WR-Skript 12

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Prof. Dr. Hans-Werner Hahn – SS 2011:
Vorlesung: Geschichte der Weimarer Republik
12. Von Brüning zu Papen
A. Das Ende der Regierung Brüning
I. Die Neuwahl des Reichspräsidenten
Trotz anfänglicher Bedenken ließ sich Paul von Hindenburg 1932 für eine zweite Amtszeit
gewinnen. Getragen wurde die Kandidatur von den Liberalen, dem Zentrum und der SPD,
aber nur noch von einem geringeren Teil jener Kräfte, die Hindenburg 1925 unterstützt hatten.
Die rechte Opposition konnte sich auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Die DNVP
schickte den Stahlhelmführer Theodor Duesterberg ins Rennen. Für die NSDAP trat Adolf
Hitler an, nachdem er kurz zuvor als Braunschweiger Regierungsrat die deutsche
Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Die KPD nominierte wie bereits 1925 ihren Vorsitzenden
Ernst Thälmann und hoffte auf breite Unterstützung aus dem Lager bisheriger
sozialdemokratischer Wähler.
Ergebnis des ersten Wahlgangs am 13. März 1932:
Hindenburg 49,6 %, Hitler 30,1 %, Thälmann 13,2 %, Duesterberg 6,8 %.
Da Hindenburg die notwendige absolute Mehrheit knapp verfehlte, kam es am 10. April zu
einem zweiten Wahlgang. Jetzt erreichte Hindenburg bei einer etwas geringeren
Wahlbeteiligung (83 statt 86 %) nunmehr 53 %; Hitler erreichte 36,8 % und Thälmann
10,2 %. Hitler hatte im Vergleich zum ersten Wahlgang zwei Mio. Wähler hinzu gewonnen
und seine größten Erfolge in den Gebieten, die 1925 mit großer Mehrheit noch Hindenburg
gewählt hatten (Ausnahme Bayern). Die Wiederwahl Hindenburgs wurde sowohl von
Brüning als auch von der SPD als großer Erfolg gefeiert. Sie schien auch dadurch die Lage zu
stabilisieren, dass sich nun die Reichsregierung und die wichtigsten Länderregierungen auf
einen härteren Kurs gegen die NSDAP verständigten. Sehr schnell sollte dann aber deutlich
werden, dass sich Hindenburg lieber von den Kräften distanzieren wollte, die seine
Wiederwahl durchgesetzt hatten.
II. SA-Verbot
Nach der Wiederwahl Hindenburgs entschloss sich Innen- und Reichswehrminister Wilhelm
Groener zu einer neuen harten Linie gegenüber den Nationalsozialisten. Hintergrund des
neuen Kurses waren zunehmende Gewaltaktionen und -drohungen der NSDAP, vor allem der
SA. Groener hatte die Einsicht gewonnen, dass sich die NSDAP nicht einfach „zähmen“ ließ
und dass der Staat zur Wahrung seiner Autorität gegen den rechten Terror entschiedener
vorgehen müsse. Schon zuvor hatten mehrere Länderregierungen (Bayern, Preußen,
Württemberg) ein härteres Vorgehen gegen die NSDAP verlangt. Am 12. April 1932 gab
Hindenburg einer Notverordnung zur Sicherung der Staatsautorität seine Zustimmung, welche
am nächsten Tag im Kabinett verabschiedet wurde. Anschließend wurde Hindenburg von der
Reichswehr und rechten Kreisen kritisiert, da die Regierung nur gegen die SA vorgehe, nicht
aber gegen Selbstschutzorganisationen der Sozialdemokratie. Innerhalb des Reichsbanners
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waren sog. Schutzformationen entstanden, die den Kern der Mitte Dezember 1931
geschaffenen Eisernen Front zur Verteidigung der Republik bildeten.
III. Die Landtagswahlen vom 24. April 1932
Wenige Tage nach dem zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl wurden in Anhalt,
Bayern, Hamburg, Preußen und Württemberg neue Landtage gewählt. Klarer Gewinner war
die NSDAP, die in Anhalt auf über 40 %, in Bayern auf 32,5 %, in Hamburg auf 31,2 % und
in Württemberg auf 26 % der Stimmen kam. Am folgenreichsten war ihr Erfolg in Preußen.
Hier erreichte die NSDAP einen Anteil von 36,3 % und war nun die mit Abstand stärkste
Kraft. SPD und bürgerliche Parteien büßten weiter ein, während die KPD in bescheidenem
Maße zulegte. Im preußischen Landtag entstand durch die Wahl eine Pattsituation, in der
weder die bisherige Koalition noch die rechten Parteien eine eigene Mehrheit besaßen. Die
Regierung Otto Braun konnte aufgrund einer vom alten Landtag verabschiedeten Änderung
der Geschäftsordnung mit relativer Mehrheit nicht abgewählt werden und blieb somit
geschäftsführend im Amt. Der diskutierten Koalition aus NSDAP und Zentrum, die
Reichskanzler Brüning nicht generell ausschließen wollte, standen zu viele Hindernisse
entgegen.
Literatur zum preußischen Landtag:
Horst MÖLLER, Parlamentarismus in Preußen: 1919-1932, Düsseldorf 1985.
IV. Annäherung zwischen Schleicher und Hitler
Bereits seit Ende April gab es geheime Sondierungen zwischen Schleicher und der NSDAP.
Hitler erfuhr, dass die Reichswehrführung nicht mehr hinter dem Kanzler stehe und Groeners
SA-Verbot für falsch halte. Schleicher wollte einen neuen Versuch zur Zähmung und
Abnutzung der NSDAP durch ihre Einbindung in die Regierungsverantwortung unternehmen.
Damit sollte ein maßgeblich von der Reichswehr getragenes, dauerhaft antiparlamentarischautoritäres Präsidialregime geschaffen werden, dem die NSDAP in einer untergeordneten
Rolle die Massenbasis sichern sollte. Eine zentrale Rolle spielten dabei zugleich die wehrund heerespolitischen Überlegungen. Die SA sollte als im nationalen Sinne „wertvolles
Element“ der NSDAP zur Landesverteidigung herangezogen werden und beim geplanten
Ausbau der Reichswehr wichtige Kader zur Verfügung stellen. Schleicher bot der NSDAP im
Falle der Unterstützung an, den Reichstag aufzulösen und das SA-Verbot aufzuheben.
Spätestens seit dem 7. Mai 1932 war auch der Reichspräsident über die neuen Ansätze
informiert. Dies war die Geschäftsgrundlage, auf der Schleicher nun mit Macht Brünings
Sturz betrieb.
V. Brünings Sturz
Seit Mitte April 1932 geriet Brüning in immer größere Schwierigkeiten. Wirtschaftsminister
Hermann Warmbold, ein Manager der I. G. Farben, verließ das Kabinett aus Protest gegen die
Deflationspolitik. Hindenburg machte Brüning seit seiner Wiederwahl dafür verantwortlich,
dass er von der falschen Seite gewählt worden war und nicht mehr die volle Unterstützung
seiner eigentlichen „Freunde“ erhielt. Groener musste wegen eines unglücklichen Auftritts im
Reichstag, bei dem er am 12. Mai 1932 das SA-Verbot zu rechtfertigen suchte, vom Amt des
Reichswehrministers zurücktreten, weil hohe Offiziere mit der Demission drohten. Hinzu
kam, dass die ostelbischen Großagrarier gegen die Agrarpolitik der Regierung Brüning Front
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machten und in dem in Ostpreußen weilenden Hindenburg einen geradezu idealen
Ansprechpartner besaßen. Hintergrund ihrer Proteste waren Pläne des Reichskommissars für
die Osthilfe, Hans Schlange-Schöningen, nicht mehr entschuldungsfähige Großgüter
zwangsversteigern zu lassen und die Osthilfe stärker auf die Stützung und Ansiedlung
bäuerlicher Betriebe zu konzentrieren. Der Vorwurf, Brüning betreibe nun eine Politik des
„Agrarbolschewismus“, war nicht der entscheidende Grund seines Sturzes. Das Vorgehen der
Gutsbesitzer zeigte jedoch, über welchen politischen Einfluss diese altpreußische Elite auch
am Ende der Weimarer Republik über den direkten Zugang zu Hindenburg noch immer
verfügte. Nachdem außenpolitische Überlegungen Hindenburg noch vom entscheidenden
Schritt abgehalten hatten, erklärte der Präsident dem Kanzler am 29. Mai 1932, dass er sich
angesichts der geringen Popularität der Regierung von ihm trennen müsse.
VI. Fazit zur Kanzlerschaft Brünings
Nach wie vor gibt es bei der Beurteilung der Kanzlerschaft Brünings unterschiedliche
Meinungen (vgl. Bracher-Conze-Kontroverse). Einig ist man sich inzwischen darin, dass es
den großen Brüning-Plan zur Überwindung der Krisen nicht gegeben hat, sondern Brüning
eher ein kurzfristiger angelegtes politisches und wirtschaftspolitisches Krisenmanagement
betrieben hat. Während die einen nach wie vor davon ausgehen, dass Brüning dabei durchaus
noch auf dem Boden des Staates von Weimar gestanden habe, betonen die anderen, wie sehr
die Regierung Brüning dazu beigetragen hat, die politischen Gewichte zu verschieben und
weiter rechts angesiedelten Lösungsversuchen – wenn auch ungewollt – den Weg erleichterte.
Negativ bewertet werden in diesem Zusammenhang vor allem der großzügige Gebrauch des
Notverordnungsrechts, der die Abwehrfront der Weimar-Parteien schwächende Umgang mit
der SPD, die mangelnde Bekämpfung der NSDAP, Brünings Bereitschaft, Hindenburgs
Devise „weiter nach rechts“ zu folgen, und der seit 1930 wachsende Einfluss der Reichswehr.
Auch in der außenpolitischen Abkehr von den Stresemannschen Prinzipien schlug sich der
begonnene Verfassungswandel nieder. Dabei kam der neue egoistischere Kurs einerseits mehr
der extremen Rechten zugute, die stets noch lauter fordern konnte, andererseits verbaute sich
Brüning damit selbst internationale Lösungen, die Deutschland möglicherweise eine raschere
wirtschaftliche Entlastung gebracht hätten.
Zur Reparationspolitik:
Philipp HEYDE, Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Young-Plan
1929-1932, Paderborn 1998.
B. Das Kabinett von Papen und der Preußenschlag vom 20. Juli 1932
Literatur:
Dirk BLASIUS, Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Göttingen 2005.
Hans-Peter EHNI, Bollwerk Preußen? Preußen-Regierung, Reich-Länder-Problem und
Sozialdemokratie 1928-1932, Bonn-Bad Godesberg 1975. (Diese in vielen WeimarDarstellungen zitierte Arbeit wurde vor vier Wochen als Plagiat entlarvt. Große Teile
sind bei Karl Dietrich Brachers Standardwerk aus den 1950er Jahren abgeschrieben,
auch die zentrale These des Buches. Von der Weimar-Forschung wurde dies aber mehr
als drei Jahrzehnte offenbar nicht bemerkt!)
Ulrike HÖRSTER-PHILIPPS, Konservative Politik in der Endphase der Weimarer Republik. Die
Regierung Franz von Papen, Köln 1982.
Joachim PETZOLD, Franz von Papen. Ein deutsches Verhängnis, München 1995.
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Hagen SCHULZE, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Eine Biographie,
Frankfurt a. M. 1977.
Gabriel SEIBERTH, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess „Preußen contra Reich“
vor dem Staatsgerichtshof, Berlin 2001.
I. Das Kabinett von Papen
Mit Franz von Papen übernahm am 1. Juni 1932 ein Mann das Kanzleramt, der in der
deutschen Öffentlichkeit bis dahin relativ wenig bekannt war. Der aus dem westfälischen
Adel stammende Papen saß in den zwanziger Jahren als Zentrumsabgeordneter im
preußischen Landtag, zählte zum rechten Parteiflügel, besaß gute Kontakte zur Industrie und
Großlandwirtschaft und war Mitglied des ultrakonservativen Herrenklubs. Papen war seit
vielen Jahren mit Schleicher befreundet, der den ehemaligen Offizier ins Kanzleramt brachte,
Papen aber innerhalb des Kabinetts die Rolle des „Hutes“ zugedacht hatte, während er selbst
als Kopf fungieren wollte. Noch vor seinem Amtsantritt war Papen aus dem Zentrum
ausgetreten, dessen Führung die neue Regierungsbildung nach dem schäbigen Umgang mit
Brüning kritisierte. Das neue Kabinett wurde als „Kabinett der Barone“ bezeichnet. Neben
einem Grafen, drei Freiherren und zwei weiteren Adligen gab es nur drei bürgerliche
Minister. Dieser aristokratische Herrenklub aus dem deutschnational-konservativen Umfeld
besaß kaum Rückhalt in der deutschen Gesellschaft und stand auch im Reichstag von Anfang
an auf verlorenem Posten.
II. Reichstagsauflösung und erste Notverordnungen
Sofort nach Amtsantritt begann Papen das umzusetzen, was Schleicher in den Wochen zuvor
mit der NSDAP ausgehandelt hatte. Die NSDAP hatte versprochen, unter bestimmten
Bedingungen eine weiter nach rechts gerückte Regierung zu unterstützen. Eine dieser
Bedingungen war die Auflösung des Reichstages. Schon am 4. Juni 1932, dem Tag der im
Rundfunk abgegebenen Regierungserklärung (!), erfolgte die Auflösung des Reichstages,
dessen Zusammensetzung nicht mehr der im Volk erkennbaren Willensbildung entspreche.
Am 14. Juni folgte eine Notverordnung, die drastische Kürzungen im sozialen Bereich
enthielt und von den Arbeitnehmerorganisationen – auch den christlichen Gewerkschaften –
als offene Kampfansage angesehen wurde. Am 16. Juni wurden trotz der Proteste zahlreicher
Länderregierungen das SA-Verbot und das Uniformverbot aufgehoben. Damit war auch
Hitlers zweite Bedingung erfüllt. Die Aufhebung des Verbotes führte sehr schnell zu einem
neuen Anschwellen politisch motivierter Gewalt, insbesondere zu wachsenden
Auseinandersetzungen zwischen NSDAP und KPD. Die neue Reichsregierung ließ die
Nationalsozialisten ungehindert agieren, während die sozialdemokratische Presse schon
wegen harmloser Karikaturen verboten wurde.
III. Preußenschlag
Die Zunahme der Gewalt kam der Reichsregierung insofern gelegen, als sie einen Grund
liefern sollte, um die letzte große sozialdemokratische Bastion des Reiches zu zerstören. Die
Führung des Reiches warf der preußischen Regierung Braun, die seit April nur noch
geschäftsführend im Amt war, jetzt vor, Ruhe und Ordnung nicht mehr aufrechterhalten und
die „kommunistische Gefahr“ nicht angemessen bekämpfen zu können. Der sog. „Altonaer
Blutsonntag“ vom 17. Juli 1932, bei dem nach Zusammenstößen zwischen Nazis und
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Kommunisten 18 Tote zu beklagen waren, gab den letzten Ausschlag zum Vorgehen gegen
die Preußenregierung. Am 20. Juli wurde die preußische Regierung durch eine Notverordnung
und Ausrufung des Ausnahmezustandes abgesetzt. Papen wurde zum Reichskommissar in
Preußen ernannt, an die Stelle der bisherigen Minister traten Reichskommissare wie der für
das Innenministerium zuständige Essener Oberbürgermeister Franz Bracht. Seine wichtigste
Maßnahme war die Ausschaltung republikanischer Kräfte der preußischen Verwaltung,
insbesondere der Zugriff der Konservativen auf die preußische Polizei.
IV. Verpasste Chance? Die Passivität der Linken nach dem Preußenschlag
Angesichts der Tragweite des Preußenschlags, der einem Staatsstreich gleichkam und Hitlers
Weg zur Macht letztlich begünstigt hat, ist immer wieder gefragt worden, warum vor allem
die Sozialdemokratie den zudem erwarteten Maßnahmen Papens nicht konsequenter
entgegentrat und vor bewaffnetem Widerstand zurückschreckte, obwohl an der Parteibasis
viele auf entsprechende Zeichen der Parteiführung warteten. Die passive Hinnahme der
Entmachtung ist von beteiligten Zeitgenossen wie von Historikern zum Teil heftig kritisiert
worden. Die neuere Forschung neigt trotz der Kritik an Versäumnissen der Sozialdemokratie
wieder stärker dazu, Verständnis für die Haltung der SPD-Führung aufzubringen, und führt
folgende Gründe an:
-
-
Fehlende Legitimation der nur noch geschäftsführenden Preußenregierung.
Ein bewaffneter Widerstand des Reichsbanners und anderer Organisationen hätte
selbst bei Unterstützung durch Teile der preußischen Polizei gegen die Reichswehr
und die Verbände der Rechten keine Chance gehabt und zu einem unkalkulierbaren
Bürgerkrieg geführt. Die Furcht vor einem Bürgerkrieg war seit 1930 in der deutschen
Gesellschaft sehr groß. Die Aufrufe der KPD zum Widerstand hatten schon deshalb
demagogischen Charakter, weil die KPD vorher alles getan hatte, um die verhasste
Regierung Braun-Severing zu demontieren und die SPD-Basis von der
„verräterischen“ Führung zu trennen.
Auch ein Generalstreik, der 1920 gegen Kapp-Putsch erfolgreich gewesen war,
erschien bei 6 Mio. Arbeitslosen und angesichts vieler NSDAP-Wähler unter den
Arbeitern wenig aussichtsreich.
Allerdings führte auch der von der SPD-Führung am Ende eingeschlagene Legalitätskurs
nicht weiter. Die von den süddeutschen Ländern unterstützte Klage beim Staatsgerichtshof in
Leipzig korrigierte zwar die Rechtsauffassung des Reiches und schränkte sein weiteres
Vorgehen ein, änderte aber nichts mehr an den faktischen Machtverhältnissen in Preußen.
C. Die Reichstagswahlen vom Juli 1932 und ihre Folgen
I. Die Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932
Der Wahlkampf ging auch in den Tagen nach dem Preußenschlag so weiter, wie er nach
Aufhebung des SA-Verbotes verlaufen war. Allein am 30. Juli verloren zehn Menschen in
Straßenkämpfen ihr Leben, am Wahlsonntag selbst waren es nochmals zwölf. Die NSDAP,
die den Straßenterror als Abwehrkampf gegen den Kommunismus rechtfertigte, betrieb im
vierten großen Wahlkampf des Jahres 1932 einen ungeheuren Propagandaaufwand (Einsatz
von Propagandafilmen, 50 000 Schallplatten mit Hitler-Reden, Deutschlandflug Hitlers mit 53
Großkundgebungen). Kernelement der Wahlwerbung war die Aussage, dass nach dem
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Versagen des bisherigen Parteienstaats die NSDAP die einzige Kraft sei, die Deutschland aus
der Krise führen könne. Der Stillstand und die Funktionsstörungen im bisherigen System
ließen nun noch mehr Teile des Bürgertums zur NSDAP umschwenken, die sich zudem als
konsequent antimarxistische Partei, als Partei des Aufbruchs aus verkrusteten Strukturen und
als kompromissloseste Kraft gegen das „Versailler Diktat“ zu empfehlen versuchte. Ein
wichtiger Faktor des Wahlkampfes waren aber auch die Fragen von Arbeitslosigkeit und
Arbeitsbeschaffung. Die Nazis zogen unter anderem mit der zugkräftigen Parole „Arbeit und
Brot“ in den Wahlkampf und warben mit dem von Gregor Strasser entwickelten
Arbeitsbeschaffungskonzept. Zwar legte auch die SPD neue Überlegungen zur
Wirtschaftspolitik vor, sie ließ sich aber als Arbeitsbeschaffungspartei im Wahlkampf von
den Nationalsozialisten überholen.
Wahlergebnis
Partei
NSDAP
SPD
Zentrum/BVP
KPD
DNVP
DVP
Staatspartei
Christlich-sozialer Volksdienst
Wirtschaftspartei
31. Juli 1932
37,3 %
21,6 %
15,7 %
14,3 %
5,9 %
1,2 %
1,0 %
1,0 %
0,4 %
14. September 1930
18,3 %
24,5 %
14,8 %
13,1 %
7,0 %
4,5 %
2,5 %
2,5 %
3,9 %
Die Wahlbeteiligung lag bei 84,1 % und war damit die höchste während der gesamten
Weimarer Republik. Trotz des gewaltigen Zuwachses bei der NSDAP deutete das Ergebnis
bei einem Vergleich mit den anderen Wahlen vom Frühjahr 1932 darauf hin, dass die NSDAP
ihr Wählerreservoir weitgehend ausgeschöpft hatte. Im neuen Reichstag entfiel mehr als die
Hälfte aller Sitze auf NSDAP und KPD. Das Parlament war damit endgültig funktionsunfähig
geworden. Papen hatte nun drei Möglichkeiten:
1. Die Kooperation mit einem Tolerierungspartner Hitler. Die Frage war nur, ob Hitler
nach seinem Wahlergebnis noch dazu bereit war.
2. Im Falle eines Scheiterns die erneute Auflösung des Reichstages und Neuwahlen,
deren Ergebnis aber nicht viel anders ausfallen würde, zumindest Papen keine Basis
verschaffen würde.
3. Staatsstreich der Reichsregierung, gestützt auf Reichswehr und Polizei, Entlassung des
Reichstages ohne Neuwahlen und Aufbau eines neuen Staates.
II. Hitlers gescheiterter Griff nach der Macht
Adolf Hitler vereinbarte nach seinem klaren Erfolg zunächst mit Schleicher, dass er selbst das
Kanzleramt übernehmen sollte. Schleicher hatte dies früher immer abgelehnt, meinte aber mit
einer Hitlers Zugriff entzogenen Reichswehr die Nationalsozialisten unter Kontrolle halten zu
können. Diese neue Spielart des Zähmungskonzeptes wurde aber von Hindenburg am
10./11. August abgelehnt, weil er den „böhmischen Gefreiten“ nicht zum Reichskanzler
ernennen wollte. Verstärkt wurde diese vorsichtige Haltung des Reichspräsidenten auch durch
eine neue NS-Terrorwelle, die nach den Wahlen einsetzte. Am 9. August 1932 wurde vom
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Kabinett eine Notverordnung gegen den politischen Terror erlassen, die Sondergerichte
einsetzte und für weitere Delikte die Todesstrafe einführte. Im Fall der wenige Tage später
zum Tode verurteilten „Potempa-Mörder“ stellte sich Hitler eindeutig hinter die belasteten
Mörder aus dem Umfeld der SA und machte noch einmal deutlich, was im Falle einer
Machtübernahme zu erwarten war. Am 13. August 1932 traf Hitler erstmals nach seinem
Wahlsieg mit Hindenburg zusammen. Hindenburg erklärte, dass er bereit sei, die NSDAP an
der Regierung zu beteiligen und Hitlers Mitarbeit willkommen sei. Hitler erwiderte, dass er an
der gegenwärtigen Regierung nicht mitarbeiten könne, sondern als Führer der stärksten
politischen Kraft nun das Kanzleramt beanspruche. Hindenburg lehnte dies unter Hinweis auf
die innenpolitische Situation, die Angriffe der NSDAP auf politische Gegner und die damit
verbundenen Wirkungen auf das Ausland ab. In der deutschen Presse erschien dann auf
Weisung Schleichers eine verschärfte Version der Hindenburgschen Absage. Der 13. August
1932 war die größte politische Niederlage, die Hitler seit Herbst 1923 erlitten hatte. Er selbst,
vor allem aber die so erwartungsvolle Umgebung waren tief enttäuscht und verunsichert.
Hitler hatte bis August 1932 Massen für seine Sache mobilisiert. Dies reichte aber nicht aus,
um in Deutschland die Macht zu übernehmen. In der NSDAP machte sich daraufhin Unruhe
bemerkbar. Die Frustration erfasste vor allem die SA, deren Mitgliederzahlen nun nach
jahrelangem Zuwachs stagnierten.
III. Neue Aktivitäten der Regierung Papen
Obwohl Papen kaum eine Chance besaß, die ersten Sitzungen des neugewählten Reichstages
ohne Misstrauensvotum zu überstehen, versuchte das Kabinett, auf verschiedenen Feldern der
Innen- und Außenpolitik seine Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Er verwies darauf,
dass es seiner Regierung gelungen war, auf der Lausanner Konferenz vom 16. Juni bis 9. Juli
1932 gegen eine Schlusszahlung von 3 Milliarden Mark (die nie gezahlt wurden) das Ende
der Reparationen erreicht zu haben. Auf der Genfer Abrüstungskonferenz wurde unter Papen
deutlicher als zuvor die Frage der militärischen Gleichberechtigung Deutschlands in den
Vordergrund der Verhandlungen gerückt. Schleicher hatte im Reichswehrministerium
weitreichende Aufrüstungspläne vorbereiten lassen, die auch die allgemeine Wehrpflicht
wieder vorsahen. Zugleich verstärkte die Regierung Papen seit August 1932 ihre Aktivitäten
auf dem Felde der Wirtschaftspolitik. Reichswirtschaftsminister Warmbold, der sich
gegenüber Brüning nicht hatte durchsetzen können, präsentierte nun Vertretern der deutschen
Unternehmer ein neues Konzept zur Ankurbelung der Wirtschaft. Die neuen Ansätze gingen
jedoch einher mit weiteren sozialpolitischen Einschränkungen, was zu heftigen Protesten der
verschiedenen Arbeitnehmervertretungen führte. Papen wurde vorgeworfen, einseitig die
Unternehmerinteressen zu berücksichtigen.
Die wirtschafts- und außenpolitischen Neuansätze brachten Papen innenpolitisch kaum
weiter. Die Aussicht auf eine Mehrheit im Reichstag war nicht gegeben. In dieser Situation
wurden verstärkt Pläne diskutiert, den gerade gewählten Reichstag sogleich wieder
aufzulösen, den Staatsnotstand auszurufen und erst einmal ohne Reichstag zu regieren. Diese
Notstandspläne wurden vor allem von Innenminister Wilhelm von Gayl befürwortet und auch
von bekannten Staatsrechtlern wie Carl Schmitt gerechtfertigt. Am Ende dieser
Notstandspläne sollte nicht die Rückkehr zur Weimarer Verfassung, sondern eine neue
autoritäre Staatsordnung stehen. Hitler versuchte auf zweierlei Weise, diese, seine eigenen
Ziele zerstörenden Pläne aufzuhalten. Zum einen drohte man mit der Stärke der eigenen
Bewegung in einem möglichen Bürgerkrieg. Zum anderen suchte man vorübergehend
Kontakt zum Zentrum, um mit einer vermeintlich parlamentarischen Mehrheitsbildung die
drohende Reichstagsauflösung aufzuschieben.
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IV. Die erneute Auflösung des Reichstages am 12. September 1932
Der am 31. Juli gewählte Reichstag trat am 30. August 1932 zu seiner konstituierenden
Sitzung zusammen. Clara Zetkin (KPD) eröffnete die erste Sitzung als Alterspräsidentin, dann
wurde Hermann Göring als Vertreter der stärksten Fraktion mit den Stimmen der NSDAP, des
Zentrums und der BVP zum Reichstagspräsidenten gewählt. Ausgerechnet Göring sprach
anschließend davon, dass der Reichstag über eine große, arbeitsfähige nationale Mehrheit
verfüge und somit in keiner Weise der Tatbestand eines staatsrechtlichen Notstandes gegeben
sei. Am 12. September folgte die zweite Sitzung, auf der Papen eine Regierungserklärung
abgeben wollte. Dazu kam es nicht mehr, da Göring nur noch über Anträge der KPD
abstimmen ließ, die unter anderem ein Misstrauensantrag gegen die Regierung Papen
eingebracht hatte. Das Abstimmungsergebnis war eindeutig. Von 560 Abgeordneten stimmten
512 für das Misstrauensvotum und nur 42 dagegen (DNVP und DVP) bei fünf Enthaltungen.
Erst nach der Abstimmung gab Göring bekannt, dass ihm Papen während der Abstimmung
die Order zur Auflösung des Reichstages überreicht habe. Innerhalb von sechs Wochen
musste nun der neue Reichstag gewählt werden. Sowohl Papen als auch die NSDAP schienen
eher geschwächt in die neue Runde zu gehen, da sich bei der NSDAP nunmehr andeutete,
dass der Höhepunkt der Mobilisierungserfolge überschritten war, während Papens Position
von der klaren Absage des Reichstages gezeichnet war. Dieses Abstimmungsergebnis
minderte nicht zuletzt auch die Bereitschaft zum Staatsstreich. Erst nach der Neuwahl des
Reichstages sollte wieder verstärkt über den Staatsnotstand und entsprechende
Regierungsmaßnahmen diskutiert werden. Papen ging allerdings mit Konzepten in den
Wahlkampf, die noch deutlicher als alles vorherige signalisierten, dass er die Weimarer
Republik für beendet ansah. Hier wurde der Grundriss des sog. „neuen Staates“ deutlich, mit
dem konservative Kreise um Papen ihren Ausweg aus der Staatskrise präsentierten
(Einschränkungen beim Wahlrecht, Stärkung der Exekutive, Abbau von Parlamentsrechten,
Schaffung einer berufsständischen Vertretung als zweite Kammer).
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