Persönliche Budgets in Großbritannien

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Persönliche Budgets in Großbritannien
Was ist das NCIL?
Ich möchte meine Präsentation beginnen, indem ich etwas über die Organisation
sage, für die ich arbeite – das nationale Zentrum für selbstbestimmtes Leben, dessen
Direktorin ich bin. Es handelt sich um eine nationale Organisation, die in ganz GB
tätig ist, auch wenn sich nach der Einführung von Regionalregierungen in Schottland
und Wales unsere Arbeit auf England konzentriert. Unser Büro befindet sich im
Süden von London, und falls von Ihnen jemand nach London fahre sollte, lade ich Sie
herzlich ein, uns anzurufen und zu besuchen.
NCIL wird betrieben und kontrolliert von behinderten Menschen. Gemäß unserer
Satzung müssen mindestens 75% unseres Vorstands Behinderte sein. Die meisten
unserer kleinen Crew von Angestellten sind behindert. Ich selbst habe eine
Sehbehinderung von Geburt an und habe so jede Menge Erfahrung damit, auf
spezielle Schulen geschickt zu werden, Arbeit zu suchen und meine zwei Kinder in
einer Umgebung zu erziehen, die behinderten Eltern gegenüber nicht immer
freundlich gesinnt ist.
Die Mitgliedschaft von NCIL besteht aus lokalen Zentren für unabhängiges Leben. Sie
werden allesamt von Behinderten geführt. Wir beschaffen Informationen und geben
Rat, werben für unabhängiges Leben und machen Lobbyarbeit bei der Regierung um
die erwünschten Änderungen durchzusetzen. Wir haben eine Menge erreicht, aber es
gibt auch noch viel zu tun, vor allem möchten wir das Recht auf ein selbstbestimmtes
Leben gesetzlich garantiert sehen.
Unsere Philosophie
Unsere Philosophie und unsere Überzeugung sind die, dass wir behinderten
Menschen die Experten bezüglich unseres eigenen Lebens sind und dass wir
entscheiden sollten, was mit uns passiert. „Nichts über uns ohne uns“ wie die
internationale Bewegung behinderter Menschen sagt. Wir meinen, dass wir die
Entscheidung haben müssen, wie unser Bedarf an Unterstützung erfüllt wird und wie
wir unser Leben führen. Außerdem denken wir, dass unserem Unterstützungsbedarf
adäquat begegnet werden muss, damit wir am gesellschaftlichen Leben auf gleicher
Ebene mit allen anderen Menschen teilnehmen können.
Die Kampagne („Campaigning“)
Ich habe ja schon gesagt, dass eine der Aufgaben von NCIL der Kampf für
Veränderung ist und wir auch schon einiges erreicht haben. Während der 90er Jahre
haben wir für Bürgerrechte agitiert. Wir haben Lobbyarbeit im Parlament und
nationale Demonstrationen durchgeführt. Anfangs wussten die Polizisten nicht so
recht, wie sie mit behinderten Demonstranten umgehen sollten und wir konnten uns
wahrscheinlich mehr erlauben als andere. Jedenfalls hatte die Polizei ein ziemliches
Problem damit, dass ihre Fahrzeuge und Arrestzellen nicht behindertengerecht
waren! Schließlich haben wir uns erfolgreich für eine gesetzlich geregelte
Gleichbehandlung eingesetzt. – Behinderte durften also auch hier nicht länger
diskriminiert werden. Und tatsächlich – wenn heute Behinderte protestieren reagiert
die Polizei auf sie wie auf alle anderen Menschen auch – und das ist durchaus ein
Fortschritt.
Viele Jahre hindurch haben wir für die Direktzahlungen gekämpft und schließlich
waren wir auch erfolgreich. Anstatt unser Leben in irgendwelchen Institutionen zu
verbringen oder uns an Dienste anzupassen, wo das Gesundheitspersonal das Sagen
hat, wollten wir wir das Geld – eine direkte Zahlung – um die Dinge selbst zu regeln.
Die Regierung meinte, sie könne uns das Geld nicht geben, wir würden es
verwenden um z.B. in Urlaub zu fahren. Tatsächlich ist das aber nie passiert und wird
auch nicht passieren, denn wenn man Hilfe braucht um morgens aufzustehen und
sich anzuziehen wird man wohl kaum das Geld für andere Zwecke benutzen.
Obwohl wir jetzt Direktzahlungen und individuelle Budgets haben führen wir unsere
Kampagne fort, weil wir immer noch abhängig sind vom Wohlwollen der
Kommunalregierungen; wir haben noch immer kein gesetzlich garantiertes Recht auf
selbstbestimmtes Leben. Unsere Kommunen haben völlig unterschiedliche
Regelungen, so dass man in einer Region das Geld bekommt und in einer anderen
nicht. So kann der Umzug von einer Region in eine andere für Behinderte sehr
schwierig sein. Also kämpfen wir weiter für ein nationales Gesetz, das uns einen
nationalen Rechtsanspruch unabhängig von unserem Wohnort gibt.
Direktzahlungen
Ich möchte Ihnen jetzt erklären was Direktzahlungen genau sind und wer sie in
Anspruch nehmen kann. Direktzahlungen wurden 1996 rechtmäßig. Das bedeutet,
das es für die Kommunen möglich wurde, Behinderte eine Barzahlung zu geben statt
Dienstleistungen für sie zu arrangieren. Zunächst war das Gesetz beschränkt auf
Menschen im „arbeitsfähigen Alter“, die eine physische oder sensorische
Behinderung haben, inzwischen kann aber jede/r, der/die von seiner
Kommunalverwaltung als im Alltag hilfebedürftig anerkannt ist, für Direktzahlungen
entscheiden. Man kann diese Zahlungen für persönliche und häusliche Pflege
verwenden.Man kann einen Pflegedienst bezahlen, aber die meisten Leute ziehen es
vor, ihre eigenen persönlichen HelferInnen einzustellen. Natürlich kann es anfangs
schwierig sein, Personal einzustellen weil man sich schon überlegen muss, wie man
die Leute auswählt, was man von ihnen verlangt, wie man wirklich geeignete Hilfen
bekommt und wie man sie bezahlt. Viele Behinderte bekommen Unterstützung in
diesen Dingen von ihren örtlichen Zentren für selbstbestimmtes Leben.
Leider bieten Direktzahlungen nicht ganz die Befreiung, die wir uns erhofft hatten.
Zum einen versuchen die Kommunen oft, die Verwendung der Zahlungen zu
kontrollieren und lassen sie nur zu für soziale Betreuung (social care) und nicht für
Bereiche wie Gesundheit oder Unterstützung am Arbeitsplatz. Aus der Statistik geht
hervor, das manche Behinderte, z.B. Menschen mit Lernschwierigkeiten und solche,
die psycho-soziale Dienste in Anspruch nehmen, im Nachteil sind. Daher kamen
einige fortschrittliche Fachleute auf die Idee mit dem persönlichen Budget.
Persönliche Budgets
2006 wurden Persönliche Budgets in 13 verschiedenen Regionen von England
getestet. Man hat versucht verschiedene Finanzierungsquellen zu kombinieren. Bis
dahin waren Direktzahlungen nur für soziale Betreuung, d.h. für häusliche Pflege vor
allem Persönliche Budgets können als Weiterentwicklung der Direktzahlungen
verstanden werden., Hintergrund ist ebenfalls Selbstbestimmung. Persönliche
Budgets vereinigen das das Geld für soziale Betreuung, Hilfe im Haushalt,
Unterstützung im Beruf und Geld für Ausrüstung. Insgesamt verlief die Testphase
erfolgreich und die Regierung entschied, dass alle Kommunen in England den
Menschen persönliche Budgets zur Verfügung stellen sollten.
Dies soll bis 2011 geschehen Ich gehe jetzt auf die Unterschiede zu den
Direktzahlungen ein.
Wie Persönliche Budgets funktionieren
Als erstes sollte man/frau einen Fragebogen ausfüllen, um herauszufinden, welche
Bedürfnisse in Einzelnen da sind.. Früher hat das Fachpersonal den jeweiligen Bedarf
eingeschätzt, jetzt kann man das selbst tun, was natürlich besser ist, weil wir selbst
die Experten in Bezug auf unsere Behinderung sind. Die Ergebnisse des Fragebogens
geben die Richtlinie, wie viel Geld die Kommunalverwaltung jeweils zur Verfügung
stellt.
Sobald klar ist, wie viel Geld einem zusteht, kann man planen, wie man es
verwenden möchte. Man kann das ganze Geld als Direktzahlung entgegennehmen
und es für die Beschäftigung eines persönlichen Assistenten benutzen oder man kann
die Verwaltung beauftragen, mit dem einbehaltenen Geld Dienstleistungen zu
arrangieren. Die Kommunalverwaltung muss den Plan genehmigen bevor man an
sein Geld kommt. Daraufhin bekommt man also sein Geld, wenn man sich dazu
entschieden hat – aber natürlich wird die Verwaltung fragen , wie man es
ausgegeben hat. Schließlich ist es öffentliches Geld. Das werden sie etwa einmal im
Jahr kontrollieren. Man muss ein separates Konto für dieses Geld einrichten, so dass
die Ausgaben nachvollzogen werden können.
Mehr über persönliche Budgets
Individuelles und persönliches Budget werden in England synonym verwandt. Sie
werden sich erinnern, dass ich sagte, Direktzahlungen seien für soziale Betreuung
bestimmt und dass in der Erprobung des persönlichen Budgets versucht wurde,
andere Finanzierungsquellen wie etwa die Unterstützung im Beruf mit sozialer
Betreuung zusammenzubringen. Mittlerweile planen wir, persönliche Budgets noch
für andere Bereiche zu öffnen. Momentan wird im Parlament ein Gesetz vorbereitet,
das persönliche Gesundheits-Budgets ermöglicht. Im Moment ist die medizinische
Versorgung kostenlos in GB, aber die Dienstleistungen werden für die Behinderten
arrangiert. Mit einem persönlichen Gesundheits-Budgets kann man das selbst
organisieren. Das gilt dann nicht nur für Behinderte sondern auch für andere
Menschen – z.B. für Schwangere. In Zukunft soll sich eine Frau also das Geld, das für
Gesundheitsvorsorge während der Schwangerschaft veranschlagt ist, auszahlen
lassen können um die betreffenden Dienstleistungen selbst zu arrangieren.
Persönliche Gesundheits-Budgets gelten nicht für den gesamten medizinischen
Bereich - bei einem Unfall will man natürlich so schnell wie möglich in ein
Krankenhaus kommen – sie betreffen vielmehr Dienstleistungen in nicht-akuten
Fällen.
Darüber hinaus wird ein Gesetz im Parlament vorbereitet, das die Unterstützung
Behinderter am Arbeitsplatz in ein persönliches Budget einschließt. Momentan haben
wir hier ein sehr bürokratisches System. Ein persönliches Budget vereinfacht vieles,
weil jede/r selbst bestimmen kann, wie er die Hilfe organisiert und was am besten
funktioniert.
Das klingt doch alles ganz gut, oder? Probleme gibt es natürlich nach wie vor. Wir
haben noch lange keine paradiesischen Verhältnisse. Zum einen müssen Behinderte
bestimmte Voraussetzungen erfüllen um für ein persönliches Budget in Frage zu
kommen. Das sind nur die Menschen mit dem größten Unterstützungsbedarf, so dass
viele Behinderte nicht an dem Programm teilnahmeberechtigt sind. Um richtig zu
funktionieren braucht das System auch mehr Geld, es gibt als noch einiges zu tun,
unsere Kampagne ist noch nicht zuende.
Ich möchte den Vortrag beenden, indem ich auf eines der schon erwähnten
Probleme eingehe. In GB ist es für Behinderte schwierig, von einer Region in die
andere umzuziehen, weil jede Region ihre eigenen Bestimmungen und
Gepflogenheiten hat. Jemand, der in unserem Vorstand war und der den Londoner
Bürgermeister in Behinderten-Angelegenheiten berät, wollte nur von einem Londoner
Stadtteil in einen anderen ziehen. Er brauchte dazu 18 Monate, weil er seine
persönliche Unterstützung komplett neu verhandeln musste. Ein Umzug in ein andres
Land, selbst innerhalb der EU, ist für uns praktisch unmöglich. Also habe wir nicht die
Bewegungsfreiheit innerhalb de EU, wie sie für andere selbstverständlich ist. Ich
sehne mich nach dem Tag, an dem wir das ändern können. Wäre es nicht
fantastisch, ein EU-weites Persönliches Budget zu haben?
Mit diesem inspirierenden Gedanken möchte ich meinen Vortrag beenden. Vielen
Dank, dass Sie mir zugehört haben, danke für Ihre Einladung und Ihre
Gastfreundschaft.
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