstellung bestimmter USErzeugnisse (summer sausage, cervelat, thüringer). Die Kultur wurde unter dem Namen ,Accel' von
der Fa. Merck vertrieben. Dagegen handelte es sich bei der ersten europäischen Starterkultur,
eingeführt in 1961 durch die Fa. Rudolf Müller (Gießen) unter dem Namen ,Bactoferment 61', um eine
Einstammkultur einer „Micrococcus"-M (Stamm M53, heute: Staphylococcus carnosus). Der Grund für
die Auswahl mikrobiologisch so wenig miteinander verwandter Bakterien wie Pediococcus und
Staphylococcus war der Unterschied in der Wursttechnologie beider Kontinente. Hauptziel in den USA
war die Beschleunigung der Reifung im Zuge einer schnellen Säuerung. Die Rohwurstfermentationen
erfolgen dort außerdem bei Temperaturen von 38-40 °C. Da Pediokokken zugesetztes Nitrat nicht zu
Nitrit reduzieren können, wurde Nitrit als Pökelstoff zusammen mit der Starterkultur eingesetzt. So
erreichte man eine Reduktion der gesamten Herstellungszeit von sechs Tagen auf zwei. In Europa
werden Rohwürste bei Umgebungstemperatur (18-23'C) hergestellt. Die niedrigere Fermentationstemperatur hat dabei eine positive Wirkung auf Färb- und Aromaentwicklung. Daher waren in Europa die
Mikrokokken die Bakterien der Wahl. Sie reduzieren aktiv Nitrat und fermentieren Kohlenhydrate
langsam.
Ursprünglich wurden Starterkulturen für Fleischerzeugnisse als gefriergetrocknete
(lyophylisierte) Kulturen vermarktet. 1968 wurde Pediococcus acidilactici erstmals als gefrorenes
Konzentrat zur weiteren Verkürzung der Produktionszeiten angeboten. Der US-Hersteller konnte
dadurch den traditionellen Wiederbelebungsschritt (Rehydratation) eliminieren und damit die
Herstellungszeiten um weitere 12-16 Stunden verkürzen. Heute werden Starterkulturen für
Fleischerzeugnisse generell sowohl in gefrorener als auch lyophilisierter Form angeboten.
Schimmelpilze wurden vermutlich bereits seit vielen Jahrhunderten bei der Fermentation und Reifung
von Fleisch eingesetzt. Viele der traditionellen Fermentationen, bei welchen die Beteiligung von
Schimmelpilzen erwünscht ist, verlassen sich auf eine passive Beimpfung durch die natürliche
.Hausflora' der bei der Lagerung und Reifung verwendeten Gebäude, Räume, Höhlen/Keller und
Bedarfsgegenstände.
.Wurst' (niederländisch: ,worst') ist ein indogermanisches Wort, wahrscheinlich aus dem Lateinischen
abgeleitet, und bedeutet ursprünglich soviel wie ,(ver-)drehen'. Die englische .sausage' und die französische .saucisse' leiten sich aus dem Altfranzösischen „saussiche/saussice" her, das über das mittellateinische .salsicia' auf das lateinische ,salsus' (=gesalzen) zurückgeführt wird. Das slawische ,kolbasa' ist aus dem Hebräischen abgeleitet und bedeutet sinngemäß .alle Sorten von Fleisch'. Die Herkunft der dänisch/skandinavische ,poelse' ist ungewiß, könnte aber auf daß lateinischen ,pulvinus' (=
zylindrisches Kissen) zurückzuführen sein. Auch die Herkunft der .Salami' ist unbekannt. Sie ist möglicherweise auf das lateinische Wort für Salz ,sale' oder gesalzen .salsus' zurückzuführen, könnte aber
auch an die zerstörte Stadt Salamis an der Ostküste Zyperns oder die griechische Insel Salamis erinnern.
Abb. 1: Ethymologie des Begriffes Wurst
Noch bis 1971 galt die Herstellung fermentier-ter Würste als eine Kunst. Klimatische Gegebenheiten
haben dabei natürlich die Fähigkeit des Menschen zur Herstellung getrockneter und fermentierter
Fleischerzeugnisse beeinflusst. Niedrige relative Luftfeuchten, wie etwa in den Bergregionen Italiens,
Spaniens und der Ardennen, waren immer eine Grundvoraussetzung für die Trocknung und Reifung.
Bis vor einigen Jahrzehnten wusste man sehr gut, daß in einigen Tälern und anderen humiden Orten
die Herstellung fermentierter Fleischerzeugnisse ohne mechanische Kühlungs- und
Trocknungsvorrichtungen unmöglich war. Die jahreszeitlichen Klimaschwankungen haben in einigen
Ländern selbst die Namen der Rohwürste beeinflusst. Die Ungarische Salami ist eine so genannte
„Winter-Salami". Sie hat ihren Ursprung im nördlichen Italien, wo das durch niedrige Temperaturen
und Luftfeuchten bestimmte Klima weit günstigere Voraussetzungen aufweist. In Ungarn gelang die
Herstellung von Salami zunächst am besten in den Wintermonaten. Ebenso erfolgte die Herstellung
der ,summer sausage' in Amerika vor allem während der Sommermonate.
Neue Technologien und Anwendungsbereiche
Fermentierte Fleischerzeugnisse werden in den meisten Ländern der Erde hergestellt, wenngleich
Europa als Hauptproduzent und -konsument anzusehen ist. Die heutigen Rohwürste entsprechen in
vieler Hinsicht ihren historischen Vorbildern. Heute wie damals wird ein Gemenge aus zerkleinertem
Fleisch mit Salz und Gewürzen gemischt, in Wursthüllen gestopft, gereift und getrocknet. Die
Wurstoberfläche kann zusätzlich mit Rauch oder Schimmelpilzen modifiziert sein. Eine derart einfache
Beschreibung der Rohwurstherstellung trifft weltweit auf fermentierte Würste zu, obgleich es eine Vielzahl unterschiedlichster Produkte gibt. Nationale oder regionale Unterschiede entstehen durch
unterschiedliche Rezepturen, Gewürze, Starterkulturen, Zerkleinerungsgrad des Fleisches, Kaliber,
Fermentations- und Reifebedingungen und Oberflächenbehandlung. Südeuropäische Sorten sind
häufig stark gewürzt, während der nördliche Typ weniger gewürzt, stark geräuchert und etwas salziger
ist. Die Varietäten werden häufig nach Städten oder Regionen benannt (Mailänder Salami, Ungarische
Salami).
Nach einem bescheidenen Anfang Ende der fünfziger Jahre stieg der Markt für Starterkulturen
für Fleischerzeugnisse um 1980 beträchtlich an. Heute sind sie eine natürliche Komponente der
Inhaltstoffe von Rohwürsten. Neben Einstammkulturen werden heute auch Mehrstammkulturen
angeboten, die unterschiedliche Aktivitäten und Wachstumstoleranzen abdecken. Die heute für die
Herstellung von Rohwurst wichtigsten Mikroorganismen gehören zu den Gattungen Lactobacillus,
Pediococcus, Staphylococcus, Micrococcus, Debaryomyces und Penicillium. In Europa hat sich
hauptsächlich der Einsatz einer Kombination aus Milchsäurebakterien mit Micrococcaceae
durchgesetzt. Beide Bakteriengruppen haben bestimmte Aufgaben bei der Reifung fermentierter
Fleischerzeugnisse. Am wichtigsten sind die pH-Wertabsenkung durch Milchsäurebakterien und die
Nitratreduktion durch Micrococcaceae. Außer bei Salami kann auch bei streichfähiger Rohwurst und
frischer Mettwurst die sensorische Gesamtqualität durch Starterkulturen verbessert und das
Wachstum unerwünschter Mikroorganismen verhindert werden.
Viele fermentierte Fleischerzeugnisse weisen eine typische Schimmelpilzflora an der Oberfläche auf, die in manchen Fällen das Erzeugnis vollständig bedecken kann. Lokale Präferenzen
entscheiden, ob Oberflächenschimmel erwünscht sind oder nicht. Während Oberflächenschimmel in
Teilen Ungarns, Rumäniens, Bulgariens, Frankreichs, der Schweiz, Österreichs, Italiens und Spaniens
absichtlich kultiviert oder gefördert werden, bevorzugt man in anderen Regionen schimmelfreie
luftgetrocknete, geräucherte und gelegentlich mit einem Gewürzüberzug versehene Erzeugnisse.
Die spontane und heterogene Natur der Haus(rnyco)flora kann zu Fehlprodukten führen und
insbesondere zur Produktion von Mycotoxinen im Erzeugnis. Da die Fähigkeit zur Mycotoxinbildung
bei Pilzen, die von Salami und Rohschinken isoliert wurden (Aspergillus, Penicillium), weit verbreitet
ist, sollte auf die Verwendung Undefinierter Schimmelkulturen verzichtet werden. Nur relativ wenige
Stämme haben in den USA den GRAS-Status (generally recognized as safe) erhalten. Auch potentiell pathogene Pilze (Scopulariopsis) wurden häufig von Rohpökelwaren isoliert. Aber auch bei
Schimmelpilzen, die bereits als Starterkulturen Verwendung fanden, wurde die Produktion von
Mykotoxinen und anderen unerwünschten Stoffen (Antibiotika) gefunden. Weltweit zum ersten Mal
wurde in Kulmbach in 1972 ein nicht-toxinogener und für die Fleischreifung technologisch geeigneter
Stamm von Penicillium naigiovense (Stamm Sp290) isoliert. Dieser Stamm wird seitdem weltweit unter
dem Namen „Edelschimmel Kulmbach" kommerziell vermehrt und eingesetzt. Penicillium
naigiovense ist ein typischer Schimmel europäischer schimmelgereifter Rohpökelwaren. Er hat ein
ansprechendes weißgraues Erscheinungsbild und trägt zu den erwünschten sensorischen Qualitäten
dieser Erzeugnisse bei. Eine Reihe weiterer Penicillium-Starter wird von französischen Firmen
angeboten. Aufgrund der Vielfalt von Herstellungsmethoden, Produktarten und Verbraucherpräferenzen besteht ein anhaltender Bedarf an weiteren nicht-toxinogenen Starterkulturen.
Schimmelpilzkulturen werden entweder als gefriergetrocknete Sporen oder als Sporen-Flüssigkonzentrate geliefert, die nach Verdünnung mit Wasser im Sprüh- oder Tauch verfahren auf die
Wurstoberfläche aufgebracht werden können. Eine hohe Luftfeuchte während der Reifung begünstigt
die Schimmelbildung, und gute hygienische Verhältnisse verhindern eine Kontamination der
Wurstoberfläche mit unerwünschten Pilzen.
Starterkulturen werden auch für die Herstellung von Rohschinken angeboten. Sie können der
Pökellake zugesetzt oder bei Spritzpökelung mit in das Muskelfleisch eingebracht werden.
Salztolerante Stämme von Staphylococcus carnosus und Lactobacillus plantarum sollen vor allem den
Nitrat'/Nitritgehalt vermindern und durch eine leichte Absäuerung der Gefahr von Fehlprodukten
(„leimige Rohschinken") entgegenwirken. Darüberhinaus erwünschte Qualitätsverbesserungen
betreffen Farbe, Farbhaltung, Zartheit und Aroma.
Durch natürliche Selektion und genetische Manipulation von Starterkulturen wird heute die
Elimination unerwünschter Eigenschaften (z.B. Mycotoxinbildung) und die Verbesserung erwünschter
Eigenschaften für die Steuerung der Fermentation (Proteolyse, Lipolyse) und für die
Biokonservierung (Bildung für den Menschen unbedenklicher antibakterieller Substanzen)
angestrebt. Auch Gene aus anderen Mikroorganismen können inzwischen in Milchsäurebakterien,
Micrococcaceae, Hefen und Schimmelpilze „eingeschleust" (transformiert) und „angeworfen"
(exprimiert) werden. In Penicillium naigiovense gelang die Expression des Lysostaphin-Gens von
Staphylo-coccus staphylolyticus. Der so veränderte Schimmelpilz scheidet Lysostaphin aus, eine
Substanz, die das Wachstum des lebensmittelvergiftenden Eitererregers Staphylococcus aureus
hemmt. Von der Verwendung gentechnisch verbesserter Stämme bei der Herstellung von
Rohpökelwaren erwartet man eine weitere Verkürzung von Fermentations- und Reifezeiten sowie
sicherere und einheitlichere Erzeugnisse. Zum Einsatz kommen solche Stämme heute allerdings nur
in der Forschung, wo sie dem besseren Verständnis der natürlichen Vorgänge dienen.
Bedeutung für die sensorische Qualität der Lebensmittel
Aroma ist ein komplexes sensorisches Phänomen und betrifft Geschmack, Geruch und Textur
(Tastsinn, Mundgefühl). Rohes Fleisch selbst zeigt nur wenig Geruch und einen etwas
„blutigen" Geschmack. Das Aroma entwickelt sich erst während der Verarbeitung, bei Rohpökelwaren
insbesondere während der Fermentation. Fermentierte Würste haben ein Aroma, das mehr oder
weniger markenspezififisch ist. Es wird bestimmt durch die Inhaltsstoffe und die chemischen
Reaktionen, die während der Fermentation und des Trocknungsprozesses (Reifung) auftreten. Die
Pökelung mit Nitrit führt - durch Ausprägung des typischen Pökelaromas - zu einer deutlichen
sensorischen Vereinfachung. Ebenso kann die Verwendung von Gewürzen spezifische, mehr oder
weniger ausgeprägte Geschmacksrichtungen vorgeben. Die sensorische Qualität fast aller
fermentierten Würste und Schinken wird aber darüberhinaus durch Mikrorganis-men nicht unerheblich
modifiziert. Aromawirksame Substanzen entstehen während der Reifung zum einen durch
Auscheidungsprodukte der Mikroorganismen, und andererseits durch die Spaltung von Fleischeiweiß
und Fetten in kleinere sensorisch wahrnehmbare, zum Teil flüchtige Substanzen.
Milchsäurebakterien verwerten den im Fleisch natürlicherweise vorhandenen oder bei der
Herstellung zugesetzten Zucker für ihr Wachstum und scheiden als „Abfallprodukte" ihres
Stoffwechsels eine Reihe von aromawirksamen Substanzen aus. Zu diesen zählt vor allem die
Milchsäure, die je nach Konzentration einen mehr oder weniger mildsaueren Geschmack verleiht.
„Wilde" Kulturen können dagegen auch beachtliche Mengen an Essigsäure produzieren und so ein
„kratzig, beißendes Aroma" hervorrufen. Außerdem können solche Kulturen Gas (Kohlendioxid) bilden, daß zu Porigkeit und Rissen in der Wurst führen kann. Die Säuerung der Rohwurst ist
gleichzeitig Vorraussetzung für das Biß-/ Schnittfestwerden und die Abtrocknung der Wurst, da das
Fleischeiweiß nur nach Erreichen eines bestimmten Säuregrades (pH < 5,4) freiwillig Wasser abgibt
und „abbindet". Sorgfältig ausgewählte Starterkulturen gewährleisten ein sauberes, angenehm säuerliches Aroma, das nicht durch fremdartige und unangenehme sensorische Eindrücke überlagert wird.
Neben Milchsäurebakterien können auch bestimmte Staphylokokken die gewünschte Säuerung
bewirken. Rohes Fleisch enthält bereits bis zu 0,9 % Milchsäure und etwa 0,1 % Zucker, der
überwiegend zu Milchsäure umgesetzt wird. Während der Fermentation nimmt die Milchsäure je nach
Rezeptur bis um das Dreifache zu, und der Säuregrad kann von pH 5,7 auf pH 4,8-5,0 absinken. Der
säurebetonten Note wird vor allem im nördlichen Europa der Vorzug gegeben. Bei schimmelgereifter
Salami steigt der pH-Wert im weiteren Reifungsverlauf durch die Stoffwechselaktivitäten (Säureabbau,
Eiweißspaltung) des Schimmelpilzes wieder an, so daß ein relativ milder Geschmack resultiert.
Die aromawirksame Reifung (Spaltung) von Fleischeiweiß und Fetten erfolgt zum Teil durch
fleischeigene Enzyme (Proteasen, Lipasen). Die häufig in Mehrstamm-StarterkuIturen enthaltenen
Micrococcaceae, sowie gesundheitlich unbedenkliche Schimmelpilze können ebenfalls derartige
Veränderungen vornehmen. Bei der Eiweißspaltung entstehen kurzkettige Peptide und
Aminosäuren. Fette werden zu Glycerin und Fettsäuren umgesetzt. Beim weiteren Abbau der
Fettsäuren entstehen dann sensorisch aktive Verbindungen. Schimmelpilzgereifte Produkte besitzen
ein typisches Aussehen und ein charakteristisches Aroma, welches zu einem wesentlichen Teil durch
die Schimmelpilze hervorgerufen wird. Etwa 5 % der deutschen Rohwürste werden als
Schimmelrohwürste angeboten. Schimmelpilze liefern mehrere Qualitätsattribute für bestimmte, lange
gereifte und gepökelte Fleischerzeugnisse (z.B. Mailänder Salami, Ungarische Salami). Diese sind
hauptsächlich ästhetischer Natur (gleichmäßige, farblich ansprechende Beschimmelung), obgleich
Verbesserungen in Aroma, Textur (Minderung der Trockenrandbildung) und Konservierungeigenschaften (Verlängerung der Haltbarkeit, Verhinderung des Ranzigwerdens, bessere
Farbe) ebenfalls von Bedeutung sind. Von Fleischerzeugnissen isolierte Schimmelpilzarten,
insbesondere Penicillien, sind nicht-pathogen; viele können jedoch unter bestimmten
Voraussetzungen Mykotoxine im Fleisch produzieren. Es gibt bis heute aber kaum Hinweise darauf,
daß verkaufsfertige schimmelgereifte Würste und Schinken gefährliche Konzentrationen an
Mycotoxinen enthalten.
Micrococcaceae und Schimmelpilze sollen außerdem schädliche Peroxide, die zu unerwünschten Färb- und Fettveränderungen führen (Vergrauung, Vergrünung, Ranzigwerden), mittels
des von ihnen bereitgestellten Enzyms Katalase zerstören. Solche Peroxide können in Gegenwart von
Sauerstoff auch von Milchsäurebakterien produziert werden. Schließlich tragen die Micrococcaceae
auch zur sicheren, stabilen Farbbildung (Umrötung) der Rohwurst bei, indem sie durch ihr Enzym
Nitratreduktase aus Nitrat das für die Umrötung wichtige Nitrit bilden.
Ausgewählte Hefe-Stämme der Art Debaryomyces hansenii verbessern als
Oberflächenkulturen Aroma und Farbe vor allem bei luftgetrockneten Rohwürsten und Rohschinken.
Durch ihren Sauerstoffverbrauch und den Abbau von Peroxiden schützen sie die Erzeugnisse zudem
vor möglichen Farbfehlern. Sie reduzieren den Feuchtigkeitsverlust während der Reifung und
schützen das Fleisch vor schädlichen Lichteinwirkungen. Durch Lipolyse und schwache Proteolyse
verleihen sie den Erzeugnissen einen typischen Geschmack.
Die relative Bedeutung der verschiedenen Vorgänge während der Reifung und der dabei entstehenden chemischen Substanzen für die Aromabildung sind in vielen Punkten noch unverstanden
und spekulativ. Der Modifizierung der Zucker-, Eiweiß- und Fettkomponenten durch die vier
Hauptprozesse Glykolyse, Proteolyse, Lipolyse und Lipidoxidation ist jedoch zweifellos die größte
Bedeutung beizumessen.
Bedeutung für die hygienische Qualität der Lebensmittel
Fleisch ist ein nahrhaftes, eiweißreiches Nahrungsmittel, das einem schnellen Verderb unterliegt und
eine geringe Lagerfähigkeit besitzt, wenn keine Maßnahmen zur Konservierung ergriffen werden. Die
Fermentation ist eine bedeutende, energiesparende Konservierungsmethode für Fleischerzeugnisse,
und sie wird meist in Verbindung mit zusätzlichen Technologien (Salzen, Trocknen, Räuchern)
angewandt. Trocknung, Fermentation und Räuchern sind die ältesten Formen der Konservierung,
und sie spielen bis heute eine wichtige Rolle für die Fleischkonservierung in vielen Teilen der Welt.
Starterkulturen liefern einen wesentlichen Beitrag zur Produktsicherheit der Rohwurst. In ihrer
Funktion als Schutzkulturen unterdrücken sie das Wachstum lebensmittelvergiftender und verderbender Mikroorganismen im Lebensmittel. Die Hemmung des Wachstums von unerwünschten
Mikroorganismen kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Der konservierenden Wirkung der
Milchsäurebakterien kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie produzieren eine Vielzahl
antagonistischer Substanzen (Milchsäure, Wasserstoffperoxid, Kohlendioxid, Diacetyl) und
verschaffen sich so einen Wachstumsvorteil gegenüber konkurrierenden Mikroorganismen. Dem
Rohwurstbrät werden pro Gramm meist 1-10 Millionen Milchsäurebakterien als Starter zugeben, um
auch eine zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber unerwünschten Konkurrenten sicherzustellen. Je
nach Reifebedingungen erfolgt dann eine Vermehrung auf 10-100 Millionen Milchsäurebakterien pro
Gramm Wurst. Die während des Wachstums abgegebene Milchsäure hemmt die meisten
lebensmittelvergiftenden und -verderbenden Bakterien. Diese Hemmung wird durch das zugesetzte
Nitritpökelsalz und die Abtrocknung der gesäuerten Wurst verstärkt. Damit ausreichend Säure gebildet
wird, setzt man dem Rohwurstbrät 0,3-0,5 % verwertbare Zucker zu. So wird ein hygienisch sicherer
Säuregrad von pH < 5,3 erreicht. Unterhalb dieses pH-Wertes haben Salmonellen, Listerien und
Staphylococcus aureus in Rohwurst praktisch keine Vermehrungsmöglichkeiten. Bei
schimmelpilzgereiften Rohwürsten verhindern die als Starter eingesetzten Mikroorganismen die
Besiedelung der Rohwurstoberfläche durch giftige oder unansehnliche Schimmelpilze und unerwünschte Hefen und Bakterien. Andere Rohwürste werden vor dem Verschimmeln durch
Räucherrauch oder Konservierungsstoffe (Kaliumsorbat) geschützt. Die mikrobiologische und
chemische Fleischqualität des Ausgangsmaterials, sowie die Herstellungstechnologie tragen jedoch
ebenfalls zur hygienischen Qualität des Enderzeugnisses bei. Grobe Fehler im Vorfeld können mit
Starterorganismen nicht kompensiert werden.
Der Verbraucherwunsch nach „natürlicheren" und „gesünderen" Lebensmitteln verstärkte in
den vergangenen Jahren die Forschungsaktivitäten im Bereich der biologischen Konservierungsmöglichkeiten. Die Forderung nach Lebensmitteln, die weniger Fett, Salz, Zucker, Säuren und
Zusatzstoffe enthalten und die einen geringen Verarbeitungsgrad aufweisen, stellt die Hersteller vor
völlig neue Probleme hinsichtlich der Konservierung solcher Erzeugnisse. Da die gezielte Verwendung
von Milchsäurebakterien und deren Stoffwechselprodukte bei Lebensmitteln eine lange und sichere
Tradition hat, sucht man in ihrer Mitte nach Schutzkulturen mit neuen, bisher wenig genutzten
Eigenschaften. Viele Milchsäurebakterien produzieren sogenannte Bacteriocine. Dabei handelt es
sich meist um kleine Peptide, also eiweißähnliche Substanzen, die mit Fett- oder Zuckerkomponenten
Verknüpft sein können. Einige dieser Bacteriocine hemmen besonders gut das Wachstum von Lisferia monocytogenes, aber auch unerwünschte „wilde" Milchsäurebakterien. Starterkulturen mit dieser
Fähigkeit könnten so eine zusätzliche hygienische Sicherheit von Fleischerzeugnissen bewirken.
Unter Umständen könnten mit Hilfe solcher Kulturen auch klassische Wachstumsbarrieren vermindert
werden. Mikrobiologisch sichere Rohwürste könnten dann mit weniger Pökelsalz (natrium- und nitritreduziert) und milderem Geschmack (säurereduziert) angeboten werden. Der Einsatz Bacteriocinbildender Schutzkulturen wäre auch für erhitzte, vakuumverpackte Aufschnittware (Brühwurst,
Kochschinken) denkbar. Einer solchen Art der Konservierung sind jedoch heute noch enge Grenzen
gesetzt. Um das Wachstum von Listerien in vakuumverpacktem Brühwurstaufschnitt durch
Bacteriocin-bildende Schutzkulturen zu hemmen, müssen letztere in ähnlich hohen
Anfangskeimzahlen wie bei Rohwurst vorhanden sein. Die zugesetzten Milchsäurebakterien dürfen
jedoch selbst keine negative sensorische Veränderung des Erzeugnisses (Säuerung, Verfärbung)
hervorrufen. Salmonellen werden durch die bisher untersuchten Bacteriocine nicht gehemmt. Da die
Vorteile Bacteriocin-bildender Starterkulturen für Rohwurst noch nicht ausreichend dokumentiert sind,
finden diese bisher auch auf diesem Gebiet kaum Anwendung.
Quelle: AID-Verbraucherdienst. Juli 1995, S. 147 - 154
Anschrift des Autors:
Dr. Lothar Kröckel
Bundesforschungsanstalt für Fleischforschung
E.-C.-Baumann-Str. 20
95326 Kulmbach
Starterkulturen für die Rohwurst
Lothar Kröckel, Kulmbach (Auszug)
(…) Milchsäurebakterien verwerten den im Fleisch natürlicherweise vorhandenen oder bei der
Herstellung zugesetzten Zucker für ihr Wachstum und scheiden als „Abfallprodukte" ihres Stoffwechsels eine Reihe von aromawirksamen Substanzen aus. Zu diesen zählt vor allem die Milchsäure, die je nach Konzentration einen mehr oder weniger mildsaueren Geschmack verleiht. „Wilde"
Kulturen können dagegen auch beachtliche Mengen an Essigsäure produzieren und so ein „kratzig,
beißendes Aroma" hervorrufen. Außerdem können solche Kulturen Gas (Kohlendioxid) bilden, das zu
Porigkeit und Rissen in der Wurst führen kann. Die Säuerung der Rohwurst ist gleichzeitig Voraussetzung für das Biß-/ Schnittfestwerden und die Abtrocknung der Wurst, da das Fleischeiweiß nur
nach Erreichen eines bestimmten Säuregrades (pH < 5,4) freiwillig Wasser abgibt und „abbindet".
Sorgfältig ausgewählte Starterkulturen gewährleisten ein sauberes, angenehm säuerliches Aroma,
das nicht durch fremdartige und unangenehme sensorische Eindrücke überlagert wird. (…)
Die aromawirksame Reifung (Spaltung) von Fleischeiweiß und Fetten erfolgt zum Teil durch
fleischeigene Enzyme (Proteasen, Lipasen). Die häufig in Mehrstamm-StarterkuIturen enthaltenen
Micrococcaceae, sowie gesundheitlich unbedenkliche Schimmelpilze können ebenfalls derartige
Veränderungen vornehmen. Bei der Eiweißspaltung entstehen kurzkettige Peptide und Aminosäuren. Fette werden zu Glycerin und Fettsäuren umgesetzt. Beim weiteren Abbau der Fettsäuren
entstehen dann sensorisch aktive Verbindungen. Schimmelpilzgereifte Produkte besitzen ein
typisches Aussehen und ein charakteristisches Aroma, welches zu einem wesentlichen Teil durch die
Schimmelpilze hervorgerufen wird. Etwa 5 % der deutschen Rohwürste werden als Schimmelrohwürste angeboten. Schimmelpilze liefern mehrere Qualitätsattribute für bestimmte, lange gereifte und
gepökelte Fleischerzeugnisse (z.B. Mailänder Salami, Ungarische Salami). Diese sind hauptsächlich
ästhetischer Natur (gleichmäßige, farblich ansprechende Beschimmelung), obgleich Verbesserungen
in Aroma, Textur (Minderung der Trockenrandbildung) und Konservierungeigenschaften (Verlängerung der Haltbarkeit, Verhinderung des Ranzigwerdens, bessere Farbe) ebenfalls von Bedeutung
sind. (…)
Micrococcaceae und Schimmelpilze sollen außerdem schädliche Peroxide, die zu unerwünschten Farb- und Fettveränderungen führen (Vergrauung, Vergrünung, Ranzigwerden), mittels
des von ihnen bereitgestellten Enzyms Katalase zerstören. Solche Peroxide können in Gegenwart von
Sauerstoff auch von Milchsäurebakterien produziert werden. Schließlich tragen die Micrococcaceae
auch zur sicheren, stabilen Farbbildung (Umrötung) der Rohwurst bei, indem sie durch ihr Enzym
Nitratreduktase aus Nitrat das für die Umrötung wichtige Nitrit bilden.
Ausgewählte Hefe-Stämme der Art Debaryomyces hansenii verbessern als Oberflächenkulturen Aroma und Farbe vor allem bei luftgetrockneten Rohwürsten und Rohschinken. Durch ihren
Sauerstoffverbrauch und den Abbau von Peroxiden schützen sie die Erzeugnisse zudem vor möglichen Farbfehlern. Sie reduzieren den Feuchtigkeitsverlust während der Reifung und schützen das
Fleisch vor schädlichen Lichteinwirkungen. Durch Lipolyse und schwache Proteolyse verleihen sie
den Erzeugnissen einen typischen Geschmack. (…)
Starterkulturen liefern einen wesentlichen Beitrag zur Produktsicherheit der Rohwurst. In ihrer
Funktion als Schutzkulturen unterdrücken sie das Wachstum lebensmittelvergiftender und –verderbender Mikroorganismen im Lebensmittel. Die Hemmung des Wachstums von unerwünschten
Mikroorganismen kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Der konservierenden Wirkung der
Milchsäurebakterien kommt dabei eine besondere Rolle zu. Sie produzieren eine Vielzahl
antagonistischer Substanzen (Milchsäure, Wasserstoffperoxid, Kohlendioxid, Diacetyl) und
verschaffen sich so einen Wachstumsvorteil gegenüber konkurrierenden Mikroorganismen. Dem
Rohwurstbrät werden pro Gramm meist 1-10 Millionen Milchsäurebakterien als Starter zugegeben, um
auch eine zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber unerwünschten Konkurrenten sicherzustellen. Je
nach Reifebedingungen erfolgt dann eine Vermehrung auf 10-100 Millionen Milchsäurebakterien pro
Gramm Wurst. Die während des Wachstums abgegebene Milchsäure hemmt die meisten lebensmittelvergiftenden und -verderbenden Bakterien. Diese Hemmung wird durch das zugesetzte Nitritpökelsalz und die Abtrocknung der gesäuerten Wurst verstärkt. Damit ausreichend Säure gebildet wird,
setzt man dem Rohwurstbrät 0,3-0,5 % verwertbare Zucker zu. So wird ein hygienisch sicherer
Säuregrad von pH < 5,3 erreicht. Unterhalb dieses pH-Wertes haben Salmonellen, Listerien und
Staphylococcus aureus in Rohwurst praktisch keine Vermehrungsmöglichkeiten. Bei schimmelpilzgereiften Rohwürsten verhindern die als Starter eingesetzten Mikroorganismen die Besiedelung
der Rohwurstoberfläche durch giftige oder unansehnliche Schimmelpilze und unerwünschte Hefen
und Bakterien.
Quelle: AID-Verbraucherdienst. Juli 1995, S. 147 – 154
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