Grundkurs Musikalische Analyse

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Schriftkultur der Musik
Grundkurs zur Geschichte der Notation
Leuphana Universität WS 15/16 (Rainer Bayreuther)
Di 9.45-12.00 Uhr
27.10.2015: Tonsysteme
Materialien: in dieser docx-Datei!
3.11.2015
- Buchstabennotation
des
lateinischen
Mittelalters
(Buchstabennotation-1.pdf
und
Buchstabennotation-2.pdf)
- Dasia-Notation 9. Jhd. ff. (Dasia-1.pdf)
17.11.2015
- Vokal- und Instrumentalnotation der Griechen (Griechen-1.pdf bis -5.pdf)
- Tabulaturen als neuere Variante der Buchstabennotation (Tabulatur-1.pdf, Tabulatur-2.pdf)
24.11.2015
- Neumen: Grundlagen, Grundzeichen, adiastematische und diastematische Neumen
(Neumen-1.pdf bis -6.pdf)
1.12.2015
Reservesitzung
8.12.2015
Mensur, Rhythmus, Takt:
- Weiße Mensuralnotation und frühes 17. Jhd. ohne Proportionsprobleme (Weisse-1.pdf bis
- Weiße Mensuralnotation – die Proportionsprobleme
5.12.2015
Proportionsprobleme in der Weißen Mensuralnotation
12.1.2016
19.1.2015
26.1.20116
2.2.2016
Literatur:
MGG, Art. „Tonsysteme“, „Dur-Moll“, „Diatonik-Chromatik-Enharmonik“, „Modus“
Andrew Barker (Hrsg.), Greek Musical Writings, 2 Bde., Cambridge 1989 (Quellenedition der
antiken Theoretiker in engl.)
Frieder Zaminer, „Harmonik und Musiktheorie im alten Griechenland“, in: Vom Mythos zur
Fachdisziplin: Antike und Byzanz (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 2), Darmstadt 2006, S.
47-256
Klausjürgen Sachs, „Musikalische Elementarlehre im Mittelalter“, in: Rezeption des antiken
Fachs im Mittelalter (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 3), Darmstadt 1990, S. 105-161
Mark Lindley, „Stimmung und Temperatur, in: Hören, Messen und Rechnen in der Frühen
Neuzeit“ (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 6, hg. von Frieder Zaminer), Darmstadt 1987, S.
109-331
Friedrich Kittler, Musik und Mathematik I/1, München 2006 (Bettlektüre)
Karl Schnürl: 2000 Jahre europäische Musiknotation. Eine Einführung in die Notationskunde,
Wien 2000 (hieraus scans)
Rainer Bayreuther: Das platonistische Paradigma. Untersuchungen zur Rationalität der
Musik in Mittelalter und Früher Neuzeit, Freiburg 2008 (zu Mensurfragen des 11.-13.
Jahrhunderts)
Euklid, Sectio canonis (Ausschnitt):
"19. Den Kanon abzeichnen nach dem sogenannten Unveränderlichen System.
AB sei die Länge des Kanon, die auch die Länge der Saite sei, und sie sei in C, D und E in
vier gleiche Teile geteilt. Folglich ist BA als tiefster Ton der Bombyx. AB ist zu CB epitrit, so
daß CB mit AB als Oberquarte konsoniert. AB ist aber auch der Proslambanomenos; folglich
ist CB die Diatonos hypaton. Weil andererseits AB zu BD zweifach ist, konsoniert er als
Oktave, und BD ist die Mese. Weil wiederum AB zu EB vierfach ist, ist EB die Nete
hyperbolaion. Ich habe CB in F zweigeteilt, und CB ist zu FB zweifach, so daß CB mit FB als
Oktave konsoniert; so daß FB die Nete symmenenon ist. Von DB habe ich den dritten Teil,
DG, abgetragen. Und DB ist zu GB hemiol, so daß DB zu GB in der Quinte konsoniert;
folglich ist GB die Nete diezeugmenon. Ich habe GH gleich GB gesetzt, so daß HB zu GB als
Oktave konsoniert, denn HB ist die Hypate meson. Von HB habe ich den dritten Teil, HK,
abgetragen. Und HB ist zu KB hemiol, so daß KB die Paramese ist. Ich habe LK gleich KB
abgetragen, und LB ist die tiefe Hypate. Folglich sind alle feststehenden Töne des
Unveränderlichen Systems auf dem Kanon bestimmt.
20. Nun bleibt noch, die beweglichen Töne zu bestimmen. Ich habe EB in acht Teile geteilt
und EM einem Teil gleich gesetzt, so daß MB zu EB epoktav ist. Und MB habe ich seinerseits
in acht Teile geteilt und NM einem Teil gleich gesetzt; also ist NB um einen Ganzton tiefer
als BE, so daß NB die Trite hyperbolaion ist. Ich habe den dritten Teil von NB genommen
und NX einem Teil gleich gesetzt, so daß XB zu NB epitrit ist und als Unterquarte konsoniert,
und XB ist die Trite diezeugmenon. Andererseits habe ich die Hälfte von XB genommen und
XO ihr gleich gesetzt, so daß OB zu XB als Quinte konsoniert; demnach ist OB die Parhypate
meson. Und ich habe OP gleich XO gesetzt, so daß PB die Parhypate hypaton ist. Nun habe
ich GR, den vierten Teil von CB, bestimmt, so daß RB die Diatonos meson ist."
Erzeugte Skala der Sectio canonis
Note
Punkt auf Monochord
Bezeichnung bei Euklid
Verhältnis
A
A
H
L
Hypate hypaton
8:9
c
P
Parhypate hypaton
27:32
d
C
Lichanos Hypaton Diatonos
3:4
e
H
Hypate meson
2:3
f
O
Parhypate meson
81:128
g
R
Lichanos meson diatonos
9:16
a
D
Mese
1:2
h
K
Paramese
4:9
c1
X
Trite diezeugmenon
27:64
d1
F
Nete Synemmenon
3:8
e1
G
Nete Diezeugmenon
1:3
f1
N
Trite hyperbolaion
81:256
g1
M
Paramete Hyperbolaion
9:32
a1
E
Nete hyperbolaion
1:4
Hausaufgabe: (mit lehrklaenge.de exemplifizieren)
1. Das pythagoreische Komma ausrechnen (1:2)7 x x = (2:3)12
2. Das syntonische Komma ausrechnen (Komma zwischen Terzen und Quinten)
3. Die große und kleine Diesis (Komma zwischen Terzen und Oktaven)
4. Limma als Komma zwischen Ganztönen und Oktaven
Führt man die Oktavteilung mit einer reinen Terz 4:5 durch, dann gelangt man zur kleinen
Diesis als Restintervall: (4:5)3 mal x = 1:2. x = 125:128. Mit vier kleinen Terzen übereinander
erhält man die große Diesis 625:648.
Nun kann man auch Terzen, Quinten und Oktaven miteinander kombinieren: Man schichtet
vier Quinten übereinander und zieht davon zwei Oktaven ab. Kommt man bei demselben Ton
heraus? Wir prüfen es nach: (2:3)4:(1:2)2 mal x = 4:5. x ist nicht 1, sondern 80:81. Das ist das
didymische oder syntonische Komma.
Denken wir uns folgendes Experiment: (Zwei gleich lange Saiten AB an die Tafel malen.)
Auf der einen Saite führen wir nur oktave Teilungen durch. (machen, nach oben hin immer
dichter.) Egal bei welchem Punkt wir angelangt sind, wir können jederzeit durch Verdopplung
der eben erreichten Strecke exakt bei A ankommen. Wir können es aber an keiner Stelle durch
Verdreifachung. Auf der anderen Saite führen wir nur hemiole Teilungen durch (an der Tafel
machen.) Auf dieser Saite können wir jederzeit durch Verdreifachung der zuletzt erreichten
Strecke zu A aufschließen – aber nie durch Verdoppelung. Dies ist die geometrische
Darstellung dafür, daß die Potenzreihen zwischen 2 und 3 nie einen Berührungspunkt haben.
Mathematisch allgemeiner ausgedrückt ist von zwei Zahlen, die gegeneinander prim sind, die
Potenz der einen Zahl nie ein Vielfaches der anderen Zahl. Diese schlichte Tatsache führt
dazu, daß es auf den beiden Saiten keinen Punkt gibt, der auf exakt derselben Höhe liegt.
Ergo: Zwei- und Dreiteilung sind nicht miteinander verträglich (sofern man sie in derselben
Richtung ausführt; die sectio canonis vertauscht aber oft oben und unten, dann haben wir in
den Monochordteilungen in der Tat dieselben Punkte; das einfachste Beispiel: 2:3 und 4:3,
das sind Unterquinte und Oberquarte, und die ergänzen sich zur Oktave 1:2). Ebenso führt
Zwei- und Fünfteilung in derselben Richtung nie zu einem gemeinsamen Ton. Man kann
einmal die eine, dann die andere Teilung durchführen, aber man kann nie die eine Teilung
durch n-maliges Durchführen der anderen ersetzen. Wenn man eine Reihe auffüllen will, dann
benötigt man eine Strecke die aus irgendeiner anderen Potenzreihe gewonnen wurde. Oder
man gibt dem verbleibenden Rest einen Namen.
Die Potenzreihen zwischen 2 und 3 haben nie einen Berührungspunkt. Mathematisch
allgemeiner ausgedrückt ist von zwei Zahlen, die gegeneinander prim sind (also die keinen
gemeinsamen Teiler haben), die Potenz der einen Zahl nie ein Vielfaches der anderen Zahl:
2m≠3n
Diese schlichte Tatsache führt dazu, daß es auf den beiden Saiten keinen Punkt gibt, der auf
exakt derselben Höhe liegt. Ergo: Zwei- und Dreiteilung sind nicht miteinander verträglich
(sofern man sie in derselben Richtung ausführt; die sectio canonis vertauscht aber oft oben
und unten, dann haben wir in den Monochordteilungen in der Tat dieselben Punkte; das
einfachste Beispiel: 2:3 und 4:3, das sind Oberquinte und Unterquarte, und die ergänzen sich
zur Oktave 1:2). Ebenso führt Zwei- und Fünfteilung in derselben Richtung nie zu einem
gemeinsamen Ton. Man kann einmal die eine, dann die andere Teilung durchführen, aber man
kann nie die eine Teilung durch n-maliges Durchführen der anderen ersetzen. Wenn man eine
Reihe auffüllen will, dann benötigt man eine Strecke die aus irgendeiner anderen Potenzreihe
gewonnen wurde. Oder man gibt dem verbleibenden Rest einen Namen.
In der Musiklehre des spanischen Komponisten und Theoretikers Francisco Salinas (1577)
sieht das etwa so aus:1
Oktave = Quarte x Quarte x Tonus
Quarte = Tonus x Tonus x Limma
Tonus = Limma x Limma x Komma
Er versucht also zunächst, eine Oktave durch Quarten aufzufüllen, und übrig bleibt ein
Intervall, das selbst kein arithmetischer Teil einer Quarte ist, nämlich der Tonus. Das können
wir uns leicht durch die Verhältniszahlen klarmachen: Der Zähler der Quarte 3 (3:4) und der
Zähler des Tonus 8 (8:9) sind gegeneinander prim, ebenso die beiden Nenner. Daher ist der
Tonus kein arithmetischer Teil der Quarte. Wir müssen ihn daher als Rest stehenlassen. Aber
man kann den Rest natürlich ausrechnen: (3:4) mal (3:4) mal x = (1:2). Für x ergibt sich dann
8:9.
1
De musica, Salamanca 1577, S. 57.
Folglich gibt es auch einen Rest, wenn wir mehrere Toni aufeinanderhäufen, um zur Quarte
zu kommen, und dieser Rest ist das Limma. Das Verhältnis des Limma berechnen wir jetzt.
(Rechnung: (8:9) mal (8:9) mal x = (3:4). x=243:256.
Dasselbe kann man nun noch durchführen, wenn man fragt, welcher Rest zwischen Limma
und Tonus übrigbleibt. Das ist das Komma. (Rechnung: (243:256) mal (243:256) mal x =
(8:9). x = (524288:531441). Auf das Komma kommt man auch, wenn man die Differenz
zwischen zwölf Quinten 2:3 und sieben Oktaven 1:2 berechnet.
Führt man die Oktavteilung mit einer reinen Terz 4:5 durch, dann gelangt man zur kleinen
Diesis als Restintervall: (4:5)3 mal x = 1:2. x = 125:128. Mit vier kleinen Terzen übereinander
erhält man die große Diesis 625:648.
Nun kann man auch Terzen, Quinten und Oktaven miteinander kombinieren: Man schichtet
vier Quinten übereinander und zieht davon zwei Oktaven ab. Kommt man bei demselben Ton
heraus? Wir prüfen es nach: (2:3)4:(1:2)2 mal x = 4:5. x ist nicht 1, sondern 80:81. Das ist das
didymische oder syntonische Komma.
Nun machen wir zu guter letzt dasselbe mit den Quarten: Wir schichten acht Quarten
übereinander (der erreichte Ton ist ein fes) und ziehen dann drei Oktaven ab, dann müßten
wir bei einem terzenähnlichen Intervall c-fes sein: (3:4)8 : (1:2)3 mal x = 4:5. x ist aber auch
hier nicht 1, sondern 32768:32805. Das ist das das Schisma.
Konsequenzen für
Übungen zum Intervallrechnen:
a. Eine Oktave lässt sich auf dem Klavier in zwei Quarten und einen Ganzton (Tonus)
aufteilen. Welches Zahlenverhältnis hat der Tonus?
b. Bestimmen Sie die Zahlenverhältnisse des Ditonus und des Tritonus.
c. Eine Quarte lässt sich auf dem Klavier in zwei Toni und einen Halbton aufteilen. Welches
Zahlenverhältnis hat der Halbton (in der griechischen Tradition: Limma)?
d. In welche ganzzahligen Halbtöne (Semitoni) lässt sich der Tonus aufteilen?
e. Welcher Rest bleibt, wenn man den Tonus in zwei Limmata aufteilt?
Logarithmische Centsberechnung
Grundlagen des dekadischen Logarithmus:
Zuordnung -3
bei Stifel 1/8
-2
-1
0
1
2
3
4
1/4
1/2
1
2
4
8
16
Halbtongrößen nach Stevin
0
12
1
21
12
1
22
12
1
23
12
1
24
Quelle:
Michael Stifel, Arithmetica integra. Cum praefatione Philippi Melanchthonis, Nürnberg 1544,
II 1.
Weitere Quellen zur Geschichte des Logarithmus:
John Napier, Mirifici logarithmorum canonis descriptio, Edinburgh 1614
Simon Stevin, Wisconstighe Ghedachtenissen, Leiden 1605/08. Zeitgleich als Hypomnemata
mathematica in der Übersetzung von Willebrord Snellius erschienen.
weitere Quellen bei Mark Lindley, Stimmung und Temperatur, in: Hören, Messen und
Rechnen in der Frühen Neuzeit (= Geschichte der Musiktheorie Bd. 6, hg. von Frieder
Zaminer), Darmstadt 1987, S. 109-331
Die Idee des Logarithmus:
1.000 x 10 = 10.000
103 x 101 = 104
Man kann also Malrechnung durch Plusrechnung simulieren: 3+1=4, oder im dekadischen
Logarithmus: log10 1000 + log10 10 = log10 10.000
Die Übertragung des Logarithmus auf das Intervallrechnen:
Für die Intervallrechnung verwendet man am besten log2, denn 2:1=2 ist die Oktave, alle
Teilintervalle der Oktave also Potenzen (<1) von 2.
Festsetzung im 17. Jahrhundert: Die Oktave mit ihren 12 Halbtönen sei 1200 Cent, 1 Halbton
sei also 100 Cent.
Zu Teilintervallen der Oktave gelangt man intervallarithmetisch, indem man in den
Wurzelbereich geht. Z.B. ist der gleichstufige Tritonus die Quadratwurzel aus der
Oktavproportion 2:1, d.h. diejenige Proportion, die mit sich selbst multipliziert 2:1 ergibt:
1
2
2oder 2 oder 2
600
1200
. Die 1200er-Einteilung können wir also in der Potenz zur Basis 2, und
das heißt: logarithmisch, anschreiben, so dass der Zähler die Centzahl eines Intervalls anzeigt.
Allgemein formuliert: Der Centsbetrag einer Intervallproportion p ist ist dasjenige x, so dass
die Potenz 2
x
1200
 p ist. x ist damit ein Logarithmus zur Basis 2.
Beispiel: Die kleine reine Terz mit der Intervallproportion 6:5 hat einen Centsbetrag x, so dass
x
6
2 1200  ist. x = 316. Die kleine Terz hat also, bezogen auf die Oktave von 1200C, 316C.
5
Formeln:
Intervall ( p )  log 2 p  1200C
6
 1200C  316C
5
5
GroßeTerz : log 2  1200C  386C
4
3
Qu int : log 2  1200C  702C
2
kl.Terz  gr.Terz  316C  386C  702C
KleineTerz : log 2
316
Umkehrrechnung : 2 1200  1,2 
6
5
Umrechnung von Zweier- in Zehnerlogarithmus:
log 2 x 
log x
log 2
Aufgaben:
1. Wie lassen sich a) 1C, b) 100C, c) 600 C als Wurzel schreiben?
2. Berechnen Sie die Centbeträge von
a) gr. Ganzton 8:9
b) kl. Ganzton 9:10 c) gr. Halbton 16:17 d) kl. Halbton 17:18
e) Quart
f) Quint
g) kl. temperierter Septim
Übungen zur logarithmischen Centsberechnung
a) Berechnen Sie die Centsbeträge der folgenden Intervalle:
Intervall
pythagoreisches Komma
syntonisches Komma
Limma
kleiner Halbton
großer Halbton
ganz großer Halbton
gleichstufiger Halbton
kleiner Ganzton
großer Ganzton
gleichstufiger Ganzton
kleine reine Terz
große reine Terz
Ditonus
reine Quart
gleichstufige Quart
Tritonus
reine Quint
gleichstufige Quint
reine kleine Sext
reine große Sext
Tritonus
ditonische große Sext
gleichstufige große Sext
gleichstufige kleine Septim
kleine Septim (reine Quint+reine kl. Terz)
Oktave
erster Naturton
zweiter Naturton
dritter Naturton
vierter Naturton
fünfter Naturton (oktavbereinigt)
Proportion
Centsbetrag
sechster Naturton (oktavbereinigt)
siebter Naturton (oktavbereinigt)
achter Naturton
Chromatik und Enharmonik
Quelle: Aristoxenos, Elementa harmonica, ed. in: Andrew Barker (Hg.), Greek Musical
Writings, Bd. 2, Cambridge 1989, S. 119–184
Unveränderliches System bei Euklid umfasste folgende Punkte (nur 2-, 3- und 4-Teilungen):
ABCDEFGHKL
Veränderliches System:
MNXOPR
Das, was Aristoxenos unveränderliches System nennt, sind nur die Intervalle Oktave, Quinte,
Quarte und das dazwischenliegende Intervall Ganzton. Also zwei Tetrachorde, deren
Ausfüllung mit je zwei dazwischenliegenden Tönen die Tongeschlechter konstituiert:
e
--Hypate
a
Mese
und
h
--Paramese
e
Nete
Töne dazwischen: f (Parhypate) und g (Lichanos).
Vor allem der Lichanos hat bei Aristoxenos einen großen Spielraum von beinahe zwei
Ganztönen, so dass im Extremfall Lichanos und Parhypate beinahe zusammenfallen. (Distanz
zwischen Hypate und Lichanons wird Pyknon genannt, sofern er kleiner ist als die Distanz
zwischen Lichanos und Mese.)
Chromatik
Drei Arten des chromatischen Geschlechts bei Aristoxenos:
1. chroma malakon: 1/3Ton - 1/3Ton - 11/6Ton (malakon=weich,, weil enge Abstände)
2. chroma hemiolon: 3/8Ton - 3/8Ton - 7/4Ton (hemiolon=anderthalbfach2)
3. chroma toniaion: 1/2Ton - 1/2Ton - 3/2Ton (toniation=ganztönig3)
2
3
weil das Pyknon das anderthalbfache des Vierteltons beträgt.
weil das Pyknon einen Ganzton umfasst.
Nur eine Art von Chromatik bei Ptolemaios (der das aristoxenische System kritisiert):
(in kleinsten ganzen Zahlen):
a
Mese
1512
27
:
(g)
Lichanos
1792
32
224 :
(f)
Parhypate
1944
e
Hypate
2016
243
27
28
:
Enharmonik bei Aristoxenos
Um die genauen Zahlenverhältnisse der Enharmonie bei Aristoxenos zu erhalten, muss man
mindestens drei verstreute Textstellen zusammenreimen:
1) I 52: Die Abstände zwischen Hypate und Parhypate sowie zwischen Parhypate und
Lichanos sind im chromatischen und im enharmonischen Genus gleich, nur im diatonischen
ungleich.
2) I 25: Unterschiedliche Position des Lichanos im chromatischen und enharmonischen
Genus: der Lichanos sei im chromatischen um einen 1/6Ton höher als im enharmonischen.
Hypate
Parhypate
Lichanos
e
(f)
(f)
Mese
a
tiefste Position des
chromat. Lichanos
4/12 = 1/3
4/12 = 1/3
enharmonisch
3/12 = 1/4
3/12 = 1/4
3) II 50: Definition und Teilung des Pyknon. Im enharmonischen Genus ist das Pyknon ein
Halbton (auch I 24).
4) II 52: Tonschritte zwischen Hypate und Parypate sowie Parhypate und Lichanos im
enharmonischen Genus sind gleich groß.
5) I 23: Das Intervall zwischen Lichanos und Mese (f-a) soll nach Aristoxenos’ Auffassung
eine reine Terz 5:4 sein; die heutigen Musiker aber verwendeten die „schärfere“ (d.h.
ditonische) Terz.
Oktavgattungen und Transpositionsskalen
Die in den mittelalterlichen Kirchentonarten gebräuchlichen Namen (Dorisch, Phrygisch
usw.) werden in der Antike für zwei unterschiedliche Sachverhalte verwendet:
1. die Oktavgattungen
2. die Transpositionsskalen
1. Oktavgattungen (tonoi)
Das entspricht dem, was im Mittelalter die Modi waren.
Wichtigste Quellen:
- Aristoxenos, Harmonik (das Kap. zu den Oktavgattungen ist verloren, aber durch
Kleoneides und Aristides Quintilianus überliefert, allerdings wohl verändert)
- Kleoneides (2. Jh. n. Chr.), Harmonica introductio
Die aristoxenischen tonoi (Oktachorde, Oktavspezies):
Tonnamen/Saiten
Hypate hypaton
Parhypate hypaton
Lichanos hypaton
Hypate meson
Parhypate meson
Lichanos meson
Mese
Paramese diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Nete diezeugmenon
Trite hyperbolaion
Paranete hyperbolaion
Nete hyperbolaion
Stufe (nur
feststehende)
(H)
tonos (jeweils
tiefster Ton)
(e)
(a)
(h)
(e’)
(a’)
Hypodorisch
Mixolydisch
Lydisch
Phrygisch
Dorisch
Hypolydisch
Hypophrygisch
Hypodorisch
Kleoneides bezeichnet die tonoi in diesem Sinn als „topos phones“, als „Ort der Stimme“.
Die Silbe hypo- heißt sowohl „über“ als auch „ähnlich“. Das Hypodorische liegt über dem
Dorischen, es ist ihm durch ähnliche Intervallverhältnisse aber auch ähnlich.
Die tonoi unterscheiden sich also (wie die mittelalterlichen Modi) durch ihre Intervallfolge.
Üblicherweise werden die beweglichen Töne im diatonischen Genus angegeben, es ist aber
auch das enharmonische und chromatische denkbar.
2. Transpositionsskalen (tonoi)
Die Transpositionsskalen setzen nicht die drei Genera, sondern die (bei Aristoxenos
beschriebene) Teilung der Oktave in 12 gleiche Halbtonschritte voraus. Hier kann man die
Mese auf jeden der 12 Halbtöne verschieben.
Bei Aristoxenos gibt es 13 tonoi, Alypios u.a. kommen später auf 15.
Mese
fis’
f’
e’
dis’
d’
cis’
c’
tonoi (Aristoxenos)
h
b
a
gis
g
fis
f
e
Phrygisch (hoch)
Phrygisch (tief)
Dorisch
Hypolydisch (hoch)
Hypolydisch (tief)
Hypophrygisch (hoch)
Hypophrygisch (tief)
Hypodorisch
Hypermixolydisch
Mixolydisch (hoch)
Mixolydisch (tief)
Lydisch (hoch)
Lydisch (tief)
Über der jeweiligen Mese werden nun diatonische Skalen errichtet, die den Namen des
jeweiligen tonos tragen:
Mixolydisch (hoch): dis-eis-fis-gis-ais-h-cis-dis
Lydisch (tief)
c-d-es-f-g-as-b-c
Phrygisch (hoch)
h-cis-d-e-fis-g-a-h
Dorisch
a-h-c-d-e-f-g-a
(entsprechend die weiteren)
Man erkennt, dass das Dorisch mit den darüberliegenden diatonischen Tönen wieder der
Ausgangspunkt ist. Alle weiteren tonoi sind nur Transponierungen dieser Skala auf alle
anderen chromatischen Ausgangstöne.
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