Lenz/Borchardt 2008 Einführung Die Entstehung des Vertrags von Lissabon 1. Am 13. Dezember 2007 haben die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten der EU in Lissabon einen „Reformvertrag“ der EU unterzeichnet, der die durch das Scheitern des Vertrags über eine Verfassung der EU ausgelöste institutionelle Krise der EU beenden könnte. Dieses Scheitern beruhte auf dem negativen Ausgang der Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahre 2005, in denen sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen einen Verfassungsvertrag ausgesprochen hatte. Nach Verstreichen einer Reflexionsphase von beinahe zwei Jahren, gelang es erst unter der deutschen Rats-Präsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 ein neues Reformpaket auf den Weg zu bringen. Dieses Reformpaket nimmt ganz formell Abschied vom europäischen Verfassungskonzept, wonach alle bestehenden Verträge aufgehoben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung „Vertrag über eine Verfassung der EU“ ersetzt werden sollten. Stattdessen wurde ein Reformvertrag entworfen, der ganz in der Tradition der Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza grundlegende Änderungen an den bestehenden EU-Verträgen vornimmt, um die Handlungsfähigkeit EU nach Innen und Außen zu erhöhen, die demokratische Legitimation zu stärken und ganz allgemein die Effizienz des Handelns der EU zu verbessern. Ebenfalls nach guter Tradition wurde dieser Reformvertrag „Vertrag von Lissabon“ getauft. Die Ausarbeitung des Vertrags von Lissabon ging außerordentlich zügig voran. Das lag insbesondere daran, dass als Grundlage der geplanten Änderungen an den bestehenden EUVerträgen die Ergebnisse der Regierungskonferenz aus dem Jahre 2004, die den Entwurf des Verfassungsvertrages erarbeitet hatte, dienten. Es waren die Staats- und Regierungschefs selbst, die auf der Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel am 21. und 22. Juni 2007 in den Schlussfolgerungen im Detail festgelegt haben, in welcher Weise und in welchem Umfang die in der Regierungskonferenz von 2004 ausgehandelten Neuerungen im Einzelnen in die bestehenden Verträge eingearbeitet werden sollten. Dabei gingen sie ganz untypisch vor und beschränkten sich nicht, wie sonst üblich, auf allgemeine Vorgaben, die dann von einer Regierungskonferenz umgesetzt werden, sondern entwarfen selbst die Struktur und den Inhalt der vorzunehmenden Änderungen, wobei häufig sogar der genaue Text einer Vorschrift vorgegeben wurde. Besonders strittig dabei waren vor allem die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, die Fortentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die neue Rolle der nationalen Parlamente im Integrationsprozess, die Einbindung der Charta der Grundrechte in das Unionsrecht sowie mögliche Fortschritte im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Die 2007 einberufene Regierungskonferenz hatte somit nur wenig eigenen Handlungsspielraum, sondern war lediglich ermächtigt, die gewünschten Änderungen technisch umzusetzen. Die Arbeiten der Regierungskonferenz konnten so bereits am 18./19. Oktober 2007 beendet werden; sie wurden auf dem zu gleicher Zeit in Lissabon stattfindenden informellen Treffen des Europäischen Rates politisch abgesegnet. Nach Fertigstellung der verschiedenen Sprachfassungen kam es schließlich zur Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon am 13. Dezember 2007 in Lissabon. 2. Bereits einen Tag zuvor, dem 12. Dezember 2007, wurde in Straßburg die Grundrechtscharta der EU durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission feierlich proklamiert. Es handelt sich dabei um die Fassung der Grundrechtscharta, die Bestandteil des Verfassungsvertrags vom 29. Oktober 2004 war, im neuen Reformprojekt aber weiterhin außerhalb der bestehenden EU-Verträge angesiedelt ist und nur durch eine Verweisung (Artikel 6 Absatz 2 EUV) in das Unionsrecht, nunmehr allerdings in verbindlicher Form, eingebunden wird. Die „neue“ Struktur des EU-Vertragsrechts 3. Das Ziel der Beschlüsse des Europäischen Rats von Laeken im Dezember 2005 zur Vereinfachung und Neuordnung der Verträge, das im Verfassungsvertrag erreicht worden war, ist im Vertrag von Lissabon nicht nachvollzogen worden. Es wird somit Sache der Wissenschaft sein, dies nachzuholen. Dabei kann sie sich auf die Ergebnisse des Verfassungskonvents stützen. Auch nach dem Vertrag von Lissabon wird das EU-Vertragsrecht weiterhin durch folgende drei Verträge geprägt: Vertrag über die Europäische Union (EUV) Der EUV wird komplett neu gestaltet. Er ist in folgende sechs Titel untergliedert: Gemeinsame Bestimmungen (I), Bestimmungen über demokratische Grundsätze (II), Bestimmungen über die Organe (III), Bestimmungen über eine verstärkte Zusammenarbeit (IV), Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (V) und Schlussbestimmungen (VI). Vertrag über die Errichtung der Europäischen Gemeinschaft, der umbenannt wird in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)“ Der AEUV folgt im Wesentlichen dem Aufbau des bisherigen EG-Vertrags. Die wesentlichen Umstellungen betreffen das auswärtige Handeln der EU und die Einführung neuer Kapitel, insbesondere betreffend die Energiepolitik, die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, die Raumfahrt oder den Sport und Tourismus. Vertrag über die Errichtung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) Der EAGV ist nur punktuell geändert worden. Die jeweiligen spezifischen Änderungen sind in Protokollen vorgenommen worden, die dem Vertrag von Lissabon beigefügt wurden. 4. Der EUV und der AEUV haben den gleichen rechtlichen Stellenwert. Diese ausdrückliche rechtliche Klarstellung ist nötig, da der neue Titel des alten EG-Vertrags und die Art der Regelungsdichte in beiden Verträgen den Eindruck erwecken, dass es sich beim EUV um eine Art Grundgesetz oder Grundlagenvertrag handelt, während der AEUV eher als Durchführungsvertrag konzipiert erscheint. EUV und AEUV haben dabei aber keinen Verfassungscharakter. Die in den Verträgen insgesamt verwendete Begrifflichkeit spiegelt diese Änderung gegenüber dem früheren Verfassungsprojekt wider: der Ausdruck "Verfassung" wird nicht verwendet, der "Außenminister der Union" wird "Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" genannt und die Bezeichnungen "Gesetz" und "Rahmengesetz" werden aufgegeben. Ebenso enthalten die geänderten Verträge keinen Artikel, in dem die Symbole der EU wie Flagge, Hymne und Leitspruch erwähnt werden. Der Vorrang des EU-Rechts wird nicht in einer ausdrücklichen Vertragsvorschrift niedergelegt, sondern ergibt sich, wie bisher, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU, auf die zu dieser Frage in einer Erklärung verwiesen wird. Die angestrebte Erhöhung der Handlungsfähigkeit konnte nur um den Preis erweiterter Blockademöglichkeiten erreicht werden. Sowohl Motor als auch Bremsen wurden verstärkt. Herausgekommen ist ein klassischer, umfangreicher und ziemlich undurchsichtiger völkerrechtlicher Vertrag, der wohl das zur Zeit Mögliche festhält. Eine Verfassung ist das nicht. 5. Mit dem Vertrag von Lissabon wird außerdem das „Drei-Säulen-Modell“ der EU aufgegeben. Die erste Säule, bestehend im Wesentlichen aus dem Binnenmarkt und den EGPolitiken, wird verschmolzen mit der zweiten Säule, bestehend aus der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik, und der dritten Säule, bestehend aus der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Allerdings bleiben die besonderen Verfahren im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Europäischen Verteidigung, in Kraft; dem Vertrag beigefügte Erklärungen der Regierungskonferenz unterstreichen den spezifischen Charakter und die besondere Verantwortung der Mitgliedstaaten für diesen Politikbereich. 6. Die Europäische Union und die Europäische Gemeinschaft werden zur einzigen „Europäischen Union“, die mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet wird. Der Ausdruck "Gemeinschaft" wird durchgängig durch den Ausdruck "Union" ersetzt; es wird festgehalten, dass EUV und AEUV die Verträge bilden, auf denen die Union beruht, und dass die Union an die Stelle der Gemeinschaft tritt, deren Nachfolgerin sie ist. Die Werteordnung und Ziele der EU 7. Die Werte und Ziele der EU werden in den ersten beiden Artikeln des EUV nieder gelegt. Als Werte der EU gelten: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Beachtung der Menschenrechte, einschließlich des Schutzes von Minderheiten, Pluralität, Nicht-Diskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Geschlechtergleichbehandlung. Diese Werte bilden auch die Richtschnur für Länder, die der EU zukünftig beitreten wollen, sowie für etwaige Sanktionen gegenüber Mitgliedstaaten, die diese Werte in schwerwiegender und dauerhafter Weise verletzen. Die bisherigen Ziele der EU werden ergänzt um: Frieden, Vollbeschäftigung, nachhaltige Entwicklung, kulturelle Vielfalt, Solidarität, insbesondere zwischen den Generationen, Kohäsion, Schutz der Bürger. Ein freier und unverfälschter Wettbewerb wird (auf französischen Druck) nicht mehr als Ziel der EU geführt, da der Wettbewerb kein Ziel um seiner selbst willen ist, sondern ein wesentliches Instrument eines funktionierenden Binnenmarktes. Dementsprechend ist die Verpflichtung der EU, den Wettbewerb vor Verfälschungen zu schützen, in einem Protokoll zum Binnenmarkt und zum Wettbewerb niedergelegt, das jedoch den gleichen Rechtsrang wie der Vertrag selbst hat. Eine rechtliche Änderung der Stellung des Wettbewerbs in dem System des Vertrages ist folglich damit nicht verbunden, sondern entspricht der Rechtslage nach dem Vertrag von Nizza. Die Streichung des freien und unverfälschten Wettbewerbs aus den Zielbestimmungen der EU stellt aber eine Veränderung gegenüber dem Verfassungsvertrag dar. Dass diese Änderung möglich war, zeigt, dass die Anhänger des Wettbewerbsprinzips darauf achten müssen, dass es in der Praxis auch tatsächlich durchgeführt wird. Dies wird umso erfolgreicher sein, je mehr die Mitgliedstaaten in ihrem Bereich dieses Prinzip durchführen, auf seine Befolgung in der Union achten und von den Ausnahmebestimmungen so wenig wie möglich Gebrauch machen. 8. Der Grundrechtsschutz in der EU wird durch den Vertrag von Lissabon auf eine neue Grundlage gestellt. Während Inhalt und Umfang der von der EU zu beachtenden Grundrechte sich bisher im Wesentlichen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU ergaben, enthält der Artikel über die Grundrechte im EUV nunmehr einen Querverweis auf die im Rahmen der Regierungskonferenz von 2004 vereinbarte Fassung der Charta der Grundrechte. Damit erhält diese Grundrechtscharta Rechtsverbindlichkeit und legt zugleich den Geltungsbereich der Grundrechte im Unionsrecht fest. Dies gilt grundsätzlich nicht für das Vereinigte Königreich und Polen, die sich dieser Grundrechtsordnung nicht unterwerfen wollen; für diese Länder gilt auch weiterhin die Rechtsprechung des Gerichtshofs der EU zu den Grundrechten. Darüber hinaus wird der Weg für einen Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) frei gemacht; der Rat kann einstimmig einen solchen Beitritt beschließen, wobei dieser Beschluss danach der Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten bedarf. Die Aufgabenverteilung 9. Als Grundsatz bleibt zunächst bestehen, dass die EU und ihre Institutionen nicht selbst über ihre rechtlichen Grundlagen und Zuständigkeiten entscheiden dürfen: es gilt auch weiterhin das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Daraus folgt für die Mitgliedstaaten, dass alle Zuständigkeiten, die der EU nicht übertragen worden sind, ausschließlich in nationaler Zuständigkeit verbleiben. Erhalten geblieben ist jedoch die sog. Flexibilitätsklausel, wonach die EU auch dann tätig werden kann, wenn keine ausdrückliche Zuständigkeitszuweisung erfolgt ist, ein Handeln der EU jedoch zur Verwirklichung und für das Funktionieren des Binnenmarktes sowie zur Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs unerlässlich ist. Die Wahrnehmung dieser Klausel bedarf nunmehr allerdings der Genehmigung durch das EP. 10. Ähnlich wie im deutschen Grundgesetz werden daneben die Zuständigkeiten der EU von denen der Mitgliedstaaten anhand von drei Zuständigkeitskategorien abgegrenzt: Ausschließliche Zuständigkeit der EU, insbesondere in den Bereichen Zollunion, Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarkts notwendigen Wettbewerbsregeln, Währungspolitik der Euro-Staaten, gemeinsame Handelspolitik und Teile der gemeinsamen Fischereipolitik. Geteilte Zuständigkeit : Die EU hat hier den ersten Zugriff, allerdings erstreckt sich die Ausübung ihrer Zuständigkeit nur auf die durch den betreffenden Rechtsakt der Union geregelten Elemente und nicht auf den gesamten Bereich. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die EU ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben. Der letztgenannte Fall ist gegeben, wenn die betreffenden Organe der EU beschließen, einen Gesetzgebungsakt aufzuheben, insbesondere um den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Der Rat kann die Kommission auf Initiative eines oder mehrerer seiner Mitglieder auffordern, Vorschläge für die Aufhebung eines Rechtsakts zu unterbreiten. Unterstützende Zuständigkeit: Der erste Zugriff auf die Regelung liegt hier bei den Mitgliedstaaten. Die EU kann in diesen Bereichen nur unterstützend, nicht aber selbst regulierend eingreifen. Es ist bemerkenswert, dass sich die Zuständigkeiten der EU im Bereich der Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik keiner dieser drei Kategorien zuordnen lässt. Sie stehen somit außerhalb dieses Zuständigkeitskatalogs. 11. In einer Rehe von Artikeln, Protokollen und Erklärungen sind schließlich weitere Klarstellungen zur Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vorgenommen worden. Als die Wichtigsten sind hier zu nennen: Im EUV wird ausdrücklich klargestellt, dass die Fragen der „nationalen Sicherheit“ in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben. Eine Erklärung präzisiert, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für ihre eigene Außenpolitik und nationale Darstellung in der Welt unberührt lässt. Ebenfalls in einer Erklärung wird deutlich gemacht, dass die eigene Rechtspersönlichkeit der EU dieser nicht gestattet, außerhalb der ihr ausdrücklich zugewiesenen Kompetenzen zu handeln. Das Protokoll über die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse stellt klar, dass davon die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für Dienstleistungen nicht wirtschaftlicher Art, die im allgemeinen Interesse liegen, unberührt geblieben ist. Neue Kompetenzen 13. Der Vertrag lässt an vielen Stellen den Wunsch der Mitgliedstaaten erkennen, der EU keine neuen Kompetenzen zu übertragen. Dennoch enthält der Vertrag neue Kompetenzzuweisungen. Sie betreffen vor allem die Energieversorgung, die Raumfahrt, den Tourismus, den Sport und den Katastrophenschutz. Zur Verwirklichung einer „Europäischen Energiepolitik“ ist sogar ein eigenständiges Kapitel im AEUV geschaffen worden, in dem Regelungen getroffen worden sind betreffend das Funktionieren des Energiemarktes, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die Förderung der Energieeffizienz sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen. Institutioneller Aufbau Die grundlegendsten Änderungen durch den Vertrag von Lissabon gibt es im institutionellen Aufbau der EU. 14. Der Europäische Rat wird zu einem selbständigen Organ der EU. Er wird geführt von einem Präsidenten, zu dem eine herausragende Persönlichkeit auf zweieinhalb Jahre mit qualifizierter Mehrheit vom Europäischen Rat gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Der Präsident des Europäischen Rates hat, anders als heute, kein nationales, sondern ein europäisches Mandat, das in Vollzeit ausgeübt wird. Seine Aufgabe besteht in der Vorund Nachbereitung der Sitzungen des Europäischen Rates; außerdem repräsentiert er die EU auf den internationalen Gipfeltreffen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. 15. Der Rat der EU bleibt im Wesentlichen unverändert. Auch die alle sechs Monate wechselnde Präsidentschaft bleibt erhalten. Diese wechselt nach einem System der Rotation zwischen den Mitgliedstaaten. Mit Ausnahme des Rates für auswärtige Angelegenheiten, dem der Hohe Vertreter der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik vorsitzt, leitet die Präsidentschaft die anderen Fachräte auf der Grundlage eines Arbeitsprogramms, das mit den folgenden zwei Präsidentschaften abgestimmt wird und somit über einen Zeitraum von 18 Monaten gültig ist (sog. Team-Präsidentschaft). 16. Das Europäische Parlament verfügt mit Beginn der Legislaturperiode 2009-2014 über 751 Sitze (750 plus Präsident). Sie werden künftig degressiv-proportional vergeben, so dass jeder Abgeordnete eines bevölkerungsreichen Mitgliedstaats mehr Bürger vertritt als jeder Abgeordnete eines bevölkerungsärmeren Staats, zugleich aber kein bevölkerungsärmerer Staat über mehr Sitze verfügt als ein bevölkerungsreicherer Staat. Als Untergrenze werden 6 Sitze und als Obergrenze 96 Sitze pro Mitgliedstaat festgelegt. Deutschland erhält mit 96 Sitzen die meisten Sitze, gefolgt von Frankreich und Italien (je 74) und dem Vereinigten Königreich (73). Die Befugnisse des EP wurden weiter gestärkt: Das Mitentscheidungsverfahren wird zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, die Budgetbefugnisse dadurch erweitert, dass das EP den mehrjährigen Finanzplan genehmigen muss und über sämtliche Ausgaben (die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nicht obligatorischen Ausgaben entfällt) mit entscheidet, internationale Übereinkommen der EU, die einen Bereich betreffen, welcher der Mitentscheidung unterliegt, bedürfen der Zustimmung durch das EP. Schließlich wird der Präsident der Kommission vom EP gewählt, und zwar auf Vorschlag des Europäischen Rates, der dabei dem Ausgang der Wahlen zum EP Rechnung trägt. 17. Die Europäische Kommission wird ab 2014 nicht mehr aus je einem Staatsangehörigen eines jeden Mitgliedstaats bestehen, sondern nur noch über eine Zahl von Mitgliedern verfügen, die zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten entspricht, also bei den gegenwärtig 27 Mitgliedstaaten würde sich die Zahl der Mitglieder der Kommission 2014 auf 18 reduzieren. Das bedeutet zugleich, dass zukünftig nicht jedes Mitgliedsland eine(n) Kommissar(in) stellt; vielmehr wird ein Rotationssystem eingeführt, das gewährleistet, dass jeder Mitgliedstaat einen seiner Staatsangehörigen in zwei von drei Kommissionen als Mitglied der Kommission sieht. Die Aufgaben der Kommission sind weitgehend unverändert geblieben bzw. konsolidiert worden. Der Präsident der Kommission erhält das Recht, ein Mitglied der Kommission zu entlassen. 18. Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht, wie im Verfassungsprojekt geplant, zum Außenminister der EU geworden; gleichwohl ist seine Stellung im Institutionengefüge erheblich gestärkt und erweitert worden. Das Amt des Hohen Vertreters wird zunächst zusammengeführt mit dem des Kommissars für auswärtige Angelegenheiten. Der Hohe Vertreter ist damit sowohl im Rat der EU, wo er den Vorsitz des Rats für auswärtige Angelegenheiten innehat, als auch in der Kommission, wo er als VizePräsident für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist, verwurzelt. Der Hohe Vertreter wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit und mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission ernannt. Er wird unterstützt von einem neu geschaffenen auswärtigen Dienst, der sich zusammensetzt aus Beamten der Kommission, Beamten des Generalsekretariats des Rats der EU sowie abgeordneten Vertretern der diplomatischen Dienste der Mitgliedstaaten. Der Vertrag beseitigt damit das Nebeneinander des Hohen Vertreters der Union für Außenund Sicherheitspolitik, des Vorsitzenden des Außenministerrates und des Kommissars für auswärtige Angelegenheiten. Neben diesem bleiben der Kommissionsvorsitzende und der neu geschaffene Vorsitzende des Europäischen Rates für gewisse Funktionen im Rahmen der auswärtigen Beziehungen zuständig, Aber diese Form des Nebeneinanders ist auch in den Mitgliedstaaten üblich, z.B. Bundespräsident, Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister. 19. Die Europäische Zentralbank ist nicht mehr von den anderen Organen der EU abgehoben, sondern bildet zusammen mit ihnen den institutionellen Rahmen der EU. Die EZB hatte sich lange gegen diese „Gleichstellung“ gewehrt, da die Befürchtung bestand, dass sich aus dem „Gleichklang“ mit den anderen EU-Organen eine quasi verfassungsrechtliche Pflicht zur Vorabkoordinierung der Geld- mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik ableiten ließe. Diese Befürchtung wurde jedoch durch ausdrückliche Regelungen zerstreut, die auch weiterhin die eigenständige Rechtspersönlichkeit der Bank und ihre Unabhängigkeit gegenüber den anderen EU-Organen und Institutionen der Mitgliedstaaten garantieren. 20. Bei allen weiteren Institutionen wurden nur sehr punktuelle oder gar keine Änderungen vorgenommen: Der Gerichtshof wird zum Gerichtshof der EU und erhält Rechtsprechungskompetenz auch im Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Auch das Sanktionsverfahren für nachhaltige Verletzungen des Unionsrecht wird verschärft. Der Ausschuss der Regionen erhält ein Klagerecht vor dem Gerichtshof für Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips in einem Bereich, in dem der Ausschuss gehört werden muss. Beteiligung der nationalen Parlamente Mechanismen der partizipativen Demokratie und Einführung neuer 21. Der Vertrag von Lissabon stärkt in ganz erheblichem Maße die Rolle der nationalen Parlamente im Integrationsprozess. In einem eigenständigen Artikel des EUV werden die Rechte und Pflichten der nationalen Parlamente im Rahmen der EU klar und eindeutig umrissen: es handelt sich dabei um das Recht auf umfassende und zeitnahe Information, Evaluierungskompetenzen im Rahmen des Raums der Freiheit, Sicherheit und des Rechts sowie der Mitwirkung bei der Revision der Verträge. Verstärkt wird aber insbesondere die Rolle der nationalen Parlamente bei der Kontrolle der Einhaltung der Subsidiarität. Sie ist im geänderten Protokoll über die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit neu gefasst und erheblich erweitert worden. Zunächst wird ein Frühwarnsystem eingeführt, nach dem die nationalen Parlamente innerhalb von 8 Wochen nach Übermittlung eines Gesetzgebungsvorschlags eine begründete Stellungnahme abgeben können, in der dargelegt wird, warum der fragliche Gesetzgebungsvorschlag nicht mit den Anforderungen der Subsidiarität im Einklang steht. Wird diese begründete Stellungnahme von mindestens einem Drittel der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen mitgetragen (wobei jedes nationale Parlament über 2 Stimmen verfügt, bei Kammersystemen je 1 Stimme pro Kammer), muss der Gesetzgebungsvorschlag von seinem Urheber (in der Regel die Kommission) erneut überprüft werden. Der Vorschlag kann auf der Grundlage dieser Überprüfung aufrecht erhalten, geändert oder zurückgezogen werden. Entscheidet sich die Kommission für die Beibehaltung des Entwurfs, so hat sie in einer begründeten Stellungnahme zu rechtfertigen, warum der Entwurf ihres Erachtens im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht. Diese begründete Stellungnahme wird zusammen mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem EU-Gesetzgeber zur Berücksichtigung im Gesetzgebungsverfahren übermittelt. Ist der Gesetzgeber mit einer Mehrheit von 55% der Mitglieder des Rates oder einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im EP der Ansicht, dass der Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Gesetzgebungsvorschlag nicht weitergeprüft. Die den nationalen Parlamenten eingeräumte Frist von acht Wochen zur Stellungnahme führt zu einer Verlängerung des Gesetzgebungsverfahrens und stellt eine weitere Blockademöglichkeit der Gesetzgebung dar. Man wird sehen, wie sich das auswirkt. Das gleiche gilt für das dem Rat der Regionen eingeräumte Klagerecht wegen angeblicher Verletzung des Subsidiaritätsprinzips.22. Erwähnenswert sind auch die neuen Mechanismen der partizipativen Demokratie. Dabei geht es nicht nur um mehr Bürgernähe, sondern um Transparenz und Teilhabe der Unionsbürger am politischen Entscheidungsprozess der EU. Zu diesem Zweck wird als allgemeines Prinzip die Konsultation interessierter Kreise und ein Dialog mit der Zivilgesellschaft und die sie vertretenden Organisationen eingeführt. Außerdem wird den Unionsbürgern legislatives Initiativrecht zugestanden. Eine Million Unionsbürger aus einer signifikanten Zahl von Mitgliedsländern kann die Kommission auffordern, ein Gesetzgebungsvorschlag in einer der Kompetenz der EU unterfallenden Frage vorzulegen. Gesetzgebungsverfahren 23. Das Mitentscheidungsverfahren zwischen EP und Rat wird zum „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ gemacht. Nur in wenigen, ausdrücklich geregelten Fällen kommt ein „besonderes Gesetzgebungsverfahren“ zur Anwendung, das ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Durchführungsregelungen auf der Ebene der EU werden auch weiterhin von der Kommission, in Ausnahmefällen auch vom Rat der EU, ohne Beteiligung des EP erlassen. 24. Die Beschlussfassung im Rat der EU ist dabei komplett neu geregelt worden: Zunächst wurden weitere 44 Entscheidungen der qualifizierten Mehrheit im Rat zugeführt, wobei 24 ehemals Einstimmigkeit vorsahen (z.B. Maßnahmen im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen oder der Komitologie) und 20 in neuen Rechtsgrundlagen enthalten sind (wie z.B. im Bereich Energie, Schutz des geistigen Eigentums, Raumfahrt, Humanitäre Hilfe). Bis zum 1. November 2014 gilt für das Erreichen der qualifizierten Mehrheit das durch den Vertrag von Nizza eingeführten System der Stimmengewichtung, d.h. die qualifizierte Mehrheit ist erreicht, wenn eine Mehrheit von Mitgliedstaaten mit mindestens 255 Stimmen von 345 vorliegt, wobei ein Mitgliedstaat zudem verlangen kann, dass diese Mitgliedstaaten mindestens 62% der Bevölkerung der EU repräsentieren. Mit dem 1. November 2014 tritt dann das neue System der doppelten Mehrheit in Kraft, wonach die qualifizierte Mehrheit erreicht ist, wenn mindestens 55% der Mitgliedstaaten, die mindestens 65% der Bevölkerung der EU repräsentieren, den Gesetzgebungsvorschlag unterstützen. Um zu verhindern, dass wenige bevölkerungsreiche Mitgliedstaaten die Annahme einer Entscheidung verhindern können, ist vorgesehen, dass eine Sperrminorität aus mindestens vier Mitgliedstaaten bestehen muss und dass, falls diese Zahl nicht erreicht wird, die qualifizierte Mehrheit als erreicht gilt, selbst wenn das Bevölkerungskriterium nicht erfüllt ist. Vervollständigt wird das System durch einen Mechanismus, der dem „Kompromiss von Ioannina“ sehr ähnlich ist: Für den Fall, dass eine Sperrminorität nicht zustande kommt, kann das Entscheidungsverfahren ausgesetzt werden. Der Rat der EU geht in diesem Fall nicht zur Abstimmung über, sondern setzt die Verhandlungen während eines „vernünftigen Zeitraums“ fort, falls Mitglieder des Rates, die mindestens 75 % der Bevölkerung oder mindestens 75 % der Anzahl der Mitgliedstaaten vertreten, die für die Bildung einer Sperrminorität erforderlich sind, dies verlangen. Ab 1. April 2017 wird der gleiche Mechanismus gelten, wobei die jeweiligen Prozentsätze mindestens 55 % der Bevölkerung oder mindestens 55 % der Anzahl der Mitgliedstaaten betragen, die für die Bildung einer Sperrminorität erforderlich sind. De jure kann der Rat der EU dieses System mit einfacher Mehrheit ändern; allerdings ist in einem Protokoll vorgesehen, dass zuvor Beratungen darüber im Europäischen Rat zu erfolgen haben, die nur mit Einstimmigkeit zum Beschluss führen. Für einen Übergangszeitraum bis zum 31. März 2017 ist es für jeden Mitgliedstaat möglich, die Anwendung des Systems der Stimmengewichtung nach dem Vertrag von Nizza zu verlangen, das bei weiteren Beitritten vor 2017 entsprechend angepasst werden muss. Damit bietet das Gesetzgebungsverfahren jedenfalls bis zum 1. April 2017 noch hinreichende Blockademöglichkeiten, um selbst dringliche Entscheidungen zu verzögern. 25. Die Typologie der Rechtsakte wird im Wesentlichen unverändert fortgeführt. Es wird lediglich eine klare Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten (Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse), die dem ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren unterliegen, einerseits und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter andererseits getroffen. Außerdem werden neue Regelungen betreffend delegierte Rechtsakte bzw. Durchführungsrechtsakte eingefügt. Auswärtiges Handeln der EU 26. Die Regelungen betreffend das auswärtige Handeln der EU sind nunmehr im EUV und AEUV so verteilt, dass der EUV die allgemeinen Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der EU postuliert und im übrigen die Regelungen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, einschließlich der Verteidigungspolitik enthält, währen der AEUV sich auf die sonstigen auswärtigen Beziehungen der EU, insbesondere der Handelspolitik, konzentriert. Im Einzelnen sind folgende Neuregelungen bedeutsam: Der EUV enthält ein neues Kapitel mit den Grundsätze und Zielen des auswärtigen Handelns der Union und der Rolle des Europäischen Rates bei der Bestimmung der strategischen Interessen und Ziele dieses Handelns. Dabei werden die früheren Vorschriften der GASP nicht komplett ersetzt, sondern es werden gezielte Änderungen und Anpassungen an den früheren Regelungen der Artikel 11 bis 28 EUV vorgenommen. Ganz allgemein kann man feststellen, dass das neue Kapitel eher eine Konsolidierung der früheren Regelungen darstellt, ohne die allgemeinen Prinzipien und den bisherigen Politikansatz der GASP in Frage zu stellen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass die neuen Initiativ- und Durchführungsrechte des Hohen Vertreters der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik der GASP eine neue Dynamik verleihen und die Kohärenz des auswärtigen Handelns der EU verbessern werden. Hierzu wird auch die vorgesehene Errichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes beitragen. Ein zweites Kapitel enthält die Regelungen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Die Perspektive einer Europäischen Verteidigungspolitik wird hier konkret skizziert: die gegenseitige Hilfs- und Beistandspflicht wird hier ebenso formalisiert, wie die Schaffung einer Agentur für Rüstungsfragen, Forschung und Truppenstärken. Vorangestellt wird diesem Kapitel allerdings ein Artikel, der klar und unmissverständlich festlegt, dass die GASP besonderen Regeln und Verfahren unterliegt, wobei das Handeln der EU auf internationaler Ebene sich an den Grundsätzen und Zielen orientieren muss, die generell für das auswärtige Handeln der EU festgelegt worden sind. Schließlich wird eine besondere Rechtsgrundlage für den Schutz personenbezogener Daten im GASP-Bereich vorgesehen. Dass alle Mitgliedstaaten im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet eines Mitgliedstaat diesem schulden, alle in ihrer Macht Stehende Hilfe und Unterstützung zuteil werden zu lassen, ist vielleicht eine der wichtigsten Neuerungen des Vertrages von Lissabon. Die NATO-Klausel ordnet diese Verpflichtung in die im Einklang mit den im Rahmen der Nordatlantikvertrags-Organisation eingegangenen Verpflichtungen ein. Damit und mit den weiteren Bestimmungen des Abschnitts 2 des EU-Vertrages über die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird die EU in gewisser Beziehung Nachfolger des Beistandspaktes der Westeuropäischen Union. Die Mitgliedstaaten werden auf diese Weise eine vertragliche Schicksalsgemeinschaft auch im militärischen Sinne. Inwieweit dies für die Staaten gilt, die Neutralitätsverpflichtungen übernommen haben, werden diese selber entscheiden müssen. Im AEUV wird der „aquis communautaire“, also der gemeinsame Besitzstand an Regelungen betreffend die auswärtigen Beziehungen der EU gewahrt und konsolidiert. Sämtliche Aspekte der auswärtigen Beziehungen werden unter ein Kapitel zusammengefasst. Dies schließt die Gemeinsamen Handelspolitik ebenso ein wie den Abschluss internationaler Abkommen, die Assoziierung dritter Staaten, die humanitäre Hilfe oder die Nachbarschaftspolitik, wobei für die beiden letzten Politikbereiche neue Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Ebenfalls neu eingeführt wird eine Solidaritätsklausel, die ein solidarisches Vorgehen der Mitgliedstaaten im Falle terroristischer Angriffe sowie natürlicher oder durch den Menschen verursachte Katastrophen verlangt. In verschiedenen Erklärungen hat die Regierungskonferenz die Besonderheiten der GASP sowie die Verantwortlichkeit und die Kompetenzen der Mitgliedstaaten für diesen Bereich hervorgehoben. Diese Erklärungen haben ohne Zweifel erhebliche politische Bedeutung; sie können aber unter keinen Umständen die Mitgliedstaaten von ihren gemeinsamen Verpflichtungen, wie sie im EUV nunmehr vorgesehen sind, entbinden. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 27. In der früheren dritten Säule der EU, dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wurden mit dem Vertrag von Lissabon die größten Fortschritte erzielt, und dies sowohl in institutioneller wie in substantieller Hinsicht. Die EU wird künftig eine gemeinsame Politik auf den Gebieten Asyl, Einwanderung und Kontrolle der Außengrenzen betreiben sowie die Justiz- und Polizeizusammenarbeit ausweiten. 28. Das Mitentscheidungsverfahren wie auch die Abstimmung im Rat mit qualifizierter Mehrheit wird generell eingeführt. Grundsätzlich unterliegen sämtliche Maßnahmen nunmehr der gerichtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof der EU (Ausnahmen weiterhin: die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen, nationale Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit). 29. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und die polizeiliche Zusammenarbeit wird entscheidend verstärkt durch die Festlegung von Mindestvorschriften oder durch Angleichung der nationalen Vorschriften im Bereich des Strafrechts. Eurojust und Europol werden besser ausgerüstet und es wird die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ins Auge gefasst, die für den Schutz der finanziellen Interessen der EU eintritt und den Kampf gegen Missbrauch aufnimmt. 30. Diese Fortschritte werden allerdings getrübt durch die Beibehaltung und sogar die partielle Ausweitung der Ausnahmen, die bereits durch die Verträge von Maastricht und Amsterdam für das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark vorgesehen worden sind (sog. opting-out Klauseln). Insbesondere wurden die für das Vereinigte Königreich und Irland vorgesehenen Ausnahmen um die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und die polizeiliche Zusammenarbeit erweitert. Auch die derzeit bereits mögliche punktuelle Teilnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands am Schengener Besitzstand wird im neuen Schengener Protokoll dahingehend weiter aufgeweicht, dass Weiterentwicklungen im auch vom Vereinigten Königreich und Irland übernommenen Besitzstand nicht mehr automatisch für diese Mitgliedsländer gelten, sondern nur noch, wenn sie dieser Weiterentwicklung nicht widersprechen. Dieses weitere Zugeständnis wird nur unzureichend dadurch ausgeglichen, dass der Rat im Falle des Widerspruchs das Vereinigte Königreich und/oder Irland ganz oder teilweise vom Schengener Besitzstand ausschließen können. Wirtschafts- und Währungspolitik 31. Die Regeln betreffend die Wirtschafts- und Währungsunion wurden vereinfacht. In der Wirtschaftspolitik ist die Koordinierungsrolle der Kommission mit der Möglichkeit, frühzeitige Verwarnungen auszusprechen, wenn ein Mitgliedstaat seinen langfristigen haushaltspolitischen Verpflichtungen nicht nachkommt, auch wenn die Maastrichter Defizitgrenze nicht überschritten wird, leicht gestärkt worden. Damit wird der mit der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2005 getroffene Beschluss umgesetzt, in konjunkturell guten Zeiten übermäßigen Defiziten vorzubeugen. Außerdem sieht der AEUV nunmehr für das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit vor, dass der Rat der EU einen Vorschlag der Kommission zur Feststellung eines übermäßigen Defizits nur einstimmig zurückweisen kann. Die Stärkung der Stellung der Kommission im Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ist zu begrüßen. So kann besser verhindert werden, dass große und kleine Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang eine unterschiedlich behandelt werden. 32. Neu ist auch eine Bestimmung, mit der die „Gewährleistung der Stellung des Euro im internationalen Währungssystem“ verbessert werden soll. Danach kann der Rat der EU nach Anhörung der EZB gemeinsame Standpunkte zu Fragen beschließen, die die Währungsunion betreffen und die dann auf Treffen der zuständigen internationalen Institutionen als EUStandpunkt vertreten werden sollen. Zudem kann der Rat der EU „geeignete Maßnahmen“ mit dem Ziel erlassen, eine „einheitliche Vertretung bei den internationalen Einrichtungen und Konferenzen im Finanzbereich sicherzustellen“. Damit wird eine bestehende Bestimmung erweitert, die bisher nur auf die Wechselkurspolitik beschränkt war. Sozialpolitik 33. Im Bereich der Sozialpolitik ist vor allem auf die neuen Querschnittsklauseln zu verweisen, die die EU-Organe verpflichten, bei allen Maßnahmen der EU die Beschäftigung, den sozialen Schutz und den Kampf gegen soziale Ausgrenzung (soziale Querschnittsklausel) sowie den Kampf gegen jedwede Diskriminierung (Diskriminierungsklausel) Rechnung zu tragen. 34. Darüber hinaus wurde der soziale Dialog noch stärker als bisher auf die besondere Rolle und Verantwortung der Sozialpartner zugeschnitten. 35. Schließlich wurde auch im Sozialbereich (wie im übrigen auch in den Politikbereichen Industrie, Forschung und Gesundheit) die Methode der offenen Koordinierung eingeführt, wonach die Kommission in enger Verbindung mit den Mitgliedstaaten in Bezug auf national oder international zu behandelnde soziale Fragen in Gestalt von Untersuchungen, Stellungnahmen und die Durchführung von Konsultationen die Initiative ergreift, um Leitlinien und Indikatoren festzulegen und den Austausch bewährter Verfahren durchzuführen. Die Kodifizierung der Methode der offenen Koordinierung ist zu begrüßen, weil sie die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit der Kommission in diesem Bereich auf eine ausdrückliche Vertragsbestimmung stützt. Verstärkte Zusammenarbeit 36. Die Verstärkte Zusammenarbeit ist nach dem Vertrag von Lissabon nunmehr auf allen Politikfeldern, für die die EU nicht die ausschließliche Kompetenz besitzt, unter etwas erleichterten Bedingungen möglich. Zur Einleitung der verstärkten Zusammenarbeit bedarf es einer Mindestzahl von neun Mitgliedstaaten. Die Voraussetzungen für eine spätere Teilnahme weiterer Mitgliedstaaten sind ebenfalls erleichtert worden. Austritt aus der EU 37. Im EUV wird, wie bereits im Verfassungsvertrag vorgesehen, eine Austrittsklausel eingeführt, die es einem Mitgliedstaat erlaubt, die EU zu verlassen. Der Austritt wird dabei an keine Bedingung geknüpft, sondern es bedarf dazu lediglich einer Übereinkunft zwischen der EU und dem betreffenden Mitgliedstaat über die Modalitäten des Austritts, oder, falls diese Übereinkunft nicht zustande kommt, des Verstreichens von zwei Jahren nach der Notifizierung der Austrittsabsicht, um den Austritt auch ohne Übereinkommen wirksam werden zu lassen. 38. Es fehlt allerdings eine Bestimmung über die Ausschluss bei schweren Vertragsverstößen. Opt-out 39. Das Vereinigte Königreich nimmt nicht teil an der Währungsunion, der Reisefreiheit nach „Schengen“, der Grundrechtscharta und Teilen der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit, wohl aber in den Organen, vor allem im Rat (außer in der EURO-Gruppe) und im EP, an der Beschlussfassung über die entsprechenden Rechtsakte. Die sich daraus ergebende Asymmetrie wird im AEUV nicht angesprochen. Ratifizierung und Inkrafttreten 38. Der Vertrag von Lissabon bedarf der Ratifikation durch die Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften. Das Inkrafttreten des Vertrags ist für den 1. Januar 2009 bestimmt, vorausgesetzt alle Ratifikationsurkunden sind zuvor bei der Regierung Italiens hinterlegt worden. Sollte dies nicht der Fall sein, tritt der Vertrag am ersten Tag des auf die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde folgenden Monats in Kraft.