Gelbgesicht-Wellensittiche: Erklärungen zur Funktionsweise der Gelbgesicht-Gene /von Peter Bergman/ Wann ist ein Gelbgesicht kein Gelbgesicht? Über keinen Farbschlag wurde vermutlich mehr geschrieben und diskutiert als über Gelbgesicht-Wellensittiche. Die Meinungen über das Wesen der Gelbgesichter gehen auseinander und Diskussionen über die Vererbung waren zu gewissen Zeiten ziemlich angeheizt. Die vorherrschende Meinung ist heute, dass die drei Gelbgesichtvarianten zusammen mit Blau und Grün eine Reihe von Allelen bilden. Weil dieselbe genetische Infrastruktur für die Produktion von gelbem Pigment in Grünen und Gelbgesichtern genutzt werden könnte, ist diese Annahme durchaus sinnvoll. Wenn die Gelbgesicht-Gene keine Allele von Grün und Blau wären, dann wäre eine Neuentwicklung der Infrastruktur für die Produktion von gelbem Pigment in Gelbgesichtern nötig gewesen. Eine solche Entwicklung ist um einiges unwahrscheinlicher, als die Annahme, dass bereits existierende Gene durch eine Mutation verändert wurden. Nicht alle Züchter glauben, dass die Gelbgesicht Gene Allele von Blau sind. Einige Züchter behaupten, dass sie Grüne mit Blauen verpaart haben und im Nachwuchs sowohl Grüne, als auch Blaue und Gelbgesichter auftauchten. Eine unmögliche Situation, wenn diese Mutationen tatsächlich Allele sind. Es muss aber betont werden, dass die Gelbgesichter, in allen, mir bekannten Fällen, in denen in Grün x Blau Verpaarungen neben Grünen sowohl Gelbgesichter als auch Blaue im Nachwuchs auftauchten, Australische Goldgesichter waren. Diese Tatsache allein lässt die Vermutung nahe, dass die erwähnten Grünen nicht Grüne, sondern stark pigmentierte Goldgesichter waren. Vererbungsmuster Die meisten Artikel über Gelbgesichter befassen sich mit der Vererbungslehre. Genetik ist soweit gut und recht, aber sie beschreibt nur Vererbungsmuster. Um zu begreifen warum ein Gelbgesicht wie ein Gelbgesicht aussieht, muss man einen Schritt zurück machen und die Perspektive erweitern, auf die Art und Weise, wie Gene funktionieren. Die Gelbgesichtmutationen entsprechen den "Parblue" Mutationen in anderen Papageienarten. Typisch und einzigartig für den Wellensittich scheint die Tatsache, dass doppelfaktorige Gelbgesichter weniger gelbes Pigment haben, als einfaktorige Gelbgesichter. Dieser Widerspruch hat in den letzten Jahren für viel Verwirrung gesorgt, und ist die Ursache der Diskussion, ob die Gelbgesicht Allele die Produktion von gelbem Pigment ankurbeln oder hemmen. Blaue Wellensittiche tauchten um 1880 zum erstenmal auf. Es dauerte allerdings weitere Jahrzehnte, bis Blaue allgemein erhältlich waren. Die Gelbgesichter tauchten kurz nacheinander in der Mitte der Dreissigerjahre auf. Das gleichzeitige Auftauchen der Gelbgesichter lässt vermuten, dass sie lange in Spalterbigen der Grünreihe versteckt waren. Die interessanteste Gelbgesichtmutation ist die Mutation 1, denn doppelfaktorige Mutation 1 Vögel sehen aus wie gewöhnliche Blaue. Es drängt sich natürlich sofort die Frage auf, ob wir wirklich sicher sein können, dass die gewöhnlichen Blauen nicht in Wahrheit die doppelfaktorigen Mutation 1 Vögel darstellen. In diesem Gedankenexperiment wären dann die Blauen, von denen wir glauben, dass sie doppelfaktorige Mutation 1 Vögel sind, die richtigen Blauen. Meiner Meinung nach haben wir bis heute ein wichtiges Detail übersehen: Es gibt keine Regel die sagt, dass mutierte Gene in einer definierten Reihenfolge auftauchen müssen Wir glauben, dass die gewöhnlichen Blauen die richtigen Blauen sind, weil sie als "richtige Blaue" etabliert wurden. Die Gelbgesicht Mutation 1 ist später aufgetaucht. Es hätte genauso gut umgekehrt sein können. Wie können wir sicher sein, dass wir uns nicht irren, und in Tat und Wahrheit die doppelfaktorigen Mutation 1 Gelbgesichter die "richtigen Blauen" sind. Wenn ihnen das als weit hergeholt erscheint, dann sehen sie sich die Situation beim Pfirsichköpfchen genau an. Es sind zwei "Parblue" Mutationen bekannt, aber die reinen Blauen fehlen bis heute. Eine andere Sichtweise Stellen sie sich eine Welt vor, in der doppelfaktorige Mutation 1 Gelbgesichter als "richtige Blaue" zuerst etabliert worden wären. Die später aufgetauchten, aus heutiger Sicht "richtigen Blauen" wären dann logischerweise als doppelfaktorige Mutation 1 Gelbgesichter bezeichnet worden, denn sie würden mit den "richtigen Blauen" nur Mutation 1 Gelbgesichter ziehen. Unsere grünlichen einzelfaktorigen Goldgesichter würden als eine Kombination aus Goldgesicht und Mutation 1 Gelbgesicht angesehen werden. Die Kombination von Goldgesicht und Mutation1 Gelbgesicht wäre demnach ein einzelfaktoriges Goldgesicht. Das gelbe Pigment in einzelfaktorigen Goldgesichter wäre gleich verteilt, aber leicht verdünnt, im Vergleich zu den doppelfaktorigen Goldgesichtern. Goldgesichter und Gelbgesichter der Mutation 2 würden sich gleich verhalten, wie die "Parblue" Mutationen anderer Papageien. Ein einzelnes Gelbgesicht Gen produziert eine gewisse Menge von gelbem Pigment und zwei Gelbgesicht Gene produzieren einfach mehr davon. Es würde bei dieser Ausgangslage niemandem in den Sinn kommen, die Gelbgesicht Allele als Suppressor Gene zu bezeichnen. Unser Verständnis der Gelbgesichter ist durch den Zufall beeinflusst worden. Wenn zuerst die doppelfaktorigen Gelbgesichter der Mutation 1 aufgetaucht wären, dann wäre unsere Vorstellung von der Vererbung der Gelbgesichter eine ganz andere. Zum Leidwesen der Gelbgesicht Züchter ist das falsche Allel zuerst aufgetaucht. Die oben genannte Sichtweise könnte die Problematik um die Goldgesichter und die Gelbgesichter der Mutation 2 aufklären, aber es gibt nach wie vor keine Antwort auf die Frage warum doppelfaktorige Gelbgesichter der Mutation 1 blau gefärbt sind. Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, wenn man die Arbeitsweise von Genen versteht. Vielleicht haben wir aber die falsche Frage gestellt. Meiner Meinung nach haben wir bis heute ein zweites wichtiges Detail übersehen: Es gibt keine Regel die sagt, dass es nur ein Allel für Blau gibt Die Mehrheit der Züchter glaubt, dass drei Gelbgesicht Mutationen und eine Blau Mutation existieren. Wer sagt uns aber, dass es nicht zwei Gelbgesicht Mutationen und zwei Blau Mutationen gibt? Was definiert eine Farbvarietät? In doppelfaktorigen Vögeln sehen wir die Arbeitsweise der Gene in ihrer reinsten Form. Doppelfaktorige Vögel definieren die Farbvarietät. Wenn ein doppelfaktoriges Gelbgesicht der Mutation 1 Blau aussieht, dann doch nur darum, weil es ist was es ist, nämlich Blau. Es ist ein Allel für Blau und nicht ein Gelbgesicht Allel. Dies ist meine Sichtweise der Gelbgesichter und der Blauen. Für meinen eigenen Gebrauch habe ich das gewöhnliche Blau als Blaumutation 1 (*b^1 *) bezeichnet und die Gelbgesicht Mutation 1 als Blaumutation 2 (*b^2 *). Die Vögel sind die gleichen geblieben, aber ich habe meinen Blickwinkel geändert. Ich brauche jetzt nicht mehr die schwierige Frage "Warum sind doppelfaktorige Gelbgesichter der Mutation 1 blau?" zu beantworten, denn meine Frage lautet jetzt: "Wie ist es möglich, dass die Kombination von zwei verschiedene Blaumutationen ein Gelbgesicht ergibt?" Dieses Problem ist leicht lösbar, wenn man moderne Kenntnisse der Biochemie heranzieht. Um das zu verstehen, müssen wir aber zuerst begreifen, wie Gene funktionieren. Gene sind wie Bauanleitungen Gene sind nichts anderes als Bauanleitungen um Proteine (Eiweisse) herzustellen. Gene sind wie Blaupausen, nach denen die Proteine gebaut werden. Die Qualität der Vorlagen entscheidet, wie effizient die Proteine tatsächlich ihre Funktion erfüllen. Wenn sich Gene ungewöhnlich verhalten, wie in dem Fall, in dem eine Kombination von zwei Blaumutationen Gelbgesichter ergeben soll, dann müssen wir herausfinden, ob eine Erklärung auf der Ebene der Proteine (=der Genprodukte) möglich ist. Die meisten Proteine, die nach Vorlage der Gene produziert werden, sind Enzyme. Enzyme führen im Körper sehr viele biochemischen Vorgänge durch. In einem grünen Wellensittich kodiert das Gen für Grün (bezeichnet als *B*) für ein Enzym, das für die Produktion von gelbem Pigment verantwortlich ist. Das *b^1 * Allel (die Blaumutation 1) ist eine veränderte Form (Mutante) von *B* und produziert eine leicht veränderte Form des Enzyms. Dieses (*b^1 *) Enzym ist defekt und produziert keine gelbes Pigment mehr. Ein Vogel mit zwei solchen *b^1 *Genen, die für defekte Enzyme kodieren, erscheint blau. Es ist nun aber wichtig zu verstehen, dass die defekten Enzyme trotzdem gebildet werden. Die Blaumutation 2 hat kein gelbes Pigment, weil das *b^2 * Allel ähnlich wie das *b^1 * Allel, ebenfalls defekte Enzyme herstellt. Weil die *b^1 * und *b^2 * Allele verschieden sind, produzieren sie beide Enzyme, die unterschiedliche Defekte haben. * Die Blaumutante 1 hat zwei *b^1 * Allele und produziert nur (*b^1 *) Enzym; darum wird kein gelbes Pigment produziert. * Die Blaumutante 2 hat zwei *b^2 * Allele und produziert nur (*b^2 *) Enzym; darum wird kein gelbes Pigment produziert. * Gelbgesichter der Mutation 1 haben ein *b^1 * Allel und ein *b^2 * Allel; darum werden zwei Typen von defekten Enzymen produziert. Die Frage lautet nun: "Wie können zwei verschiedene defekte Enzyme zusammen trotzdem gelbes Pigment bilden"? Die Struktur von Proteinen Proteine sind Ketten aus Aminosäuren, die zu einem funktionierenden Endprodukt zusammengesetzt werden müssen. Verschiedene Enzyme haben unterschiedliche Strukturen, und sie können aus einer oder auch mehreren Teilketten zusammengesetzt sein. Wenn das Enzym, das von dieser Serie von Allelen gebildet wird, nur aus einer einzigen Kette bestehen würde, dann könnten Gelbgesichter der Mutation 1 nicht existieren. Vögel mit der genetischen Kombination *b^1 b^2 * würden wie gewöhnliche Blaue aussehen. Daraus kann man ableiten, dass das Enzym, welches für die Produktion des gelben Pigmentes zuständig ist, aus mindestens zwei Proteinketten besteht. Die folgenden Argumente unterstützen das Zweikettenmodell: * Reine Grüne *BB* produzieren (*B*/*B*) Enzyme. * Die Blaumutation 1 *b^1 b^1 * produziert (*b^1 */*b^1 *) Enzyme. * Die Blaumutation 2 *b^2 b^2 * produziert (*b^2 */*b^2 *) Enzyme. * "Gelbgesichter der Mutation 1" *b^1 b^2 * produzieren (*b^1 */*b^1 *) Enzyme und (*b^2 */*b^2 *) Enzyme. Weil aber die Proteinketten in den Zellen zufällig zusammengesetzt werden, produzieren "Gelbgesichter der Mutation 1" *b^1 b^2 * auch eine Mischform des Enzyms (*b^1 */*b^2 *). Diese Mischform allein kann gelbes Pigment produzieren. Die beiden Blau Allele tragen gleichviel zur Mischform des Enzyms bei. Die "Gelbgesicht Mutation 1" ist in Tat und Wahrheit nur ein Folge der Zusammenarbeit von zwei verschiedenen Blau Allelen. Es gibt keine "Gelbgesicht Mutation 1". Keines der beiden Blau Allele ist dominant oder rezessiv. Beide stehen auf der Hierarchiestufe *B* ? *b^g * ? *b^y2 * ? *b^1 *, *b^2 * zusammen auf der untersten Stufe. Die "Gelbgesicht Mutation 1" ist eine Kombination ähnlich wie der "Grauflügel mit voller Körperfarbe". "Der Grauflügel mit voller Körperfarbe" hat ein Grauflügel Allel und ein Hellflügel Allel. Es gibt kein Gen, das für die Farbvariante "Grauflügel mit voller Körperfarbe" kodiert. Warum nicht Cremegesicht? Hier in Australien wird der Gelbgesicht der Mutation 1 oft als Cremegesicht bezeichnet. Diese Beschreibung ist präzis und verleitet den Züchter nicht dazu zu glauben, dass vielleicht ein Gelbgesicht Gen beteiligt sein könnte. Ich werde die Bezeichnung Cremegesicht im weiteren Verlauf der Diskussion beibehalten. Cremegesichter geben uns eine Menge von Informationen, wenn wir die Botschaft zu lesen verstehen. 1. Es gibt zwei verschiedene Allele für Blau. 2. Das Enzym, das die Herstellung von gelbem Pigment regelt, besteht aus mehr als einer Proteinkette. 3. Die zwei Blaumutationen befinden sich an verschiedenen Stellen auf dem ursprünglichen Gen für Grün. Man würde sie als Homo-Allele bezeichnen. Die Begründung für den Punkt drei lautet wie folgt: Damit das Mischenzym (*b^1 */*b^2 *) funktioniert, müssen die (*b^1 *) und (*b^2 *) Proteine für einander die Fehler kompensieren. Das ist möglich, wenn der Defekt im (*b^1 *) Protein sich an einem anderen Ort befindet, als der Defekt im (*b^2 *) Protein. Das (*b^1 */*b^2 *) Mischenzym funktioniert nicht besonders gut, deshalb ist das gelbe Pigment nicht sehr intensiv. Wir sollten aber nicht vergessen, dass jedes Mischenzym nach wie vor zwei fehlerhafte Proteine enthält. Diese beiden Defekte werden an verschiedener Stelle im ursprünglichen Gen für Grün kodiert.