Rechtsgrundlagen für Rettungs

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Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Inhalt
1.
Grundlegendes zu den verschiedenen Rechtsgebieten
1.1
1.2
1.3
1.4
1.5
1.6
2.
Definition „Recht“
Die verschiedenen Rechtsgebiete
Öffentliches Recht
Strafrecht
Privatrecht
Übersicht über die verschiedenen Rechtsgebiete
Rettungs- und sanitätsdienstlich relevante Normen
2.1
Öffentliches Recht
2.1.1
2.1.2
2.1.3
2.2
2.3
Grundrechte (Insbesondere Unterbringung psychisch Kranker)
Straßenverkehrsrecht (Insbesondere Signalfahrten)
Rettungsdienstrecht
6
6
7
Strafrecht
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.4
2.2.5
2.2.6
2.2.7
2.2.8
2.2.9
2.2.10
2.2.11
2.2.12
2.2.13
2.2.14
2.2.15
Begehen durch Unterlassen (§ 13 StGB)
Notwehr (§ 32 StGB)
Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) und Notkompetenz
Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)
Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB)
Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB)
Körperverletzung (§ 223 StGB)
Einwilligung (§ 228 StGB)
Fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB)
Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)
Nötigung (§ 240 StGB)
Urkundenfälschung (§ 267 StGB)
Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB)
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9
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10
10
10
11
11
11
12
12
12
12
Privatrecht
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.3.4
2.3.5
3
2
2
2
3
4
5
Schadensersatz aus Vertrag (§ 280 ff. BGB)
Haftung für Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB)
Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 670 ff. BGB)
Schadensersatz aus unerlaubter Handlung (§ 823 ff. BGB)
Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB)
Literaturverzeichnis
© 2002 Sascha Höppner. Alle Rechte vorbehalten!
Vervielfältigung aller Teile nur mit Genehmigung!
Genehmigung und Verbesserungsvorschläge:
[email protected]
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Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
1.
Grundlegendes zu den verschiedenen Rechtsgebieten
1.1
Definition „Recht“
Menschliches Zusammenleben eröffnet ein immenses Konfliktpotential. Verschiedene Interessen auf der einen Seite
können denjenigen auf der anderen Seite entgegenstehen. Um solche Interessenkonflikte zu lösen, stehen in der
modernen Gesellschaft für gewöhnlich verschiedene Ordnungssysteme zur Verfügung 1. An erster Stelle wären hier
„die guten Sitten“ zu nennen.
„Beispiel2: Wer jemanden zum Abendessen einlädt, muss ihn auch empfangen und darf ihn nicht an der Haustür abweisen. Es
gibt aber keine Rechtsregeln über die Einladung zu einem Essen; Der Eingeladene hat auch kein „Recht“ darauf, dass die
Einladung „erfüllt“ wird. Dennoch besteht eine gesellschaftliche Regel, die dem Einladenden gebietet, seine Einladung wahr zu
machen, und die ihm verbietet, den Eingeladenen abzuweisen.
Wo liegen die Unterschiede zwischen den guten Sitten und rechtlichen Normen? Nun, diese beiden
Ordnungssysteme unterscheiden sich vor allem dadurch, daß ein Verstoß gegen geltendes Recht objektiv überprüft
werden und unter Umständen staatliche Sanktionen nach sich ziehen kann.
„Beispiele: Erfüllt der Verkäufer (V) den Kaufvertrag nicht, kann der Käufer (K) den V auf Lieferung des Pkw verklagen. Das Gericht verurteilt
den V zur [...] Übergabe des Pkw (vgl. § 433 I 1 [BGB]). Leistet V dem Urteil keine Folge, holt der Gerichtsvollzieher auf Verlangen des K den
Wagen bei V heraus und übergibt ihm dem K. Dagegen hat der Eingeladene keine Möglichkeit, die „Erfüllung“ der Einladung zum Abendessen
mit Hilfe des Staates zu erzwingen. Er kann nur dafür sorgen, dass man den Gastgeber in Zukunft gesellschaftlich „schneidet“, weil dieser sich
„unmöglich benommen“ hat.“
1.2
Die verschiedenen Rechtsgebiete
Das deutsche Rechtssystem läßt sich zunächst grob untergliedern in zwei
Bereiche, nämlich einerseits in das öffentliche Recht (das das Strafrecht
beinhaltet) und andererseits in das Privatrecht. Beide Rechtsgebiete haben
völlig andersartige Rechtsbeziehungen zum Grunde. Öffentliches Recht regelt
das Verhältnis des Einzelnen zum Staat. Es handelt sich hierbei um ein
„Hoheits-Unterwerfungsverhältnis3“ im Gegensatz zum Privatrecht, das
Rechtsbeziehungen zwischen „gleichberechtigten Rechtssubjekten“ regelt.
1.3
Hoheitsunterwerfungsverhältnis
Gleichberechtigte
Rechtssubjekte
Öffentliches Recht
Das öffentliche Recht untergliedert sich (vereinfacht) wiederum in zwei große Bereiche, nämlich zum einen in das
Staatsrecht, zum anderen in die Grundrechte.
1.3.1
Staatsrecht
Das Staatsrecht widmet sich Fragen der Eingriffs- und Leistungsverwaltung. Staatliche Eingriffe in die Freiheit des
Bürgers regeln zum Beispiel das Steuer-, Polizei- und Strafrecht. Unter das Ressort Leistungsverwaltung fallen
beispielsweise Schulen, Sozialhilfe und Subventionen.
1.3.2
Grundrechte
Das Recht des Staates, in die Freiheit des Bürgers einzugreifen, bedarf der Begrenzung. Grundrechte sind in erster
Linie Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat.
Beispiel4: „E1 und E2 sind Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung und Eltern dreier minderjähriger Kinder, die bayrische
Volksschulen besuchen. Durch Rechtsverordnung („Volksschulordnung“ [Staatsrecht]) ist angeordnet, daß in jedem Klassenzimmer ein Kreuz
anzubringen sei. E1 und E2 machen geltend, durch diese Symbole, insbesondere durch die Darstellung eines „sterbenden männlichen Körpers“
(Kruzifix) werde im Sinne des Christentums auf ihre Kinder eingewirkt; die laufe ihren Erziehungsvorstellungen, insbesondere ihrer
Weltanschauung zuwider.“ Hier „konnten sich E1 und E2 grundsätzlich darauf berufen, daß die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit ihrer
Kinder, ihre eigenen Grundrechte aus Art. 4 I GG sowie ihr Elternrecht (Art. 6 II GG) verletzt seien.“ [BVerfGE 93,1]
vgl. auch Arzt, Einführung in die Rechtswissenschaft, Kapitel I
Beispiele in diesem Absatz aus Brox, BGB AT, Seite 4
3 vgl. Haft, Strafrecht AT, § 2
4 aus Ipsen, Staatsrecht II, Rdn. 350
1
2
2
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
1.4
Strafrecht
Die Sonderstellung, die das Strafrecht innerhalb des öffentlichen Rechts einnimmt, wird allenthalben damit begründet, daß es besonders schwerwiegende staatliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen regelt 5. Die Prüfung eines
Verhaltens nach strafrechtlichen Gesichtspunkten erfolgt in drei Stufen:
1.4.1
Tatbestand
Das in Frage stehende Verhalten wird zunächst daraufhin überprüft, ob es sich einem gesetzlichen Straftatbestand
unterordnen läßt (objektiver Tatbestand):
Beispiel aus dem StGB:
Notarzt N findet an der Einsatzstelle einen gestürzten Radfahrer mit Verdacht auf eine innere Blutung vor. Der Radfahrer weist offensichtliche
Schockzeichen auf, sodaß N nach Verbringen in den bereits eingetroffenen RTW nach Aufklärung des Patienten (P) einen großlumigen Zugang in
die rechte Ellenbeuge legt.
Indem N die Nadel durch die Haut des P stach, könnte er sich wegen Körperverletzung strafbar gemacht haben.
§ 223 Körperverletzung. (1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder mit Geldstrafe betraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Von einer Gesundheitsschädigung kann hier nicht die Rede sein. Jedoch stellt das Stechen einer Nadel durch die Haut eines Menschen unproblematisch eine körperliche Mißhandlung dar. Durch das Legen des Zuganges hat N also den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.
Ferner gilt es im Rahmen des Tatbestandes zu prüfen, ob der Handelnde mit „Absicht“ gehandelt hat (subjektiver
Tatbestand). Soweit das Gesetz nichts anderes sagt, ist nur vorsätzliches Handeln strafbar. Da der Zugang
allerdings kaum aus Versehen gelegt wurde, ist der Vorsatz hier gegeben. Andernfalls käme nur eine fahrlässige
Körperverletzung (§ 229 StGB) in Betracht.
1.4.2
Rechtswidrigkeit
Im Normalfall liegt durch die Erfüllung eines Tatbestandes auch die Rechtswidrigkeit der in Frage stehenden
Handlung vor; d.h., wer einen Tatbestand erfüllt, tut dadurch in der Regel auch Unrecht. Ausnahmsweise kann aber
die Rechtswidrigkeit einer tatbestandlichen Handlung entfallen, wenn dafür Rechtfertigungsgründe vorliegen.
Im Beispielsfall kommt als Rechtfertigungsgrund die Einwilligung in Betracht.
§ 228 Einwilligung. Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat
trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.
P hatte in die Verletzung seines Körpers durch das Einführen des Zuganges eingewilligt. Die Einwilligung ist allerdings nur wirksam, wenn P die
gesamte Tragweite dieser Entscheidung auch abschätzen konnte. N mußte also auch über die Risiken aufklären, die mit der Anlage eines solchen
Zuganges verbunden sind. Im vorliegenden Fall aber liegt auf der Hand, daß die Rechtswidrigkeit seiner Handlung entfällt.
Über die Einwilligung hinaus existieren eine große Zahl weiterer Rechtfertigungsgründe, die in Rettungs- und
Sanitätsdienst typischerweise eine bedeutende Stellung einnehmen (Auswahl 6):



1.4.3
Notwehr § 32 StGB
Rechtfertigender Notstand § 34 StGB
Rechtfertigende Pflichtenkollision
Schuld
Hat man Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit einer Handlung festgestellt, so gilt es noch, die Schuld zu
prüfen. „Grundlage des Schuld- und Verantwortungsprinzips ist die Fähigkeit des Menschen, sich frei und richtig
zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden.“7 Personen, die nach diesem Prinzip nicht verantwortlich handeln,
begegnen uns im Rettungs- und Sanitätsdienst gelegentlich. Menschen, denen die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht
ihrer Handlung fehlt, sind schuldunfähig:
§ 19 Schuldunfähigkeit des Kindes. Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.
vgl. Arzt, Einführung in die Rechtswissenschaft, § 5 IV
vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdn. 282
7 Wessels/Beulke, Strafrecht AT, Rdn. 396
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Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
§ 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen. Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen
einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns
oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser
Einsicht zu handeln.
Krankhafte seelische Störungen sind zum Beispiel endogene Psychosen und Schizophrenien. Bei der tiefgreifenden Bewußtseinsstörung kommt
der Vollrausch in Betracht, und andere schwere seelische Abartigkeiten sind Neurosen, Triebstörungen usw.
Wie bei der Rechtswidrigkeit wird die Schuldfähigkeit beim erwachsenen Täter vermutet, solange keine
Anhaltspunkte für das Gegenteil vorliegen.
Im Beispielsfall wäre davon auszugehen, daß N schuldfähig war. Die Prüfung der Schuldfähigkeit entfällt allerdings, da die Handlung des N ja
gerechtfertigt war.
1.5
Privatrecht
1.5.1
Vertragliche Schuldverhältnisse
Das Privatrecht folgt dem Grundsatz der Privatautonomie. Der Gesetzgeber geht davon aus, daß der erwachsene
Mensch grundsätzlich in der Lage ist, seine rechtsgeschäftlichen Beziehungen eigenverantwortlich zu regeln. Dies
geschieht in der Regel in Form von Verträgen, wobei der Einzelne selbst Inhalt und Partner des einzelnen Vertrages
bestimmt.
Beispiel: K interessiert sich für den Pkw des V. Er teilt V mit, daß er ihn für € 5.000,-- kaufen würde. V sagt, er sei damit einverstanden. Hier ist
ein Vetrag (Kaufvertrag, § 433 BGB) zustandegekommen, indem zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen abgegeben wurden. K hat dem V
ein Angebot unterbreitet, seinen Wagen zu kaufen. V hat erklärt, den Vertrag anzunehmen. Die Vertragspartner sind nach erfolgtem
Vertragsschluß an die Wirkungen ihres Handelns gebunden, d.h., der Verkäufer ist verpflichtet, Eigentum und Besitz an der verkauften Sachen zu
verschaffen, der Käufer, die Sache abzunehmen und den Kaufpreis zu entrichten. Es handelt sich also um ein gegenseitiges Schuldverhältnis
aufgrund eines Vertrages.
Vertragliche Schuldverhältnisse beinhalten in der Regel allerdings weitere Pflichten. Ein Vermieter beispielsweise
muß auch dafür Sorge tragen, daß der Mieter nicht im Treppenhaus stürzt, weil die Beleuchtung nicht ausreicht.
Andernfalls verpflichtet er sich zum Schadensersatz aus Vertrag (► 2.3.1).
1.5.2
Gesetzliche Schuldverhältnisse
Neben den verschiedenen Vertragstypen (Kaufvertrag, Mietvertrag etc.) gibt es zwei wichtige weitere Möglichkeiten,
Ansprüche entstehen zu lassen.
Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677-686 BGB)
Besorgt jemand ein Geschäft für einen anderen, so liegt dafür im Normalfall ein Auftrag vor.
Beispiel: Herr X ist mit dem Fahrrad gestürzt. Telefonisch beauftragt er seinen Nachbarn Y, dem er einen Wohnungsschlüssel ausgehändigt hat,
seine Haustiere zu versorgen, solange er sich in stationärer Behandlung befindet.
Was aber, wenn Herr Y den Unfall seines Nachbarn beobachtet hat und dessen Anruf bis auf weiteres ausbleibt?
Ergreift Herr Y jetzt die Initiative und wird ohne Auftrag tätig, so setzt ihn das bürgerliche Recht mit einem
beauftragten Geschäftsführer gleich (§ 683 BGB), mit der Rechtsfolge, daß Herr Y einen Anspruch auf Ersatz seiner
Aufwendungen hat: Herr X ist verpflichtet, ihm das Geld für die Tiernahrung zu erstatten.
Schadensersatz aus unerlaubter Handlung (§§ 823-853 BGB)
Eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung fremder Rechtsgüter kann zu Schadensersatz verpflichten8. Vor einer
eingehenden Beschäftigung mit diesem Thema sei darauf hingewiesen, daß die Reform des Schadensersatzrechtes im
August 2002 in Kraft treten wird.
Beispiel: Bei der Anfahrt an eine Einsatzstelle kollidiert der RTW mit einem geparkten Pkw. Hier hat sich der Fahrer schadenersatzpflichtig
gemacht, d.h., er muß den Schaden am Pkw ausbessern. Da er für gewöhnlich selbst nicht in der Lage ist, die Reparatur durchzuführen, kann er
dem Eigentümer des Fahrzeug die Kosten für die Instandsetzung in einer Werkstatt erstatten. Allerdings kommt hier konkurrierend auch eine
Haftung der Rettungsdienst-Organisation im Wege der Haftung für den Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB ► 2.3.4) in Betracht.
8
vgl. Musielak, Grundkurs BGB, Rdn. 742 ff.
4
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
1.6
Übersicht über die verschiedenen Rechtsgebiete
Recht
Öffentliches Recht
Privatrecht
Strafrecht
Staatsrecht
Verwaltungsrecht
Grundrechte
5
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2.
Rettungs- und sanitätsdienstlich relevante Normen
2.1
Öffentliches Recht
2.1.1
Grundrechte
Unter 1.3.2 wurde festgestellt, daß es sich bei den Grundrechten in erster Linie um Abwehrrechte des Einzelnen
gegen den Staat handelt. Ob Grundrechte darüber hinaus auch Wirkungen zwischen Bürgern entfalten (sog.
Drittwirkungen), ist umstritten. Zu bedenken ist jedoch, daß es im Rettungsdienst vergleichsweise häufig zum
Eingriff in Grundrechte kommt, beispielsweise durch die zwangsweise Unterbringung einer Person in ein
psychiatrisches Krankenhaus und die dortige Behandlung. Die Bundesländer sehen hierfür spezielle Regelungen vor,
die ausdrücklich zum Eingriff in die folgenden Grundrechte ermächtigen:




Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG)
Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 II 2 GG)
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)
Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
Für das Rettungsdienstpersonal sind diese Eingriffsbefugnisse in strafrechtlicher Hinsicht relevant, da sie
Rechtfertigungsgründe darstellen, die vor einer Strafbarkeit beispielsweise wegen Hausfriedensbruches schützen,
wenn die Wohnung des Patienten im Rahmen einer sofortigen Unterbringung gegen dessen Willen betreten wird.
Voraussetzungen für die sofortige Unterbringung sind:


Ärztliche Anordnung der Unterbringung wegen psychischer Krankheit bei
Eigen-/Fremdgefährdung des Patienten
Im Anordnungsfall der sofortigen Unterbringung ist die richterliche Anordnung innerhalb einer bestimmten Frist
nachzuholen, nämlich innerhalb von 24 Stunden (Einzige Ausnahme: Baden-Württemberg mit 72 Stunden).
Zu beachten ist stets, daß Zwangsmaßnahmen durch den (Not-)Arzt bzw. Rettungsdienst nur ausnahmsweise
zulässig sind, wenn staatliche Hilfe nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen kann. Regelmäßig fällt die – im Rahmen
des Transports durch den Rettungsdienst eventuell erforderliche – Ausübung unmittelbaren Zwangs in die
ausschließliche Zuständigkeit der Polizei.
2.1.2
Straßenverkehrsrecht
Das Straßenverkehrsrecht setzt sich im wesentlichen zusammen aus der Straßenverkehrsordnung (StVO), die das
Verhalten der Verkehrteilnehmer regelt, der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), in der sich Vorschriften
über Eigenschaften der Fahrzeuge (z.B. Ausstattung) finden, und dem Straßenverkehrsgesetz, das z.B. Aussagen
über die Erteilung bzw. Entziehung einer Fahrerlaubnis macht und haftungsrechtliche Fragen regelt.
StVO
Für die rettungsdienstliche Praxis sind zwei der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung besonders interessant:
§ 35 Sonderrechte. (1)...
(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile
geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
...
(8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
ausgeübt werden.
§ 38 Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht. (1) Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur
verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche
Schäden abzuwenden, [...]
Es ordnet an:
„Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.
6
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
(2) Blaues Blinklicht allein darf nur von den damit ausgerüsteten Fahrzeugen und nur zu Warnung an Unfall- oder
sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei der Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen
Verbänden verwendet werden.
Sonderrechte und das sogenannte Wegerecht (§ 38 StVO) sind zwei voneinander unabhängige Vorschriften, die
jedoch in der Praxis meistens gleichzeitig in Anspruch genommen werden, aber grundsätzlich verschiedene
Rechtsfolgen auslösen. Das Überfahren einer Kreuzung bei rotem Signal zum Beispiel ermöglichen die
Sonderrechte, die den anderen Verkehrsteilnehmern mindestens durch das blaue Blinklicht angezeigt werden
müssen. Die Wirkung des Wegerechts liegt nur bei gleichzeitig eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn
vor und bewirkt, daß der KTW, RTW bzw. das NEF etc. das Recht zur Straßennutzung vor allen anderen
Verkehrsteilnehmern haben. Bei der Fahrt über eine Kreuzung bewirkt das Wegerecht, daß ein Verkehrsteilnehmer,
der im Normalfall die Vorfahrt hat, einem RTW den Vorrang einräumen muß, wenn dieser RTW blaues Blinklicht
und Einsatzhorn gleichzeitig eingeschaltet hat.
Zentrales Problem bei der Signalfahrt ist, daß statistisch gesehen ein erhöhtes Unfallrisiko herrscht, das 8 x so hoch
ist wie bei einer normalen Fahrt. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und legt dem Nutznießer der Sonder- und
Wegerechte eine erhöhte Sorgfaltspflicht auf. Er muß sich davon überzeugen, daß sich alle anderen
Verkehrsteilnehmer auf sein Verhalten einstellen können und ist für deren Sicherheit verwantwortlich. Im Falle eines
Unfalles folgt hieraus, daß er mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit für die Schäden allein- oder zumindest
mitverantwortlich ist.
2.1.3
Rettungsdienstrecht
Rettungsdienst ist Ländersache. Die Rettungsdienstgesetze der Länder legen zum Beispiel Hilfsfristen fest und regeln
die Qualifikationsanforderungen an die Besatzung der einzelnen Rettungsmittel sowie die Aufgaben der
Rettungsleitstellen. Die einzige bundesweite Norm ist das Gesetz über den Beruf des Rettungsassistenten, das
Voraussetzungen, Dauer und Inhalt der Ausbildung sowie den Ablauf des Examens regelt.
2.2
Strafrecht
2.2.1
Begehen durch Unterlassen
§ 13 Begehen durch Unterlassen. (1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines
Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der
Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun
entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Im Unterschied zur unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) erfordert das Begehen durch Unterlassen eine sog.
Garantenstellung („wenn er rechtlich dafür einzustehen hat“). Garant ist z.B., wer



eine Schutzfunktion übernimmt
dem betroffenen Rechtsgutsträger familiär verbunden ist (z.B. Eltern gegenüber ihren Kindern)
durch vorwerfbares Tun eine Gefahr für andere schafft (sogenannte Ingerenz)
Beispiele:
Ein Sanitätshelfer, der bei einer Veranstaltung zum Dienst eingeteilt ist, übernimmt eine Schutzfunktion zugunsten der Besucher. Findet er eine
reglose Person mit Alkoholfahne am Boden und unternimmt nichts, da er der Meinung ist „der soll mal seinen Rausch ausschlafen“, und verstirbt
die Person, so hat sich der Sanitätshelfer einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht (§§ 222, 13 StGB).
Ein Vater, der zusieht, wie seine Tochter im Gartenteich ertrinkt, aber absichtlich nichts unternimmt, macht sich wegen Totschlags durch
Unterlassen strafbar (§§ 212, 13 StGB).
Ein Vermieter, der im Mietshaus das Treppengeländer entfernt, macht sich wegen fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassen (von
Sicherungsmaßnahmen) strafbar, wenn ein Mieter deswegen stürzt (§§ 229, 13 StGB).
2.2.2
Notwehr
§ 32 Notwehr. (1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder
einem anderen abzuwenden.
Aus der Formulierung „handelt nicht rechtswidrig“ ist zu entnehmen, daß es sich um einen Rechtfertigungsgrund
handelt (► 1.4.2).
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Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Für die Annahme einer Notwehrhandlung gibt es folgende Voraussetzungen:
Angriff auf rechtlich geschütztes Interesse
Notwehrlage
Gegenwärtigkeit des Angriffs
Rechtswidrigkeit des Angriffs
Gegenüber Angreifer
Notwehr?
geeignet zur Abwehr
Notwehrhandlung
erforderlich, wenn
relativ mildestes Mittel
grob unverhältnismäßig
nicht geboten, wenn
Kind, Irrender, Schuldlos
enge familiäre Beziehung
Provokation
Beispiele
Patient P würgt im alkoholisierten Zustand die Rettungsassistentin R. Kollege K schlägt P mit der Faust auf die Nase, um R zu befreien. Ist die
Körperverletzung zum Nachteil des P durch Notwehr gerechtfertigt?
Patient P droht im alkoholisierten Zustand, die Rettungsassistentin R zu erwürgen. Kollege K schlägt P mit der Faust auf die Nase, um R zu
schützen. Ist die Körperverletzung zum Nachteil des P durch Notwehr gerechtfertigt?
Patient P würgt im alkoholisierten Zustand die Rettungsassistentin R. Kollege K, ein durchtrainierter Boxer, der dem P weit überlegen ist, versetzt
diesem einen gezielten Schlag mit der Maglite, um die R zu befreien. Ist die (hier gefährliche) Körperverletzung durch Notwehr gerechtfertigt?
2.2.3
Rechtfertigender Notstand
§ 34 Rechtfertigender Notstand. Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib,
Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen
abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der
betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte
wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Aus der Formulierung „handelt nicht rechtswidrig“ ist zu entnehmen, daß es sich um einen Rechtfertigungsgrund
handelt (► 1.4.2).
8
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Für die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes gelten folgende Voraussetzungen:
Notstandsfähiges Rechtsgut
Notstandslage
Gefahr für das Rechtsgut
Gegenwärtigkeit der Gefahr
Erforderlichkeit
Geeignetheit
Notstandshandlung
relativ mildestes Mittel
Werteverhältnis
Interessenabwägung
Angemessenheit
Beispiele
Hinter der verschlossenen Nachbar-Wohnungstür hört der Sanitätshelfer S Hilfeschreie. Er stürzt auf den Hausflur, tritt die Tür ein und betritt
die Wohnung. Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt?
Vermieter V hört im Radio eine Sturmwarnung. Da der Mieter M nicht anwesend ist, betritt er die Wohnung, um sämtliche Fenster zu schließen.
Hausfriedensbruch durch rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt?
Rettungsassistent R kommt mit dem RTW zu einem schweren Verkehrsunfall. Eine Person ist eingeklemmt und befindet sich im Schockzustand.
Ein Notarzt ist nicht verfügbar. Als sich der Zustand der Person zusehends verschlechtert, legt R zwei großlumige, peripher-venöse Zugänge und
infundiert Ringer-Lösung, bevor die Feuerwehr den Patienten befreit. Er beruft sich auf seine Notkompetenz. Unter welchen Bedingungen ist die
Anlage der Zugänge durch den rechtfertigenden Notstand gerechtfertigt? Gilt die Notkompetenz auch für Rettungssanitäter? Darf ein
Sanitätshelfer unter Notstandsbedingungen einen peripher-venösen Zugang legen?
Die Notkompetenzstellungnahme der Bundesärztekammer richtet sich ausschließlich an Rettungsassistenten.
Die rechtliche Grundlage ist der rechtfertigende Notstand (§ 34 StGB), und das erklärte Ziel der Stellungnahme ist
es, im Vorfeld die speziellen Voraussetzungen zu beleuchten, die eine Notstandslage erfüllen muß, damit der RA die
entsprechenden ärztlichen Maßnahmen durchführen darf. Im wesentlichen geht es hierbei um das
Heilpraktikergesetz, das Heilmaßnahmen ausschließlich in die Hände von Ärzten und Heilpraktikern legt. Ein RA,
der ärztliche Maßnahmen durchführt, verstößt also gegen das Heilpraktikergesetz.
2.2.4
Hausfriedensbruch
§ 123 Hausfriedensbruch. (1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines
anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich
eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.
2.2.5
Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort
§ 142 Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort. (1) Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im
Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er
1.
zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines
Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, daß er an dem
Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat oder
2.
eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne daß jemand bereit war, die Feststellungen
zu treffen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Nach Absatz 1 wird auch ein Unfallbeteiligter bestraft, der sich
1.
nach Ablauf der Wartefrist (Absatz 1 Nr. 2) oder
9
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
2.
berechtigt oder entschuldigt
vom Unfallort entfernt hat und die Feststellungen nicht unverzüglich nachträglich ermöglicht.
(3) Der Verpflichtung, die Feststellungen nachträglich zu ermöglichen, genügt der Unfallbeteiligte, wenn er den
Berechtigten (Absatz 1 Nr. 1) oder einer nahe gelegenen Polizeidienststelle mitteilt, daß er an dem Unfall beteiligt
gewesen ist, und wenn er seine Anschrift, seinen Aufenthalt sowie das Kennzeichen und den Standort seines
Fahrzeugs angibt und dieses zu unverzüglichen Feststellungen für eine ihm zumutbare Zeit zur Verfügung hält. Dies
gilt nicht, wenn er durch sein Verhalten die Feststellungen absichtlich vereitelt.
(4) Das Gericht mildert in den Fällen der Absätze 1 und 2 die Strafe (§ 49 Abs. 1) oder kann von Strafe nach diesen
Vorschriften absehen, wenn der Unfallbeteiligte innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Unfall außerhalb
des fließenden Verkehrs, der ausschließlich nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat, freiwillig die Feststellung
nachträglich ermöglicht (Absatz 3).
(5) Unfallbeteiligter ist jeder, dessen Verhalten nach den Umständen zur Verursachung des Unfalls beigetragen
haben kann.
Beispiele
Rettungssanitäter R verursacht auf der Fahrt zu einem Notfalleinatz einen Verkehrsunfall, bei dem es nicht zu Personenschäden kam. Nach kurzer
Vergewisserung setzt die RTW-Besatzung die Signalfahrt fort. Hat sich R wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht? Wie,
wenn bei dem Verkehrsunfall eine Person verletzt wurde?
2.2.6
Verletzung von Privatgeheimnissen
§ 203 Verletzung von Privatgeheimnissen. (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum
persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm
als
1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Brufsausübung oder
die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
[...]
anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bestraft.
[...]
Um die Wahrung von Privatgeheimnissen auch gegenüber dem Staat zu gewährleisten, steht dem Arzt nach § 53 und
dem Assistenzpersonal nach § 53a Strafprozessordnung (StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Allerdings
können die genannten Personen vom Geheimnisträger, d.h. dem Patienten, von ihrer Schweigepflicht entbunden
werden. Die Grenze findet das Zeugnisverweigerungsrecht dort, wo daraus die Nichtanzeige geplanter Straftaten
(§ 138 StGB) resultiert, wenn es sich zum Beispiel um einen geplanten Mord, Totschlag oder Raub handelt.
Beispiele
Passant P, ein unerkannter Einbrecher, beobachtet, wie die bewußtlose B bei einem Sanitätsdienst versorgt wird. Er fragt den Rettungssanitäter R
nach deren Adresse, der bereitwillig Auskunft erteilt.
Rettungsassistent R verweigert dem Polizisten P gegenüber, der nach Aufnahme der Personalien des Radfahrers R aus dem RTW steigt und fragt,
ob R eine Alkoholfahne habe, die Auskunft. Zurecht?
Rettungsassistent R erfährt vom Patienten P, der bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, zufällig, daß dieser auf dem Weg zu einem
Raubüberfall war, den er mit zwei weiteren Beteiligten durchführen wollte. Ist R zur Anzeige berechtigt oder sogar verpflichtet?
2.2.7
Fahrlässige Tötung
§ 222 Fahrlässige Tötung. Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Beispiele
Rettungsassistent R bereitet auf Weisung des Notarztes, 40 mg Lasix aufzuziehen, versehentlich 20 mg Valium vor. Die Patientin verstirbt dreißig
Minuten später nach erfolgloser Reanimation.
Notarzt N weist den Sanitätshelfer S an, Aspisol aufzuziehen. Dabei bemerkt N große Unsicherheit beim unerfahrenen S, der statt Wasser Kalium
als Lösungsmittel verwendet. Der Patient verstirbt. Wer ist strafbar?
Rettungssanitäter R fährt mit Sondersignal über eine rote Ampel. Aus dem Windschatten der Straßenbahn taucht die Fahrerin eines Motorrollers
auf, kollidiert mit dem RTW und verstirbt noch an der Einsatzstelle. Strafbarkeit des R?
2.2.8
Körperverletzung
§ 223 Körperverletzung. (1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
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Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Definitionen9
Körperliche Mißhandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden
oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtgt wird.
Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustandes. Entscheidend ist das
Vorliegen eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands. Auf
Schmerzempfindungen kommt es nicht an. Eine psychische Störung reicht aus.
Beispiele
Lehrer L versetzte dem frechen Schüler S eine Ohrfeige, ohne ihn zu verletzen. Hat er sich wegen Körperverletzung strafbar gemacht?
Arzt A entnimmt der Patientin P eine Blutprobe, klärt sie aber nicht über das Infektionsrisiko auf. Als es zur Infektion der Einstichstelle kommt,
stellt sie Strafantrag wegen Körperverletzung. Erfolgreich?
2.2.9
Einwilligung
§ 228 Einwilligung. Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur
dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.
Die Einwilligung des Patienten im Rettungs- oder Sanitätsdienst kann ausdrücklich erfolgen. Sie ist wirksam, wenn
der Patient die gesamte Tragweite der Einwilligung überblicken kann. Im Normalfall besteht also eine
Aufklärungspflicht bezüglich sämtlicher Risiken eines Eingriffes. In der Notfallmedizin ist aber auch eine Einwilligung
wirksam, die wegen des zeitlichen Druckes in angemessener Weise verkürzt wird. Bei bewußtlosen Patienten kommt die
mußmaßliche Einwilligung in Betracht. Sie kann angenommen werden, wenn ein durchschnittlicher Mensch in
derselben Lage die Einwilligung erteilt hätte.
Beispiele
Rettungsassistent R möchte unter Notstandsbedingungen einen peripher-venösen Zugang legen und erhält die Einwilligung der P, weist jedoch
nicht darauf hin, daß er kein Arzt ist. Mangels Übung gehen mehrere Punktionsversuche daneben. Als die Patientin hört, daß R kein Arzt ist, stellt
sie Strafantrag. Erfolgreich?
Sanitätshelfer S fragt den gestürzten Radfahrer R, ob er dessen Hose zerschneiden darf, um eine Wundversorgung durchzuführen. Kann R in die
Sachbeschädigung einwilligen?
2.2.10 Fahrlässige Körperverletzung
§ 229 Fahrlässige Körperverletzung. Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person
verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Beispiele
Rettungssanitäter R fährt den RTW fünfzehn Meter rückwärts durch die Fußgängerzone. Frau F wird angefahren, kommt zu Fall und bricht sich
den Arm. Worin ist hier die Fahrlässigkeit des R zu sehen? Hat R sich strafbar gemacht?
Sanitätshelfer S trägt mit dem Kollegen einen Patienten im Sitzgriff über das Maimarktgelände. Nach 100 Metern ist seine Muskelkraft erschöpft.
Der Patient fällt auf den Boden und zieht sich Schürfwunden zu. Fahrlässige Körperverletzung?
Sanitätshelfer S findet auf einem Sanitätsdienst einen älteren Patienten P mit Schmerzen in der Brust und Atemnot. S denkt an eine
Kreislaufschwäche und lagert P mit flachem Oberkörper und erhöhten Beinen, woraufhin sich der Zustand des P rapide verschlechtert.
Fahrlässige Körperverletzung? Was, wenn S Rettungssanitäter wäre?
2.2.11 Freiheitsberaubung
§ 239 Freiheitsberaubung. (1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des
Opfers verursacht.
(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist
die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder
schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Beispiele
Bei einem Sanitätsdienst betreut der Sanitätshelfer X die Seniorin S. S versucht wiederholt, sich auf der Trage aufzurichten, woraufhin X die
Tragegurte schließt. Freiheitsberaubung?
Im fahrenden RTW entschließt sich Patient P, auszusteigen. Rettungsassistent R ist der Meinung, daß P jetzt auch mitfahren muß, bis er im
Krankenhaus ist. Schließlich hat er sich eingangs mit dem Transport einverstanden erklärt. Freiheitsberaubung?
9
vgl. Joecks, SK StGB, § 223 Rdn. 4 ff.
11
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
2.2.12 Nötigung
§ 240 Nötigung. (1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen
Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten
Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders
schwerer Fallliegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt,
2. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
3. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.
Beispiele
Ladendetektiv L erwischt Diebin D. Er verspricht ihr, von einer Anzeige abzusehen, wenn sie mit ihm den Beischlaf vollzieht. Hat sich L strafbar
gemacht?
Rettungsassistent R hat es seiner Ansicht nach nicht nötig, den RTW eigenhändig zu desinfizieren. Wachenleiter W droht ihm mit Kündigung.
Hat sich W wegen Nötigung strafbar gemacht?
Sanitätshelfer S will verhindern, daß Patient P das MC verläßt. P steht seiner Meinung nach unter Drogen. S droht P eine Anzeige an, falls dieser
sich nicht weiter behandeln läßt. Hat S sich strafbar gemacht?
2.2.13 Urkundenfälschung
§ 267 Urkundenfälschung. (1) Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte
Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders
schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder
Urkundenfälschung verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt,
3.
durch eine große Zahl von unechten oder verfälschten Urkunden die Sicherheit des Rechtsverkehrs
erheblich gefährdet oder
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.
(4) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer die Urkundenfälschung als Mitglied einer Bande, die sich zur
fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig
begeht.
Beispiele
Rettungsassistent R fürchtet, nicht mehr auf dem RTW eingesetzt zu werden, da er seine gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung nicht absolviert
hat. Er stellt sich eine Fortbildungsurkunde einer anderen Hilfsorganisation am Heim-PC her. Urkundenfälschung?
Rettungsassistent R besucht für Freund F, der ebenfalls Rettungsassistent ist, eine Fortbildung bei einer anderen Hilfsorganisation. Er trägt sich
mit dem Namen des F in der Teilnehmerliste ein. Die Bescheinigung wird auf F ausgestellt. Urkundenfälschung?
2.2.14 Sachbeschädigung
§ 303 Sachbeschädigung. (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Beispiele
Motorradfahrer M stürzt. Der hinzugerufene Rettungssanitäter R zückt die Kleiderschere, da das rechte Bein des M offensichtlich gebrochen ist.
M protestiert, die Lederhose habe € 650,-- gekostet. R läßt sich davon nicht beeindrucken. Er zerschneidet die Hose. Sachbeschädigung?
Die Rettungswache veranstaltet einen Ausflug in den Schwarzwald. Jenseits der Zivilisation läßt A dem B, über den er sich geärgert hat, die Luft
aus den Autoreifen. Sachbeschädigung? Wie, wenn der Wagen in der Nähe einer Tankstelle gestanden hätte?
2.2.15 Unterlassene Hilfeleistung
§ 323c Unterlassene Hilfeleistung. Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet,
obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr
und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit
Geldstrafe bestraft.
12
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Beispiele
Mutter M befährt mit ihren beiden Kindern im Fonds die Autobahn. Sie kommt an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden vorbei, steigt
jedoch nicht aus dem Wagen, um ihre Kinder nicht allein zu lassen. Stattdessen ruft sie den Rettungsdienst mit ihrem Handy. Unterlassene
Hilfeleistung?
Sanitätshelfer S behandelt im MC eine ältere Patientin P. Plötzlich fängt das Zelt Feuer. S läßt P zurück und bringt statt der P zwei Notfallkoffer
in Sicherheit. P erleidet Brandwunden, bevor Kollegen zu Hilfe eilen. Unterlassene Hilfeleistung?
2.3
Privatrecht
2.3.1
Schadensersatz aus Vertrag
§ 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung. (1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis,
so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner
die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
Beispiel
Rettungssanitäter R fährt zu einem Krankentransport-Einsatz. In der Wohnung des Patienten stößt er mit seiner riesigen Maglite eine kostbare
Vase von der Komode. Muß er die Vase ersetzen?
Welche Pflicht aus welchem Schuldverhältnis wurde hier verletzt? (► 1.5.1)
Muß R persönlich zahlen? (► 2.3.2)
2.3.2
Haftung für Erfüllungsgehilfen
§ 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte. Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen
Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfange zu
vertreten wie eigenes Verschulden. [...]
Beispiel
Rettungssanitäter R läßt aufgrund einer Unachtsamkeit den Patienten P aus dem Sitzgriff fallen. P zieht sich eine Unterarmfraktur zu. Heilkosten
und Schmerzensgeld belaufen sich auf € 1.500,--. Gegen wen kann P seinen Anspruch geltend machen?
2.3.3
Geschäftsführung ohne Auftrag (► 1.5.2)
Voraussetzungen für eine berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA):





Geschäftsbesorgung
Fremdheit des besorgten Geschäftes für den Geschäftsführer
Fremdgeschäftsführungswille
Fehlen einer rechtlichen Beziehung (z.B. Auftrag) zwischen Geschäftsherrn und Geschäftsführer
Berechtigung zur GoA
Eine GoA ist berechtigt, wenn sie dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn
entspricht oder dessen Wille unbeachtlich ist (§ 679 BGB). Unbeachtlich in dem Fall, daß die Geschäfsbesorgung
eine Pflicht des Geschäftsherrn erfüllt, die im öffentlichen Interesse liegt.
Beispiel
Nach einem Verkehrsunfall steht der Pkw des X quer auf der linken Spur einer Autobahn. Die Polizei informiert einen Abschleppunternehmer,
der wenig später an der Unfallstelle eintrifft. X möchte den Wagen aber lieber kostenlos von seinem Schwager S abschleppen lassen. Ist er
trotzdem verpflichtet, den Abschleppdienst zu bezahlen?
Für Ersthelfer und Sanitätshelfer, die als Ersthelfer zu einem Notfallort kommen, stellt § 680 BGB eine weitere
wichtige Norm dar.
§ 680 Geschäftsführung zur Gefahrenabwehr. Bezweckt die Geschäftsführung die Abwendung einer dem
Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr, so hat der Geschäftsführer nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu
vertreten.
Beispiel
Der frisch gebackene Sanitätshelfer S kommt mit seinem Fahrrad zufällig an einem Verkehrsunfall vorbei. Er rettet die Bewußtlose B fachgerecht
aus ihrem Fahrzeug. Bei der stabilen Seitenlage jedoch kommt es durch Fahrlässigkeit des S zu einer Unterarmfraktur der B. Muß S für die
Heilbehandlung aufkommen bzw. Schmerzensgeld zahlen?
Aus der berechtigten GoA zur Gefahrenabwehr folgt desweiteren, daß der Geschäftsherr zum Ersatze desjenigen
Schadens verpflichtet ist, den der Geschäftsführer in dieser Situation typischerweise erleidet.
13
Rechtsgrundlagen für Rettungs- und Sanitätsdienst
Beispiel
Ersthelfer E entdeckt auf dem Heimweg ein Fahrzeug, das sich überschlagen hat und auf einem frisch gedüngten Acker liegenblieb. Er rettet den
Fahrer F fachgerecht und stellt eine stabile Seitenlage her, um im Anschluß einen Notruf abzusetzen. Nach der Hilfeleistung stellt er fest: Die
Schlangenlederstiefel sind nicht zu retten. Muß F dem E seine Stiefel ersetzen?
2.3.4
Schadensersatz aus unerlaubter Handlung
§ 823 Schadensersatzpflicht. (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig des Leben, den Körper, die Gesundheit, die
Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze
des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz
verstößt. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die
Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Beispiele
X fährt den Y auf einem Fußgängerüberweg mit dem Auto an. Der begehrt Schadensersatz: € 350,-- für Heilbehandlungskosten, € 600,-- für
einwöchigen Verdienstausfall und € 500,-- Schmerzensgeld. Was davon muß Y zahlen?
Rettungsassistent R legt der Patientin P einen peripher-venösen Zugang, ohne dringende Indikation und ohne den Notarzt alarmiert zu haben,
einfach „zur Sicherheit“. Die Punktionsstelle entzündet sich, da mangelhaft desinfiziert wurde. Mit welchen rechtlichen Folgen muß R rechnen,
und auf welche Grundlagen lassen sich diese stützen?
Rettungssanitäter X befördert im Sinne eines Krankentransportes eine somnolente Seniorin S wegen schlechten Allgemeinzustandes von ihrem
Pflegeheim in ein Krankenhaus. Wegen des kleinen Zimmers findet die Umlagerung auf dem Gang statt. Bevor X die entblößte P zudecken kann,
entdeckt er die ihm bekannte Krankenschwester K und zieht sich mitsamt seinem Kollegen in’s Schwesternzimmer zurück. Die Angehörige A der
P trifft jetzt ebenfalls ein, entdeckt P entblößt auf dem Gang und begehrt für P Schmerzensgeld in Höhe von € 1.000,-- von X. Zurecht?
2.3.5
Haftung für den Verrichtungsgehilfen
§ 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen. (1) Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatze
des Schadens verpflichtet, den der andere in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die
Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er
Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der
Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder wenn der Schaden auch bei
Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.
(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher für den Geschäftsherrn die Besorgung eines der im
Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Geschäfte durch Vertrag übernimmt.
Beispiele
Im Rahmen eines Sanitätsdienstes trägt Sanitätshelfer S die Patientin P im Sitzgriff über das Maimarktgelände. Im MC angekommen fällt ihm
beim Absetzen der P deren Handtasche zu Boden, die er lässig über die Schulter geworfen hatte. Eine Flasche Médoc im Wert von € 75,-- geht zu
Bruch. Dadurch wird ferner die Krokodillederhandtasche (€ 350,--) ruiniert. Tritt hier eine Schadensersatzpflicht ein? An wen kann sich die P ggf.
wenden?
3.
Quellenverzeichnis
Arzt, Gunter
Brox, Hans
Haft, Fritjof
Ipsen, Jörn
Joecks, Wolfgang
Kötz, Hein
Wagner, Gerhard
Lissel, Patrick
Musielak, Hans-Joachim
Schmidt, Rolf
Seidel, Stephanie
Schmidt, Rolf
Tries, Ralf
Wessels, Johannes
Beulke, Werner
Einführung in die Rechtswissenschaft, 1. Auflage, Bern 1996
Allgemeiner Teil des BGB, 24. Auflage, Münster 2000
zitiert als „Brox BGB AT“
Strafrecht, Allgemeiner Teil, 8. Auflage München 1998
zitiert als „Haft, Strafrecht AT“
Staatsrecht II, 5. Auflage, Osnabrück 2002
Studienkommentar StGB, 3. Auflage, München 2001
zitiert als „Joecks, SK StGB“
Deliktsrecht, 9. Auflage, Hamburg/Bonn 2001
zitiert als „Kötz/Wagner, Deliktsrecht“
Rechtsfragen im Rettungswesen, Boorberg Verlag Stuttgart, München,
3-415-02497-0
Grundkurs BGB, 7. Auflage München 2002
zitiert als „Musielak, Grundkurs BGB“
Grundrechte, 2. Auflage, Bremen 2001
Staatsorganisationsrecht, 2. Auflage, Bremen 2001
Strafrechtliche Probleme im Rettungsdienst, S&K Verlag Edewecht
3-932750-06-3
Strafrecht Allgemeiner Teil, 30 Auflage, Passau 2000
zitiert als „Wessels/Beulke, Strafrecht AT“
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