Wenn Werbung und Programm verschmelzen 17. Transatlantischer Dialog: „Vorbild USA? – Spielräume für neue Werbeformen“ Angesichts sinkender Werbeeinnahmen gewinnen bezahlte Produktplatzierungen, Sonderwerbeformen im Fernsehen sowie die Kombination von TV- und Online-Kampagnen an Bedeutung. Zu diesem Ergebnis kamen Medienexperten aus den USA und Deutschland beim 17. Transatlantischen Dialog der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) und der ZAK am 2. März 2009 in Düsseldorf. Umstritten ist, was künftig erlaubt werden soll und wie die Zuschauer vor welchen Formen verdeckter Werbung geschützt werden können. Weitere Herausforderungen resultieren aus neuen audiovisuellen Werbeformen im Internet. Der Vorsitzende der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK), Thomas Langheinrich, prognostizierte, die klassische Werbung werde trotz der gegenwärtigen Wirtschaftskrise noch lange die wesentliche Finanzierungsform des Fernsehens bleiben. Dennoch sei ein Einbruch bei den Werbeeinnahmen nicht übersehbar. Sonderwerbeformen, Dauerwerbesendungen und Product Placement würden deshalb aus Sicht der Branche immer attraktiver. Über die Kennzeichnung von Produktplatzierungen im Fernsehen, die gemäß der neuen EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien bald möglich sein könnten, würden die Landesmedienanstalten demnächst Gespräche führen, kündigte der ZAK-Vor-sitzende an. Auf Dauer gehe auch deshalb kein Weg an Product Placement vorbei, weil es von internationalen Konzernen weltweit „stilbildend“ im Werbemarkt eingesetzt werde. Der US-Generalkonsul Matthew G. Boyse wies darauf hin, Werbeeinnahmen seien für die Medienbranche essentiell. So hätten die Einbußen auf den Anzeigenmärkten bei den US-Zeitungen bereits dazu geführt, dass die Umfänge der Printausgaben reduziert werden mussten. Elaine Reiss, Best Practice Leader bei der Distributed Computer Industry Association (New York), plädierte für die Aufhebung des klassischen Trennungsgebotes von Werbung und Programm. Schließlich beinhalte unsere gesamte Kultur kommerzielle Elemente und das Web 2.0 hebe ohnehin die Unterscheidung zwischen Kommerziellem und Nicht-Kommerziellem auf. Wie, so fragte sie, sei etwa zu bewerten, wenn Werbung nicht mehr von Markenartikel-Produzenten stamme, sondern von den Nutzern selbst? Als Beispiel dafür zeigte sie den „Doritos“Werbespot für Chips, der während des Super-Bowl-Finales von NBC ausgestrahlt wurde und von Verbrauchern in einem Wettbewerb entwickelt worden war. Die Werbeclips, die während der Super-Bowl-Übertragung im Fernsehen für bis zu drei Millionen Dollar pro dreißig Sekunden-Spot gezeigt wurden, führen in den Videoportalen und Weblogs des Internet längst ein Eigenleben. Das beschere solchen Kampagnen zusätzliche Aufmerksamkeit, berichtete Reiss. 1 Carla Michelotti, Senior General Counsel der Werbeagentur Leo Burnett (Chicago), sagte in Düsseldorf, Verbraucher- und Nutzerschutz müssten im Zeitalter des Web 2.0 neu definiert werden. Verbraucher und Nutzer der „Klick-Sende-und-TeileGeneration“ („Snap, Send and Share Generation“) könnten Inhalte selbst kontrollieren. Problematisch seien allerdings neue Phänomene im Zusammenhang mit dem so genannte Behavioral Marketing. Dabei wird das Verhalten einzelner Nutzer im Internet analysiert, um ihnen genau auf ihre Vorlieben abgestimmte Werbung anzubieten. Die Federal Trade Commission (FTC) der USA fordere dabei Transparenz und Kontrolle, Sicherheitsmechanismen für eine zeitlich beschränkte Datenspeicherung und vor allem, dass die Verbraucher über die Nutzung ihrer Daten informiert werden und damit einverstanden sein müssen. Der neue FTC-Präsident Jon Leibowitz setze dabei vor allem auf Selbstregulierung. Werde diese jedoch versagen, so hätten die Demokraten angekündigt, müssten zum Schutz der Privatsphäre strengere Gesetze beschlossen werden. Die Vertreter der amerikanischen Medienbranche machten beim 17. Transatlantischen Dialog deutlich, dass sich das Paradigma einer Trennung von Werbung und Programm angesichts der Medienwirklichkeit in den USA längst als unhaltbar erwiesen hat. Auch in Deutschland werden die Grenzen zwischen redaktionellen und werbenden Inhalten immer häufiger aufgelöst. Prof. Dr. Bernd Holznagel präsentierte in Düsseldorf Beispiele, bei denen Produkte offen oder verdeckt in TV-Magazinen oder -Shows präsentiert wurden. Das Spektrum dabei reichte von legaler SplitscreenWerbung bis zu möglicherweise bezahlten, aber verbotenen Themen- oder ProduktPlatzierungen. Der Medienrechtler des Institutes für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erklärte, die „Durchmischung von werblichen Erscheinungsformen und redaktionellem Programm“ verhindere, dass der Zuschauer Werbebotschaften ausweichen könne. „Der Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm wird ausgehöhlt“, kritisierte Holznagel. Die neue EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, die bis zum Jahresende in deutsches Recht umgesetzt werden muss, ermöglicht Product Placement zwar für einige TV-Programmbereiche (Filme, Serien, Entertainment), fordert aber eine Kennzeichnung. Alexander Scheuer, Geschäftsführer des Europäischen Institutes für Medienrecht (EMR), machte darauf aufmerksam, im Einzelfall seien erlaubtes Product Placement und verbotene Schleichwerbung auch in Zukunft oft schwer zu unterscheiden. Als problematisch bezeichnete er auch Abgrenzungen des Product Placement zu so genannten Produktbeistellungen und Sponsoring. Die Auffassung der EU, dass Sponsoring und Product Placement Medieninhalte nicht beeinflussen dürfen, nannte Scheuer „realitätsfern“. Die Prüfung werde in jedem Fall für die Aufsichtsbehörden künftig komplizierter. 2 Die von den Medienberatern Werner Lauff und Arthur Pober (New York) geleitete Diskussion über Spielräume für neue Werbeformen zeigte, dass angesichts der Konvergenz von Rundfunk und Internet sowohl in den USA als auch in Deutschland neue Regulierungsmodelle erforderlich sind. Nutzer- und Verbraucherschutz geraten zunehmend unter Druck. Die US-Regulierung gehe „stärker vom Nutzer und der Selbstregulierung aus“, fasste Prof. Dr. Norbert Schneider das Experten-Hearing zusammen. Das Trennungsgebot für Werbung und Programm erscheine angesichts neuer Modelle von Massenkommunikation im neuen Licht. „Das Verhältnis zwischen Public und Privacy ändert sich“, sagte der LfM-Direktor. Die „neue Rechtsunsicherheit“ biete nun die Chance, die Erfahrungen aus den USA zu nutzen, um den Bereich in Deutschland neu und sinnvoll zu regulieren. Matthias Kurp Der 17. Transatlantische Dialog der LfM wurde in Kooperation mit der Kommission für Aufsicht und Zulassung der Landesmedienanstalten (ZAK) veranstaltet. 3