Nutztierhaltung im ländlichen Raum

Werbung
Jean Stoll
Fédération des Herd-Books Luxembourgeois
___________________________________________________
Nutztierhaltung im ländlichen Raum – ein (un)abkömmlicher Bestandteil multifunktionaler Landwirtschaft?
Leitfragen

Was sind die Aufgaben und Ziele einer multifunktionalen Land- und
Viehwirtschaft ?

Unter welchen (politischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen, ...) Rahmenbedingungen können solche Ziele erreicht werden ?

Wie lassen sich diese Aufgaben und Ziele in eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume integrieren ?

Welchen Beitrag kann die Land- und Viehwirtschaft zur Entwicklung
ländlicher Räume bzgl. Kulturlandschaftsentwicklung, Schaffung von
Arbeitsplätzen, Versorgung mit Nahrungsmitteln, ... leisten ?
Einleitung
In dem letztjährigen Beitrag im Rahmen der 5. Gaytaler Gespräche mit
dem vom Organisator gestellten, starken Titel ‚Landwirtschaft - Täter
oder Opfer im Spiel der gesellschaftlichen Kräfte?‘ begann die Einleitung
wie folgt: „Wohl kaum ein anderer Beruf als derjenige des Landwirts ist
derart komplex und vielschichtig, weil lebensspendend und -bedrohend
zugleich, einkommensschwach und subventioniert, arbeits- und kapital1
intensiv, klima- und börsenabhängig, unternehmerisch doch stark reglementiert, naturnah und umweltbelastend, ..., und neuerdings beachtet
und zum Teil geächtet.“ Vieles, was in dem Beitrag gesagt und geschrieben wurde, wird in dem diesjährigen Beitrag wiederholt werden
(müssen).
Hauptziel der diesjährigen Überlegungen wird es zusätzlich sein, mögliche und notwendige Rahmenbedingungen einer auf Nachhaltigkeit auszulegenden Viehwirtschaft, die notgedrungen in ländlichen Räumen
stattfindet, aufzuzeichnen. Dabei werden Überlegungen über den zukünftigen Sinn und Zweck der Nutztierhaltung angestellt. Die getätigten
Ausführungen fußen wiederum zu einem grossen Teil auf den Erkenntnissen und Erfahrungen aus einer umfassenden Betreuung von 900
tierhaltenden Betrieben mit den Schwerpunkten Milch- und Fleischrinder
sowie Schweine aus einer mehr oder weniger konventionellen Tiererzeugung. Dabei standen folgende, sowohl allgemeine als auch spezifische Dienstleistungen Pate:
-
Herdbuchführung, Leistungskontrolle, künstliche Besamung, Vermarktung von Zucht-, Nutz- und Schlachttieren (74.000 Tiere in
2001),
-
eine praxisnahe Beratung der Betriebsleiter im Pflanzenbau (Grünlandbewirtschaftung, Weideführung, Futteranbau und Düngung mit
dem Schwerpunkt der sinnvollen Nutzung des organischen Düngers)
-
eine Beratung im Bereich der Tierproduktion (Fütterungstechnik und
-lagerung, Tier- und speziell Eutergesundheit sowie Fruchtbarkeit,
Stallklima und -bau, sowie Zuchtausrichtung)
-
und der Ökonomie (Antragsverwaltung und Rentabilitätsberechnungen, ...)
-
sowie die Mitgestaltung, Kontrolle und Zertifizierung von Markenfleischprogrammen, z.T. mit innovativer Herkunftssicherung (Einzeltiergewebeprobeeinlagerung und DNA-Fingerprint seit 1996)
-
und seit Anfang der 90er Jahre der Einfluß der landwirtschaftlichen
Produktion auf die Umwelt mittels der Erfassung und Auswertung von
Stoff- und Energieflüssen (Hoftor-, Feld-/Stall-, CO2- sowie Humusbilanzen) auf unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben.
2
Der Herdbuchverband Luxemburger Rinder- und Schweinezüchter erzielte als landwirtschaftliche Genossenschaft mit rund 50 Angestellten,
die Hälfte davon landwirtschaftliche Fachkräfte (Agraringenieure, Tierarzt, Agrartechniker), im BSE-, MKS- und (Wild-)Schweinepest geschüttelten Jahr 2001 einen Umsatz an Dienstleistungen von knapp € 5,0 Mio
und an Vieh von € 13,4 Mio.
Was sind die eigentlichen Aufgaben einer multifunktionalen
Land- und Viehwirtschaft?
Die Verantwortlichen des Herdbuchverbandes Luxemburger Rinder- und
Schweinezüchter bezeichneten vor mehr als zehn Jahren die Landwirtschaft als eine gezielte Nutzung und Förderung der Photosynthese, dem
einzigen lebenserhaltenden Vorgang auf der Erde. Dies bedeutet unweigerlich, wenn man das Leben (auch und nicht zuletzt das menschliche)
auf Erden längerfristig, d.h. nachhaltig, absichern will, daß die Landwirtschaft und mit ihr die Gesellschaft schlechthin sich diesem einzigen lebensfördernden Natur-Prozeß unterordnen müssen und nicht umgekehrt. Alle landwirtschaftlichen Leistungen dürften nicht mehr wie weitgehend bisher ausschließlich den Gesetzen der Ökonomie untergeordnet
werden. Die Ausrichtung der pflanzlichen und tierischen Produktionen
sowie die dabei zwingend einhergehende Nutzung ländlicher Räume
müßte in erster Linie das Ergebnis der sinnvollen Nutzung der Sonnenenergie, des Kohlendioxides und des Luftstickstoffs durch Boden, Wasser, Pflanzen und nicht zuletzt der Nutztiere sein!
Diese den natürlichen Kreisläufen unterzuordnenden Aufgaben und Leistungen sind außerordentlich vielfältig. Sie beinhalten heute geradeso
wie bei der notgedrungenen Entwicklung der Menschheit vom Sammlerund Jägerwesen zur Sesshaftigkeit in erster Linie die Produktion von
erneuerbaren Rohstoffen, d.h. Nahrungs- und Lebensmittel sowie
3
Energie. Die Nahrungsmittel kann man in zwei Gruppen aufteilen: Die
Pflanzlichen wie Getreide, Ölsaaten, Hackfrüchte, Gemüse und Obst sowie die Tierischen wie Milch, Fleisch und Eier.
Aus Tieren gewonnene Lebensmittel sind zudem Produkte wie Häute
(Leder), Pelze und Wolle zu Kleidungs-, Dekorations- und Isolationszwecken, Dung in all seinen Formen (Mist, Gülle, Jauche, frische und
getrocknete Fladen, ...) als organischer Dünger und Energiesubstrat
(Biogas, Feuer, ...) sowie extrahierte Mittel wie u.a. Gelatine aus Knochen, Gewürze aus Hörnern und Klauen sowie Medikamente, Vitamine,
Mineralien und Spurenelemente zum großen Teil aus Drüsen (Insulin
aus Schweinehypophysen), Knochen oder sonstigem Gewebe. Pfanzliche
Erzeugungen geben neben den aus ihnen direkt (Getreide, Kartoffeln,
Früchte, Gemüse, ...) oder indirekt gewonnenen, allgegenwärtigen Nahrungsmitteln wie Brot, Öle, Fette, Zucker, Flocken, ... auch für das tägliche Leben des Menschen notwendige Produkte wie Fasern (Hanf,
Baumwolle, ...) und Energiesubstrate wie Holz und Stroh sowie extrahierte Mittel wie Öle für die Körperpflege, Esthere (Diesel, Methanol, ...)
für Brenn-, Kraft- und Heizwerke, desweiteren Gewürze, Medikamente,
Drogen, Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und Pflanzenschutzmittel
zur Unterstützung der Lebens- und Gaumenfreude sowie der menschlichen, tierischen und pflanzlichen Gesundheit.
Der Einsatz von Nutztieren als Zugkraft und Lastenträger wird in
unseren Regionen mit Ausnahme der Forstwirtschaft kaum noch getätigt. Doch aufgrund der Vielzahl an Produkten, welche wir Menschen
tagtäglich brauchen, erscheint ein Ausstieg aus der Tierhaltung und
speziell aus der Rinderhaltung mittel- und langfristig sicherlich schwieriger zu realisieren als ein Ausstieg aus der Atomindustrie: „L’homme est
le parasite du boeuf.“
4
Neu entdeckt aber althergebracht ist die Funktion der Land- und Viehwirtschaft als Energieproduzent. Über diese Rolle wird in einem gesonderten Beitrag im Rahmen der diesjährigen Gaytaler Gespräche berichtet werden. Eine relativ und vom Umfang her betrachtet, eher neue,
oft verkannte Rolle hat die Land- und speziell die Viehwirtschaft im Sog
der rezenten Entwicklungen in den vor- und nachgelagerten Bereichen
der Lebensmittelherstellung eingenommen und zwar als RecyclingWirtschaft.
Sogenannte Nebenprodukte der Lebensmittelindustrie wie Extrationsschrote, Biertreber, Rübenschnitzel, Maisgluten, ..., nicht zuletzt auch
die für viel Aufruhr sorgenden tierischen Eiweiße und Fette aus Schlachtabfällen sowie Abfallprodukte aus dem menschlichen Dasein wie Klärschlämme und Industriekomposte werden zu einem großen Teil in der
Land- und Viehwirtschaft eingesetzt und damit den natürlichen Kreisläufen zu(rück)geführt. Eine in sich absolut sinnvolle Vorgehensweise, solange die Risiken, die von diesen Nebenprodukten ausgehen können,
restlos bekannt und dementsprechend minimiert werden.
Die Landschaftsgestaltung ist mit Sicherheit eine erst rezent wahrgenomme (Neben-)Leistung der Landwirtschaft. Die heutige Landschaft
bzw. der ländliche Raum ist zu einem großen Teil das Produkt der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Vor über hundert Jahren waren unsere Gegenden bewäldeter und mit wesentlich weniger Grünlandanteil versehen
als heute. Die Abholzung u.a. der Lohhecken im Norden des Großherzogtums und die Aufdüngung der alten und neuerschlossenen landwirtschaftlichen Nutzflächen mit den aus der Eisenerzindustrie gewonnenen
Thomasschlacken haben der Landschaft ihr heutiges Bild gegeben. Für
ihre Pflege und ihre Erhaltung will man die Bauern verantwortlich machen und mit sog. Landschaftspflegeprämien oder ähnlichen Programmen zur Mitarbeit bewegen und entsprechend entschädigen. Eine
neue Aufgabe und Verantwortung, die aber auf beiden Seiten, sowohl
5
vom Auftraggeber als auch vom Empfänger, den Bauern, nur diffus
wahrgenommen werden. Vermehrt punktuell sind die den Bauern auferlegten Maßnahmen wie Ackerrandstreifen (Biodiversitätsrichtlinie), Reduzierung der Stickstoffdüngung (Nitratdirektive) oder z.B. die Anpflanzung von Hecken zum Schutz der Arten, des Wassers (Ober-, Trink- und
Grundwasser) und des Bodens (Erosion).
Mit öffentlich gestützten Infrastrukturen und der entsprechenden Werbung will man den Bauern durch den Tourismus auf dem Bauernhof
(am besten mit Nutztieren und Streichelzoo) eine weitere Funktion in
der Gesellschaft übertragen, nicht zuletzt zur Absicherung des bäuerlichen Einkommens. Hierbei wird aber allzuoft eine ländliche, bilderbuchartige Idylle als heile Welt vorgetäuscht, an der sich vom Alltag gestreßte Bürokaufmänner und –frauen oder Manager „intensiv“ ergötzen und
damit schnell und „effizient“ erholen sollen.
Soweit zu den eigentlichen Aufgaben der Landwirtschaft, wobei den
Bauern hierbei sehr viel und übers ganze Jahr verteilt z.T. schwere und
schlecht vorauszuplanende Hand- und Organisationsarbeit abverlangt
wird, zudem sehr viel Kapital bindet und in Luxemburg nahezu die Hälfte des ländlichen Raumes berührt.
Praktische Ziele bei der Umsetzung dieser multifunktionalen
Land- und Viehwirtschaft?
Landwirtschaft läßt sich ohne Folgeschäden nur begrenzt intensivieren
oder industrialisieren. Sie unterliegt eben den Gesetzen der Natur, nicht
denen des Fließbandes. Daran kann kein noch so großer Einsatz von
Energie, Chemie und Mechanik etwas ändern. „Intensivlandwirtschaft“
mag zwar reiche Väter und zufriedene Konsumenten durch die Verbilligung der Lebensmittel gemacht haben, scheint aber, wie weiland der
6
Mergel, heute arme Söhne zu machen. Nur die Landwirtschaft, die sich
in den zyklischen Ablauf der Natur einordnet, kann auf Dauer Bestand
haben. Eine auf Nachhaltigkeit auszulegende, multifunktionale Landwirtschaft muß daher andere, voranzusetzende unternehmerische Ziele
verfolgen, als die nach wie vor von der GAP vorgegebene, einseitige
Produktivitätssteigerung. Die HL-Verantwortlichen definierten bereits
1991 diese Ziele wie folgt:
"Ein oder mehrere Betriebe, die eine ökonomische oder familienbetriebliche Einheit bilden, müssen ihre Nahrungsmittelproduktion in Zukunft
so gestalten, daß im weitesten Sinne und auf Betriebsebene in einem
mehrjährigen Mittel
- die Energiebilanz langfristig positiv ausfällt,
- die Nährstoffbilanz sich innerhalb ökologisch vertretbarer Salden bewegt und
- die Bodenfruchtbarkeit bis zu einem Optimum gefördert
wird.“
In Anlehnung an diese grundsätzlichen Gedanken und zur Untermauerung dieser drei Objektive erstellt der HL seit dem Wirtschaftsjahr 1992
im Rahmen seiner Beratertätigkeit und ab 1996 im Rahmen eines Markenfleischprogrammes (Cactus-Fleesch vum Lëtzebuerger Bauer) Nährstoff-, Energie-, CO2- und Humusbilanzierungen auf rund 240 landwirtschaftlichen Betrieben mittels der Methode der Hoftorbilanz. Hauptziele
dabei sind die Erfassung jeglicher Stoffflüsse inklusive der Herstellung
der zugekauften und eingesetzten Betriebsmittel zur Ermittlung des
Ressourcenverbrauchs bei der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte
sowie die Charakterisierung der eigentlichen biologischen Effizienz der
angewandten Produktionsprozesse mit dem Aufzeigen von Verbesserungsmöglichkeiten. Es geht letztendlich darum, die gewonnenen Erkenntnisse in der täglichen Beratungsarbeit umzusetzen.
7
In dem eingangs erwähnten, letztjährigen Beitrag sind einige der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Beratertätigkeit aufgeführt und sollten
dort nachgelesen werden.
Es sei hier nur kurz festgehalten, daß der Viehbesatz und die Produktionsrichtung wohl einen tendenziellen Einfluß auf die Nährstoff- und
Energiesalden haben, das Betriebsleitermanagement jedoch den deutlichsten Impakt auf die Salden hat. Betriebe mit guten Nährstoff- resp.
Energiebilanzen weisen ebenso gute Leistungen in der Tier- als auch in
der Pflanzenproduktion auf wie die anderen Betriebe. Die Nährstoff-,
Energie- und Humusbilanzen stellen heute ein unabdingbares Management- und Monitoringinstrument zur Flankierung einer leistungsfähigen
und in Richtung Nachhaltigkeit orientierten Landwirtschaft dar. Die Bilanzen dienen sozusagen der Feststellung des „Gesundheitszustandes“
der landwirtschaftlichen Produktion in punkto Ressourcenverbrauch und
werden den Forderungen der Zeit ...
- nach Transparenz der Produktion,
- Effizienz der Produktionsprozesse,
- Nutzung der Flächen,
- Optimierung des Viehbesatzes,
- Input/Output- sowie Emissionskontrolle und
- einem Maßstab zur Bewertung von Umweltleistungen
gerecht.
Außerdem zeigen die Ergebnisse, dass die Nutztierhaltung ein absolut
notwendiges Standbein (manche nennen es ein notwendiges Übel) in
einer nachhaltigen Rohstoffproduktion darstellt. Ihre Hauptprodukte
Milch und Fleisch gewinnen bei rezenten, wissenschaftlichen Erkenntnissen neue, positivere Bewertungen inmitten der gesundheitsfördernden
Nahrungsmittel im Vergleich zu den pflanzlichen Produkten. Ihre Proteine beinhalten das komplette Spektrum an notwendigen, essentiellen
Aminosäuren. Heutige Fleischrinderrassen haben ein weitaus günstige8
res Fettmuster mit insgesamt weniger Fett als vor 50 Jahren. Calcium,
Phosphor, Magnesium und Eisen stellen wichtige Mineralien bzw. Spurenelemente (Zn, Cu, Mn, Cr, Co, Se) dar, die vom menschlichen Körper
leicht aufgenommen werden können. Der konjugierten Linolsäure (CLA),
als weiterer Bestandteil speziell von Kuhmilch und Rindfleisch, werden
krebshemmende Eigenschaften nachgesagt. Die Vitamine A, B1, B6,
B12, D und E stellen in Milch und Fleisch eine qualitativ und quantitativ
sehr hochwertige Versorgungsquelle dar.
Nichtdestotrotz tritt die Viehwirtschaft aber auch als Nahrungsmittelkonkurrent des Menschen auf. Das Schwein, ein allesfressender Monogastrier, das immer mehr exklusiv vegetarisch mit bis zu 98 % Getreideanteil gefüttert wird, nimmt dem Menschen Nahrung weg, indem es
rund sieben Mal mehr verbraucht, als es dem Menschen über sein Kotelett wieder bereitstellt. Auch Wiederkäuer, die mit hohen Getreideanteilen in der Ration gemästet werden, zerstören eine dem Menschen direkt
zugängliche Nahrungsquelle, mit den darüberhinaus in allen Fällen einhergehenden Verlusten von Nährstoffen und Energie. Hierbei bildet das
Geflügel die effizienteste Umsetzung von Getreide in tierische Proteine.
Die entsprechenden Input:Output-Relationen für Fleisch sind grob folgende: Geflügel 2:1, Schweine 7:1, Rinder 9-11:1.
Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen können über ihre Mehrmagenstruktur das biblische Kraut der Erde, d.h. Gras, Klee, Luzerne, ...,
eine dem Menschen nicht direkt zugängliche, pflanzliche Nahrung aufschließen und in hochwertige, vom Menschen verdaubare tierische Eiweiße umwandeln. Das in unseren ländlichen Räumen vorwiegende
Grünland bietet daher für Wiederkäuer eine sehr sinnvolle und zudem
notwendige Nahrungsquelle, die dem Menschen indirekt über ihre Produkte Milch und Fleisch zugänglich gemacht wird. Dabei liefern sie bis
zu einem Drittel mehr Dung als man für die Aufdüngung der benutzten
Grünlandflächen, auf denen das Grundfutter erzeugt wurde, benötigt.
9
Ein Drittel dieses organischen Düngers aus Wiederkäuern steht also für
die pflanzliche Nahrungs- und Lebensmittelproduktionen via den Ackerbau zur Verfügung. Er sollte sinnvoll und möglichst effizient genutzt
werden. Diese Vorgehensweise bildet die Basis des Kreislaufgedankens
auch und nicht zuletzt in sog. Bio-Betrieben und damit an und für sich
den Grundpfeiler einer nachhaltigen Humanernährung. Letztere ist also
auf ländlichen Raum, der weitestgehend landwirtschaftlich mit Ackerbau und Viehzucht genutzt wird, angewiesen.
Unter welchen (politischen, ökonomischen, ökologischen und
sozialen, ...) Rahmenbedingungen können solche Ziele erreicht
werden?
Die nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raumes ist also direkt abhängig von einer nachhaltigen Pflanzen-, Tier- und Humanernährung.
Letztere greifen sehr eng ineinander und ihre jeweilige Ausrichtung bestimmt damit zwangsläufig die Nutzung und die Entwicklung jeden ländlichen Raumes. Es gilt im ländlichen Raum diejenigen Rohstoffe (auch
und nicht zuletzt die tierischen) nachhaltig zu produzieren, um sowohl
die ländliche als auch die städtische Bevölkerung mit den notwendigen
Nahrungs- und Lebensmitteln zu versorgen.
Isermann (2000a, 2001) zeigt auf, daß hinreichende Merkmale einer
nachhaltigen Landwirtschaft dadurch gekennzeichnet sind, daß diese bei
Wahrung einer ihr erstrebenswerten Agrarkultur sich hinsichtlich einer
einzelbetrieblich weitestgehenden, integrierten Tier- und Pflanzenproduktion sowie Landschaftsmitgestaltung möglichst nur noch am Bedarf
der einheimischen Bevölkerung (und nicht wie bisher in den entwickelten Ländern an deren weitaus überhöhter Nachfrage) orientiert (soziale
Komponente: Suffizienz), dabei die natürlichen (nicht) erneuerbaren
Ressourcen bei ihrer eigenen Versorgung (= Versorgungsressourcen,
z.B. mit Nährstoffen, Energie) und insbesondere auch Entsorgung
10
(Emission in naturnahe Ökosysteme = Umweltressourcen) für nachfolgende Generationen dauerhaft erhält (ökologische Komponente: Konsistenz). Dafür sollte die Landwirtschaft von der Bevölkerung nicht wie
bisher billig, sondern preiswert entgolten werden (ökonomische Komponente: Effizienz). Demgemäß wird hinsichtlich der ökologischen Erfordernisse der tolerierbare Umfang der nachhaltigen Landwirtschaft und
insbesondere ihrer Tierproduktion bestimmt von der Unterschreitung
der kritischen Eintragsfrachten (critical loads) und der kritischen Entragskonzentrationen (critical levels) der naturnahen terrestrischen,
aquatischen und atmosphärischen Ökosysteme bzgl. ihrer Emissionen
an reaktiven Verbindungen des Kohlenstoffes (CH4, CO, CO2, bzw.
Energieverluste, gelöster und partikilärer organischer C), des Stickstoffes (NH3, NO, N2O, NO3-,gelöster und partikulärer org. N), des Phosphor
(HyPO4, org. P, gelöster und partikulärer P) und S (SO42-, H2S) unter
Einschluß auch der nachgeordneten Bereiche einer ebensolchen nachhaltigen Humanernährung sowie (kommunalen) Abwasser- und Abfallwirtschaft. Hinsichtlich der Umweltschädigung kommt dem Stickstoff
wegen der Vielfalt seiner reaktiven Verbindungen eine besondere Rolle
zu. Daraus leitet der Autor für unsere Regionen einen maximalen Tierbeatz von rund 0,5 GVE/ha ab.
Um eine gesunde Ernährung zu gewährleisten raten Humanernährer,
daß maximal ein Viertel bis ein Fünftel des Eiweißbedarfs des erwachsenen Menschen aus tierischen Produkten stammen sollte. Eine rezente
Studie in Belgien zeigt, daß dort zur Zeit 70 % der Eiweißversorgung
aus tierischen Quellen erfolgt. Eine notwendige Reduzierung der gesamten Stickstoffflüsse im Ernährungsbereich durch die dabei zwingend
notwendige Reduzierung des Viehbesatzes könnte also eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen und auf die Entwicklung des
ländlichen Raumes haben.
11
In der Agenda 2000 sind zumindest die anvisierten, politischen Ziele
dafür bereits gestellt. Doch die ökonomischen Rahmenbedingungen befürworten weiterhin eine intensive Viehwirtschaft. Die FHLVerantwortlichen in 1991 dazu: „Die Erfüllung dieser Bedingungen (Ziele, Objektive, siehe weiter oben) ist Voraussetzung für das Recht unser
aller Erdboden zu bewirtschaften, d.h. den Beruf Landwirt ausüben zu
dürfen. Für diese verantwortungsvolle und ethisch sicherlich sehr hoch
einzustufende (Dienst-)Leistung an und für die Gesellschaft erhält der
Landwirt als Gegenleistung von jener Direktzahlungen als Abgeltung für
den direkten Arbeitsaufwand einer nachhaltigen Produktionsweise. Diese bilden gewissermaßen sein mehr oder weniger arbeitsaufwandbezogenes Grundeinkommen.
Die so gewonnenen Produkte muß jeder Betrieb selbst ohne jegliche
Zuschüsse oder Beihilfen vermarkten, direkt oder indirekt, und das dafür eingebrachte Geld dient als Entlohnung seiner unternehmerischen
Tätigkeit sowie als Kapitalgrundlage für die notwendige Betriebsmittelfinanzierung. Die Vermarktung dieser Produkte unterliegt vollkommen
den Gesetzen der freien Marktwirtschaft, d.h. der Selbstregulierung von
Angebot und Nachfrage: nur so kann sich der Markt in Zukunft selbst
equilibrieren".
Diese vermehrt theoretischen Überlegungen vor gut 10 Jahren fallen zur
Zeit bei den Globalisierungsgegnern auf fruchtbaren Nährboden. Dort
wird überlegt und vorgeschlagen, die landwirtschaftlichen Produktionsprozesse nicht mehr als wirtschaftliche-unternehmerische Aufgaben und
Leistungen zu betrachten. Diese sollen deshalb gänzlich aus den laufenden WTO-Verhandlungen ausgekoppelt und unter die Schirmherrschaft
der FAO gestellt werden. Denn die wirtschaftlichen Maßstäbe mit und
ohne monetären Incentives können die Komplexität und die daraus hervorgehenden, eigentlichen agrarischen Tätigkeiten äußerst unvollständig erfassen und dann auch dirigieren.
12
Nun stellt sich die Frage, ob eine nach dem vorgenannten System ausgerichtete Land- und vor allem Viehwirtschaft den politischen und gesellschaftlichen Anforderungen auch in puncto
nachhaltiger Entwicklung ländlicher Räume gerecht wird bzw.
wie sie dazu beitragen und darin integriert werden kann?
Die Verunsicherung der Verbraucher führte europaweit zu einer Art
Neo-Chauvinismus bei der Ausarbeitung strengerer gesetzlicher Auflagen sowie beim Verhalten der Konsumenten. Über Nacht genossen die
Produkte aus der Region eine höhere Anerkennung (die Verbraucher
glaubten, aus welchen Gründen auch immer, die Nahrungsmittel aus
der Nachbarschaft seien sicherer) und die Politiker unterstützen seitdem
gezielt Regionalmarken mit speziellen Vorgehensweisen bei Herstellung,
Kontrolle und Zertifizierung. Die 1998 eingeführte obligatorische Kennzeichnung von Rindfleisch (CEE 820/97) mittels doppelter Ohrmarke der
Rinder bis hin zur Angabe des Herkunftslandes auf deren Fleischprodukten in den Theken bewirkte, daß ein Kalb, das in der Lorraine geboren,
im Saarland aufgewachsen und gemästet und in Luxemburg geschlachtet wurde, keinen Abnehmer mehr findet. Dasjenige Kalb aber, das am
Bodensee geboren ist, in Hessen aufwächst und in Schleswig-Holstein
geschlachtet wird, findet als reines deutsches Produkt mit gesicherter,
ausschließlich deutscher Herkunft den weitaus leichteren Absatz. Mit
nationalen Labeln wie „Viande de France“, „Produit du terroir“ oder Aussagen und Leitsätzen wie „Achetez français“ oder „British Beef is Safe“
wird gezielt und aufdringlich, aber eben nur plakativ geworben, um das
viel besungene Vertrauen der Konsumenten zurückzugewinnen.
Hierbei ist eine deutliche Chance verpaßt worden, mittels einer regionalen Kennzeichnung das Europa der Regionen und damit der ländlichen
Räume zu verwirklichen anstatt nur zu propagieren.
13
Praxisnahe Rahmenbedingungen einer nachhaltigen (und sicheren) Nutztierhaltung im lämdlichen Raum
Die Komplexität der Land- und speziell der Viehwirtschaft, d.h.
schlechthin die Nutztiererzeugung, verlangt nach einer vernetzten Betrachtungsweise. Die zu erstellenden Rahmenbedingungen müssen aber
aus praktischen Gründen in vier verschiedene, sich nur zum Teil ergänzende Bereiche unterteilt werden. Diese sind die Bereiche Natur- und
Umweltschutz, die eigentliche Lebensmittelsicherheit, die Tiergerechtheit sowie die ökonomische Produktivität. Für jeden dieser Bereiche
müssen über spezielle Indikatoren die Erfüllung der jeweiligen Ziele
gemessen werden. Die im Rahmen regelmäßig (mindestens jährlich) zu
erstellender Betriebs-Audits (mit einer zwingenden „comptabilité des
matières“) ausgewerteten Parameter dienen sowohl den Betriebsleitern
zur Managementkontrolle als auch der externen Erfolgskontrolle. Im
Wesentlichen muß das wie folgt aussehen:
Natur- und Umweltschutz: Der Ressourcenverbrauch, das Recycling von
Nebenprodukten aus der Lebensmittelindustrie sowie die potentielle von
der Land- und Viehwirtschaft ausgehende Umweltbelastung kann relativ
einfach mittels N-, P-, K-, CO2- und Humusbilanzen (Hoftor oder
Feld/Stallbilanzen) ermittelt werden. Über die Art und Weise aller eingesetzten Phytopharmaka und sonstiger risikoreicher Betriebsmittel wird
die Umwelttoxikologie geschätzt. Desweiteren werden über gezielte Felderhebungen Anhaltspunkte zur Biodiversität, zum Wasser-, Arten- und
Klimaschutz sowie zur Landschaftsgestaltung ermittelt. Der regelmäßige
Vergleich der erreichten Kenngrößen (IST-Werte) mit den anzustrebenden Zielgrößen (SOLL-Werte) führt durch ständiges Verbessern in einen
fließenden Übergang zu einer nachhaltigeren Landbewirtschaftung auch
und nicht zuletzt mit Nutztieren, bei der das Potential der natürlichen
Kreisläufe (inklusiv der biologischen Schädlingsbekämpfung z.B.) als
14
eines der vier Unternehmensziele zur Steigerung der biologischen Effizienz stetig ausgeschöpft wird.
Eigentliche Lebensmittelsicherheit: Zur Absicherung der Lebensmittelsicherheit muß nicht nur das (tierische) Endprodukt, sondern der gesamte Produktionsprozeß kontrolliert werden. Dies beinhaltet neben der Erfassung aller eingesetzen Betriebsmittel (siehe weiter oben) die Kontrolle dieser Produkte (Futtermittel, Dünger, ...) auf ihre Zusammensetzung, ihre Herkunft und potentiellen Rückstände. Betriebsmittel, die den
auferlegten Kriterien genügen und keine bekannten humantoxikologischen Gefahren in sich bergen, können auf sog. „Positiv Listen“ eingetragen werden. Dies schließt jedoch keinesfalls die Rückstandskontrollen
im Endprodukt aus. Im Gegenteil. Auch hier muß gezielt und je nach Art
des Produktes und seiner Produktionsweise analysiert werden. Der regelmäßigen Überwachung der Hygiene im gesamten Betrieb mit gezielten Erhebungen der potentiellen Krankheitserreger (Viren, Bakterien,
Pilze) im Futter, in der Gülle und dem Mist, bei der Milchgewinnung, der
Futterlagerung, ..., ist ebenfalls eine hohe Aufmerksamkeit zu widmen,
um Übertragungen von Erregern und/oder Toxinen auf den Menschen
regelrecht im Keim zu ersticken. Dabei könnte die HACCPImplementierung in den landwirtschaftlichen Betrieben von großem Vorteil sein.
Tierschutz und Tiergesundheit (neu: Tiergerechtheit): Gesundheit und
Wohlbefinden der Tiere ist ein sehr schwieriger Bereich, bei dem die unterschiedlichen Betrachtungsweisen sehr stark von emotionellen Empfindlichkeiten geprägt sind. Auch stehen sich Umweltschutz und Tierschutz oft diametral gegenüber. Für Tierschützer bedeutet Strohhaltung
und freier Auslauf das nec plus ultra. Für Umweltschützer werden bei
dieser Art der Haltung die höchsten Ammoniak- und LachgasEmissionen nachgewiesen. Daher muß diesem Bereich wie in allen anderen mit möglichst objektiv erfaßbaren Parametern begegnet werden.
15
Solche einzeltierbezogene Indikatoren können z.B. folgende sein: Die
Kontrolle der Ausgeglichenheit der Milchviehfütterung über den Harnstoffgehalt der Milch, die Kontrolle der Fruchtbarkeit über die Zwischenkalbe- und -wurfzeiten, die Darstellung der allgemeinen Tiergesundheit
über die Auswertung der Abgangsursachen der Tiere, deren Leistungsentwicklung (Milchmenge, Tageszunahmen, aufgezogene Ferkel, ...)
über die Zeit (Extremwerte, Streuung, Persistenz, ...), eventuellen Verhaltenstörungen des Medikamenteneinsatzes, pH-Messungen im Fleisch
nach dem Schlachten, die Analyse somatischer Zellen in der Milch, die
Kontrolle der Haut auf Parasiten und der Hufe auf Druckstellen und Abschürfungen, ..., alles Parameter die in leistungsgeprüften Herden eigentlich bereits größtenteils vorliegen. Die Kontrolle des Stallklimas, des
Lichteinfalls, der Belegdichte, der Auslaufmöglichkeiten sind weitere Anhaltspunkte, um das Wohlbefinden der Tiere nahezu korrekt einzuschätzen.
Ökonomische Produktivität: Die ökonomischen Kenngrößen liegen seit
Jahren für diejenigen Betriebe vor, die in den sog. Buchführungsstellen
geführt und beraten werden. Die Ergebnisse daraus müssen aber fortan
mit den biologischen Eckwerten verglichen werden. Ziel dabei muß es
sein, die realen Gestehungskosten inklusive der biologischen Leistungen
in den drei Bereichen Umwelt, Lebensmittelsicherheit und Tiergerechtheit zu quantifizieren. Daraus soll der gerechte Preis für die Produkte
errechnet werden, die aus dem von der Gesellschaft auferlegten Richtlinienanbau hervorgehen. Daraus können ebenfalls die Kosten für strengere Auflagen abgeleitet werden. Ziel sollte es sein, daß die Bauern
nicht nur mehr pauschal entschädigt werden, sondern daß sie für real
erbrachte (Dienst-)Leistungen entsprechend dem Preis- und Einkommensniveau der Region bezahlt werden. Entweder direkt über die Haushaltskassen und/oder indirekt über einen erhöhten Preis des abgelieferten Produktes. Denn solange alle Folgekosten im Preis für fossile Energieträger, belastende Betriebsmittel und verletzende Produktionsweisen
16
nicht weltweit internalisiert sind, muss die Landwirtschaft als nachhaltiger Rohstoffproduzent künstlich entschädigt werden.
Schlußfolgerung
Die Nutztierhaltung im ländlichen Raum ist sicherlich ein unabkömmlicher Bestandteil multifunktionaler Landwirtschaft. Vermeidbare Nährstoffverluste und überzogener Chemieeinsatz müssen vermieden werden. Die heutige Gestalt(ung) des ländlichen Raums ist sicherlich eine
Entwicklung jenes Systems, das wir uns alle gemeinsam so geformt haben und bei dem jeder eine eigene Mittäterschaft zu verantworten hat.
Dieser Verantwortung sollte man sich auch bei anzustrebenden, notwendigen Änderungen nicht entziehen.
Das Konsumverhalten wird nämlich die zukünftige Land(wirt)schaft weiterhin prägen. Diese Land(wirt)schaft muß und wird sich wie in der Vergangenheit den jeweiligen politischen und Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Forderungen anpassen. Die jetzige Landschaft oder
ländliche Raum wird sich entwickeln in die Richtung, die eine nachhaltige, multifunktionale Land- und Viehwirtschaft, wie sie hier beschrieben
wurde, ermöglicht. Ohne spezielle Bündnisse mit der (ländlichen) Bevölkerung werden signifikante Nischenberufe wie Metzger, Bäcker, ... bis
zum Hufschmied dem ländlichen Raum auf Dauer verloren bleiben.
17
Herunterladen