DOC - Europa.eu

Werbung
SPEECH/06/506
Viviane Reding
Mitglied der Europäischen Kommission, verantwortlich für die
Informationsgesellschaft und Medien
Die Werbung als Eckstein einer starken
europäischen Medienlandschaft
Jahreskongress der Schweizer Presse
St Moritz, 15. September 2006
Ich freue mich, heute mit Ihnen, den Vertretern des Verbandes der Schweizer
Presse über die Perspektiven der Medienwirtschaft in Europa diskutieren zu
können.
Als ich mir die "Maximen" Ihrer Organisation durchgelesen habe, sind mir als
ehemaliger Journalistin folgende Ihrer Grundsätze sofort aufgefallen – ich zitiere:
"Der Verband der Schweizer Presse kämpft für Freiheit und Unabhängigkeit der
Schweizer Presse gegenüber Politik und Wirtschaft; Der Verband der Schweizer
Presse kämpft für eine starke Position der Presse als Werbeträger und für die
Freiheit in der Werbung. Der Verband der Schweizer Presse will die klare
Unterscheidbarkeit zwischen redaktioneller Informationen und Werbung".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in meiner Funktion als Europäische
Kommissarin zuständig für Medien und Informationsgesellschaft, kann ich Ihnen zu
diesen Grundsätzen nur gratulieren. Ich unterstütze nachdrücklich diese zentralen
Werte einer freien und pluralistischen Medienordnung, und zwar persönlich ebenso
wie als Medienpolitikerin. Ich bin zugleich überzeugt davon, dass diese
Grundsätze in allen Medien gelten müssen, und zwar für die geschriebene
Presse ebenso wie für das Fernsehen und das Internet.
Mein Vorschlag für eine Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, der
gegenwärtig im Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat diskutiert wird,
verfolgt deshalb das folgende Ziel: den Medien mehr Freiheit von Regulierung
und insgesamt mehr Rechtsicherheit im EU-Binnenmarkt zu gewährleisten.
Von zentraler Bedeutung ist dabei aus meiner Sicht, dass freie Medien die
Möglichkeit haben, sich durch Werbung zu finanzieren. Denn ohne eine solch
solide wirtschaftliche Grundlage ist eine pluralistische Medienlandschaft
kaum vorstellbar. Gleichzeitig möchte ich gewährleisten, dass die Medien in allen
EU-Mitgliedstaaten klare und verlässliche Regeln vorfinden, so dass sie sich bei
grenzüberschreitenden Medienangeboten, wie sie gerade im Online-Bereich immer
alltäglicher werden, nicht erst durch den bürokratischen Dschungel 25
unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsregeln kämpfen müssen, bevor sie den
Nutzer oder Zuseher erreichen.
Mein wichtigstes medienpolitisches Credo habe ich bereits im vergangenen Jahr auf
dem Kongress der deutschen Zeitungsverleger formuliert: Solange ich
Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien bin, werde ich es nicht
zulassen, dass aus Brüssel weitere Werbeverbote die Medienwirtschaft
belasten.
Wenn ich einige der aktuellen Debatten beobachte – wie z.B. zu den Gefahren
des Alkohols oder von fetthaltigen Lebensmitteln –, dann bin ich mir sehr
dessen bewusst, dass es in den kommenden Monaten nicht immer einfach
sein wird, diesen Grundsatz „pro libertate“, insbesondere für die
Medienfreiheit, durchzuhalten. Es gibt eine starke Lobby in vielen nationalen
Hauptstädten, die auf neue Werbeverbote und vor allem auf ein Alkoholwerbeverbot
drängt. Da es hier auch um sensible Fragen wie den Alkoholkonsum bei
Jugendlichen geht, ist es nicht einfach, in der politischen Debatte allein mit den
negativen Auswirkungen solcher Verbote auf die Medien gegen Verbote zu
argumentieren. Ich appelliere daher an Sie, mich als europäische
Medienkommissarin bei meiner freiheitlichen Politik im Interesse der Medien nach
Kräften und mit politischer Konsequenz zu unterstützen.
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Meine Damen und Herren,
In Bezug auf Werbung und kommerzielle Kommunikation müssen – genauso wie in
jedem anderen Bereich auch – europäische Regeln gerechtfertigt, verhältnismäßig
und angemessen sein. Dies bedeutet, dass die Kommission neue Regeln
grundsätzlich nur dann vorschlägt, wenn sie absolut notwendig sind – zum Beispiel
um das Funktionieren des europäischen Binnenmarktes zu gewährleisten – und nur
dann, wenn existierende Instrumente der Selbstregulierung nicht ausreichend sind,
um Ziele von allgemeinem Interesse (wie z.B. den Jugendschutz) zu gewährleisten.
Für alle Medien sieht die Europäische Kommission die Rolle der
Selbstregulierung entweder als eine ernsthafte Alternative oder als eine
nützliche Ergänzung zu EU-Regeln. Im Vergleich zur rigiden Rechtsetzung
bietet die Selbstregulierung nämlich Vorteile, insbesondere den Vorteil der
raschen Anpassungsfähigkeit an sich entwickelnde Märkte.
Die seit 1989 geltende Fernsehrichtlinie enthält bereits recht effektive und
angemessene Werberegelungen, die zusammen mit in den Mitgliedstaaten
entwickelten Systemen der Selbstregulierung sowohl wirtschaftlichen als auch
öffentlichen Interessen Rechnung trägt. Daran knüpft die Kommission auch in der
neuen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste an. Denn auch in Zukunft muss
sichergestellt werden, dass kommerzielle Kommunikation nicht speziell an Kinder
gerichtet wird, um deren Unerfahrenheit auszunutzen. Und dass Werbung nicht zu
übermäßigen Konsum von Alkohol animiert. Neben dem Grundsatz der
Werbefreiheit ist mir als Luxemburgerin mit christlich-sozialem Gewissen der Schutz
der gesellschaftlichen Werte ein ganz besonderes Anliegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Audiovisuelle Medien spielen eine besondere Rolle in unserer heutigen
Gesellschaft. Während die existierende Fernsehrichtlinie für ein analoges Umfeld
konzipiert wurde, sind heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Diensten auf einer
Reihe von Plattformen verfügbar, beispielsweise das Web TV, interaktives
Fernsehen, Abrufdienste, mobiles Fernsehen, um nur einige zu nennen. Diese
Angebote stehen heute einer immer größer werdenden Zahl von Europäern zur
Verfügung. Die Konvergenz ist eine Realität geworden: Nach einem aktuellen
Eurostat Bericht haben 48% aller Haushalte in der EU eine Internet-Verbindung,
23% mittlerweile sogar einen Breitbandanschluss, der es ermöglicht, außer Text
und e-mail auch audiovisuelle Mediendienste, insbesondere Video-Abrufdienste zu
übertragen. Dies wird die Medienwirtschaft und das Mediennutzungsverhalten
erheblich verändern und erfordert daher Anpassungen des europäischen
Rechtsrahmens.
Die Kommission hat deshalb im vergangenen Dezember vorgeschlagen, die
Fernsehrichtlinie von 1989 so zu modernisieren, dass einige ihrer wichtigsten
Grundprinzipien für alle Mediendienste gelten müssen, unabhängig davon, wie sie
übertragen werden. Voraussetzung ist allein, dass es sich um audiovisuelle
Mediendienste handelt. Die elektronische Presse oder Online-Versionen von
Tages- oder Wochenzeitung werden von der neuen Richtlinie ausdrücklich
ausgenommen. Denn für die Presse besteht auch im Online-Bereich kein
Regulierungsbedarf. Dienste wie NZZ-Online oder La Tribune de Genève en ligne
müssen also nicht befürchten, in Zukunft durch die modernisierte Richtlinie über
Audiovisuelle Mediendienste reguliert zu werden.
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Was sind nun die Grundregeln, die nach Auffassung der Kommission für alle
audiovisuellen Mediendienste gelten sollten?

Erstens, der Schutz von Minderjährigen und der Menschenwürde;

Zweitens, die Förderung der Produktion von und des Zugangs zu
europäischen Werken, soweit dies durchführbar ist und mit Mitteln erfolgt,
welche die Mitgliedstaaten für angemessen halten;

Drittens, einige qualitative Regeln in Bezug auf die Werbung wie
beispielsweise das Gebot der Identifizierung der Werbung, Regeln für
Alkohol- und Tabakwerbung sowie ein klarer Rahmen für das Product
Placement.
Die Kommission hat sich außerdem auf meinen Vorschlag hin dazu entschieden,
mit der Modernisierung der Fernsehrichtlinie die bestehenden Werberegelungen zu
vereinfachen und flexibler zu gestalten, um mögliche Wettbewerbsnachteile
europäischer Anbieter audiovisueller Mediendienstleistungen abzubauen. Dabei
haben wir insbesondere die Regeln in Bezug auf die Einfügung von
Fernsehwerbung erheblich vereinfacht: Bisher müssen Fernsehveranstalter strikt
einen Zeitraum von 20 Minuten zwischen den Werbeblöcken einhalten. Nach der
neuen Richtlinie, die voraussichtlich bis 2008 in den EU-Mitgliedstaaten
umgesetzt werden wird, werden die Fernsehveranstalter frei entscheiden
können, zu welchem Zeitpunkt sie die Werbung am besten einfügen. Mit
Ausnahme allerdings der Kino- und Fernsehfilme, Kinderprogramme und
Nachrichten, bei denen ich einen Bedarf sehe,
auch in Zukunft
Werbeunterbrechungen einzugrenzen. Die Obergrenze von maximal 12 Minuten
Werbung pro Stunde, die es derzeit schon gibt, will ich ebenfalls beibehalten.
Sie sehen, dass ich mich bei der Modernisierung der Fernsehrichtlinie streng an
mein Credo halte, Werbung als wichtige Finanzierungsquelle einer pluralistischen
Medienlandschaft nicht zu verteufeln, sondern ihr im Rahmen des europäischen
Gesellschaftsmodells einen angemessenen Platz und mehr wirtschaftliche
Flexibilität einzuräumen. Ich weiß natürlich, dass manch ein Verleger diese Politik
argwöhnisch beäugt, da er fürchtet, die neue Flexibilität für die Fernsehwerbung
könnte zu einem Abwandern von Werbeeinnahmen aus dem Printbereich in die
audiovisuellen Medien führen. Lassen Sie mich dazu zwei Dinge sagen:
Erstens ist die Modernisierung der Fernsehrichtlinie der erste Beispielsfall, wo
es uns gelungen ist, dem ständige Drängen aus den Mitgliedstaaten nach
mehr medienpolitischer Regulierung zu widerstehen und auf EU-Ebene eine
medienpolitische Kehrwende in Richtung maßvoller Deregulierung
einzuleiten. Das wird früh oder später positive Auswirkungen auf die
Mediengesetzgebung insgesamt haben. Es wäre daher aus meiner Sicht ein
taktischer Fehler der Verlagsbranche, sich gegen Werbeliberalisierung im
Fernsehen auszusprechen und dann zu erwarten, dass es eine politische Mehrheit
für eine größere Werbefreiheit in den Printmedien geben könnte.
Zweitens glaube ich angesichts der ökonomischen Daten nicht an den
„Kannibalisierungseffekt“ zwischen den Medien. Nachweislich hat nämlich das
Internet,
das
heute
immer
mehr
ein
Volksmedium
wird,
das
Mediennutzungsverhalten insgesamt angekurbelt. In ähnlicher Weise hat vor einiger
Zeit das Fernsehen das Radio nicht verdrängt, sondern stärkend verändert.
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Die stimulierende Wirkung neuer Medien ist für mich ein gesellschaftliches
und wirtschaftliches Wunder, das es zu fördern und nicht zu bekämpfen gilt.
Das deutsche Magazin FOCUS zitierte den österreichischen Verleger Wolfgang
Fellner, der gerade erst das mutige Experiment einer neuen Tageszeitung gewagt
hat, kürzlich mit folgender sehr richtigen Aussage: „Je höher bei einem Menschen
die Online-Nutzung ist, desto höher ist auch sein Tageszeitungskonsum. Das ist
genau das Gegenteil der üblichen Meinung, dass Online Print kille.“ Sie haben
recht, lieber Herr Fellner: Online stimuliert Print und eliminiert es nicht!
Lassen Sie mich abschließend noch einige Bemerkungen zum Thema
Schleichwerbung und Product Placement machen, das viele von Ihnen umtreibt.
Das Thema ist nicht nur medienpolitisch wichtig, sondern illustriert auch ganz
grundsätzlich die Herausforderungen, denen europäische Politik in einer EU mit 25
Mitgliedstaaten zu begegnen hat.
Seit 1989 gilt aufgrund der EU-Fernsehrichtlinie in allen EU-Staaten ein Verbot der
Schleichwerbung. Dies ist eine wichtige Errungenschaft europäischer Medienpolitik,
denn dies verbietet die bewusste Täuschung des Fernsehzuschauers durch den
Fernsehveranstalter. Um schon an dieser Stelle alle Missverständnisse
auszuräumen: Die Schleichwerbung im Fernsehen ist seit 1989 verboten und
wird auch in Zukunft – in der modernisierten Fernsehrichtlinie verboten
bleiben. So steht dies ausdrücklich in dem von der Kommission im Dezember
2005 vorgeschlagenen Text und ich habe bisher niemanden im Parlament
oder im Ministerrat gehört, der daran etwas ändern möchte.
Seit einigen Jahren sehen wir uns in der europäischen Medienlandschaft allerdings
einem Phänomen gegenüber, dass wir bereits seit längerem aus amerikanischen
Spielfilmen kennen, das aber von den bisherigen gesetzlichen Regelungen nur sehr
unvollständig erfasst wird: dem so genannten Product Placement. Product
Placement stellt die Medienaufsichtsbehörden vor schwierige praktische und
rechtliche Fragen: Wie bewerten wir z.B. medienrechtlich den BMW, der in den
letzten James-Bond-Filmen so häufig und prominent platziert war? Was ist
eigentlich der Lotus Esprit, der in den ersten zehn Minuten des Films „Pretty
Woman“ – zu meinem persönlichen Bedauern – länger im Bild ist als Richard Gere?
Stellen Sie sich bitte mal vor, die EU-Kommission würde mit Richtlinien oder
Verordnungen gegen diese Entwicklung vorgehen. Dann hätten Sie europaweit Ihre
Schlagzeile:
„Brüssel
verbietet
James
Bond-Filme
auf
Europas
Fernsehbildschirmen“ – das wäre doch wirklich einmal eine Entscheidung, die
Brüssel mit einem Schlag in allen 25 EU-Staaten auf die Titelseite der
Tageszeitungen bringen würde!
Aber im Ernst: Product Placement findet heute statt. Und zwar massiv: Die
Amerikanische Media-Researchgruppe TQ hat für Produktplatzierung (ohne dabei
die Technik der Produkt-Beistellung mitzuzählen) einen jährlichen Zuwachs von
über 40% gerechnet. Das alles findet in Europa allerdings nach wie vor in einer
rechtlichen Grauzone statt. Denn beileibe nicht alles „Product Placement“ wird von
der EU-weit geltenden Definition der Schleichwerbung erfasst.
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Nach der Fernsehrichtlinie von 1989 handelt es sich nur dann um Schleichwerbung,
wenn drei kumulative Voraussetzungen gegeben sind:

Erstens muss nachgewiesen sein, dass der Fernsehveranstalter dabei
absichtlich handelt;

Das Handeln des Fernsehveranstalter muss zweitens auf die Erzielung
einer Werbewirkung ausgerichtet sein;

und es muss drittens die Gefahr bestehen, dass die Allgemeinheit
hinsichtlich des Zwecks der Erwähnung oder Darstellung irregeführt wird.
Beim bereits erwähnten Beispiel des James-Bond-Films muss man wohl
einräumen, dass hier nicht der Fernsehveranstalter, der den Film ausstrahlt,
sondern das produzierende Filmstudio absichtlich gehandelt hat. Außerdem kann
man jedenfalls dann an der Werbewirkung zweifeln, wenn der BMW auf der
Leinwand durch eine Kreissäge in kleine Teile zerlegt wird, wie dies im Film „Die
Welt ist nicht genug“ zu sehen war. Schließlich: Für wie intelligent halten wir
eigentlich unsere Zuschauer, wenn wir meinen, dass sie durch diese Platzierung
des BMW irregeführt wurden? Sie sehen, hier ist vieles unklar, und zwei
Medienjuristen werden in solchen Fällen wahrscheinlich drei Meinungen vertreten.
Diese rechtliche Unklarheit ist ein Grund, warum die Europäische Kommission sich
seit 2003 des Themas Product Placement angenommen hat, zu dieser Frage
seither ganz Europa konsultiert und zahlreiche sehr aufschlussreiche
Stellungnahmen – natürlich auch von Verbänden der Journalisten und der
Printmedien – erhalten hat. Verstärkt wird die rechtliche Unklarheit dadurch,
dass die meisten EU-Länder keine gesetzliche Regelung des Product
Placement kennen, sondern die Bewertung den Fernsehsendern selbst oder
der Rechtsprechung durch die Gerichte überlassen, was zu einer
außerordentlich unterschiedlichen Handhabung von Land zu Land führt. In
Ihrem Nachbarland Deutschland ist beispielsweise Schleichwerbung verboten, sog.
„Produktbeistellungen“ dagegen ohne weiteres erlaubt. Demnach darf es in einer
deutschen Fernsehsendung zum Einsatz von gesponserten Sachmitteln kommen –
eine Rechtslage, die nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass die deutschen
Zuschauer im „Marienhof“-Skandal so erheblich hinters Licht geführt worden sind.
Die unklare und heterogene Rechtslage in Europa führt nicht nur zur Täuschung
des Verbrauchers, sondern benachteiligt europäische Filmproduzenten erheblich
gegenüber amerikanischen Konkurrenten: US-Filme können durch Product
Placement finanziert werden, in Europa dagegen – wo die Filmindustrie
ohnehin gegenüber der amerikanischen Konkurrenz schwer zu kämpfen hat –
besteht von Land zu Land eine andere, oft dazu noch unklare Rechtslage, ob
diese Finanzierungsmöglichkeit legal ist oder nicht. In Frankreich zum Beispiel
hat die Möglichkeit, auf Product Placement zurückzugreifen, der französischen
Filmindustrie genutzt und steht heute auf Platz 4 der Länder der Welt, in denen
Product Placement am stärksten stattfindet. Die Kreativität und Freiheit der
französischen Filmschaffenden hat darunter, jedenfalls nach meiner Einschätzung,
nicht gelitten, im Gegenteil: Frankreich ist heute unbestritten das europäische
Filmland Nummer 1.
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Aus meiner Sicht hat die EU-Kommission in dieser Situation die Aufgabe, die
Rechtsunsicherheit zu beseitigen und transparente Investitionen in die europäische
Filmbranche zu fördern. Wir müssen vor allem durch eine eindeutige
gesetzliche Regelung klarzustellen, was illegale Schleichwerbung ist und
wann Product Placement legal sein kann. Eine solche gesetzliche Regelung
muss aus meiner Sicht einen Ausgleich zwischen drei wichtigen Zielen des
öffentlichen Interesses darstellen: zwischen dem Schutz des Verbrauchers
vor Irreführung; der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
Inhalteindustrie; und der Bewahrung der Unabhängigkeit der Redakteure.
Über die beste Lösung zur Herstellung dieses Interessenausgleichs wird derzeit im
Europäischen Parlament und im EU-Ministerrat noch gerungen. Eine erste
Entscheidung wird voraussichtlich bis Ende des Jahres fallen. Ich könnte mir als
Ergebnis eine Regelung gut vorstellen, die jede Form von Product Placement
in Nachrichtensendungen, Reportagen und Dokumentarfilmen verbietet, da
hier im Interesse einer freien Berichterstattung der Schutz der
Unabhängigkeit des redaktionellen Inhalts absoluten Vorrang haben muss.
Umgekehrt kann ich mir vorstellen, dass im fiktionalen Bereich – Kinofilme,
Fernsehfilme und Fernsehserien – und im Unterhaltungsbereich Product
Placement dann EU-weit zugelassen werden kann, wenn der Zuschauer
deutlich darauf hingewiesen wird, z.B. im Vorspann der Sendung. Durch
einen solchen schleichenden Hinweis könnte das „schleichende“ Element
aus der Schleichwerbung genommen werden. Und dann kann der informierte
Zuschauer selbst entscheiden, ob er die Sendung ansehen will oder nicht.
Wer sich einmal die Rechtslage in Österreich ansieht, der wird schnell feststellen,
dass solche gesetzlichen Regeln durchaus möglich sind, ohne dass dabei der
Untergang des christlichen Abendlandes eingeläutet wird. Übrigens würde die von
mir erwogene Unterscheidung zwischen Nachrichten- und Informationssendungen
einerseits und Fiktion / Unterhaltung andererseits auch gewährleisten, dass die
manchmal befürchteten „Spill over“-Wirkungen für die Printmedien von vornherein
äußerst begrenzt wären. Für die Printmedien ist darüber hinaus eine neue EURechtslage zu berücksichtigen: Seit dem 11. Mai 2005 verbietet die EURichtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in ganz Europa so genannte
„Advertorials“, was für die Printmedien die Rechtslage in jedem Fall eindeutig
regelt1.
1
Die Richtlinie 2005/29/EG verbietet gemäß Art. 5 I, IV in Verbindung mit Anhang I, Ziff. 11
die folgende irreführende Geschäftspraxis. „Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu
Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese
Verkaufsforderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher
klar erkennbaren Bildern und Tonen eindeutig hervorgeht (als Information getarnte
Werbung).“
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Meine Damen und Herren,
Ich bin eine große Zeitung- und Magazinleserin. Auch wenn ich gerne und
regelmäßig im Internet surfe und die abendliche Nachrichtensendung im Fernsehen
nur sehr ungern versäume: Mir gefällt es einfach, das Papier unter meinen Fingern
zu spüren, auch wenn mich vielleicht so mancher deshalb für altmodisch hält. Ich
bin auch davon überzeugt, dass je schnelllebiger die Zeiten sind, je mehr
Informationen über verschiedenen Plattformen an uns herangetragen werden, umso
größer der Bedarf an seriöser, vertiefter geschriebener Information und Analyse
wird. Und diesen Bedarf können nun mal am besten die erfahrenen Printmedien
befriedigen.
Wir müssen uns allerdings dessen bewusst sein, dass die Explosion des OnlineBereiches einen tiefgreifenden Einfluss auf andere Medien haben wird. Webnutzer
werden zunehmend zu Programmdirektoren und kreieren ihre eigenen Zeitungen
und Programmangebote. Videospiele ziehen eine neue Art von Werbung und
Branding an: interaktiv und auf dem einzelnen Kunden zugeschnitzt. Was dies
ökonomisch z.B. bei Games wie "World of Warcarft" mit 7 Millionen Spielern
bedeutet, kann man sich leicht ausrechnen. Auch das mobile Marketing hatte 2006
einen Zuwachs von 35 Prozent. Und wir sind erst am Anfang einer Entwicklung, bei
der Telekommanbieter neben dem Infrastruktur-Service zunehmend auch fremde
und eigene Produktionen im Sortiment haben, wo über das "Internet 2" das Erlebnis
der geographisch unabhängigen Gleichzeitigkeit möglich wird.
Dass dies die Medienkulturlandschaft ändern wird, ist nicht zu bezweifeln. Richtig
aber wird bleiben: die Nase vorn behält derjenige, der die besten Inhalte hat. Die
Private equity-Gruppe Veronis Suhler Stevenson hat diese Woche einen
detaillierten Bericht vorgelegt, wonach traditionelle Medien-Unternehmen wie The
New York Times, Time Warner oder DowJones einen zunehmend stärkeren Anteil
an den Online- und Mobilkommunikationsmärkten haben, auf denen weltweit 17,4
Milliarden Euro pro Jahr in die Werbung investiert werden. Betrug hier der
Marktanteil traditioneller Medienunternehmen 2000 nur 23%, ist er mittlerweile auf
37% angewachsen und könnte bis 2010 knapp 40% erreichen. Traditionelle
Medienunternehmen haben sich offenbar angepasst und machen heute in der Welt
der neuen Medien lukratives Geschäft.
Ich bin deshalb überzeugt, dass die Printmedien mit Mut und Selbstvertrauen in die
Zukunft blicken sollten. Angst vor neuen Medien, Geschäftsmodellen oder
Werbeformen ist fehl am Platze, wenn man in sein eigenes Geschäftsmodell und in
seine besondere Art, Menschen zu erreichen, vertraut. Als EU-Kommissarin werde
ich durch eine freiheitliche Medienpolitik, die Pluralismus und Unabhängigkeit auf
gesunder ökonomischer Grundlage fördert, meinen Beitrag dazu leisten, dass die
Printmedien kein Medium der Vergangenheit bleiben werden. Sondern im Interesse
ihrer Leser und der Gesellschaft insgesamt auch die Zukunft erobern werden.
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