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Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz
gegen Planungsakte"
von VRVGH Dr. Erwin Allesch, München
Verehrte Damen und Herren,
es freut mich, dass ich zu diesem Thema zu Ihnen sprechen kann.
Im deutschen Verwaltungsrecht werden im Wesentlichen zwei Arten von Planungsakten
unterschieden:
- die Planungsentscheidung durch Satzung, die eine Norm darstellt;
Hauptanwendungsfall dafür ist der Bebauungsplan, und
- die Planungsentscheidung durch Verwaltungsakt, die die Bezeichnung
Planfeststellungsbeschluss führt.
I. Anwendungsbeispiele
1. a)
Bei der Planung durch Bebauungsplan spricht man von gemeindlicher
Bauleitplanung, die zum allgemeinen Städtebaurecht gehört und die im Baugesetzbuch
(BauGB) geregelt ist (vgl. §§ 1 ff. BauGB). Wie diese Fachbezeichnungen bereits
belegen, sind Träger dieser Planung die Gemeinden (§ 1 Abs. 3 BauGB), und zwar
unabhängig von ihrer Größe, und es geht im Wesentlichen um die Ausweisung von
Baugebieten verschiedenster Art (vgl. § 1 Abs. 1 BauGB, §§ 1 ff. der
Baunutzungsverordnung - BauNVO - ). Gegenstand solcher Planungen sind etwa die
Festsetzung von Wohngebieten, von gemischten Flächen, von Gewerbe- oder
Industriegebieten, aber auch etwa von zugehörigen Straßen oder Grünflächen. Geregelt
wird dabei insbesondere die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise, die
überbaubaren Flächen usw.; die Möglichkeiten für solche Festsetzungen sind sehr
vielschichtig (vgl. z.B. § 9 BauGB, §§ 16 ff. BauNVO).
b) Daneben enthält das BauGB weitere Ermächtigungsgrundlagen für den Erlass
städtebaulicher Satzungen (z.B. Innen- und Außenbereichssatzungen). Ferner gibt es
im Raumordnungs- und Landesplanungsrecht Möglichkeiten zum Erlass von Normen.
Hierauf soll im Rahmen dieses Vortrags aber nicht eingegangen werden.
2. Für die Planung durch Verwaltungsakt (§ 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes VwVfG - ), also durch Planfeststellungsbeschluss, hat sich die Bezeichnung
Fachplanungsrecht eingebürgert. Zu diesem Rechtsgebiet gehören die Planung von
(qualifizierten) Straßen (insbesondere Autobahnen und sonstigen Fernstraßen), von
Eisenbahnen, Wasserstraßen, Flugplätzen, U-Bahnen oder die Umgestaltung (der
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"Ausbau") von Gewässern. Zuständig dafür sind meist Fachbehörden, bei einem
dreistufigen Verwaltungsaufbau meist solche der Mittelstufe, und nur ganz
ausnahmsweise Gemeinden.
Die Grundlagen des Planfeststellungsrechts sind geregelt in §§ 72 ff. VwVfG sowie in
ergänzenden Fachgesetzen wie dem Bundesfernstraßengesetz (FStrG), dem
Allgemeinen Eisenbahngesetz (AEG), dem Bundeswasserstraßengesetz
(WaStrG) usw..
II. Rechtsnatur der Planungsentscheidungen
1. Der Bebauungsplan ist nach § 10 Abs. 1 BauGB eine gemeindliche Satzung. Eine
Satzung stellt ein Gesetz im materiellen Sinn dar, das ist eine Regelung von generellabstraktem Charakter. Beim Bebauungsplan mit seinen zeichnerischen und textlichen
Festsetzungen handelt es sich allerdings um den Grenzfall eines Gesetzes im
materiellen Sinn, weil einzelne Festsetzungen auch einen konkreten Einzelfall regeln
können; dem Charakter als Satzung (Norm) tut dies aber keinen Abbruch.
Die Gemeinde erlässt den Bebauungsplan im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts ihrer Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Bei der Aufstellung
und inhaltlichen Ausgestaltung übt sie ihr Planungsermessen aus. Vorgesetzte
Behörden dürfen in dieses Planungsermessen nicht eingreifen, sondern nur
Rechtsfehler beanstanden.
Fehlerfolge bei einem fehlerhaften Bebauungsplan ist wegen des Charakters
Satzung grundsätzlich die Unwirksamkeit (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ). Es gibt aber Regelungen, wonach
Verletzung bestimmter (Form- und Verfahrens-)Vorschriften unbeachtlich ist (vgl. §
BauGB).
als
der
die
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2. Der Planfeststellungsbeschluss des Fachplanungsrechts ist ein Verwaltungsakt (§ 35
VwVfG). Das ist eine Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme einer Behörde,
die diese zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft
und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Der Verwaltungsakt ist
im deutschen Verwaltungsrecht das Institut für das behördliche Handeln schlechthin.
Die Planfeststellungsbehörde übt ebenso wie eine Gemeinde ein Planungsermessen
aus (sog. planerische Gestaltungsfreiheit). Vorgesetzte Behörden können in dieses
Ermessen - anders als bei einer Gemeinde - grundsätzlich eingreifen.
Die Fehlerfolge bei Verwaltungsakten ist grundsätzlich die Rechtswidrigkeit
(Aufhebbarkeit); wird der Verwaltungsakt innerhalb der regelmäßig einen Monat
betragenden Anfechtungsfrist nicht angefochten, wird er - auch wenn er rechtswidrig ist unanfechtbar und damit bestandskräftig. Er bleibt also trotz eventueller Rechtswidrigkeit
wirksam. Nur bei besonders schwerwiegenden Mängeln, die außerdem offensichtlich
sein müssen, ist ein Verwaltungsakt nichtig (vgl. § 44 VwVfG) und somit unwirksam (vgl.
§ 43 Abs. 3 VwVfG).
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Es zeigt sich damit, dass ein Verwaltungsakt im Hinblick auf mögliche Rechtsfehler
flexibler ist als eine Satzung.
III. Statthafte gerichtliche Rechtsbehelfe
1. Gegen einen Bebauungsplan kann nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Antrag auf
Normenkontrolle beim Oberverwaltungsgericht (in einzelnen Bundesländern als
Verwaltungsgerichtshof bezeichnet) gestellt werden. In dem dreistufigen Gerichtsaufbau
der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist damit die mittlere Instanz zur
Entscheidung über die Gültigkeit eines Bebauungsplans zuständig. Rechtsmittel zum
Bundesverwaltungsgericht sind möglich.
a) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht,
durch den Bebauungsplan oder seine Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder
in absehbarer Zeit verletzt zu werden; den Antrag könnten ferner auch Behörden stellen
(vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Diese Berechtigung, den Antrag stellen zu können, wird
als sog. Antragsbefugnis bezeichnet. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt
ein Antragsteller dabei seiner Darlegungspflicht, wenn er hinreichend substanziiert
Tatsachen vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er durch
Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird.
Zum Recht in diesem Sinne ist Folgendes besonders wichtig: Nach § 1 Abs. 7 BauGB
sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange
gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Abwägungsgebot hat im
Recht der Bauleitplanung zentrale Bedeutung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
kommt ihm vor allem aber auch drittschützende Wirkung hinsichtlich solcher privater
Belange zu, die für die Abwägung erheblich sind. Das hat zur Folge, dass das
Abwägungsgebot nach § 1 Abs. 7 BauGB ein Recht im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO darstellen kann. Private Belange wie die Abwehr von Lärm, die Erhaltung einer
bestimmten Gebietskategorie (z.B. Wohngebiet), aber auch eine bessere Ausnutzbarkeit
eines Grundstücks für eine bestimmte Bebauung können damit einer Privatperson die
Befugnis verleihen, die Gültigkeit eines Bebauungsplans gerichtlich nachprüfen zu
lassen. Auf diese Weise lassen sich zahlreiche Nutzungskonflikte, die bei der
Aufstellung eines Bebauungsplans auftreten, einer materiellen gerichtlichen
Überprüfung mit der Begründung zuführen, private Belange hätten zum notwendigen
Abwägungsmaterial gehört, seien in der Abwägung jedoch nicht oder nicht genügend
berücksichtigt worden. Nur geringfügig betroffene Interessen gelten danach aber als
nicht schutzwürdig.
In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass nach der bis zum 31. Dezember 1996
geltenden Fassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Antragsbefugnis nicht die
Geltendmachung einer Rechtsverletzung verlangte, sondern die Behauptung eines
erlittenen oder zu erwartenden Nachteils ausreichte. Die Änderung hatte der
Gesetzgeber durchgeführt, um die Anfechtung von Planungsentscheidungen namentlich auch von Bebauungsplänen - zu erschweren. Die höchstrichterliche
Rechtsprechung hat diese Einschränkung aber nicht mitgetragen. Vielmehr hat sie die
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Anforderungen an die Antragsbefugnis auf der neuen Grundlage des Abwägungsgebots
nach § 1 Abs. 7 BauGB so beurteilt, dass im Ergebnis keine wesentlichen Änderungen
eingetreten sind.
b) Der Antrag auf Normenkontrolle ist befristet. Er ist innerhalb von zwei Jahren nach
Bekanntmachung der Rechtsvorschrift zu stellen. Daraus wird zugleich deutlich, dass
sich der Antrag nur gegen eine bereits als solche erlassene Rechtsvorschrift richten
kann, die sich selbst Geltung beimisst. Bei der Zweijahresfrist handelt es sich um eine
echte Ausschlussfrist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist insoweit nicht
statthaft.
c) Für den Antrag herrscht Anwaltszwang (vgl. § 67 Abs. 1 VwGO).
d) Vorläufiger Rechtsschutz ist möglich nach § 47 Abs. 6 VwGO. Ziel ist die vorläufige
Aussetzung des Vollzugs der Norm; diese könnte dann z.B. nicht mehr Grundlage für
die Erteilung von Genehmigungen sein.
2. a) Ein Planfeststellungsbeschluss kann grundsätzlich durch Anfechtungsklage nach §
42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO angegriffen werden. Ziel ist dann die Aufhebung dieses
Verwaltungsakts. In dem Anfechtungsbegehren ist zugleich als minus enthalten,
festzustellen, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig ist und nicht vollzogen
werden darf. Diese letztere Rechtsschutzmöglichkeit ist spezifisch für das
Fachplanungsrecht geschaffen worden (vgl. etwa § 17 Abs. 6c FStrG, § 19 Abs. 4
WaStrG, § 20 Abs. 7 AEG, § 75 Abs. 1a VwVfG). Sie bezweckt, es zu unterbinden, dass
Verwaltungsgerichte Planfeststellungsentscheidungen, die in einem äußerst
aufwändigen, sich oft über Jahre hinziehenden Verfahren ergehen, wegen einzelner
Mängel aufheben, wenn die Behörde die Mängel ohnedies durch Planergänzung oder in
einem ergänzenden Verfahren beheben kann. Durch diese Möglichkeit der behördlichen
Fehlerheilung wird die Bestandskraft von Planfeststellungsentscheidungen gestärkt. In
der Praxis ist bei erfolgreichen Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse die
Feststellung der Rechtswidrigkeit mit Anordnung des Vollzugsverbots die
Regel; die Aufhebung eines Planfeststellungsbeschlusses bleibt die absolute
Ausnahme, weil sie voraussetzt, dass der Mangel nicht behebbar ist.
b) Daneben kommt im Planfeststellungsrecht durchaus auch die Verpflichtungsklage
zur Anwendung (vgl. § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO). Dies ist insbesondere bei sog.
Planergänzungsansprüchen der Fall. Voraussetzung ist allerdings, dass durch die
Verpflichtung der Behörde zur Planergänzung die Ausgewogenheit der Planung nicht
berührt wird. Ziel ist sodann der Erlass eines neuen, für den Betroffenen günstigeren
Verwaltungsakts. Beispielsweise kann der Anlieger einer zu errichtenden Straße damit
einen verbesserten Lärmschutz - etwa durch höhere Lärmschutzwände - erstreiten; oder
der Anlieger verlangt Übernahme seines verlärmten Grundstücks durch den
Baulastträger oder eine Geldentschädigung (vgl. § 74 Abs. 2 VwVfG). Auch die
Planergänzung nach § 17 Abs. 6c Satz 2 FStrG etc. gehört hierher.
c) Über solche Klagen in Bezug auf einen Planfeststellungsbeschluss entscheiden die
Verwaltungsgerichte. Und zwar gilt nach § 48 VwGO, dass für die wichtigeren Projekte
wie Bundesfernstraßen, Eisenbahnen, Bundeswasserstraßen, U-Bahnen etc. wiederum
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die Oberverwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtshöfe), also die mittlere gerichtliche
Instanz entscheidet. Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts mit dem Rechtsmittel
der Revision oder mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist auch hier
möglich.
d)
Ein behördliches, der verwaltungsgerichtlichen Klage vorgeschaltetes
Widerspruchsverfahren findet in Planfeststellungsstreitigkeiten regelmäßig nicht statt
(vgl. § 74 Abs. 1 mit § 70 VwVfG).
e) Im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht ist eine Begründung der Klage nicht
zwingend vorgeschrieben; nach § 82 Abs. 1 VwGO "soll" die Klage nur begründet
werden. Sehr viel strenger ist die Rechtslage im Fachplanungsrecht (z.B.
Fernstraßenrecht, Eisenbahnrecht, Wasserstraßenrecht). Dort wird regelmäßig eine
Begründung der Klage innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Klageerhebung
vorgeschrieben (vgl. § 17 Abs. 6b FStrG, § 20 Abs. 6 AEG; § 19 Abs. 3 WaStrG).
Dadurch soll eine Beschleunigung solcher Verfahren erreicht werden, zumal die
entsprechenden Vorhaben vielfach ein hohes Investitionsvolumen in sich bergen.
f) Für die Klageerhebung herrscht Anwaltszwang (vgl. § 67 Abs. 1 VwGO).
g)
Vorläufiger Rechtsschutz ist möglich, zumal die Klageerhebung im
Fachplanungsrecht häufig keine aufschiebende Wirkung hat (vgl. dazu §§ 80, 80a
VwGO, § 17 Abs. 6a FStrG, § 20 Abs. 5 AEG). Dort ist der Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes oftmals auch befristet.
Dagegen gilt im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht, dass eine Anfechtungsklage
aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 1 VwGO) und dass die Behörde, wenn sie die
aufschiebende Wirkung ausschließen will, mit einer besonderen Begründung die
sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts anordnen muss (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO).
IV. Prüfungsmaßstäbe für die Entscheidung des Gerichts
1. Bebauungsplan
a) Ein Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan ist erfolgreich, wenn dieser
gegen höherrangiges Recht verstößt. Die entsprechende Prüfung des Gerichts ist eine
objektive Rechtsprüfung; d.h. der Erfolg des Normenkontrollantrags ist nicht davon
abhängig, dass ein festgestellter rechtlicher Mangel des Bebauungsplans den
Antragsteller in seinen Rechten verletzt oder das verletzte höherrangige Recht dem
Schutz des Antragstellers dient.
b) Bei der Überprüfung eines Bebauungsplans stellt sich die Frage, wie tief und wie
umfangreich - z.B. auch im Hinblick auf vom Antragsteller nicht geltend gemachte
Mängel - das Gericht untersuchen soll; das ist die Frage nach der Kontrolldichte des
Gerichts.
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aa) Die Planungsbefugnis einer Gemeinde beruht im Kern auf ihrer kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG). Inhaltlich wird diese durch § 1 Abs. 3
Satz 1 BauGB aufgefüllt - danach haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen,
sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
Das BauGB gibt dazu nur einen gesetzlichen Rahmen verfahrensrechtlicher und
materieller Vorschriften vor, die die Gemeinde bei ihrer Planung zu beachten hat. Für
die Durchführung der Planung enthält das BauGB in § 1 Abs. 7 sodann das sog.
Abwägungsgebot, das von grundsätzlicher Bedeutung ist; nach ihm sind die öffentlichen
und die privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Bei
dem Ob und Wie dieser Planung steht der Gemeinde daher ein weiter planerischer
Gestaltungsspielraum - auch als planerisches Ermessen bezeichnet - zu. Die Gerichte
haben nur zu prüfen, ob eine planende Gemeinde sich innerhalb der gesetzlichen
Grenzen dieses Gestaltungsspielraums hält.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gelten für die
Überprüfung der Abwägung folgende Grundsätze: Das Abwägungsgebot, das
gleichermaßen für den Abwägungsvorgang wie für das Abwägungsergebnis gilt, ist
verletzt,
- wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattgefunden hat
(Abwägungsausfall),
- wenn in die Abwägung nicht die Belange eingestellt wurden, die nach Lage der Dinge
in sie eingestellt werden mussten (Abwägungsdefizit),
- wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder der Ausgleich
zwischen ihnen und den von der Planung berührten öffentlichen Belange in einer Weise
vorgenommen wurde, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer
Verhältnis steht (Abwägungsfehleinschätzung, Abwägungsdisproportionalität).
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Bebauungspläne nur in beschränktem Umfang
zu begründen sind (vgl. § 9 Abs. 8, § 10 Abs. 4 BauGB). Diese kann sich auf die
prägenden Festsetzungen, die Grundgedanken der Planung und die Leitziele
beschränken. Eine Begründungspflicht vergleichbar der von Verwaltungsakten (§ 39
VwVfG) besteht nicht. Die Umstände der Abwägung sind daher gegebenenfalls vom
Gericht zu ermitteln.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch festgestellt, dass
das Normenkontrollgericht nicht ungefragt auf Fehlersuche zu gehen hat und dass bei
Vorliegen eines zur Ungültigkeit des Bebauungsplans führenden Mangels nicht - quasi
gutachtlich - weitere potenzielle Mängel erörtert werden müssen.
bb) Vom Gericht zu überprüfen sind insbesondere:
- die Verfahrensvorschriften über die Aufstellung nach §§ 2 ff. BauGB einschließlich
Beteiligung der Öffentlichkeit und von Behörden,
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- die Vorschriften über die Entwicklung des Bebauungsplans aus dem
Flächennutzungsplan (§ 8 BauGB); der Flächennutzungsplan ist ein sog. vorbereitender
Bauleitplan, der in der Regel das ganze Gemeindegebiet erfasst und die geplante
Entwicklung der Bodennutzung darstellt (§ 5 BauGB),
- die Vorschriften des BauGB und von Ausführungsnormen über den Inhalt des
Bebauungsplans, z.B. § 9 BauGB, §§ 1 ff. BauNVO,
- die ergänzenden Vorschriften des BauGB über den Umweltschutz (§ 1 Abs. 6 Nr. 7, §
1a, § 2 Abs. 4 BauGB) einschließlich Umweltverträglichkeitsprüfung,
- materielle Vorschriften außerhalb des BauGB, z.B. nach Naturschutz-,
Immissionsschutz- oder Wasserrecht,
- Vorschriften des jeweiligen Kommunalrechts der Bundesländer, die der Gemeinderat
bei seiner Beschlussfassung zu beachten hat,
- Vorschriften über eine eventuelle notwendige Genehmigung des Bebauungsplans und
über die Anforderungen an seine Bekanntmachung,
- die bereits erörterten Anforderungen über die Erforderlichkeit von Bebauungsplänen (§
1 Abs. 3 BauGB) und über das Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB).
der c) Da Bebauungspläne in einem aufwändigen und zeitraubenden Verfahren
aufgestellt werden und oftmals auch gewichtige öffentliche Belange für die Planung
angeführt werden können, hat der Gesetzgeber des BauGB eine Reihe von Regelungen
vorgesehen, nach denen die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des
BauGB unbeachtlich bleibt, Abwägungsmängel nur unter bestimmten Voraussetzungen
erheblich sind und Fristen für die Geltendmachung Verletzung von Vorschriften
bestehen.
§ 214 Abs. 1 BauGB enthält einen abschließenden Katalog von Verfahrens- und
Formvorschriften des BauGB, in denen bestimmt wird, wann Rechtsverletzungen
beachtlich oder unbeachtlich sind. So ist z.B. die Vorschrift über die Festlegung des
Umfangs und Detaillierungsgrads der Umweltprüfung nach § 2 Abs. 4 Satz 2 BauGB
dort nicht aufgeführt, so dass ein eventueller Fehler insoweit unbeachtlich ist. Die
danach beachtlichen Vorschriften weisen im Übrigen trotz ihrer Bezeichnung als
Verfahrens- oder Formvorschriften klare Bezüge zum materiellen Recht der Abwägung
auf; die Handhabung dieser Vorschrift wird dadurch nicht gerade erleichtert.
In § 214 Abs. 2 BauGB finden sich Regelungen über die Unbeachtlichkeit materieller
Fehler bei der Entwicklung des Bebauungsplans aus dem Flächennutzungsplan. Der
Gesetzgeber geht davon aus, dass die dort geregelten Fälle die städtebauliche
Entwicklung nicht beeinträchtigen.
§ 214 Abs. 3 BauGB sieht - in sachlicher Übereinstimmung mit dem Fachplanungsrecht
- und in Anknüpfung an § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB vor, dass nur erhebliche
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Mängel der Abwägung beachtlich sein können. Dabei werden die Verfahrenselemente
des Ermittelns und Bewertens der von der Abwägung berührten Belange (vgl. § 214
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) gegenüber dem Abwägungsvorgang besonders betont.
Mängel sind nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von
Einfluss gewesen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt ist derjenige der Beschlussfassung über
den Bebauungsplan.
Im Falle der Fehlerheilung ist nach § 214 Abs. 4 BauGB ein rückwirkendes Inkraftsetzen
zulässig.
§ 215 BauGB bestimmt als Frist für die Geltendmachung der Verletzung von dort
aufgeführten Vorschriften - das sind Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften,
von Vorschriften über die Entwicklung des Bebauungsplans aus dem
Flächennutzungsplan und über beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs - zwei
Jahre; und zwar müssen diese Mängel von Antragstellern innerhalb von zwei Jahren
gegenüber der Gemeinde schriftlich im Einzelnen bezeichnet werden. Diese Frist ist
koordiniert mit der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Stellung des
Normenkontrollantrags bei Gericht. Bestimmte schwerwiegende Mängel des
Abwägungsergebnisses können aber unbefristet bei der Gemeinde gerügt werden.
2. Planfeststellungsbeschluss
a) Eine Anfechtungsklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss ist im Grundsatz
erfolgreich, wenn dieser Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen
Rechten verletzt. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO wäre der Planfeststellungsbeschluss
in diesem Fall aufzuheben. In der Praxis des Fachplanungsrechts kommt diese Lösung
allerdings nur noch selten vor. Im Hinblick auf den überaus großen Aufwand, den
Planfeststellungsverfahren verursachen und die gewichtigen öffentlichen Belange, die in
der Regel für die Verwirklichung planfestgestellter Vorhaben streiten, hat der
Gesetzgeber die Bestandskraft von Planfeststellungsbeschlüssen erheblich gestärkt.
Danach gilt in erster Linie folgende Lösung (vgl. etwa § 17 Abs. 6c FStrG, § 19 Abs. 4
WaStrG, § 20 Abs. 7 AEG, § 75 Abs. 1a VwVfG):
Nicht jeder Mangel der Abwägung ist erheblich; vielmehr sind nur
solche Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und
privaten Belange erheblich, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von
Einfluss gewesen sind.
Erhebliche Mängel bei der Abwägung oder eine Verletzung von
Verfahrens- und Formvorschriften führen nur dann zur Aufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses oder einer Plangenehmigung, wenn sie nicht durch
Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können. Das
bedeutet, in der Regel ist ein ergänzendes (behördliches) Verfahren durchzuführen mit
dem Ziel, Fehler des Planfeststellungsbeschlusses zu beheben, um dem dahinter
stehenden Projekt doch noch zur Durchsetzung zu verhelfen. Das Gericht stellt im
letzteren Fall nur fest, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig ist und nicht
vollzogen werden darf.
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Auf die inhaltliche Übereinstimmung dieser Regelungen mit § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
und Abs. 3 BauGB ist wiederum besonders hinzuweisen.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Planfeststellungsbeschlusses und
damit auch für die Frage, ob ein Mangel der Abwägung vorliegt, ist nach ständiger
Rechtsprechung der Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses.
Soweit mit einer Verpflichtungsklage nur Planergänzungsansprüche - z.B. auf Erhöhung
einer Lärmschutzwand - geltend gemacht werden, wird die Planung als solche nicht in
Frage gestellt. Insoweit ergeben sich im Wesentlichen keine Besonderheiten im
Verhältnis zum allgemeinen Prozessrecht. Allerdings ist maßgeblicher Zeitpunkt auch
hier der Zeitpunkt des Erlasses des Planfeststellungsbeschlusses. Zu beachten ist
jedoch, das mit einer Verpflichtungsklage nur ein Anspruch auf solche Planergänzungen
- insbesondere Schutzmaßnahmen (vgl. § 74 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwVfG - erstritten
werden kann, die das Projekt nicht in der Ausgewogenheit seiner Grundzüge ändern.
Wird dagegen eine Änderung im letzteren Sinne begehrt, liegt in Wirklichkeit kein
Verpflichtungs-, sondern ein Anfechtungsbegehren vor, weil der Kläger die
Durchführung eines anderen als des genehmigten Vorhabens, d.h. eines aliud erstrebt.
Insoweit muss er dann seinen Klageantrag anpassen.
b) Bei der gerichtlichen Überprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses wird im
Einzelnen untersucht, ob dieser gegen Verfahrens- und Formvorschriften, gegen
zwingendes materielles Recht oder gegen das Abwägungsgebot verstößt. Für Mängel
der Abwägung gelten die bereits dargestellten Einschränkungen, wonach nur erhebliche
Mängel überhaupt beachtlich sind.
aa)
Das
Gericht
prüft
im
Fachplanungsrecht
nur
Mängel
des
Planfeststellungsbeschlusses, die vom Kläger gerügt werden. Und zwar ist es
erforderlich, dass der Kläger seine Einwendungen im Verfahren vor der
Verwaltungsbehörde innerhalb der gesetzlichen Einwendungsfrist vorträgt (vgl. etwa §
17 Abs. 4 FStrG, § 17 Nr. 5 WaStrG, § 20 AEG, § 73 Abs. 4 VwVfG). Nach Ablauf der
Einwendungsfrist sind alle nicht vorgetragenen Einwendungen ausgeschlossen, wenn in
der entsprechenden Bekanntmachung der Auslegung der Unterlagen über das
Vorhaben auf diese Rechtsfolge hingewiesen war. Es handelt sich insoweit um eine sog.
materielle Präklusion, die von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung als
verfassungsmäßig anerkannt wird. Die Einwendungen müssen freilich nur im Ansatz
geltend gemacht werden; eine spätere Vertiefung eines Einwendungsgrunds ist jederzeit
zulässig. Im gerichtlichen Verfahren ist jede Einwendung darauf zu untersuchen, ob sie
schon im Verwaltungsverfahren vorgetragen wurde; fehlt es hieran, ist die Klage
insoweit von vorneherein erfolglos.
Im anschließenden gerichtlichen Verfahren gilt im Übrigen, wie bereits erwähnt, vielfach
eine sechswöchige Klagebegründungsfrist (vgl. § 17 Abs. 6b FStrG, § 20 Abs. 6 AEG, §
19 Abs. 3 WaStrG).
bb)
Hinsichtlich des Umfangs der Rügemöglichkeiten eines Klägers ist von
ausschlaggebender Bedeutung, ob er grundstücksbetroffen ist, d.h. für die Ausführung
des Vorhabens ein ihm gehörendes Grundstück benötigt wird, oder ob er nur als
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Nachbar oder Anlieger von dem Vorhaben betroffen ist. Im ersteren Fall stellt der
Planfeststellungsbeschluss die bindende Grundlage für eine spätere Enteignung dar
(sog. enteignungsrechtliche Vorwirkung); der Planfeststellungsbeschluss ist damit
vorweggenommener Teil der Enteignung. Da eine Enteignung nur zum Wohl der
Allgemeinheit zulässig ist und es an dieser Voraussetzung fehlt, wenn die
Verwirklichung
des
Vorhabens
gegen
Rechtsvorschriften
verstößt
(sog.
Gesetzmäßigkeit der Enteignung), hat die Rechtsprechung daraus den Schluss
gezogen, dass ein grundstücksbezogener Kläger voll rügefähig ist. Das bedeutet, er
kann nicht nur Verstöße gegen Rechtsvorschriften rügen, die seinem Schutz dienen,
sondern auch Verstöße gegen das objektive Recht geltend machen. Der nicht
grundstücksbetroffene Kläger ist dagegen darauf beschränkt, Verstöße gegen
drittschützende Normen zu rügen. Die Planfeststellungsbehörden sind deshalb sehr
darauf bedacht, wenn möglich Grundstücksinanspruchnahmen bei einzelnen Klägern zu
vermeiden.
c)
Die Durchführung der Prüfung eines Planfeststellungsbeschlusses betrifft
insbesondere folgende Gesichtspunkte:
aa) Auch im Fachplanungsrecht prüft das Gericht, ob der Planfeststellungsbeschluss
Verfahrens- oder Formvorschriften verletzt. Entsprechend der deutschen Rechtstradition
haben Verfahrens- oder Formvorschriften nur dienende Funktion. Fehler aus diesem
Bereich können durch Nachholung gemäß § 45 VwVfG geheilt werden oder nach § 46
VwVfG unbeachtlich sein. Von Unbeachtlichkeit ist auszugehen, wenn die Verletzung
die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat. Diese Regelungen
stehen in der Tradition der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, die
Verfahrensfehlern immer wieder einen Einfluss auf den Ausgang eines gerichtlichen
Verfahrens versagt hat, wenn der Fehler für die Entscheidung in der Sache nicht
ursächlich war. Besonders hinzuweisen ist deshalb darauf, dass 1996 der
Anwendungsbereich des § 46 VwVfG dadurch ausgedehnt wurde, dass man ihn auch
auf Ermessensentscheidungen erstreckt hat. Ein Verfahrens- oder Formfehler ist damit
nur relevant, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne ihn die Entscheidung
anders ausgefallen wäre. Dies gilt allerdings ausnahmsweise nicht, soweit sog. absolute
Verfahrensfehler vorliegen, die unabhängig von ihren Auswirkungen auf das Verfahren
rechtliche Relevanz haben; solche absoluten Verfahrensfehler werden nur selten
angenommen; bejaht wurden sie bei bestimmten Grundrechtsverstößen und zum Teil
auch in Bezug auf europarechtliche Regelungen. Zu erwähnen ist überdies, dass § 44a
VwGO Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur im Zusammenhang
mit der Anfechtung des verfahrensabschließenden Verwaltungsakts zulässt.
Darüber hinaus hat das Fachplanungsrecht bei Verfahrens- oder Formfehlern eine
weitere Hürde aufgerichtet, um eine Aufhebung des Verwaltungsakts zu vermeiden.
Nach den bereits mehrfach erwähnten Regelungen wie § 17 Abs. 6c FStrG, § 20 Abs. 7
AEG oder § 19 Abs. 4 WaStrG führt auch eine Verletzung von Verfahrens- oder
Formvorschriften nur dann zur Aufhebung des Verwaltungsakts, wenn der Fehler nicht
durch Planergänzung oder in einem ergänzenden Verfahren behoben werden kann.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört auch die
Problematik der Umweltverträglichkeitsprüfung zum Komplex Verfahren. Das bedeutet,
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Fehler wie die Nichtdurchführung und vor allem die fehlerhafte oder defizitäre
Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung zählen zu den Verfahrensfehlern.
Fehler aus diesem Bereich haben in der Praxis der Rechtsprechung daher so gut wie
nie durchgeschlagen, obwohl die Umweltverträglichkeitsprüfung auf der europäischen
UVP-Richtlinie beruht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die
Umweltverträglichkeitsprüfung gerade nicht als materielles "Suchverfahren" konzipiert,
das den Zweck hätte, Umweltauswirkungen aufzudecken.
bb) Planfeststellungspflichtige Projekte bedürfen einer sog. Planrechtfertigung. Dies ist
die Prüfung, ob das Vorhaben vernünftigerweise geboten ist. Da die Planfeststellung
hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Vorhabens einen vorweggenommenen Teil der
Enteignung darstellt und eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist,
wird im Ergebnis insoweit eine teilweise Prüfung der Zulässigkeit der Enteignung
vorweggenommen. Im Fachplanungsrecht hat daher der Gesetzgeber vielfach den
Bedarf für das Vorhaben im Sinne der Planrechtfertigung in in Gesetzesform erlassenen
Bedarfsplänen festgeschrieben. Die Verwaltungsgerichte sind an solche gesetzliche
Bedarfspläne gebunden.
cc)
Planfeststellungspflichtige Projekte dürfen ferner nicht gegen gesetzliche
Planungsschranken oder Planungsleitlätze verstoßen. Insoweit handelt es sich um
zwingendes Recht, das nicht der Abwägung unterliegt. Dazu zählt die Rechtsprechung
auch das naturschutzrechtliche Vermeidungsgebot bei Eingriffen (§ 19 BNatSchG). Da
sich dieses Gebot nur auf die Vermeidbarkeit desselben Vorhabens derselben
Ausführungsart an Ort und Stelle bezieht, kann es von vorneherein nicht zur Wahl einer
anderen Trasse oder zu einer Aufgabe des Vorhabens führen.
dd) Sodann hat das Gericht die planerische Abwägung der öffentlichen und privaten
Belange zu überprüfen. In der Praxis liegt hier der Schwerpunkt der gerichtlichen
Prüfung, z.B. die Wahl einer bestimmten Straßentrasse mit allen damit verbundenen
Vor- und Nachteilen. Von Bedeutung ist hierbei die Erkenntnis, dass nur die Behörde,
nicht das Gericht plant. Im Rahmen des breiten planerischen Gestaltungsspielraums,
der der Planfeststellungsbehörde zusteht, ist es daher notwendigerweise so, dass sich
diese Behörde bei der Abwägung der verschiedenen betroffenen Belange für die
Bevorzugung bestimmter und damit zugleich für die Zurückstellung anderer Belange
entscheiden muss. Darin liegt noch kein Abwägungsfehler; dies ist vielmehr die typische
Situation jeder Abwägung.
d) Wann das Abwägungsgebot verletzt ist und welche Mängel bei der Abwägung
überhaupt nur zu einer beachtlichen Rechtsverletzung führen können, wurde bereits
oben dargestellt; hierauf ist an dieser Stelle nochmals zu verweisen. Auch dieser Teil
der Prüfung ist jedenfalls in der Praxis bedeutsam.
V. Rechtswirkungen der Entscheidungen
1. Bebauungsplan
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a) Hat der Normenkontrollantrag Erfolg (d.h. verstößt der Bebauungsplan gegen
zwingendes höherrangiges formelles oder materielles Recht), so ist der Bebauungsplan
ganz - oder soweit sich der Fehler nur beschränkt auswirkt - teilweise für unwirksam zu
erklären (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Diese Entscheidung des
Normenkontrollgerichts ist - nach Eintritt der Rechtskraft
- allgemeinverbindlich (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO). Die Gemeinde hat in
diesem Fall die Entscheidungsformel genauso zu veröffentlichen wie die
Bekanntmachung des Bebauungsplans selbst (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz
VwGO). Gemäß § 183 VwGO werden allerdings Verwaltungsakte (z.B. eine
Baugenehmigung), die auf Grund der später für unwirksam erklärten Rechtsvorschriften
erlassen wurden und unanfechtbar geworden sind, von der Unwirksamkeit nicht erfasst.
Wird der Bebauungsplan für unwirksam erklärt, so ist es trotz der Bindungswirkung der
Normenkontrollentscheidung nicht ausgeschlossen, dass die Gemeinde den Fehler in
einem neuen Verfahren oder in einem wiederholten Verfahrensabschnitt behebt und
sodann den Bebauungsplan erneut in Kraft setzt. Ob dies möglich ist, hängt von der Art
und Struktur des jeweiligen Mangels ab. In der Praxis ist ein neues Inkraftsetzen
durchaus nicht selten.
b) Bleibt der Antrag erfolglos, so wird er vom Gericht abgelehnt. Diese Entscheidung ist
nicht allgemeinverbindlich, sondern wirkt nur zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits.
Eine positive Gültigkeitsfeststellung mit Allgemeinverbindlichkeit ist im Gesetz nicht
vorgesehen.
c) Ein Bebauungsplan hat im Gegensatz zum Planfeststellungsbeschluss keine
enteignungsrechtliche Vorwirkung, d.h. er nimmt nicht einen Teil der Zulässigkeit der
Enteignung vorweg. Ist allerdings eine Entscheidung des Normenkontrollgerichts über
den Bebauungsplan herbeigeführt worden, so bindet die Rechtskraft dieser gerichtlichen
Entscheidung die Enteignungsbehörde und die für die Nachprüfung der Enteignung
zuständigen Baulandgerichte mit der Folge, dass diese nicht incidenter von einer
Unwirksamkeit des Bebauungsplans ausgehen dürfen.
2. Planfeststellungsbeschluss
a) Für die Urteile in Bezug auf Planfeststellungsbeschlüsse gibt es im Verhältnis zum
allgemeinen Prozessrecht keine nennenswerten Besonderheiten. Ist die Klage
erfolgreich und wird festgestellt, dass der Planfeststellungsbeschluss rechtswidrig ist
und nicht vollzogen werden darf, so hindert dies eine Fehlerheilung durch ein
ergänzendes Verfahren nicht; vielmehr ist dies meist gerade der Sinn einer solchen
Feststellung (vgl. etwa § 17 Abs. 6c FStrG, § 20 Abs. 7 AEG, § 19 Abs. 4 WaStrG, § 75
Abs. 1 a VwVfG).
b) Wird mit der Ausführung des planfestgestellten Vorhabens nicht innerhalb von fünf
Jahren begonnen, so tritt der Planfeststellungsbeschluss außer Kraft (vgl. § 17 Abs. 7
FStrG, § 75 Abs. 4 VwVfG). Einzelne Sonderregelungen lassen eine einmalige
Verlängerung dieser Frist um weitere fünf Jahre zu (vgl. § 17 Abs. 7 FStrG, Art. 75 Abs.
4 BayVwVfG).
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c) Der Planfeststellungsbeschluss hat wie bereits dargelegt enteignungsrechtliche
Vorwirkung. Er bindet deshalb die Enteignungsbehörde (vgl. z.B. Art. 28 des
Bayerischen Gesetzes über die entschädigungspflichtige Enteignung - BayEG -).
Dr. Erwin Allesch, München
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