Ein Porträt des Physikers Edward Teller

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
Wissenswert
Frieden schaffen durch Atomwaffen
Ein Porträt des Physikers Edward Teller
Von Frank Grotelüschen
Dienstag, 15.01.2008, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecher: Marian Funk
Sprecher Übersetzung: Mischa Ehrhardt
08-009
COPYRIGHT:
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Atmo 1:
Sicherheitsdurchsage Flughafen San Francisco
Sprecher:
Anderthalb Fahrstunden östlich von San Francisco, zwischen flachen Hügeln am
Highway 580, liegt das Lawrence Livermore National Laboratory. Ein Riesenareal, eine
Quadratmeile groß. Will man es besuchen, verlangt die Sicherheitsabteilung Monate
vorher eine Litanei an Auskünften: Adresse, Geburtsdatum, Telefon, Reisepass, Visum.
Atmo 2:
Autotür öffnet, Autofahrt
Sprecher:
Laborgebäude, Hallen, Bürobaracken. Schließlich nähern wir uns einem Bau, der
aussieht wie der Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses: Wachtürme, Stacheldraht,
Hunde, Wachposten, die Gewehre geladen mit scharfer Munition. Das Plutoniumlabor,
sagt Hirschfeld. Hier wird Waffenplutonium untersucht: seine Eigenschaften, sein
Verhalten, seine Haltbarkeit. Das Lawrence Livermore National Laboratory ist eines der
großen Waffenlabors der USA.
O-Ton 1:
(Teller)
“Livermore unternimmt dasselbe wie das besser bekannte Laboratorium in Los Alamos.”
Sprecher:
Edward Teller. Geboren 1908, gestorben 2003.
O-Ton 2:
(Teller)
“Geheime Arbeit, wir arbeiten an den modernen Waffen.”
Sprecher:
Amerikanischer Kernphysiker. Kommunistenfeind. Antreiber des nuklearen Wettrüstens.
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O-Ton 3:
(Teller)
“Und ich muss sagen: Livermore hat einen großen Anteil daran gehabt, dass Amerika bei
den modernen Waffen an der Spitze stand und es für die Sowjets unmöglich war, uns
einzuholen.”
Sprecher:
Edward Teller hat nicht nur die Nuklearschmiede Livermore gegründet. Er gilt als der
Vater der mächtigsten Massenvernichtungswaffe aller Zeiten.
O-Ton 4:
(Teller)
“Ich habe an der Wasserstoffbombe länger und mehr gearbeitet als irgendein anderer.”
Atmo 3:
H-Bomben-Explosion
Sprecher:
Als die US-Militärs 1952 auf einer der Marshall-Inseln im Pazifik die erste
Wasserstoffbombe zündeten, war die Gemeinde der amerikanischen Physiker tief
gespalten. Manche, die Anfang der vierziger Jahre den Bau der Atombombe noch
befürwortet oder gar betrieben hatten, sahen nun in der Wasserstoffbombe eine kaum zu
beherrschende Gefahr für die Menschheit: Physiker wie Albert Einstein und Robert
Oppenheimer. Andere, allen voran Edward Teller, hielten die Wasserstoffbombe für das
einzig wirksame Mittel, sich den kommunistischen Ostblock vom Leib zu halten.
O-Ton 5:
(Teller)
“Das Einzige, was mich als Kind wirklich interessierte, war merkwürdigerweise die
Mathematik. Ich weiß, dass ich bereits mit etwa 5 Jahren, also bevor ich lesen und
schreiben konnte, da habe ich mit Zahlen gespielt – ganz dumme Spiele: Wie viel
Sekunden in einem Tag, wie viel Sekunden in einem Jahr. Aber darüber sprach ich mit
niemandem. Das war strikt privat.”
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Sprecher:
Geboren wurde Edward Teller am 15. Januar 1908 in Budapest, also in Ungarn – ein
Land, das später zum verhassten Ostblock gehören sollte. Teller war Spross einer
wohlhabenden jüdischen Familie. 1926, nach dem Abitur, verließ er Budapest – unter
anderem deshalb, weil die Universitäten in Ungarn nur eingeschränkt jüdische Studenten
zuließen. Edward Teller zog es nach Deutschland, damals das Mekka der
Naturforschung.
O-Ton 6:
(Teller)
“Zu der Zeit unter den jungen Leuten, die sich für Wissenschaft interessierten, war es die
allgemeine Entscheidung in Deutschland zu studieren oder in der Schweiz, wo also zu
der Zeit die größten Fortschritte gemacht worden sind.”
Sprecher:
Tellers erste Station in Deutschland: die Universität Karlsruhe.
O-Ton 7:
(Teller)
“Mein Hauptfach war – nach dem Rat meines Vaters – Chemie. Aber allmählich wurde
mir klar, dass die Chemie vollständig sinnlos ist ohne die physikalischen Grundlagen, die
sich damals und zu einem sehr großen Teil in Deutschland entwickelten.”
Sprecher:
Teller schwenkte um auf die Physik und wechselt erst nach München, dann nach Leipzig.
Dort promovierte er 1930 bei Werner Heisenberg, dem Begründer der Quantenphysik
und späteren Nobelpreisträger.
O-Ton 8:
(Teller)
“Dann hat sich die Atomphysik entwickelt, mit ihren wirklich aufregenden und rein
wissenschaftlichen Gedanken. Dass das Folgen haben würde, wusste ich damals
natürlich gar nicht.”
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Sprecher:
Edward Teller trat eine Stelle an der Universität Göttingen an, damals eine Hochburg der
höheren Physik. Dann aber rissen die Nazis die Macht an sich; Teller musste emigrieren.
Nach Aufenthalten in Kopenhagen und London zog er 1935 in die USA und wird ihr
Staatsbürger.
Atmo 4:
Musik
Sprecher:
Im September 1939 fällt die deutsche Wehrmacht in Polen ein: der Beginn des 2.
Weltkriegs. 1941 schließt sich Teller dem Kreis um Robert Oppenheimer an. In der
Waffenschmiede Los Alamos leitet Oppenheimer das geheimen Manhattan-Projekt. Das
Ziel: die Konstruktion einer Atombombe.
O-Ton 9:
(Teller)
“Die Frage war: Wer wird dieses Mittel zuerst finden? Wird es eine Diktatur oder eine
Demokratie? Wenn es eine Diktatur gewesen wäre, dann ist es klar, dass diese Diktatur
die Atomwaffen benützt hätte, um die Welt zu beherrschen. Dann wäre diese Diktatur
eine Weltdiktatur geworden.”
Sprecher:
Die Atombombe basiert auf der Spaltung von Uran oder Plutonium. Bei der Spaltung wird
eine beträchtliche Menge an Energie frei. Außerdem bringen die zerplatzenden
Atomkerne ihre Nachbarn dazu, ebenfalls zu platzen. Es kommt zu einer unkontrollierten,
sich aufschaukelnden Kettenreaktion – einer Atomexplosion.
Doch schon während des Manhattan-Projekts schmiedet Edward Teller den Plan für eine
noch mächtigere Bombe, die Wasserstoffbombe. Bei ihr würde die Atombombe nur als
Zünder dienen. Ein Streichholz für einen noch viel mächtigeren nuklearen Sprengsatz –
ein gewaltiges thermonukleares Feuer. Dieses Feuer würde heißer sein als das Innere
der Sonne und die Verschmelzung von Atomkernen ermöglichen. Die Sprengkraft dieser
Superbombe wäre ungleich größer als die einer Atombombe, weil in ihr
Wasserstoffkerne zu Heliumkernen verschmelzen – ein Prozess, der noch mehr Energie
freisetzt als die Spaltung von Uran. Doch Robert Oppenheimer, der Leiter des
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Manhattan-Projekts, lässt sich von Tellers Plänen nicht überzeugen. Sie verschwinden in
der Schublade – vorerst. Das Manhattan Projekt widmet sich voll und ganz der
Entwicklung der Atombombe.
Atmo 5:
Radiomeldung Hiroshima
Sprecher:
6. August 1945. Die Amerikaner werfen eine Atombombe auf Hiroshima ab. Drei Tage
später explodiert eine zweite über Nagasaki. Mehr als 100.000 Menschen sterben. Kurze
Zeit später kapituliert Japan. Der 2. Weltkrieg ist zu Ende. Doch dann, im August 1949,
zündet auch die Sowjetunion eine erste Atombombe. Edward Teller sieht die Sicherheit
der USA bedroht. Er ist ein strikter Gegner des kommunistischen Regimes, geprägt von
persönlichen Erfahrungen.
O-Ton 10:
(Teller)
“An sich war ich stark gegen Stalin aus dem Grunde, dass einer meiner besten Freunde
in den 30er Jahren ein ausgezeichneter kommunistischer Physiker war – Lev Landau.
Als der dann nach Russland zurückging, wurde er verhaftet als Spion. Das machte mir
ganz klar, dass das Wesen dieser Diktatur von Stalin war. Ich war wirklich gegen Stalin –
mehr als meine Kollegen.”
Sprecher:
Jetzt, da auch die Sowjetunion die Atombombe hat, sieht Teller die Zeit für seine
Wasserstoffbombe gekommen. Er initiiert einen groß angelegten Meinungsfeldzug.
O-Ton 11:
(Teller)
“1949, als die Sowjets ihre erste Atombombe erfolgreich ausprobiert hatten, war die
Frage: "Wollen wir nun weitergehen oder haben wir genug?" Praktisch alle Physiker, die
gefragt wurden, sagten, die Wasserstoffbombe wäre zuviel und wäre überhaupt nicht
möglich. Da war ich der einzige, der behauptete, es wäre nötig, an der
Wasserstoffbombe weiterzuarbeiten. Das gefiel meinen Kollegen nicht.”
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Sprecher:
Robert Oppenheimer, den Leiter des Manhatten-Projekts, plagen moralische Skrupel.
Teller bricht mit Oppenheimer und propagiert die Politik der nuklearen Hochrüstung.
O-Ton 12:
(Teller)
“Es war ein Standpunkt, der nicht leicht für mich selber war. Mir wäre es viel angenehmer
gewesen, mit meinen Kollegen übereinzustimmen.”
Sprecher:
Auch Albert Einstein verurteilte Tellers Pläne aufs Schärfste. In einer Ansprache auf
Englisch im US-Fernsehen wandte sich der Nobelpreisträger strikt gegen den Bau der
Superbombe.
O-Ton 13:
(Einstein)
"The hydrogen bomb appears ...
Übersetzer:
Die Wasserstoffbombe erscheint am Horizont der Öffentlichkeit als wahrscheinlich
erreichbares Ziel. Ihre beschleunigte Entwicklung wird vom Präsidenten feierlich
proklamiert. Ist sie erfolgreich, so bringt sie radioaktive Verseuchung der Atmosphäre
und damit die Vernichtung alles Lebendigen auf der Erde in den Bereich des technisch
Möglichen. Am Ende winkt immer deutlicher die allgemeine Vernichtung.
... annihilation.”
Sprecher:
Elf Jahre zuvor hatte Einstein das Atombomben-Projekt noch befürwortet - aus Angst,
die Nazis könnten die Bombe bauen und dadurch den Krieg gewinnen. Doch die
Wasserstoffbombe mit ihrer noch einmal tausendfach höheren Sprengkraft hielt Einstein
für unverantwortlich.
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O-Ton 14:
(Einstein)
"The idea of achieving security ...
Übersetzer:
Der Glaube, man könne Sicherheit durch nationale Bewaffnung erlangen, ist beim
gegenwärtigen Stand der militärischen Technik eine verhängnisvolle Illusion. Das
ursprünglich nur als Vorbeugung gedachte Wettrüsten zwischen den Vereinigten
Staaten und der UdSSR nimmt einen hysterischen Charakter an.
... hysterical character.”
Sprecher:
Einsteins Mahnungen waren vergebens. Edward Teller setzte sich als offizieller
Präsidentenberater mit seinem Meinungsfeldzug durch. Anfang 1950 verkündete
Präsident Harry Truman den Beginn des Wasserstoffbomben-Programms. Bereits ein
Jahr später, im Mai 1951, gelang es den Amerikanern, Wasserstoff in größerem
Maßstab zu Helium zu verschmelzen. Dann, am 1. November 1952, explodierte auf der
Marshall-Insel Elugelab die erste Wasserstoffbombe, von den US-Militärs verniedlichend
“Mike” genannt.
Atmo 6:
H-Bomben-Explosion
Sprecher:
Die Detonation 60 Tonnen schweren Bombe versenkte die Insel im Meer und riss einen
Krater ins Riff, 800 Meter tief und drei Kilometer groß.
O-Ton 15:
(Teller)
“Ohne meine positiven Aussagen wäre die Wasserstoffbombe in Amerika nicht zustande
gekommen. Und ohne die Bombe hätte die Sowjetunion die Übermacht an sich gerissen,
die vielleicht die Geschichte völlig geändert hätte.”
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Sprecher:
In der Tat: Die Amerikaner hatten einen Rüstungsvorsprung gewonnen. Nur sollte dieser
Vorsprung nicht lange halten. Schon im August 1953 brachte die UdSSR eine
Atombombe mit einem kleinen Zusatz von Wasserstoff zur Explosion. Die erste richtige
Wasserstoffbombe der Sowjets wurde am 23. November 1955 aus einem Flugzeug
abgeworfen und gezündet. Das atomare Patt zwischen den Supermächten war wieder
hergestellt.
Getrieben von seiner Abneigung gegen das Sowjetregime widmete sich Edward Teller
auch später der Waffenforschung. Er gründet das Lawrence Livermore National
Laboratory in Kalifornien und wurde dessen Direktor. Und in den 80er Jahren versuchte
er unter Präsident Ronald Reagan, das Raketenabwehrsystem SDI aufzubauen. SDI
wurde zum Fehlschlag. Es entpuppte sich als zu teuer und technisch nicht machbar.
Dann, Anfang der 90er Jahre, brach die Sowjetunion auseinander. Teller reagierte mit
großer Genugtuung.
O-Ton 16:
(Teller)
“Ich hoffte, dass der Kommunismus sich nicht halten konnte. Dass die russische
Bevölkerung die Sowjets los geworden ist – ist das Glück? Ist das eine Folge der
erfolgreichen amerikanischen Waffen? Was es immer war – ich glaube, es war ein
großes Ereignis. Es war ein großes Glück für die Welt.”
Sprecher:
Seine letzten Jahre verbrachte der Physiker auf dem Gelände der kalifornischen
Stanford-Universität. Obwohl fast blind und im Rollstuhl sitzend, beriet er dort andere
Forscher bei ihren Projekten. Am 9. September 2003 starb Edward Teller im Alter von 95
Jahren. Als Friedensengel wird man ihn nicht in Erinnerung behalten.
O-Ton 17:
(Teller)
“Die Wasserstoffbombe war eine Notwendigkeit.”
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