Gesetz gegen Werbung für Suizidbeihilfe geplant

Werbung
RECHT
Gesetz gegen Werbung für
Suizidbeihilfe geplant
Der Gesetzentwurf aus Rheinland-Pfalz ist nicht haltbar
VON RECHTSANWALT DR.
JUR.
OLIVER KAUTZ
m schwarz-gelben Koalitionsvertrag 2009
wurde für die laufende Legislaturperiode
eine Regelung über die Strafbarkeit der
gewerbsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung angekündigt.
Aus dem von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geführten Bundesjustizministerium sind keine Initiativen bekannt
geworden, die eine Umsetzung dieser Koalitionsvereinbarung planen. Denn die verfassungsrechtlichen Hürden für eine Regelung sind hoch und mit unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung schwerlich in Einklang zu bringen.
Einzelne Bundesländer hatten 2006 den
Versuch unternommen, die gewerbsmäßige Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen.
Der damalige Gesetzentwurf war wenig
durchdacht und verletzte in vielfältiger
Weise das Verfassungsrecht (vgl. HLS
2006-3, S. 4 - 7 und 13).
Werbeverbot für
Suizidbegleitung
Der Justizminister von Rheinland-Pfalz,
Heinz-Georg Bamberger (SPD), unternimmt nun einen neuen Vorstoß und fordert wegen dieser berechtigten „verfassungsrechtlichen Bedenken“ nur noch ein
Werbeverbot für kommerzielle Sterbehilfe.
Bamberger wörtlich: „Kranke und depressive Menschen, die in Not sind, dürfen nicht
durch perfide Werbung dazu gebracht werden, sich umzubringen.“ Vom Bundesland
Rheinland-Pfalz wurde daher ein Gesetzentwurf für einen § 217 Strafgesetzbuch in
den Bundesrat eingebracht (vgl. Kasten,
S. 49). Der Gesetzentwurf sieht vor, diejenigen, die in grob anstößiger Weise öffentlich Freitodbegleitung anbieten, mit bis zu
zwei Jahren Gefängnis zu bestrafen. Strafbar machen sich auch alle, die grob anstößige Werbeslogans in diesem Bereich verbreiten. Das reicht Justizminister
Bamberger nicht: Strafbar macht sich auch,
wer öffentlich über Wege in den Freitod informiert und dem es um Geld geht.
48
Humanes Leben · Humanes Sterben 2010-2
Bild: Archiv
I
„Der große Pfusch“ ist im Geschäft der PolitProfis keine Seltenheit: Mehr und mehr musste
bei Gesetzen und Praktiken, die den Bogen
überspannt haben, das Bundesverfassungsgericht einschreiten. Der hektische Politikbetrieb
ergreift gerne den Arm des Gesetzgebers, statt
die Ursachen zu bekämpfen. Fehlen etwa Strafgesetze gegen verfassungswidrig handelnde
Parlamentarier und Politiker?
Der Gesetzentwurf verkennt die Funktionen des Strafrechts, ist handwerklich
mangelhaft und verfassungsrechtlich kaum
haltbar. Dass dieser Gesetzentwurf es in
der vorliegenden Form bis in den Bundestag gebracht hat, ist kaum zu glauben.
Warum strafen wir?
Der vorgesehene § 217 StGB kann als
„Lex Kusch“ bezeichnet werden. Auch
wenn der Name des vormaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch (damals
CDU) nicht erwähnt wird, ist ersichtlich,
dass vornehmlich Kusch gehindert werden
soll, seine „Selbstötungsmaschine“ und
seine Sterbehilfevereine zu präsentieren.
Kann das Verhalten eines Einzelnen dazu
führen, dass künftig alle Bürger vor derartigen Präsentationen durch eine drakonische Strafvorschrift geschützt werden müs-
sen? Ist Roger Kusch so gefährlich, dass
man im Strafrecht neue Wege gehen muss?
Das Strafrecht hat einen fragmentarischen Charakter. Strafbarkeitslücken sind
dabei kein überzeugendes Argument für
Gesetzesinitiativen. § 217 StGB läuft diesem fragmentarischen Charakter des Strafrechts zuwider und steht nicht im Einklang
mit unserem Grundgesetz.
Strafrecht ist das schärfste Mittel, mit
dem der Staat in die Grundrechte des Bürgers eingreifen kann, um Wertvorstellungen durchzusetzen. Die Strafe muss äußerstes Mittel („ultima ratio“) der Politik
bleiben und bedarf besonderer Legitimation und Anwendungssorgfalt. Strafrecht
wird daher auch als „angewandtes Verfassungsrecht“ bezeichnet.
Die gesellschaftliche Wirklichkeit muss
ein unabwendbares Bedürfnis widerspiegeln, das strafrechtliche Sanktionen erfordert. Die Frage nach der Schutzbedürftigkeit bestimmter Werte, das Rechtsgüterschutzprinzip, konkretisiert die von der
Verfassungsdogmatik definierte Maxime
der „Erforderlichkeit“ des Staatseingriffs.
Die Bürger befürworten mehrheitlich die
Zulässigkeit der Sterbebegleitung nach einem Suizidversuch und des ärztlich assistierten Suizids, die heute noch strafbar
sind. Werbung für eine Suizidbegleitung
wird von der Bevölkerung nicht überwiegend als grob anstößig beurteilt. § 217
StGB ist weder erforderlich noch angemessen noch verhältnismäßig, sondern
überflüssig und schädlich, da von den tatsächlichen Problemen im Bereich der Sterbehilfe abgelenkt wird.
Es gibt eine vergleichbare Regelung
(§ 219a StGB), die Werbung für den
Schwangerschaftsabbruch unter Strafe
stellt. Diese Vorschrift führt ein Schattendasein und kommt kaum zur Anwendung.
Die Entwurfsverfasser haben § 219a StGB
Wort für Wort abgeschrieben und lediglich die Worte „Schwangerschaftsabbruch“
durch „Selbsttötung“ ersetzt. Systematisch
Bild: Schobert
Bislang waren Regierungen
und Gesetzgeber nicht fähig,
die existenzielle Frage des
Sterbens in umfassenden Gesetzen zur Sterbebegleitung
& -hilfe zu regeln. Vieles
bleibt Stückwerk mit Nachbesserungsvorbehalten. Die
DGHS fordert seit vielen Jahren umfassende Regelungen,
die auch dem Selbstbestimmungsrecht als Verfassungssowie Menschenrecht entsprechen. Hier ein Kommentar zur Europäischen Menschenrechts-Konvention
(EMRK).
sachliche Information über
Suizidbeihilfe durch Personen,
denen es nicht um Geld geht.“
Straffrei bleibt also, wer sachlich ohne finanzielles Interesse
über Möglichkeiten der Suizidbeihilfe berichtet. Im Umkehrschluss muss demnach die
sachliche Information über
Suizidbeihilfe mit einer Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren geahndet werden, wenn
nur der Informierende (auch)
aus wirtschaftlichem Interesse
handelt.
Wenn
also demnächst im „Spiewurde dabei eine Kleinigkeit übersehen:
gel“ sachlich und sehr detailliert über SuiDer Schwangerschaftsabbruch ist grundzidbeihilfe in der Schweiz berichtet wird,
sätzlich strafbar, und nur bei Vorliegen besind Journalist und Redakteur künftig
stimmter Umstände entfällt die Tatbestrafrechtlich belangbar?
standsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der
Nach dem Entwurf sollen alle MaßnahHandlung. An der grundsätzlichen Strafmen der Palliativmedizin, die von der Sterbarkeit ändert dies nichts. Die Selbsttötung
bebegleitung, nicht aber von einer Suizidist dagegen nicht strafbar und die Beihilfe
förderung geprägt sind, zulässig bleiben.
hierzu ist straflos. Dies führt in § 217 StGB
Der Sinn dieser Ausführungen erschließt
zu einer Reihe von Ungereimtheiten. Da
sich nicht, da Regelungsgegenstand des
Sterbehilfegesellschaften nicht profitoEntwurfs das Werbeverbot, nicht aber die
rientiert arbeiten, fallen diese aus dem AnZulässigkeit palliativmedizinischer Maßwendungsbereich des Gesetzes heraus, es
nahmen ist. Der Gesetzgeber meint, dass
sei denn, es würde grob anstößige Werfür Palliativmedizin ohne Suizidförderung
bung veröffentlicht. Hierzu gibt es keine
geworben werden darf. Übersehen wird,
Erkenntnisse.
dass (nicht nur) nach den neuen BestimEs wurden in der aktuellen Gesetzesbemungen zur Patientenverfügung der Stergründung Kommentarstellen zu § 219a
bewunsch auch dann zu respektieren ist,
StGB wörtlich übernommen, was zu merkwenn das Leiden noch keinen irreversiwürdigen Ergebnissen führt. In der Gesetblen Verlauf genommen hat oder der Tod
zesbegründung findet sich so die Erklänicht unmittelbar bevorsteht. Auch in zahlrung: „Nicht erfasst werden soll die
reichen christlichen Hospizen
wird der selbstbestimmte Behandlungsabbruch akzeptiert
und Pflegemaßnahmen für die
Betroffenen angeboten. Mittelbar ist damit von
einer Suizidförderung auszugehen. Für ihre
Leistungen verlangen die Hospize auch „reguläre Honorare“. Die sachliche Information
der
Hospize
über
die
SterbeWill der von SPD-Politik-Profi Kurt Beck eingereichte Gesetzentwurf auch die
begleitung
könWerbung für Suizid auf Raten verbieten lassen?
nte nach dem in Aussicht gestellten § 217
StGB in Einzelfällen strafbar sein.
Ausblick
Der Gesetzentwurf hat bei Autoren, die
der Sterbehilfe kritisch gegenüber stehen,
Skepsis hervorgerufen. So hat sich Oliver
Tolmein in seinem Internet-Blog (zu
Recht) über den Gesetzentwurf lustig gemacht. Auch Thorsten Verrel, Strafrechtsprofessor und ausgewiesener Experte im
Bereich der Sterbehilfe, der den ärztlich
begleiteten Suizid befürwortet, hat verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.
Es besteht zwar Einigkeit, dass die kommerzielle, profitorientierte Beihilfe zum
Suizid abzulehnen ist. Das rechtfertigt aber
nicht die vorgesehene strafrechtliche Regelung. Roger Kusch könnte nach diesen
Bestimmungen voraussichtlich nicht belangt werden. Denn ein wirtschaftliches
Interesse kann ihm nicht unterstellt und
schon gar nicht nachgewiesen werden. Eine
Diskussion über „grobe Anstößigkeit“
sollte der Gesetzgeber allen ersparen.
Beim vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um eine Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien und eine Instrumentalisierung des Strafrechts im Rahmen
einer »symbolischen« Politik.
Die geplante gesetzliche
Regelung lautet wie folgt:
§ 217 Werbung für Suizidbeihilfe
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von
Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob
anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur
Vornahme oder Förderung einer
Selbsttötung oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Selbsttötung geeignet
sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist
oder Erklärungen solchen Inhalts bekannt gibt, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Hat die Werbung zur Folge, dass
eine Person unter Inanspruchnahme
der Angebote des Absatzes 1 eine
Selbsttötung unternimmt, so ist die
Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
Humanes Leben · Humanes Sterben 2010-2
49
Herunterladen