3. Existenzfreie Logiken Viele Probleme mit

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3. Existenzfreie Logiken
Viele Probleme mit unerwünschten ontologischen Festlegungen entstehen,
wie sich gezeigt hat, durch das Prädikationsprinzip oder das Prinzip der existentiellen Generalisierung oder das Relationsprinzip oder das Prinzip der relationalen existentiellen Generalisierung. Ein Weg, viele Probleme der ontologischen
Festlegung mit einem Schlag zu lösen, besteht darin, diese vier Prinzipien aufzugeben. Dieser Weg wurde auch von einer Reihe von Theoretikern beschritten, und zwar vielfach im Rahmen einer existenzfreien Logik. In diesem Kapitel sollen folgende Fragen geklärt werden:
1. Was ist eine existenzfreie Logik? Wodurch unterscheiden sich existenzfreie Logiken von der klassischen Quantorenlogik? Welche Arten von existenzfreien Logiken gibt es?
2. Welche Beweggründe gibt es für das Akzeptieren existenzfreier Logiken? Welche – vermeintlichen oder tatsächlichen – Vorzüge haben existenzfreie Logiken gegenüber der klassischen Quantorenlogik?
3. Können wir durch existenzfreie Logiken unerwünschte ontologische
Festlegungen vermeiden?
Die Existenzvoraussetzungen der klassischen Quantorenlogik
Die klassische Quantorenlogik macht zwei verschiedene Arten von Existenzvoraussetzungen. Beide hängen zusammen mit dem folgenden Prinzip:
(PSI) x (x = x).
Ich nenne das “das Prinzip der Selbstidentität”. (PSI) kann auf zweierlei
Weisen gelesen werden: Entweder als
(PSIa) Für alle x: x ist mit sich selbst identisch.
oder als
(PSIb) Für alle x: x existiert.
(PSI) ist in der klassischen Quantorenlogik gültig. Aus (PSI) folgt
(NLU) x (x = x).
(NLU) kann gelesen werden als
(NLUa) Es gibt etwas, das mit sich selbst identisch ist,
oder kurz als
(NLUb) Etwas existiert.
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III. Ontologie und Logik
Ich nenne dieses Prinzip “das Prinzip von der Nicht-Leerheit des Universums”, denn es drückt nichts anderes aus, als dass das Universum mindestens einen Gegenstand enthält, dass es also nicht vollkommen leer ist. Das ist
eine Existenzvoraussetzung, wenn auch eine sehr schwache.
Doch die klassische Quantorenlogik macht noch andere, stärkere Existenzvoraussetzungen. Um diese zu erläutern, ist es nötig, auf einige formale
Besonderheiten der klassischen Quantorenlogik näher einzugehen.
Ich habe bisher bewusst auf eine vollständige Symbolisierung der Prinzipien (PP) und (RP) verzichtet. Ich wollte von Prinzipien und Sätzen ausgehen,
die (mit den erwähnten Einschränkungen) intuitiv überzeugend sind und nicht
bereits die Entscheidung für eine bestimmte Logik voraussetzen. Jetzt aber
werde ich diese Enthaltsamkeit aufgeben. Ich bediene mich der klassischen
Quantorenlogik. Diese Logik soll nicht sakrosankt sein. Es ist aber nützlich,
ein Referenzsystem zu haben, das man, wo es angebracht erscheint, für
Symbolisierungen anwenden kann und vor dessen Hintergrund andere Systeme dargestellt und diskutiert werden können.
In der klassischen Quantorenlogik ist sowohl das Prädikationsprinzip als
auch das Relationsprinzip als auch das Prinzip der existentiellen Generalisierung gültig. Ich möchte zunächst erläutern, warum das Prädikationsprinzip
und das Relationsprinzip in der klassischen Quantorenlogik gültig sind: Das
Konsequens von (PP) ist ein singulärer Existenzsatz,
(1) a existiert.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, singuläre Existenzsätze zu symbolisieren. Man könnte ein Existenzprädikat “E” bzw. “E!” einführen.1 Dann wäre
(1) zu symbolisieren als
(1a) E!a.
Doch in der klassischen Quantorenlogik ist diese Symbolisierung nicht möglich, weil Existenz in der klassischen Quantorenlogik ausschließlich mit Hilfe
des Existenzquantors dargestellt werden kann und Existenzquantoren nur in
Verbindung mit Prädikaten – nicht in Verbindung mit Individuenkonstanten –
einen wohlgeformten Satz ergeben. Daher enthält die klassische Quantorenlogik kein Existenzprädikat. Dennoch kann man in der klassischen Quantorenlogik singuläre Existenzsätze darstellen, und zwar in der folgenden Weise:
(1b) x (x = a).
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3. Existenzfreie Logiken
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Diese Formel steht einerseits für
(1) a existiert;
andererseits kann sie aber auch gelesen werden als
(1c) Es gibt etwas, das mit a identisch ist.
(1b) ist der Form nach ein genereller Existenzsatz. Dennoch soll er den singulären Existenzsatz (1) symbolisieren. Der Trick dieser Symbolisierung besteht in der Einführung eines speziellen Prädikats (“= a” – lies: “ist identisch
mit a”), das den singulären Term “a” als Bestandteil enthält und das als Prädikat zu verstehen ist, welches nur einem einzigen Gegenstand wahrheitsgemäß
zugeschrieben werden kann, nämlich dem Träger des singulären Terms “a”.
Ob Existenz ein Prädikat ist oder nicht, wird an späterer Stelle noch ausführlich diskutiert werden. Im vorliegenden Zusammenhang, wo es um existenzfreie Logiken und ihre Relevanz für das Problem der ontologischen Festlegung geht, muss diese Frage nicht beantwortet werden.
Je nachdem, wie singuläre Existenzsätze symbolisiert werden, kann eine
vollständige Symbolisierung des Prädikationsprinzips lauten:
(PPa) Fa E!a
oder
(PPb) Fa x (x = a).
In der klassischen Quantorenlogik kommt, aus dem angeführten Grund, nur
(PPb) als Symbolisierung in Frage. In dieser Symbolisierung ist (PP) in der
klassischen Quantorenlogik eine logische Wahrheit. Denn neben dem Prädikationsprinzip, dem Relationsprinzip, dem Prinzip der existentiellen Generalisierung und dem Prinzip der Selbstidentität gilt in der klassischen Quantorenlogik auch das so genannte Prinzip der universellen Instantiierung:
(UI) x (Fx) Fa.
(Lies: “Wenn alles F ist, dann ist auch a F.”)
Aufgrund von (UI) folgt aus (PSI):
(2) a = a.
Denn wenn alles mit sich selbst identisch ist, dann ist, gemäß (UI), auch a
mit sich selbst identisch. (2) impliziert wiederum:
(1b) x (x = a).
1
Siehe zum Beispiel Apostel 1960, Jacquette 1996, Lambert 1958, Leonard 1956, Rescher 1959.
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III. Ontologie und Logik
Natürlich folgt (1) auch direkt aus (PSI). Denn, gemäß (UI) gilt ja: Wenn alles existiert, dann existiert auch a; und (PSI) drückt ja aus, dass alles existiert.
Wenn (1b) eine logische Wahrheit ist, ist natürlich auch
(PPb) Fa x (x = a)
eine logische Wahrheit, da das Konsequens der Subjunktion stets wahr ist.
Deshalb gilt in der klassischen Quantorenlogik das Prädikationsprinzip.
Analoges gilt für das Relationsprinzip. (RP) kann symbolisiert werden als
(RPa) Rab E!a & E!b
bzw. als
(RPb) Rab x (x = a) & y (y = b),
wobei in der klassischen Quantorenlogik nur (RPb) in Frage kommt. Da beide Konjunktionsglieder im Konsequens logisch wahr sind – und zwar aufgrund von (PSI) und (UI) – ist die ganze Subjunktion natürlich ebenfalls
logisch wahr. Deshalb ist in der klassischen Quantorenlogik auch das Relationsprinzip gültig.
Das Prädikationsprinzip und das Relationsprinzip sind also gültig in der
klassischen Quantorenlogik, und zwar aufgrund der Gültigkeit des Prinzips
der Selbstidentität und des Prinzips der universellen Instantiierung. Doch gerade diese beiden letzteren Prinzipien führen in Schwierigkeiten: Angenommen, wir lassen, im Rahmen der klassischen Quantorenlogik, den singulären
Term “die Arche Noah” als Term unserer reglementierten Sprache zu. Dann
würde aus (PSI) folgen
(3) Die Arche Noah = die Arche Noah.
Aus (3) würde folgen
(4) x (x = die Arche Noah).
bzw.
(4a) Die Arche Noah existiert.
Das bedeutet: Dass die Arche Noah existiert, wäre eine logische Wahrheit.
Da eine logische Wahrheit aus jedem beliebigen Satz folgt, folgt (4) bzw.
(4a) auch aus jedem beliebigen Satz der Form “Fa” oder “Rab”. Und so für
jeden anderen singulären Existenzsatz, der einen singulären Term enthält, der
in der reglementierten Sprache der klassischen Quantorenlogik zugelassen
ist. Würden wir “das runde Viereck” als singulären Term zulassen, so würde
auch gelten:
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3. Existenzfreie Logiken
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(5) Das runde Viereck = das runde Viereck.
und
(6) x (x = das runde Viereck).
bzw.
(6a) Das runde Viereck existiert.
Doch wir wissen natürlich, dass es möglich ist, dass die Arche Noah nicht
existiert und auch niemals existiert hat; und wir wissen, dass es unmöglich ist,
dass ein rundes Viereck existiert. Aus diesem Grund können wir nicht akzeptieren, dass (4) und (6) logisch wahr sind.
Eine Logik, aus deren Prinzipien folgt, dass runde Vierecke existieren, ist
nicht akzeptabel. Da die Prinzipien (PSI) und (UI) die Wurzel dieser Schwierigkeiten sind, läge es nahe, entweder (PSI) oder (UI) aufzugeben. Doch die
Vertreter der klassischen Quantorenlogik gehen einen anderen Weg: Um zu
verhindern, dass aus der logischen Wahrheit (PSI) offensichtliche Falschheiten wie (4) und (6) folgen, werden singuläre Terme, die nichts bezeichnen, in
der Sprache der klassischen Quantorenlogik nicht zugelassen. Mit anderen
Worten: Es ist nicht erlaubt, einen leeren singulären Term für eine Variable
einzusetzen. Es muss jeder singuläre Term, der in irgendeiner Formel (einem
Satz) Verwendung findet, einen Gegenstand bezeichnen, damit nicht falsche
singuläre Existenzsätze als logische Wahrheiten akzeptiert werden müssen.
Es gilt in der klassischen Quantorenlogik: Wann immer wir einen singulären
Term verwenden, existiert ein Gegenstand, den dieser Term bezeichnet. Auf
diese Weise wird der Schluss von
(PSIb) Für alle x: x existiert.
auf (6a) blockiert. Der Schluss ist nicht zulässig, weil “das runde Viereck”
ein leerer singulärer Term ist, und deshalb dürfen wir diesen Term nicht für
“x” in (PSI) einsetzen. Analog sollten wir wohl auf die Einsetzung des singulären Terms “die Arche Noah” verzichten, so lange nicht geklärt ist, ob dieser Term etwas bezeichnet oder nicht. Daher ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht zulässig, aus (PSI) (4a) abzuleiten.
So lange wir nur nicht-leere singuläre Terme als Einsetzungen für die Individuenvariablen zulassen, können wir an (PSI) und (UI) festhalten, ohne
unerwünschte ontologische Festlegungen fürchten zu müssen. So lange feststeht, dass der singuläre Term “der Grazer Schlossberg” etwas bezeichnet,
ist sowohl
(7) Der Grazer Schlossberg = der Grazer Schlossberg.
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III. Ontologie und Logik
als auch
(8) x (x = der Grazer Schlossberg).
bzw.
(8a) Der Grazer Schlossberg existiert.
völlig unproblematisch.
In der klassischen Quantorenlogik werden unerwünschte ontologische
Festlegungen vermieden, indem die singulären Terme vorselektiert werden.
Nur solche, die zweifelsfrei etwas bezeichnen, sind zulässig.
In dieser Hinsicht weicht die Sprache der klassischen Quantorenlogik von
den natürlichen Sprachen ab, denn diese enthalten zahlreiche singuläre Terme, von denen wir mit guten Gründen glauben, dass sie nichts bezeichnen,
oder von denen zweifelhaft ist, ob sie etwas bezeichnen, zum Beispiel: “Pegasus”, “Zeus”, “Julius Cäsar”, “das runde Viereck”, “der goldene Berg”,
“der Jungbrunnen”, “die Arche Noah”, “die Waschmaschine, die ohne
Waschmittel perfekt sauber wäscht”, “das Perpetuum mobile”. In der formalen Sprache der klassischen Quantorenlogik wird hingegen vorausgesetzt,
dass jeder Individuenkonstante ein Gegenstand im Interpretationsbereich zugeordnet werden kann. Auch in diesem Sinn macht die klassische
Quantorenlogik Existenzvoraussetzungen, und zwar Existenzvoraussetzungen in Bezug auf singuläre Terme. Im Folgenden wird es in erster Linie
um diese Art von Existenzvoraussetzungen gehen.
Einwände gegen Existenzvoraussetzungen in der Logik
Gegen die Existenzvoraussetzungen der klassischen Quantorenlogik lassen
sich verschiedene Einwände erheben. Ein Einwand lautet, dass die Sprache
der klassischen Quantorenlogik durch ihre Existenzvoraussetzungen wesentlich ausdrucksärmer ist als die natürlichen Sprachen. Denn in der Sprache
der klassischen Quantorenlogik lassen sich Sätze, die leere singuläre Terme
enthalten, überhaupt nicht ausdrücken. Wenn also zum Beispiel die singulären Terme “Pegasus”, “das runde Viereck” und “die Arche Noah” leer sind,
dann lassen sich Sätze, die diese Terme enthalten, mit der Sprache der klassischen Quantorenlogik nicht symbolisieren. Weder
(9) Pegasus ist ein Flügelpferd.
noch
(10) Das runde Viereck ist ein unmöglicher Gegenstand.
noch
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3. Existenzfreie Logiken
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(11) Die Arche Noah existiert nicht.
lassen sich dann in der Sprache der klassischen Quantorenlogik ausdrücken.
Auch die Formulierung gewisser Konditionalsätze, wie zum Beispiel
(12) Wenn Gott existiert, dann existiert er notwendigerweise.
oder
(13) Wenn der Yeti existiert, dann ist er sehr scheu,
ist nicht möglich, so lange die Existenz Gottes bzw. die Existenz des Yeti
nicht außer Zweifel steht. Die Existenzvoraussetzungen der klassischen Quantorenlogik schränken also die Ausdruckskraft ihrer Sprache empfindlich ein.
Ein weiteres Argument lautet so: Nach althergebrachter Auffassung können Existenzsätze niemals notwendige Wahrheiten sein, jedenfalls positive
Existenzsätze nicht. Negative Existenzsätze können unter Umständen logisch
wahr sein, nämlich dann, wenn die Existenz logisch unmöglicher Gegenstände verneint wird, also zum Beispiel:
(14) Es gibt nichts, das zugleich rund und nicht-rund ist.
Aber grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Logik, uns zu sagen, was existiert. Existenzsätze können, nach traditioneller Auffassung, nur kontingenterweise wahr sein. Daher überschreitet eine Logik, die Existenzvoraussetzungen macht, sozusagen ihre natürlichen Kompetenzen.
In welchem Sinn sind existenzfreie Logiken existenzfrei?
Das grundsätzliche Unbehagen gegenüber Existenzvoraussetzungen in der
Logik war eines der Motive für die Entwicklung so genannter existenzfreier
Logiken (Free Logics).2 Die Mehrzahl ist hier angebracht, weil es tatsächlich verschiedene Systeme existenzfreier Logiken gibt. “Existenzfrei” werden
Logiken genannt, die frei sind von Existenzvoraussetzungen bezüglich singulärer Terme. Mit anderen Worten: Existenzfreie Logiken beschränken den
zulässigen Bestand an singulären Termen nicht durch die Vorschrift, dass jeder singuläre Term etwas bezeichnen muss. Auch nicht-bezeichnende, also
“leere” singuläre Terme, wie “Pegasus” und “das runde Viereck” sind zugelassen. Sätze, die leere singuläre Terme enthalten, gelten in existenzfreien
Logiken als wohlgeformt. Sätze wie (9), (10) und (11) können also in der
2
Ein Pionier der existenzfreien Logik ist Ernst Mally. Siehe Mally 1971. Siehe außerdem Hintikka 1959a, Lambert 1983, Lambert 1991, Leblanc/Hailperin 1959, Lejewski
1954, Leonard 1956, Rescher 1959.
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III. Ontologie und Logik
Sprache einer existenzfreien Logik symbolisiert werden, und zwar auch dann,
wenn “Pegasus”, “das runde Viereck” und “die Arche Noah” als leere singuläre Terme gelten. Die Zulassung leerer singulärer Terme ist das Wesensmerkmal existenzfreier Logiken.
Eine existenzfreie Logik muss aber nicht von allen Existenzvoraussetzungen frei sein. Eine existenzfreie Logik kann die Voraussetzung enthalten,
dass irgendetwas existiert. Die Zulassung leerer singulärer Terme schließt
nicht aus, dass
(NLU) x (x = x)
als logische Wahrheit anerkannt wird. Manche Vertreter existenzfreier Logiken akzeptieren diese schwache Existenzvoraussetzung, manche lehnen sie
ab.3 Da diese Existenzvoraussetzung stets erfüllt sein wird, so lange irgend
jemand sich mit Logik beschäftigt, hat die Entscheidung für oder gegen
(NLU) keine weitreichenden Konsequenzen.
“Meinongianische existenzfreie Logiken”
Karel Lambert unterscheidet existenzfreie Logiken, die ein “meinongianisches Weltbild” zur Grundlage haben, von solchen, die auf ein “russellianisches Weltbild” gegründet sind.4 Ein meinongianisches Weltbild zu haben
heißt anzunehmen, dass es nicht nur existierende, sondern auch nichtexistierende Gegenstände gibt. Ein russellianisches Weltbild zu haben heißt, ausschließlich existierende Gegenstände anzunehmen. Czeslaw Lejewskis Logik
kann in diesem Sinne als eine “meinongianische existenzfreie Logik” interpretiert werden.5 Im Folgenden soll Lejewskis Theorie dargestellt und diskutiert werden. Daran anschließend wird die Frage aufgeworfen, inwieweit die
Grundidee der existenzfreien Logik überhaupt mit einem meinongianischen
Weltbild verträglich ist.
Lejewskis Ausgangspunkt sind die folgenden beiden Schlussfolgerungen:
I. Der Schluss von
(PSIb’) x (x existiert).
auf
(15) Pegasus existiert.
3
Siehe Lambert 1991b.
Siehe ebd.
5
Siehe Lejewski 1954.
4
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3. Existenzfreie Logiken
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II. Der Schluss von
(16) Pegasus existiert nicht.
auf
(17) x (x existiert nicht).
Wenn der Quantor Existenz ausdrückt, dann ist (PSIb’) wahr und (17)
falsch. Wenn keinerlei Einschränkungen vorgenommen werden, dann gilt:
Aufgrund von (UI) folgt aus der Wahrheit, dass alles existiert, die Falschheit,
dass Pegasus existiert; und aufgrund von (EG) folgt aus der Wahrheit, dass
Pegasus nicht existiert, die Falschheit, dass etwas existiert, das nicht existiert. (Hier wird “existiert nicht” als Prädikat behandelt.6)
Beide Schlüsse sind prima facie inakzeptabel. Die klassischen Logiker
(wie zum Beispiel Quine) lösen das Problem, wie gesagt, indem sie “Pegasus” nicht als singulären Term zulassen. Dagegen wendet Lejewski ein:
It follows from his [Quines] remarks that before we can safely use certain laws established by logic, we have to find out whether the noun-expressions we may like
to employ, are empty or not. This, however, seems to be a purely empirical question. Furthermore, all the restrictions which according to Quine must be observed
whenever we reason with empty noun-expressions, will have to be observed also
in the case of noun-expressions of which we do not know whether they are empty
or not.
This state of affairs does not seem to be very satisfactory. The idea that some
of our rules of inference should depend on empirical information, which may or
may not be forthcoming, is so foreign to the character of logical enquiry that a
thorough re-examination of the two inferences may prove to be worth our while.7
Lejewskis Lösung besteht darin, zwei Interpretationen des Quantors zu unterscheiden, nämlich: 1. die eingeschränkte Interpretation und 2. die uneingeschränkte Interpretation. Gemäß der eingeschränkten Interpretation
ist (PSIb’) wahr und (17) falsch. Für Variablen dürfen nur Konstanten eingesetzt werden, die etwas bezeichnen. Der Quantor hat ontologische Bedeutung.
Gemäß der uneingeschränkten Interpretation dagegen ist (PSIb’) falsch
und (17) wahr. Für Variablen dürfen auch Konstanten eingesetzt werden, die
nichts bezeichnen. Der Existenzquantor hat keine ontologische Bedeutung.
(Daher schlägt Lejewski auch vor, an Stelle von “existential quantifica6
Vgl. Kapitel II.1.
Lejewski 1954, 108.
7
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III. Ontologie und Logik
tion” und dem “existential quantifier” von “particular quantification”
und dem “particular quantifier” zu sprechen.)8
Gemäß der eingeschränkten Interpretation sind die Schlüsse von (PSIb’)
auf (15) und von (16) auf (17) ungültig, da “Pegasus” nichts bezeichnet. Gemäß der uneingeschränkten Interpretation sind diese Schlüsse gültig, und es
gilt: (PSIb’) und (15) sind falsch, (16) und (17) sind wahr. Lejewski entscheidet sich für die uneingeschränkte Interpretation.
Es ist zu beachten, dass Lejewski keines der oben erwähnten in der klassischen Quantorenlogik gültigen Prinzipien aufgeben muss. Es genügt ihm, eine
andere Interpretation vorzunehmen. Bei Lejewski gilt sowohl
(EG) Fa x (Fx)
als auch
(UI) x (Fx) Fa.
Nur soll
(18) x (Fx)
nicht gelesen werden als
(18a) Fs existieren.
Lejewski hat auch keinen Grund, (PSI) aufzugeben. Nur wird (PSI) nicht interpretiert als
(PSIb) Für alle x: x existiert.
Entsprechend kann Lejewski auch
(1b) x (x = a)
als logische Wahrheit anerkennen, denn er interpretiert (1b) nicht als
(1) a existiert.
Gegen Lejewskis Lösung ist Folgendes einzuwenden: Sein -Quantor soll
nicht Existenz ausdrücken; er soll also ein Partikularisator sein, kein Existenzquantor. Das ist der Kern seiner Lösung. Das bedeutet: Entweder Lejewskis
uneingeschränkt interpretierter E-Quantor ist ontologisch neutral, oder er
drückt eine andere Seinsweise als Existenz aus. Es gibt also grundsätzlich
zwei mögliche nicht-existentielle Lesarten des Quantors in
(17) x (x existiert nicht).
8
Ebd., 113f.
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3. Existenzfreie Logiken
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Entweder der Quantor ist hier ontologisch neutral, das heißt: ein Partikularisator im Sinne des vorigen Kapitels; oder der Quantor drückt eine Seinsweise aus, die nicht mit Existenz identisch ist. Die natürlichste Lesart von (17)
lautet:
(17a) Es gibt etwas, das nicht existiert.
Das “es gibt” in (17a) ist entweder gleichbedeutend mit dem “existiert”, oder
es ist nicht gleichbedeutend. Wenn es gleichbedeutend ist, dann ist (17a) eine
Kontradiktion. Doch für Lejewski ist (17a) eine Wahrheit; daher kommt diese Interpretation nicht in Frage. Das “es gibt” kann also nicht mit dem “existiert” gleichbedeutend sein. Es gilt auch hier: Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, das “es gibt” in (17a) nicht-existentiell zu interpretieren, nämlich
entweder im Sinne eines Partikularisators oder im Sinne einer Seinsweise, die
verschieden von Existenz ist.
Letzteres wäre eine meinongianische Interpretation. (17a) würde demnach
ausdrücken, dass Existenz eine spezielle Seinsweise ist, die nicht allen seienden (bzw. außerseienden) Gegenständen zukommt.9 Demgemäß wäre der
Quantor (bzw. das “es gibt”) zwar nicht gänzlich ontologisch neutral (nicht
im Sinne des Partikularisators), doch er würde nicht Existenz ausdrücken,
sondern irgendeinen anderen, eventuell schwächeren, ontologischen Status.
(15a) Es gibt Pegasus.
wäre dann nicht gleichbedeutend mit
(15) Pegasus existiert,
obwohl das Akzeptieren beider Sätze eine ontologische Festlegung mit sich
bringen würde. Das Akzeptieren von (15a), zusammen mit
(16) Pegasus existiert nicht.
würde dann eine ontologische Festlegung auf einen nichtexistierenden Gegenstand mit sich bringen.
In dieser Interpretation bringt Lejewskis Version einer existenzfreien Logik also eine Seinsweisenunterscheidung mit sich. Die Annahme verschiedener Seinsweisen wurde schon an früherer Stelle diskutiert und als ontologisch
irrelevant bzw. inhaltsleer zurückgewiesen.10
Lejewskis uneingeschränkt interpretierter Quantor bzw. das “es gibt” in
(17a) müsste also ontologisch neutral sein, damit seine Lösung tragfähig wä9
Vgl. Meinong 1904b.
Siehe Kapitel II.4.
10
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III. Ontologie und Logik
re. Mit anderen Worten: Der Quantor müsste ein Partikularisator sein. Es
wurde im vorangegangenen Kapitel klar gemacht, dass gegen die Einführung
von Partikularisatoren nichts einzuwenden ist – ganz im Gegenteil. Ein Partikularisator ist ontologisch neutral. Es gibt also ontologisch neutrale Quantoren. Doch ein Partikularisator ist ein Quantor, der Variablen bindet, die keine
Individuenvariablen sind. Lejewskis Quantor ist nicht ontologisch neutral in
diesem Sinn, denn die Variablen in (17) sind eindeutig Individuenvariablen,
und das bedeutet: Wer eine Substitutionsinstanz von (17) als wahr akzeptiert,
ist ontologisch festgelegt auf einen Gegenstand, der nicht existiert. Der
Quantor “” in (17) ist also kein Partikularisator, sondern ein Existenzquantor, von dem Lejewski behauptet, dass er ontologisch neutral sei. Aber ontologisch neutrale Existenzquantoren gibt es nicht, wie im vorangegangenen
Kapitel gezeigt wurde.
Analoges gilt natürlich auch für die Lesart (17a). Wenn das Pronomen
“etwas” hier (wie es offenbar der Fall ist) als Pronomen für singuläre Terme
gemeint ist, dann hat das “es gibt” ontologische Bedeutung. Das “es gibt”
kann in diesem Kontext nicht ontologisch neutral im Sinne des Partikularisators sein, denn das “etwas” ist hier zweifellos eine natürliche Individuenvariable.
Da es eine Seinsweise, die verschieden von Existenz ist, nicht gibt, und da
das “es gibt” in (17a) nicht ontologisch neutral ist, bedeutet
(17a) Es gibt etwas, das nicht existiert.
dasselbe wie
(17b) Es existiert etwas, das nicht existiert.
Daher ist (17) falsch.
Lejewskis Variante einer existenzfreien Logik ist also zu verwerfen, weil
sie entweder zur Annahme eines ontologisch neutralen Existenzquantors
oder zur Annahme von Seinsweisen zwingt; und beide Annahmen sind
falsch.
Ich habe weiter oben gesagt, dass ich unter einer “existenzfreien Logik” eine
Logik verstehe, in der leere (das heißt: nicht-bezeichnende) singuläre Terme
zugelassen sind. Es ist deshalb zweifelhaft, ob jemand, der ein meinongianisches Weltbild vertritt, überhaupt mit Recht ein existenzfreier Logiker genannt werden kann. Denn wenn es außer dem Bereich des Existierenden
noch einen Bereich des Nichtexistierenden gibt, dann können wir wohl annehmen, dass der Name “Pegasus” einen Gegenstand im Bereich des Nicht-
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3. Existenzfreie Logiken
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existierenden bezeichnet. Dann wäre aber der Name “Pegasus”, so scheint
es jedenfalls, nicht wirklich leer. Ein Name ist leer, wenn er nichts bezeichnet. Aber ist ein nichtexistierender Gegenstand nichts? Ein echter Meinongianer würde das sicher bestreiten. Die Pointe der Gegenstandstheorie Alexius
Meinongs besteht nämlich gerade darin, dass auch etwas Nichtexistierendes
etwas ist – ein Gegenstand im weitesten Sinn. Daher kann ein echter Meinongianer kaum ein existenzfreier Logiker sein in dem oben explizierten Sinn,
denn für einen Meinongianer ist es schwierig, wirklich leere singuläre Terme
zu finden. Die Grundlage des meinongianischen Weltbildes ist ja die Annahme, dass jeder singuläre Term einen Gegenstand bezeichnet – wenn nicht einen existierenden Gegenstand, dann eben einen nichtexistierenden. In diesem
Sinn ist Lamberts Unterscheidung von “russellianischen” und “meinongianischen” existenzfreien Logiken nicht ganz unproblematisch. Eine “meinongianische existenzfreie Logik” kann offenbar nur in dem Sinn existenzfrei sein,
dass singuläre Terme zugelassen werden, die nichts Existierendes bezeichnen. Aber eine solche “existenzfreie” Logik ist ununterscheidbar von einer
klassischen Quantorenlogik, die durch Einführung eines Existenzprädikats erweitert wurde. Eine klassische Logikerin kann ja auch ein meinongianisches
Weltbild vertreten. Sie kann alle Prinzipien der klassischen Quantorenlogik
beibehalten, so lange sie nur den Quantor nicht existentiell interpretiert. Ich
möchte daher den Terminus “existenzfreie Logik” jenen Logiken vorbehalten, die im eigentlichen Sinn des Wortes leere (nicht-bezeichnende) singuläre Terme zulassen, also singuläre Terme, die weder Existierendes noch
Nichtexistierendes bezeichnen.
Manchmal ist es nicht leicht zu entscheiden, ob jemand ein existenzfreier
Logiker oder doch eher ein Meinongianer ist. Das gilt zum Beispiel für Nicholas Rescher.11 Einerseits gibt es starke Hinweise darauf, dass Rescher
ein meinongianisches Weltbild vertritt. Denn er bekennt sich zu einer ontologischen Festlegung auf nichtexistierende bzw. “bloß begriffliche” Gegenstände. Die nichtexistierenden Gegenstände nennt Rescher “Nonentitäten”. Das
Diskursuniversum zerfalle, so Rescher, in zwei sich gegenseitig ausschließende Sub-Universen, nämlich in das Universum des Existierenden und das
Universum der Nonentitäten.
Andererseits soll für nichtexistierende Gegenstände die Regel der existentiellen Generalisierung nicht gültig sein, da nichtexistierende Gegenstände
nicht zum Bereich der Werte von Individuenvariablen gehören. Sie sollen die
11
Siehe Rescher 1959.
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III. Ontologie und Logik
“Elemente der Null-Klasse” sein.12 Diese letzte Bemerkung spricht dafür,
dass Reschers Nonentitäten, wie ja die Bezeichnung schon suggeriert, keine
Gegenstände sind (nicht einmal Gegenstände im meinongianischen Sinn),
sondern einfach nichts. Denn auf die Frage “Was enthält die Null-Klasse?”
lautet die richtige Antwort: “Die Null-Klasse enthält nichts”, wobei zu beachten ist, dass “nichts” hier klein geschrieben ist, also keinesfalls als Name
für “das Nichts” betrachtet werden darf. Nach dieser Interpretation quantifiziert Rescher nicht über nichtexistierende Gegenstände.
Vielleicht will Rescher aber auch sagen, dass es gar nicht stimmt, dass die
Null-Klasse nichts enthält. Möglicherweise ist seine Auffassung, dass die
Null-Klasse lediglich nichts Existierendes enthält. Für diese Interpretation
spricht, dass Rescher zwei verschiedene E-Quantoren verwendet, und zwar
“1 ” für den Bereich des Existierenden und “2 ” für den Bereich der Nonentitäten:
I had remarked in Section V above that the rejection of
[(19)] (y) (y = x) Ex
has a seeming air of paradox about it. But this can now be smoothed out. For the
paradox disappears once we recognize that an equivocation in the meaning of existential quantification is an inevitable result of speaking of two orders of entities:
those which (actually) exist, and those which only “subsist” (i.e., do not exist save
as entia imaginationis). When this equivocation is removed by explicit introduction of two kinds of existential quantification, we see that [(19)] is indeed legitimate and acceptable in the form,
[(19a)] (1 y) (y = x) Ex,
but is not acceptable, and must be rejected in the form,
[(19b)] (2 y) (y = x) Ex.13
(“E” fungiert hier als Existenzprädikat.) Nun ist es aber klar, dass die Variable “y” in (19b) eine Individuenvariable ist. Es muss Werte für diese Variable geben. Denn sonst könnte “(2 y) (y = x)” nicht wahr sein und damit
(19b) als Ganzes nicht falsch. Doch als Werte dieser Variable kommen nur
nichtexistierende Gegenstände in Frage. Es ist also klar, dass sowohl “1 ” als
auch “2 ” ein Existenzquantor ist und nicht ein Partikularisator. Rescher
quantifiziert offenbar also doch über nichtexistierende Gegenstände.
12
Ebd., 174f.
Ebd., 176.
13
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3. Existenzfreie Logiken
181
Existenzfreie Logiken im eigentlichen Sinne
Glücklicherweise gibt es auch existenzfreie Logiken, die ohne die Annahme
eines ontologisch neutralen Existenzquantors und ohne die Annahme von
Seinsweisen und nichtexistierenden Gegenständen auskommen. Karel Lambert bezeichnet es sogar als ein Merkmal existenzfreier Logiken, dass der Quantor ontologisches Gewicht hat.14 Im Folgenden sollen nur noch solche
existenzfreien Logiken betrachtet werden, in denen weder zwei verschiedene
Arten von Existenzquantoren verwendet werden noch der Existenzquantor
als ontologisch neutral interpretiert wird. Diese sind im eigentlichen Sinne
existenzfrei.
Es soll nun erläutert werden, durch welche Abweichungen von der klassischen Quantorenlogik in existenzfreien Logiken die Zulassung von leeren singulären Termen ermöglicht wird. Ich setze jetzt voraus, dass
(PSI) x (x = x)
als
(PSIb) Für alle x: x existiert.
zu lesen ist. Im Rahmen dieser Voraussetzung gilt: Man kann auf der Grundlage eines russellianischen Weltbildes die Existenzvoraussetzungen hinsichtlich der singulären Terme vermeiden, indem man (PSI) aufgibt.
Wenn (PSI) nicht logisch wahr ist, dann ist auch
(1b) x (x = a)
(Lies: “a existiert.”)
nicht logisch wahr. Das Aufgeben von (PSI) ist der wesentliche Schritt von
der klassischen zu einer existenzfreien Logik.
Außerdem kann in einer existenzfreien Logik das Prinzip der universellen
Instantiierung,
(UI) x (Fx) Fa,
nicht gelten. Denn in einer existenzfreien Logik könnte “x (Fx)” wahr und
“Fa” falsch oder wahrheitswertlos sein. Nehmen wir zum Beispiel an, dass
Folgendes wahr ist:
(20) x (x ist irgendwann entstanden oder x existiert notwendigerweise).
Nehmen wir weiters an, dass Pegasus nicht existiert und niemals existiert
hat. Aufgrund von (UI) würde aus (20) folgen:
14
Siehe Lambert 1991b.
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182
III. Ontologie und Logik
(21) Pegasus ist irgendwann entstanden, oder Pegasus existiert notwendigerweise.
Unter der Voraussetzung, dass Pegasus nicht existiert und niemals existiert
hat, ist (21) natürlich falsch. Das Prinzip der universellen Instantiierung muss
also in einer existenzfreien Logik aufgegeben werden. Es kann aber in einer
existenzfreien Logik folgendes Prinzip akzeptiert werden:
(UIf) (x (Fx) & x (x = a)) Fa
bzw., mit Hilfe eines Existenzprädikats ausgedrückt,
(Uif’) (x (Fx) & E!a) Fa.15
(Lies: Wenn alles F ist, und wenn a existiert, dann Fa.)
Existenzfreie Logiken können ein Existenzprädikat enthalten, aber sie müssen
es nicht. Es hat keinerlei Auswirkungen auf das System, ob “a existiert” mit
dem Existenzprädikat “E!” symbolisiert wird oder als (1b).
Das Prinzip (UIf) ist aus dem Prinzip der universellen Instantiierung entstanden durch Hinzufügung einer weiteren Bedingung im Antezedens, nämlich der Bedingung, dass a existiert. Dieses Prinzip ist auch dann unproblematisch, wenn leere singuläre Terme zugelassen werden. Zum Beispiel folgt,
gemäß (UIf), aus (20) und
(22) Das runde Viereck existiert.
die gewiss nicht ganz unproblematische Behauptung
(23) Das runde Viereck ist irgendwann entstanden oder das runde
Viereck existiert notwendigerweise.
Diesen Schluss können wir als gültig akzeptieren, ohne uns darauf festzulegen, dass der singuläre Term “das runde Viereck” etwas bezeichnet. Denn
wenn das runde Viereck existiert, dann ist es auch plausibel, dass es entweder irgendwann entstanden ist oder dass es notwendigerweise existiert. Wir
müssen (23) nicht akzeptieren, weil wir (22) zurückweisen können. Das Prinzip (UIf) enthält also eine explizite Existenzvoraussetzung, und dadurch werden Schlüsse wie der von (20) auf (23) blockiert.
Manche existenzfreien Logiker geben nicht nur (UI), sondern auch (EG)
auf und ersetzen es durch Folgendes:
(EGf) (Fa & x (x = a)) x (Fx),
bzw., unter Verwendung eines Existenzprädikats,
15
Siehe zum Beispiel Hintikka 1959a, Leblanc/Hailperin 1959, Leonard 1956.
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3. Existenzfreie Logiken
183
(EGf’) (Fa & E!a) x (Fx).16
(Lies: Wenn Fa und wenn a existiert, dann gibt es etwas, das F ist.)
(EG) würde den Schluss von
(9) Pegasus ist ein Flügelpferd.
auf
(24) Es gibt Flügelpferde.
ermöglichen. Durch das Aufgeben von (EG) wird dieser Schluss blockiert.
Aufgrund von (EGf) ließe sich (24) nur aus (9) und
(15) Pegasus existiert.
ableiten. Dieser Schluss ist aber unproblematisch. Denn wenn Pegasus existiert, und wenn Pegasus ein Flügelpferd ist, dann existieren natürlich Flügelpferde. Ein Beweis dafür, dass Pegasus irgendwann existiert hat und ein
geflügeltes Pferd war, wäre zugleich ein Beweis dafür, dass Flügelpferde
einmal existiert haben.
Sowohl (EG) als auch (UI) werden also in existenzfreien Logiken in einschränkender Weise modifiziert. Sie gelten nur noch unter der Voraussetzung, dass a existiert, dass also der singuläre Term “a” nicht leer ist. Diese
Voraussetzung wird in (EGf) und (UIf) explizit zum Ausdruck gebracht durch
die zusätzliche Bedingung
(1b) x (x = a).
bzw.
(1a) E!a.
Es ist zu erwarten, dass jemand, der das Prinzip der existentiellen Generalisierung nicht akzeptiert, auch das Prinzip der relationalen existentiellen Generalisierung nicht akzeptiert. Denn wenn aus “Fa” nicht folgt, dass es etwas
gibt, das F ist, dann folgt wohl aus “Rab” nicht, dass es etwas gibt, das zu b
in der Relation R steht, und dass es etwas gibt, zu dem a in der Relation R
steht. Man kann also davon ausgehen, dass in existenzfreien Logiken, in denen (EG) nicht gilt, (REG) auch nicht gilt. Es ist aber leicht, nach dem Muster von (UIf) und (EGf) eine existenzfreie Version von (REG) zu konstruieren:
(REGf’) (Rab & E!a & E!b) (x (Rxb) & y (Ray)).
(Lies: Wenn a zu b in der Relation R steht und wenn a existiert
und b existiert, dann gibt es etwas, das zu b in der Relation R
steht, und es gibt etwas, zu dem a in der Relation R steht.)
16
Siehe ebd.
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184
III. Ontologie und Logik
Manche Vertreter existenzfreier Logiken verwerfen aber nicht nur das Prinzip der universellen Instantiierung und das Prinzip der existentiellen Generalisierung, sondern auch das Prädikationsprinzip. Lamberts “Prinzip der Unabhängigkeit” (“PdU”) wurde an früherer Stelle bereits erwähnt.17 Es besagt,
dass der Schluss von “Fa” auf “a hat Sein” bzw. “a existiert” nicht gültig
ist.18 Das ist die Verneinung des Prädikationsprinzips.
Wer das Prädikationsprinzip nicht akzeptiert, hat wohl auch keinen Anlass,
das Relationsprinzip zu akzeptieren. Wenn aus “Fa” nicht “a existiert” folgt,
dann folgt wohl auch nicht “a existiert” und “b existiert” aus “Rab”. Das Relationsprinzip steht und fällt mit dem Prädikationsprinzip.
Ich halte zusammenfassend fest: Existenzfreie Logiken unterscheiden sich
von der klassischen Quantorenlogik dadurch, dass sie leere singuläre Terme
zulassen. In diesem Sinn sind sie frei von Existenzannahmen in Bezug auf Individuen. Aufgrund dieser Freiheit von singulären Existenzannahmen kann in
existenzfreien Logiken das Prinzip der Selbstidentität und das Prinzip der universellen Instantiierung nicht gültig sein. Darüber hinaus verwerfen zumindest manche existenzfreien Logiker auch das Prinzip der existentiellen Generalisierung, das Prädikationsprinzip und das Relationsprinzip.
Doch auch innerhalb dieser Gruppe von existenzfreien Logiken lassen sich
noch Unterscheidungen treffen. Existenzfreie Logiken können nämlich auch
danach eingeteilt werden, wie sie es mit den Wahrheitswerten von atomaren Sätzen mit leeren singulären Termen halten. Lambert unterscheidet
nach diesem Kriterium drei Arten von existenzfreien Logiken:
a. In so genannten positiven freien Logiken gilt: Manche Sätze der Form
“Fa” bzw. “Rab” mit leeren singulären Termen sind wahr.
b. In so genannten negativen freien Logiken gilt: Alle Sätze der Form
“Fa” bzw. “Rab” mit leeren singulären Termen sind falsch.
c. In so genannten neutralen freien Logiken gilt: Alle Sätze der Form
“Fa” bzw. “Rab” mit leeren singulären Termen sind wahrheitswertlos.19
Existenzfreie Logiken und ontologische Festlegung
Im Vorigen wurden zwei Beweggründe für das Akzeptieren existenzfreier
Logiken angeführt:
17
Siehe Kapitel I.4.
Lambert 1983.
19
Siehe Lambert 1991b, 9.
18
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3. Existenzfreie Logiken
185
1. Die Sprache einer existenzfreien Logik ist leistungsfähiger, weil sie die
Symbolisierung von natürlichsprachlichen Sätzen zulässt, die leere singuläre
Terme enthalten.
2. Logiken sollten grundsätzlich keine Existenzvoraussetzungen enthalten,
denn die Gültigkeit einer Logik soll nicht von kontingenten Faktoren abhängen.
Es gibt aber noch einen dritten Beweggrund, nämlich:
3. Existenzfreie Logiken sollen helfen, unerwünschte ontologische Festlegungen zu vermeiden.
Im nun folgenden Abschnitt werde ich drei eng miteinander zusammenhängende Thesen verteidigen:
1. Von den drei angeführten Beweggründen für das Akzeptieren existenzfreier Logiken sind die ersten beiden gute Gründe, der dritte – die vermeintliche Vermeidung unerwünschter ontologischer Festlegungen – ist aber kein
guter Grund.
2. Negative oder neutrale existenzfreie Logiken sind intuitiv plausibel, positive existenzfreie Logiken nicht.
3. Während in einer existenzfreien Logik die “klassischen” Prinzipien
(PSI) und (UI) aufgegeben werden müssen, können (und sollen) die existentiellen Prinzipien (PP), (RP), (EG) und (REG) gelten. Die Forderung nach
Existenzfreiheit im Sinne der Zulässigkeit leerer singulärer Terme erzwingt
nicht die Aufgabe eines oder mehrerer dieser Prinzipien; und es gibt gute
Gründe für diese Prinzipien – unabhängig von dem aufgegebenen Prinzip
(PSI).
Ehe ich die Verteidigung dieser Thesen in Angriff nehme, soll durch einen
Blick in die einschlägige Literatur belegt werden, dass das Problem unerwünschter ontologischer Festlegungen tatsächlich für viele existenzfreie Logiker ein wesentliches (vielleicht sogar das wesentliche) Motiv ist. Die drei
angeführten Motive werden häufig nicht sehr scharf voneinander getrennt,
und so kommt es, dass (UI) und (EG) oft in einem Aufwasch verworfen und
durch die schwächeren existenzfreien Prinzipien (UIf) und (EGf) ersetzt
werden, so als müsste man für die beiden Schritte gar nicht getrennt argumentieren. Die grundsätzlichen Bedenken gegen Existenzvoraussetzungen in
der Logik sind oft nur ein Nebenthema gegenüber dem Problem unerwünschter ontologischer Festlegungen. Jaakko Hintikka zum Beispiel argumentiert für die Ersetzung von (EG) durch
(EGf) (Fa & x (x = a)) x (Fx)
wie folgt:
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186
III. Ontologie und Logik
Prior’s puzzle about names like “Bucephalus” is due exactly to the use of existential generalization; he is worried about the fact that this process yields illegitimate
inferences if sentences in the present tense are really thought of as referring to
the present moment. The (invalid) inference from “Alexander rode Bucephalus” to
“there is (sc., now is) an object which Alexander rode” is a case in point. From
what we have found it appears that existential generalization with respect to a term
actually depends on a tacit premise which insures that the term in question really
refers to something. In the present case this premise would be, under Prior’s reading of present-tense sentences, “Bucephalus (now) exists”. This is simply false,
making the offensive inference impossible. Thus Prior’s puzzle is dissolved in a
straightforward way which seems to me preferable to his own solution.20
Priors Lösung besteht darin, den Ausdruck “Bucephalus” nicht mehr als Namen zu betrachten, weil Alexanders Pferd – der Träger dieses Namens –
längst gestorben ist. Hintikka bemerkt dazu: “[T]his implies the eminently unsatisfactory conclusion that the logical status of a name changes when its
bearer dies.”21 Diese Kritik ist selbstverständlich vollkommen berechtigt; der
logische Status von Ausdrücken kann nicht von Existenzvoraussetzungen abhängen. Wir wissen nicht, ob die Arche Noah existiert, ja nicht einmal, ob sie
jemals existiert hat; aber unabhängig davon ist der Ausdruck “die Arche
Noah” ein singulärer Term.
Hintikka betrachtet “Bucephalus” als singulären Term, ungeachtet der
Tatsache, dass (jetzt) kein Träger dieses Namens existiert. Hintikka erklärt
den Schluss von
(25) Alexander rode Bucephalus.
auf
(26) x (x = Bucephalus).
für ungültig. Der Schluss wäre gültig, wenn (RP) gelten würde. Aber Hintikka akzeptiert (RP) nicht.
Karel Lambert findet die folgenden Sätze intuitiv wahr:
(27) Vulkanus ist identisch mit Vulkanus.
(28) Das runde Viereck ist rund.
(29) Ponce de León suchte den Jungbrunnen.22
20
Hintikka 1959a, 136.
Ebd., Fußnote 15.
22
Lambert 1983, 138f.
21
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3. Existenzfreie Logiken
187
Trotzdem will Lambert keine ontologische Festlegung auf Vulkanus, das runde Viereck und den Jungbrunnen eingehen. Die Lösung besteht natürlich
darin, (PP) und (RP) aufzugeben.
Henry Leonard beklagt, dass in der Standardlogik der Schluss von
(30) Santa Claus lebt am Nordpol.
auf
(31) x (x lebt am Nordpol).
gültig ist.23 Offenbar betrachtet Leonard (30) als wahr und (31) als falsch.
Leonards Lösung des Problems besteht darin, (EG) aufzugeben.
Leblanc und Hailperin weisen (EG) zurück, um nicht den Schluss von
(16) Pegasus existiert nicht.
auf
(17a) Es gibt etwas, das nicht existiert.
akzeptieren zu müssen.24
Alle Autoren wollen sich zunutze machen, dass die Aufgabe der existentiellen Prinzipien (PP), (RP), (EG) und (REG) viele Probleme mit unerwünschten ontologischen Festlegungen auf einen Schlag löst, indem die Ableitung von Existenzsätzen aus Prädikationen und Relationssätzen blockiert
wird. Die Methode erscheint gleichermaßen einfach wie wirkungsvoll. Wenn
(PP) nicht gilt, dann folgt aus
(32) Pegasus ist eine Figur aus der griechischen Mythologie.
nicht, dass Pegasus existiert. Wenn (EG) nicht gilt, dann folgt aus
(9) Pegasus ist ein Flügelpferd.
nicht
(24) Es gibt Flügelpferde.
Das existenzfreie Prinzip
(EGf) (Fa & E!a) x (Fx)
rechtfertigt den Schluss von (9) auf (24) nicht. Aufgrund von (EGf) könnte
man (9) nur aus der Konjunktion
(33) Pegasus ist ein Flügelpferd und Pegasus existiert.
ableiten. Aber die Annahme, dass Pegasus existiert, soll ja gerade nicht gemacht werden.
23
Leonard 1956, 52.
Leblanc/Hailperin 1959, 239.
24
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188
III. Ontologie und Logik
Wenn (RP) nicht gilt, dann folgt aus
(34) Sokrates verehrt Asklepios.
nicht
(35) Asklepios existiert,
und zwar auch dann nicht, wenn (34) als ein Satz der Form “Rab” interpretiert wird. Und wenn (REG) nicht gilt, dann lässt sich aus
(36) Der Hauptaktionär des Henkel-Konzerns fürchtet die Waschmaschine, die ohne Waschmittel perfekt sauber wäscht.
nicht ableiten
(37) x (Der Hauptaktionär des Henkel-Konzerns fürchtet x).
Dies gilt wiederum auch dann, wenn der Satz (36) als ein Satz der Form
“Rab” interpretiert wird.
Aufgrund des existenzfreien Prinzips
(REGf) (Rab & E!a & E!b) (x (Rxb) & y (Ray))
könnte man (37) nur ableiten aus
(38) Der Hauptaktionär des Henkel-Konzerns fürchtet die Waschmaschine, die ohne Waschmittel perfekt sauber wäscht, und die Waschmaschine, die ohne Waschmittel perfekt sauber wäscht, existiert.
Aber die angeführte Zusatzbedingung (dass die Waschmaschine, die ohne
Waschmittel perfekt sauber wäscht, existiert) ist ja eben – laut Annahme –
nicht erfüllt.
Existenzfreie Logiken scheinen also eine hochwirksame Medizin gegen eine ganze Reihe von Problemen der ontologischen Festlegung zu sein. Zugleich gibt es gute Argumente, die für eine existenzfreie Logik sprechen.
Dennoch sind existenzfreie Logiken keine zufriedenstellende Lösung für
Probleme der ontologischen Festlegung. Der entscheidende Punkt ist, dass
die existentiellen Prinzipien (PP), (RP), (EG) und (REG) nur in positiven
existenzfreien Logiken aufgegeben werden müssen, nicht aber in negativen
oder neutralen existenzfreien Logiken. Die existentiellen Prinzipien stören
nur dann, wenn angenommen wird, dass zumindest manche atomaren Sätze,
die leere singuläre Terme enthalten, wahr sind. Wenn angenommen wird,
dass atomare Sätze, die leere singuläre Terme enthalten, stets falsch oder
wahrheitswertlos sind, dann gibt es keine Veranlassung, die existentiellen
Prinzipien aufzugeben. Die angeführten Beispiele zeigen dies klar. Stets ist
der Ausgangspunkt ein Satz, von dem dreierlei angenommen wird:
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3. Existenzfreie Logiken
189
1. dass er die Form “Fa” bzw. die Form “Rab” hat;
2. dass mindestens einer der in ihm enthaltenen singulären Terme leer ist;
und
3. dass er wahr ist.
Ich lehne positive existenzfreie Logiken ab, weil ich nicht glaube, dass es
auch nur einen einzigen Satz gibt, der jede dieser drei Bedingungen erfüllt.
Von den als Beispiele angeführten Sätzen haben einige nicht die Form “Fa”
bzw. “Rab”, andere sind nicht wahr, wieder andere enthalten keine leeren
singulären Terme. Ich werde diese These im letzten Teil der vorliegenden
Arbeit ausführlich begründen. Vorläufig müssen ein paar Hinweise genügen:
Der Satz
(25) Alexander rode Bucephalus.
hat, entgegen dem oberflächlichen Anschein, nicht die logische Struktur
“Rab”.25
Die Sätze
(27) Vulkanus ist identisch mit Vulkanus.
und
(28) Das runde Viereck ist rund.
sind in einer Interpretation falsch, in einer anderen Interpretation sind sie
wahr, ziehen aber keine ontologische Festlegung auf Vulkanus bzw. das runde Viereck nach sich.26
(29) Ponce de León suchte den Jungbrunnen.
ist ein strukturell mehrdeutiger Satz. In einer Interpretation ist er wahr, hat
aber nicht die Form “Rab”; in einer anderen Interpretation hat er die Form
“Rab”, ist aber nicht wahr. Dasselbe gilt für
(34) Sokrates verehrt Asklepios.
und
(36) Der Hauptaktionär des Henkel-Konzerns fürchtet die Waschmaschine, die ohne Waschmittel perfekt sauber wäscht.27
Der Satz
(30) Santa Claus lebt am Nordpol.
ist falsch. Dasselbe gilt für
25
Siehe Kapitel IV.3.
Siehe Kapitel IV.4.
27
Siehe Kapitel IV.2.
26
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190
III. Ontologie und Logik
(9) Pegasus ist ein Flügelpferd.
Hingegen ist
(32) Pegasus ist eine Figur aus der griechischen Mythologie.
wahr, aber “Pegasus” ist in diesem Satz kein leerer singulärer Term.28 Der
Satz
(16) Pegasus existiert nicht.
hat nicht die Form “Fa”.29
Die grundsätzlichen Einwände gegen die Existenzvoraussetzungen der klassischen Quantorenlogik sind stark. Ob etwa die Zeichenfolge “Fa” eine wohlgeformte Formel ist, sollte doch nicht davon abhängen, ob die Individuenkonstante “a” einen singulären Term vertritt, der etwas bezeichnet, oder ob
sie einen singulären Term vertritt, der nichts bezeichnet. Ob ein singulärer
Term etwas bezeichnet oder nicht, kann in den meisten Fällen nur mittels
empirischer Methoden festgestellt werden. In manchen Fällen kann es vielleicht gar nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Es widerspricht offenbar
dem Verständnis der Logik als einer rein formalen Disziplin, dass es nötig ist,
empirische Untersuchungen anzustellen, um entscheiden zu können, ob eine
Zeichenfolge eine wohlgeformte Formel ist oder nicht – oder dass das womöglich überhaupt nicht entschieden werden kann. Existenzaussagen sind
grundsätzlich kontingente Aussagen. Es kann nicht Aufgabe der Logik sein,
uns zu sagen, was existiert. Außerdem sollte es grundsätzlich möglich sein,
Sätze zu symbolisieren, die leere singuläre Terme enthalten. Das alles lässt
sich erreichen durch Fallenlassen des Prinzips
(PSI) x (x = x).
Aus den angeführten Gründen plädiere ich für diesen Schritt. (PSI) soll nicht
als logische Wahrheit anerkannt werden. Damit fallen natürlich auch
(2) a = a
und
(1b) x (x = a)
aus dem Bereich der logischen Wahrheiten heraus; und das ist gut so. Damit
entfällt freilich auch die oben gegebene Begründung für die Gültigkeit des
Prädikationsprinzips. Denn das Nachglied von
28
Siehe Kapitel IV.1.
Siehe Kapitel III.4.
29
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3. Existenzfreie Logiken
191
(PPb) Fa x (x = a)
könnte ja nunmehr auch falsch sein. Analoges gilt für das Relationsprinzip.
Ich plädiere trotzdem dafür, (PP) und (RP) nicht aufzugeben. Es wäre
freilich angebracht, (PP) und (RP) fallen zu lassen, wenn sie allein durch ihre
Ableitbarkeit aus (PSI) begründet wären. Doch das ist nicht der Fall. Denn
diese Prinzipien gewinnen ihre Plausibilität nicht daraus, dass jeder singuläre
Existenzsatz notwendigerweise wahr ist. Sie gewinnen ihre Plausibilität vielmehr aus der Überlegung, dass es unmöglich ist, dass etwas eine Eigenschaft
hat und dabei nicht existiert, bzw. dass es unmöglich ist, dass etwas in einer
Relation zu etwas anderem steht und dabei nicht existiert.
Es muss betont werden, dass die Prinzipien (PP) und (RP) mit den Grundintentionen existenzfreier Logik (wie sie oben dargelegt wurden) vollkommen
verträglich sind. Weder (PP) noch (RP) implizieren, dass es logisch wahre
Existenzsätze gibt. Es wird nur behauptet: Wenn einem Gegenstand a wahrheitsgemäß irgendein Prädikat F zugesprochen werden kann (wenn also
“Fa” wahr ist), dann muss a existieren; und wenn ein Gegenstand a in einer
Relation R zu einem Gegenstand b steht (wenn also “Rab” wahr ist), dann
muss sowohl a als auch b existieren.
Die Prinzipien (PP) und (RP) schließen auch in keiner Weise die Verwendung leerer singulärer Terme aus. Wenn der singuläre Term “a” leer ist,
dann ist “Fa” nichtsdestotrotz eine wohlgeformte Formel; nur ist “Fa” dann
falsch oder wahrheitswertlos. Analog gilt: Wenn entweder “a” oder “b” oder
beide leere singuläre Term sind, dann ist “Rab” wohlgeformt, aber falsch
oder wahrheitswertlos.
(PP) und (RP) verlieren nicht ihre Gültigkeit dadurch, dass leere singuläre
Terme als Bestandteile von Sätzen der Form “Fa” bzw. “Rab” zugelassen
werden. Sie verlieren ihre Gültigkeit nur dann, wenn angenommen wird, dass
Sätze der Form “Fa” bzw. “Rab”, die leere singuläre Terme enthalten, wahr
sein können. In der Tat besagen ja (PP) und (RP) nichts anderes als dass
Sätze der Form “Fa” bzw. “Rab” nicht wahr sein können, wenn sie leere singuläre Terme enthalten. Eine existenzfreie Logik, die es nicht ausschließt,
dass Sätze der Form “Fa” bzw. “Rab”, die leere singuläre Terme enthalten,
wahr sind, muss konsequenterweise (PP) und (RP) aufgeben. Wer “Pegasus” für einen leeren Namen hält und trotzdem den Satz
(9) Pegasus ist ein Flügelpferd.
für wahr hält, der kann (PP) nicht akzeptieren. Denn unter diesen Voraussetzungen gilt offensichtlich nicht, dass der Satz (9) impliziert, dass Pegasus
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192
III. Ontologie und Logik
existiert. Wer den Namen “Asklepios” für leer hält und außerdem glaubt,
dass der Satz
(34) Sokrates verehrt Asklepios.
eine Relation zwischen Sokrates und Asklepios ausdrückt, und wer trotzdem
glaubt, dass (34) wahr ist, der kann (RP) nicht akzeptieren. Denn unter den
gemachten Voraussetzungen gilt offenbar nicht, dass der Satz (34) impliziert,
dass Asklepios existiert.
Analoges gilt für (EG) und (REG). Wenn zugelassen wird, dass “Fa” wahr
ist, obwohl “a” nichts bezeichnet, dann kann (EG) nicht mehr gültig sein.
Denn wer glaubt, dass es keine Flügelpferde gibt, und trotzdem glaubt, dass
(9) wahr ist, der kann nicht Folgendes akzeptieren:
(39) Pegasus ist ein Flügelpferd Es gibt Flügelpferde.
Und wenn zugelassen wird, dass “Rab” wahr ist, obwohl entweder “a” oder
“b” oder beide leer sind, kann (REG) nicht generell gelten. Denn wer akzeptiert, dass verehren eine zweistellige Relation ist und dass “Asklepios” ein
leerer singulärer Term ist und trotzdem glaubt, dass (34) ein wahrer Satz ist,
der kann Folgendes nicht akzeptieren:
(40) Sokrates verehrt Asklepios Es gibt etwas, das Asklepios verehrt,
und es gibt etwas, das von Sokrates verehrt wird.
Ob die Prinzipien (PP), (RP), (EG) und (REG) in einer existenzfreien Logik
aufgegeben werden müssen oder nicht, hängt also davon ab, welche Wahrheitswerte Sätzen mit leeren singulären Termen zugesprochen werden. (PP),
(RP), (EG) und (REG) müssen aufgegeben werden in positiven existenzfreien Logiken, können aber beibehalten werden in negativen und neutralen existenzfreien Logiken.
Mit einer negativen oder neutralen existenzfreien Logik wird einerseits den
berechtigten Einwänden gegen Existenzvoraussetzungen in der Logik Rechnung getragen, andererseits wird die Intuition berücksichtigt, dass etwas, das
nicht existiert, keinerlei Eigenschaften haben und zu nichts in irgendwelchen
Beziehungen stehen kann.
Damit sind freilich keine Probleme der ontologischen Festlegung gelöst.
Das ist aber auch nicht die Aufgabe existenzfreier Logiken. Existenzfreie
Logiken sollen die Logik von nicht gerechtfertigten Existenzvoraussetzungen
befreien. Die Lösung von Problemen mit unerwünschten ontologischen Festlegungen ist eine andere Sache.
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