Theodor-Litt-Jahrbuch

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Veröffentlicht am 27.12.2000 in "Der Standard"
Großbritanniens "Lizenz zum Klonen" - ein Geschenk für Frankensteins Erben?
Überzogene Empörung
Die Entscheidung der britischen Regierung, die Reproduktion menschlicher Stammzellen zu legalisieren, sei
ethisch völlig gerechtfertigt, für Horrorvisionen bestehe keine Veranlassung, meint Herlinde Pauer-Studer. Foto:
Urban
Großbritannien hat als bislang einziges europäisches Land ein Gesetz verabschiedet, welches das Klonen
menschlicher Embryonen für therapeutische Zwecke erlaubt. Die besorgte Frage nach den möglichen
Konsequenzen der Legalisierung dieser neuen Technik ist berechtigt und notwendig. Doch die teils vom
Schauder vor einem Horrorszenario identitätsloser Menschenkopien durchdrungenen Reaktionen auf diesen
Schritt sind schlicht überzogen.
Das nun beschlossene Gesetz stellt keinerlei Überraschung dar, wenn man bedenkt, zu welchen Ergebnissen die
von der britischen Regierung in den 80er-Jahren eingesetzte Kommission zur Regelung der menschlichen
Fortpflanzungsmedizin und Embryonenforschung bereits im Jahre 1984 kam. Die von der Philosophin Mary
Warnock geleitete Kommission gab damals die Empfehlung ab, Embryonenforschung bis zum 14. Tag nach der
Befruchtung zu genehmigen - und dieser Standpunkt wurde dann auch Gesetz.
Die jetzige Erweiterung auf das Klonen von menschlichen Embryonen ist nur die logische Konsequenz der
damals bezogenen und von den Parlamentariern mehrheitlich akzeptierten Position.
Wichtig zur Beurteilung der jüngsten Gesetzgebung ist ein Blick auf die seinerzeit angeführte ethische
Rechtfertigung für die Zulässigkeit der Embryonenforschung. Die Begründung der Kommission im Jahr 1984
lautete kurz gefasst: Embryonen sind keine Personen. Sie haben keine moralischen oder gar juridischen Rechte,
da sie weder bewusstseinsfähig noch schmerzempfindlich sind. Doch aus dem bedeutsamen moralischen
Prinzip, dass Schaden für Menschen zu vermeiden und ihr Wohlergehen zu befördern ist, ergibt sich ein
gewichtiges Argument für die Zulässigkeit von Embryonenforschung. Wenn diese Forschung unter den
Bedingungen der Genehmigungspflicht und der Sinnhaftigkeit erlaubt wird, kann sie wertvollste Dienste in der
Förderung des Gemeinwohls leisten. Die britischen Gesetzgeber fanden offenbar diese Argumentation
mehrheitlich für überzeugend.
Gegen diese Rechtfertigungslinie wird zum einen vorgebracht, dass menschliche Embryonen aus moralischen
Gründen nicht für Forschungszwecke missbraucht werden dürfen, da sie potenzielle Personen seien. Zum
anderen wird kritisiert, dass diese Art des Zugriffs auf die Manipulier- und Machbarkeit des Lebens einem
"Dammbruch" aller ethischen Standards gleichkomme.
Ad 1: Das Missbrauch-Argument hat das Problem, dass "Potenzialität" ein in der Zellenentwicklung nicht klar
eingrenzbarer Begriff ist. Konkret: Auch Ei- und Samenzellen können potenziell zu Personen werden. Doch die
moralische Verpflichtung zum Schutz jeder Ei- und Samenzelle käme uns wohl aberwitzig vor.
Ad 2: Es gibt genügend Anlässe zur Sorge um den ethischen Zustand dieser Welt - warum aber ausgerechnet die
Embryonenforschung und das Klonen von Embryonen für den drohenden Verlust aller ethischen Maßstäbe
verantwortlich sein sollen, ist nüchtern betrachtet ein Rätsel.
Die britische Gesetzgebung kann sich letztlich auf eine klare und konsistente Argumentation berufen - ganz im
Gegensatz zum österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz, das zwar In-vitro-Fertilisation erlaubt und damit
die Existenz überzähliger Embryonen toleriert, gleichzeitig aber verbietet, dass Embryonen Teil einer sinnvollen
und angemessen geregelten wissenschaftlichen Forschung sind.
Herlinde Pauer-Studer lehrt Ethik und Sozialphilosophie an der Universität Wien.
/ubtest.univie.ac.at/
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