REGIERUNGSRAT DES KANTONS AARGAU Aarau, 15. August 2001 01.139 Motion Paul Fischer, Dottikon, vom 15. Mai 2001 betreffend Ermöglichung stiller Wahlen bei unbestrittenen Grossratswahlgeschäften; Ablehnung bzw. Entgegennahme als Postulat I. Text und Begründung der Motion wurden den Mitgliedern des Grossen Rates unmittelbar nach der Einreichung zugestellt. II. Der Regierungsrat lehnt die Motion mit folgender Begründung ab bzw. ist bereit, die Motion als Postulat entgegenzunehmen: Zusammenfassung Bis heute kennen nur gerade die Parlamente von drei Deutschschweizer Kantonen die Möglichkeit, stille Wahlen durchzuführen. Stille Wahlen führen bei unbestrittenen Wahlgeschäften zur Vermeidung unnötiger Wahlgänge und damit zu einer Verwesentlichung des Wahlrechts; geheime (oder offene) Wahlen finden nur noch in speziellen Fällen – zum Beispiel bei den wichtigsten Ämtern oder auf Antrag – statt. Gegen die Einführung stiller Wahlen spricht, dass gewählte Kandidatinnen und Kandidaten bei einer geheimen (oder offenen Wahl) eine erhöhte Legitimation geniessen. Stille Wahlen verunmöglichen es zudem den Wählenden grundsätzlich, durch das Wahlresultat politische Akzente zu setzen. Die Einführung der Möglichkeit stiller Wahlen bringt insgesamt mehr Vorteile als Nachteile. Der Regierungsrat will sich daher dem Anliegen des Vorstosses nicht verschliessen. Es scheint ihm jedoch wichtig, dass sich auch das Büro des Grossen Rates hierzu eine Meinung bildet. Der Regierungsrat ist bereit, das Anliegen des Vorstosses als Postulat entgegenzunehmen und im Rahmen des Projekts "Parlamentsreform" zu prüfen. 1. Rechtsgrundlagen Gemäss § 40 Abs. 1 des Geschäftsverkehrsgesetzes (GVG) vom 19. Juni 1990 nimmt der Grosse Rat die ihm durch die Verfassung und andere Erlasse übertragenen Wahlen in geheimer Wahl vor. Seit dem Inkrafttreten des Geschäftsverkehrsgesetzes am 1. August 1991 war das Institut der geheimen Wahlen noch nie Gegenstand eines parlamentarischen Vorstosses. Nach dem Willen des Motionärs soll nun in Anlehnung an die Bestimmungen des am 7. März 2000 teilrevidierten Gesetzes über die politischen Rechte (GPR) der Grosse Rat bei unbestrittenen Wahlgeschäften stille Wahlen durchführen können. § 28 GPR erklärt eine -2- stille Wahl in jenen Fällen für möglich, wo besondere gesetzliche Vorschriften dies vorsehen. 2. Blick in die anderen Kantone der Deutschschweiz Nach geltendem Recht kommen in den verschiedenen Parlamenten der Deutschschweiz folgende Wahlarten zur Anwendung: Grundsätzliche geheime Wahlen kennen die Parlamente der Kantone Bern, BaselLand, Freiburg, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Schaffhausen, Solothurn und Wallis. Geheime Wahlen – mit der Möglichkeit, das offene Wahlverfahren durchzuführen – kennen die Parlamente der Kantone Basel-Stadt, Glarus, Sankt Gallen und Uri. Die Wahlen durch das Kantonsparlament erfolgen geheim oder offen (für untergeordnete Funktionen) in den Kantonen Schwyz, Thurgau und Zug. Die Wahlen erfolgen offen – mit der Möglichkeit geheime Wahlen durchzuführen – in den Parlamenten der Kantone Appenzell-Ausserhoden, Obwalden und Zürich. Die Möglichkeit, im Parlamentsplenum stille Wahlen durchzuführen, kennen nur gerade die Kantone Schaffhausen, Basel-Landschaft und Wallis. Die beiden Letztgenannten nur für gewisse Ämter und Funktionen von untergeordneter Bedeutung. 3. Die Vorteile stiller Wahlen Sind stille Wahlen möglich, so können unnötige Wahlgänge vermieden werden. Dies führt – wie im Motionstext aufgezeigt wird – zu einer gewissen Kostenersparnis. Die Möglichkeit, Kandidatinnen und Kandidaten in stiller Wahl gewählt zu erklären, führt sodann zu einer Verwesentlichung des Wahlrechts. Es wird nur dann eine (offene oder geheime schriftliche) Wahl durchgeführt, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist (zum Beispiel für gewisse wichtige Ämter oder Funktionen) oder auf entsprechenden Beschluss des Parlaments. Die Möglichkeit, auf Antrag offene oder geheime schriftliche Wahlen durchzuführen, muss – um das Wahlrecht der Mitglieder des Grossen Rates nicht zu beschneiden – nach Ansicht des Regierungsrates gewahrt bleiben. Bei unbestrittenen Wahlen ist die Wahlbeteiligung in der Regel eher tief. Dies hat zur Folge, dass das Resultat der Wahlen oftmals an Aussagekraft zu wünschen übrig lässt. Dieser Umstand spricht dafür, stille Wahlen einzuführen. 4. Die Nachteile stiller Wahlen Gegen die Einführung stiller Wahlen spricht in erster Linie, dass alle gewählten Kandidatinnen und Kandidaten bei geheimen (oder offenen) Wahlen eine erhöhte Legitimation geniessen. Im Weiteren besteht bei geheimen (oder offenen) Wahlen die Möglichkeit, politische Akzente zu setzen. Eine Wiederwahl mit einem kleinen Stimmenanteil kann zum Beispiel als Mahnfinger, ein gutes Wahlresultat kann als Einverständnis mit der Amtsführung bzw. mit der Arbeit der Betroffenen gewertet werden. Auch ein hoher Anteil an Stimmenthaltungen kann unter Umständen als politisches Signal gewertet werden. 5. Mögliche Lösung für den Kanton Aargau Trotz des Umstandes, dass stille Wahlen nicht nur Vorteile bringen, verschliesst sich der Regierungsrat dem Anliegen der Motion grundsätzlich nicht. Eine rechtliche Regelung -3- könnte in die Richtung gehen, dass als Grundsatz geheime (oder allenfalls offene) Wahlen vorgeschrieben werden, jedoch stille Wahlen dann vorgesehen sind, wenn die Anzahl der Kandidatinnen und Kandidaten die Anzahl der zu besetzenden Funktionen nicht übersteigt. Gewisse massgebende Funktionen sollten zum Vornherein von der Möglichkeit der stillen Wahl ausgeschlossen sein, d.h. diese müssten ausschliesslich entweder in geheimer schriftlicher oder in offener Wahl besetzt werden. Zudem muss es möglich sein, dass auf Beschluss des Plenums sämtliche grundsätzlich in stiller Wahl zu wählenden Funktionen in geheimer schriftlicher (oder offener) Wahl bestimmt werden. Der Regierungsrat hält es für angezeigt, dass sich auch das Büro des Grossen Rates thematisch mit der Materie befasst und sich zuhanden des Plenums eine Meinung bildet. Er ist sodann bereit, das Anliegen des Vorstosses im Rahmen des Projekts "Parlamentsreform" zu prüfen. Die Kosten für die Bearbeitung dieses Vorstosses betragen Fr. 2'653.--. REGIERUNGSRAT AARGAU