STUDIENABBRECHER Gründe und Hintergründe Erfahrungen mit Studienabbrechern 1. Einleitung 1.1 Ausgangssituation Die Gesamtzahl aller an steirischen Universitäten und Hochschulen inskribierten StudentInnen betrug im Wintersemester 1997/98 rund 53.700. Davon waren allein ca. 35.000 als ordentliche oder außerordentliche Hörer der Karl-Franzens-Universität registriert. Graz hat damit im Vergleich mit anderen Universitätsstädten die höchste Zahl an StudentInnen gemessen an der Bevölkerungszahl. Dieser „Trend“ zum Studium läßt sich in ganz Österreich feststellen. „Von 1971 bis 1995 vervierfachte sich die Anzahl der Studierenden an Universitäten und Kunsthochschulen“ (SCHILLING). Geschätzte 50 % brechen das Studium ab oder wechseln die Studienrichtung. 1.2 Studienwahlmotivation In der Öffentlichkeit wird häufig beklagt, daß MaturantInnen keine klare Entscheidung treffen wollen und einfach nur „darauf los studieren“, um irgendetwas zu tun. „Halbwegs intelligente SchülerInnen am Ende ihrer Schullaufbahn müßten doch – nach einer weitverbreiteten Meinung – bei gutem Willen ... das richtige Studium und damit den idealen Beruf gefunden haben. Und viele Betroffene denken selbst so.“ (SCHILLING / TURRINI) Unserer Erfahrung nach ist die oft zitierte Orientierungslosigkeit der MaturantInnen (und späteren StudienabbrecherInnen) vor allem vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktsituation zu sehen. Die SchulabsolventInnen werden von allen Seiten vor Ausbildungsrichtungen gewarnt. Nicht zuletzt deshalb fragen MaturantInnen oder StudienabbrecherInnen oft als erstes nach Prognosen und wollen Angaben über „zukunftsträchtige“ Berufe. Besonders die schlechter gewordenen Berufsaussichten für Akademiker haben eine stark demotivierende Wirkung. „Der Spannungszustand zwischen befürchteter Arbeitslosigkeit und der Hoffnung auf einen befriedigenden Arbeitsplatz ist unter StudentInnen und MaturantInnen ein großes und virulentes Thema geworden, das über eine Reihe von Strategien zwar oft latent gehalten wird, aber doch stark belastet und beschäftigt.“ (SCHILLING) Matura- oder Studienabschluß sind kein Garant mehr für einen sicheren Arbeitsplatz. „Diplomierte Betriebswirte ... verdrängen HandelsakademikerInnen, diese wiederum AbsolventInnen der Handelsschulen, und diese wiederum Menschen, die nur auf einen Pflichtschulabschluß verweisen können – die aber werden immer mehr von struktureller Arbeitslosigkeit bedroht. Solange sich Bildung ‚bezahlt‘ macht – das wird sie ohne Zweifel auch in Zukunft tun – gibt es in einer liberalen Demokratie kein Mittel, diesen Verdrängungswettbewerb von oben nach unten zu stoppen.“ (PELINKA) Dazu kommt, daß die Bedeutung des formalen Abschlusses für die konkrete Berufsqualifikation abnimmt. „Für das 21. Jahrhundert wird prognostiziert, daß Arbeit immer weniger im Rahmen von festen Berufen ausgeführt wird.“ (SCHILLING / TURRINI) Immer häufiger geben Studierende als Ziel des Studiums das Erreichen eines Berufsstandes an, d. h. „soziales Ansehen, Prestige, Lohn usw. sind ihnen wichtig. Immer weniger Bedeutung erhält hingegen der Inhalt einer Studienrichtung“. (FRANK) Diese Zustandsschilderung der psychologischen Studentenberatung Innsbruck deckt sich auch mit unseren Erfahrungen. 1.3 Maturanten- und Studienberatung in der Steiermark „Eine ganze Reihe von Institutionen ist in Österreich damit beauftragt, bei der Studien- und Berufswahl Hilfestellung zu geben. Viele zum Teil ausgezeichnete Informationsbroschüren werden vom Wissenschafts-, Sozialoder Unterrichtsministerium und anderen Institutionen herausgegeben. Schüler- und Bildungsberater geben an der AHS oder BHS erste Informationen und Orientierungshilfen. Die Maturantenberatung des Arbeitsmarktservice hat im Zuge ihrer Umstrukturierungen ihren Tätigkeitsschwerpunkt auf die Akademikervermittlung verlagert. Zusätzlich wurden die Berufsinformationszentren (BIZ) als ‚Informations-Supermärkte‘ geschaffen bzw. ausgebaut. Die Österreichische Hochschülerschaft bezieht die Information und Beratung von MaturantInnen in Form von Schulbesuchen, Broschüren und Einzelberatungen in ihre Arbeit ein. Die Psychologische Studentenberatung des Wissenschaftsministeriums hat ihren Schwerpunkt in diesem Arbeitsbereich weniger in der Informationsvermittlung, sondern mehr in der Unterstützung der persönlichen Auseinandersetzung mit der Studien- und Berufswahl. Seit einigen Jahren werden Studien- und Berufsinformationsmessen organisiert, die großen Zulauf haben. Im Vergleich zum Bedarf und den notwendigen Aufgaben im Bereich der Studien- und Berufswahl können diese bestehenden Informations- und Beratungsangebote trotz aller Bemühungen und Verbesserungen nur als ‚Tropfen-auf-den-heißen-Stein‘Lösungen gesehen werden.“ (SCHILLING / TURRINI) In der Steiermark erlebt ein Maturant, der sich über seine Interessenslage im Unklaren ist und eine orientierende Hilfe braucht oder sich auch nur über Berufs- und Ausbildungswege informieren möchte, folgende Situation: Er geht z.B. zum Schülerberater seiner Schule. Ein Schülerberater ist für 450 Schüler zuständig. Selbst wenn er zwei Stunden pro Woche für eine individuelle Beratung zur Verfügung steht, kann er in einem Schuljahr bestenfalls 156 Schüler betreuen. Es ist auch nicht jedermanns Sache, mit persönlichen Problemen und Fragen - auch die Ausbildungswahl betreffend - zu einem Lehrer der eigenen Schule zu gehen. Also wendet sich der Maturant an das Arbeitsmarktservice. Dort erfährt er, daß nur der beraten wird, der arbeitslos und/oder auf Stellensuche ist. Das Arbeitsmarktservice verweist an das Berufsinformationszentrum. Hier kann der Maturant zwar im „Supermarkt der Informationen“ wühlen, er erhält aber keine Beratung. Als nächster Ansprechpartner wird die ÖH aufgesucht. Schließlich kann man ja auch „als Überbrückung“ studieren. Die Berater kennen häufig nur eine einzige Studienrichtung, und die aus der Perspektive des Studenten. Die Psychologische Studentenberatung versteht sich in erster Linie als Krisenintervention, und über die Beziehung zu seinen Eltern wollte der Maturant eigentlich nicht befragt werden. Das WIFI - bis vor kurzem ein heißer Tip für Maturanten - konzentriert sich mittlerweile auf andere Zielgruppen und verweist an die Maturantenberatung des Landesschulrates im Verein „Schul- und Ausbildungsberatung“. Dort kann zwar das stattfinden, was der Maturant tatsächlich gesucht hat - nämlich eine Orientierungshilfe zu Ausbildungswegen vor dem Hintergrund der persönlichen Interessenslage und der Arbeitsmarktsituation - allerdings sind die Ressourcen dieser Institution mehr als begrenzt. Bei einer derartigen Ignoranz gegenüber dem Informationsbedürfnis von MaturantInnen (und in zunehmendem Ausmaß StudienabbrecherInnen) wundert es nicht, daß Berufs- und Ausbildungsberatung in Österreich mit keinerlei Qualifikation verbunden ist, sieht man von diversen „Schnellsiederkursen“ ab. (Beispiel BRD oder Schweiz: Berufs- und Ausbildungsberatung darf nur von Personen mit mehrjähriger Ausbildung - meist Studium ausgeübt werden.) Die Maturantenberatung des Landesschulrates für Steiermark wurde im November 1996 als Initiative von Frau Landeshauptmann Waltraud Klasnic im Verein „Schul- und Ausbildungsberatung“ installiert. Mittlerweile ist diese Institution auch zur „Anlaufstelle“ für StudienabbrecherIinnen geworden, da hier die Information und Beratung immer den Gesamtkomplex aller Ausbildungswege – also nicht nur Studien sondern auch sämtliche Kurzausbildungen, wie Kollegs oder Akademien – umfaßt. Mit Hilfe des Vereins SALE und ab 1.9.1998 seitens der Steiermärkischen Landesregierung (Wirtschaftsressort) war es möglich, eine Mitarbeiterin anzustellen und so zumindest die personelle Situation zu verbessern. In diesem „Zwei-Frau-Betrieb (Teilzeit!)“ konnten vom 1.9.1997 bis 29.5.1998 insgesamt 633 MaturantInnen und StudienabbrecherInnen telefonisch oder persönlich beraten werden. Dazu kommen Informationsveranstaltungen mit Schüler/innen von Abschlußjahrgängen aus AHS und BHS (rund 200 Teilnehmer/innen) und Ratsuchende bei Informationsmessen wie der Studien- und Berufsinformationsmesse in Graz (ca. 1000 Personen). 2. Gründe für Studienabbruch 2.1 Fehlende Struktur Beispiel 1: „Ich wollte an eine Fachhochschule, bin aber nicht aufgenommen worden. Jetzt studiere ich an der TU, aber mir fehlen die festen Vorgaben. Eigentlich suche ich eine schulähnliche Ausbildung.“ Beispiel 2: „Ich möchte weiter etwas mit Technik und Naturwissenschaften machen, aber auf der UNI fühle ich mich nicht wohl. Im ständigen Kampf um einen Laborplatz verliert man Semester und wird immer älter.“ Beispiel 3: „Studieren wollte ich eigentlich, um nach dem Schulzwang frei zu sein, und die UNI kennenzulernen. Nach einem Jahr merke ich, daß das Studium sehr trocken ist. Außerdem brauche ich doch einen gewissen Druck, um etwas zu leisten.“ Grundsätzlich ist ein starkes Interesse für die gewählte Studienrichtung vorhanden, jedoch vermissen die Studierenden gewohnte schulische Strukturen und Rahmenbedingungen wie vorgegebene Stundentafeln, festgesetzte verpflichtende Prüfungstermine. Das Fehlen von festen Strukturen in Verbindung mit einem Mangel an persönlichen Schlüsselkompetenzen (Selbstorganisation, Eigenverantwortlichkeit, Zeitmanagement oder Selbstdisziplin) und fehlende oder schlechte Betreuung der Studienanfänger führen in manchen Fällen unweigerlich zum Studienabbruch. Manche Studierende erkennen relativ rasch, daß ein Studium mit freier Studiengestaltung und "fehlendem Druck von außen" der für sie nicht adäquate Ausbildungsweg ist, manche allerdings brechen ihr Studium erst nach mehreren Semestern und schlechtem Studienerfolg ab. Persönliche Entscheidungsschwierigkeiten insbesonders für einen Studienabbruch oder einen Studienwechsel können dabei mit eine Rolle spielen. Durch verstärkte Information zu Fragen wie: „Was bedeutet ´Studium´?“„Welche persönlichen Voraussetzungen muß ich für ein Studium mitbringen?“, „Mit welchen Anforderungen muß ich rechnen?“ „Wie studiere ich richtig?“ vor Beginn des Studiums und durch bessere Betreuung der Studierenden in den ersten Semestern könnten falsche Erwartungshaltungen korrigiert und Startschwierigkeiten vermindert werden. Aus unserer Erfahrung mit Studienabbrechern verändert ein Wechsel der Studienrichtung die grundsätzliche Problematik nicht. Nach den „verlorenen“ Semestern an Universität oder Hochschule suchen die Studierenden Halt im festen Rahmen einer schulisch strukturierten Ausbildungsform. 2.2 Studium entspricht nicht dem persönlichen Interesse Beispiel 4: „Ich habe mich immer schon für Zeichnen oder Werbung interessiert. Das Architekturstudium ist aber hauptsächlich auf Technik ausgerichtet und enthält wenig Kreatives.“ Beispiel 5: „Je länger ich studiere, desto mehr wird mir bewußt, daß meine Interessen ganz woanders liegen. Ich bin zwar schon im 2. Abschnitt Jus und habe eigentlich keine Probleme, aber Literatur und Publizistik würde mich mehr interessieren. Mein Traum wäre es, als Schriftsteller zu arbeiten.“ Beispiel 6: „ Psychologie habe ich begonnen, um einmal im sozialen Management tätig sein zu können. Für das Studium fehlt mir eigentlich das Interesse.“ Beispiel 7: „ Aus Angst, daß es für meine Interessen keine Ausbildung mit guten Berufsaussichten gibt, habe ich mit Maschinenbau begonnen. Eigentlich wollte ich aber immer schon etwas mit Geschichte und Kultur machen.“ Studierende, die vom Studium allgemein oder der gewählten Studienrichtung enttäuscht sind, weil die Interessen nicht befriedigt und die Erwartungen nicht erfüllt werden, hatten vor Studienbeginn meist keine Gelegenheit zu einer kompetenten Information oder/und Beratung über Studienrichtungen, Studieninhalte und alternative Ausbildungswege. In vielen Fällen sind sich die Studierenden vor ihrer Studienwahl über die persönlichen Interessen und Neigungen nicht ausreichend im Klaren, bzw. nicht in der Lage, sich allein Klarheit darüber zu verschaffen. Andere wiederum beginnen ihr Studium aufgrund eines ganz speziellen, sehr eingeschränkten persönlichen Interesses (z.B. Pharmazie aufgrund eines starken Interesses für Homöopathie), sind dann jedoch enttäuscht, wenn die gewählte Studienrichtung diesem Interesse nicht oder nur wenig gerecht wird, und ganz andere Inhalte vermittelt. Die Wahl der Studienrichtung erfolgt z.B. aufgrund von bestimmten oft klischeehaften Berufsvorstellungen oder Berufswünschen („Ich möchte Manager werden.“), aufgrund von Empfehlungen von Freunden oder Verwandten („Mit Jus bist du am schnellsten fertig.“), aufgrund bestimmter Berufsprognosen („Als Techniker hat man gute Job- und Verdienstaussichten.“), aus Prestigegründen („Ich möchte unbedingt eine akademischen Titel tragen.“ „Alle in unserer Familie haben studiert.“), als Notlösung zur Überbrückung von Wartezeiten auf andere Ausbildungsmöglichkeiten, oder um zumindest krankenversichert zu sein. Die Tatsache, daß fast alle Studienrichtungen im ersten Studienabschnitt inhaltlich "trocken", theoretisch und die persönlichen Interessen wenig befriedigend gestaltet sind, ist vielen Studierenden vor Studienbeginn oft ebenso wenig bewußt wie die Tatsache, daß grundsätzlich jedes Studium den Schwerpunkt auf Theorie und Wissenschaft legt und die praktische Umsetzung des theoretischen Wissens kein/ kaum integrativer Bestandteil der universitären Ausbildung ist. Nur durch persönliches Engagement und Eigeninitiative der Studierenden (z.B. Mitarbeit bei Studien und Forschungsprojekten, Auslandsaufenthalte, Praktika, etc.) kann dieses Defizit einigermaßen ausgeglichen und Praxiserfahrung gesammelt werden. Mangelnder Praxisbezug wird sehr häufig als Ursache für einen Studienabbruch angeführt. Der Abbruch des Studiums erfolgt in diesen Fällen meist nach dem ersten oder zweiten Semester, wobei diese Zeit für viele Studierende eine wichtige persönliche und berufliche Orientierungsphase sein kann. In manchen Fällen erkennen die Studierenden aber erst nach längerer Studiendauer und schlechtem Studienerfolg, daß die gewählte Studienrichtung oder das damit verbundene Berufsfeld nicht ihren Interessen entspricht. Nicht selten erleben wir eine grundlegende Interessensänderung aufgrund beruflicher Erfahrungen beispielsweise während des Zivildienstes. Die Chancen, ein Studium ohne wirkliches Interesse und persönliches Engagement „durchzustehen“ und erfolgreich abzuschließen, sind unseren Erfahrungen nach eher gering. In manchen Fällen, vor allem dann, wenn das Ende des Studiums bereits „in greifbarer Nähe“ ist, lassen sich Studierende auch bei veränderter Interessenslage durch die Perspektive, daß der formale Abschluß des Studiums als Basisqualifikation und Grundlage für weitere berufliche Ausbildungsmöglichkeiten durchaus sinnvoll ist, zum Durchhalten motivieren. 2.3 Studienwahl von Eltern oder anderen beeinflußt Beispiel 8: „Meine Mutter hat mich zum Psychologiestudium überredet. Ich möchte aber viel lieber etwas mit Marketing oder Werbung machen. Wirtschaftsfragen haben mich immer schon interessiert.“ Beispiel 9: „ Meine Eltern konnten sich für mich nie etwas anderes vorstellen, als daß ich Medizin studiere und einmal die Praxis meines Vaters übernehme. Für sie spielen Ausbildungszeit und Geld keine Rolle, ich aber möchte lieber eine Kurzausbildung machen und möglichst bald in einen Beruf einsteigen. Meine Eltern haben dafür kein Verständnis.“ Beispiel 10: „Mein Vater ist Techniker und in seinem Beruf sehr erfolgreich und glücklich. Er hat mich in eine technische Schule und in eine technische Studienrichtung gedrängt. Nur als Techniker hat man seiner Meinung nach noch gute Berufsaussichten. Ich studiere ohne Probleme technische Chemie , bin damit aber nicht glücklich. Ein technischer Beruf kommt für mich überhaupt nicht in Frage.“ Der Einfluß der Eltern auf die Studien-, Ausbildungs- und Berufswahl ihrer Kinder entspringt grundsätzlich der durchaus berechtigten Sorge um die Zukunft, die Existenzsicherung und das Wohl ihrer Kinder. Meist gehen Eltern dabei von ihren persönlichen Schul- und Berufserfahrungen aus, Erwartungshaltungen sowie eigene nicht erfüllte Bildungs- und Berufswünsche spielen dabei oft eine wichtige Rolle. Informationsdefizite seitens der Eltern über den aktuellen Stand der verschiedenen Ausbildungsmöglichkeiten, über neue Berufsfelder und veränderte berufliche Anforderungsprofile einerseits sowie über die tatsächlichen Interessens- und Begabungsschwerpunkte ihrer Kinder andererseits Berufsentscheidung unter Umständen auch behindern. können die Studien- und In manchen Fällen beeinflussen Freunde oder Verwandte aufgrund besonderer persönlicher Beziehungen (Vorbildfunktion, gemeinsamer Studienort, Familienbetrieb, etc.) die Studienwahl. 2.4 Studiendauer Beispiel 11: „ Ich studiere nun bereits 4 Jahre Medizin, bin noch immer im ersten Studienabschnitt, vor mir liegen noch mindestens 6 Studienjahre. Bis ich arbeiten kann, bin ich über 30. Irgendwann hätte ich auch gerne Kinder und eine Familie.“ Der Abschluß des gewählten Studiums erscheint manchen Studierenden als ein allzu weit entferntes, kaum oder nicht erreichbares Ziel. Dazu kommt die berechtigte Sorge, nach Beendigung des Studiums eine so stark veränderte Arbeitsmarktsituation vorzufinden, daß eine berufliche Integration im angestrebten Berufsfeld auch aufgrund des fortgeschrittenen Lebensalters schwer oder überhaupt nicht mehr möglich sein wird. Persönliche Lebensumstände oder Veränderungen im Privatbereich zwingen in manchen Fällen zum Studienabbruch. Erfahrungsgemäß sind weibliche Studierende von der Problematik einer zu erwartenden überdurchschnittlich langen Studiendauer ganz speziell betroffen. Zu lange Studiendauer oft in Kombination mit zu hohen Studienanforderungen als Motiv für einen Studienabburch betrifft nach unseren Erfahrungen in erster Linie die Studienrichtung Medizin/ Veterinärmedizin und einige technische Studienrichtungen. In manchen Fällen streben die Studierenden zumindest den Abschluß des ersten Studienabschnittes an , suchen dann aber eine Kurzausbildung in einem ähnlichen beruflichen Interessensbereich. Die Fortsetzung und der Abschluß des Studiums zu einem späteren Zeitpunkt wird manchmal durchaus in Erwägung gezogen. 2.5 Studienanforderungen Beispiel 12: „Ich studiere BWL und bin nach wie vor an wirtschaftlichen Themen interessiert. Dieses Studium ist viel zu praxisfremd und mit unbrauchbaren Inhalten überhäuft.“ Beispiel 13: „Mein Wunsch, Ärztin zu werden, ist nach wie vor vorhanden. Der Studienabschluß ist aber noch so unendlich weit weg, und ich komme mit den hohen Prüfungsanforderungen nicht zurecht.“ Beispiel 14: „ Ich war in der AHS immer gut in Mathematik, aber jetzt an der TU merke ich, daß ich mit einem HTL-Abschluß die besseren Voraussetzungen für ein technisches Studium hätte. Mir fehlen so viele Grundlagen und auf der TU knüpft man an das HTL-Niveau an.“ Die Studierenden beklagen einerseits den nicht zu bewältigenden Umfang von Prüfungsstoffen bzw. die fehlende Möglichkeit, große Prüfungen in Teilprüfungsschritten ablegen zu können, andererseits die allzu theoretische Wissensvermittlung und den mangelnden Praxisbezug während der Ausbildung. Falsche, d.h. nicht interessens- und begabungsgemäße Studienwahl, fehlende Information und Beratung sowie mangelnde persönliche Kompetenzen wie Selbstorganisation, Zeitplanung und Zeitmanagement oder die Beherrschung adäquater Lernmethoden und Lernstrategien spielen auch hier wiederum eine sehr entscheidende Rolle. Von Studienabbrechern technischer Studienrichtungen, die eine AHS besucht haben, wird teilweise beklagt, daß unverhältnismäßig hohe mathematische und technische Vorkenntnisse verlangt werden. 2.6 Persönliche Probleme Beispiel 15: „ Weil ich neben dem Studium arbeite, habe ich das Gefühl, immer mehr den Anschluß zu verlieren. Ich bin zwar schon im zweiten Studienabschnitt, überlege aber trotzdem einen Studienabbruch oder Studienwechsel. Es fehlt mir jegliche Motivation, das Studium abzuschließen.“ Beispiel 16: „Beim Studium ist man Teil einer anonymen Masse. Mir fehlen persönliche Beziehungen, ich fühle mich zunehmend einsam. Beim Lernen geht nichts weiter, vielleicht lerne ich auch falsch.“ Beispiel 17: „ Ich studiere Veterinärmedizin mit relativ gutem Studienerfolg, aber ich halte es in Wien nicht aus, ich werde hier noch krank.“ Beispiel 18: „ Ich bin im ersten Studienabschnitt Medizin und bekomme in ein Baby. Ich möchte möglichst bald Geld verdienen. Medizin dauert mir viel zu lange.“ In manchen Fällen liegen die Motive für einen Studienabbruch in persönlichen Gründen verschiedenster Art wie z.B. Krankheit, Prüfungsangst, persönliche Krisen, Existenzangst, Mobilitätsprobleme oder veränderte private Lebensumstände. Die Hilfestellung unseres Vereins beschränkt sich auf eine allgemeine Beratung und Information über Ausbildungsalternativen sowie über Einrichtungen, die darüberhinaus individuelle Hilfe und eventuell therapeutische Unterstützung anbieten. 2.7 Fehlendes grundsätzliches Interesse und/oder fehlende konkrete Berufsperspektive Beispiel 19 „Ich möchte einmal im Buchhandel oder in einem Verlag arbeiten. Derzeit studiere ich Geologie. Ich habe zwar den ersten Studienabschnitt bald abgeschlossen, aber eigentlich fehlt mir das wissenschaftliche Interesse. Außerdem weiß ich nicht, was ich mit diesem Studium später machen soll.“ Beispiel 20: „ Mit Menschen zu tun haben und ihnen helfen, hat mich immer schon interessiert. Jetzt studiere ich Medizin und merke, daß diese Ausbildung von meinen Vorstellungen weit entfernt ist. Nur Theorie und Leichen.“ Beispiel 21: „Ich wollte immer etwas mit Musik machen, aber meine Eltern rieten mir zu einer Ausbildung, mit der ich auch einen berufliche Zukunft habe. Deshalb bin ich bei Medizin gelandet, aber ich komme überhaupt nicht weiter und will auch gar nicht Arzt werden.“ Beispiel 22: „ Jus habe ich deshalb gewählt, weil ich mich für vieles interessiere. Ich war der Meinung, daß man für dieses Studium keine speziellen Begabungen oder Neigungen braucht. Eigentlich möchte ich etwas Konkretes tun, also praxisbezogen arbeiten und nicht nur Theorie lernen.“ Einigen eher praktisch orientierten Studienabbrechern fehlt das intellektuell - forschende Interesse und das Interesse am theoretisch - wissenschaftlichen Arbeiten als wichtige Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Studium. Der Mangel an Praxisbezug erschwert die Entwicklung oder Festigung konkreter Berufsperspektiven, somit drängt sich früher oder später die Frage auf : „Wozu tu ich mir das überhaupt an?“ 2.8 Grundsätzliches Entscheidungsproblem Beispiel 23: „Für Wirtschaft habe ich mich interessiert, ich wollte immer ins Management, deshalb die Entscheidung für BWL. Das ist aber nur Theorie. Jetzt überlege ich Geschichte und Geographie, aber unterrichten möchte ich eigentlich nicht.“ Beispiel 24: „Ich habe viele Interessen, z.B. Schauspiel, Modedesign, Animateur, Erzieher; weil ich gerne reise und im Ausland bin, habe ich mit dem Sprachstudium begonnen. Im Prinzip suche ich eine Ausbildung, mit der ich einmal einen interessanten, gutbezahlten Job mit viel Freizeit habe. Wofür soll ich mich entscheiden?“ Es gibt Fälle von Studienabbrechern, bei denen die Ursache für Krisen während des Studiums in einer grundsätzlichen persönlichen Entscheidungsschwäche liegt. Ein wenig differenziertes Interessensprofil, d.h. Unklarheit über Interessensschwerpunkte oder Verwirrung durch mehrere stark konkurrierende Interessensbereiche erschwert manchen MaturantInnen die Entscheidung für eine bestimmte Studienrichtung. Das Maturazeugnis mit oft durchwegs guten Noten gibt nicht wirklich Auskunft über Begabungs- und Interessensschwerpunkte, Zukunftsängste verstärken zusätzlich die Sorge, möglicherweise die falsche Studienrichtung gewählt zu haben. Da die Entscheidung für eine Studienrichtung zwangsläufig zum Ausschluß anderer Wahlmöglichkeiten führt, taucht bei Schwierigkeiten oder Mißerfolgen in solchen Fällen sofort die Frage auf : „Hätte ich nicht doch lieber etwas anderes studieren sollen?“ Durch Information, Beratung oder auch durch einen Eignungstest können Unsicherheiten und Entscheidungsschwächen zumindest teilweise gemildert werden. In manchen Fällen aber ist das Problem tief in der Persönlichkeitsstruktur des/der Betroffenen verwurzelt und Hilfe nur durch theapeutische Maßnahmen möglich. 2.9 Studium als Ausweg Beispiel 25: „Ich habe mich bei der Fachhochschule für Fahrzeugtechnik beworben und bin abgewiesen worden. Als Ausweg habe ich an der TU inskribiert, doch dort fühle ich mich überhaupt nicht wohl.“ Beispiel 26: „Ich habe die Aufnahmsprüfung an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst nicht geschafft. Mein Interesse liegt bei Film, Fernsehen und Regie. Derzeit studiere ich Psychologie und bin total verzweifelt.“ In Fällen, bei denen geplante Ausbildungsschritte aufgrund beschränkter Studienplätze, nicht bestandener Aufnahmsprüfung oder verabsäumter termingerechter Anmeldung versperrt sind, bleibt das Inskribieren an der Universität meist als Notlösung übrig, um zumindest nicht aus dem sozialen Netz zu fallen, d.h. den Anspruch auf Familienbeihilfe zu verlieren. Burschen steht als Überbrückungsmöglichkeit eventuell die Ablegung des Präsenzdienstes offen, für Mädchen bietet sich in manchen Fällen ein Au Pair–Aufenthalt oder ähnliches als sinnvolle Lösung an. Der Wunsch, vorübergehend einmal zu „jobben“, ist erfahrungsgemäß für AHSMaturanten ohne EDV- und kaufmännische Kenntnisse praktisch nicht realisierbar. Da ein Studium bzw. eine bestimmte Studienrichtung als Ausbildungsalternative von vornherein ausgeschlossen und daher auch nie ernsthaft mitüberlegt wurde, ist ein Studienabbruch so gut wie vorprogrammiert. Durch rechtzeitige Orientierung, Information und Beratung hätte in vielen Fällen der Verlust eines wichtigen und teuren Ausbildungsjahrs verhindert werden können. Zusätzlich muß verstärkt die Möglichkeit geschaffen werden, Kurzausbildungen (Kollegs) auch im Sommersemester beginnen zu können. 3. Schlußfolgerungen Auf die Frage „Welcher Beruf hat heute noch eine sichere Zukunft?“ lautet die Antwort eigentlich: „Keiner“. Denn Prognosen sind immer problematisch, weil bei den raschen Veränderungen der Gegenwart die Zukunft nicht vorausgesagt werden kann. Eine Studienwahl oder ein Studienwechsel vor dem Hintergrund solcher „Voraussagen“ treffen zu wollen, ist der falsche Weg. „Wer vor der Wahl steht, langfristige Berufsentscheidungen zu treffen, sollte sich weder von der aktuellen Arbeitsmarktsituation noch von speziellen Berufsprognosen leiten lassen. Berufsprognosen gelten nie für einen Einzelnen, sondern immer nur für einen Durchschnitt. Je mehr Leute sich danach richten, umso eher werden regelrechte Zyklen produziert, bei denen sich extreme Mangel- und Überschußsituationen ablösen.“ (KLAUDER) Dazu ein Beispiel: Vor ca. 15 Jahren bekamen Lehramts-StudentInnen auf die Frage, mit welchem Fach noch eine Aussicht auf Anstellung bestünde, zur Antwort, daß es nach wie vor zu wenig Lateinlehrer gäbe. Als Konsequenz begann plötzlich eine relativ große Zahl an MaturantInnen mit dem Lernstudium „Latein“. Als Folge davon – und im Zusammenhang mit einer Stundenkürzung in diesem Fach – fanden sie sich nach Abschluß des Studiums auf Wartelisten wieder. Ausschlaggebend für eine Studienwahl sollten Neigung und Interesse sein. Wer auf diese Art seine Ausbildung wählt, der ist auch bereit, sich zu spezialisieren, bei Forschungsprojekten, Firmen, Lerninstituten oder im Ausland zu arbeiten und so rechtzeitig „den Fuß in die Tür zu setzen“. Generell gilt, daß formale Kriterien an Bedeutung verlieren und Qualifikationen wie gewisse Persönlichkeitsmerkmale und zusätzliche Ausbildungen bestimmen, wer welchen Job bekommt. „Besonders gute Chancen werden daher in Zukunft auf allen Ausbildungsebenen die Erwerbspersonen haben, die sich in der Erstausbildung sowohl ein solides Grundlagenund Methodenwissen in ihrem Fach als auch in hohem Maße fachübergreifende ‚Schlüsselqualifikationen‘ verschafft haben und die sich auf dieser Basis ein Leben lang gezielt und schnell die erforderlichen Spezialkenntnisse und den allgemeinen Wissensfortschritt über Weiterbildung aneignen können, mit anderen Worten etwas überspitzt also der Generalist, der jederzeit wieder zum Spezialisten werden kann.“ (KLAUDER) Wie bereits erwähnt, können die derzeitigen Informations- und Beratungsangebote nur als „Tropfen-auf-den-heißen-Stein“-Lösungen gesehen werden. Unabhängig davon leisten Institutionen, die sich mit Berufs-, Maturanten- und Studienberatung beschäftigen, wichtige Arbeit, „wenn sie beim Erkennen von Begabung, Fähigkeit und Interesse non-direktiv mithelfen, denn die Studienwahl sollte eigenständig und unbeeinflußt erfolgen.“ (PICHLER) Viele Ratsuchende haben oft genug erlebt, daß sie in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Daraus resultiert die Angst, festgelegt zu werden auf einen Beruf, eine Identität, eine Zukunft, die eigentlich gar nicht gewollt wird. „Denn mit jeder Ausbildungs- und Berufsentscheidung sind bewußte und unbewußte Bedrohungen verbunden, die ertragen und bewältigt werden müssen.“ (SCHILLING / TURRINI) In diesem Zusammenhang deckt sich die Aussage, daß speziell bei potentiellen Studienwechslern „häufig ein Konflikt zwischen dem Impuls, das zuerst gewählte Studium abzubrechen und dem Wunsch, an etwas Bekanntem festhalten zu können“, beobachtbar ist (GROSSBOINTNER), mit unseren Erfahrungen. Die Maturantenberatung im Verein Schul- und Ausbildungsberatung – SAb versteht sich als Institution, die detaillierte Sachkenntnis im Bereich aller Ausbildungsrichtungen (Studium/Kurzausbildung/Beruf) mit Beratungskompetenz verbindet. Wir bieten keine therapeutische Begleitung an. Wenn sich zB. bei MaturantInnen oder StudentInnen auch nach ausführlicher Beratung gravierende Entscheidungsschwierigkeiten zeigen, dann konfrontieren wir sie mit folgender „Beschreibung“ ihrer Persönlichkeit: „Sie haben Angst, dass Sie, wenn Sie ‚A‘ sagen, nie wissen wie ‚B‘ gewesen wäre. Das ist aber das grundsätzliche Problem jeder Entscheidung im Leben. Sie hätten auch gerne, daß wir sagen, Sie sollen ‚A‘ wählen, dann wären nämlich bei einem Mißerfolg wir schuld und nicht Sie.“ Meist sind die Ratsuchenden nach so einer Aussage erleichtert, daß endlich jemand den tatsächlichen Hintergrund ihres Zögerns erkennt und bereit, sich an andere Einrichtungen – wie z. B. die psychologische Studentenberatung – zu wenden. Ein wesentliches Kriterium für alle Beratungsinstitutionen ist daher das Wissen um die persönliche Kompetenz und die „Vernetzung“ mit anderen Institutionen. Dafür müssen allerdings alle Beratungseinrichtungen mit den notwendigsten Ressourcen ausgestattet sein, sonst wird jedes „Weiterverweisen“ zum „Bumerang“ für den Klienten. Zitate aus: Wi(e)der die studentischen Probleme – Herausgeber H. Turrini / M. Schilling. Schriftenreihe der psychologischen Studentenberatung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr. Graz, Juli 1998 Dr. Heidi Hudabiunigg Mag. Monika Neuhauser