Der Schengen

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Zusatzthema Modul 5 Binnenmarkt
Der Schengenraum
Der Binnenmarkt wurde am 1. Januar 1993 „eröffnet“. Die Mitgliedstaaten hatten aber in einer Zusatzerklärung zur Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 vorsorglich erklärt, dass
dies „keine automatische rechtliche Wirkung“ mit sich bringe. Deshalb waren weiterhin Personenkontrollen an den Binnengrenzen möglich. Um die Grenzen untereinander vollends zu
öffnen, schlossen Deutschland, Frankreich und die drei Beneluxstaaten am 14. Juni 1985
untereinander ein völkerrechtliches (außerhalb der EU stehendes) Übereinkommen im luxemburgischen Ort Schengen. Sie vereinbarten darin, dass ihre Binnengrenzen an jeder
Stelle ohne Personenkontrollen überquert werden dürfen, sobald das Übereinkommen in
Kraft ist (Schengen I). Da nicht alle Mitgliedstaaten der EU die Grenzkontrollen aufheben
wollten, war dieser völkerrechtliche Weg außerhalb der Gemeinschaft nötig geworden.
Es dauerte aber noch fünf Jahre, bis alle strittigen Fragen wegen unterschiedlichen Asylrechts in den Mitgliedstaaten, unterschiedlicher Waffen- und Drogengesetze oder bei Verfolgung von Straftätern über die Binnengrenzen hinweg am 19. Juni 1990 in einem Zusatzabkommen (Schengen II) gelöst werden konnten. Beide Schengener Übereinkommen konnten
dann nach Ratifizierung in den beteiligten Staaten am 26. März 1995 in Kraft treten.
Heute, im Jahr 2012, sind Personenkontrollen an den Grenzen zwischen allen Staaten abgeschafft, die den Übereinkommen beigetreten sind, das sind 22 EU-Staaten (alle außer
Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien und Rumänien) sowie die EFTA-Staaten Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein. Der gesamte „Schengen-Besitzstand“ ist in einem Protokoll zum Vertrag von Lissabon (Protokoll Nr. 19) erstmals in den Rahmen der EU
einbezogen. Weil nun alle Personen beim Grenzübertritt im Schengenraum nicht mehr kontrolliert werden, mussten die Kontrollen an den Außengrenzen der EU verstärkt werden. Das
hat der EU den Vorwurf eingebracht, sich gegen Asylsuchende abzuschotten („Festung Europa“).
Seit der vollständigen Abschaffung der Binnengrenzkontrollen können alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger frei von einem Schengenstaat zum anderen reisen. Staatsangehörige
aus Drittstaaten, die ein von einem Schengenstaat ausgestelltes und räumlich nicht beschränktes Visum (gemeinsames Schengen-Visum) haben, dürfen sich auch in den anderen
Schengenstaaten aufhalten; beim Passieren der Binnengrenzen werden auch sie nicht kontrolliert. Alle Angehörigen dritter Staaten, die sich mit einer gültigen Aufenthaltsgenehmigung
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legal in einem Schengenstaat aufhalten, können mit einem gültigen Reisepass visumfrei bis
zu drei Monaten pro Halbjahr in die anderen Schengenstaaten reisen.
Folgende Staaten wenden die Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes vollständig an
(sog. Schengen-Vollanwenderstaaten):
Land
Wegfall der Grenzkontrollen
Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, 26.03.1995
Luxemburg, Niederlande, Portugal, Spanien
Österreich
01.12.1997
Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Schweden
01.12.2000
Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei,
Slowenien, Tschechien, Ungarn
21.12.2007
Schweiz
12.12.2008 (Landgrenzen),
29.03.2009 (Luftgrenzen)
19. 12. 2011
voraussichtlich September 2012
Liechtenstein
Bulgarien, Rumänien
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Der Europäische Rat hat im März 2012 bestätigt, dass alle rechtlichen Voraussetzungen
erfüllt sind, damit der Beschluss über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengenraum im September 2012 gefasst werden kann.
Sonderregelungen
Für Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich sind Sonderregelungen vorgesehen.
Dänemark wendet den Schengener Besitzstand voll an, kann aber von Fall zu Fall entscheiden, ob es sich an der Weiterentwicklung des Schengener Besitzstands beteiligt und ob es
das ohne seine Beteiligung entstandene Unionsrecht als nationales Recht anwenden will.
Dänemark stellt Schengen-Visa aus.
Irland und das Vereinigte Königreich sind keine Schengenstaaten. Sie können den Schengen-Besitzstand mit Billigung des Rates der EU ganz oder teilweise übernehmen und sich an
seiner Weiterentwicklung beteiligen. Sie stellen keine Schengen-Visa aus. Beide Staaten
wenden das Schengener Abkommen nur teilweise an. Grenzkontrollen finden aber nach wie
vor statt.
Zypern ist ein Sonderfall wegen der Demarkationslinie zu Nordzypern, das faktisch nicht zum
Schengenraum zählen kann. Vor Lösung des Zypernkonflikts kann nicht über den Beitritt der
Insel zum Schengenraum entschieden werden.
Andorra, Monaco, San Marino und Monaco sind keine Schengenstaaten, außer in Andorra
gab es jedoch auch zuvor schon keine Zoll- oder Passkontrollen zu den benachbarten EUStaaten Spanien, Frankreich und Italien.
Der Schengen-Grenzkodex
Im März 2006 haben das EP und der Rat eine Verordnung („Schengen-Grenzkodex“) erlassen, die das Überschreiten der Grenzen durch Personen regelt, insbesondere der Außengrenzen. Artikel 23 der Verordnung erlaubt es Mitgliedstaaten, an ihren Grenzen zu einem
anderen Schengenstaat bei einer (in der Regel voraussehbaren) „schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ ausnahmsweise und vorübergehend
(bis zu 30 Tagen) wieder Grenzkontrollen einzuführen. Eine solche Absicht muss den anderen Mitgliedstaaten so schnell wie möglich und mit Angabe der Gründe bekanntgegeben
werden. Auf diese Weise können beispielsweise gewaltbereite Demonstranten von der Teilnahme an Protesten bei Gipfeltreffen oder Hooligans von Reisen zu Fußballspielen abgehalten werden.
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Muss „Schengen“ reformiert werden?
Der Flüchtlingsstrom aus Nordafrika im Frühjahr 2011 hat zu einer Diskussion über eine Reform der Schengen-Bestimmungen geführt. Der Europäische Rat hat damals die Kommission beauftragt, Vorschläge zu unterbreiten für eine Lösung der Probleme, die entstehen,
wenn Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, die Außengrenzen der EU so zu sichern, wie
„Schengen“ es verlangt. Die Kommission schlägt vor, dass es mehr Gründe für eine vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen geben soll, etwa bei unvorhergesehenen Notfällen, zu denen auch ein massiver Flüchtlingsstrom zählen kann. In solchen Fällen
soll ein Mitgliedstaat seine Grenzen für maximal fünf Tage auch ohne Absprache mit seinen
Nachbarstaaten kontrollieren dürfen. Eine Verlängerung der Kontrollen über fünf Tage hinaus soll jedoch nur nach Prüfung und Genehmigung durch die Kommission möglich sein. Im
September 2011 hat der Rat der Justiz- und Innenminister erstmals über den Vorschlag der
Kommission beraten. Mehrere EU-Staaten lehnen es ab, dass Entscheidungen über Grenzkontrollen der nationalen Hoheit entzogen und auf EU-Ebene verlagert werden sollen.
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