A Verdeckte Recherche Verdeckte Recherche – wenn schon, dann mit Augenmass Gerichte sollten auch die Wächterfunktion der Medien berücksichtigen Von Peter Studer* Inhaltsübersicht Einleitung I. Vertrauensprinzip und Kontrollprinzip als normative Grundlagen A. Das Vertrauensprinzip, ein gesellschaftlicher und juristischer Grundwert 1. Die "kommunikative Wende" in der Diskursethik 2. Das Vertrauensprinzip in der Rechtsauslegung B. Das Kontrollprinzip, "Wachhunde der Demokratie" – eine Funktion der Medien C. Um welche Normen des schweizerischen Rechts geht es? 1. Rechtsnormen im Strafgesetz (StGB) 2. Rechtsnormen im Zivilgesetzbuch (ZGB) 3. Normen freiwilliger Selbstregulierung (Journalistenkodex des Schweizer Presserats) II. Neuere schweizerische Gerichtsurteile und Stellungnahmen des Schweizer Presserats A. Bundesgerichtsurteil vom 7. 10. 2008, BGE 6B_225/2008 ("Versicherungsvertreter") 1. Sachverhalt und Begründung 2. Kommentare B. Bundesgerichtsurteil vom 16. 5. 2001, BGE 127 IV 166 ("Grenzübertritt") C. Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt, Urteil vom 28. 5. 2009 ("Schönheitschirurgen") Exkurs: Urteil des Deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 15. 1. 1984, BVerfG 1 BvR 272/81 ("Wallraf-Urteil") D. Stellungnahme des Schweizer Presserats 51/2007 ("Schönheitschirurgen") E. Stellungnahme des Schweizer Presserats 50/2005 ("Klosterbeichte") III. Zusammenfassung und Vorschlag __________________________________________________________________________ * Dr. iur., Dr. iur. h.c., Rechtsanwalt. Ehemaliger Chefredaktor des "Tages-Anzeigers" (1978/87) und des Schweizer Fernsehens SF (1989/99). Präsident des Schweizer Presserats (2001/07). Autor von Medienrecht für die Praxis (mit Rudolf Mayr von Baldegg), 3. Aufl. 2006, und zahlreicher Aufsätze. 1 Einleitung In den Jahren seit 2000 hat die Praxis der verdeckten journalistischen Recherche nicht nur Redaktionen und Presserat – die freiwillige medienethische Selbstregulierung der Journalistenverbände - , sondern auch die Gerichte beschäftigt. Ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2008, das heftige Diskussionen ausgelöst hat, liegt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg (BGE 6B_225/2008).1 Dieses Urteil soll hier im Kontext dargestellt werden ("Versicherungsvertreter", unten II A). Ein anderes ist erst von einem Einzelrichter beurteilt worden und wird sich wohl auf dem Rechtsweg verfolgen lassen ("Schönheitschirurgen", unten II B). Bei der Recherche geht es darum, "Aussagen über reales Geschehen" zu beschaffen und zu beurteilen, "die ohne dieses Verfahren nicht preisgegeben, also nicht publik würden". Der recherchierende Journalist "fragt, er bohrt, er geht den Geschehnissen auf den Grund".2 "Verdeckt" nennt die Branche eine Recherche dann, wenn sie mit einem Täuschungsmanöver einher geht: Der Reporter tarnt seine Identität und seinen Beruf; er schlüpft in die Rolle eines andern, um Informationen zu erlangen, die er als deklarierter Medienrechercheur kaum bekäme. Es gibt eher harmlose Fälle im Fernsehunterhaltungsbereich: Die von Kurt Felix zelebrierte "Versteckte Kamera" hat Publikumsangehörige oder Prominente in fingierten Situationen gefilmt, sie in einer Samstagabendsendung vorgeführt und hernach die verlegen mitlachenden Betroffenen live vorgestellt. Als "Rechtssuchende" getarnte Journalisten der Konsumentenzeitschrift "Beobachter" stellten Anwälten knifflige Fallfragen und publizieren hernach ihre Rangliste mit Namen. Ein SF-Reporter gewann den Präsidenten der SVP dafür, mit einem unauffälligen Mikrofon am Revers die Gespräche im und um den Nationalratssaal aufzuzeichnen; das Parlamentsbüro reklamiert; der Sender entschuldigt sich. Wir lassen diese und weitere Konstellationen beiseite, um uns der "versteckten Kamera" und den beiden erwähnten Gerichtsfällen zuzuwenden. Der kritische Konsumentenjournalismus hat sich der "versteckten Kamera" oft bedient, um Handwerker in einer präparierten Wohnung zu testen und zu filmen. Die verfremdete Darstellung eines von "Kassensturz" verdeckt gefilmten Versicherungsberaters löste den erwähnten Bundesgerichtsentscheid aus (unten II A). Die anonymisierte "Miss Aargau" als Lockvogel – begleitet von einer als "Freundin" getarnten "Kassensturz"-Reporterin mit versteckter Kamera – liess Schönheitschirurgen zu wohl kaum nötigen Eingriffen raten (unten II C). Inzwischen hat der Chefredaktor des Schweizer Fernsehens SF Recherchen mit versteckter Kamera vorläufig untersagt. Welche Rechts- und Ethikfragen stellen sich? Wie sind die einschlägigen Gerichtsurteile zu bewerten? Die Interessenabwägung ist oft vertrackt. Letzlich geht es um Vertrauen und Misstrauen, um echte oder angebliche Übelstände und deren Aufklärung, um Privatsphäre und deren nötige oder leichtfertige Bedrohung. 1 2 Unten II A. HALLER, Recherchieren, 5; zweiter Satz aus Hallers früherer Auflage, zit. bei RUSS-MOHL, Journalismus, 140. 2 I. Vertrauensprinzip und Kontrollprinzip als normative Grundlagen A. Das Vertrauensprinzip, ein gesellschaftlicher und juristischer Grundwert Wo finden wir das Vertrauensprinzip im gesellschaftlichen Bereich? Der Rechtsphilosoph JÖRG PAUL MÜLLER hat belegt, wie die auf Einzelsubjekte bezogene ethische Argumentation von IMMANUEL KANT in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ersetzt wurde: JÜRGEN HABERMAS, KARL-OTTO APEL und KARL JASPERS vollzogen eine "kommunikative Wende", indem sie den Blick vom "isolierten Subjekt" lösten und auf die Gemeinschaft, auf die "Zwischenmenschlichkeit" richteten. Statt des kategorischen Imperativs als verpflichtender Norm des Einzelnen liefern Dialoge und Diskurse – soweit richtig geführt – die Masstäbe sozialer Normierung.3 Zentrales Thema ist die Formulierung von Diskursregeln, die sich durch "Anerkennung und Ernstnehmen der andern Gesprächsteilnehmer" auszeichnen. "Grund der Bindungswirkung von Verständigungen ist das Vertrauen, das solidarische Menschen in die – expliziten oder impliziten - Zusicherungen der andern setzen dürfen" (Vertrauensprinzip).4 Gewaltfreiheit und Wahrhaftigkeit bilden die Basis solchen Vertrauens. "Wahrhaftig sind die Äusserungen eines Sprechers, wenn er weder sich noch andere täuscht…man kann Wahrhaftigkeit nicht begründen, sondern nur zeigen".5 Nach dem so definierten diskursethischen Vertrauensprinzip wären die "Täuschungsmanöver" (vgl. oben, Einleitung), die mit der verdeckten Recherche einhergehen, in der gesellschaftlichen Lebenswelt zum vorneherein illegitim. Der verdeckt operierende massenmediale Rechercheur gibt ja bewusst vor, ein anderer zu sein, als er ist. Bleibt abzuklären, ob solche Illegitimität zum Schutz höherrangiger Werte im Einzelfall "heilbar" sein könnte. Im rechtlichen Bereich finden sich auf oberster Ebene deutliche Bekenntnisse zum Vertrauensprinzip. Sie richten sich an Staat und Private: "Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben" (Art. 5 III und – als individueller Anspruch – Art. 9 BV). Seit über hundert Jahren gilt die "fundamentale Rechtsregel"6 von Art. 2 II ZGB für alle Rechtsbereiche: Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. Dieser Grundregel, die sich in den meisten Rechtsordnungen findet, entspricht das Verbot des "offenbaren Rechtsmissbrauchs" (Art. 2 III ZGB). Für unsere Sachverhalte heisst das: Man kann sich nicht einfach auf die Medienfreiheit berufen, um täuschende Recherchepraxis zu begründen. Das Gebot von Treu und Glauben "tritt bei der Rechtsausübung stets zu den konkreten Bestimmungen hinzu und verlangt ein 'anständiges Verhalten ' ". Laut Bundesgericht ist die Willenserklärung einer Partei - dazu gehört auch die Bitte um ein Recherchegespräch – "so auszulegen, wie sie vom Empfänger in guten Treuen verstanden werden durfte".7 Nach dem Motto der informationellen Selbstbestimmung muss 3 J.P. MÜLLER, Demokratische Gerechtigkeit, 53 ff mit zahlreichen Quellenhinweisen. J.P. MÜLLER, Demokratische Gerechtigkeit, 72. 5 Zitate von Habermas in J.P. MÜLLER, Demokratische Gerechtigkeit, 66. 6 FORSTMOSER, Einführung, 233 7 FORSTMOSER, Einführung, 236; BGE 113 II 50. 4 3 jedes Individuum bestimmen können, mit wem und unter welchen Bedingungen es kommuniziert. B Das Kontrollprinzip."Wachhunde der Demokratie" – eine Funktion der Medien Die Europäische Menschenrechtskonvention schützt in ihrem umfangreichen Art. 10 die Kommunikationsfreiheiten in besonderem Masse – nämlich die Freiheit der Meinungsäusserung, die Informationsfreiheit, die Kommunikation durch Massenmedien sowie Teile der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit.8 Staatliche Eingriffe in die Kommunikationsfreiheiten sind zwar möglich (Art. 10 II EMRK), doch vor allem hinsichtlich der Medienfreiheit nur unter strengen Bedingungen. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) schreibt den Massenmedien eine besondere Rolle zu: Mit der Medienfreiheit korrespondiert ein Recht der Öffentlichkeit, informiert zu werden; und in ihrer funktionalen Rolle als "public watchdog" sind Presse, Radio und Fernsehen hier die bedeutendsten Akteure. Enge Grenzen zieht der EGMR der Vorzensur ("prior restraints"); aber auch nachträgliche Eingriffe dürfen aktives Rechercheure nicht abschrecken ("chilling effect"). Anderseits pocht der EGMR auch immer wieder auf die Pflichten und Verantwortlichkeiten, die den Massenmedien obliegen. Die Rechte anderer sind zu schützen; bei der Interessenabwägung fällt auch die Art der Darstellung ins Gewicht. 9 Das Schweizerische Bundesgericht und die herrschende Lehre haben die Kommunikationsfreiheit der Bundesverfassung seit jeher im Lichte der Kontrollfunktion interpretiert (heute Art. 16 – Meinungs- und Informationsfreiheit; Art. 17 - Medienfreiheit, Zensurverbot; Art. 93 III – Unabhängigkeit und Programmautonomie für Radio und Fernsehen). Bereits 1911 schrieb das Bundesgericht, es gehöre zur Aufgabe der Presse, über Staatsverwaltung und Staatsfinanzen "Aufschluss zu verlangen". Die Wächterfunktion bezieht sich aber "auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens und umfasst neben ökonomischer und gesellschaftlicher insbesondere auch politische Macht".10 Daraus könnten sogar einzelne Journalisten einen subjektiven Anspruch auf Information ableiten – das sei ein "notwendiger Reflex" der Wächterfunktion des Mediensystems.11 In der Regel berufen sich aber beide Seiten auf die Bundesverfassung: Individuum oder Unternehmen pochen auf den ihnen zugesicherten Schutz ihrer Privatsphäre (Art. 13 BV); Journalisten und Medienhäuser auf Medienfreiheit und "Wächterfunktion" (Art. 16 f BV). Am Richter ist es dann, die Interessenabwägung im Einzelfall, bezogen auf den gesetzlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutz, in aller Sorgfalt vorzunehmen. Noch besser wäre es freilich, wenn die Journalistinnen und ihre Kader das schon selber bei der Vorbereitung ihrer Berichte täten. Die schweizer Gerichte haben 2008/2009 den Einsatz der versteckten Kamera durch die Anwendung an sich begründeter Bedingungen so gut wie verboten. Angesichts der verpönten "prior restraints" und "chilling effects" wird in der Folge zu prüfen sein, ob diese Einschränkung mit der schweizerischen und europäischen Grundrechtspraxis vereinbar ist. 8 GRABENWARTER, EMRK, RZ 23/1. GRABENWARTER, EMRK, Rz. 23/46 10 BGE 37 I 381 ("Murtenbieter"); MÜLLER / SCHÄFER, Grundrechte, 439. 11 MÜLLER / SCHÄFER (MIT FRANZ ZELLER), Grundrechte, 446, 538. 9 4 C. Um welche Gesetzesnormen des schweizerischen Rechts geht es? 1. Rechtsnormen im Strafgesetz (StGB) In den 1960er Jahren hat der Strafgesetzgeber den kommunikationstechnischen Neuerungen Rechnung getragen und den strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz ergänzt. Schützenswertes Rechtsgut ist die "Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation in der Privatsphäre".12 Für die verdeckte Medienrecherche interessiert uns zunächst Art. 179 ter StGB, wonach bestraft wird, "wer als Gesprächsteilnehmer ein nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung der andern daran Beteiligten, auf einen Tonträger aufnimmt (I) und …Dritten zugänglich macht (II). Hauptakteure der verdeckten Recherche sind ja der Rechercheur, der ein Gespräch unter falscher Flagge führt, mitsamt den Kadern, die ihn anleiten und unterstützen. Schwerste Strafe auf Antrag: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr. (Art. 179 bis StGB betrifft die weniger häufige Aufnahme eines fremden Gesprächs, etwa durch vorgängig eingeschaltete Telefonabhöranlagen oder gepflanzte Wanzen). Bei Art. 179 quater wird bestraft, wer "eine Tatsache aus dem Geheim- [oder abgeschirmten Privatbereich] eines andern ohne dessen Zustimmung mit einem Aufnahmegerät beobachtet oder auf einen Bildträger aufnimmt und…Dritten bekanntgibt". Höchststrafe: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. 2. Rechtsnormen im Zivilgesetzbuch Das Schweizerische Zivilgesetzbuch schützt seit anfang des 20. Jahrhunderts ausdrücklich die Persönlichkeit: Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, [oder] durch ein überwiegendes… öffentliches Interesse … gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber wollte es (1907) den Gerichten und der Lehre überlassen, "Persönlichkeit" und "Verletzung" zu präzisieren. Heute ist anerkannt, dass das "einheitliche Rechtsgut" der Persönlichkeit aus zahlreichen "Facetten" besteht, die es ausmachen. In unserem Thema sind von besonderer Bedeutung: Das Recht am eigenen Bild, am eigenen Wort, auf Achtung der Privatsphäre, auf Ehre in einem weiten, auch beruflichen und wirtschaftlichen Sinne (dazu insbesondere noch, wettbewerbsbezogen, das Verbot unlauterer Beeinflussung des Wettbewerb, Art. 3 UWG; und, datenbearbeitungsspezifisch, das Verbot unlauterer Datenbeschaffung, Art. 4 III DSG). Unter "Verletzung" ist nicht jede Beeinträchtigung oder unwillkommene Berührung zu verstehen; es muss eine "gewisse Intensität, ein eigentliches Eindringen" stattfinden.13. Geprüft wird die Persönlichkeitsverletzung in einem zweistufigen Verfahren: 1. Ist eine Persönlichkeitsfacette verletzt? 2. Falls ja: Wird die Verletzung allenfalls durch einen Rechtfertigungsgrund "geheilt"?14 12 BaslerKomm/ StGB II, VON INS/WYDER, Art. 179 bis N 3 BaslerKomm/ ZGB I, MEILI, Art. 28 N 19 ff und 38. 14 HAUSHEER/AEBI-MÜLLER, Personenrecht, Rz 12.14 13 5 3. Normen freiwilliger Selbstregulierung der Medien (Journalistenkodex des Schweizer Presserats) Der Schweizer Presserat wird von allen vier Journalistenverbänden (seit 1999) und von den Verlegerverbänden sowie von der SRG (seit 2008) getragen. Er versteht sich als ein freiwilliges medienethisches Selbstkontrollorgan der publizistischen Medienarbeit (www.presserat.ch). Jährlich behandelt er an die hundert Beschwerden von Betroffenen und Medienrezipienten (Jedermannsbeschwerde). Seine einzige formelle Sanktion ist die sofortige Publikation der abschliessenden "Stellungnahme", die auf Eingaben des Beschwerdeführers und des Medienhauses abstellt. Das Verdikt – nach meist ausführlicher Begründung – kann nur lauten: Journalistenkodex verletzt oder nicht verletzt. Journalistenpflicht Nr. 4: (Journalisten) bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen Bildern… keiner unlauteren Methoden …. Dazu kommen kommentierende Richtlinien. 4. 1 – Verschleierung des Berufs: Es ist unlauter, bei der Beschaffung von Informationen … den Beruf als Journalistin/Journalist zu verschleiern. Kommentierende Richtlinie 4.2.– Verdeckte Recherchen: Verdeckte Recherchen sind ausnahmsweise zulässig, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an den damit recherchierten Informationen besteht und wenn diese Informationen nicht auf andere Weise beschafft werden können. Sie sind weiter zulässig, wenn Ton- oder Bildaufnahmen Journalisten gefährden würden …. Besondere Beachtung ist der Wahrung des Persönlichkeitsschutzes von zufällig anwesenden Personen zu schenken …. II. Neuere schweizerische Gerichtsurteile und Stellungnahmen des Schweizer Presserats A. Bundesgerichtsurteil vom 7. 10. 2008, BGE 6B_225/2008 ("Versicherungsvertreter) 1. Sachverhalt und Begründung Inspiriert durch Jahresberichte der Ombudsstelle für Privatversicherungen und Protestbriefen von Zuschauern nahm sich die SF-Konsumentensendung "Kassensturz" der Beratungsqualität von Kundenbesuchern an. Redaktionsleiter und Chefredaktor waren einverstanden, dass konkrete Beratungsgespräche von Versicherungsberatern mit einer als Kundin posierenden Mitarbeiterin audiovisuell aufgezeichnet werden sollten. Schauplatz des Tests vom 26. 2. 2003 mit versteckter Kamera: Eine präparierte Privatwohnung. Hinter der Wand sassen eine Redaktorin und ein unabhängiger Versicherungsexperte. Die Regie schaltete zwischen Wohnzimmer und Beobachtungsraum hin und her. Thema war eine gemischte Lebensversicherung der Säule 3 a. Der letzte und besonders negativ aufgefallene Berater X – er hatte der "Kundin" sogleich das Du angeboten, schwere objektive Beratungsfehler begangen und zuletzt noch einen Nebenjob als Acquisiteurin angeboten – verzichtete auf die nachträglich angebotene Aussage. Er verbat sich jegliche Verwendung der Aufnahmen. Dennoch enthielt die "Kassensturz"-Sendung vom 25. 3. 2003 Ausschnitte aus dem Gespräch. Die Firma wurde beiläufig erwähnt – nicht aber der Name des Beraters. Die Redaktion hatte zudem sein Gesicht verschleiert und seine 6 Stimme verstellt. X. klagte gegen Chefredaktor, Redaktionsleiter und Redaktorin. Der Einzelrichter des Bezirks Dielsdorf sprach die Angeklagten jedoch frei. Nicht so das Zürcher Obergericht: Es verurteilte sie wegen Aufnehmens fremder Gespräche (Art. 179 bis StGB) und den "Lockvogel" wegen Aufnehmens eines mitgeführten Gesprächs (179 ter) sowie wegen Verletzung des Privatbereichs durch Aufnahmegeräte (179 quater). Die Beteiligten wurden mit bedingten Geldstrafen von fünf bis 15 Tagessätzen in unterschiedlicher Höhe bestraft. Das Bundesgericht wies die Behauptung der "Kassenstürzer" zurück, die Gespräche in der präparierten Wohnung hätten ja gar keine Aspekte eines geheimen oder geschützten Bereichs des Versicherungsmanns betroffen; Tatbestandselement ist laut Bundesgericht nur, dass das Gespräch als ein "nichtöffentliches" stattgefunden hatte (Art. 179 bis und te StGB). Alle vier Angeklagten hätten in der einen oder andern Weise bei der Planung oder Aufnahme mitgewirkt, die "Lockvogel"-Kundin jedenfalls im Sinne von Art.179 ter – als einzige Gesprächsteilnehmerin neben dem Versicherungsmann. Könnten sich die "Kassenstürzer" auf den "aussergesetzlichen" – weil, anders als Art. 28 II ZGB, im Strafgesetz unerwähnten – Rechtfertigungsgrund der "Wahrung berechtigter Interessen" berufen? Das war die eigentliche Crux des Bundesgerichtsurteils. Es sei unabdingbar gewesen, konkrete Beratungsgespräche, ja gerade dieses aufzuzeichnen, um den Misstand zu dokumentieren – Wachhundfunktion – und bei allfälligen Klagen zu beweisen. Ohne eine solche Aufzeichnung stünde Aussage gegen Aussage. Soweit der "Kassensturz". Das Bundesgericht erinnerte zunächst an zwei Präjudizien im Medienbereich aus dem Jahr 2001, worin es den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen zurückhaltend und streng definiert hatte.15 Die Straftat müsse - "ein zur Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel" sein, - insoweit "den einzig möglichen Weg" darstellen und - "offenkundig weniger schwer wiegen als die Interessen, welche der Täter zu wahren sucht". Nicht die Berechtigung verdeckter Recherchen an sich, sondern einzig der konkrete Fall sei zu entscheiden. "Grundsätzlich" könne ein "erhebliches Interesse" der Öffentlichkeit an Informationen aus schlecht verlaufenen Versicherungsberatungen herrschen; dieses Interesse möge schwerer wiegen als die Verletzung der Rechtsgüter eines stimmverfremdeten Beraters [Einspruch: Auch sein Name war nicht genannt und – vor allem – sein Gesicht unkenntlich gemacht]. Aber war die strafbare Aufzeichnung wirklich ein "notwendiges Mittel zur Erreichung des angestrebten berechtigten Ziels" – "nicht auf andere Weise zu erreichen"? Das Bundesgericht verlangt: Wie beim Notstand dürfe die Gefahr für das öffentliche Interesse "nicht anders abwendbar sein". 15 BGE 127 IV 166 ("Grenzübertritt"); das im neuen Bundesgerichtsurteil erstgenannten Präjudizentscheid (BGE127 IV 122 ("Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung") hatte der EGRMR längst als grundrechtswidrig beurteilt. Zum Entscheid "Grenzübertritt" sogleich unten B. 7 Eigentlich – so das Bundesgericht – sei nur ein einziger Versicherungsvertreter beweisbar problematisiert. Ein faules Ei der Branche? Dass es solche gebe, sei "eine banale Tatsache". Es sage nichts über das "Ausmass schlechter Beratungsgespräche". [Einspruch: Da waren die wiederholten Jahresberichte der Versicherungsombudsfrau deutlich; leider lasse sich jeweils nichts beweisen. Und "Kassensturz" hatte sieben Beratungsgespräche aufgenommen, aber die Defizite nur ausschnittweise gezeigt]. Journalistinnen müssten in der Lage sein, nach dem Beratungsgespräch die Defizite "aufgrund von Notizen sinngemäss zu protokollieren". Das Publikum würde ihnen sowieso "eher Glauben schenken" als Versicherungsvertretern. Bildund Tonaufnahmen und deren Ausstrahlung gegen das Gesetz seien hiefür "nicht notwendig". Im Prozess "Aussage gegen Aussage"? "Nichts Ungewöhnliches". Damit müssten auch Presseleute leben. Ein "Beweisnotstand" liege nicht vor. – Das Bundesgericht wies die Beschwerden in den Hauptpunkten ab. 2. Reaktionen Die Reaktionen auf das Urteil waren kontrovers, mehrheitlich aber schroff ablehnend. In seinem Newsletter 17/2008 monierte der Chefredaktor SF – einer der Verurteilten - , das Bundesgericht habe weder die die Aussagen der Privatversicherungs-Ombudsfrau noch die siebenteilige Testreihe des "Kassensturz" gewürdigt. Das Darstellungsverfahren "Pars pro toto" – die Illustrierung von Dauerthemen an typischen Einzelfällen – sei für Medien und Justiz unter gewissen Bedingungen legitim. Wenn in Fernsehdokumentationen anders als ab Notizblock des Zeitungsreporters ein stringenterer Beweis möglich sei, dürfe das dem neueren Medium Fernsehen doch nicht verwehrt werden.16 – Der Doyen des schweizerischen Medienstrafrechts, der emeritierte Fribourger Professor Franz Riklin, attestierte dem neuen Entscheid ein "lebensfremdes Medienverständnis". Der Eingriff in die Rechte des Versicherungsmanns sei "relativ geringfügig gewesen" – Aufnahme im Hinblick auf eine völlig anonymisierte Veröffentlichung. Das Bundesgericht habe die richtigerweise begrenzte Berufung auf höhere Interessen bis auf eine "Killerfloskel" eingeengt. Gerade bei audiovisuellen Medien habe der EGMR schon 1994 anerkannt, dass sich der Journalist nicht auf trockene Protokollierungen zurückziehen müsse. Übrigens könne auch der Zeitungsjournalist im Notfall mit an sich verbotenen Aufzeichnungen Beweis führen 17 Andere Staatsrechtler hoben im Briefwechsel mit dem Schreibenden das mangelnde Verständnis für die Beweisnot bei Kundenbesprechungen unter vier Augen oder die Angewiesenheit des Fernsehens auf "direkte Augenzeugenschaft" hervor – wenn es denn als "public watchdog" funktionieren solle. – Der Schreibende bedauerte, dass sich das Bundesgericht um eine echte Interessenabwägung gedrückt habe: Der Versicherungsberater sei "in guten Treuen nicht identifizierbar" und damit die Verletzung seiner Ansprüche minim gewesen. Weshalb überging das Gericht das vom "Kassensturz" hier für einmal vorbildlich respektierte Verhältnismässigkeitsgebot? Dem Schreibenden widersprach freilich der Anwalt des obsiegenden Versicherungsmannes: Ein einstimmig gefälltes Urteil der [diesmal bloss dreiköpfigen] Richterbank, das sich auf den klaren Gesetzeswortlaut stützte, dürfe doch nur "in den seltensten Fällen" befremden. Die "Kassenstürzer" hätten die Bedingungen der übergesetzlichen Rechtfertigung insgesamt verfehlt. 18. - Die Zeitschrift plädoyer schliesslich nominierte den Bundesgerichtsentscheid für die Auszeichnung "Fehlurteil des Jahres".19 Inzwischen hat die SRG beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde 16 HALDIMANN, Chefredaktor SF, in seinem "Newsletter" 17/2008 RIKLIN, medialex 2008, 184; EGMR Jersild c. Dänemark 23. 9. 1994, Nr. 15890/89 18 STUDER, NZZ vom 24. 10. 2008; FILLI, NZZ vom 14. 11. 2009 19 PLÄDOYER, 1/09 17 8 gegen das Bundesgerichtsurteil eingelegt – Jedenfalls sah sich Chefredaktor Haldimann veranlasst, den Einsatz versteckter Kamera im Informationsbereich vorläufig zu untersagen. Hintergrund: Bevor der Strassburger EGMR auf "prior restraint" und "chilling effect" erkennt, würden einheimische Gerichte wohl stets dem Bundesgericht folgen. B. Bundesgerichtsurteil vom 16. 5. 2001, BGE 127 IV 166 "(Grenzübertritt") Am 26. 1. 1999 hatte die Polizei 16 Ausländer an der grünen Grenze nahe bei Chiasso festgenommen. Einer von ihnen – mit fiktivem albanischem Namen – war der italienische Recherchejournalist Fabrizio Gatti,20 der kurz darauf im "Corriere della Sera" einen brisanten Erlebnisbericht publizierte. Darin kritisierte er den Umgang der Tessiner Zöllner mit Asylbewerbern. Das Appellationsgericht des Kantons büsste ihn mit 250 Franken wegen illegalen Grenzübertritts. Das Bundesgericht hielt den Tatbestand von Art. 23 I des ANAG (Gesetz über Niederlassung und Aufenthalt von Ausländern) für erfüllt. Könnte sich Gatti auf den ungeschriebenen aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen berufen? Vgl. die bundesgerichtliche Definition, zitiert oben II A 1. Dieser Ausnahmegrund müsse restriktiv angewandt werden, sagte das Gericht. An sich wiege der verfassungsmässige Anspruch auf Information in Migrationssachen schwerer als der behördliche Anspruch , den Grenzübertritt eines italienischen Staatsbürgers zu kontrollieren. Das vom Rechercheur gewählte Mittel des illegalen Grenzübergangs sei dem Ziel angepasst gewesen. Aber beim Grenzübergang habe es sich nicht um das einzige verfügbare Mittel gehandelt. Es wäre möglich gewesen, die zahlreichen Beteiligten nach ihrer Rückkehr in Italien zu befragen. Gewiss, der Artikel hätte anders ausgesehen; die Informationssuche wäre mühsamer gewesen. Aber das geschützte Ziel ist nicht der "journalistische Effekt", sondern die "objektive Information des Publikums". Die Rechtsverletzung hätte sich erübrigt. Die "Wachhundfunktion" allein rechtfertigt noch keine Rechtsverletzung irgendwelchen Kalibers. Eine solche wäre nur als "ultima ratio", zur Beschaffung von Informationen mit "wirklich erstrangiger Bedeutung" hinzunehmen. Um solche handle es sich hier nicht. Dieser Artikel beschreibe Elemente einer menschlichen Tragödie in einem "skandalisierenden Ton". Der Geringfügigkeit der Rechtsverletzung entspreche die niedrige Strafe. Schon damals waren die Reaktionen harsch. Prof. Franz Riklin nimmt die Hürden des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrunds – ähnlich jenen des Notstands – zwar hin. Aber er stösst sich an der konkreten Auslegung: Gatti sei es ja nicht darum gegangen, die schützenswerten Interessen hinter dem ANAG zu durchkreuzen. Überdies müssten Gesetze im Einzelfall grundrechtskonform – also medienfreiheitlich – ausgelegt werden. Die Schilderung direkter Erlebnisse sei aussagekräftiger als eine nachträgliche Befragung. 21 Der Schreibende verwies auf die aus Karl R. Poppers Kritischem Rationalismus abgeleiteten 20 Das Medienmagazin SSM GAZETTE (heute EDITO) brachte in der Nummer 4/05 einen ausführlichen Bericht über den Rechercheur Gatti, in der Nummer 1/07 ein Interview mit ihm. 21 RIKLIN, Anmerkung zum BGE [127 IV 166], in: medialex 2001/175 9 Handwerksregeln: "Zu den Beobachtungsgrundsätzen gehört die Priorität der Primärerfahrung, also der erlebten Recherche, vor der Sekundärerfahrung". Gewiss hätte der Schweizer Presserat diese verdeckte Recherche als handwerklich akzeptabel bezeichnet (vgl. die Journalistenregeln sogleich oben, I C 3).22 C. Bezirksgericht Zürich, Einzelrichteramt, Urteil vom 28. 5. 2009 Ende 2006/Anfang 2007 hatte die SF-Redaktion "Kassensturz" in drei SchönheitschirurgiePraxen während fingierten Patientengesprächen Aufnahmen mit versteckter Kamera gemacht. Sie wurden in zwei Sendungen ausgestrahlt. Am 14. 5. 2009 fand die Hauptverhandlung zur Anklage der Staatsanwaltschaft Zürich statt. Angeklagt waren Chefredaktor, Redaktionsleiter, eine "Miss Argovia" als"Lockvogel", die sich mit einem fingierten Wunsch nach Körperkorrekturen vor zwei Schönheitschirurgen und einer Praxishilfe produzierte, sowie zwei mitwirkende Redaktorinnen. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen mehrfaches unbewilligtes Abhören und Aufnehmen von teils fremden, teils mit geführten Gesprächen vor (Art. 179 bis, ter StGB). Dazu kam mehrfache Verletzung des Privatbereichs durch Aufnahmegeräte (Art. 179 quater StGB). Wie schon im Fall Versicherungsvertreter (BGE 6B_225/2008, oben II A) nahm der Richter Mittäterschaft der beteiligten "Kassenstürzer" sowie des "Lockvogels" an. Fehlte es, wie der Verteidiger mit Hinweis auf einen Presseratsentscheid ausführte (unten II D), an der "Nichtöffentlichkeit" der abgehörten Gespräche? Der Richter fand, ein "Gespräch im Rahmen eines Arztbesuchs" sei "immer von Intimität geprägt", ob nun die Arztassistentin Zutritt habe oder nicht. Die Aufnahmen mit Kamera (Art. 179 quater StGB) hatten im "äusserst delikaten" Beziehungsbereich zwischen Arzt und Patient stattgefunden, in dem ja auch die ärztliche Schweigepflicht gegeben ist. Die Praxisassistentin habe nicht nur pflegerische Empfehlungen abgegeben, sondern eigene Erfahrungen zu dem von ihr erlebten "Fettabsaugen" beigesteuert. Das alles gehöre dem "Privatbereich" gemäss Art. 179 quater an und sei dem Publikum weitergegeben worden. Chefredaktor und Redaktionsleiter stimmten jedem Teilakt zu. Damit sei der objektive Tatbestand erstellt. Die "Freundin" (aufnehmende Reporterin) kannte die mögliche Widerrechtlichkeit; der "Lockvogel" gab an, geglaubt zu haben, dass solche Aufnahmen bei öffentlichem Interesse zulässig seien. Sie nahmen subjektiv zumindest in Kauf, unerlaubte Aufnahmen zu machen und weiterzugeben. Auch Chefredaktor und Redaktionsleiter wussten um alle objektiven Tatbestandselemente , was sie subjektiv zu Mittätern machte. Nur ein Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB) lag nicht vor, weil die Täuschungsarbeit der verdeckt eindringenden Journalisten keinen Abwehrwillen der ahnungslosen Ärzte hervorrief. Lagen Rechtfertigungsgründe vor? Auf Rechtsirrtum plädierten die Angeklagten, weil kurz vor dem Tatmoment im oben geschilderten Fall "Versicherungsvertreter" (oben II A) ein erstinstanzlicher Freispruch des Bezirksgerichts Dielsdorf ergangen war. Aber – erwiderte der Einzelrichter – bereits hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt; und im übrigen hatte "Kassensturz" im Fall Versicherungsvertreter den Kläger nahezu unkenntlich gemacht. Eine Einwilligung der einen Praxishilfe und des einen Arztes (Meyer-Fürst) hinsichtlich der Ausstrahlung lagen nicht vor. Der andere Arzt hatte immerhin in die Ausstrahlung eines 22 STUDER, Recherchierjournalismus und Berufsethik, ,in: medialex 2002/74 Zitat aus KUNCZIK / ZIPFEL, Publizistik, 1. Aufl., 283 10 zweiten nachträglichen Gesprächs eingewilligt, was bezüglich des ersten widerrechtlichen Gesprächs vor versteckter Kamera eine gewisse Verwirrung schaffen mochte. Zum übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund des berechtigten Interesses brachten die "Kassenstürzer" vor, es gehe um einen industrieähnlichen Medizinbereich mit mehreren Millionen Franken Umsatz; diesem Umsatz aber lägen sehr oft ungenügende Patientengespräche zugrunde. Es komme übereilt zu Operationen und Operationsfehlern, was Patientenorganisationen bezeugten. Davor habe "Kassensturz" warnen wollen. Das schaffe ein manifestes öffentliches Interesse. Da sei der Einsatz versteckter Kamera ein notwendiges, angemessenes Recherchemittel – die einzige Möglichkeit, Gesprächsinhalte zu belegen. Der Richter hielt sich an die oben geschilderte bundesgerichtliche Definition ("Versicherungsvertreter", II A 1). Überdies seien die Risiken einer Schönheitsoperation hinlänglich bekannt: Das könne durch Recherchen durchaus vertieft werden, aber der Einsatz einer persönlichkeitsverletzenden versteckten Kamera sei "nicht absolut nötig" – schon gar nicht beim positiv beurteilten ersten Arzt und seiner Assistentin. Beim zweiten Arz, dem einschlägig bekannten Dr. Meyer-Fürst, möge der Verdacht auf Pfusch und Belästigungen "deutlich höher einzustufen" sein. Aber die Mittelanwendung mit der unverstellten langdauernden Vorführung des Arztes sei "an sich nicht verhältnismässig gewesen". Der Richter schilderte dann ein ganzes Panorama alternativer Recherchetechniken mit Protokollierungen, Fachkommentaren, Berichten des "Lockvogels", nachgestellten Szenen. Im Alltag würden eindrückliche Recherchen publiziert und ausgestrahlt, ohne dass gleich auch noch "der strikte Bild- und Tonbeweis geführt werde". Überhaupt könne in der Brustbefingerung und Beratung des Arztes "kein solch gravierender Misstand" erblickt werden, dass eine Ausstrahlung "zwingend nötig" erschiene. Somit gebe es keinen Raum für Strafbefreiungsgründe. Bei der Strafbemessung fielen die Führungspositionen von Chefredaktor und Redaktionsleiter erschwerend ins Gewicht. Dem "Lockvogel" und der ihr mitgegebenen "Freundin", einer Stagiaire, seien Unerfahrenheit zugutezuhalten. Der "Lockvogel" sowie die angeklagten "Kassenstürzer" wurden mit bedingt ausgesprochenen Geldstrafen zwischen 15 niedrigen bis zu 25 höheren Tagessätzen belegt. Zivilforderungen sind auf den Zivilweg verwiesen. Der Anwalt des Fernsehens SF hat Berufung erklärt. Exkurs: Wallraf-Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 25. 1. 1984 Leitsätze 1. Das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 I ) gewährleistet auch die Vertraulichkeit der Arbeit von Zeitungsredaktionen … 2. a) Die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter …Informationen wird vom Schutz der Meinungsfreiheit erfasst…. b) In Fällen, in denen der Publizierende sich die Informationen widerrechtlich …in der Absicht verschafft hat, sie gegen den Getäuschten zu verwerten, hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben. Eine Ausnahme 11 gilt nur, wenn die Bedeutung der Informationen …für die öffentliche Meinungsbildung einseitig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für die Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen. … Sachverhalt, Begründung und Kommentar Die Klägerin – der deutsche Medienkonzern Springer – verlegt unter anderem die "Bild"Zeitung. Die Beklagten: Der Verleger des Buchs "Der Aufmacher – der Mann, der bei 'Bild' Hans Esser war" und dessen Verfasser Günter Wallraff, der sich als 'Hans Esser' von "Bild" für fünf Monate hatte anstellen lassen. Aus der Vorbemerkung zum Buch: 'Doch wurde nichts erfunden oder hinzugedichtet. Äusserungen …habe ich teils direkt mitgeschrieben, teils…in Gedächtnisprotokollen festgehalten. Sie erscheinen im Buch zumeist in wörtlicher Rede…". Springer hatte sich mit Verbotsanträgen gegen verschiedene Textstellen gewehrt, die Redaktionskonferenzen, Aufträge ('Machen Sie bloss kein soziales Thema draus!...Suchen Sie jetzt mal einen der schönsten Gartenzwerge…') und Anekdoten wiedergaben. - Für Springers Antrag, die Schilderung einer Redaktionskonferenz im Buch zu sperren, zeigten die Verfassungsrichter Verständnis. Wallraff sei in die redaktionelle Vertraulichkeitssphäre eingedrungen. Deren Wahrung komme zum Schutz der Redaktionsmitglieder, der Informanten, des Unternehmens elementare Bedeutung zu. Eine Redaktion, in der es keine 'freie Rede' mehr gebe, werde kaum das Notwendige leisten. Weder die Meinungsfreiheit noch die Pressefreiheit schützen rechtswidrige Beschaffung von Informationen durch "Einschleichen" und illegales Vorgehen. - Anderseits fällt die Verbreitung rechtswidrig erlangter Informationen laut Bundesverfassungsgericht in den Schutzbereich der Pressefreiheit. Zur Kontrollaufgabe der Presse gehöre es, auf Misstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen. Zwar ist die Veröffentlichung widerrechtlich beschaffter Information verpönt. Eine Ausnahme soll aber gelten: Wenn die Bedeutung solcher Information für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und die Geltung der Rechtsordnung nach sich ziehen wird. Es müsse sich um Missstände von erheblichem Gewicht handeln, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht. Genau solche Missstände im zynischen Umgang mit "Medienopfern" und politischen Kontroversen hatte Wallraff in seinem Buch über die Innereien der Produktion von "Bild" nachgewiesen. Es sei angesichts der Bedeutung der Medien für Gesellschaft und Staat wichtig, davon zu erfahren, bestätigten die Verfassungsrichter. Dieses bemerkenswerte höchstrichterliche Urteil beruft sich also mit entgegengesetztem Ergebnis auf unterschiedliche Perspektiven der Medienfreiheit: (Nur) Wallraffs Ausplauderei einer Redaktionskonferenz, an der gar nichts nach Missstand Riechendes verhandelt worden war, begründete eine Verurteilung. In allen andern Punkten wurde Wallraff freigesprochen. 23 23 1 BvR 272/81 vom 25. 1. 1984; HALLER, Recherchieren, S. 145 f. Haller, einst selber erfolgreicher Recherchierjournalist, nennt die Arbeit mit versteckter Kamera übrigens problematisch: Viele Fernsehmagazinjournalisten setzten sie "für beliebige Effekte – manchmal auch fürs Recherchieren – ein und reklamierten es dann als Interesse an Aufklärung…Eine Gratwanderung zwischen Voyeurismus und aufdeckender Dokumentation" (S. 148). Er zitiert übrigens die Überführung eines deutschen Schönheitschirurgen, der allerdings den Frauen gebrauchte Brustimplantate eingesetzt und an Kassen/Steueramt vorbei "schwarze Rechnungen" versandt hatte (1992). 12 D. Stellungnahme des Schweizer Presserats 51/2007 ("Schönheitschirurgen") Kurz nach der Testserie des "Kassensturz" mit Schönheitschirurgen (2006/7, vgl. oben), wo es um die Thesen schlechter Beratung und unnötiger Operationen ging, aber noch vor ersten Gerichtsurteilen legte ein unbeteiligter Schönheitschirurg Beschwerde beim Presserat ein, und zwar im Sinne einer Jedermannsbeschwerde. Die Verwendung einer versteckten Kamera bei Arztkonsultationen verstosse klar gegen die Richtlinie 7.1. (Respekt vor der Privatsphäre). Es werde ja nur die ärztliche Indikation gegenüber mündigen Personen und nicht etwa kriminelles Verhalten der Ärzte aufgedeckt. Der Presserat erinnerte zunächst an seine Richtlinien zur verdeckten Recherche (oben, I C 3). Die Richtlinie 7.1. sei der falsche Anknüpfungspunkt: Eine Arztpraxis erscheine grundsätzlich als ein "Gewerbebetrieb wie etwa eine Schreinerei" (!). Auch Gewerbebetriebe seien privat, und der Gewerbetreibende könne bestimmen, wen er als Kunde/Kundin bediene. Aber es handle sich in der Regel nicht um das Privatleben der Gewerbetreibenden. Das gelte auch für eine Arztpraxis. Es gebe zwar die Privat- und Geheimsphäre der Patientinnen; aber gerade sie habe "Kassensturz" geschützt, denn der "Lockvögel" sei ja einverstanden gewesen, und ihre Brustpartie habe die Redaktion mit Unschärfen "züchtig verhüllt". (Von der später klagenden Praxisassistentin war nicht die Rede – trotz Erwähnung "zufällig Anwesender" in der Richtlinie). "Kassensturz" habe unwidersprochen mahnend Zahlen erwähnt: 35 000 ästhetisch-medizinische Behandlungen, 700 Millionen Franken geschätzte Kosten, ein halbes Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen, laufende Debatten um untergewichtige Models usw. Das konstituiere ein hohes öffentliches Interesse. "Wenn es darum geht, die Qualität ärztlicher Beratungsgespräche zu untersuchen, gibt es kaum einen andern Weg als die verdeckte Recherche. Denn nur am eigenen Leib – allenfalls am Leib einer einverstandenen Hilfsperson – lässt sich erfahren, wie Schönheitschirurgen vorgehen". Nach berufsethischen Kriterien sei die verdeckte Recherche zulässig gewesen – nicht nur der Einsatz eines "Lockvogels", sondern auch die filmische Aufzeichnung. Und das Fairnessgebot der Anhörung von Betroffenen (Richtlinie 3.8.)? Zwei der acht Ärzte machten von ihrem Recht auf das eigene Bild Gebrauch und untersagten erfolgreich die Verwendung der verdeckt gefilmten Passagen. Meyer-Fürst hingegen erschien minutenlang auf dem Bildschirm – trotz seiner Abmahnung. Andere äusserten sich nachträglich vor der Kamera [einer erwartete, nur mit seiner Rechtfertigung und nicht mit der verdeckten Aufnahme im Beitrag vorzukommen]. Nicht befasst hatte sich der Presserat mit dem Problem der Verhältnismässigkeit: War es notwendig, Meyer-Fürst derart lange, sarkastisch (im Off-Kommentar) und mit weit zurückliegenden unbewiesenen Behauptungen einer Belästigung vorzuführen – ohne den Versuch einer Anonymisierung? Der Arzt hatte jede Stellungnahme verweigert und sich die Ausstrahlung verbeten. – Beschwerde abgewiesen. 13 E. Stellungnahme des Schweizer Presserats 50/2005 ("Klosterbeichte") Unter dem Titel "Herr Vergib mir!" veröffentlichte das inzwischen eingegangene Nachrichtenmagazin "Facts" "ein längst fälliges Plädoyer für die Beichte". Die Journalistin bekannte, sich zum ersten mal seit Jahren in einen Beichstuhl [des Klosters Einsiedeln] gesetzt zu haben. Wegen der "Entweihung eines heiligen Sakraments" habe sie ein schlechtes Gewissen und werde vermutlich "noch einmal herkommen, um das zu beichten". Der Abt des Klosters Einsiedeln beschwerte sich beim Presserat, die Journalistin habe Sakrament und Seelsorger missbraucht, bloss um "Fakten" für eine "Story" zu sammeln. Die Voraussetzungen für eine Verschleierung des Berufs seien nicht gegeben gewesen (Richtlinie 4.1., oben I C 3). "Facts" replizierte, ein theoretisches Gepräch mit einem katholischen Seelsorger über die Beichte hätte "das persönliche Erleben der Beichte" nicht ersetzen können, und der Bericht sei in respektvollem Ton verfasst gewesen. Den Seelsorger habe man in der Anonymität belassen. Im Mittelpunkt der Überlegungen des Presserats stand die Frage, ob und wie eine verdeckte Recherche bei einer Beichte zulässig sei. An sich könne kein Thema zum vorneherein mit einem Rechercheverbot belegt werden. Gerade bei höchstpersönlichen Situationen biete sich der Erlebnisbeichte oft als journalistisch richtige Form an. Und doch seien die Voraussetzungen in jedem einzelnen Fall zu prüfen. Hier gewichte der Presserat das journalistische Interesse – Vermittlung der subjektiven Erfahrung einer jungen urbanen Frau – eindeutig schwächer als das Vertrauen des Beichtvaters, im Beichtstuhl nicht getäuscht zu werden. Es handle sich um ein bloss höchst allgemeines gesellschaftliches Interesse der Journalistin; für Aufdeckung von Misständen oder Warnung des Publikums gebe es keinen Grund. Die Journalistin hätte diesen Mangel nur "heilen" können, wenn sie sich dem Getäuschten offenbart und von diesem die Publikationserlaubnis erhalten hätte. – Beschwerde berechtigt, Journalistenkodex – wenn auch nicht gravierend – verletzt. III. Zusammenfassung und Vorschlag Zweifellos gibt es zahlreiche offene und anonym ausgesprochene Alltagsangebote, die der Journalist professionell bearbeitet, ohne seine berufliche Identität bekanntzugeben: Der Testesser im Gastro-Restaurant, der Theaterkritiker, der Käufer im Obst- oder Schuhgeschäft, der prospektschwenkende Nutzer eines Ferienhotels. Wenn der Journalist nun aber hinter die Kulissen blicken oder vertrauliche Zusatzinformationen erhalten will (Preisgestaltung, Führungsproblme, familiäre Umstände)? Dann ist er verpflichtet, sich vorzustellen und die allgemeine oder besondere Stossrichtung seiner Recherche zu nennen. Soviel ergibt sich aus dem Vertrauensprinzip im gesellschaftlichen Verkehr und aus dem Prinzip der informationellen Selbstbestimmung seines Gegenübers (oben I A). Der Journalistenkodex hat dies im Verbot, den Beruf "zu verschleiern", als medienethische Berufsregel festgehalten (oben I C 3). 14 In schneidender Schärfe hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht 1984 (oben II Exkurs) die Handlungskonsequenz definiert: Wenn der Publizierende sich die Informationen widerrechtlich – unlauter – verschafft hat, also unter Täuschung des Gesprächspartners, darf er die Informationen grundsätzlich nicht gegen den Getäuschten verwenden. "Die Veröffentlichung hat grundsätzlich zu unterbleiben". Ausnahme: Die Bedeutung der unter Täuschung erlangten Information überwiegt für die Öffentlichkeit einseitig die Nachteile, die der Rechtsbruch für die Betroffenen nach sich zieht. Ausnahmen sind nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht einfach einschränkend auszulegen, sondern" nach Sinn und Zweck einer gesamten Regelung"24. Sinn und Zweck des "Wallraf"-Urteils ist es, Vertrauensprinzip und Kontrollprinzip im Bereich der Medien aufeinander abzustimmen. Es geht nämlich um eine Kollision von Verfassungsprinzipien, die für die Medienpraxis bedeutsam sind.25 Das schweizerische Bundesgericht wie auf der rein ethischen Ebene auch der Journalistenkodex haben dann die Operationalisierung verfeinert (oben II A 1; I C 3): - Mittel, um ein "berechtigtes Ziel" zu erreichen: Das Ziel muss ein positives Vorzeichen haben, kann also nicht einfach in der Rache an andern oder im Kitzel voyeuristischer Gafferei bestehen. Regelmässig wird hier die "Wachhundrolle" als werterhaltende Intervention in einem gesellschaftlich oder politisch wichtigen Sachverhaltskomplex angerufen. Die Täuschung muss notwendig sein, um dieses berechtigte, also wertvolle, Ziel zu erreichen. Besonders oft sehen Journalisten aber über das Kriterium der Angemessenheit hinweg. Sie müssen das Ziel so verfolgen, dass der oft unvermeidliche Schaden für Dritte so gering als möglich ausfällt. Beispiel: Verschleierung des Gesichts, Verstellung der Stimme, keine Namensnennung beim Versicherungsvertreter (oben II A 1). Stattdessen suchen Reporter und Produzent oft nicht einfach eine mediengerechte, sondern darüber hinaus eine kitzelnde und aufpeitschende Darstellung. Beispiel: Der hämisch formulierte Tadel an der medizinisch an sich neutralen Brustbetastung des Arztes Meyer-Fürst (die ihm im "Blick" den Übernamen "Busengrabscher" eintrug; oben II C). Auf solche Versuchungen weist auch der führende deutsche Recherchetheoretiker MICHAEL HALLER eindringlich hin (oben, Fussnote 23 zum Fall Wallraff). - Die täuschende Recherche muss insoweit "den einzig möglichen Weg" darstellen. Hier darf auch an die Richterschaft appelliert werden. Diese Voraussetzung ist mediengerecht zu interpretieren. Es wäre dysfunktional, die "Wachhunde" Radio und Fernsehen auf die Plattform der Zeitung einzugrenzen und verdeckte Recherchen nur mit Block und Bleistift, nicht aber mit Mikrofon und Kamera zuzulassen. Auch wer die Fernsehkamera einsetzt, soll sachgerecht informieren (so schon Art. 93 BV, bis hinunter zu den hausinternen publizistischen Leitlinien von SF). Verräterisch ist da die Formel, die das Bundesgericht in 127 IV 166 verwendete: Der Vorwurf einer (unzulässigen) Effekthascherei soll nicht aus der Wahl des Mediums oder Gefässes (hier: Reportage im "Corriere della Sera"), sondern allenfalls konkret aus sensationalistischer und schädigender Umsetzung abgeleitet werden. - Das verletzte Rechtsgut, also meist die konkrete Ausprägung der Privatsphäre, muss – wie schon im deutschen Wallraff-Urteil unterstrichen – weniger schwer wiegen als die vom 24 25 GEIGER, Irrtum, 77 Basler Komm/ StGB I, SEELMANN, Art. 14 N 26 15 Rechercheur begangene Unlauterkeit. Diese Bedingung hielten die meisten Bewerter des Urteils "Versicherungsvertreter" (oben II A) seitens des "Kassensturz" für erfüllt: Gesicht verschleiert, Stimme verstellt, Name zurückbehalten. (Zur Perfektion fehlte nur, dass einmal beiläufig die Firma genannt wurde; sie klagte aber in der Folge nicht). Zwar hat "Kassensturz" hier die Hälfte des Schutzguts von Art. 179 ter StGB 26 tangiert, nämlich die Unbefangenheit der vom Vertreter bereits arg missbrauchten Kommunikation; nahezu unberührt blieb jedoch die andere, gewichtigere Hälfte, die Privatsphäre des Agenten. "Kassensturz" wollte hingegen eine ganz präzise, wenig bekannte Gefahr beleuchten, die von der Versicherungsombudsfrau und von Anwälten mannigfach belegt ist: Dass im Versicherungskomplex durch krass inkompetente und einschmeichelnde Beratung unter vier Augen grosses Unheil angerichtet wird. Und zwar gegenüber unerfahrenen Ratsuchenden, die nachher nichts beweisen können, weil –anders als bei einem schönheitschirurgischen Kunst- oder Ermessensfehler – nachher keine Spuren offenliegen. Im Vergleich vor uns haben wir, wie sich schon aus den Reaktionen ergab, einen Fall notwendiger und angemessener verdeckter Recherche (Versicherungsvertreter). Und einen höchst problematischen Fall, wo exemplarische Wichtigkeit des Schutzguts und Angemessenheit der Recherche keineswegs klar sind (Schönheitschirurgen). In einem grossen Rechtfertigungsinterview des Redaktionsleiters war denn auch Angemessenheit des Persönlichkeitseingriffs kein Thema.27 Schon die Medienmacher müssen sich genau überlegen: Vertrauensmissbrauch der verdeckten Recherche legitim oder illegitim? Nur so können sie den oft wenig medienverständigen Gerichtsverfahren vorbeugen. Literatur MATHIS BERGER/SANDRO MACCHIACCHINI (Hrsg.), Populäre Irrtümer im Urheberrecht, Zürich 2008 PETER FORSTMOSER, Einführung in das Recht, Bern 2003 CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl., Wien 2007 MICHAEL HALLER, Recherchieren, 7. Aufl., Konstanz 2008 HEINZ HAUSHEER/REGINA E. AEBI-MÜLLER, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs, 2. Aufl. Bern 2008 HEINRICH HONSELL/NEDIM PETER VOGT/THOMAS Geiser (Hrsg.), Basler Kommentar zum Zivilgesetzbuch I, 3.Aufl. Zürich 2006 JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER (MITARBEIT FRANZ ZELLER), Grundrechte in der Schweiz, 26 27 Basler Komm/StGB VON INS/WYDER, Art. 179 bis N 3 PERSOENLICH.COM 14. 5. 2009, Redaktionsleiter "Kassensturz" im Interview 16 4. Aufl. Bern 2008 JÖRG PAUL MÜLLER, Demokratische Gerechtigkeit, München 1993 MARCEL ALEXANDER NIGGLI/HANS WIPRÄCHTIGER (Hrsg), Basler Kommentar zum Strafrecht I und II, 2. Aufl. 2007 STEPHAN RUSS-MOHL, Journalismus, Frankfurt 2003 17