Schriftkultur der Musik Grundkurs zur Geschichte der Notation Leuphana Universität WS 15/16 (Rainer Bayreuther) Di 9.45-12.00 Uhr 27.10.2015: Tonsysteme Materialien: in dieser docx-Datei! 3.11.2015 - Buchstabennotation des lateinischen Mittelalters (Buchstabennotation-1.pdf und Buchstabennotation-2.pdf) - Dasia-Notation 9. Jhd. ff. (Dasia-1.pdf) 17.11.2015 - Vokal- und Instrumentalnotation der Griechen (Griechen-1.pdf bis -5.pdf) - Tabulaturen als neuere Variante der Buchstabennotation (Tabulatur-1.pdf, Tabulatur-2.pdf) 24.11.2015 - Neumen: Grundlagen, Grundzeichen, adiastematische und diastematische Neumen (Neumen-1.pdf bis -6.pdf) 1.12.2015 Reservesitzung 8.12.2015 Mensur, Rhythmus, Takt: - Weiße Mensuralnotation und frühes 17. Jhd. ohne Proportionsprobleme (Weisse-1.pdf bis - Weiße Mensuralnotation – die Proportionsprobleme 5.12.2015 Proportionsprobleme in der Weißen Mensuralnotation 12.1.2016 19.1.2015 26.1.20116 2.2.2016 Literatur: MGG, Art. „Tonsysteme“, „Dur-Moll“, „Diatonik-Chromatik-Enharmonik“, „Modus“ Andrew Barker (Hrsg.), Greek Musical Writings, 2 Bde., Cambridge 1989 (Quellenedition der antiken Theoretiker in engl.) Frieder Zaminer, „Harmonik und Musiktheorie im alten Griechenland“, in: Vom Mythos zur Fachdisziplin: Antike und Byzanz (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 2), Darmstadt 2006, S. 47-256 Klausjürgen Sachs, „Musikalische Elementarlehre im Mittelalter“, in: Rezeption des antiken Fachs im Mittelalter (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 3), Darmstadt 1990, S. 105-161 Mark Lindley, „Stimmung und Temperatur, in: Hören, Messen und Rechnen in der Frühen Neuzeit“ (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 6, hg. von Frieder Zaminer), Darmstadt 1987, S. 109-331 Friedrich Kittler, Musik und Mathematik I/1, München 2006 (Bettlektüre) Karl Schnürl: 2000 Jahre europäische Musiknotation. Eine Einführung in die Notationskunde, Wien 2000 (hieraus scans) Rainer Bayreuther: Das platonistische Paradigma. Untersuchungen zur Rationalität der Musik in Mittelalter und Früher Neuzeit, Freiburg 2008 (zu Mensurfragen des 11.-13. Jahrhunderts) Euklid, Sectio canonis (Ausschnitt): "19. Den Kanon abzeichnen nach dem sogenannten Unveränderlichen System. AB sei die Länge des Kanon, die auch die Länge der Saite sei, und sie sei in C, D und E in vier gleiche Teile geteilt. Folglich ist BA als tiefster Ton der Bombyx. AB ist zu CB epitrit, so daß CB mit AB als Oberquarte konsoniert. AB ist aber auch der Proslambanomenos; folglich ist CB die Diatonos hypaton. Weil andererseits AB zu BD zweifach ist, konsoniert er als Oktave, und BD ist die Mese. Weil wiederum AB zu EB vierfach ist, ist EB die Nete hyperbolaion. Ich habe CB in F zweigeteilt, und CB ist zu FB zweifach, so daß CB mit FB als Oktave konsoniert; so daß FB die Nete symmenenon ist. Von DB habe ich den dritten Teil, DG, abgetragen. Und DB ist zu GB hemiol, so daß DB zu GB in der Quinte konsoniert; folglich ist GB die Nete diezeugmenon. Ich habe GH gleich GB gesetzt, so daß HB zu GB als Oktave konsoniert, denn HB ist die Hypate meson. Von HB habe ich den dritten Teil, HK, abgetragen. Und HB ist zu KB hemiol, so daß KB die Paramese ist. Ich habe LK gleich KB abgetragen, und LB ist die tiefe Hypate. Folglich sind alle feststehenden Töne des Unveränderlichen Systems auf dem Kanon bestimmt. 20. Nun bleibt noch, die beweglichen Töne zu bestimmen. Ich habe EB in acht Teile geteilt und EM einem Teil gleich gesetzt, so daß MB zu EB epoktav ist. Und MB habe ich seinerseits in acht Teile geteilt und NM einem Teil gleich gesetzt; also ist NB um einen Ganzton tiefer als BE, so daß NB die Trite hyperbolaion ist. Ich habe den dritten Teil von NB genommen und NX einem Teil gleich gesetzt, so daß XB zu NB epitrit ist und als Unterquarte konsoniert, und XB ist die Trite diezeugmenon. Andererseits habe ich die Hälfte von XB genommen und XO ihr gleich gesetzt, so daß OB zu XB als Quinte konsoniert; demnach ist OB die Parhypate meson. Und ich habe OP gleich XO gesetzt, so daß PB die Parhypate hypaton ist. Nun habe ich GR, den vierten Teil von CB, bestimmt, so daß RB die Diatonos meson ist." Erzeugte Skala der Sectio canonis Note Punkt auf Monochord Bezeichnung bei Euklid Verhältnis A A H L Hypate hypaton 8:9 c P Parhypate hypaton 27:32 d C Lichanos Hypaton Diatonos 3:4 e H Hypate meson 2:3 f O Parhypate meson 81:128 g R Lichanos meson diatonos 9:16 a D Mese 1:2 h K Paramese 4:9 c1 X Trite diezeugmenon 27:64 d1 F Nete Synemmenon 3:8 e1 G Nete Diezeugmenon 1:3 f1 N Trite hyperbolaion 81:256 g1 M Paramete Hyperbolaion 9:32 a1 E Nete hyperbolaion 1:4 Hausaufgabe: (mit lehrklaenge.de exemplifizieren) 1. Das pythagoreische Komma ausrechnen (1:2)7 x x = (2:3)12 2. Das syntonische Komma ausrechnen (Komma zwischen Terzen und Quinten) 3. Die große und kleine Diesis (Komma zwischen Terzen und Oktaven) 4. Limma als Komma zwischen Ganztönen und Oktaven Führt man die Oktavteilung mit einer reinen Terz 4:5 durch, dann gelangt man zur kleinen Diesis als Restintervall: (4:5)3 mal x = 1:2. x = 125:128. Mit vier kleinen Terzen übereinander erhält man die große Diesis 625:648. Nun kann man auch Terzen, Quinten und Oktaven miteinander kombinieren: Man schichtet vier Quinten übereinander und zieht davon zwei Oktaven ab. Kommt man bei demselben Ton heraus? Wir prüfen es nach: (2:3)4:(1:2)2 mal x = 4:5. x ist nicht 1, sondern 80:81. Das ist das didymische oder syntonische Komma. Denken wir uns folgendes Experiment: (Zwei gleich lange Saiten AB an die Tafel malen.) Auf der einen Saite führen wir nur oktave Teilungen durch. (machen, nach oben hin immer dichter.) Egal bei welchem Punkt wir angelangt sind, wir können jederzeit durch Verdopplung der eben erreichten Strecke exakt bei A ankommen. Wir können es aber an keiner Stelle durch Verdreifachung. Auf der anderen Saite führen wir nur hemiole Teilungen durch (an der Tafel machen.) Auf dieser Saite können wir jederzeit durch Verdreifachung der zuletzt erreichten Strecke zu A aufschließen – aber nie durch Verdoppelung. Dies ist die geometrische Darstellung dafür, daß die Potenzreihen zwischen 2 und 3 nie einen Berührungspunkt haben. Mathematisch allgemeiner ausgedrückt ist von zwei Zahlen, die gegeneinander prim sind, die Potenz der einen Zahl nie ein Vielfaches der anderen Zahl. Diese schlichte Tatsache führt dazu, daß es auf den beiden Saiten keinen Punkt gibt, der auf exakt derselben Höhe liegt. Ergo: Zwei- und Dreiteilung sind nicht miteinander verträglich (sofern man sie in derselben Richtung ausführt; die sectio canonis vertauscht aber oft oben und unten, dann haben wir in den Monochordteilungen in der Tat dieselben Punkte; das einfachste Beispiel: 2:3 und 4:3, das sind Unterquinte und Oberquarte, und die ergänzen sich zur Oktave 1:2). Ebenso führt Zwei- und Fünfteilung in derselben Richtung nie zu einem gemeinsamen Ton. Man kann einmal die eine, dann die andere Teilung durchführen, aber man kann nie die eine Teilung durch n-maliges Durchführen der anderen ersetzen. Wenn man eine Reihe auffüllen will, dann benötigt man eine Strecke die aus irgendeiner anderen Potenzreihe gewonnen wurde. Oder man gibt dem verbleibenden Rest einen Namen. Die Potenzreihen zwischen 2 und 3 haben nie einen Berührungspunkt. Mathematisch allgemeiner ausgedrückt ist von zwei Zahlen, die gegeneinander prim sind (also die keinen gemeinsamen Teiler haben), die Potenz der einen Zahl nie ein Vielfaches der anderen Zahl: 2m≠3n Diese schlichte Tatsache führt dazu, daß es auf den beiden Saiten keinen Punkt gibt, der auf exakt derselben Höhe liegt. Ergo: Zwei- und Dreiteilung sind nicht miteinander verträglich (sofern man sie in derselben Richtung ausführt; die sectio canonis vertauscht aber oft oben und unten, dann haben wir in den Monochordteilungen in der Tat dieselben Punkte; das einfachste Beispiel: 2:3 und 4:3, das sind Oberquinte und Unterquarte, und die ergänzen sich zur Oktave 1:2). Ebenso führt Zwei- und Fünfteilung in derselben Richtung nie zu einem gemeinsamen Ton. Man kann einmal die eine, dann die andere Teilung durchführen, aber man kann nie die eine Teilung durch n-maliges Durchführen der anderen ersetzen. Wenn man eine Reihe auffüllen will, dann benötigt man eine Strecke die aus irgendeiner anderen Potenzreihe gewonnen wurde. Oder man gibt dem verbleibenden Rest einen Namen. In der Musiklehre des spanischen Komponisten und Theoretikers Francisco Salinas (1577) sieht das etwa so aus:1 Oktave = Quarte x Quarte x Tonus Quarte = Tonus x Tonus x Limma Tonus = Limma x Limma x Komma Er versucht also zunächst, eine Oktave durch Quarten aufzufüllen, und übrig bleibt ein Intervall, das selbst kein arithmetischer Teil einer Quarte ist, nämlich der Tonus. Das können wir uns leicht durch die Verhältniszahlen klarmachen: Der Zähler der Quarte 3 (3:4) und der Zähler des Tonus 8 (8:9) sind gegeneinander prim, ebenso die beiden Nenner. Daher ist der Tonus kein arithmetischer Teil der Quarte. Wir müssen ihn daher als Rest stehenlassen. Aber man kann den Rest natürlich ausrechnen: (3:4) mal (3:4) mal x = (1:2). Für x ergibt sich dann 8:9. 1 De musica, Salamanca 1577, S. 57. Folglich gibt es auch einen Rest, wenn wir mehrere Toni aufeinanderhäufen, um zur Quarte zu kommen, und dieser Rest ist das Limma. Das Verhältnis des Limma berechnen wir jetzt. (Rechnung: (8:9) mal (8:9) mal x = (3:4). x=243:256. Dasselbe kann man nun noch durchführen, wenn man fragt, welcher Rest zwischen Limma und Tonus übrigbleibt. Das ist das Komma. (Rechnung: (243:256) mal (243:256) mal x = (8:9). x = (524288:531441). Auf das Komma kommt man auch, wenn man die Differenz zwischen zwölf Quinten 2:3 und sieben Oktaven 1:2 berechnet. Führt man die Oktavteilung mit einer reinen Terz 4:5 durch, dann gelangt man zur kleinen Diesis als Restintervall: (4:5)3 mal x = 1:2. x = 125:128. Mit vier kleinen Terzen übereinander erhält man die große Diesis 625:648. Nun kann man auch Terzen, Quinten und Oktaven miteinander kombinieren: Man schichtet vier Quinten übereinander und zieht davon zwei Oktaven ab. Kommt man bei demselben Ton heraus? Wir prüfen es nach: (2:3)4:(1:2)2 mal x = 4:5. x ist nicht 1, sondern 80:81. Das ist das didymische oder syntonische Komma. Nun machen wir zu guter letzt dasselbe mit den Quarten: Wir schichten acht Quarten übereinander (der erreichte Ton ist ein fes) und ziehen dann drei Oktaven ab, dann müßten wir bei einem terzenähnlichen Intervall c-fes sein: (3:4)8 : (1:2)3 mal x = 4:5. x ist aber auch hier nicht 1, sondern 32768:32805. Das ist das das Schisma. Konsequenzen für Übungen zum Intervallrechnen: a. Eine Oktave lässt sich auf dem Klavier in zwei Quarten und einen Ganzton (Tonus) aufteilen. Welches Zahlenverhältnis hat der Tonus? b. Bestimmen Sie die Zahlenverhältnisse des Ditonus und des Tritonus. c. Eine Quarte lässt sich auf dem Klavier in zwei Toni und einen Halbton aufteilen. Welches Zahlenverhältnis hat der Halbton (in der griechischen Tradition: Limma)? d. In welche ganzzahligen Halbtöne (Semitoni) lässt sich der Tonus aufteilen? e. Welcher Rest bleibt, wenn man den Tonus in zwei Limmata aufteilt? Logarithmische Centsberechnung Grundlagen des dekadischen Logarithmus: Zuordnung -3 bei Stifel 1/8 -2 -1 0 1 2 3 4 1/4 1/2 1 2 4 8 16 Halbtongrößen nach Stevin 0 12 1 21 12 1 22 12 1 23 12 1 24 Quelle: Michael Stifel, Arithmetica integra. Cum praefatione Philippi Melanchthonis, Nürnberg 1544, II 1. Weitere Quellen zur Geschichte des Logarithmus: John Napier, Mirifici logarithmorum canonis descriptio, Edinburgh 1614 Simon Stevin, Wisconstighe Ghedachtenissen, Leiden 1605/08. Zeitgleich als Hypomnemata mathematica in der Übersetzung von Willebrord Snellius erschienen. weitere Quellen bei Mark Lindley, Stimmung und Temperatur, in: Hören, Messen und Rechnen in der Frühen Neuzeit (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 6, hg. von Frieder Zaminer), Darmstadt 1987, S. 109-331 Die Idee des Logarithmus: 1.000 x 10 = 10.000 103 x 101 = 104 Man kann also Malrechnung durch Plusrechnung simulieren: 3+1=4, oder im dekadischen Logarithmus: log10 1000 + log10 10 = log10 10.000 Die Übertragung des Logarithmus auf das Intervallrechnen: Für die Intervallrechnung verwendet man am besten log2, denn 2:1=2 ist die Oktave, alle Teilintervalle der Oktave also Potenzen (<1) von 2. Festsetzung im 17. Jahrhundert: Die Oktave mit ihren 12 Halbtönen sei 1200 Cent, 1 Halbton sei also 100 Cent. Zu Teilintervallen der Oktave gelangt man intervallarithmetisch, indem man in den Wurzelbereich geht. Z.B. ist der gleichstufige Tritonus die Quadratwurzel aus der Oktavproportion 2:1, d.h. diejenige Proportion, die mit sich selbst multipliziert 2:1 ergibt: 1 2 2oder 2 oder 2 600 1200 . Die 1200er-Einteilung können wir also in der Potenz zur Basis 2, und das heißt: logarithmisch, anschreiben, so dass der Zähler die Centzahl eines Intervalls anzeigt. Allgemein formuliert: Der Centsbetrag einer Intervallproportion p ist ist dasjenige x, so dass die Potenz 2 x 1200 p ist. x ist damit ein Logarithmus zur Basis 2. Beispiel: Die kleine reine Terz mit der Intervallproportion 6:5 hat einen Centsbetrag x, so dass x 6 2 1200 ist. x = 316. Die kleine Terz hat also, bezogen auf die Oktave von 1200C, 316C. 5 Formeln: Intervall ( p ) log 2 p 1200C 6 1200C 316C 5 5 GroßeTerz : log 2 1200C 386C 4 3 Qu int : log 2 1200C 702C 2 kl.Terz gr.Terz 316C 386C 702C KleineTerz : log 2 316 Umkehrrechnung : 2 1200 1,2 6 5 Umrechnung von Zweier- in Zehnerlogarithmus: log 2 x log x log 2 Aufgaben: 1. Wie lassen sich a) 1C, b) 100C, c) 600 C als Wurzel schreiben? 2. Berechnen Sie die Centbeträge von a) gr. Ganzton 8:9 b) kl. Ganzton 9:10 c) gr. Halbton 16:17 d) kl. Halbton 17:18 e) Quart f) Quint g) kl. temperierter Septim Übungen zur logarithmischen Centsberechnung a) Berechnen Sie die Centsbeträge der folgenden Intervalle: Intervall pythagoreisches Komma syntonisches Komma Limma kleiner Halbton großer Halbton ganz großer Halbton gleichstufiger Halbton kleiner Ganzton großer Ganzton gleichstufiger Ganzton kleine reine Terz große reine Terz Ditonus reine Quart gleichstufige Quart Tritonus reine Quint gleichstufige Quint reine kleine Sext reine große Sext Tritonus ditonische große Sext gleichstufige große Sext gleichstufige kleine Septim kleine Septim (reine Quint+reine kl. Terz) Oktave erster Naturton zweiter Naturton dritter Naturton vierter Naturton fünfter Naturton (oktavbereinigt) Proportion Centsbetrag sechster Naturton (oktavbereinigt) siebter Naturton (oktavbereinigt) achter Naturton Chromatik und Enharmonik Quelle: Aristoxenos, Elementa harmonica, ed. in: Andrew Barker (Hg.), Greek Musical Writings, Bd. 2, Cambridge 1989, S. 119–184 Unveränderliches System bei Euklid umfasste folgende Punkte (nur 2-, 3- und 4-Teilungen): ABCDEFGHKL Veränderliches System: MNXOPR Das, was Aristoxenos unveränderliches System nennt, sind nur die Intervalle Oktave, Quinte, Quarte und das dazwischenliegende Intervall Ganzton. Also zwei Tetrachorde, deren Ausfüllung mit je zwei dazwischenliegenden Tönen die Tongeschlechter konstituiert: e --Hypate a Mese und h --Paramese e Nete Töne dazwischen: f (Parhypate) und g (Lichanos). Vor allem der Lichanos hat bei Aristoxenos einen großen Spielraum von beinahe zwei Ganztönen, so dass im Extremfall Lichanos und Parhypate beinahe zusammenfallen. (Distanz zwischen Hypate und Lichanons wird Pyknon genannt, sofern er kleiner ist als die Distanz zwischen Lichanos und Mese.) Chromatik Drei Arten des chromatischen Geschlechts bei Aristoxenos: 1. chroma malakon: 1/3Ton - 1/3Ton - 11/6Ton (malakon=weich,, weil enge Abstände) 2. chroma hemiolon: 3/8Ton - 3/8Ton - 7/4Ton (hemiolon=anderthalbfach2) 3. chroma toniaion: 1/2Ton - 1/2Ton - 3/2Ton (toniation=ganztönig3) 2 3 weil das Pyknon das anderthalbfache des Vierteltons beträgt. weil das Pyknon einen Ganzton umfasst. Nur eine Art von Chromatik bei Ptolemaios (der das aristoxenische System kritisiert): (in kleinsten ganzen Zahlen): a Mese 1512 27 : (g) Lichanos 1792 32 224 : (f) Parhypate 1944 e Hypate 2016 243 27 28 : Enharmonik bei Aristoxenos Um die genauen Zahlenverhältnisse der Enharmonie bei Aristoxenos zu erhalten, muss man mindestens drei verstreute Textstellen zusammenreimen: 1) I 52: Die Abstände zwischen Hypate und Parhypate sowie zwischen Parhypate und Lichanos sind im chromatischen und im enharmonischen Genus gleich, nur im diatonischen ungleich. 2) I 25: Unterschiedliche Position des Lichanos im chromatischen und enharmonischen Genus: der Lichanos sei im chromatischen um einen 1/6Ton höher als im enharmonischen. Hypate Parhypate Lichanos e (f) (f) Mese a tiefste Position des chromat. Lichanos 4/12 = 1/3 4/12 = 1/3 enharmonisch 3/12 = 1/4 3/12 = 1/4 3) II 50: Definition und Teilung des Pyknon. Im enharmonischen Genus ist das Pyknon ein Halbton (auch I 24). 4) II 52: Tonschritte zwischen Hypate und Parypate sowie Parhypate und Lichanos im enharmonischen Genus sind gleich groß. 5) I 23: Das Intervall zwischen Lichanos und Mese (f-a) soll nach Aristoxenos’ Auffassung eine reine Terz 5:4 sein; die heutigen Musiker aber verwendeten die „schärfere“ (d.h. ditonische) Terz. Oktavgattungen und Transpositionsskalen Die in den mittelalterlichen Kirchentonarten gebräuchlichen Namen (Dorisch, Phrygisch usw.) werden in der Antike für zwei unterschiedliche Sachverhalte verwendet: 1. die Oktavgattungen 2. die Transpositionsskalen 1. Oktavgattungen (tonoi) Das entspricht dem, was im Mittelalter die Modi waren. Wichtigste Quellen: - Aristoxenos, Harmonik (das Kap. zu den Oktavgattungen ist verloren, aber durch Kleoneides und Aristides Quintilianus überliefert, allerdings wohl verändert) - Kleoneides (2. Jh. n. Chr.), Harmonica introductio Die aristoxenischen tonoi (Oktachorde, Oktavspezies): Tonnamen/Saiten Hypate hypaton Parhypate hypaton Lichanos hypaton Hypate meson Parhypate meson Lichanos meson Mese Paramese diezeugmenon Trite diezeugmenon Paranete diezeugmenon Nete diezeugmenon Trite hyperbolaion Paranete hyperbolaion Nete hyperbolaion Stufe (nur feststehende) (H) tonos (jeweils tiefster Ton) (e) (a) (h) (e’) (a’) Hypodorisch Mixolydisch Lydisch Phrygisch Dorisch Hypolydisch Hypophrygisch Hypodorisch Kleoneides bezeichnet die tonoi in diesem Sinn als „topos phones“, als „Ort der Stimme“. Die Silbe hypo- heißt sowohl „über“ als auch „ähnlich“. Das Hypodorische liegt über dem Dorischen, es ist ihm durch ähnliche Intervallverhältnisse aber auch ähnlich. Die tonoi unterscheiden sich also (wie die mittelalterlichen Modi) durch ihre Intervallfolge. Üblicherweise werden die beweglichen Töne im diatonischen Genus angegeben, es ist aber auch das enharmonische und chromatische denkbar. 2. Transpositionsskalen (tonoi) Die Transpositionsskalen setzen nicht die drei Genera, sondern die (bei Aristoxenos beschriebene) Teilung der Oktave in 12 gleiche Halbtonschritte voraus. Hier kann man die Mese auf jeden der 12 Halbtöne verschieben. Bei Aristoxenos gibt es 13 tonoi, Alypios u.a. kommen später auf 15. Mese fis’ f’ e’ dis’ d’ cis’ c’ tonoi (Aristoxenos) h b a gis g fis f e Phrygisch (hoch) Phrygisch (tief) Dorisch Hypolydisch (hoch) Hypolydisch (tief) Hypophrygisch (hoch) Hypophrygisch (tief) Hypodorisch Hypermixolydisch Mixolydisch (hoch) Mixolydisch (tief) Lydisch (hoch) Lydisch (tief) Über der jeweiligen Mese werden nun diatonische Skalen errichtet, die den Namen des jeweiligen tonos tragen: Mixolydisch (hoch): dis-eis-fis-gis-ais-h-cis-dis Lydisch (tief) c-d-es-f-g-as-b-c Phrygisch (hoch) h-cis-d-e-fis-g-a-h Dorisch a-h-c-d-e-f-g-a (entsprechend die weiteren) Man erkennt, dass das Dorisch mit den darüberliegenden diatonischen Tönen wieder der Ausgangspunkt ist. Alle weiteren tonoi sind nur Transponierungen dieser Skala auf alle anderen chromatischen Ausgangstöne.