Die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger wird nach dem

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Materialien zur Kooperation Nr. 27
Null Bock auf Schule
Schulverweigerung - Handlungsansätze und möglichkeiten
Dokumentation einer Fachtagung
der Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften
an der Carl von Ossietzky Universität
am 6. November 2003 in Oldenburg
Kooperationsstelle
Hochschule – Gewerkschaften an der
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,
GEW-Bezirksverband Weser-Ems,
Stadtelternrat Oldenburg
Herausgeber:
Kooperationsstelle
Hochschule - Gewerkschaften an der
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
und
GEW-Bezirksverband Weser-Ems
Zusammenstellung und
Redaktion:
Benjamin Ulrich
Druck
Druckzentrum der Universität Oldenburg
Januar 2004
Anschrift:
Kooperationsstelle
Hochschule - Gewerkschaften an der
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Postfach 2503
26111 Oldenburg
Telefon:
0441 / 798-2909/2910
Fax:
0441 / 798-192909
e-mail: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort
Harald Büsing
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Grußwort von Thomas Pauling (Stadtelternrat)
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Dr. Heiner Ricking (C.v.O. Universität)
Schulverweigerung - Bedeutung, Prävention, Handlungsmöglichkeiten.
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Klaus Kieckbusch (Stadt Oldenburg)
Schulverweigerung im Blick der Jugendsozialarbeit
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Heiko Setje-Eilers (Stadt Oldenburg)
Schulverweigerung – Angebote des Stadtschulamtes
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Rudolf Riesmeier (Beauftragter für Jugendsachen, Polizei Oldenburg)
Schulverweigerer - Aufgaben für die Polizei
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Andrea Michel (Deutsches Jugendinstitut München)
Praxisbeispiele in der Prävention von und Auseinandersetzung
mit Schulverweigerung
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Dokumentation:
Vortragsfolien von Bernd Strauch (Justizministerium des Landes Niedersachsen):
Das Projekt 'Schuleschwänzen' Niedersächsischer Präventionsrat
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Null Bock auf Schule
Vorwort
Schulverweigerung - Modethema oder neue Herausforderung? Diese Frage stellt
sich angesichts vermehrter öffentlicher Aufmerksamkeit gegenüber dem Problem der
Schulverweigerung.
Nach wie vor ist die tatsächliche Dimension dieses Konfliktfeldes nicht einschätzbar,
so dass primär aus einem persönlichen Blickwinkel beurteilt werden kann, wie sich
die Tendenz zur Schulverweigerung entwickelt.
In der Auseinandersetzung mit dem Thema gibt es unterschiedliche Perspektiven,
Bewertungs- und Lösungsansätze. Einseitige Schuldzuweisungen (z. B. an die Schüler, die Eltern oder die Lehrkräfte) bieten allerdings nur wenig Veränderungsperspektiven. Notwendig sind konzertierte Projekte, in denen unterschiedliche Veränderungsansätze und -perspektiven angemessene Berücksichtigung finden.
Aus der Sicht der GEW Oldenburg, des Oldenburger Stadtelternrates und der Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften kommt dem Thema Schulverweigerung ein solcher Stellenwert zu, dass es notwendig erschien, eine Tagung zur Information und zur Schaffung von Austauschmöglichkeiten über Erfahrungen damit, die
an anderen Orten gemacht werden, stattfinden zu lassen. Ziel der Tagung war es,
einen Überblick über die aktuelle pädagogisch-wissenschaftliche Einschätzung und
über Veränderungsinitiativen und konkrete Projekte im Zusammenhang mit diesem
Konfliktfeld zu vermitteln.
Einen grundsätzlichen Überblick über das Themenfeld bietet Dr. Heiner Ricking, der
sich im Fach Sonderpädagogik seit längerer Zeit speziell mit dem Thema Schulverweigerung beschäftigt und insbesondere den Blickwinkel der Jugendlichen hervorhebt.
Das Pilotprojekt 'Schuleschwänzen', das u.a. seit August 2002 in der Stadt Delmenhorst und im Landkreis Friesland umgesetzt wird, wird von Herrn Strauch vorgestellt.
Dieses Projekt liegt in der Verantwortung vom Landespräventionsrat Niedersachsen
im Auftrag der Niedersächsischen Landesregierung .
Die Situation in Oldenburg wird aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Jugendsozialarbeit (Herr Kieckbusch, Stadt Oldenburg), dem Schulamt (Herr Setje-Eilers,
Stadt Oldenburg) und der Polizei (Herr Riesmeier, Polizei Oldenburg) dargestellt.
Konkrete Projekte bzw. Projektideen zum Umgang mit Schulverweigerung präsentiert
Andrea Michel, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Jugendinstitut, Mün5
Null Bock auf Schule
chen. Das vom DJI verantwortete Netzwerk 'Prävention von Schulmüdigkeit und
Schulverweigerung' soll konkrete Handlungsmöglichkeiten für den Themenzusammenhang erfassen und positive Ansätze verbreiten.
Neben der Information über verschiedene Handlungsansätze zur Auseinandersetzung mit dem Thema und einem Überblick über die wissenschaftliche Bewertung
sollte die Tagung Anregungen für konkrete Projekte zur Auseinandersetzung mit
dem Phänomen der Schulverweigerung geben. Die Kooperationsstelle HochschuleGewerkschaften bietet den regionalen Akteuren in diesem Themenfeld an, dass auf
einer weiteren Tagung ein Austausch über die Projekterfahrungen erfolgen kann. Zur
Realisierung dieses Angebotes sollten Anregungen an die Kooperationsstelle gegeben werden.
Für die Kooperationsstelle Hochschule-Gewerkschaften
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Harald Büsing
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Null Bock auf Schule
Grußwort des Stadtelternrates
von Thomas Pauling
Der Stadtelternrat der Stadt Oldenburg ist Mitveranstalter der heutigen Tagung zu
der Problematik der Schulverweigerung. Daher darf ich Sie als Stadtschulelternratsvorsitzender recht herzlich begrüßen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich eingangs zunächst darauf hinweisen, dass Frau
Lorna Sachal maßgeblich für den Stadtelternrat an der Gestaltung dieser Veranstaltung mitgewirkt hat und möchte mich herzlich bei Frau Sachal, die heute hier ebenfalls anwesend ist, für Ihr Engagement bedanken.
Mein Dank gilt auch ihrem langjährigen Engagement in der Elternarbeit, wobei sie
schließlich auch im Landeselternrat die Belange der Oldenburger Elternschaft vertreten hat.
Als Stadtelternratsvorsitzender war ich vor einiger Zeit mit dem Thema Absentismus
dadurch in Berührung gekommen, dass von Seiten der Stadtverwaltung, insbesondere des Fachdienstes Schule hierzu ein Arbeitskreis unter Beteiligung der Polizei,
BGS, Lehrerschaft, Elternschaft, Jugendamt, Psychologen usw. eingesetzt wurde.
Aufgrund dieser dankenswerten Initiative der Verwaltung konnte nach den Sommerferien dieses Jahres dem Schulausschuss Leitlinien zum Umgang mit Schulschwänzern vorgelegt und dort angenommen werden. Zwar wurde in der entsprechenden
Ausschussberatung Kritik über Umfang, Inhalt und Verbindlichkeit geäußert. Demgegenüber ist aber entscheidend, dass durch die angestoßene Diskussion und den
Erlass der Handlungsempfehlungen durch den Schulausschuss diese Problematik in
das Blickfeld des öffentlichen Bewusstseins gebracht und damit auch eine konkrete
Auseinandersetzung hiermit in Gang gesetzt wurde.
Dementsprechend wurde auch im Schulausschuss beschossen, dass nach Ablauf
eines halben Jahres die Auswirkungen der Handlungsempfehlungen überprüft werden sollen und die Arbeitsgruppe über weitere Schritte beraten soll. In diesem Zusammenhang fügt sich passend die heute stattfindende Tagung zu diesem Thema
ein. Wir dürfen uns weitere und neue Erkenntnisse und Handlungsanstöße erhoffen,
welche die Auseinandersetzung um die Schulschwänzerproblematik auf der ganze
Bandbreite seiner Einzelprobleme vorantreibt.
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Null Bock auf Schule
Das angesprochene Thema verdienet es aber auch, im Interesse der betroffenen
Schüler und Eltern, mit der ihm gerecht werdenden Ernsthaftigkeit diskutiert zu werden.
Es ist für die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung eher abträglich, wenn in tagespolitischer Kurzatmigkeit Spekulationen angestellt werden. Weder kann man ernsthaft annehmen, das die Schulschwänzerproblematik durch elektronische Fesseln zur
täglichen Überwachung noch Sanktionen über die Kürzung des Kindergeldes geeignete Problemlösungsansätze bieten.
Ich selbst wurde mit der Schulschwänzerproblematik durch den zuvor bereits erwähnten Arbeitskreis „Absentismus“ konfrontiert. Dabei erschien mir dieser Begriff
zunächst einmal etwas geschraubt und überhoben zu sein. nach weiterer Auseinandersetzung mit der vorliegendenden Materie habe ich jedoch für mich erkannt, dass
dieser Begriff sich als durchaus passendes Schlüsselwort erweist. Es zeigt sich nämlich, dass es hier nicht nur um Schüler geht, die scheinbar nur keine Lust haben, in
den Unterricht zu gehen. Es geht nicht nur um ein „Null-Bock-Phänomen.“ bei näherem Hinsehen zeigt sich vielmehr eine Vielschichtigkeit und weitläufige Verknüpfung
unterschiedlicher Problembereiche und beteiligter Personen wie Kinder, Eltern und
Lehrer. Absentismus ist auf seine Art die zutreffende Beschreibung eines Symtoms,
das direkt auf die zentralen Problemfelder in Schule und Familie hindeutet.
So wie die Tiere dem Tierarzt nichts über ihre Krankheit mitteilen können, sondern
erst eine Untersuchung zu einer Diagnose führen kann, so sagt uns selten ein
schwänzender Schüler etwas über seine Beweggründe. Allein aus seinem Fehlen im
Unterricht erfahren wir noch nichts über seine eventuellen Nöte mit dem Lehrer oder
im Elternhaus und was immer ihn davon abhält, in die Schule zu gehen.
Mit Sicherheit sind hier und insbesondere in den Familien die meisten Probleme zu
suchen. Das zeigt auch deutlich der im Spätsommer erschienene Bericht zur Lage
der Familien im Jugendhilfeausschuss, wonach die Zahl der Problemfamilien merklich und unaufhaltsam ansteigt. Der Absentismus zwingt daher zu einer offensiven
Auseinandersetzung mit der Familiensituation im Allgemeinen und in Problemfamilien, um die Ursache des Absentismus zutreffend zu erfassen. Aufbauend auf den
entsprechenden Erkenntnissen ist es unsere Aufgabe, gerade und auch durch geeignete Prävention die Schulschwänzerei einzudämmen.
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Null Bock auf Schule
Eine frühzeitige Intervention durch Prävention ist wichtig, um Weiterungen einer
Fehlentwicklung eines Jugendlichen, deren Ausdruck das Schulschwänzen sein
kann, abzublocken. Sonst wird sich ohne Ende fortsetzen, was in der jugendgerichtliche Praxis sich immer wieder als typisch bei verunglückten Lebensläufen erweist :
Mangelnde Sozialisationsmöglichkeiten aufgrund fehlender Schulabschlüsse und
diese wieder in der Häufigkeit als Folge zu großer Unterrichtsversäumnisse.
Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich Präventionsarbeit aber auch als ein taugliches Mittel, um soziale Folgekosten aus persönlichen und familiären Fehlentwicklungen Jugendlicher in akzeptablen Grenzen zu halten. Dabei verbietet es sich auch
aus diesem Feld nach dem Motto zu verfahren : „Wasch mir den Pelz aber mache
mich nicht nass.“
Wirksame Prävention hat sowohl bei allem freiwilligen Einsatz beteiligter Personen
und Gruppen als auch ehrenamtlicher Tätigkeit ihren Preis.
Ich erlaube mir daher an diesem Ort die Forderung nach Aufstockung der Planstellen
in der/den Familienberatungsstelle(n) zu erheben. Denn dort ist der Ort, an dem
nach allem Gesagten im Falle eines festgestellten andauernden Fernbleibens vom
Unterricht sowohl für den Schüler, als auch insbesondere seine Familie, eine professionelle Hilfe zu erwarten und notwendig ist.
Im Übrigen bleibt zu hoffen, dass unabhängig hiervon die heutige Tagung Denkanstöße für kostenneutrale Präventionsprojekte gibt.
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Null Bock auf Schule
Dr. Heinrich Ricking / C.v.O. - Universität Oldenburg
Pädagogische Alternativen bei Schulabsentismus
1. Problemstellung
Das Problem dauerhafter Schulversäumnisse von Schülerinnen und Schülern hat in
den vergangenen Jahrzehnten in unterschiedlichem Ausmaß Aufmerksamkeit im
Bereich pädagogisch-psychologischer, medizinischer oder soziologischer Forschung
auf sich gezogen. Während Beiträge aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie hinsichtlich der Teilproblematik angstinduzierter Schulverweigerung in der fachlichen Diskussion lange die wesentlichen Akzente setzten, sind derzeit Fortschritte v.a. aus der
Sonder- und Sozialpädagogik zu vernehmen, die an verschiedenen Studienstätten
(u.a. Hamburg, Bremen, Köln, Leipzig, Halle, Oldenburg) daran arbeiten, die Frage
illegitimer Schulversäumnisse intensiv zu klären und den Praktikern effiziente Strategien und Maßnahmen anzubieten (z.B. Thimm 2000, Warzecha 2001, Schulze 2003,
Ricking 2003a). Ein Anschwellen der Fachliteratur, die steigende Zahl von Fortbildungen und Tagungen sowie Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln zu diesem Themenkomplex seit Mitte der 90er Jahre, aber auch die geschäftige Aktivität in den Kultusministerien, die allerorts Empfehlungen und Erlasse diesbezüglich herausgeben,
sind weitere deutliche Indikatoren dafür, dass hierzulande das praktische Problem im
Bereich der Lehre und Forschung aufgegriffen, aufgearbeitet und aktualisiert wird.
Die Spuren, die diese positive Entwicklung in der schulpädagogischen Landschaft
hinterlässt müssen allerdings kritisch betrachtet werden:
In vielen Schulen dominiert immer noch eine rechtliche Interpretation und Einordnung von schulischem Absentismus. Entsprechend werden Schulpflichtverletzungen
durch gesetzlichen Schulzwang geahndet. Der pädagogische Sinn des Bußgeldverfahrens und der Zwangszuführung sowie deren Effektivität sind unter den jetzigen
Bedingungen aufgrund langen Verfahrens, des problemunspezifischen Einsatzes,
der häufig fehlenden erzieherischen Wirkung und der unerwünschten Nebeneffekte
fragwürdig.
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Null Bock auf Schule
Meiner Überzeugung nach erfüllen die rehabilitativ ausgerichteten Maßnahmen in
Verweigererprojekten eine wichtige Aufgabe, sie sollten jedoch (insbesondere, wenn
es sich um segregierende Formen handelt) erst dann implementiert bzw. in Anspruch genommen werden, wenn Prävention und Intervention ausgeschöpft sind und
keine Hilfe mehr bieten können. Insofern ist die gegenwärtige Entwicklung kritisch zu
hinterfragen: Einerseits sprießen „Verweigerprojekte“ allerorts wie Pilze aus dem Boden, andererseits passiert noch zu wenig hinsichtlich des pädagogischen Umgangs
mit Schulabsentismus in den Schulen.
Die Erkenntnis, dass Schulen durch ihr konzeptionelles Arrangement und den Umgang mit der An- und Abwesenheit deutlichen Einfluss haben auf das Schulbesuchsverhalten ihrer Schüler, bildet eine zentrale Voraussetzung für die Möglichkeit pädagogischer Prävention und Intervention auf der Ebene des Problembewusstseins.
Auch wenn es immer Schüler geben wird, die der Schule völlig entkoppelt sind, nicht
erreicht werden können und spezielle Hilfen benötigen, ist das Eingreifen in jedem
Einzelfall pädagogisch notwendig, denn die Folgen dauerhaften Fehlens sind immens und tiefgreifend: Schulversagen, geringe Ausbildungschancen, spätere Arbeitslosigkeit, gesundheitliche und psychische Probleme, Abhängigkeit vom sozialen
Netz und deviante Karrieren.
2. Begriffs- und Gegenstandsverständnis
Schulabsentismus ist nicht als homogenes Verhaltensmuster zu verstehen. Es bildet
die Ausdrucksform und Folge ganz unterschiedlicher Problemkonstellationen zwischen Umfeld und innerem System des Schülers. Zentraler Bezugspunkt ist die
Schulpflicht, die als Zwangsnorm eine unbedingte Verhaltensaufforderung für Schüler beinhaltet, von der in der Praxis nur Krankheit oder begründete Beurlaubungen
entbinden. Häufig auftretende Verhaltensmerkmale und empirisch belegte Bedingungsfaktoren wurden in drei klassifikatorische Einheiten, das Schulschwänzen, die
Schulverweigerung und das Zurückhalten untergliedert, die neben den gesetzlich
erlaubten Fehlzeiten Schulabsentismus konstituieren. Folgende Kapitel beschreiben
die Absentismusformen unter besonderer Berücksichtigung der assoziierten Risikofaktoren.
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Null Bock auf Schule
Der Begriff des Schulschwänzens umfasst diejenigen illegitimen Schulversäumnisse,
die auf Initiative des Schülers zurückgehen, von denen die Erziehungsberechtigten
häufig keine Kenntnis haben und bei denen die Schüler während des Vormittags einer angenehmeren Aktivität im außerhäuslichen Bereich nachgehen (Preuß 1978).
Bei dauerhaften Schulschwänzern sind im Primärmilieu Entwicklungsrisiken erzieherischer, finanzieller und gesundheitlicher Art evident, die mitverantwortlich dafür gemacht werden können, dass einerseits die Kinder bei Schuleintritt nicht über die von
der Schule erwarteten Lern- und Verhaltensvoraussetzungen verfügen, andererseits
die nötige Beaufsichtigung und Kontrolle, aber auch Hilfe und Unterstützung bei
schulischen Aufgaben und Schwierigkeiten von den Erziehungsberechtigten nicht
oder nur unzureichend geleistet wird (Reid 1985).
Schulschwänzen nimmt mit ansteigendem Alter zu und erreicht in der Sekundarstufe
die höchsten Werte (Prichard et al. 1992). Als besonders problematisch wird ein frühes Auftreten in der Grundschulzeit gewertet, das späteren Absentismus vorzeichnet
und in enger Verbindung mit gravierenden schulischen Lern- und Verhaltensschwierigkeiten steht. Delinquentes Verhalten, Drogenkonsum, aggressives Verhalten sowie ein problematisches Selbstkonzept sind als Begleiter dieses Verhaltensmusters
häufiger als bei regelmäßigen Schulgängern anzutreffen.
Betroffene Schülerinnen und Schüler sind in ihrer Schulkarriere oftmals schulischen
Versagenserlebnissen ausgesetzt, die sich in schlechten Noten und Klassenwiederholungen artikulieren (Galloway 1985). Sie haben häufig ungünstige Modelle, eine
problemreiche Lerngeschichte und können nötige soziale Fertigkeiten nicht entwickeln. Schulunlust und Schulverdrossenheit bauen sich vor diesem Hintergrund in
der Schullaufbahn sukzessive auf und außerschulische Reize gewinnen zunehmend
an Bedeutung. So geben die Schüler als Gründe für ihr Verhalten an, Probleme mit
Lehrern, schlechte Noten oder eine Abneigung gegen die Schule zu haben, durch
Straf- oder Ordnungsmaßnahmen ungerecht behandelt worden zu sein oder mit
Freunden zusammen sein zu wollen, die die Schule auch nicht besuchen (Thimm
2000). Schüler, die kaum mehr in der Lage sind, dem schulischen Geschehen Sinn
abzugewinnen, suchen Wege, die täglich auftretenden Belastungsmomente kurzfristig auszuschalten und unwirksam zu machen. Sie finden im Schulschwänzen ein
probates Mittel. Von Lehrkräften wird leicht übersehen, dass das Fernbleiben des
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Null Bock auf Schule
Schülers, subjektiv und situativ betrachtet, eine sinnvolle, angstreduzierende und
lohnende Verhaltensweise darstellt.
Schulverweigernde Kinder und Jugendliche haben immense Schwierigkeiten, den
Unterricht zu besuchen oder sich auch nur räumlich der Schule zu nähern, so dass
Fehlzeiten sich auf Monate und Jahre summieren können. Schulverweigerung wird
als internalisierende, emotionale Störungsform klassifiziert.
Der Begriff umfasst die Teilaspekte Trennungsangst sowie konkrete Furcht vor Bedrohungsmomenten in der Schule, bei denen Bedrohungsreize von Mitschülern wie
auch Lehrern ausgehen können oder soziale sowie leistungsthematische Situationen
betreffen (vgl. Blagg 1987). Schüler verweigern die Schule, weil sie z.B. erpresst,
bedroht oder verprügelt werden, was im anglo-amerikanischen Sprachraum unter
„bullying“ und „mobbing“ vielfach untersucht wurde und im Zusammenhang mit Jugendgewalt zu sehen ist (vgl. Thimm 2000). Nielsen & Gerber (1979) klassifizieren in
ihrer Stichprobe von 37 Absentisten, 11 als Schulverweigerer aus Angst vor Mitschülern. Reid (1983) stellt heraus, dass 19% der Schüler seiner Stichprobe aus Schulabsentisten den Schulbesuch abbrachen, weil sie sich von Mitschülern unter Druck
gesetzt sahen oder sich bedroht fühlten.
Im Modell der Trennungsangst – hier findet der Begriff Schulphobie bei medizinisch
orientierten Autoren oftmals Verwendung - wird in der Angst des Kindes, durch den
Schulbesuch von der Mutter getrennt zu werden, die eigentliche Ursache für die
Schulverweigerung gesehen, wobei die massive Furcht des Kindes, der Mutter könnte während ihrer Abwesenheit etwas zustoßen, als zentrales Motiv fungiert (Lüders &
Romer 2000). Typisch ist hierbei das Offenkundigwerden der gestörten Autonomieentwicklung in der Zeit des Schuleintritts, der ersten unabweisbaren Separierung von
Kind und Mutter, wenn nicht schon im Kindergarten derartige Probleme auftraten
(Atkinson et al. 1985).
Als zentrale Kennzeichen der Schulverweigerung können die zwanghafte Unfähigkeit
zum Schulbesuch, das Verbleiben in der elterlichen Wohnung und schwere emotionale Ausbrüche bei anstehendem Schulgang betrachtet werden (vgl. Ricking 2003).
Im Gegensatz zu Schulschwänzern suchen Schulverweigerer somit keine außerschulische Zerstreuung, sondern möchten in der Sicherheit des Heimes bei ihren
Eltern bleiben. Versuchen diese den Schulbesuch durchzusetzen, reagiert das Kind
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Null Bock auf Schule
mit Panikanfällen und Schreikrämpfen, die sich weniger auf den Schulbesuch als auf
das Verlassen des Hauses beziehen.
Die Schüler zeigen Rückzugsverhalten, vermeiden soziale Situationen und wirken
gehemmt. Häufig wird die gesamte Welt außerhalb der Familie als bedrohlich eingeschätzt, was Passivität und Rückzug als vorstechende Verhaltensmerkmale erklärt.
Oftmals wird die Schulverweigerung von affektiven Auffälligkeiten wie Essstörungen,
Zurückgezogenheit und depressiver Stimmung, aber stetig von Klagen des Kindes
über körperliche Beschwerden begleitet, die während der Ferien, am Wochenende
oder auch dann völlig verschwinden können, wenn die Trennungssituation nicht
mehr akut ist (vgl. Nitzschmann 2000). Die Schüler somatisieren emotionale Probleme und klagen über Schmerzen und Krankheitssymptome (u.a. Kopf- und Bauchschmerzen, Schlafstörungen) für die sich häufig keine organischen Gründe finden
lassen. Insbesondere ältere Verweigerer klagen lediglich über körperliche Symptome
(vgl. Schlung 1987).
Obwohl in der einschlägigen Literatur marginalisiert, ist die Kategorie des Zurückhaltens von Schulpflichtigen von der Schule durch Eltern oder Ausbilder für die schulische Praxis von größerer Bedeutung, da die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die
auf diese Weise um Bildungschancen gebracht werden nicht unerheblich ist. Autoren
wie Galloway (1982) gehen davon aus, dass die meisten unentschuldigten Schulversäumnisse mit Einverständnis oder Duldung der Erziehungsberechtigten geschehen.
Die Initiative für die Versäumnisse geht dabei von den Erwachsenen aus oder wird
durch ein heimliches Einverständnis zwischen Schüler und Eltern(-teil) bewirkt. Als
allgemeine kausale Einflussgrößen werden im Rahmen einer problematischen Einstellung zur Schule Gleichgültigkeit, Desinteresse oder Aversionen der Erziehungsberechtigten verantwortlich gemacht, die konkreten Verursachungsmomente zeigen
hingegen diverse Eigenarten und Prägungen, die das Zurückhalten als lose Sammelkategorie bekunden. Sie beinhaltet auch Mischformen, bei denen Erziehungsberechtigte die Schulverweigerung oder das Schulschwänzen des Kindes oder Jugendlichen begünstigen oder unterstützen.
Erziehungsberechtigte sorgen sich nicht um den Schulbesuch, da eigene Probleme
nicht bewältigt werden und sie selbst z.B. durch Abhängigkeit von Drogen oder psychische Krankheit in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Daneben sind aber auch
völlig anders gelagerte Fälle bekannt, in denen das Zurückhalten von den Eltern da14
Null Bock auf Schule
mit begründet wird, die Schule sei eine pathogene Institution, die das Kind krank
mache und ihm nicht zuzumuten sei. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die
Eltern auf der Basis einer schulkritischen Einstellung die angstbedingte Weigerung
des Kindes zum Schulbesuch, somit eigentlich Schulverweigerung, allein auf schulische Missstände zurückführen und es zurückhalten (Ricking 2003).
Auch kulturelle Divergenzen können dazu führen, dass Schüler der Schule entzogen
werden. So wird mitunter von Mädchen, die im islamischen Rollenverständnis aufwachsen, von Elternseite verlangt, in den Morgenstunden haushälterische Aufgaben
zu übernehmen oder die jüngeren Geschwister zu beaufsichtigen. Fehlzeiten durch
Zurückhalten sind auch als mögliche Anzeichen von Kindesmissbrauch zu beachten.
Den Opfern wird verboten, die Wohnung zu verlassen, um Verletzungen zu verheimlichen oder entlarvende Aussagen zu verhindern (Schulze & Wittrock 2000).
Folgendes diagnostisches Raster kann im Einzelfall zu einer verbesserten Einschätzung der Situation verhelfen. Erstes Kennzeichen ist der Aufenthaltsort am Vormittag. Schulschwänzer halten sich i.d.R. gut erkennbar außerhäuslich auf, während bei
Schülern, die den Vormittag zu Hause verbringen, auf Hinweise geachtet werden
sollte, die auf ein Zurückhalten hindeuten. Fehlen solche ebenso wie dissoziale Verhaltensmerkmale, steigt die Wahrscheinlichkeit angstbedingter Verweigerung.
Tab. 1: Formen von Schulabsentismus
Schulschwänzen
Sind die Ver- Nein, ggf. fingierte
säumnisse
Entschuldigungen
entschuldigt?
Wissen die
Eltern vom
Absentismus?
Aufenthaltsort des Schülers?
Welche Begleit- und
Bedingungsfaktoren liegen vor?
Häufig nicht
Schulverweigerung
Ja, häufig extrem
lange Fehlzeiten
aufgrund Bagatellkrankheiten
Ja, aber missbilligen
die Versäumnisse
Zurückhalten
Häufig ja, Eltern decken Fehlzeiten mit
Entschuldigungen
Ja, sie unterstützen
oder dulden die
Fehlzeiten
Außerhäuslich, mit
Mitschülern
Zu Hause, häufig mit i.d.R. zu Hause
Elternteil
Überdurchschnittlich
häufig Schulversagen, Delinquenz,
Disziplinprobleme
und Drogenmissbrauch
Trennungsangst,
Furcht vor Lehrern,
Mitschülern oder
Leistungssituationen, mittlere bis gute
Schulleistungen
Desinteresse oder
Aversion der Eltern
gegen die Schule;
kulturelle Unterschiede,
Kindesmissbrauch,
Krankheit der Eltern
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Null Bock auf Schule
Welcher Erziehungsstil
wird in der
Familie ausgeübt?
Wenig Aufsicht und
Unterstützung, Tendenz zur Inkonsequenz und Vernachlässigung
Tendenz zur Überbehütung mit der
Folge einer gestörten Autonomieentwicklung
Diverse Stile möglich
3. Motive im Umfeld von Schulabsentismus
Wir alle haben bezüglich der Orte, die wir aufsuchen, und Situationen, in die wir uns
begeben, Vorlieben und Abneigungen. Wir schätzen die rustikale Behaglichkeit im
Restaurant oder das künstlerische Ambiente des Cafés, vermeiden jedoch nächtliche Spaziergänge in bestimmten Straßenzügen. Diese Präferenzen und Aversionen
sind gelernt, beruhen vornehmlich auf Erfahrungen, die von uns oder stellvertretend
von anderen gemacht wurden und sind Teil einer sinnvollen Handlungsregulation
und Lebensgestaltung. Probleme entstehen dann, wenn sich Verweigerungs- und
Ausweichhandlungen auf Pflichtbesuche - des Arbeitsplatzes bei Erwachsenen, der
Schule bei Kindern und Jugendlichen - beziehen. Beide Motivstränge, sowohl die
Vermeidung des Aversiven wie das Aufsuchen des Attraktiven, spielen beim Schulabsentismus eine vordringliche Rolle (Ricking 2000). Für die überwiegende Zahl der
Absentisten repräsentieren Schule und insbesondere Unterricht belastende Situationen, die zum einen Unsicherheit und Versagen, zum anderen Sinnlosigkeit der von
den eigenen Lebensbezügen weit abgehobenen Lerninhalte vermitteln (vgl. Kornmann 1981).
Begleitet von aversiven Gefühlen versuchen Schüler durch Schulschwänzen Anforderungssituationen zu vermeiden, in denen sie Versagenssituationen oder andere
missfällige Ereignisse (z.B. Konflikte mit Lehrkräften) antizipieren. Die Vermeidungsoder Fluchtreaktion besitzt eine psychisch entlastende Funktion für den Schüler und
befreit ad hoc von Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit oder Langeweile. Diese aus
“hier-und-jetzt-Perspektive” des Schülers positive Lernerfahrung setzt selbstverstärkende Wirkungen frei, so dass er oder sie geneigt sein wird, die nächste mit Furchtoder Unlusterwartungen belegte Schulsituation erneut zu umgehen. Während kurzfristig Erleichterung eintritt, wird das Wissen um Folgeprobleme als geringeres Übel
billigend in Kauf genommen. Lange Fehlzeiten bis zum Drop-out können sich auf
diese Weise entwickeln, mitunter im Kontext eines generalisierten Musters der Ver16
Null Bock auf Schule
meidung von Leistungssituationen. In anderen Fällen prägen sich selektive Handlungsstrategien aus, bei denen nur bestimmte Unterrichtsstunden, Tage oder Phasen versäumt werden.
Schülerinnen und Schüler, die die Schule schwänzen, suchen während des Vormittags angenehmere Situationen auf, die subjektiv lohnender sind und somit den Absentismus positiv verstärken. Sie nutzen die relativ kontrollfreie und somit selbstbestimmte Zeit v.a. um sich mit Gleichgesinnten zu treffen – nur wenige Schulschwänzer verbringen die Zeit allein – und gemeinsam Aktivitäten zu unternehmen, die dem
eigenen Interesse dienen und Spaß bereiten. Das Motiv des sozialen Anschlusses
ist beim Schulschwänzen im Rahmen der positiven Verstärkung des Verhaltens von
besonderer Bedeutung. Schulschwänzen gehört häufig zu den Verhaltensweisen,
die von außen als abweichend oder gestört etikettiert werden, jedoch in einer schulaversiv orientierten Gruppe eine identitätssteigernde und selbstwertstabilisierende
Wirkung entfalten können.
Die folgende Tabelle zeigt einerseits die aversiven schulbezogenen Kräfte, die den
Schüler aus der Schule „herausdrängen“ (push) und anderseits die attraktiven, die
sich auf alle alternativen Räume beziehen und die Schüler aus der Schule „herausziehen“ (pull) in der Zusammenschau. Der synoptische Blick offenbart schulvermeidende Verhaltensmuster als durch äußere Wirkungen potenziell mehrfach verstärktes sowie durch die Eigenreflexion von Erfahrungen selbstverstärkendes Verhalten.
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Null Bock auf Schule
push
pull
Erwartung von Langeweile
Erwartung von Konflikten mit Lehrern und
Mitschülern
Gleichgültigkeit bei
Lehrern gegenüber
Schulbesuch
Angst vor Leistungsversagen
Unsicherheit in sozialen Situationen
Bedrohung durch Lehrer und Mitschüler
Angst, der Mutter könnte in der Abwesenheit
etwas zustoßen
Positive Erlebnisse in
kontrollarmen Räumen
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Tendenz: Schulschwänzen
Sozialer Anschluss an
Clique
Bestätigung und Wertschätzung in der Gruppe /
bei bezahlter Arbeit
Sicherheit der eigenen
Wohnung
Drang, der Mutter nahe
sein zu wollen, aufpassen
zu müssen
Arbeit in der Familie /
Haushalt / Betrieb
Gleichgültigkeit / Aversion der Eltern gegenüber
Schule
Kultur- und Wertediskrepanz
Verhinderung von Kontakt (Missbrauch)
Tendenz: Schulverweigerung /
Schulphobie
(Trennungsangst)
Tendenz:
Zurückhalten durch
Eltern / Ausbilder
Null Bock auf Schule
Ob und in welcher Form sich die Motive der Vermeidung, des Aufsuchens attraktiver
Situationen und des sozialen Anschlusses unter schulaversiven Kindern und Jugendlichen konkret manifestieren, hängt u.a. vom Schultyp, von der Urbanität und
sozialen Struktur des Einzugsgebietes aber auch von der räumlichen, personellen,
organisatorischen und pädagogisch-didaktischen Verfasstheit der Einrichtung und
vom bisherigen Umgang der Schule mit Schulabwesenheit ab.
4. Alternative Beschulungseinrichtungen
Es haben sich in den vergangenen Jahren von Städten oder privaten Trägern der
Jugendhilfe initiierte Modellprojekte mit einer Kapazität von 10 bis 20 Plätzen gebildet und z.T. bereits etabliert, die sich auf der Basis sozial- und sonderpädagogischer
Ansätze die Unterrichtung, Betreuung und Reintegration von Schülerinnen und
Schüler widmen, die weitgehend der Schule entkoppelt sind, sehr lange Fehlzeiten,
i.d.R. eine Fülle von Lebensproblemen aufweisen und in sozialen Risikokonstellationen aufwachsen. Einige dieser Kinder verwahrlosen und zeigen dissoziale Verhaltensmuster, gehen am Vormittag mitunter Gelegenheitsarbeiten nach oder driften in
die Straßenkinderszene der Großstädte ab.
Das Leitziel vieler dieser Einrichtungen besteht in der schulischen und sozialen Reintegration von Kindern und Jugendlichen mit schulaversiven Verhaltensformen. Sie
intendieren insbesondere mittels einer rehabilitativen Strategie, der bereits vollzogenen schulischen Ausgliederung entgegenzuwirken, ihren regelmäßigen Schulbesuch
oder Unterricht zu ermöglichen und auf dieser Basis wirksame Lernprozesse zu initiieren.
Der sozialpädagogische Schwerpunkt liegt komplementär auf der Gestaltung eines
bildungs- und beziehungswirksamen Alltags, der den Schülern erlaubt, von Vermeidungs- und Fluchtverhalten abzusehen und alternatives Verhalten zu entwickeln und
umzusetzen, das zu besseren Anpassungsprozessen zwischen den Schülern und
seiner Umwelt führt.
Die Möglichkeiten der schulischen Reintegration von schwer schulaversiven Schülern mit erheblichem Erziehungshilfebedarf durch rehabilitativ ausgerichtete Modellprojekte sind derzeit noch nicht abschließend einzuschätzen. Es muss m.E. jedoch
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Null Bock auf Schule
positiv herausgestellt werden, dass diesen Schülerinnen und Schülern so vermutlich
erstmals ein ihrer Lebenssituation angemessenes pädagogisches Angebot unterbreitet wird, das sie in der Lage sind anzunehmen. Die Schüler öffnen sich unter den
Bedingungen des alternativen Schulangebots nicht nur neuen Entwicklungs- und
Bildungsoptionen, sondern erlauben wieder erzieherischen Kontakt und Einfluss - die
Bedeutung dieser Feststellung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Evaluationen in
diesem Feld zeugen überdies von erfolgreicher pädagogischer Arbeit hinsichtlich des
Ziels regelmäßigen Schulbesuchs, der Gestaltung des Übergangs zwischen Schule
und Beruf wie auch -mit Einschränkungen- der Erlangung von Abschlüssen (Heckner
2001, Marquardt 2001, Mutzeck, Popp & Oehme 2001, Ricking 2003b). Es gelingt
den Einrichtungen weitgehend schuldistanzierte Schüler zu unterrichten und pädagogisch zu fördern, somit die Erfüllung der Schulpflicht durchzusetzen und Lerndefizite abzubauen. Diese Erfolge beruhen den Evaluationen zufolge im Wesentlichen
auf Qualitätsmerkmalen, die üblicherweise in Schulen kaum zu finden sind:

Eine grundlegende Haltung der Pädagogen den Schülern gegenüber, die folgendermaßen akzentuiert werden kann: Jedes Kind ist wichtig, alle finden in
der Einrichtung eine Heimat, keiner darf verloren gehen!

Wertvolle und beständige Bindungen und Bezugssysteme zwischen Jugendlichen und Pädagogen als Basis jeglicher positiver Entwicklung, aber auch als
Hilfe zur individuellen Konfliktbewältigung.

Ein als angenehm erlebter Lern- und Handlungsraum, den Schülerinnen und
Schüler häufig mitgestaltet haben, den sie annehmen können und mit dem sie
sich identifizieren.

Die Unterrichtsgestaltung bzw. die Lernform orientiert sich hinsichtlich der Inhalte und Vermittlungsformen stark an den Bedürfnissen und Interessen der
Schülerinnen und Schüler.
Das häufig zu Beginn der Projektphase angestrebte Ziel der Rückführung der Jugendlichen in die Allgemeine Schule bzw. Förderschule wird hingegen i.d.R. nicht
erreicht, was mit dem hohen Eintrittsalter der Teilnehmer und ihren ungünstigen Voraussetzungen (umfassender Förderbedarf in den Bereichen emotionale/soziale
Entwicklung und Lernen) begründet wird. Angesichts eines mittleren Aufnahmealters
von 12 - 14 Jahren zeigen die Erfahrungen, dass in der verbleibenden Schulzeit eine
20
Null Bock auf Schule
Rückführung in eine Allgemeine Schule häufig nicht umsetzbar ist oder nicht sinnvoll
erscheint. Die Aussagen der Schülerinnen und Schüler zeigen zudem oftmals starken Widerstand gegen eine Reintegration in die vormalige Schule oder auch in eine
andere Schule. Realistischer ist unter diesen Bedingungen nach Aussagen der Mitarbeiter ihr gezieltes Einbinden in Lehrgängen der beruflichen Bildung.
Es ist insofern nicht auszuschließen, dass ein gewisser Anteil der Schüler aufgrund
der Schwere und Persistenz der Beeinträchtigungen ohne den besonderen Rahmen
dieser Einrichtungen nicht adäquat beschulbar ist.
Kritisch einzuwenden ist schließlich die Gefahr der sukzessiven Etablierung dieser
Sondereinrichtungen als neue, häufig auch räumlich getrennte Teile des Schulsystems. Sie könnten sich zu neuen schulischen Einheiten entwickeln, die sich weiter
vom Mainstream entfernen – eine Entwicklung, die der sonderpädagogischen Leitidee der Integration entgegenläuft.
5. Prävention und frühe Intervention in Schulen
Die aus meiner Sicht entscheidende präventive Variable gegen Schulaversion ist die
Chance für einen Schüler oder eine Schülerin in Schulaktivitäten involviert zu werden. Gelingt es Schulen auch gefährdete Schüler und Schülerinnen in Schulaktivitäten außerhalb und innerhalb des Unterrichts einzubinden, ihnen eine aktive und mit
Verantwortlichkeit verbundene Rolle anzubieten, die einen höheren Grad an Identifikation mit der Schule und persönlicher Befriedigung verspricht, sinkt die Wahrscheinlichkeit von Schulabsentismus (Kastirke & Ricking 2003). Grundlagen des Involvierens sind sowohl verlässliche und als wertvoll eingeschätzte Beziehungen zwischen
Schülern und Pädagogen sowie Neugier und Interesse an den Handlungen, die sich
in Schule und im Unterricht vollziehen.
Die obigen Ausführungen veranschaulichen, dass Schulabsentismus durch unausgeglichene Relationen zwischen Schüler und Schule definiert ist, d.h. es mangelt an
Passung zwischen den Möglichkeiten und Intentionen des Schülers und den Anforderungen und Zielen der Schule. Korrektive Handlungsstrategien intendieren aus
diesem Blickwinkel, entweder bei Schülern oder bei der Schule Veränderungen zu
vollziehen, die zu höheren Passungen und störungsärmeren Relationen führen. Die
21
Null Bock auf Schule
Anpassung des Schülers an die schulischen Bedingungen zielt auf die Einschränkung der Versäumnisse ab und folgt dem unerwünschten Schülerverhalten auf der
Konsequenzebene. In der Literatur werden entsprechend schülerorientierte Interventionsprogramme und –maßnahmen empfohlen. Da es den Schülern an Selbstverstärkung für den Schulbesuchs mangelt – so die Annahme vieler Autoren -, werden
in Programmen der Verhaltensmodifikation vorübergehend externe Verstärker systematisch eingesetzt, um Lernverhalten und Anwesenheit zu fördern. Insbesondere
Schulschwänzer benötigen mehr Kontakte, eine engere Führung und mehr Aufsicht
als Schule üblicherweise bietet. So beinhalten viele Programme Anteile von Kontrolle
und Verstärkung des Zielverhaltens im Rahmen eines Verhaltensvertrages.
Mit der Ausrichtung der schulischen Bedingungen auf die (speziellen) Bedürfnisse
der häufig fehlenden Schüler ist die Verstärkung und Förderung der Anwesenheit
und inneren Teilhabe am Unterricht verbunden. M.E. ist die methodische Überlegenheit der Verstärkung der Anwesenheit über die Bestrafung der Abwesenheit zu betonen. Der Schulbesuch muss gezielt verstärkt werden, denn auch erzwungene Anwesenheit führt selten zu lernförderlichem Verhalten im Unterricht. Thimm (2000b) stellt
heraus, dass die Chancen für eine erfolgreiches Einschreiten dann gut sind, wenn
schnell und früh interveniert wird, d.h. die Fehldauer noch nicht Monate andauert,
wenn die außerschulische Attraktivität nicht übermäßig hoch ist, die Eltern kooperieren und die Versäumnisse als Reaktion auf ein abgrenzbares Problem auftreten.
Insofern sollte die Suche nach präventiven und früh-interventiven Strategien bei häufigen Schulversäumnissen stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden.
Dazu einige Anregungen.
Schulleitung und -organisation

Problemorientierte Einstellung
Entgegen seiner Bedeutung wird Schulabsentismus in der Schule und Schulleitung
oftmals nur als geringfügige Störung schulischer Ordnung erlebt, die in der internen
Diskussion allenfalls am Rande bedacht und in der Außendarstellung der Schule
tabuisiert wird. Mit dieser Haltung ist ein effektives Management des Problems nicht
zu leisten. Erforderlich ist eine lösungsorientierte Einstellung in der Schule, die Offenheit vermittelt und einzelne Lehrer ermutigt, ihre Schwierigkeiten mit der Anwe-
22
Null Bock auf Schule
senheit in der Klasse, einem notorischen Schulschwänzer oder zurückhaltenden Eltern anzusprechen.

Lehrkräfte motivieren
Ein Schlüssel der Prävention von Schulabsentismus liegt beim Lehrerverhalten, das
viele Einflussgrößen berührt. Lehrer zu motivieren, sich für die Integration häufig fehlender Schüler einzusetzen, ist daher eine Hauptaufgabe der Schulleitung. Dass
manche Lehrer zu hilfreichen Handlungen kaum Bereitschaft zeigen, kann darin begründet sein, dass sie über keine Kenntnis von Interventionsstrategien verfügen, sie
Absentismusprävention nicht zu ihren Aufgaben zählen oder befürchten, damit gegen eigene Interessen zu verstoßen. Jeder Lehrer weiß, dass abwesende Schüler
den eigenen Schulalltag mitunter erleichtern, denn so können sie den anwesenden
und lernwilligen Schülern ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Da Schulschwänzen
häufig im Verein mit weiteren Verhaltensproblemen auftritt, haben sie zudem weniger Störpotential in der Klasse. Daher sollten diejenigen Lehrer von der Schulleitung
unterstützt und honoriert werden, die präventive Maßnahmen nutzen und sich für
den Verbleib der Schüler in der Schule einsetzen. Darüber hinaus bietet die Entwicklung und Anwendung eines allgemeingültigen Rahmenkonzepts gegen Schulabsentismus die Chance, alle Kollegen an dieses möglicherweise neue Feld heranzuführen und einzubinden (Neukäter & Ricking 1999).

Registratur der Versäumnisse
Voraussetzung für eine effektive Intervention ist das Erkennen des Problems durch
die akkurate Erfassung der Versäumnisse. Unerkannter Absentismus wirkt verstärkend auf Schüler. Es ist daher anzuraten, in jeder Unterrichtsstunde die Anwesenheitspflicht einer Überprüfung zu unterziehen und damit einen wesentlichen Baustein
in der Prävention von Schulabsentismus zu beschaffen. So ist es möglich zu erfahren, welches Ausmaß die Versäumnisse aufweisen, z.B. durch Ermittlung des Prozentsatzes gefehlter Stunden (Fehlquote) des vergangenen Schulhalbjahres; welche
Dauer die einzelnen Versäumnisphasen haben (z.B. schwerpunktmäßig stunden-,
tage- oder wochenweise) und wie sich die Verteilung der Fehlzeiten auf Klassen und
Jahrgänge gestaltet. Daneben sollte die Struktur hinsichtlich der Schulstunden, Fächer und Wochentage bestimmt werden. Die erlangten Daten sind zusammenzufas-
23
Null Bock auf Schule
sen, auszuwerten und darzustellen, so dass die Entwicklung der Anwesenheitsrate
auf Schul-, Jahrgangs und Klassenebene diskutiert und interpretiert werden kann
und folgende pädagogische Schlussfolgerungen eine solide Basis aufweisen.

Anreize für Anwesenheit schaffen
Die Schule sollte über das Maß des Unterrichts hinaus den Schülern Angebote machen, die ihre Bedürfnisse treffen und so einen positiv belegten Bezug zwischen
Schüler und Schule herstellen, der sich günstig auf das Schulklima auswirkt. Besondere Angebote sollten den Wochenanfang und das -ende berücksichtigen. Amerikanischen Schulen ist dies beispielsweise durch einen schulweiten Wettbewerb gelungen, der auf der Grundlage einer öffentlichen Aufzeichnung der Anwesenheitsfrequenzen Preise für regelmäßigen Schulbesuch in Aussicht stellt. Die Gratifikationen
können in der anwesenheitsabhängigen Teilnahme an Schulveranstaltungen (Disko,
Pizza-Party etc.), zusätzlichen Freiheiten bei der Stundenplangestaltung, Freistunden, Gutscheinen für Essen oder kulturellen Veranstaltungen sowie attraktiven Posten und Ämtern in der Schule bestehen.

Absentismus sanktionieren
Schulische Sanktionen sind Konsequenzen aus der Missachtung
von Grenzziehungen. Sanktionen sollten dem Verstoß angemessen
sein, von der Mehrheit der Schülerschaft als gerecht empfunden
und bevor sie in Kraft treten, der ganzen Schule bekannt gemacht
werden. So wird den Schülern vor Augen gehalten, dass sie für ihr
eigenes Verhalten Verantwortung übernehmen und sich der Konsequenzen im Klaren sind. Da Bestrafung jedoch selbst Flucht und
Vermeidung bewirken kann, ist bei Schulabsentismus Vorsicht geboten. Einige Autoren halten ein Gespräch mit dem Schulrektor
nach der Rückkehr des Schülers für eine günstige Variante der
sanften Sanktionierung. Sanktionen sollten in der Praxis stets mit
erreichbaren Anreizen und Hilfsangeboten gekoppelt werden. Von
einer Suspendierung des Schülers ist abzusehen.
24
Null Bock auf Schule
Elternarbeit
Möchte ein Klassenlehrer möglichst wenig Absentismus in seiner Klasse erreichen,
bemüht er sich um einen intensiven Kontakt zu den Erziehungsberechtigten (Bell et
al. 1994). Eine enge Kooperation zwischen den beiden zentralen Bezugssystemen
des Schülers, der Familie und der Schule gilt als eines der effektivsten Mittel zur Absentismusprävention und –intervention (Ricking & Neukäter 1997). Um ihrer Verantwortung gemäß an der Prävention von Schulabsentismus teilnehmen zu können,
müssen Eltern über alle notwendigen Informationen verfügen. Eine enge Kooperation zwischen den beiden zentralen Bezugssystemen des Schülers, der Familie und
der Schule gilt als eines der effektivsten Mittel zur Absentismusprävention. Untersuchungen zeigen deutlich, dass gezielte Rückmeldungen an die Erziehungsberechtigten, die sowohl eine Fehlzeit anzeigen als auch auf eine Verbesserung der Anwesenheit hinweisen können, positive Effekte auf den Schulbesuch zeitigen. Es bietet
sich an, Rückmeldesysteme (Anrufe, Besuche, Meldungen, schriftliche Mitteilungen)
zu installieren, die nach festen Regeln für einen optimalen Informationsstand auf
allen Seiten sorgen und die Voraussetzung für eine Partnerschaft für das Kind zwischen Eltern und Schule bilden.
Bei komplexen Problemlagen, so Neukäter & Ricking (1998), sollte es Aufgabe der
Schule sein, stützende Systeme zu vermitteln (z.B. Jugendamt, Psychotherapie).
Regelmäßige Telefonate mit den Eltern gefährdeter Schüler vermögen einen positiven Kontakt zu fundieren und vermeiden die kritische Beziehungsaufnahme erst im
Krisenfall. In manchen Fällen wissen die Erziehungsberechtigten nicht, dass ihr Kind
schwänzt oder verfügen über kein Veränderungswissen den Schulbesuch positiv zu
beeinflussen. Manche Eltern ausländischer Schüler kennen aus ihrem Heimatland
keine Schulpflicht oder verstehen nicht den hohen Grad an Verbindlichkeit, den sie
einschließt (Reid 1985).
Aus Sicht der Schule bereiten Fälle massiven Zurückhaltens von Schülern besondere Schwierigkeiten. Führen Gespräche mit den Erziehungsberechtigten, die die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Schulversäumnisse für das Kind thematisieren
nicht zur Verhaltensänderung, sind rechtliche Maßnahmen unter Einbezug des Jugendamtes geboten.
Lehrerverhalten
25
Null Bock auf Schule

Didaktische Angemessenheit des Unterrichts
Hinter den unterrichtlichen Themen und ihrer Aufarbeitung verbirgt sich insbesondere für viele weniger bildungsorientiert aufgewachsene Schüler die Sinnfrage schulischen Lernens. Sie sind nicht in der Lage, eine subjektive Bedeutung in den von
ihnen erwarteten Handlungen zu erkennen und landen nach einer gewissen Zeit in
einem Motivationsloch. Insofern ist unter präventivem Aspekt eine didaktischmethodische Konzeption zu präferieren und eine Lernumgebung zu schaffen, die
auch schwächeren Schülern Erfolge ermöglicht und die Tätigkeit in der Schule als
sinnvoll und erfüllend erleben lässt. Die Lernforschung betont in diesem Zusammenhang eine größtmögliche Abstimmung von objektiven Lernanforderungen und subjektiven Lernvoraussetzungen und -erfahrungen des Schülers. Einige Schulen für
Erziehungshilfe sind dazu übergegangen, den Unterricht phasenweise in Werkstätten zu verlagern, die mehr Möglichkeiten zur Handlungsorientierung und zur Verknüpfung praktischen und theoretischen Wissens anbieten.

Warnsignale wahrnehmen
Der Prozess der Entzweiung von Schüler und Schule verläuft oftmals schleichend,
schließt jedoch frühe Warnsignale ein, die erkannt werden sollten. Die Interventionsforschung sieht in folgenden Verhaltensmerkmalen signifikante Signale für zukünftigen Absentismus: häufiges Zuspätkommen, Unzufriedenheit mit Schule und Unterricht, Schulversagen, Mitgliedschaft in einer schulaversiven Clique, gestörte SchülerLehrer-Beziehung, Störverhalten im Unterricht, unangemessen lange Fehlzeiten aufgrund von Bagatellkrankheiten, Lernverweigerung im Unterricht, Rückzug und
Gleichgültigkeit gegenüber der Schule.

Unmittelbare Reaktion
Bei selbstverstärkenden oder durch Drittfaktoren verstärkte Verhaltensweisen wie
Schulabsentismus ist ein passiver Umgang durch Abwarten oder Ignorieren die ungünstigste Variante. Eine sporadische Anwesenheitskontrolle, die Nichtbeachtung
der Abwesenheit und das Ausbleiben klarer Konsequenzen auf unerlaubte Fehlzeiten motiviert selbst Schüler, deren Schulunlust sich in Grenzen hält, Unterricht auszusetzen. Langfristig kann sich die Situation zudem durch rückwirkende Effekte ver-
26
Null Bock auf Schule
schärfen, indem sich Lehrer an hohe Absentismusfrequenzen gewöhnen, diese normalisieren und den Verpflichteten so erlauben, Normgrenzen neu zu definieren.
Durch ihr Handeln sollten Lehrer klar vermitteln, dass sie nicht bereit sind, Schulabsentismus zu dulden. Daher sollte aus lerntheoretischen Erwägungen einer unerlaubten Fehlzeit ohne große Verzögerung eine Reaktion der Schule folgen, die beispielsweise durch ein Telefonat mit den Erziehungsberechtigten (möglichst noch am
gleichen Vormittag) umsetzbar ist oder auch dadurch, den Schüler aufzusuchen und
abzuholen. Damit unterstreicht die Schule die Bedeutung der Anwesenheit jedes
einzelnen Schülers und signalisiert Kenntnis und eine klare Haltung.

Beziehung zum Schüler
Die bedeutendste Lehreraufgabe neben der Vermittlung von Unterrichtsinhalten ist
Beziehungsarbeit im Kontext einer unterstützenden, schülerorientierten und dabei
Klarheit und Struktur vermittelnden Haltung und Unterrichtsgestaltung. Eine auf
Schülerinterviews basierende Studie von Reid (1983) erbrachte in eindeutiger Weise
die Erkenntnis, dass viele Versäumnisse durch die Existenz einer dem Schüler vertrauten Person in der Schule, die helfen könnte schulbezogene Probleme (z.B. Ärger
mit Lehrer, Bedrohung von Mitschülern, Kurswechsel) zu lösen, vermeidbar gewesen
wären. Da jedoch Schüler mit Schulabsentismus eine substanziell negativere Beziehung zu ihren Lehrern aufweisen als regelmäßige Schulgänger, ist der für sie oft kein
adäquater Gesprächspartner. Das Beziehungsverhältnis zwischen häufig fehlenden
Schülern und ihren Lehrern ist somit oftmals zerrüttet, viele Schüler geben missliebige Lehrer als Grund für ihr Fehlen an, viele Lehrer wollen sich nicht für diese Schüler
einsetzen. Schulaversive Schüler stellen für Lehrer eine besondere Herausforderung
dar, da sie häufig negativ agieren und so negative Lehrerreaktionen provozieren.
Damit ist jedoch auch ein Teufelskreis angestoßen, denn häufige negative Lehreraussagen mehren eine schulaversive Haltung, beeinträchtigen das Selbstkonzept
der Schüler und schaffen eine negative Klassenatmosphäre. Sehr viel effektiver ist
die Arbeit mit positivem Feedback, das angemessenem Verhalten und erfolgreichem
Handeln folgt und verstärkt. Integrativ wirkende Lehrer achten auf emotionale Aufgeschlossenheit und ein freundliches, optimistisches Auftreten, um eine vertrauensvolle
Beziehung zu den Schülern zu ermöglichen. Sie geben häufig positive Rückmeldung,
stellen offene Fragen, sind in Sachen Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit gute Modelle
und äußern klare Erwartungen zum Verhalten (z.B. Fehlzeiten sind glaubhaft zu ent27
Null Bock auf Schule
schuldigen). Sie begründen ihre Erwartungen und bieten insbesondere Risikoschülern Lernhilfe und regelmäßig Gespräche an, die die Hintergründe der Versäumnisse
aufarbeiten. Wenn Fehlzeiten mit konkret fassbaren Problemen zusammenhängen
(z.B. Schüler hat Angst vor Mitschülern) ist die Wahl eines Problemlöseansatzes
(z.B. Streitschlichtung) hilfreich.

Rückkehrsituation
Da Schüler Fehlzeiten verlängern, weil sie Angst vor der Rückkehrsituation haben,
sind ungünstige Interaktionsformen zwischen Schüler und Lehrer (sarkastische Bemerkungen, Konflikte) sowie zusätzliche aversive Stimuli zu vermeiden. Eine amerikanische Studie konnte zeigen, wie durch anerkennende Bemerkungen des Schulrektors nach Rückkehr des Schülers Fehlfrequenzen deutlich abnehmen (Copeland
et al. 1972). So lässt sich mit einfachen Mitteln Anwesenheit verstärken.
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Null Bock auf Schule
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Warzecha, B. (2001). Schulverweigerung und Schulschwänzen. Münster:LIT-Verlag
29
Null Bock auf Schule
Klaus Kieckbusch / Stadt Oldenburg
Schulverweigerungn im Blick der Sozialarbeit
Ich möchte Ihnen aus der Sicht des Jugendamtes Oldenburg vorstellen, welche
praktischen Möglichkeiten der Unterstützung wir nach dem Sozialgesetzbuch VIII
haben und welche präventiven Projekte und Maßnahmen bestehen. Im Anschluss
daran werde ich auf die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule eingehen.
Die Auseinandersetzung mit Schulverweigerung von Kindern und Jugendlichen ist
ein pädagogischer Anteil im Rahmen der Beratungs- und Betreuungsarbeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter des Allgemeinen Sozialdienstes.
Vom Jugendamt und soweit mir bekannt ist, werden auch von Schulen keine speziellen Projekte für Schulschwänzer durchgeführt.
Unsere pädagogischen Fachkräfte des Allgemeinen Sozialdienstes erfahren von
Schulversäumnissen durch Lehrkräfte, den Fachdienst Schule, bei dem die Meldungen der Schulen eingehen, durch die Eltern selbst oder es wird im Rahmen von Beratungs- bzw. Betreuungskontakten mit den Familien bekannt. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass eine frühzeitige Information des Jugendamtes die Erfolgsaussichten bei der Einleitung geeigneter pädagogischer Hilfen
begünstigt, vor allem dann auch durch das gemeinsame abgestimmte Handeln von
Jugendamt und Schule.
Das Jugendamt nimmt Kontakt zu den Sorgeberechtigten und Kindern auf und
schlägt nach einer Problemanalyse geeignete pädagogische Hilfen vor. Hier bietet
sich ein breites Spektrum von gesetzlichen Hilfen an. Hilfen können z. B. eine „ambulante Beratung“ sowie eine „Unterstützung durch eine Erziehungs- oder psychologische Beratungsstelle“ sein. Darüber hinaus kann auf Antrag der Sorgeberechtigten
eine geeignete Hilfe zur Erziehung eingeleitet werden. Ich werde Ihnen die einzelnen
Hilfen kurz erläutern, damit Sie wissen, wovon ich rede.
30
Null Bock auf Schule
Hierbei kann es sich handeln um „Soziale Gruppenarbeit“, die älteren Kindern und
Jugendlichen bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensproblemen helfen soll,
eine „Erziehungsbeistandschaft“, die das Kind oder den Jugendlichen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfeldes unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbständigung fördern soll,
einer „flexiblen sozialpädagogischen Einzelbetreuung“ mit der gleichen Zielsetzung,
einer „sozialpädagogischen Familienhilfe“, die durch intensive Betreuung und Begleitung Familien in ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben soll
oder auch eine „teilstationäre Unterbringung in einer Tagesgruppe“, die die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung
der schulischen Förderung und Elternarbeit unterstützen und dadurch den Verbleib
des Kindes oder Jugendlichen in seiner Familie sichern soll.
Die genannten Hilfen zur Erziehung sind in ihrem Anspruch auf Freiwilligkeit ausgerichtet. Es kommt jedoch vor, dass wir nur eingeschränkt handlungsfähig sind, weil
Eltern ihre Mitarbeit verweigern.
Sollten sorgeberechtigte Eltern zu einer Mitarbeit nicht bereit sein, besteht für das
Jugendamt die Möglichkeit, beim Amtsgericht eine Anhörung der Sorgeberechtigten
nach § 50 Sozialgesetzbuch VIII zu beantragen, um mit Unterstützung des Gerichts
für die Jugendlichen geeignete Hilfen einleiten zu können.
Neben den genannten gesetzlichen Pflichtleistungen bietet das Jugendamt weitere
Leistungen an und es werden bereits seit Jahren präventive Projekte und Maßnahmen durchgeführt, um die vorhandenen Stärken und Fähigkeiten von gefährdeten
Jugendlichen zu fördern und ihnen Orientierungs- und Motivationshilfen zu geben.
31
Null Bock auf Schule
Es werden in städtischer Trägerschaft 7 und in freier Trägerschaft 2 Jugendeinrichtungen, die offene Kinder- und Jugendarbeit durchführen, unterhalten. Diese Einrichtungen nehmen mit ihren Angeboten und Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche als freiwillige Anlaufstelle eine bedeutende Rolle ein, stellen für die Kinder und
Jugendlichen auch eine Art „Schutzraum“ dar.
Weiterhin wird in städtischer und freier Trägerschaft sozialpädagogische Hausaufgabenhilfe für etwa 430 Kinder in 39 Gruppen an unterschiedlichen Standorten, wie
z. B. in Grundschulen, Gemeindehäusern, der Gemeinwesenarbeit, in Jugendfreizeitstätten und in weiteren sozialen Einrichtungen, durchgeführt. Hier ist zu bemerken, dass das Land beabsichtigt, die Landeszuschüsse für die Hausaufgabenhilfe
einzustellen, was zur Folge haben dürfte, dass einige Gruppen eingestellt werden
müssen. Dieses hätte in der Wirkung für die betroffenen Kinder und Jugendlichen
noch nicht absehbare nachteilige Folgen.
Als bedeutende präventive Projekte möchte ich auch die „Theaterprojekte“, das „Jugendtheaterprojekt Kurlandtheater“ als Bestandteil der Gemeinwesenarbeit im
Rennplatzviertel in Verbindung mit dem „kooperativen Kindertheaterprojekt Ohmstede“ sowie das Theaterprojekt „Rollentausch“ in Bümmerstede nennen. In einem ihrer
Theaterstücke haben sich die Jugendlichen mit dem Thema „Schulverweigerung“
auseinandergesetzt.
Zu erwähnen ist auch die Volkshochschule mit ihren vielfältigen Angeboten der
Oldenburger Jugendwerkstatt für junge Menschen bis 25 Jahre, zu denen unter anderem auch die Hauptschulabschlusskurse gehören.
Weiterhin bestehen in der Stadt Oldenburg in unterschiedlichen Stadtteilen 6 Runde
Tische oder Stadtteilkreise. Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Vertreterinnen
oder Vertreter von Schulen, Kirchengemeinden, Polizei, Sportvereinen, Stadtteilbibliotheken, Feuerwehr, Bürgervereinen, Kindergärten, Jugendhilfeeinrichtungen, Jugendamt, Elternvertreterinnen oder -vertreter sowie anderen im Stadtteil verorteten
Institutionen, Vereinen oder Verbänden. Ein wesentliches Ziel dieser Runden Ti-
32
Null Bock auf Schule
sche/Stadtteilkreise ist die Verbesserung der Lebensbedingungen für Kinder und
Jugendliche in ihrem Stadtteil.
Einen weiteren wichtigen Platz nehmen die Maßnahmen des Präventionsrates
Oldenburg ein. Der Präventionsrat Oldenburg - kurz genannt PRO - ist ein Zusammenschluss von 28 Institutionen und Einrichtungen in der Stadt Oldenburg. Diese
arbeiten eng und vertrauensvoll miteinander zusammen. Ihr gemeinsames Ziel ist
es, die Kriminalprävention in der Stadt weiter zu entwickeln. Dabei setzt der PRO auf
Maßnahmen und Projekte, die Gewalt und Kriminalität vorbeugen und verhindern
helfen.
Im PRO arbeiten zurzeit 8 Arbeitskreise zu unterschiedlichen Themenbereichen.
U. a. zu den Themen:
 Gewalt/Schule,
 Sucht und Familie.
Wichtige Aktionen und Projekte des PRO sind u. a.:
 der Plakatwettbewerb: Schau hin! Sag was! Tu was!,
 ein Film über Präventionsarbeit in Oldenburg,
 Kooperationsvereinbarungen Schule/Sportverbände.
Projekte, die direkt in den Schulen umgesetzt werden, sind PIT - Prävention im
Team - und PRINT - Prävention und Integration an schulischen Standorten -. Bei PIT
handelt es sich um ein Angebot zu Unterrichtsthemen „Gewalt“, „Diebstahl“ und/oder
„Sucht“ und versteht sich als „kriminalpräventiver Unterricht“. Ziel ist die Verringerung
von und an Kindern und Jugendlichen begangenen Straftaten. Adressaten sind
Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Klassen. Bedeutsam ist hier die enge Kooperation von Schule, Polizei, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshilfe und Jugendschutz.
PRINT wurde vom Land an 47 Standorten in Niedersachsen installiert. Es erfolgt
eine 50 %ige Bezuschussung des Landes. Laufzeit dieses Projektes ist bis 2006. In
33
Null Bock auf Schule
Oldenburg ist das Projekt am Schulzentrum Eversten installiert. Träger der Maßnahme ist das Jugendamt. Ein Sozialarbeiter ist mit 38,5 Wochenstunden beschäftigt
und schwerpunktmäßig in der Hauptschule tätig. Es werden Angebote - auch nachmittags - für Schülerinnen und Schüler sowie Eltern durchgeführt, Kooperationen mit
den Lehrkräften gestaltet und eine Vernetzung zwischen Schule und im Stadtteil
vorhandenen Institutionen, Vereinen, Verbänden und Einrichtungen, die für Jugendarbeit von Bedeutung sind, praktiziert. Darüber hinaus ist der Sozialarbeiter Bindeglied zwischen Jugendamt und Schule.
Nach unserer Feststellung haben alle genannten Hilfen des Jugendamtes sowie die
präventiven Angebote und Maßnahmen, die auch im Rahmen von Netzwerken
durchgeführt werden, in ihren Auswirkungen auf das Verhalten und die Entwicklung
der meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen und die Erziehungshaltung der
unterstützungsbedürftigen Eltern einen positiven Einfluss in Bezug auf Schulverweigerung von Kindern und Jugendlichen und vermindern damit auch die Gefahr von
Schulverweigerung oder veranlassen Kinder und Jugendliche, wieder die Schulausbildung fortzusetzen.
Abschließend möchte ich auf die Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe eingehen. Neben der Zusammenarbeit in Einzelfällen haben sich in Oldenburg vielfältige positive Formen der Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe entwickelt.
Ich bin aber der Auffassung, dass wir den Erlass „Zusammenarbeit zwischen Schule,
Jugendamt und freien Trägern der Jugendhilfe“ vom 25.01.1994 mit noch mehr „Leben“ erfüllen müssen. Die Realisierung einer intensiveren Zusammenarbeit gestaltet
sich manchmal schwierig, weil noch immer Vorbehalte zwischen Schule und Jugendhilfe bzw. Lehrkräften und sozialpädagogischen Fachkräften bestehen.
Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe muss zu einer alltäglichen Angelegenheit werden.
Folgende Kooperationsformen sollten verbindlich eingerichtet oder weiterentwickelt
werden:
34
Null Bock auf Schule
 Unabhängig von Einzelfällen sollte die Schule Fachkräfte des Allgemeinen Sozialdienstes mindestens einmal jährlich zu Dienstbesprechungen oder Konferenzen
einladen, in denen schwerpunktmäßig das Thema „Zusammenarbeit Schule/Jugendhilfe" behandelt wird.
Um eine konstruktive und kontinuierliche Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe zu erreichen, ist es notwendig, verbindliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zu benennen.
 Durchführung gemeinsamer Projekte und Aktivitäten.
 Veranstaltung gemeinsamer Fortbildungen, u. a. mit dem Ziel, Transparenz über
die Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten der beiden Institutionen herzustellen,
um Verständnis füreinander zu entwickeln.
Schule und Jugendhilfe haben in der Vergangenheit häufig nicht miteinander, sondern nebeneinander gewirkt. Es ist jedoch notwendig, dass sich beide Institutionen
weiter öffnen und bereit sind, sich auf feste Strukturen und verbindliche Regeln in
der Zusammenarbeit einzulassen.
Ziel muss es zukünftig sein, die Zusammenarbeit zwischen den Schulen - die in der
Verantwortung des Landes stehen - und den Jugendämtern - als kommunale Behörden - ständig zu optimieren, um das gemeinsame Anliegen - die Verbesserung der
Situation für Kinder und Jugendliche, Interessen zu wecken und Motivations- sowie
Orientierungshilfen zu geben - erfolgreich umsetzen zu können.
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Null Bock auf Schule
Heiko Setje-Eilers / Stadt Oldenburg
Schulverweigerung - Angebote des Stadtschulamtes
Zunächst möchte ich noch einmal auf die Ausführungen von Herrn Dr. Ricking zurückkommen. Er hat eindrucksvoll die Hintergründe und Ursachen für Schulabsentismus aufgezeigt sowie präventive und interventive Ansatzpunkte für Problemlösungen dargestellt. Den Schulträger hat er dabei gar nicht erwähnt bzw. er hat vom Ordnungsamt gesprochen, das für Zwangsmaßnahmen zuständig sei, die er für anachronistisch halte. Diese Einschätzung vermag ich zwar zu teilen, aber gerade in der
Wahrnehmung dieser Aufgaben liegt die Zuständigkeit des Fachdienstes Schule.
Da es nach dem Tagungsmotto hier aber um Handlungsansätze und –möglichkeiten
geht, würde ich mich an dieser Stelle eher für Fehl am Platze halten, wenn wir nicht
unabhängig vom Gesetzesauftrag, ich sage einmal, uns eingemischt hätten.
Aber zunächst zum besseren Verständnis und da immer wieder Irrtümer über Zuständigkeiten und Aufgaben entstehen, zur rechtlichen Situation.
Die umfangreichen Bestimmungen des NSchG zur Schulpflicht richten sich ausschließlich an Schülerinnen und Schüler, die Erziehungsberechtigten und die Schulbehörde. Dem Schulträger kommt in diesem Zusammenhang also keine Aufgabe zu.
Erst aus § 4 Nr. 3 der VO über Zuständigkeiten für die Verfolgung und Ahndung von
Ordnungswidrigkeiten vom 19.12.90 ergibt sich die Zuständigkeit u. a. der kreisfreien
Städte für das Ordnungswidrigkeitsverfahren nach § 176 des NSchG. Die Kommune
kann intern diese Zuständigkeit dem Ordnungsamt oder einem anderen Amt, wie in
Oldenburg z. B. dem Amt für Schule und Sport zuweisen.
Die Stadt Oldenburg als Schulträger ist also für die Ahndung von Schulpflichtverletzungen, die eine Ordnungswidrigkeit im Sinne von § 176 NSchG darstellen, zuständig.
36
Null Bock auf Schule
Die Ordnungswidrigkeit kann von Schülerinnen und Schülern, Erziehungsberechtigten und Ausbildenden begangen werden, d. h. gegen sie kann ein Bußgeld festgesetzt werden. Bei Schülerinnen und Schülern erst ab 14 Jahren.
Dazu ein paar Zahlen:
Im Jahr 2002 wurden dem Fachdienst von den Schulen insgesamt 143 Schulpflichtverletzungen angezeigt, bei denen nach ihrer Auffassung eine Ordnungswidrigkeit im
Sinne von § 176 NSchG vorlag. Uns ist klar, dass es darüber hinaus in erheblich
größerem Umfang weitere Schulpflichtverletzungen gegeben hat, über die uns jedoch keinerlei Informationen vorliegen, da sie von den Schulen nicht als Ordnungswidrigkeit zur Anzeige gebracht wurden.
143 angezeigte Schulpflichtverletzungen bei insgesamt 18.803 Schülerinnen und
Schülern in der Stadt Oldenburg in den allgemein bildenden Schulen und 10.925
Schülerinnen und Schülern in den berufsbildenden Schulen, also insgesamt 29.728
Schülerinnen und Schülern, entsprechen einem Anteil von nur 0,48 %.
Prozentual stellen die Hauptschulen mit einem Anteil von rd. 37,1 % der 143 angezeigten Schulpflichtverletzungen den größten Anteil. Gemessen an der Zahl der gesamten Hauptschüler beträgt ihr Anteil an den angezeigten Schulpflichtverletzungen
allerdings lediglich 5,3 %.
Bußgelder wurden in 18 Fällen gegen beide Erziehungsberechtigte und in 41 Fällen
gegen einen Erziehungsberechtigten festgesetzt. Außerdem erhielten 101 Schülerinnen und Schüler einen Bußgeldbescheid. In wenigen Fällen wurde nach eingehender Prüfung und in Abstimmung mit den Schulen auch auf die Festsetzung eines
Bußgeldes verzichtet.
Einige der an die Schülerinnen und Schüler ergangenen Bußgeldbescheide sind
später auf Antrag durch den Fachdienst in die Ableistung gemeinnütziger Arbeit umgewandelt worden, zum Teil aber auch durch entsprechende Gerichtsbeschlüsse.
37
Null Bock auf Schule
Wegen Nichtzahlung der Geldbuße wurde in 8 Fällen durch das Gericht ein Jugendarrest festgesetzt und in ca. 14 weiteren Fällen beantragt.
Angebote des Fachdienstes im Zusammenhang mit Schulpflichtverletzungen sind:
-
Kontaktanbahnung zwischen Schule und Jugendamt
-
Beratung des Jugendlichen und der Erziehungsberechtigten
-
Umwandlung der Geldbuße in gemeinnützige Arbeit
-
Stundung der Geldbuße
-
In Einzelfällen Aussetzung des Bußgeldverfahrens mit Fristsetzung zum Schulbesuch und bei regelmäßigem Schulbesuch Einstellung des Verfahrens.
Die neben der Festsetzung eines Bußgeldes bestehende Möglichkeit einer zwangsweisen Zuführung zur Schule - § 177 NSchG regelt dies – ist von uns nur in einzelnen Fällen praktiziert worden. Derartige Maßnahmen haben in der Vergangenheit
wenig Erfolg gezeigt, da sie aufgrund des erheblichen personellen Aufwandes nur
zeitlich befristet durchgeführt werden können und keine Möglichkeit besteht, die Jugendlichen trotz dieser Maßnahme in den Schulen festzuhalten. Von der heute bereits mehrfach erwähnten elektronischen Fußfessel möchte ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen.
Weitere Zahlen im Zusammenhang mit Schulpflichtverletzung möchte ich Ihnen ersparen. Weil sie – in dieser Kurzform dargestellt – auch nicht geeignet wären, zur
weiteren Diskussion beizutragen.
Bei der Bearbeitung der Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde uns immer wieder
deutlich, dass es bei vielen Beteiligten Unsicherheiten und Fragen, aber auch Ideen
und Anregungen, zur Problematik der Schulpflichtverletzungen gab.
Dies hat uns veranlasst, dem Jugendhilfeausschuss der sich aufgrund der bundesweiten Presseberichterstattung inzwischen auch mit dem Thema befasst hatte, vorzuschlagen, eine Arbeitsgruppe einzurichten. Der Arbeitsgruppe gehören an: Vertreter des Stadtelternrates, der Schulen, der Justiz, der Polizei, der Jugendhilfe, der
Schulbehörde und der Schulverwaltung. Ihre Aufgabe war es, ein gemeinsames
38
Null Bock auf Schule
Konzept zu entwickeln, um Schulversäumnissen gezielt und präventiv entgegenwirken zu können.
Die erste Sitzung der Arbeitsgruppe fand im September 2002 statt. Dort wurde deutlich, dass es zum Teil recht unterschiedliche Vorstellungen bzgl. der Aufgaben und
Zuständigkeiten im Zusammenhang mit Schulpflichtverletzungen gab.
In zwei weiteren Sitzungen wurde das Thema weiter bearbeitet und in der Sitzung
am 04.06.03 wurden die "Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Schulversäumnissen in der Stadt Oldenburg" beschlossen. Der Schulausschuss hat ihnen in seiner
Sitzung am 01.07.2003 zugestimmt.
Ausdrücklich in die Handlungsempfehlungen einbezogen wurden die "Eckpunkte für
ein Programm der Nds. Landesregierung zur Vermeidung von unentschuldigter Abwesenheit vom Unterricht", die Herr Strauch in seinem Referat dargestellt hat, und
ein im schul-management-Heft 2000/2001 erschienener Artikel "Schulpflichtverletzung – Eine Handreichung" von Andreas Becker, damals Schulpsychologe und Entwicklungsberater bei der Bezirksregierung Weser-Ems.
Grundlage der Handlungsempfehlungen ist der Gedanke, dass die Schulen nur
nachhaltig an dem Problem der unentschuldigten Abwesenheit vom Unterricht arbeiten und zu Lösungen gelangen können, wenn sie dazu mit Partnern, wie z. B. Jugendämtern, Vereinen, der Polizei und den kommunalen Präventionsräten zusammen arbeiten.
Ich zitiere jetzt aus einer Pressemitteilung des Pressebüros der Stadt Oldenburg zu
den Handlungsempfehlungen.
Zitat
"Dementsprechend staffeln sich die in den Handlungsempfehlungen aufgeführten
Maßnahmen der Schulen, Ämter und der Polizei im Umgang mit Schulversäumnissen. So sollte die Schule erst das Gespräch mit den Schulpflichtigen und Erziehungsberechtigten suchen. Dennoch sollten das Jugendamt, die schulpsychologi39
Null Bock auf Schule
sche Beratung oder andere soziale Einrichtungen und ggf. das schulinterne Beratungsteam frühzeitig eingeschaltet werden. Die Anzeige einer Ordnungswidrigkeit
beim Amt für Schule und Sport sollte erst im letzten Schritt erfolgen. Das Jugendamt
kann Kontakt zu den Sorgeberechtigten aufnehmen, ein Beratungsangebot unterbreiten und geeignete Hilfen einleiten. Das Amt für Schule und Sport ahndet ggf. die
Ordnungswidrigkeit, setzt das Bußgeld fest und überwacht die Zahlung oder die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit durch die Jugendlichen. Sollte dies nicht fruchten,
sollte das Jugendgericht zügig die notwendigen erzieherischen Maßnahmen festsetzen und deren Erledigung konsequent überwachen. Polizei und Bundesgrenzschutz
könnten dem äußeren Erscheinungsbild nach schulpflichtige Kinder und Jugendliche
während ihrer Streifentätigkeit überprüfen und ggf. die Schule und die Erziehungsberechtigten sowie das Jugendamt informieren."
Zitat Ende.
Die Handlungsempfehlungen sind inzwischen allen Schulen mit der Bitte zugeleitet
worden, sie in den Gesamtkonferenzen zu thematisieren sowie die Schulelternräte
und die Erziehungsberechtigten zu informieren. Die Handlungsempfehlungen sollen
den Schulen bis zu einer angekündigten landesweiten Regelung als Orientierung
dienen und dazu beitragen, die Zahl der Schulversäumnisse zu reduzieren.
Inzwischen liegen uns auch erste Erkenntnisse und Reaktionen vor:

Wir wissen, dass in einigen Schulen tatsächlich eine umfassende Information
und Diskussion zu den Handlungsempfehlungen erfolgt ist, bei anderen Schulen dagegen die Lehrkräfte noch nicht einmal Kenntnis erhalten haben.

Die Polizei hat, wenn vermutlich die Schule schwänzende Jugendliche angetroffen oder aufgegriffen werden, ein Infoverfahren für die Schulen entwickelt.
Herr Riesmeier wird uns dazu sicherlich nachher weitere Informationen geben.

Eine Schule hat zu Problemen der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt Stellung genommen und auf die zu langen Wartezeiten in den Beratungsstellen
hingewiesen.
40
Null Bock auf Schule

Die zuständige Kollegin im Fachdienst Schule hat auf Einladung einer Arbeitsgruppe der Schulsozialpädagogen, der VHS Jugendwerkstatt und von
RAN die Thematik erörtert.
Die Arbeitsgruppe, die die Handlungsempfehlungen entwickelt hat ist sich darüber
einig, dass später ein Erfahrungsaustausch stattfinden soll, bei dem auch die Erfahrungen anderer Kommunen, in denen bereits Projekte durchgeführt werden, einfließen.
Ich bedanke mich bei den Organisatoren dieser Veranstaltung für die Einladung und
bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
41
Null Bock auf Schule
Rudolf Riesmeier / Beauftragter für Jugendsachen, Polizei Oldenburg
Schulverweigerer – Aufgaben für die Polizei
Die Durchsetzung des Schulbesuchs und die Erziehung junger
Menschen sind keine originären Aufgaben der Polizei.
Sie nimmt aber insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugenddelinquenz vermehrt präventive Aufgaben wahr, die auch auf die Erziehung und Entwicklung junger
Menschen Einfluss haben können. Die Polizei arbeitet deshalb im Rahmen jugendspezifischer Präventionsprojekte mit anderen Stellen zusammen.
Dieses erscheint insbesondere vor dem Hintergrund des Zusammenhangs zwischen
Schulschwänzen und Delinquenz wichtig. Untersuchungen des Kriminologischen
Forschungsinstituts Niedersachsen haben ergeben, das bei Schulschwänzern eine
höhere Delinquenzrate gegeben ist. Das heißt jedoch nicht, dass Schulschwänzen
zwangsläufig in die Delinquenz führen muss.
Nach einer aktuellen bundesweiten Studie des Deutschen Jugendinstituts in München gaben 33% der befragten Schüler an, sie würden während des Schwänzens
„Dinger drehen“.
Für die Stadt Oldenburg habe ich eine Analyse über möglichen Absentismus und
Delinquenz am Beispiel des Ladendiebstahls erstellen lassen. Bei der Analyse wurden nur die schultypischen Zeiten ( vormittags, Schulwochentage, Zeiten außerhalb
der Ferien) bewertet, wobei die Tatverdächtigen der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, d. h., nicht älter als 18 Jahre waren.
Für das Jahr 2002 ergeben sich auf dieser Basis insgesamt 44 Taten mit 57 minderjährigen Tatverdächtigen, davon traten 4 Personen mehrfach in Erscheinung.
Ob in allen Fällen bei der Tatbegehung Schulabsentismus vorlag, lässt diese Analyse allerdings nicht erkennen. Die Tatsache, dass 57 Minderjährige zu schultypischen
Zeiten ausschließlich beim Ladendiebstahl in Verdacht gerieten, lässt jedoch aufhorchen. Wie hoch die Zahl minderjähriger Ladendiebe tatsächlich sein dürfte, kann
nicht gesagt werden, zumal nicht jeder Ladendiebstahl sofort bemerkt und angezeigt
wird.
Die Stadt Oldenburg hat auf der Basis des Pilotprojektes des Landes Niedersachsen
zur Vermeidung unentschuldigter Abwesenheit vom Unterricht eine Arbeitsgruppe
42
Null Bock auf Schule
installiert, die sich mit der Thematik des Schulschwänzens befasst hat und in der
auch die Polizei vertreten ist.
In der erarbeiteten Handlungsempfehlung wurde in Anlehnung an das niedersächsische Pilotprojekt für die Polizei vereinbart, Kinder und Jugendliche, die dem äußeren
Erscheinungsbild nach der Schulpflicht unterliegen, während der schultypischen Zeiten im Rahmen der Streifen- und Ermittlungstätigkeiten zu überprüfen.
Bei entsprechenden Verdachtslagen werden Eltern und Schule zunächst telefonisch
angefragt. Danach erfolgt gegebenenfalls eine schriftliche Meldung an die Schule,
die wiederum eine Rückmeldung in ebenfalls schriftlicher Form an die Polizei schickt.
In einem normverdeutlichenden Gespräch werden die Betroffenen durch die Polizeibeamten über die Konsequenzen der Schulpflichtverletzung aufgeklärt.
Weitergehende Maßnahmen, z. B. zwangsweises Verbringen von Schülerinnen und
Schülern zur Schule, sind aufgrund einer Schulpflichtverletzung nicht zu veranlassen.
Die einzelnen Fälle werden polizeilich registriert, so dass statistische Angaben möglich sein werden.
43
Null Bock auf Schule
Andrea Michel / Deutsches Jugendinstitut München
Praxisbeispiele in der Prävention von und Auseinandersetzung
mit Schulverweigerung
Das Deutsche Jugendinstitut e.V. wurde auf Beschluss des Deutschen Bundestages
gegründet. Es entstand 1963 aus dem Deutschen Jugendarchiv in München und
dem Studienbüro für Jugendfragen in Bonn. Heute ist es bundesweit das größte außeruniversitäre sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut im Bereich Kinder, Jugendliche, Frauen und Familien.
Das DJI hat seinen Sitz in München und eine regionale Arbeitsstelle in Halle. Über
130 wissenschaftliche MitarbeiterInnen untersuchen langfristig und systematisch die
Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Familien sowie darauf bezogene öffentliche Angebote zu ihrer Unterstützung und Förderung.
Die Palette der langfristig angelegten Projekte umfasst Themen der Kinder-, Jugend, Familien- und Geschlechterforschung sowie der Jugendhilfe. Parallel werden Studien zu aktuellen gesellschaftspolititschen Entwicklungen und Problemlagen durchgeführt. Das DJI entwickelt, begleitet und evaluiert auch Modellvorhaben. Auf der
Grundlage dieser Forschungsergebnisse berät das DJI Politik und Praxis der Kinder, Jugend- und Familienhilfe.
Das Netzwerk ist im sogenannten Forschungsschwerpunkt »Übergänge in Arbeit«
angesiedelt. Hier werden die Lebenslagen und Lebensverläufe von »benachteiligten« Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schulen, im Ausbildungssystem, in
Betrieben, in Arbeitsmarktmaßnahmen und in der Arbeitslosigkeit untersucht.
Lebenslagen und Lebensverläufe Bildungs-, ausbildungs- und erwerbsbiografische
Abfolgen sind trotz aller Tendenzen zur Diskontinuität nach wie vor ein wichtiger
Rahmen für den Übergang in den Erwachsenenstatus und eine selbstständige
Lebensführung. Die Projekte zu den Lebenslagen sowie Bildungs-, Ausbildungs- und
Erwerbsverläufen von »Risiko-Jugendlichen« erhellen die Vorgeschichten und Folgen
von Benachteiligung beim Übergang in Ausbildung und Beruf. Untersucht werden
beispielsweise Schulverweigerer - den problematischen Übergangskarrieren gehen
häufig, wenn nicht gar regelmäßig, problematische Schulkarrieren voraus -, aber
44
Null Bock auf Schule
auch MaßnahmeteilnehmerInnen des Freiwilligen Sozialen Trainingsjahres (FSTJ)
oder junge Erwachsene, die ohne Zugang zu »regulärer« Erwerbsarbeit in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf leben.
1.
Das Projekt Netzwerk Prävention Schulmüdigkeit & -verweigerung
Das Ziel des Projektes ist es, Praxisbeispiele im Handlungsfeld Prävention von
Schulmüdigkeit und Schulverweigerung systematisch zu erfassen. Daraus wird vom
DJI ein Netzwerk von Projekten aus möglichst allen Bundesländern mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen in Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schulen organisiert und moderiert. Das Team besteht aus vier Mitarbeiterinnen: drei wissenschaftliche Referentinnen - Andrea Michel, Irene Hofmann-Lun (beide München) und Dr.
Elke Schreiber (Halle) – und Regina Wegemann (Sachbearbeitung, München).
Das Projekt wird im Rahmen eines Programms vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung im Rahmen des Programms „Kompetenzen fördern – „ Berufliche
45
Null Bock auf Schule
Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf" sowie unter Kofinanzierung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds durchgeführt. Laufzeit 01.11.2002 31.10.2005
1.1. Aufgaben und Ziele des Projekts
Aufgaben und Zielsetzungen des Projektes

Systematische Erfassung und Dokumentation von Praxisbeispielen

Aufbau und Moderation eines Netzwerkes

Verbreitung der Ergebnisse über Tagungen und unterschiedliche Medien

Nutzung der Erfahrungen für ein breites Gegensteuern

Systematische Überprüfung der Wirkungsweise der Ansätze auf Bildungsverläufe
Die Aufgaben des Netzwerks reichen von
Bundesweiter Erfassung und Dokumentation von etablierten Praxisbeispielen (Good
Practice) im Handlungsfeld Prävention von Schulmüdigkeit und –verweigerung in
Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schule. Daraus wird am DJI ein Netzwerk
von Projekten aus möglichst allen Bundsländern mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen organisiert und moderiert. Das Netzwerk orientiert sich am Modell des „Netzwerks innovativer Schulen und Schulsysteme“ der Bertelsmann Stiftung.
Folie als Beispiel – Verteilung der Netzwerk-Projekte regional
Die Ergebnisse dieser Entwicklungsarbeit sollen Fachpolitik und –praxis über das
Internet, einen Newsletter, Regionaltagungen und eine bundesweite Fachtagung
2005 mit 500 Teilnehmern zugänglich und anwendbar gemacht werden.
Ein erstes Kennen lernen und ein Austausch über Arbeitsschwerpunkte der (derzeit
39) Projekte, findet bei einer Auftakt-Veranstaltung in Fulda (21./ 22.11.03) statt.
46
Null Bock auf Schule
Diese Ansätze werden in einer Broschüre dargestellt, die ab Anfang des Jahres
2004 über das Netzwerk im DJI zu beziehen ist
www.dji.de/schulmuedigkeit
Auf diese Weise sollen die Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Einsatz von
Handlungsansätzen für ein breites Gegensteuern nutzbar gemacht werden.
Dabei ist auch beabsichtigt, die Wirkungsweise präventiver Handlungsansätze auf
die Bildungsverläufe von Jugendlichen systematisch zu überprüfen. Dies soll durch
eine Panelbefragung (3 Befragungen im Abstand von je einem halben Jahr) erforscht werden.
2. Der Begriff Schulverweigerung

Vieldiskutierter Oberbegriff

„Schwänzen“ als Regelverletzung oder als Gefährdung der Schulkarriere

Aktive Schulverweigerer - Störung des Unterrichts oder Fernbleiben

Passive Schulverweigerer - physisch zwar präsent aber abwesend“ oder offiziell
„entschuldigt“

Mischformen, wie zum Beispiel häufiges Zuspätkommen
Der Oberbegriff wird viel diskutiert, gebräuchlich ist auch: Schulverweigerung, Schulabsentismus, schuldistanziertes Verhalten, Schulverdrossenheit, Schulmüdigkeit,
Schulangst, Schulphobie, Schulaversiom, Schulschwänzen etc.
Als Folge kann festgehalten werden: Die Begriffe so vielfältig wie das Phänomen
Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen „Schwänzen“ als Regelverletzung
oder als Gefährdung der Schulkarriere. Dieser Unterschied meint einerseits den bewussten Regelverstoß, bei dem man sich aber bewusst ist, dass die Folgen gering
sind. Hier ist das gemeint, was vielleicht viele kennen und eher als „Müßiggang“ oder
als „begrenztes Aufbegehren verstanden werden kann – aber nicht wirklich seine
47
Null Bock auf Schule
Bildungslaufbahn aufs Spiel setzt! Das Schulschwänzen, um das es hier geht, gefährdet ernsthaft der Schulverlauf oder heißt, dass der Schulabschluss in Gefahr ist
Thimm unterteilt dieses Schwänzen als:
Gelegenheitsschwänzen – (Eck) Stunden, sporadisches Schwänzen bei bestimmten
Regelschwänzen – Bestimmte Fächer, immer mal einige Tage, regelmäßig bestimmte Tage, gelegentliches Langzeitschulschwänzen.
Intensivschwänzen als Schulverweigerung – wochen- oder monatelang kein Schulbesuch
Sowohl umkehrbar (oftmals etwas leichter wieder rückgängig zu machen, da der
Schüler sich noch in Schulnähe aufhält)
Aktive Schulverweigerer: Störung des Unterrichts oder Fernbleiben. Kinder und Jugendliche, die:
… unentschuldigt wiederholt - regelmäßig - dauerhaft der Schulpflicht nicht nachkommen
… zwar im Unterricht physisch präsent sind, aber die Teilnahme am Unterricht aktiv
verweigern durch Leistungsverweigerung, Störungen usw.
Passive Schulverweigerer: physisch präsent aber „abwesend“ oder offiziell „entschuldigt“
Kinder und Jugendliche, die:
… zwar im Unterricht physisch präsent sind, aber sich passiv verhalten, regelmäßig
oder dauerhaft zurückziehen, abwesend sind
… die formal entschuldigt aber inhaltlich nicht nachvollziehbar häufig am Unterricht
nicht teilnehmen
Mischformen, wie zum Beispiel häufiges Zuspätkommen
Fazit: Gemeinsam ist den skizzierten Formen, dass sich Kinder oder Jugendliche
den Verhaltens- und/oder Leistungsanforderungen schulischen Unterrichts entziehen
oder aktiv widersetzen. Schulverweigerung hat in der Regel ein - zumindest vorübergehendes - schulisches Scheitern zur Folge. Schulverweigerer müssen überdurchschnittlich häufig Schuljahre wiederholen. Unter den Frühabgängern sind Schulverweigerer stark vertreten. Schulverweigerung ist nicht zentral oder gar ausschließlich
Ausdruck eines Scheiterns an kognitiven oder schulischen Leistungsanforderungen.
48
Null Bock auf Schule
Zum Umfang lässt sich sagen, dass die Diskussionen darüber, ob Schulverweigerung zugenommen hat oder nicht verschwommen ist. Die Sensibilität für dieses
Thema ist gewachsen, damit auch die Wahrnehmung eines Phänomens, dass es
sicher davor auch schon gab. Ein weiterer Grund für die zunehmende Bedeutung ist,
dass gesellschaftliche Bedingungen einen Arbeit-/ Ausbildungsplatz ohne Schulabschluss zu bekommen, schlechter geworden sind. Mittels Definitionen und Statistiken
können nur die nicht-entschuldigten, aktiven Schulverweigerer gezählt werden,
schwerlich aber die oben genannten passiven.
3. Praxisbeispiele im Spannungsfeld der Prävention von Schulmüdigkeit
und Schulverweigerung
3.1 Präventive Ansätze in der Schule
Ansätze, die Förderung von schulmüden und schulverweigernden Jugendlichen an
den Schulen selbst durchzuführen, werden von Trägern der Jugendsozialarbeit in
enger Kooperation zwischen den sozialpägagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Trägers und den Lehrkräften der jeweiligen Schule durchgeführt. Voraussetzung ist die Einsicht von Schulleitungen und Lehrkräften, dass Angebote in
der Schule notwendig sind, die über das bestehende Lernangebot hinausgehen. Dabei muss die Bereitschaft sowohl vonseiten der Lehrkräfte als auch der Sozialpädagoginnen und -pädagogen gegeben sein, im Rahmen von Schule in der Anwendung
unterschiedlicher Methoden zu kooperieren und sich zu ergänzen.
Zentrales Ziel des Ansatzes ist, einer beginnenden Schulverweigerung frühzeitig vorzubeugen. Die Jugendlichen sollen befähigt werden, ihre Lernmotivation wieder zu
erlangen, ihre sozialen Kompetenzen sollen gefördert, sie sollen in das Lerngruppengefüge integriert werden. Es soll ein positives Lernklima in der Klasse aber auch
in der Schule insgesamt geschaffen werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen
die Wichtigkeit des Erreichens eines schulischen Abschlusses für sich zu erkennen
und dieses Ziel auch langfristig verfolgen können.
49
Null Bock auf Schule
Präventiv arbeitende Projekte
Zentrales Ziel des ersten Ansatzes ist, einer beginnenden Schulverweigerung frühzeitig vorzubeugen.
- Die Jugendlichen sollen befähigt werden, ihre Lernmotivation wieder zu erlangen
- Ihre sozialen Kompetenzen sollen gefördert, sie sollen in das Lerngefüge integriert
werden
- Es soll ein positives Lernklima in der Klasse aber auch in der Schule insgesamt
geschaffen werden
- Die Schülerinnen und Schüler sollen die Wichtigkeit des Erreichens eines schulischen Abschluss für sich erkennen und dieses Ziel auch langfristig verfolgen können,
Hier werden zusätzliche, zeitlich begrenzte Angebote – etwa zur Steigerung der
Lernmotivation und soziales Training - von sozialpädagogischen Fachkräften entweder im Klassenverband in Kooperation mit den jeweiligen Lehrkräften oder als Einzelfallhilfen gemacht. Ergänzt werden alle diese Formen der Förderung teilweise
durch außerschulische erlebnispädagogische Angebote, sowie werkpraktische Tätigkeiten. In der Zusammenarbeit zwischen den sozialpädagogischen Fachkräften, dem
Lehrerkollegium und der Schulleitung sollen Bedingungen innerhalb der Schule geschaffen werden, die die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen unterstützen.
Bausteine dieser Angebotsform sind:
Gestaltung von Unterrichtseinheiten im Klassenverband, Einzelfallhilfe, Schulaufgabenhilfe, Elterngespräche zu Problemsituationen, Freizeitangebote und Konfliktprävention, Kulturelle Angebote, Sprachförderung, pädagogische Konferenzen in der
Schule etc.
Die Angebote sind in den Schulalltag integriert. Die Auswahl der angewandten Methoden richtet sich nach Lerngegenständen und den zu bearbeitenden Problemlagen. Beziehungsarbeit und Interaktionsübungen in und mit den Klassen soll die Gemeinschaft stärken und individuelle soziale Kompetenzen erhöhen. Durch ein positives Lernklima werden die Jugendlichen darin bestärkt, sich gegenseitig zu unterstützen, um schulisches Scheitern und Schulmüdigkeit zu verhindern.
50
Null Bock auf Schule
Die Einzelfall- bzw. entwicklungsbegleitende Hilfe kann auch von Jugendlichen auf
eigene Initiative in Anspruch genommen werden. Sie umfasst die Analyse der Situation der Jugendlichen und die Entwicklung individueller Lösungsmöglichkeiten.
Elternarbeit wird in unterschiedlicher Form und Intensität durchgeführt. Zum Teil wird
die Kontaktaufnahme zu den Eltern nach Bedarf realisiert, und die Elternarbeit erfolgt durch individuelle Gespräche oder in Gruppengesprächen. Andererseits bieten
regelmäßige Präsenzzeiten der sozialpädagogischen Fachkräfte in den kooperierenden Schulen Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrer und auch den Erziehungsberechtigten die Möglichkeit in Problemsituationen Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
3.1.1
Praxisbeispiel zu Prävention – Das KOMM in Darmstadt und Frankfurt
KOMM - Schule als Lebensort
Träger
Projektlaufzeit
Gegenstand
Christliches Jugenddorfwerk Deutschland e.V. (CJD)
seit September 2000 in Darmstadt
Durch frühzeitiges Erkennen von Problemlagen soll den verschiedenen Ausformungen des Schulabsentismus begegnet werden. In Zusammenarbeit mit
Eltern, Lehrkräften und anderen Institutionen sollen für Schülerinnen und
Schüler individuell zugeschnittene Lösungswege entwickelt bzw. entsprechende Hilfen zu vermittelt werden.
Zielgruppe
Geschlecht
männlich / weiblich
Altersgruppe
4.-7. Klassen
Kapazität
alle Schüler und Schülerinnen der 4. – 7. Klasse der fünf kooperierenden
Schulen in Darmstadt Süd-West
Nationalität
Deutsche / Ausländer
Schulische Merkmale
Grundschüler der 4. Klasse
Gesamt-, Haupt-, Realschüler der 5. – 7. Klasse
51
Null Bock auf Schule
Kurzbeschreibung
Bei KOMM handelt es sich um eine Beratungsstelle in Schule und Stadtteil.
Sie bietet Clearing und ggf. Vermittlung von Hilfen in schwierigen Situationen,
die zu Schulabsentismus führen können oder bereits geführt haben. Kinder
und Jugendliche, deren Eltern und Lehrkräfte werden in das Beratungsangebot
einbezogen. Es besteht stadtteilorientiert für Grund- und weiterführende
Schulen. Zielgruppen sind dabei die Schülerinnen und Schüler der 4. – 7.
Klassen.KOMM ist ein Kooperationsprojekt des Christlichen Jugenddorfwerks Deutschlands und der gemeinnützigen Hertie Stiftung an den beiden
Standorten Frankfurt-Griesheim und Darmstadt-Süd-West. In Frankfurt und
Darmstadt ist die Stadt ebenfalls Kooperationspartnerin.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von KOMM begreifen Schulabsentismus als ein Symptom. Hinter diesem Symptom verbergen sich individuelle,
familiäre, sozialstrukturelle und schulstrukturelle Problemlagen, die durch
Schulabsentismus sichtbar werden. Erst als Sekundäreffekt entwickelt sich
Schulabsentismus vom Symptom zum eigenständigen „Störungsbild“.
weiter Kurzeschreibung
KOMM verfolgt bei seiner Arbeit folgende Zielsetzungen:

Ressourcen von Schülerinnen / Schülern und Eltern stärken,

Individuelle Handlungskonzepte entwickeln,

Weitervermittlung an bereits vorhandene Hilfsangebote in der Region,

Kontinuierlichen Kontakt zu in ihrer Schulbiografie gefährdeten Schülerinnen und Schülern zu halten,

Empathie für gefährdete Kinder bei Eltern und Lehrkräften wecken,

Entwicklung eines sinnvollen Dialoges zwischen Kindern, deren Eltern
und Lehrkräften unter Einbeziehung relevanter Bezugspersonen und Institutionen
Diese Zielsetzungen werden durch folgende Strategien realisiert:
-
Präventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bereits ab dem 4.
Schuljahr, d.h. bevor sich Schulmüdigkeit verfestigt,
-
stadtteilorientierte und mobile Arbeit; KOMM verfügt über eine externe Beratungsstelle im Stadtteil,
Präsenz an den Schulen: KOMM verfügt über eigene Räumlichkeiten
in den weiterführenden Schulen.
Prozessverlauf
-
-
52
Der Erstkontakt geschieht durch das Kind, die Lehrkraft, die Eltern
oder durch KOMM selbst. Nach der Clearingphase (psychosoziale
Diagnostik) über ca. 5 Beratungsgespräche in unterschiedlichsten Settings findet ggf. eine Weitervermittlung an Hilfsangebote statt. Es erfolgt in individueller Weise eine Nachsorge.
Null Bock auf Schule
 Die fachlichen Ausrichtungen in der Beratungsarbeit sind verschieden (klientenzentriert, Gestaltansatz, systemisch). Wichtig ist die gemeinsame Definition
von Schulabsentismus als Symptom.
Interviewer: Irene Hofmann-Lun /Andrea Michel, Datum des Interviews:
12.05.2003, Informationsstand: 07.11.2003
Ansprechpartner
KOMM-Beratungsstelle
Frau Margit Simon
Bessunger Str. 77
64285 Darmstadt
Telefon: 06151 / 66 03 38
Telefax: 06151 / 66 06 32
E-Mail: [email protected]
3.2
Kooperation von Schule und Jugendhilfe „an der ersten Schwelle“
Lernort Schule - Förderung abschlussgefährdeter Schüler
- Remotivierung für schulisches Lernen
- Der Erwerb des Hauptschulabschlusses
- Entwicklung von Alltags- und Sozialkompetenzen, Stabilisierung der Persönlichkeit
- Der Aufbau einer bewussten Lebens- und Berufswegeplanung, Entfaltung individueller beruflicher Ziele
- Eintritt in eine Berufsausbildung oder Teilnahme an einer berufsvorbereitenden
Maßnahme
Demgegenüber richten sich Projekte des zweiten Ansatzes an Schülerinnen und
Schüler ab der 8. Jahrgangsstufe bzw. dem 9. Schulbesuchsjahr, die vor der Beendigung ihrer Schulpflichtzeit stehen: 14- bis 17-jährige Sonder-, Haupt- und Gesamtschüler des 9. und 10. Schulbesuchsjahres, die massiv Schule schwänzen bzw.
bereits Schulabbrecher oder deren Abschlüsse gefährdet sind. Erstes Ziel ist es,
diese Jugendliche überhaupt dazu zu bewegen, wieder (regelmäßig) in die Schule zu
kommen und sich dort an schulischen und sozialen Prozessen zu beteiligen. Die Jugendlichen sollen darüber hinaus aber auch „in ihrer Persönlichkeit stabilisiert“ werden. Es soll erreicht werden, dass die Jugendlichen positive Selbstwertgefühle, Vertrauen zu Anderen, Alltags- und Sozialkompetenzen (neu) entwickeln. Die Entwicklung individueller beruflicher Perspektiven ist eine weitere Zielsetzung. Erreicht wer53
Null Bock auf Schule
den soll die Remotivierung für schulisches Lernen, der Erwerb des Hauptschulabschlusses, der Aufbau einer bewussten Lebens- und Berufswegeplanung, Eintritt in
eine Berufsausbildung oder die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme.
Die Arbeit besteht hier aus einer - auf die Zielgruppe abgestimmte- Vermittlung schulischen Wissens (z.B. Durchführung von themenspezifischen Projekten etc). Ergänzt
wird der Unterricht durch Angebote zur Stärkung der Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit. Hinzu kommen Werkpraxis und Betriebspraktika, sowie individuelle Unterstützung bei spezifischen Problemen. Der Unterrichtsstoff orientiert sich an den Curricula der betreffenden Jahrgangsstufen und dient der Aufarbeitung fehlender schulischer Grundlagen. Dabei wird auf eine Verzahnung zwischen Werkpraxis und theoretischem (Schul-)Unterricht Wert gelegt. So fließen z.B. Inhalte des berufspraktischen Unterrichts oder Erfahrungen aus der Arbeit in Schülerfirmen in den Unterricht
ein. Dies erleichtert die Vermittlung der Sinnhaftigkeit des theoretischen Unterrichts
und die Aufnahme solcher Inhalte. Die Teilnahme an diesem Angebotstyp umfasst
die volle Unterrichtszeit. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es spezielle
Aufnahmeverfahren.
Da die Platzzahl begrenzt ist, werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch
Lehrkräfte und evtl. in Kooperation mit dem Jugendamt vorgeschlagen. Einen wichtigen Bestandteil des Aufnahmeverfahrens bilden Informationsgespräche für die potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ihre Eltern über den Verlauf sowie
die Inhalte und Zielsetzungen des Projektes. Auf dieser Basis können sich die Jugendlichen freiwillig für oder gegen eine Teilnahme entscheiden. Bestandteil des
Aufnahmeverfahrens ist zusätzlich der Abschluss eines Vertrages, der die Regeln,
Pflichten und Möglichkeiten im Rahmen des Projektes beinhaltet.
54
Null Bock auf Schule
3.2.1 Praxisbeispiel – Die Schulwerkstatt in Köln
Schulwerkstatt
Träger
Internationaler Bund
Projektlaufzeit
1.12.1998 – 31.07.2003
Gegenstand
Schulinternes Werkstattprojekt mit Unterricht für schulmüde
und abschlussgefährdete Schüler
Teil-/Abschlüsse
allgemein bildende Schulabschlüsse
(Hauptschulabschluss nach der 9. bzw. 10 Klasse)
Zielgruppe
Geschlecht
männlich / weiblich
Altersgruppe
15 – 17 Jahre
Nationalität
Deutsche / Ausländer
Schulische
abschlussgefährdete Schüler, Schulbummler, Schulmüde, Ge-
Merkmale
samtschüler
55
Null Bock auf Schule
Kurzbeschreibung
Die Schulwerkstatt ist ein Kooperationsprojekt der WillyBrandt-Gesamtschule und der Sozialpädagogischen Beratungsstelle des Internationalen Bundes. Dieses schulinterne
Projekt richtet sich an Schüler und Schülerinnen der Jahrgangsstufen 8 bis 10. Schulmüde Jugendliche, die voraussichtlich in der Regelklasse keinen Schulabschluss erreichen werden, werden in der Schulwerkstatt gefördert. Neben der praktischen Werkarbeit mit Holz und kreativem Gestalten, werden
die Jugendlichen in Kleingruppen unterrichtet. Eine starke Gewichtung auf Jahres- und Blockpraktika soll die späteren
Chancen auf eine Ausbildung erhöhen.
Neben der Werkstatt- und Projektarbeit und dem Unterricht,
nimmt auch sozialpädagogische Einzel- und Gruppenbetreuung einen wichtigen Platz ein. Die Jugendlichen haben in der
Schulwerkstatt die Möglichkeit, ihrem Leistungsstand entsprechend, den Hauptschulabschluss der Klasse 9 oder 10 zu erlangen.
Ansprechpartner
Interviewerin: Andrea Michel, Datum des Interviews: 31.07.03,
Informationsstand: 06.11.2003
Internationaler Bund
Sozialpädagogische Beratungsstelle für Berufsanfänger
Frau Martina Welters (Einrichtungsleitung)
Frau Mirka Schneider (Fachberatung)
Pfälzischer Ring 102
51063 Köln
Telefon: 0221 / 98 09 50 –1/-2/-7
Telefax:
0221 / 98 09 525
E-Mail:
[email protected]
[email protected]
Internet: http://www.internationaler-bund.de
56
Null Bock auf Schule
3.3 Außerschulische Förderung von schulmüden und schulverweigernden Jugendlichen
Projekte, die Jugendlichen an einem außerschulischen Lernort die Erfüllung ihrer
Schulpflicht ermöglichen, arbeiten überwiegend mit 14 bis 16jährigen Schülerinnen
und Schülern aus Haupt- und Sonderschulen, die bereits eine deutliche Verweigerungshaltung gegenüber den schulischen Anforderungen zeigen. Die schulischen
Karrieren, auf die diese Schülerinnen und Schüler zurückblicken, sind durch zum Teil
mehrfache Klassen- und Schulwechsel gekennzeichnet. Die Selbstwahrnehmung
dieser Jugendlichen, Versager zu sein, wurde durch negative Äußerungen von Lehrkräften und Mitschülern bestätigt. Die Jugendlichen befinden sich überwiegend im 7.,
8., 9. oder 10. Schulbesuchsjahr, stehen jedoch in ihrem Leistungsstand auf einem
wesentlich niedrigeren schulischen Niveau. Das schulische Scheitern dieser Jugendlichen und ihre massiven Schulversäumnisse erschweren eine Reintegration in vorgegebene Schulstrukturen und behindern die Entwicklung von beruflichen (und persönlichen) Zukunftsperspektiven.
Außerschulische Förderung
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Zielgruppe sind 14 bis 16-jährige Schulverweigerer aus
Haupt- und Sonderschulen
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Aufbau eines Vertrauensverhältnisses, positives Selbstwertgefühl, strukturierter Tagesablauf, Umgang mit Regeln, Wiedererlangen der Lernfähigkeit
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Kombination aus schulischem Unterricht, werkpraktischen Tätigkeiten,
erlebnispädagogischen Angeboten sowie themenspezifischer Projektarbeit
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Vorbereitung auf die Hauptschulabschlussprüfung (teilweise)
Der Entwicklung, die die Jugendlichen im Verlauf der Projektteilnahme nehmen sollen, liegen folgende konkrete Zielsetzungen zugrunde:
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Psycho-soziale Stabilisierung
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Null Bock auf Schule
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Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls
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Erwerb von Ich- und Sozialkompetenzen
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Aufbau der Lernmotivation
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Aufarbeitung von schulischen Defiziten
Selbstverantwortliches Handeln soll angeregt, der Abbau von Aggressionen erreicht,
Kommunikations- und Konfliktfähigkeit sollen gefördert, sowie Arbeits- und Lerntugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ausdauer eingeübt werden. Die Jugendlichen sollen durch entsprechende Lernangebote erfahren, dass sie in der Lage
sind, ihre Lebensbezüge selbst zu gestalten, eigene Ziele zu formulieren und diese
auch umzusetzen. Eine Teilnahme wird für ein Schuljahr, in mehreren Fällen auch
für zwei Schuljahre, angeboten. In dieser Zeit sollen die Jugendlichen wieder einen
strukturierten Tagesablauf und die Einhaltung von verbindlichen Regeln einüben,
ihre Lernfähigkeit wiedererlangen und schulische Defizite beseitigen, was häufig
nicht innerhalb eines Schuljahres zu leisten ist.
Der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses der Jugendlichen zu den Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern ist eine zentrale Grundlage dieser Ansätze.
Die Anwesenheitszeit im Projekt entspricht der Schulzeit. Ähnlich wie in der Schule
ist der Tagesablauf durch einen Stundenplan strukturiert. Für die Teilnahme werden
verbindliche Regeln aufgestellt, deren Beachtung strikt eingefordert wird. Die Unterrichtung und Betreuung der Schülerinnen und Schüler erfolgt in kleinen Gruppen.
Um die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler zu befördern, wird eine Verbindung zwischen den werkpraktischen Tätigkeiten und dem schulischen (theoretischen) Unterricht
Eine wichtige Bedeutung kommt der Zusammenarbeit mit den Eltern zu. Aufgrund
der Einsicht, dass Hilfestellungen der Eltern mit entscheidend dafür sind, dass Jugendliche ihre Verweigerungshaltung aufgeben können, wird versucht, die Eltern in
diesen Entwicklungsabschnitt ihrer Kinder einzubinden. Der Zusammenarbeit mit
den Eltern der Jugendlichen sind häufig Grenzen gesetzt, weil diese selbst oft massive persönliche Probleme zu bewältigen haben und mit der Erziehung ihrer Kinder
nicht selten überfordert sind.
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Null Bock auf Schule
Für die Förderung der Jugendlichen werden Projektmitarbeiterinnen und –
mitarbeiter mit unterschiedlichen Kompetenzen und Qualifikationen eingesetzt. So
sind Lehrkräfte (die häufig vom Schulamt für die Unterrichtung dieser Jugendlichen
vom Unterricht in ihrer Regelschule freigestellt werden) Bestandteil aller Projektteams ebenso wie Werkpädagogen und Sozialpädagogen. Für ein erfolgreiches Arbeiten mit den Jugendlichen erweist es sich als notwendig, Belastungen sowohl für
das Team als auch für die Jugendlichen in Grenzen zu halten. Dementsprechend
muss genau definiert werden, welche Problematiken im Rahmen der einzelnen Projekte nicht bearbeitet werden können, um die positive Entwicklung der übrigen Jugendlichen nicht zu gefährden und um einen Gruppenzusammenhalt zu erreichen.
Das Vorhandensein von festen Strukturen und verbindlichen Regeln erweist sich als
außerordentlich wichtig für die Entwicklung der Jugendlichen.
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3.3.1 Praxisbeispiel – Move – Jugendhilfeprojekt für Schulverweigerer in Berlin
Move – Jugendhilfeprojekt für Schulverweigerer
Träger
Projektverbund Zukunft Bauen
Projektlaufzeit
seit 01.01.1998
Gegenstand
Vorbereitung von jugendlichen "harten" Schulverweigerern auf die externen
Prüfungen für den "Einfachen Hauptschulabschluss"
Teil-/Abschlüsse
allgemein bildende Schulabschlüsse
Zielgruppe
Geschlecht
männlich / weiblich
Altersgruppe
Nationalität
14 – 17 Jahre
Schulische Merkmale
Deutsche / Ausländer
Soziale Merkmale
abschlussgefährdete Schüler, Lernbeeinträchtigte,Schulmüde
geringes Selbstwertgefühl, Konzentrations-/Ausdauerschwäche, Konflikte im
Elternhaus, defektes familiäres Umfeld, hohe Gewaltbereitschaft, geringe Sozialkompetenz, Drogenerfahrung
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Kurzbeschreibung
Ausgangspunkt für die Einrichtung des Jugendhilfeprojekts war das Verweigern des Schulbesuchs durch Schüler und Schülerinnen zu tendenziell immer
früheren Zeitpunkten ihrer Schulkarriere. Dies betraf in besonderem Maße
auch Jugendliche, die durch die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung
oder durch Kontakte zur Jugendgerichtshilfe bereits zu Adressaten von Leistungen des Jugendamtes geworden waren. Auch trafen bei einer Teilgruppe die
Symptome von Schulverweigerung mit denen einer so genannten Straßenkarriere zusammen.
Interessanterweise wird zumindest in einer Teilgruppe dieser Form von Schulverweigerern der Erwerb von Abschlüssen, in diesem Fall der Erwerb des
einfachen bzw. des erweiterten Hauptschulabschlusses, hoch bewertet. Das
Ziel Schulabschluss stellt somit einen potenziellen Zugang zu einer Strategie
der sozialen Stabilisierung und zur weiteren beruflichen und sozialen Integration dar.
Die Konzeption beinhaltet ein zeitlich und organisatorisch flexibles Sozialisations- und Lernangebot, das die Jugendlichen auf die Fremdenprüfung zum
Erwerb des einfachen bzw. erweiterten Hauptschulabschlusses und ihren
Übergang in eine Berufsausbildung vorbereitet. Methodisch wird dies in einer
Verbindung von Unterricht, fachpraktischen Projekten und Freizeitangeboten
umgesetzt.
Das Projekt erreicht die Gruppe der notorischen Schulverweigerer, die der
Schule zu einem frühen Zeitpunkt den Rücken kehren und deren Biographien
zum Teil durch psychosoziale Probleme, problematische Familienverhältnisse
und Kontakte zur Jugendgerichtshilfe gekennzeichnet sind. Der Anteil an
Jugendlichen mit Straßenkarrieren ist im Projektverlauf deutlich zurückgegangen, da diese Problematik nicht mehr in dem Maße auftritt, wie in den
ersten Jahren des Projekts.
Der Zugang zum Modellversuch ist insofern selektiv, als die Motivation,
einen Schulabschluss zu erwerben, zentrales Zulassungskriterium ist. Zusätzlich muss die Finanzierung über das Jugendamt gesichert sein, Selektivität
äußert sich auch in Kündigungen während der Probezeit und in Abbrüchen.
Dies betrifft insbesondere Jugendliche, die nicht aus eigener Motivation an
dieser Maßnahme teilnehmen.
Die Strategie ist allerdings erfolgreich bei den Jugendlichen, die an den selbst
gesetzten Zielen festhalten beziehungsweise festzuhalten vermögen. Alle die
Jugendlichen, die bisher zur Fremdenprüfung angemeldet wurden, haben diese
auch erfolgreich absolviert.
Das Projekt hat inzwischen einen zweiten Standort aufgebaut und konnte
damit seine Kapazität von 14 auf insgesamt 28 Jugendliche erhöhen.
Ansprechpartner
Interviewer: Irene Hofmann-Lun, Andrea Michel; Datum der Interviews:
03.04.2003, Informationsstand: 04.11.2003
Antje Görss, Bernd Kunckel
Strelitzer Str. 60
10115 Berlin-Mitte
Telefon: 030 / 443 68 – 750
Telefax: 030 / 444 68 - 706
E-Mail: [email protected]
Internet: www.jugendprojekt-move.de
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3.3.2 Praxisbeispiel - Lernprojekt Lern-Lust bzw. Hirntoaster im KIDS
Kurzbeschreibung
Das Projekt Lern-Lust (oder bei den Jugendlichen „Hirntoaster“ genannt) will Jugendlichen, die sich regelmäßig am Hauptbahnhof aufhalten und von regulären Schulangeboten nicht mehr erreicht werden, ein Unterstützung geben. Studierende der
Fachrichtung Sonderpädagogik der Universität Hamburg bieten den Jugendlichen
niedrigschwellige Lernmöglichkeiten in Szenenähe an. Damit gehen auch andere
tagesstrukturierende Maßnahmen einher, wie Freizeitangebote, Schulangebote oder
Arbeitsangebote. Die Straßenkinder und –jugendlichen sollen in der in der Alltagsbewältigung unterstützt werden, ihre eigenen Fähigkeiten wieder erkennen lernen
und schrittweise an strukturierte Lernprozesse herangeführt werden. Die Lehramtsstudenten besuchen sie in der Anlaufstelle und werben um sie. Dadurch wird
(Selbst-)Vertrauen aufgebaut, die Jugendlichen fühlen sich erwünscht und gefördert.
Es besteht die Möglichkeit das Lernangebot spontan und einmalig für ein konkretes
Anliegen sowie als Vorbereitung auf einen Schulabschluss oder die Suche nach einer geeigneten Schule zu nutzen. Die Studentinnen und Studenten erfahren Unterstützung durch die Fachkräften der Anlaufstelle, von der Mittegründerin des Projektes - Frau Prof. Herz am Lehrstuhl für Verhaltensgestörtenpädagogik- sowie in didaktischen Fragen von den regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS).
Kontaktadressen:
Universität Hamburg
Institut für Behindertenpädagogik
FB Erziehungswissenschaft
Frau Prof. Birgit Herz
Sedanstraße 19
20146 Hamburg
REBUS Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen
Thomas Juhl
Steinfeldtstraße 1
22119 Hamburg
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Anlaufstelle KIDS – Hachmannplatz; Lernprojekt Hirntoaster
Frau Gebhardt, Herr Meent Adden
Träger: BASIS e.V
Geschäftsstelle
Knorrestr.5
20099 Hamburg
4. Zusammenfassung
1) Frühzeitige Identifikation von „Risikokindern und -jugendlichen“ beruhen und
darauf gerichtet sind, die Prozesse des sich Entfernens vom schulischen Lernen nicht erst an den Punkt gelangen zu lassen, wo sie nur schwer revidierbar
sind.
2) Als problematisch war festgestellt worden, dass Jugendsozialarbeit und Schulen – häufig auch unkoordiniert – nebeneinander wirkten. Kooperation beschränkte sich häufig darauf, dass Schulen die Jugendlichen abgaben, die im
Unterricht als Störfaktor wahrgenommen wurden, und Träger der Jugendsozialarbeit diese in ihren Förderangeboten aufnahmen.
3) Daneben ist aber der Anteil der Ansätze bedeutsam, bei denen die Aktivitäten
von Schule und Jugendsozialarbeit eng miteinander verzahnt sind, Lehrkräfte
und sozialpädagogische Fachkräfte eng zusammenarbeiten, Unterricht und
sozialpädagogische Intervention integriert zum Einsatz gebracht werden. Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an die pädagogischen Kräfte auf beiden Seiten. Sie macht deutlich, dass ein hohes Maß an Engagement eine
notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für das Gelingen der Kooperation ist.
4) Eine Reihe von Forschungsergebnissen verweisen darauf, dass der Ausstieg
aus dem schulischen Lernen für Mädchen und Jungen auf unterschiedlichen
Wegen und in unterschiedlichen Erscheinungsformen verläuft. Strategien zur
Reintegration von schulmüden und schulverweigernden Jugendlichen sind in
der Vergangenheit überwiegend „geschlechtsneutral“, vielleicht aber auch
„geschlechtsblind“ gewesen. Insofern sind unter den Schulmüden-Projekten in
Nordrhein-Westfalen die hervorzuheben, die explizit den „stillen Ausstieg“ zu
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erkennen suchen und dazu geeignete Gegenstrategien entwickeln, sowie
spezifische Mädchenprojekte realisieren.
Kooperation kann jedoch nur gelingen, wenn beide Seiten bereit sind, sich zu öffnen
und sich auf neue – verbindliche – Regeln und Strukturen einzulassen, mit dem Ziel,
Leistungen und Angebote zu verzahnen, ohne dass Zuständigkeiten und spezifische
Kompetenzen verwischt werden. Nicht die Konkurrenz zweier unterschiedlicher Systeme, sondern deren sinnvolle Ergänzung ist die Basis einer erfolgreichen Förderung.
(hier auch nachzulesen bei: Hofmann-Lun, Irene / Kraheck, Nicole: Förderung
schulmüder Jugendlicher – Neue Wege der Kooperation von Jugendsozialarbeit und
Schulen in den Schulmüden- Projekten in Nordrhein-Westfalen)
erscheint Anfang 2004, zu beziehen über www.dji.de/schulmuedigkeit
Weitere Informationen zum Thema ‚Praxisprojekte im Handlungsfeld von Schulmüdigkeit&Schulverweigerung’, ein Projekt des Deutschen Jugendinstitut e.V., gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung zu beziehen über:
Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstr. 2
81541 München
http://www.dji.de/schulmuedigkeit
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Anhang:
Dokumentation der Vortragsfolien von:
Bernd Strauch / Justizministerium des Landes Niedersachsen
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