SPEECH/06/506 Viviane Reding Mitglied der Europäischen Kommission, verantwortlich für die Informationsgesellschaft und Medien Die Werbung als Eckstein einer starken europäischen Medienlandschaft Jahreskongress der Schweizer Presse St Moritz, 15. September 2006 Ich freue mich, heute mit Ihnen, den Vertretern des Verbandes der Schweizer Presse über die Perspektiven der Medienwirtschaft in Europa diskutieren zu können. Als ich mir die "Maximen" Ihrer Organisation durchgelesen habe, sind mir als ehemaliger Journalistin folgende Ihrer Grundsätze sofort aufgefallen – ich zitiere: "Der Verband der Schweizer Presse kämpft für Freiheit und Unabhängigkeit der Schweizer Presse gegenüber Politik und Wirtschaft; Der Verband der Schweizer Presse kämpft für eine starke Position der Presse als Werbeträger und für die Freiheit in der Werbung. Der Verband der Schweizer Presse will die klare Unterscheidbarkeit zwischen redaktioneller Informationen und Werbung". Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Funktion als Europäische Kommissarin zuständig für Medien und Informationsgesellschaft, kann ich Ihnen zu diesen Grundsätzen nur gratulieren. Ich unterstütze nachdrücklich diese zentralen Werte einer freien und pluralistischen Medienordnung, und zwar persönlich ebenso wie als Medienpolitikerin. Ich bin zugleich überzeugt davon, dass diese Grundsätze in allen Medien gelten müssen, und zwar für die geschriebene Presse ebenso wie für das Fernsehen und das Internet. Mein Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, der gegenwärtig im Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat diskutiert wird, verfolgt deshalb das folgende Ziel: den Medien mehr Freiheit von Regulierung und insgesamt mehr Rechtsicherheit im EU-Binnenmarkt zu gewährleisten. Von zentraler Bedeutung ist dabei aus meiner Sicht, dass freie Medien die Möglichkeit haben, sich durch Werbung zu finanzieren. Denn ohne eine solch solide wirtschaftliche Grundlage ist eine pluralistische Medienlandschaft kaum vorstellbar. Gleichzeitig möchte ich gewährleisten, dass die Medien in allen EU-Mitgliedstaaten klare und verlässliche Regeln vorfinden, so dass sie sich bei grenzüberschreitenden Medienangeboten, wie sie gerade im Online-Bereich immer alltäglicher werden, nicht erst durch den bürokratischen Dschungel 25 unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsregeln kämpfen müssen, bevor sie den Nutzer oder Zuseher erreichen. Mein wichtigstes medienpolitisches Credo habe ich bereits im vergangenen Jahr auf dem Kongress der deutschen Zeitungsverleger formuliert: Solange ich Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien bin, werde ich es nicht zulassen, dass aus Brüssel weitere Werbeverbote die Medienwirtschaft belasten. Wenn ich einige der aktuellen Debatten beobachte – wie z.B. zu den Gefahren des Alkohols oder von fetthaltigen Lebensmitteln –, dann bin ich mir sehr dessen bewusst, dass es in den kommenden Monaten nicht immer einfach sein wird, diesen Grundsatz „pro libertate“, insbesondere für die Medienfreiheit, durchzuhalten. Es gibt eine starke Lobby in vielen nationalen Hauptstädten, die auf neue Werbeverbote und vor allem auf ein Alkoholwerbeverbot drängt. Da es hier auch um sensible Fragen wie den Alkoholkonsum bei Jugendlichen geht, ist es nicht einfach, in der politischen Debatte allein mit den negativen Auswirkungen solcher Verbote auf die Medien gegen Verbote zu argumentieren. Ich appelliere daher an Sie, mich als europäische Medienkommissarin bei meiner freiheitlichen Politik im Interesse der Medien nach Kräften und mit politischer Konsequenz zu unterstützen. 2 Meine Damen und Herren, In Bezug auf Werbung und kommerzielle Kommunikation müssen – genauso wie in jedem anderen Bereich auch – europäische Regeln gerechtfertigt, verhältnismäßig und angemessen sein. Dies bedeutet, dass die Kommission neue Regeln grundsätzlich nur dann vorschlägt, wenn sie absolut notwendig sind – zum Beispiel um das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten – und nur dann, wenn existierende Instrumente der Selbstregulierung nicht ausreichend sind, um Ziele von allgemeinem Interesse (wie z.B. den Jugendschutz) zu gewährleisten. Für alle Medien sieht die Europäische Kommission die Rolle der Selbstregulierung entweder als eine ernsthafte Alternative oder als eine nützliche Ergänzung zu EU-Regeln. Im Vergleich zur rigiden Rechtsetzung bietet die Selbstregulierung nämlich Vorteile, insbesondere den Vorteil der raschen Anpassungsfähigkeit an sich entwickelnde Märkte. Die seit 1989 geltende Fernsehrichtlinie enthält bereits recht effektive und angemessene Werberegelungen, die zusammen mit in den Mitgliedstaaten entwickelten Systemen der Selbstregulierung sowohl wirtschaftlichen als auch öffentlichen Interessen Rechnung trägt. Daran knüpft die Kommission auch in der neuen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste an. Denn auch in Zukunft muss sichergestellt werden, dass kommerzielle Kommunikation nicht speziell an Kinder gerichtet wird, um deren Unerfahrenheit auszunutzen. Und dass Werbung nicht zu übermäßigen Konsum von Alkohol animiert. Neben dem Grundsatz der Werbefreiheit ist mir als Luxemburgerin mit christlich-sozialem Gewissen der Schutz der gesellschaftlichen Werte ein ganz besonderes Anliegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Audiovisuelle Medien spielen eine besondere Rolle in unserer heutigen Gesellschaft. Während die existierende Fernsehrichtlinie für ein analoges Umfeld konzipiert wurde, sind heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Diensten auf einer Reihe von Plattformen verfügbar, beispielsweise das Web TV, interaktives Fernsehen, Abrufdienste, mobiles Fernsehen, um nur einige zu nennen. Diese Angebote stehen heute einer immer größer werdenden Zahl von Europäern zur Verfügung. Die Konvergenz ist eine Realität geworden: Nach einem aktuellen Eurostat Bericht haben 48% aller Haushalte in der EU eine Internet-Verbindung, 23% mittlerweile sogar einen Breitbandanschluss, der es ermöglicht, außer Text und e-mail auch audiovisuelle Mediendienste, insbesondere Video-Abrufdienste zu übertragen. Dies wird die Medienwirtschaft und das Mediennutzungsverhalten erheblich verändern und erfordert daher Anpassungen des europäischen Rechtsrahmens. Die Kommission hat deshalb im vergangenen Dezember vorgeschlagen, die Fernsehrichtlinie von 1989 so zu modernisieren, dass einige ihrer wichtigsten Grundprinzipien für alle Mediendienste gelten müssen, unabhängig davon, wie sie übertragen werden. Voraussetzung ist allein, dass es sich um audiovisuelle Mediendienste handelt. Die elektronische Presse oder Online-Versionen von Tages- oder Wochenzeitung werden von der neuen Richtlinie ausdrücklich ausgenommen. Denn für die Presse besteht auch im Online-Bereich kein Regulierungsbedarf. Dienste wie NZZ-Online oder La Tribune de Genève en ligne müssen also nicht befürchten, in Zukunft durch die modernisierte Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste reguliert zu werden. 3 Was sind nun die Grundregeln, die nach Auffassung der Kommission für alle audiovisuellen Mediendienste gelten sollten? Erstens, der Schutz von Minderjährigen und der Menschenwürde; Zweitens, die Förderung der Produktion von und des Zugangs zu europäischen Werken, soweit dies durchführbar ist und mit Mitteln erfolgt, welche die Mitgliedstaaten für angemessen halten; Drittens, einige qualitative Regeln in Bezug auf die Werbung wie beispielsweise das Gebot der Identifizierung der Werbung, Regeln für Alkohol- und Tabakwerbung sowie ein klarer Rahmen für das Product Placement. Die Kommission hat sich außerdem auf meinen Vorschlag hin dazu entschieden, mit der Modernisierung der Fernsehrichtlinie die bestehenden Werberegelungen zu vereinfachen und flexibler zu gestalten, um mögliche Wettbewerbsnachteile europäischer Anbieter audiovisueller Mediendienstleistungen abzubauen. Dabei haben wir insbesondere die Regeln in Bezug auf die Einfügung von Fernsehwerbung erheblich vereinfacht: Bisher müssen Fernsehveranstalter strikt einen Zeitraum von 20 Minuten zwischen den Werbeblöcken einhalten. Nach der neuen Richtlinie, die voraussichtlich bis 2008 in den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden wird, werden die Fernsehveranstalter frei entscheiden können, zu welchem Zeitpunkt sie die Werbung am besten einfügen. Mit Ausnahme allerdings der Kino- und Fernsehfilme, Kinderprogramme und Nachrichten, bei denen ich einen Bedarf sehe, auch in Zukunft Werbeunterbrechungen einzugrenzen. Die Obergrenze von maximal 12 Minuten Werbung pro Stunde, die es derzeit schon gibt, will ich ebenfalls beibehalten. Sie sehen, dass ich mich bei der Modernisierung der Fernsehrichtlinie streng an mein Credo halte, Werbung als wichtige Finanzierungsquelle einer pluralistischen Medienlandschaft nicht zu verteufeln, sondern ihr im Rahmen des europäischen Gesellschaftsmodells einen angemessenen Platz und mehr wirtschaftliche Flexibilität einzuräumen. Ich weiß natürlich, dass manch ein Verleger diese Politik argwöhnisch beäugt, da er fürchtet, die neue Flexibilität für die Fernsehwerbung könnte zu einem Abwandern von Werbeeinnahmen aus dem Printbereich in die audiovisuellen Medien führen. Lassen Sie mich dazu zwei Dinge sagen: Erstens ist die Modernisierung der Fernsehrichtlinie der erste Beispielsfall, wo es uns gelungen ist, dem ständige Drängen aus den Mitgliedstaaten nach mehr medienpolitischer Regulierung zu widerstehen und auf EU-Ebene eine medienpolitische Kehrwende in Richtung maßvoller Deregulierung einzuleiten. Das wird früh oder später positive Auswirkungen auf die Mediengesetzgebung insgesamt haben. Es wäre daher aus meiner Sicht ein taktischer Fehler der Verlagsbranche, sich gegen Werbeliberalisierung im Fernsehen auszusprechen und dann zu erwarten, dass es eine politische Mehrheit für eine größere Werbefreiheit in den Printmedien geben könnte. Zweitens glaube ich angesichts der ökonomischen Daten nicht an den „Kannibalisierungseffekt“ zwischen den Medien. Nachweislich hat nämlich das Internet, das heute immer mehr ein Volksmedium wird, das Mediennutzungsverhalten insgesamt angekurbelt. In ähnlicher Weise hat vor einiger Zeit das Fernsehen das Radio nicht verdrängt, sondern stärkend verändert. 4 Die stimulierende Wirkung neuer Medien ist für mich ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Wunder, das es zu fördern und nicht zu bekämpfen gilt. Das deutsche Magazin FOCUS zitierte den österreichischen Verleger Wolfgang Fellner, der gerade erst das mutige Experiment einer neuen Tageszeitung gewagt hat, kürzlich mit folgender sehr richtigen Aussage: „Je höher bei einem Menschen die Online-Nutzung ist, desto höher ist auch sein Tageszeitungskonsum. Das ist genau das Gegenteil der üblichen Meinung, dass Online Print kille.“ Sie haben recht, lieber Herr Fellner: Online stimuliert Print und eliminiert es nicht! Lassen Sie mich abschließend noch einige Bemerkungen zum Thema Schleichwerbung und Product Placement machen, das viele von Ihnen umtreibt. Das Thema ist nicht nur medienpolitisch wichtig, sondern illustriert auch ganz grundsätzlich die Herausforderungen, denen europäische Politik in einer EU mit 25 Mitgliedstaaten zu begegnen hat. Seit 1989 gilt aufgrund der EU-Fernsehrichtlinie in allen EU-Staaten ein Verbot der Schleichwerbung. Dies ist eine wichtige Errungenschaft europäischer Medienpolitik, denn dies verbietet die bewusste Täuschung des Fernsehzuschauers durch den Fernsehveranstalter. Um schon an dieser Stelle alle Missverständnisse auszuräumen: Die Schleichwerbung im Fernsehen ist seit 1989 verboten und wird auch in Zukunft – in der modernisierten Fernsehrichtlinie verboten bleiben. So steht dies ausdrücklich in dem von der Kommission im Dezember 2005 vorgeschlagenen Text und ich habe bisher niemanden im Parlament oder im Ministerrat gehört, der daran etwas ändern möchte. Seit einigen Jahren sehen wir uns in der europäischen Medienlandschaft allerdings einem Phänomen gegenüber, dass wir bereits seit längerem aus amerikanischen Spielfilmen kennen, das aber von den bisherigen gesetzlichen Regelungen nur sehr unvollständig erfasst wird: dem so genannten Product Placement. Product Placement stellt die Medienaufsichtsbehörden vor schwierige praktische und rechtliche Fragen: Wie bewerten wir z.B. medienrechtlich den BMW, der in den letzten James-Bond-Filmen so häufig und prominent platziert war? Was ist eigentlich der Lotus Esprit, der in den ersten zehn Minuten des Films „Pretty Woman“ – zu meinem persönlichen Bedauern – länger im Bild ist als Richard Gere? Stellen Sie sich bitte mal vor, die EU-Kommission würde mit Richtlinien oder Verordnungen gegen diese Entwicklung vorgehen. Dann hätten Sie europaweit Ihre Schlagzeile: „Brüssel verbietet James Bond-Filme auf Europas Fernsehbildschirmen“ – das wäre doch wirklich einmal eine Entscheidung, die Brüssel mit einem Schlag in allen 25 EU-Staaten auf die Titelseite der Tageszeitungen bringen würde! Aber im Ernst: Product Placement findet heute statt. Und zwar massiv: Die Amerikanische Media-Researchgruppe TQ hat für Produktplatzierung (ohne dabei die Technik der Produkt-Beistellung mitzuzählen) einen jährlichen Zuwachs von über 40% gerechnet. Das alles findet in Europa allerdings nach wie vor in einer rechtlichen Grauzone statt. Denn beileibe nicht alles „Product Placement“ wird von der EU-weit geltenden Definition der Schleichwerbung erfasst. 5 Nach der Fernsehrichtlinie von 1989 handelt es sich nur dann um Schleichwerbung, wenn drei kumulative Voraussetzungen gegeben sind: Erstens muss nachgewiesen sein, dass der Fernsehveranstalter dabei absichtlich handelt; Das Handeln des Fernsehveranstalter muss zweitens auf die Erzielung einer Werbewirkung ausgerichtet sein; und es muss drittens die Gefahr bestehen, dass die Allgemeinheit hinsichtlich des Zwecks der Erwähnung oder Darstellung irregeführt wird. Beim bereits erwähnten Beispiel des James-Bond-Films muss man wohl einräumen, dass hier nicht der Fernsehveranstalter, der den Film ausstrahlt, sondern das produzierende Filmstudio absichtlich gehandelt hat. Außerdem kann man jedenfalls dann an der Werbewirkung zweifeln, wenn der BMW auf der Leinwand durch eine Kreissäge in kleine Teile zerlegt wird, wie dies im Film „Die Welt ist nicht genug“ zu sehen war. Schließlich: Für wie intelligent halten wir eigentlich unsere Zuschauer, wenn wir meinen, dass sie durch diese Platzierung des BMW irregeführt wurden? Sie sehen, hier ist vieles unklar, und zwei Medienjuristen werden in solchen Fällen wahrscheinlich drei Meinungen vertreten. Diese rechtliche Unklarheit ist ein Grund, warum die Europäische Kommission sich seit 2003 des Themas Product Placement angenommen hat, zu dieser Frage seither ganz Europa konsultiert und zahlreiche sehr aufschlussreiche Stellungnahmen – natürlich auch von Verbänden der Journalisten und der Printmedien – erhalten hat. Verstärkt wird die rechtliche Unklarheit dadurch, dass die meisten EU-Länder keine gesetzliche Regelung des Product Placement kennen, sondern die Bewertung den Fernsehsendern selbst oder der Rechtsprechung durch die Gerichte überlassen, was zu einer außerordentlich unterschiedlichen Handhabung von Land zu Land führt. In Ihrem Nachbarland Deutschland ist beispielsweise Schleichwerbung verboten, sog. „Produktbeistellungen“ dagegen ohne weiteres erlaubt. Demnach darf es in einer deutschen Fernsehsendung zum Einsatz von gesponserten Sachmitteln kommen – eine Rechtslage, die nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass die deutschen Zuschauer im „Marienhof“-Skandal so erheblich hinters Licht geführt worden sind. Die unklare und heterogene Rechtslage in Europa führt nicht nur zur Täuschung des Verbrauchers, sondern benachteiligt europäische Filmproduzenten erheblich gegenüber amerikanischen Konkurrenten: US-Filme können durch Product Placement finanziert werden, in Europa dagegen – wo die Filmindustrie ohnehin gegenüber der amerikanischen Konkurrenz schwer zu kämpfen hat – besteht von Land zu Land eine andere, oft dazu noch unklare Rechtslage, ob diese Finanzierungsmöglichkeit legal ist oder nicht. In Frankreich zum Beispiel hat die Möglichkeit, auf Product Placement zurückzugreifen, der französischen Filmindustrie genutzt und steht heute auf Platz 4 der Länder der Welt, in denen Product Placement am stärksten stattfindet. Die Kreativität und Freiheit der französischen Filmschaffenden hat darunter, jedenfalls nach meiner Einschätzung, nicht gelitten, im Gegenteil: Frankreich ist heute unbestritten das europäische Filmland Nummer 1. 6 Aus meiner Sicht hat die EU-Kommission in dieser Situation die Aufgabe, die Rechtsunsicherheit zu beseitigen und transparente Investitionen in die europäische Filmbranche zu fördern. Wir müssen vor allem durch eine eindeutige gesetzliche Regelung klarzustellen, was illegale Schleichwerbung ist und wann Product Placement legal sein kann. Eine solche gesetzliche Regelung muss aus meiner Sicht einen Ausgleich zwischen drei wichtigen Zielen des öffentlichen Interesses darstellen: zwischen dem Schutz des Verbrauchers vor Irreführung; der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Inhalteindustrie; und der Bewahrung der Unabhängigkeit der Redakteure. Über die beste Lösung zur Herstellung dieses Interessenausgleichs wird derzeit im Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat noch gerungen. Eine erste Entscheidung wird voraussichtlich bis Ende des Jahres fallen. Ich könnte mir als Ergebnis eine Regelung gut vorstellen, die jede Form von Product Placement in Nachrichtensendungen, Reportagen und Dokumentarfilmen verbietet, da hier im Interesse einer freien Berichterstattung der Schutz der Unabhängigkeit des redaktionellen Inhalts absoluten Vorrang haben muss. Umgekehrt kann ich mir vorstellen, dass im fiktionalen Bereich – Kinofilme, Fernsehfilme und Fernsehserien – und im Unterhaltungsbereich Product Placement dann EU-weit zugelassen werden kann, wenn der Zuschauer deutlich darauf hingewiesen wird, z.B. im Vorspann der Sendung. Durch einen solchen schleichenden Hinweis könnte das „schleichende“ Element aus der Schleichwerbung genommen werden. Und dann kann der informierte Zuschauer selbst entscheiden, ob er die Sendung ansehen will oder nicht. Wer sich einmal die Rechtslage in Österreich ansieht, der wird schnell feststellen, dass solche gesetzlichen Regeln durchaus möglich sind, ohne dass dabei der Untergang des christlichen Abendlandes eingeläutet wird. Übrigens würde die von mir erwogene Unterscheidung zwischen Nachrichten- und Informationssendungen einerseits und Fiktion / Unterhaltung andererseits auch gewährleisten, dass die manchmal befürchteten „Spill over“-Wirkungen für die Printmedien von vornherein äußerst begrenzt wären. Für die Printmedien ist darüber hinaus eine neue EURechtslage zu berücksichtigen: Seit dem 11. Mai 2005 verbietet die EURichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in ganz Europa so genannte „Advertorials“, was für die Printmedien die Rechtslage in jedem Fall eindeutig regelt1. 1 Die Richtlinie 2005/29/EG verbietet gemäß Art. 5 I, IV in Verbindung mit Anhang I, Ziff. 11 die folgende irreführende Geschäftspraxis. „Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsforderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tonen eindeutig hervorgeht (als Information getarnte Werbung).“ 7 Meine Damen und Herren, Ich bin eine große Zeitung- und Magazinleserin. Auch wenn ich gerne und regelmäßig im Internet surfe und die abendliche Nachrichtensendung im Fernsehen nur sehr ungern versäume: Mir gefällt es einfach, das Papier unter meinen Fingern zu spüren, auch wenn mich vielleicht so mancher deshalb für altmodisch hält. Ich bin auch davon überzeugt, dass je schnelllebiger die Zeiten sind, je mehr Informationen über verschiedenen Plattformen an uns herangetragen werden, umso größer der Bedarf an seriöser, vertiefter geschriebener Information und Analyse wird. Und diesen Bedarf können nun mal am besten die erfahrenen Printmedien befriedigen. Wir müssen uns allerdings dessen bewusst sein, dass die Explosion des OnlineBereiches einen tiefgreifenden Einfluss auf andere Medien haben wird. Webnutzer werden zunehmend zu Programmdirektoren und kreieren ihre eigenen Zeitungen und Programmangebote. Videospiele ziehen eine neue Art von Werbung und Branding an: interaktiv und auf dem einzelnen Kunden zugeschnitzt. Was dies ökonomisch z.B. bei Games wie "World of Warcarft" mit 7 Millionen Spielern bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Auch das mobile Marketing hatte 2006 einen Zuwachs von 35 Prozent. Und wir sind erst am Anfang einer Entwicklung, bei der Telekommanbieter neben dem Infrastruktur-Service zunehmend auch fremde und eigene Produktionen im Sortiment haben, wo über das "Internet 2" das Erlebnis der geographisch unabhängigen Gleichzeitigkeit möglich wird. Dass dies die Medienkulturlandschaft ändern wird, ist nicht zu bezweifeln. Richtig aber wird bleiben: die Nase vorn behält derjenige, der die besten Inhalte hat. Die Private equity-Gruppe Veronis Suhler Stevenson hat diese Woche einen detaillierten Bericht vorgelegt, wonach traditionelle Medien-Unternehmen wie The New York Times, Time Warner oder DowJones einen zunehmend stärkeren Anteil an den Online- und Mobilkommunikationsmärkten haben, auf denen weltweit 17,4 Milliarden Euro pro Jahr in die Werbung investiert werden. Betrug hier der Marktanteil traditioneller Medienunternehmen 2000 nur 23%, ist er mittlerweile auf 37% angewachsen und könnte bis 2010 knapp 40% erreichen. Traditionelle Medienunternehmen haben sich offenbar angepasst und machen heute in der Welt der neuen Medien lukratives Geschäft. Ich bin deshalb überzeugt, dass die Printmedien mit Mut und Selbstvertrauen in die Zukunft blicken sollten. Angst vor neuen Medien, Geschäftsmodellen oder Werbeformen ist fehl am Platze, wenn man in sein eigenes Geschäftsmodell und in seine besondere Art, Menschen zu erreichen, vertraut. Als EU-Kommissarin werde ich durch eine freiheitliche Medienpolitik, die Pluralismus und Unabhängigkeit auf gesunder ökonomischer Grundlage fördert, meinen Beitrag dazu leisten, dass die Printmedien kein Medium der Vergangenheit bleiben werden. Sondern im Interesse ihrer Leser und der Gesellschaft insgesamt auch die Zukunft erobern werden. 8