Eckhard Lenner Sie wollen den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verstehen? Mit Hilfe der folgenden drei Empfehlungen sollte es Ihnen gelingen. I Die erste Empfehlung: Wenn wir den angeblich so komplexen und schwer durchschaubaren Konflikt zwischen Palästinensern und jüdischen Israelis verstehen wollen, müssen wir ihn vereinfachen. „Vereinfachen“ heißt nicht simplifizieren, sozusagen etwas für Doofe, damit auch die es kapieren. Die Vereinfachung, die ich für notwendig halte, ist das Ergebnis einer gründlichen Beschäftigung mit dem Thema, das Resultat eines Erkenntnisprozesses, also eher etwas Anspruchsvolles. Tatsächlich lässt sich bei genauem Hinschauen in diesem Konflikt-Wirrwarr eine Grundtatsache erkennen, eine erste Ursache, mit der alles anfing und auf die sich alle weiteren Ereignisse und alle den Konflikt kennzeichnenden Merkmale zurückführen lassen – ohne dass der Sachverhalt unzulässig verkürzt oder verfälscht wird. Diese erste Ursache, die prima causa, ist zweifellos die Einwanderung der Zionisten – europäischer Kolonisten, die beschlossen hatten, in Palästina einen exklusiv jüdischen Nationalstaat zu gründen, und die entschlossen waren, die dort lebenden Menschen zu vertreiben und sich deren Land anzueignen. [Im Gegensatz zu anderen europäischen Kolonisten wollten die zionistischen Siedler die Einheimischen nicht als billige Arbeitskräfte behalten, sie wollten sie durch Angehörige des eigenen „Volkes“ ersetzen. Das „Volk ohne Land“ brauchte, wie es in dem populären zionistischen Slogan hieß, „ein Land ohne Volk“. Und wenn da schon ein Volk war, dann hatte es eben zu verschwinden. Das heißt: die ethnische Säuberung (heute verschleiernd „Bevölkerungs-Transfer“ genannt) ist ein integraler Bestandteil der zionistischen Ideologie und Praxis.] Natürlich hatten die staatlosen und in ihren europäischen Gesellschaften entwürdigender Diskriminierung und oft grausamer Verfolgung ausgesetzten Zionisten ihre Gründe für ihre Vision vom eigenen Staat und für die „robuste“ Art, wie sie sich an deren Verwirklichung machten. Aber die Motive und die (biblischen und historischen) ideologischen Begründungen und Rechtfertigungen der Eroberer muss man erstmal beiseitelassen, wenn es darum geht, den grundlegenden Sachverhalt, die erste Ursache der Palästina-Tragödie freizulegen. Und das ist nun mal die einfache brutale Tatsache der kolonialen Eroberung Palästinas durch die Zionisten – ein Gewaltakt, der bis heute nicht beendet ist, sondern im Schutze des Westens, besonders der USA, unvermindert fortgeführt wird. [Wenn es darum geht, den Kern des Konfliktes herauszuschälen, muss auch eine Betrachtung verschiedener anderer – menschenfreundlicherer – Formen des Zionismus beiseite bleiben, die es gab – etwa den friedlichen Kulturzionismus -, die aber niemals eine Chance hatten, sich gegen den hier angesprochenen Hauptstrom des nationalistischen, politischen oder – wie Micha Brumlik ihn nennt – „staatsbildenden“ Zionismus.] 1 Damit Sie nun nicht meinen, das sei eine vielleicht zutreffende, aber doch sehr einseitige und möglicherweise israelfeindliche oder gar judenfeindliche Betrachtung der Dinge (der Vorwurf ist ja jederzeit griffbereit), sollten wir kurz einen Blick auf ein paar authentische und durchaus repräsentative und keineswegs nur historisch zu verstehende Äußerungen aus zionistischem Munde werfen. Quellentexte (s.u.) Ben Gurions „zionistische Wahrheit“ (exklusiv jüdischer Staat, Negierung des Existenzrechts der einheimischen Bevölkerung) Jabotinskis „eiserne Mauer“(Der Widerstand der einheimischen Bevölkerung muss mit Gewalt gebrochen werden.) Reuven Rivlin, frisch gekürter israelischer Staatspräsident, „ganz Israel [will sagen: ganz Palästina] gehört uns“ II Wenn Sie den Mut haben, diese Erkenntnis der wesentlichen Ur-Sache des Konfliktes zu akzeptieren, verstehen Sie auch – und meine zweite Empfehlung ist, sich auch den jetzt zu besprechenden Sachverhalt stets gegenwärtig zu halten -, dass die Aggression der Kolonisten zwangsläufig den Widerstand der Angegriffenen hervorruft - bis auf den heutigen Tag. Wie immer die Dinge im Einzelfall liegen, Widerstand der Palästinenser – in welcher Form auch immer – ist, prinzipiell betrachtet, immer Gegen-wehr. Die Bundeskanzlerin hat schon recht mit ihrer Forderung, man dürfe Ursache und Wirkung nicht verwechseln, nur tut sie genau das, wenn sie z.B. meint, sie könne die blutigen israelischen Gaza-Invasionen mit Hinweis auf diesen Grundsatz rechtfertigen. Die aus Gaza abgefeuerten Quassam-Raketen sind, grund-sätzlich betrachtet, eben n i c h t die Ursache. Ein Palästinenser, der in diese von Israel geschaffene Gewaltsituation hineingeboren ist, hat nicht die Freiheit der Wahl. Ob er will oder nicht, er befindet sich im Widerstand gegen die Unterdrückung. Allein die Tatsache, dass er geboren wurde, wird von dem Unterdrücker als eine Bedrohung wahrgenommen (die demografische „ticking bomb“). Auf den Beton der Trennmauer, die Israel im besetzten Westjordanland gebaut hat, ist an manchen Stellen der Satz gesprüht: „To exist, is to resist.“ Dass ich existiere, ist ein Akt des Widerstandes. Man kann den Satz auch umgekehrt lesen: „To resist, is to exist.“ Das heißt dann: Widerstand ist der Kern meiner Identität. Wenn ich Widerstand leiste, lebe ich. Lateinisch: Resisto, ergo sum. Auch das ist richtig. Erlauben Sie hier eine für das Konfliktverständnis nicht unwichtige Feststellung: Wenn ein Palästinenser sich für gewaltfreien Widerstand entscheidet – und viele tun das -, dann ist das angesichts der täglichen Entwürdigung und brutalen Gewalt, der er ausgesetzt ist, eine kaum genügend zu würdigende Leistung. Ein Beispiel aus den letzten Tagen: Buldozer der Besatzungsmacht entwurzelten auf der Farm des Daoud Nassar in der Nähe von Bethlehem eines Morgens ohne Vorwarnung 1500 Aprikosen- und Apfelbäume, die die Familie vor zehn Jahren gepflanzt hatte. Die Aprikosen waren reif und sollten in den nächsten Tagen geerntet werden… Die Besatzungsmacht hatte dieses Stück Land kurzerhand zu „Staatsland“ erklärt, und damit war die Obst-Plantage des Daoud Nassar über Nacht „illegal“ geworden. 2 [Konflikt-Verständnis entsteht, wenn Sie so ein Einzelvorkommnis mit der Grundtatsache, von der wir oben sprachen, in Verbindung bringen: „G a n z Palästina“ muss jüdisch werden. So sieht die Verwirklichung des zionistischen Programms konkret aus.] Um trotz so einer Erfahrung am gewaltfreien Widerstand festzuhalten und nicht in die Gewaltfalle zu tappen oder in Resignation oder Depression abzustürzen, muss man schon über ein gut entwickeltes Bewusstsein und eine stabile seelische Kraft verfügen. Daoud jedenfalls „weigert sich“ - so sein Wahlspruch – „Feind zu sein“. Eine Quelle, aus der sich seine Widerstandskraft speist, ist - neben seinem christlichen Glauben – das Bewusstsein, dass das Recht auf seiner Seite ist (nicht unbedingt die israelische Justiz). III Und da sind wir bei der dritten Empfehlung für ein richtiges Verständnis des Konflikts: Es ist ein großes, leider übliches Miss-Verständnis, wenn man den Konflikt als symmetrische Angelegenheit betrachtet. Wer unsicher ist in der Beurteilung des Konflikts, weil er darüber zu wenig weiß, oder wer sich nicht traut, die ungeschminkte Wahrheit zur Kenntnis zu nehmen, der nimmt gerne seine Zuflucht zur Rede von den „beiden Seiten“. Aber, wer das erschreckende Machtgefälle im Verhältnis der Palästinenser und der jüdischen Israelis ausblendet, kommt zu falschen Schlüssen. Daoud mit seinen Obstbäumen ist machtlos der Gewalt der Besatzungsmacht ausgeliefert. Auch wenn er der rechtmäßige Besitzer seines Stückchen Landes ist, nützt ihm auf der Macht-Ebene sein Im-Recht-sein nichts gegen das sogenannte „Recht des Stärkeren“, wenn der zum Unrecht entschlossen ist. Es ist ein Hohn und Ausdruck einer erstaunlichen Verständnislosigkeit oder blanker Zynismus der Machtinhaber, wenn etwa der deutsche Außenminister Steinmeier oder der US-Präsident Obama bei den eben gescheiterten israelisch-palästinensischen Verhandlungen von „beiden Seiten“ Mut zu harten Entscheidungen verlangen. Genug. Ich glaube, es ist klar geworden: Wer den Konflikt zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern richtig, d.h. der Sache angemessen verstehen will, der sollte 1. dessen kolonialen Ursprung und zionistische Zielsetzung stets vor Augen haben, er sollte 2. wissen, dass der Widerstand der Palästinenser in diesem Angriff auf ihre Existenz begründet ist und, so gesehen, recht eigentlich immer Gegen-wehr ist, und er sollte 3. die horrende Asymmetrie im Verhältnis der Unterdrücker und der Unterdrückten nie aus dem Blick verlieren. Das zionistische Projekt 1. David Ben Gurion, der wichtigste Vertreter des politischen Zionismus in Palästina und später der erste israelische Ministerpräsident, sprach im Jahre 1937 klar aus, was für ihn die „zionistische Wahrheit“ war: „Das Land ist in unseren Augen nicht das Land seiner jetzigen Bewohner. […] Wenn man sagt, dass Eretz Israel das Land zweier Nationen sei, so verfälscht man die zionistische Wahrheit doppelt. […] Palästina muss und soll nicht die Fragen beider Völker lösen, sondern nur die Frage eines Volkes, des jüdischen Volkes in der Welt.“ 3 2. David Ben Gurion 1947 „Unser Ziel ist nicht ein jüdischer Staat in Palästina, sondern ganz Palästina als jüdischer Staat.“ 3. Der Wortführer des rechtsextremen Flügels der zionistischen Bewegung Vladimir Ze´ev Jabotinski hatte schon im Jahre 1923 in seinem Artikel „The Iron Wall“ mit der wünschenswerten Deutlichkeit formuliert, wie das Problem, dass in Palästina so viele nichtjüdische Menschen lebten, gelöst werden müsse: „Wir versuchen, ein Land gegen den Willen seiner Bevölkerung zu kolonisieren, mit anderen Worten: mit Gewalt. […] Jede indigene Bevölkerung in der Welt würde sich gegen die Kolonisten wehren. […]Kompromisswillige in unserer Mitte versuchen, uns weiszumachen, dass die Araber so bescheuert sind, sich durch eine milde Formulierung unserer Ziele austricksen zu lassen; oder dass sie eine geldgierige Sippschaft seien, die ihr Geburtsrecht auf Palästina aufgeben würden um eines kulturellen oder wirtschaftlichen Vorteils willen. […] Nein, die zionistische Kolonisierung muss entweder sofort aufhören oder ohne Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung fortgesetzt werden. Das bedeutet, dass die Besiedelung nur unter dem Schutz einer Macht fortschreiten kann, die von der einheimischen Bevölkerung unabhängig ist – hinter einer eisernen Mauer, die die einheimische Bevölkerung nicht durchbrechen kann.“ 4. Reuven Rivlin, frisch gekürter israelischer Staatspräsident wird von der SZ (vom 11.6.) mit der Aussage zitiert, er sei überzeugt, dass „ganz Israel uns gehört“ – wobei er mit „ganz Israel“ natürlich ganz Palästina meint. PS Der obige Text ist ein Redetext. Er wurde auf unserem 25. FORUM am 11.6.2014 als Einleitung vorgetragen. SALAM SHALOM Arbeitskreis Palästina-Israel e.V. www.salamshalom-ev.de salamshalom,[email protected] 4