Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 23. April 2008 08.107 Totalrevision des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz) Verfassung des Kantons Aargau; Teilrevision Haftungsgesetz (HG) Bericht und Entwurf zur 1. Beratung -3- Inhaltsverzeichnis 1. Ausgangslage ............................................................................................................. 5 2. Handlungsbedarf beim kantonalen Haftungsrecht .................................................. 6 2.1 Handlungsbedarf auf Verfassungsstufe (§ 75 KV) ............................................... 6 2.1.1 Verhältnis zu den selbstständigen Organisationen des Gemeinwesens (Dezentralisierung) ...................................................................................... 6 2.1.2 Verhältnis zu Privaten, die ausserhalb der ordentlichen Verwaltung von Kanton und Gemeinden öffentliche Aufgaben erfüllen (Outsourcing) ........ 12 2.1.3 Beurteilung der Haftungsvarianten im Anhörungsverfahren; tabellarische Übersicht .............................................................................. 14 2.1.4 Öffentliche Aufgaben................................................................................. 15 2.1.5 Privatrechtliche Tätigkeiten des Gemeinwesens ....................................... 16 2.1.6 Wegfall des Beamtenstatus....................................................................... 16 2.2 Handlungsbedarf und Lösungen auf Gesetzesstufe ...........................................16 2.2.1 Generelle Charakterisierung des kantonalen Haftungsrechts .................... 16 2.2.2 Handlungsbedarf und Lösungen für Zuständigkeiten und Verfahren bei der Geltendmachung von Schadenersatz im Aussenverhältnis ................ 17 2.2.3 Handlungsbedarf beim materiellen Staatshaftungsrecht ........................... 19 2.3 Handlungsbedarf auf Dekrets- und Verordnungsstufe ........................................20 3. Auswirkungen der vorgeschlagenen Lösungen .....................................................20 4. Erforderliche finanzielle und personelle Mittel im Vollzug .....................................21 5. Weitere Auswirkungen ..............................................................................................22 6. Die Bestimmungen im Einzelnen .............................................................................22 6.1 Kantonsverfassung (KV) ....................................................................................22 6.1.1 § 75 Abs. 1–3 KV ...................................................................................... 22 6.1.2 § 100 Abs. 3 (neu) KV ............................................................................... 24 6.2 Das neue Haftungsgesetz (HG) .........................................................................25 6.2.1 Haftung für Schaden ................................................................................. 26 6.2.2 Geltendmachung des Haftungsanspruchs................................................. 33 6.2.3 Rückgriff auf die Schaden verursachende Person ..................................... 34 6.2.4 Schluss- und Übergangsbestimmungen .................................................... 36 6.2.5 Fremdänderung ........................................................................................ 37 6.2.6 Fremdaufhebungen ................................................................................... 37 6.2.7 Schluss ..................................................................................................... 39 A n t r a g : ......................................................................................................................... 36 -4- Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zur Totalrevision des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz) sowie zur Teilrevision der Kantonsverfassung (KV) zum Beschluss. Zusammenfassung Das geltende Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons Aargau aus dem Jahr 1939 macht die Haftung von Kanton und Gemeinden für Schäden, die Dritten aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben entstehen, vom Verschulden abhängig. Die Kantonsverfassung (KV) von 1980 sieht demgegenüber in § 75 eine verschuldensunabhängige Haftung des Gemeinwesens vor. Der Grosse Rat beauftragte daher den Regierungsrat mittels Motion, die Totalrevision des Verantwortlichkeitsgesetzes anhand zu nehmen. Mit der Totalrevision des Verantwortlichkeitsgesetzes sollen folgende Hauptziele verwirklicht werden: 1. Verfassungskonformität des Haftungsrechts von Kanton und Gemeinden; 2. Aktualisiertes, an die heutigen Anforderungen angepasstes vermögensrechtliches Haftungsrecht; 3. Einfach handhabbares, möglichst kohärentes Entschädigungssystem des kantonalen Haftungsrechts; 4. Abschreibung der Motion Dr. Benno Studer, Frick. Der Regierungsrat liess sich bei der Revision von § 75 Abs. 1 KV und des Verantwortlichkeitsgesetzes von vier Haftungsgrundsätzen leiten: Der Kanton und die Gemeinden haften für den Schaden, den ihre Behörden, Beamten und übrigen Mitarbeitenden in Ausübung der amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich verursachen (Grundsatz 1). Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für den von ihnen widerrechtlich verursachten Schaden mit ihrem Vermögen; reicht dieses zur Deckung des Schadens nicht aus, haftet das auftraggebende Gemeinwesen für den Ausfall (Grundsatz 2). Private, die vom Gemeinwesen übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für dabei verursachte Schäden mit ihrem eigenen Vermögen. Eine Ausfallhaftung des Gemeinwesens entfällt. Ansprüche sind nach den Bestimmungen des Bundesprivatrechts auf zivilprozessualem Weg geltend zu machen (Grundsatz 3). Das (formelle) Gesetz kann Ausnahmen von diesen drei Haftungsgrundsätzen vorsehen (Grundsatz 4). Im Botschaftstext ist statt von Haftungsgrundsätzen meistens von Haftungsvarianten die Rede. -5- Das revidierte Gesetz sieht vor, Haftungsklagen gegen Kanton und Gemeinden nicht mehr wie bisher auf dem Weg des Zivilprozesses, sondern auf dem Weg der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend zu machen. Dadurch wird eine einheitlichere Handhabung des Haftungsrechts des Gemeinwesens sichergestellt. Dieser Zuständigkeitswechsel von den Zivilgerichten zum Verwaltungsgericht hat eine Entlastung der Bezirksgerichte und des Obergerichts auf der einen Seite und eine Mehrbelastung des Verwaltungsgerichts auf der andern Seite zur Folge. Die bisherige Zuständigkeit des Personalrekursgerichts zur Beurteilung von Rückgriffsansprüchen bleibt unverändert. Die Vorlage zieht auch keine grösseren Veränderungen für die Gemeinden nach sich. Das federführende Departement Finanzen und Ressourcen führte von Mitte September 2007 bis Ende November 2007 das Vernehmlassungsverfahren zum Entwurf für ein neues Haftungsgesetz (HG) durch. Die Totalrevision des Verantwortlichkeitsgesetzes und die angestrebten Revisionsziele wurden ausnahmslos befürwortet. Der Vorschlag, Haftungsansprüche künftig nicht mehr wie bisher auf dem Weg des Zivilprozesses, sondern auf dem Weg der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend zu machen, stiess ebenfalls ohne Ausnahme auf Zustimmung. Kritisch bis ablehnend beurteilt wurde hingegen das im damaligen Gesetzesentwurf vorgesehene Vorverfahren zur verwaltungsgerichtlichen Klage, auf das im vorliegenden Gesetzesentwurf verzichtet wird. Differenzierter fiel die Beurteilung der im Vernehmlassungsentwurf vorgeschlagenen drei Haftungsvarianten aus. Gemäss Zeitplanung sollte eine Inkraftsetzung der revidierten Rechtsgrundlagen per 1. Januar 2010 möglich sein. 1. Ausgangslage Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass im Zusammenhang mit der Ausübung staatlicher Tätigkeit gelegentlich Dritte geschädigt werden. Das Haftungsrecht (vermögensrechtliche Verantwortlichkeit) hat die Frage zu beantworten, wer unter welchen Voraussetzungen Schadenersatz zu leisten hat. Das geltende Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons Aargau aus dem Jahr 1939 (SAR 150.100) macht die Haftung von Kanton und Gemeinden vom Verschulden abhängig. Die Kantonsverfassung (KV) von 1980 sieht demgegenüber in § 75 eine verschuldensunabhängige Haftung des Gemeinwesens vor. Der Grosse Rat beauftragte daher den Regierungsrat mittels Motion, die Totalrevision des Verantwortlichkeitsgesetzes anhand zu nehmen. Ein in den 90er-Jahren gestartetes Rechtssetzungsprojekt wurde nach dem Vernehmlassungsverfahren gestoppt, da bemängelt wurde, dass der Handlungsbedarf und dessen Dringlichkeit nirgends ausgewiesen seien. Auch sollte mit der Überarbeitung bis zum Abschluss der Revision (Vereinheitlichung) des Haftpflichtrechts auf Bundesebene zugewartet werden. Dieses Projekt ist dann aber auf unbestimmte Zeit im politischen Prozess des Bundes stecken geblieben. -6- Die vermögensrechtliche Haftung ist grundsätzlich im Obligationenrecht (OR) geregelt. Art. 61 OR gibt den Kantonen jedoch die Befugnis, die Haftung für widerrechtlich zugefügte Schäden, die in Ausübung der öffentlichen (amtlichen) Tätigkeit verursacht werden, abweichend von den obligationenrechtlichen Bestimmungen zu regeln. Dies hat der Kanton Aargau vorab in § 75 KV getan, worin er eine primäre und kausale Haftung von Kanton und Gemeinden für diese Schäden vorsieht. Keine kantonalrechtlichen Abweichungen zum Bundesprivatrecht sind in denjenigen Tätigkeitsbereichen möglich, in welchen das Gemeinwesen gewerblich, das heisst rein privatrechtlich, auftritt. Eine vom Departement Finanzen und Ressourcen einberufene Arbeitsgruppe nahm im Frühjahr 2006 ihre Arbeit auf. Der rechtssetzerische Handlungsbedarf wurde aufgrund einer Analyse der rechtlichen Grundlagen ermittelt. Die Evaluation des Haftungsrisikos erfolgte aufgrund einer Erhebung der Anzahl Haftungsfälle und der geltend gemachten Forderungssummen im Zeitraum der letzten 10 Jahre. Nicht Gegenstand der Revision sind die strafrechtliche, disziplinarische und politische/gesellschaftliche Verantwortlichkeit. Das revidierte Verantwortlichkeitsgesetz trägt deshalb den Titel "Haftungsgesetz (HG)". Unverändert bleibt auch die Haftung des Kantons für Schaden, der seinen Mitarbeitenden im Zusammenhang mit ihrer Aufgabenerfüllung erwächst (§ 21 des Personalgesetzes vom 16. Mai 2000, PersG; SAR 165.100). Nicht Gegenstand dieses Gesetzes ist schliesslich die Haftung der Mitarbeitenden des Kantons für den Schaden, den sie dem Kanton zufügen (§ 31 PersG). 2. Handlungsbedarf beim kantonalen Haftungsrecht 2.1 Handlungsbedarf auf Verfassungsstufe (§ 75 KV) Der Auftrag, das Verantwortlichkeitsgesetz zu revidieren und verfassungskonform zu formulieren, gibt auch Anlass zur Überprüfung der sachlichen Angemessenheit der geltenden Verfassungsnorm. § 75 Abs. 1 und 2 KV entsprechen in verschiedenen Bereichen nicht den heutigen Gegebenheiten. Inhaltlich unproblematisch ist die Verfassungsbestimmung von Absatz 3, wonach auf Gesetzesstufe der Regress (Verantwortlichkeit des Personals gegenüber Kanton und Gemeinden) zu regeln ist. Neu zu konzipieren sind aber folgende Bereiche: 2.1.1 Verhältnis zu den selbstständigen Organisationen des Gemeinwesens (Dezentralisierung) Hier bestehen grundsätzlich 3 Haftungsvarianten: Variante 1 (primäre Haftung des Gemeinwesens) Nach dieser Variante bliebe es bei der heutigen primären Haftung des Gemeinwesens auch gegenüber seinen selbstständigen Organisationen, das heisst gegenüber Organisationen, die aus der streng gefügten hierarchischen Departementalordnung herausgelöst sind. Das Gemeinwesen kann aber auf diese Organisationen Regress (Rückgriff) nehmen. -7- Grafisch lässt sich das Grundmodell der primären Haftung des Gemeinwesens wie folgt darstellen: Abbildung 1: Primäre Haftung des Gemeinwesens 1. Schadensverursachung schädigende Person geschädigte Person Gemeinwesen 3. Regress 2. primäre Haftung des Gemeinwesens Variante 2 (Ausfallhaftung des Gemeinwesens) Eine selbstständige öffentlich-rechtliche Organisation des kantonalen oder kommunalen Rechts (Körperschaft, Anstalt, Stiftung) ist immer dann primäres Haftungssubjekt, wenn sie eigene Rechtspersönlichkeit hat. Es besteht bei dieser Variante aber eine subsidiäre Haftung, oder anders gesagt eine Ausfallhaftung des Gemeinwesens. Grafisch lässt sich das Grundmodell der Ausfallhaftung des Gemeinwesens wie folgt darstellen: Abbildung 2: Ausfallhaftung des Gemeinwesens 1. Schadensverursachung geschädigte Person Gemeinwesen schädigende Person 3. Ausfallhaftung 2. primäre Haftung der Organisation 4. Regress Organisation -8- Zur Variante 1 (primäre Haftung des Gemeinwesens) § 75 Abs. 1 KV stellt das Versprechen dar, dass "Kanton" und "Gemeinden" für Schäden haften, die wegen rechtswidrigen Verhaltens ihrer Beamten und Behörden entstehen, und dies unabhängig von einem Verschulden. Kanton und Gemeinden sind heute nach dieser Bestimmung in erster Linie in die Verantwortung zu ziehen. Gemäss Verfassung tragen sie die primäre Verantwortung. Im Gegensatz dazu gilt gemäss § 4 des geltenden Verantwortlichkeitsgesetzes die Ersatzpflicht von Staat und Gemeinden nicht für Schäden, die von Mitarbeitenden selbstständiger öffentlicher Betriebe verschuldet werden. Die heutige verfassungsrechtliche primäre Haftung des Gemeinwesens besteht nicht nur gegenüber den Mitarbeitenden ("Beamten") von Kanton und Gemeinden, sondern auch gegenüber den selbstständigen Organisationen. Ausgehend vom Grundmodell lässt sich die primäre Haftung des Gemeinwesens am Beispiel einer selbstständigen Organisation wie folgt darstellen: Abbildung 3: Primäre Haftung mit Regress auf Organisation 1. Schadensverursachung geschädigte Person 2. primäre Haftung des Gemeinwesens Gemeinwesen Organisation 3. Regress auf Organisation schädigende Person 4. Regress auf MA Zur Variante 2 (Ausfallhaftung des Gemeinwesens) Nach den Corporate-Governance-Richtlinien des Regierungsrats liegt die Verantwortung dort, wo die Aufgaben und die Kompetenzen sind. Auch neuere Haftungsgesetze von Bund und Kantonen sehen Lösungen mit einer Ausfallhaftung vor. Das Haftungsgesetz kann eine generelle Ausfallhaftung des delegierenden Gemeinwesens festsetzen. Sie hat zur Folge, dass das Gemeinwesen für alle Haftpflichtschäden einzustehen hat, welche die Organisation nicht zu decken vermag. Direkte Haftung des Gemeinwesens bedeutet demgegenüber, dass das delegierende Gemeinwesen für den Schaden direkt einzustehen hat. Das Gemeinwesen kann allenfalls Regress auf die selbstständige Organisation nehmen. Der Kanton Aargau hat zugunsten der Aargauischen Kantonalbank eine Garantie für deren Verpflichtungen übernommen (Staatsgarantie). Diese Garantie erstreckt sich allerdings nicht nur auf Haftungsforderungen. -9- Übersicht über die Haftungsregelung betreffend die selbstständigen Organisationen in den Kantonen und beim Bund: Zwei Kantone sehen eine direkte Haftung des Staats, der Bund und zwei Kantone eine Ausfallhaftung vor. 13 Kantone sehen keine Verpflichtung des Staats für die Verbindlichkeiten dieser öffentlich-rechtlichen Organisationen vor. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Staats- oder Ausfallhaftung Direkte Staatshaftung Kantone/Bund bisher im Kanton Aargau Appenzell Ausserrhoden, Thurgau Aargau unklar Ausfallhaftung des Gemeinwesens Bund, Bern, Zürich Aargau unklar Keine Staats- oder Ausfallhaftung 13 Kantone keine Drei Kantone und der Bund sehen auch eine Ausfallhaftung für privatrechtliche Organisationen vor. Juristische Person des Privatrechts Art der Haftung Kantone/Bund bisher im Kanton Aargau Direkte Staatshaftung Ausfallhaftung des Gemeinwesens Bund, Bern, Zürich, Obwalden Keine Staats- oder Ausfallhaftung * 14 Kantone nicht geregelt * Diese Konstellation entspricht der Variante 3 hinten. Beurteilung der Ausfallhaftung im Bund: Im Bund besteht eine Ausfallhaftung für alle juristischen Personen, soweit sie mit amtlichen Aufgaben betraut sind (Art. 19 Verantwortlichkeitsgesetz; SR 170.32). Diese umfassende Ausfallhaftung wurde schon als "Damoklesschwert" bezeichnet. Es gibt eine Vielzahl von selbstständigen Organisationen, die amtliche Aufgaben erfüllen und ein erhebliches Risiko darstellen. Als grosse und schwer abschätzbare Risiken werden etwa die Unternehmen "Skyguide" (Luftraumüberwachung), die Krankenkassen, die Bundesbahnen und die NAGRA (Entsorgung radioaktiver Abfälle) genannt. Problematisch für den Bund ist insbesondere, dass er auf die operativen Tätigkeiten der Organisationen keinen oder einen äusserst geringen Einfluss hat. Es fehlen auch schlicht die personellen Ressourcen und das Spezialwissen, um diese Unternehmen mit der notwendigen Konstanz und Dichte überwachen zu können. Der Einfluss des Bundes beschränkt sich auf die strategische Ebene (vor allem Mitbestimmung bei den gesetzlichen Rahmenbedingungen und Einsitznahme in Aufsichtsgremien). Mit der umfassenden Ausfallhaftung haftet der Bund aber auch für operative Fehler. Der Haftungsrahmen des Bundes und sein Verantwortungsbereich stimmen offensichtlich nicht überein. Der Bund hat für Tätigkeiten einzustehen, welche sich seinem Einflussbereich entziehen. - 10 - Argumente für eine Ausfallhaftung (subsidiäre Haftung) des Staats (beziehungsweise der Gemeinden): Folgende Argumente sprechen für eine subsidiäre Haftung des Gemeinwesens für Schäden, die von selbstständigen Organisationen des öffentlichen Rechts verursacht werden: Durch Übertragung einer amtlichen Aufgabe soll die geschädigte Person nicht schlechter gestellt sein. Die Staatshaftung wird minimiert, wenn die juristische Person primär haftet. Das Gemeinwesen muss nur bei Zahlungsunfähigkeit der juristischen Person für den Schaden aufkommen. Die Schadensfälle für das Gemeinwesen können zudem minimiert werden, wenn die beauftragten Organisationen eine genügende Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben. In Spezialgesetzen kann festgehalten werden, dass das zuständige Gemeinwesen nicht für die Verbindlichkeiten einer Organisation haftet. Argumente gegen eine Ausfallhaftung des Staats (beziehungsweise der Gemeinden): Folgende Gründe sprechen gegen eine generelle Ausfallhaftung des Staats: Die Ausfallhaftung soll für jede juristische Person einzeln überprüft werden (wie beispielsweise die Staatsgarantie für die Kantonalbank). Eine flächendeckende Ausfallhaftung für alle juristischen Personen ist zu undifferenziert. Gründet der Staat eine öffentlich-rechtliche Anstalt oder lässt er Aufgaben durch privatrechtliche Unternehmen erfüllen, hat er in der Regel die Absicht, dass nur sie für ihre Verbindlichkeiten haftbar gemacht werden sollen. Andernfalls kann er in einem Spezialgesetz eine Ausfallhaftung vorsehen. Es entspricht gerade dem Wesen einer selbstständigen Organisation, eine eigene Rechtspersönlichkeit zu besitzen und damit selbstständiges Haftungssubjekt zu sein. Die Aufsichtsgremien haben die Aufgabe, strategische Entscheide zu treffen. Auf die operativen Abläufe üben sie in der Regel keinen direkten Einfluss aus. Wenn ein Schaden aufgrund eines operativen Fehlers entsteht, ist eine Staatshaftung unverhältnismässig, da das Gemeinwesen für eine nicht beeinflusste Tätigkeit haftet. Entsteht ein Schaden aufgrund der fehlerhaften Tätigkeit des Aufsichtsgremiums, kann das Gemeinwesen via Konzern- oder Organhaftung belangt werden. Nicht alle Haftungsfälle lassen sich durch eine Haftpflichtversicherung abdecken. Dadurch erhöht sich das Risiko des Gemeinwesens erheblich. Zu beachten ist auch, dass Haftungsrisiken und Haftungssubstrat von Bund, Kanton und Gemeinden sehr unterschiedlich sind. Ob das Gemeinwesen für Schäden, die von mit öffentlichen Aufgaben betrauten Organisationen und Personen verursacht werden, primär (Haftungsvariante 1; Abbildung 3) oder bloss subsidiär im Sinne einer Ausfallhaftung (Haftungsvariante 2; Abbildung 2) einstehen soll, ist von den politischen Behörden zu entscheiden. Grundsätzlich sind beide Varianten möglich und in der Schweiz bekannt. Die Mehrheit der Kantone sieht für solche Fälle weder eine primäre Haftung noch eine Ausfallhaftung des Staats vor. Im Bund gilt die Lösung mit der pri- - 11 - - 12 - mären Haftung der beauftragten Organisation oder Person mit subsidiärer Haftung des Bundes; es gibt allerdings Bestrebungen, die Ausfallhaftung des Bundes aufzuheben oder zumindest zu beschränken. Der Regierungsrat schlägt als zeitgemässe aargauische Lösung die Haftungsvariante 2 vor, wonach selbstständige Organisationen und Personen des öffentlichen Rechts, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, für den von ihnen widerrechtlich verursachten Schaden mit ihrem eigenen Vermögen haften; nur wenn dieses zur Deckung des Schadens nicht ausreicht, hat das auftraggebende Gemeinwesen für den Ausfall einzustehen. Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel sind auf Gesetzesstufe aber möglich (vgl. § 75 Abs. 2 KV). 2.1.2 Verhältnis zu Privaten, die ausserhalb der ordentlichen Verwaltung von Kanton und Gemeinden öffentliche Aufgaben erfüllen (Outsourcing) Bereits die Kantonsverfassung von 1980 sieht in § 93 Abs. 3 die Möglichkeit vor, öffentliche Aufgaben ausnahmsweise durch private Organisationen zu erfüllen. Der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger und die Aufsicht durch den Regierungsrat müssen aber sichergestellt sein. Mit andern Worten darf die Rechtsstellung der Bürgerinnen und Bürger nicht schlechter sein, als sie es wäre, falls die öffentliche Aufgabe durch den Staat selbst oder dezentral durch eine öffentliche Organisation erfüllt würde. In Frage kommen kann dabei auch privatrechtlicher Rechtsschutz, sofern dieser objektiv befriedigend ausgestaltet ist (Kurt Eichenberger, Verfassung des Kantons Aargau, Textausgabe mit Kommentar, Verlag Sauerländer, Aarau und Frankfurt am Main, 1986, § 93 Rz. 17; nachfolgend kurz: Kommentar Eichenberger). Mit der Diskussion Ende der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts über die Auslagerung von Staatsaufgaben mit Leistungsvereinbarungen, mit den (formalen1) Privatisierungen der Spitalaktiengesellschaften und den heutigen Diskussionen über Public-Private-Partnership (PPP) ist die diesbezügliche Haftungssituation "unklar" geworden. Immerhin kann am Beispiel der zu Aktiengesellschaften des Privatrechts verselbstständigten Kantonsspitäler festgehalten werden, dass § 12 Abs. 1 des Spitalgesetzes (SpiG) davon ausgeht, dass sich die Rechtsbeziehungen zwischen jeder Spitalaktiengesellschaft und privaten Dritten, so auch die Haftung, grundsätzlich nach Privatrecht richten. Eine Ausfallhaftung des Kantons für Spitäler (Spitalaktiengesellschaften, Regionalspitäler, Spezialkliniken) mit einem versorgungspolitischen Leistungsauftrag des Kantons ist deshalb nicht vorgesehen. Die Mehrheit der Kantone lässt privatrechtliche Organisationen nach privatrechtlichen Grundsätzen haften. Diese Lösung dient zunächst der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die Organisationsform ist ein eindeutiges Kriterium, welches der Bürgerin beziehungsweise dem Bürger auf einfache Weise ermöglicht, das anwendbare Recht und den Rechtsweg zu bestimmen. Überträgt der Staat die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben auf Private, verzichtet er für den fraglichen Bereich bewusst auf eine unmittelbare Einflussnahme sowie die operative Verantwortung. 1 Es handelt sich nur um eine formale Privatisierung, weil der Kanton die Gesellschaften noch zu 100 % beherrscht. - 13 - Der Regierungsrat beantragt deshalb, dass Private, die ausnahmsweise vom Gemeinwesen übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, für dabei verursachte Schäden mit ihrem eigenen Vermögen haften. Eine Ausfallhaftung des Gemeinwesens entfällt. Ansprüche sind nach den Bestimmungen des Bundesprivatrechts auf zivilprozessualem Weg geltend zu machen (vgl. § 1 Abs. 2 HG). Die Kantonsverfassung gewährt für diese Regelung Raum (vgl. § 75 Abs. 2 KV). Auch bei dieser Haftungsvariante 3 ist es denkbar, auf Gesetzesstufe eine Ausfallhaftung des Kantons vorzusehen (vgl. den Vorbehalt in § 1 Abs. 3 des Gesetzesentwurfs). Die Verwirklichung von Haftungsvariante 3 hat zur Folge, dass das Haftungsgesetz auf Private, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, keine Anwendung findet. Die nunmehr vorgeschlagene Haftungsvariante 3 ist mit dem Bundesrecht vereinbar (Gutachten Prof. Dr. iur. Tobias Jaag/Dr. iur. Markus Rüssli vom 4. Dezember 2007, Seite 15; nachfolgend kurz: Gutachten Jaag/Rüssli; vgl. auch Gross, Jost, Aufsicht und Verantwortlichkeit, in: René Schaffhauser/Tomas Poledna [Hrsg.], Auslagerung und Privatisierung von staatlichen und kommunalen Einheiten: Rechtsformen und ihre Folgen; St. Gallen 2002, Seite 138). Das heisst nun aber nicht, dass die Übertragung öffentlicher Aufgaben auf Private zu einem vollständigen Ausschluss der Haftung des Gemeinwesens führt. Trotz der primären Verantwortlichkeit der Privaten kann das Gemeinwesen eine Haftung treffen. So sind – abgesehen davon, dass der Kanton gesetzlich eine Ausfallhaftung vorsehen kann, wie dies zum Beispiel im Bund und in den Kantonen Bern und Zürich der Fall ist – verschiedene Konstellationen denkbar, in denen es zu einer Haftung des Gemeinwesens kommen kann. In Betracht kommt beispielsweise eine privatrechtliche Haftung aus faktischer Organschaft; eine solche tritt etwa ein, wenn das Gemeinwesen über seinen Vertreter im Verwaltungsrat einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft in einer Art und Weise auf die Entscheide und die Geschäftstätigkeit Einfluss nimmt, wie es ein Organ im formellen Sinn (insbesondere ein Verwaltungsratsmitglied) tut. In diesem Fall wird das Gemeinwesen – neben der abgeordneten Person und gleich wie diese – haftbar. Ist der Staat Haupt- oder Alleinaktionär einer Aktiengesellschaft, so kommt auch die Begründung einer Haftung mittels Durchgriff in Frage. So kann bei einer juristischen Person auf den dahinter stehenden Hauptaktionär durchgegriffen werden, wenn die Berufung auf die rechtliche Selbstständigkeit der juristischen Person als missbräuchlich erscheint, namentlich deshalb, weil der Hauptaktionär selbst diese Selbstständigkeit nicht beachtet hat. Ebenfalls möglich ist eine Haftung aus Konzernvertrauen; eine solche kann eintreten, wenn bei Dritten die begründete Erwartung erweckt worden ist, der Staat werde für die Verpflichtungen des mit öffentlichen Aufgaben betrauten Privaten einstehen (zit. Gutachten, Seite 15 f.). Im Fall der Auslagerung öffentlicher Aufgaben auf Private ist das Gemeinwesen demnach nicht absolut vor Haftungsansprüchen geschützt. Erwähnt werden soll hier auch die abweichende Regelung des Kantons Zürich. Die seit 1. Januar 2006 in Kraft stehende Zürcher Kantonsverfassung sieht für Private, die öffentliche Aufgaben erfüllen, eine kausale Haftung für den Schaden vor, den sie dabei durch rechtswidrige Tätigkeit oder Unterlassung verursachen. Darüber hinaus haftet die auftraggebende Stelle subsidiär (Art. 46 Abs. 2 Kantonsverfassung des Kantons Zürich). - 14 - 2.1.3 Beurteilung der Haftungsvarianten im Anhörungsverfahren; tabellarische Übersicht Zu den im Anhörungsverfahren von Mitte September bis Ende November 2007 unterbreiteten 3 Haftungsvarianten gingen gemäss nachfolgender tabellarischer Übersicht folgende Stellungnahmen ein: Haftungsvariante 1: primäre Haftung des Gemeinwesens Haftungsvariante 2: primäre Haftung des Gemeinwesens, mit Ausfallhaftung bei ausgelagerter Aufgabenerfüllung Haftungsvariante 3: keine Haftung des Gemeinwesens für Schäden von Privaten, die öffentl. Aufgaben erfüllen Vernehmlasser/in Zustimmung zu/ Bevorzugung von Haftungsvariante(n) Ablehnung von Haftungsvariante(n) A. Politische Parteien EVP SVP EDU SP CVP FDP 2 1 und 3 2 und 3 2 2 2 und 3 3 B. Verbände alv KASPV VAA AIHK ANG 1 2 1 1 2 3 (heikel) 3 3 C. Gemeinden Gemeindeammänner-Vereinigung Gemeindeschreiberverband Verband Aargauischer Ortsbürgergemeinden 2 und 3 2 und 3 2 und 3 D. Justizbehörden Verwaltungsgericht Spezialverwaltungsgerichte 2 3 2 2 3 (Spitäler) 1 oder 2, eher 2 (polit. Entscheid) 3 (Bedenken) 3 (ohne Ausfallhaft.) E. Departemente/Staatskanzlei Departement Bau, Verkehr und Umwelt Departement Bildung, Kultur und Sport Departement Gesundheit und Soziales Rechtsdienst des Regierungsrats 3 (fraglich, ob rechtl. zulässig) - 15 - Gemäss eingeholtem Gutachten ist die Variantenwahl rechtspolitischer Natur, wobei Variante 3 als mit dem Bundesrecht vereinbar qualifiziert wird. Der Aargauische Gemeindeschreiberverband wies ergänzend darauf hin, dass die Vernehmlassungsvorlage eine an sich wünschenswerte weitere Haftungsvariante 4 nicht vorsehe, wonach bei der Übertragung von öffentlichen Aufgaben jegliche Staatshaftung entfällt. Diese Auffassung ist allein geblieben und wird vom Regierungsrat als nicht zweckmässig beurteilt und daher nicht weiterverfolgt. 2.1.4 Öffentliche Aufgaben Der Begriff der öffentlichen Aufgabe kann auf verschiedene Arten definiert werden. Zwei mögliche Ansätze sind der positivistische und der normative Ansatz. Ersterer definiert all das als öffentliche Aufgabe, was in der Verfassung und im Gesetz als Aufgabe des Gemeinwesens festgeschrieben ist. Der zweite, normative Ansatz geht davon aus, dass diejenigen Aufgaben dem Staat vorzubehalten sind, die als staatsbedürftig anerkannt werden. Die Umschreibung der Staatsaufgaben entspringt damit beim normativen Ansatz stets einem politischen Werturteil: Gewisse Aufgaben müssen aufgrund ihrer Komplexität oder Wichtigkeit dem Staat überlassen werden (vgl. Daniel Daeniker, Überführung staatlicher Aufgaben auf verwaltungsexterne Rechtsträger, in: Tobias Jaag (Herausgeber), Dezentralisierung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Zürich 2000, S. 52). Aus praktischer Sicht ist dem positivistischen Ansatz der Vorzug zu geben. Den Betroffenen soll nicht zugemutet werden, dass sie im Schadensfall zusätzlich beweisen müssen, dass die schädigende, vom Staat ausgehende Handlung eine öffentliche Aufgabe ist. Demzufolge gilt als amtliche Tätigkeit alles, was dem Gemeinwesen, Kanton oder Gemeinden, durch die Rechtsordnung als Aufgabe übertragen ist. Die öffentliche Aufgabe ist weiter von den öffentlichen Zielen oder Staatszielen zu unterscheiden. Die öffentliche Aufgabe dient der Zielerreichung. Nur die öffentliche Aufgabe begründet eine positive Pflicht des Gemeinwesens, in bestimmter Weise tätig zu werden. Mitunter ist fraglich, ob eine Tätigkeit als öffentliche Aufgabe oder aber als Aufgabe im öffentliche Interesse zu bezeichnen ist, so zum Beispiel bei Leistungen im Gesundheitswesen (Operation, Pflege, Rehabilitation usw.). Prof. Jaag und Dr. Rüssli sind im bereits erwähnten Gutachten in dieser Frage zu folgendem Ergebnis gelangt: Das Gesundheitswesen ist einer der traditionellen Kompetenzbereiche der Kantone; es gilt nach § 41 KV als öffentliche Aufgabe. § 41 Abs. 3 KV sieht vor, dass der Kanton eigene Spitäler betreiben kann; verpflichtet ist er dazu aber nicht. Auch das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) verpflichtet die Kantone nicht, selbst ein Spital zu betreiben. Das Spitalgesetz des Kantons Aargau, das zum Zweck hat, die Grundlagen für eine bedarfsgerechte und qualitativ gute Spitalversorgung unter wirtschaftlichem Einsatz der Mittel zu schaffen, unterscheidet zwischen kantonalen und übrigen Spitälern. Die Kantonsspitäler sind in der Form privatwirtschaftlicher Aktiengesellschaften organisiert (Spitalaktiengesellschaften); der Kanton hat zu jeder Zeit mindestens 70 % des Aktienkapitals und der Aktienstimmen zu halten. Die Spitäler verfügen über einen Leistungsauftrag sowie über einen Rahmen- und Leistungsvertrag im Bereich der stationären Grundversorgung. Mit ihrer Tätigkeit erfüllen die Kantonsspitäler eine öffentliche Aufgabe und nicht bloss Aufgaben im öffentlichen Interesse; sie stellen im Auftrag des Kantons (zusammen mit den übrigen Spitälern, die über einen Leistungsauftrag verfügen) die - 16 - Spitalversorgung im Kanton sicher. Je nach ihrer Trägerschaft können neben den Kantonsspitälern auch die sechs Regionalspitäler unter die öffentlichen Spitäler fallen (Gutachten Jaag/Rüssli, Seite 16 f.). Konkret bedeutet dies, dass nicht nur die drei Spitalaktiengesellschaften, sondern alle Regionalspitäler und Spezialkliniken mit kantonalem Leistungsauftrag grundsätzlich selber nach Bundesprivatrecht haften. Alle diese Institutionen haben eine privatrechtliche Trägerschaft (Aktiengesellschaft, Verein, Stiftung). Durch Gesetz könnte eine Ausfallhaftung des Kantons statuiert werden. Dafür besteht nach Auffassung des Regierungsrats aber kein Bedarf. Für die drei Spitalaktiengesellschaften, für welche der Kanton durch Gesetz (vgl. § 11 Abs. 1 SpiG) die Aktienmehrheit innehat, besteht "de facto" eine Art Ausfallhaftung des Kantons. Hinzu kommt, dass der Kanton als "Eigentümer" der drei Spitalaktiengesellschaften im Fall einer Haftungssituation, welche die Existenz der Spitalaktiengesellschaften gefährden könnte, wohl entsprechend einstehen würde. 2.1.5 Privatrechtliche Tätigkeiten des Gemeinwesens Auch bei denjenigen Tätigkeiten, die als gewerbliche Tätigkeiten dem Privatrecht unterstehen, stellt sich die Frage, ob sie als "amtliche Tätigkeit" im Sinne von § 75 Abs. 1 KV angesehen werden müssen. Auch im Privatrecht haben die Unternehmen beziehungsweise Gesellschaften für ihre Mitarbeitenden einzustehen (vgl. zum Beispiel Art. 55 ZGB, Art. 55 und 101 OR). Die Unklarheit hat vor allem Bedeutung für die Bestimmung des richtigen Verfahrens und des anwendbaren Rechts. Für geschädigte Personen soll es aber keine Rolle spielen, welches Verfahren zur Anwendung kommt. Deswegen ist auf Verfassungsstufe zu regeln, dass das Gemeinwesen an einer einzigen Stelle belangt werden kann, unabhängig von der rechtlichen Grundlage des Haftungsgrunds. An den folgenden Zuordnungen soll nichts geändert werden: 1. Nicht-dienstliche Tätigkeiten (private Tätigkeiten): Persönliche Haftung nach Obligationenrecht (OR) 2. Dienstliche Tätigkeiten: Haftung nach neuem Haftungsgesetz (HG) 2.1.6 Wegfall des Beamtenstatus Mit dem Personalgesetz ist der Beamtenstatus für die meisten im Dienst des Staats stehenden Mitarbeitenden weggefallen. Es ist nicht mehr von Beamten, sondern vom Personal oder den Mitarbeitenden die Rede. Auch hier wirkt die geltende Verfassungsbestimmung überholt. Kein Änderungsbedarf besteht bei der in § 75 Abs. 1 und 2 KV vorgesehenen verschuldensunabhängigen Kausalhaftung des Kantons und der Gemeinden und bei der Haftung des Gemeinwesens für rechtmässig verursachten Schaden ("Sonderopfer"). 2.2 2.2.1 Handlungsbedarf und Lösungen auf Gesetzesstufe Generelle Charakterisierung des kantonalen Haftungsrechts Das kantonale Haftungsrecht besitzt mit dem Verantwortlichkeitsgesetz einen allgemeinen Teil und mit verschiedenen anderen gesetzlichen Bestimmungen auch einen besonderen Teil. Die Bestimmungen des Obligationenrechts (Art. 41 ff.) gelten als ergänzendes - 17 - kantonales Haftungsrecht (vgl. § 7 Verantwortlichkeitsgesetz). Daran soll sich nichts ändern. Das geltende Haftungsrecht auf Gesetzesstufe ist historisch gewachsen und weist keine einheitliche, kohärente Struktur auf. Insbesondere die Regeln betreffend Zuständigkeiten, Verfahren und Regress sind wenig aufeinander abgestimmt. Deshalb sind Bestimmungen ohne normativen Gehalt und obsolete Bestimmungen aufzuheben sowie Widersprüche in Normen zu beseitigen. 2.2.2 Handlungsbedarf und Lösungen für Zuständigkeiten und Verfahren bei der Geltendmachung von Schadenersatz im Aussenverhältnis Das geltende Haftungsrecht des Gemeinwesens zeichnet sich durch eine Dualität der Verfahren und Zuständigkeiten aus. Das Verantwortlichkeitsgesetz und einzelne spezialgesetzliche Bestimmungen weisen die Klagen aus der Haftung des Gemeinwesens auf den zivilprozessualen Weg, andere spezialgesetzliche Bestimmungen weisen die Haftung auf den öffentlich-rechtlichen Weg, der entweder verwaltungsrechtlicher oder strafprozessualer Natur ist. Zum Teil erfolgt die öffentlich-rechtlich beherrschte Haftung auf dem Verfügungsweg, zum Teil ist sie klageweise entweder beim Verwaltungsgericht oder bei den Spezialverwaltungsgerichten geltend zu machen. Neu soll soweit als möglich eine einzige Stelle für die Geltendmachung von widerrechtlich verursachtem Schaden zuständig sein. Es wird deshalb eine Änderung von § 100 KV vorgeschlagen, worin das Verwaltungsgericht für grundsätzlich zuständig erklärt wird. Da die Schäden mehrheitlich aus dem Handeln der Exekutive beziehungsweise der Verwaltung entstehen, die Frage der Rechtmässigkeit staatlichen Handelns also regelmässig im Zentrum stehen dürfte und das Verwaltungsgericht mit dieser Materie von allen Gerichten am vertrautesten ist, spricht vieles dafür, das Verwaltungsgericht mit solchen Klagen zu betrauen. Für die Zivilgerichte spricht, dass sie am meisten Erfahrung mit dem privatrechtlichen Haftungsrecht besitzen, das für das gewerbliche Handeln des Gemeinwesens weiterhin Anwendung findet. Nach dem geltenden Verantwortlichkeitsgesetz aus dem Jahr 1939 werden alle Klagen aus diesem Gesetz im Zivilprozessverfahren durchgeführt. Der Gesetzesentwurf vom 15. September 1999 sah unterschiedliche Zuständigkeiten vor: Die Beurteilung von Haftungsfällen bei widerrechtlicher Schädigung lag danach in der Kompetenz der zivilen Gerichte; das Verwaltungsgericht wurde als zuständig erklärt für die Beurteilung von Haftungsfällen aus rechtmässigem Handeln des Gemeinwesens und von Haftungsfragen unter mehreren Gemeinwesen; die Beurteilung des Rückgriffs des Gemeinwesens auf die schadenverursachenden Mitarbeitenden fiel in die sachliche Zuständigkeit des Personalrekursgerichts. Insbesondere das Verwaltungsgericht wies in seiner damaligen Stellungnahme darauf hin, dass die im Gesetzesentwurf 1999 vorgesehene Aufteilung der verschiedenen Gerichtsbarkeiten erhebliche Nachteile mit sich brächte. So steht die Beurteilung, ob ein Schaden durch widerrechtliches oder rechtmässiges Handeln des Gemeinwesens verursacht wurde, nicht zum vornherein bei Prozesseinleitung fest. Sodann gelten im zivilgerichtlichen Verfahren für die Haftpflichtfälle die Verhandlungs- und die Dispositions- oder - 18 - Verfügungsmaxime; demgegenüber gilt für das Verfahren im Zuständigkeitsbereich des Personalrekursgerichts der Untersuchungsgrundsatz (Offizialmaxime). Diese unterschiedlichen Maximen erscheinen unter dem Blickwinkel des Fairnessgebots von Art. 6 Ziff. 1 der Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) als fragwürdig. Im Weiteren schafft die unterschiedliche sachliche Zuständigkeit auch bei der solidarischen Haftung mehrerer schädigender Gemeinwesen Probleme. Haften mehrere Gemeinwesen für einen Schaden aus verschiedenen Gründen mit der Folge, dass das Verwaltungsgericht und der Zivilrichter parallel oder nacheinander den gleichen Sachverhalt beurteilen müssen, so besteht das Risiko widersprüchlicher Urteile und verlangt vom Geschädigten, dass er zwei Prozesse gleichzeitig führen muss. Die Unterschiede in der sachlichen Zuständigkeit führen auch zu Ungleichheiten im Umfang des Rechtsschutzes. Der private Geschädigte kann insgesamt drei Instanzen anrufen; den von einem Rückgriff Betroffenen wird nur eine einzige kantonale Instanz mit voller Kognition gewährt. Die neuere Praxis des Gesetzgebers lässt eine Tendenz erkennen, Schadenersatzforderungen im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren geltend zu machen. Der heutige Gesetzesentwurf sieht daher vor, dass Haftungsklagen gegen das Gemeinwesen auf dem Weg der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend zu machen sind. Die traditionelle, nur noch historisch verständliche Zuständigkeit der Zivilgerichte gemäss geltendem Verantwortlichkeitsgesetz aus dem Jahr 1939 mit den Argumenten "Unabhängigkeit des Zivilrichters" und "Waffengleichheit" vermag in der aktuellen Gerichtsorganisation des Kantons Aargau nicht mehr zu überzeugen. Seit 1968 haben sich die Anforderungen an die Wählbarkeit und die Unabhängigkeit der Richter geändert; die Kantonsverfassung von 1980 hat die Stellung und Selbstständigkeit der Justiz, insbesondere auch des Verwaltungsgerichts, gestärkt. Demnach ist für Prozesse nach dem Verantwortlichkeitsgesetz aus rechtsstaatlichen und prozessökonomischen Gründen für alle Betroffenen in sämtlichen Konstellationen die gleiche, einheitliche Verfahrens- und Zuständigkeitsordnung vorzusehen. Eine Gabelung des Rechtswegs ist zu vermeiden. In der internen Vernehmlassung zum Normkonzept vom 18. Dezember 2006 wurde die einheitliche Regelung der Zuständigkeit zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen begrüsst. Das Verwaltungsgericht selbst hat im Anhörungsverfahren mit Stellungnahme vom 1. November 2007 erklärt, es erachte die grundsätzliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts und die Anwendung der Verfahrensordnung nach Verwaltungsrechtspflegegesetz (Verwaltungsgerichtliches Klageverfahren, mit dem im VRPG geregelten Vorverfahren) für alle Ansprüche aus dem Haftungsgesetz als sachgerecht und zweckmässig. Der Regierungsrat beantragt deshalb, § 100 KV mit einem neuen dritten Absatz zu ergänzen. Danach entscheidet das Verwaltungsgericht Streitigkeiten über die Haftung von Kanton und Gemeinden sowie von Organisationen und Personen, die öffentliche Aufgaben erfüllen. Die Regelung lässt aber Ausnahmen auf Gesetzesstufe zu. Nicht geregelt ist im geltenden Verantwortlichkeitsgesetz, ob und bei wem die Haftung von Kanton und Gemeinden vorprozessual geltend zu machen ist. Auch dieser Mangel wird mit dem neuen Gesetz behoben (§ 11 des Gesetzesentwurfs). - 19 - 2.2.3 Handlungsbedarf beim materiellen Staatshaftungsrecht Vorbehalt von Sondernormen (besondere Bestimmungen) Soweit die Haftung des Gemeinwesens durch Bundesrecht oder andere kantonale Gesetze geregelt ist, findet das neue Haftungsgesetz keine Anwendung. Soweit das Haftungsgesetz keine eigene Regelung trifft, sind die Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechts anzuwenden. Soweit das Gemeinwesen als Subjekt des Zivilrechts auftritt, haftet es nach dessen Bestimmungen. Anzustreben ist ein möglichst kohärentes System des Haftungsrechts von Kanton und Gemeinden. Sonderregelungen, die den Bestimmungen des Haftungsgesetzes vorgehen, sind auf das Notwendige zu beschränken. Auch dieser Zielsetzung will die Gesetzesrevision mit verschiedenen Fremdänderungen und -aufhebungen von Rechtserlassen Rechnung tragen. Begriff des Schadens Hier besteht kein Handlungsbedarf. Der Schadensbegriff im kantonalen Haftungsrecht entspricht jenem im privatrechtlichen Haftungsrecht (§ 2 des Gesetzesentwurfs). Rechtmässig verursachter Schaden Eine Haftung für rechtmässig verursachte Schäden sieht bereits die Kantonsverfassung vor. Die heutige Verfassungsbestimmung (§ 75 Abs. 2 KV) wird im Haftungsgesetz aber näher ausgeführt (§ 7 des Gesetzesentwurfs). Haftung im Innenverhältnis Das Gemeinwesen kann auf Mitarbeitende Rückgriff nehmen, wenn diese Dritten rechtswidrig und vorsätzlich oder grobfahrlässig Schaden zugefügt haben und das Gemeinwesen dafür Schadenersatz zu leisten hat. Für die Mitarbeitenden des Kantons ist diese Haftung bereits geregelt (§ 31 des Personalgesetzes vom 16. Mai 2000; SAR 165.100). Auf der anderen Seite haftet der Kanton seinen Mitarbeitenden für Schaden, der ihnen im Zusammenhang mit ihrer Aufgabenerfüllung erwachsen ist (§ 21 Personalgesetz). Siehe dazu auch den Kommentar zu § 12 ff. des Gesetzesentwurfs. Klageerhebung gegen Magistratspersonen Über die Klageerhebung gegen Mitglieder des Grossen Rats, des Regierungsrats und der Gerichte soll der Grosse Rat entscheiden (§ 12 Abs. 2 des Gesetzesentwurfs). Die Klagen sind ebenfalls beim vom Grossen Rat gewählten und damit genügend legitimierten Personalrekursgericht geltend zu machen. Gemäss Verantwortlichkeitsgesetz 1939 bedurfte es lediglich zur Klageanhebung gegenüber Mitgliedern des Regierungsrats oder des Obergerichts eines Beschlusses des Grossen Rats (§ 1 Abs. 2 Verantwortlichkeitsgesetz). Verrechnung Nicht rechtskräftig festgestellte Haftungsansprüche aus Eigenschaden beziehungsweise Regress darf das Gemeinwesen ohne Zustimmung der Schaden verursachenden Person nicht mit Lohn- oder anderen Gegenforderungen seines Personals verrechnen (§ 15 des - 20 - Gesetzesentwurfs). Ausschluss der Haftung bei Behördenbeschlüssen Können Mitglieder von Behörden nachweisen, dass sie dem Schaden verursachenden Beschluss nicht zugestimmt haben, sind sie von der Haftung befreit (§ 13 Abs. 2 des Gesetzesentwurfs). Fremdänderung beziehungsweise Fremdaufhebungen Die Revision gibt Gelegenheit zur Änderung oder Aufhebung anderer Gesetze. Es lassen sich folgende Kategorien unterscheiden: a) Bestimmungen ohne eigenen normativen Gehalt; b) Widersprüchliche Bestimmungen. Zu den Einzelheiten vgl. die Kommentierung der einzelnen Bestimmungen (Ziffern II und III des Gesetzesentwurfs). 2.3 Handlungsbedarf auf Dekrets- und Verordnungsstufe Auf Dekretsebene gibt es einige Bestimmungen, die dem Gesetzesrecht widersprechen. Der Regierungsrat wird die entsprechenden Anpassungsvorschläge erarbeiten und dem Grossen Rat zusammen mit dem Gesetzesentwurf für die 2. Beratung zur Beschlussfassung unterbreiten. Schliesslich sind auch auf Verordnungsebene unterschiedliche Haftungsbestimmungen vorhanden, die im Anschluss an das Gesetzgebungsverfahren anzupassen sind. 3. Auswirkungen der vorgeschlagenen Lösungen Die vorgeschlagenen Lösungen werden folgende Auswirkungen haben: Teilrevision der Kantonsverfassung und Totalrevision des Verantwortlichkeitsgesetzes mit Fremdänderungen und Fremdaufhebungen von Erlassen auf Gesetzes-, Dekrets- und Verordnungsstufe; Verfassungskonformität des Haftungsrechts von Kanton und Gemeinden; Aktualisiertes, an die heutigen Anforderungen angepasstes Haftungsrecht; Einfach(er) handhabbares, möglichst kohärentes Haftungsrecht mit einer Ansprechstelle; Verbesserung der Transparenz des Haftungsrechts; Zunahme von Haftungsfällen beim Verwaltungsgericht; Abnahme von Haftungsfällen bei den Friedensrichtern, Bezirksgerichten und beim Obergericht. Eine im Dezember 2006 bei den Justizbehörden und den Departementen eingeleitete Umfrage zu den gegen den Kanton und die Gemeinden gerichteten Haftungsforderungen ergab Folgendes: Beim Haftpflichtversicherer des Kantons waren am 1. Januar 2007 25 Haftungsfälle mit einer Forderungssumme von rund 1.3 Mio. Franken hängig. - 21 - Das Obergericht hat in seiner Stellungnahme vom 21. Februar 2007 darauf hingewiesen, dass Entschädigungsforderungen aus spezialgesetzlichen Regelungen (Enteignungen, Parteikostenentschädigungen, Sozialhilfe, Entschädigungen für die Untersuchungshaft in eingestellten Verfahren etc.) im Rahmen der ordentlichen Straf-, Zivil- und Verwaltungsverfahren beurteilt werden. Eine Erhebung über die Anzahl Fälle und der insgesamt geltend gemachten Forderungsbeträge vor den Bezirksgerichten sei mit einem verantwortbaren Aufwand nicht möglich. Eine Umfrage bei den Bezirksgerichten habe im Zeitraum von 1996 bis 2006 rund 60 Haftungsfälle gegen den Kanton und geschätzte 20 bis 30 Fälle gegen die Gemeinden ergeben. Die Forderungsklagen gegen Kanton und Gemeinden machten insgesamt einen Streitwert in der Grössenordnung von 200 Mio. Franken aus. Über Ansprüche gegen den Kanton gestützt auf das Verantwortlichkeitsgesetz sei vom Obergericht zweitinstanzlich seit dem Jahr 2000 in rund einem halben Dutzend Fälle entschieden worden. Das Obergericht geht allerdings von einer Zunahme der Haftungsfälle gegen Kanton und Gemeinden aus. Diese Tendenz entspreche den gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Haftungsrecht. Die Schaffung entsprechender Personalressourcen für das Verwaltungsgericht sei deshalb unabdingbar. Keine Auswirkungen wird das neue Recht auf die schon hängigen Verfahren haben, da sie nach altem Recht abgeschlossen werden sollen. 4. Erforderliche finanzielle und personelle Mittel im Vollzug Der Zuständigkeitswechsel von den Zivilgerichten zum Verwaltungsgericht für den Entscheid über Haftungsfälle gegen das Gemeinwesen hat eine Entlastung der Bezirksgerichte und des Obergerichts auf der einen Seite und eine Mehrbelastung des Verwaltungsgerichts auf der andern Seite zur Folge. Will man die Pendenzen beim Verwaltungsgericht nicht ansteigen lassen, ist es erforderlich, dem Verwaltungsgericht mehr Ressourcen zu geben. Ob eine Kompensation mit Mitteln der Bezirksgerichte beziehungsweise des Obergerichts möglich ist, bleibt nach dem Inkrafttreten des Haftungsgesetzes zu prüfen. Gemäss dem unter Ziffer 3 dargelegten Umfrageergebnis haben die Bezirksgerichte pro Jahr zusammen etwa 8 bis 9 Haftungsfälle gegen Kanton oder Gemeinden zu behandeln, das Obergericht zweitinstanzlich etwa alle 2 Jahre einen Fall. Bei jährlich insgesamt rund 10 Haftungsfällen vor den Bezirksgerichten und dem Obergericht dürften die finanziellen Auswirkungen des vorgeschlagenen Zuständigkeitswechsels kaum spürbar sein. Durch die Zentralisierung der Haftungsfälle beim Verwaltungsgericht entfällt bei den Bezirksgerichten der Einarbeitungsaufwand in die einzelnen Fälle, weil sie sich nicht häufig mit der speziellen Materie der Staatshaftung zu beschäftigen haben. Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die Kausalhaftung ja bereits seit dem Inkrafttreten der Kantonsverfassung per 1. Januar 1982 besteht. Mit andern Worten hat die übergeordnete Verfassungsbestimmung (§ 75 KV) seit mehr als 25 Jahren Vorrang gegenüber der davon abweichenden Verschuldenshaftung gemäss heutigem Verantwortlichkeitsgesetz. Mit dem neuen Haftungsgesetz wird jedoch der formelle Widerspruch zur Kantonsverfassung beseitigt. Wegen der ausschliesslichen eigenen Haftung von privaten Organisationen (§ 1 Abs. 2 HG) und wegen den in den §§ 4–6 HG statuierten Haftungsbeschränkungen dürfte der Haftungsumfang bei gleichbleibender Qualität (Rechtmässigkeit) der Aufgabenerfüllung und bei gleichbleibender Klageneigung von geschädigten Personen eher zurückgehen. Unverändert bleibt die bisherige - 22 - Zuständigkeit des Personalrekursgerichts zur Beurteilung von Rückgriffsansprüchen. 5. Weitere Auswirkungen Wesentliche Auswirkungen auf die Gemeinden sind nicht ersichtlich. Die Revision wird auch keine weiteren Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt oder die Beziehungen zum Bund und anderen Kantonen haben. 6. 6.1 Die Bestimmungen im Einzelnen Kantonsverfassung (KV) 6.1.1 § 75 Abs. 1–3 KV 1 Der Kanton und die Gemeinden haften für den Schaden, den ihre Behörden, Beamten und übrigen Mitarbeitenden in Ausübung der amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich verursachen. Sie haften auch für rechtmässig verursachte Schäden, wenn Einzelne davon schwer betroffen sind und ihnen nicht zugemutet werden kann, den Schaden selbst zu tragen. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen und regelt die Geltendmachung des Haftungsanspruchs. 2 Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für den von ihnen widerrechtlich verursachten Schaden mit ihrem Vermögen; reicht dieses zur Deckung des Schadens nicht aus, haftet das auftraggebende Gemeinwesen für den Ausfall. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen und regelt die Geltendmachung des Haftungsanspruchs. 3 Das Gesetz regelt den Rückgriff von Kanton und Gemeinden auf die Person, die den Schaden gemäss den Absatz 1 und 2 verursacht hat. a) Hinweise zur heute geltenden Fassung § 75 Abs. 1 KV stellt das Versprechen dar, dass "Kanton" und "Gemeinden" für Schäden haften, die wegen rechtswidrigen Verhaltens ihrer Beamten und Behörden entstehen, und dies unabhängig von einem Verschulden. Kanton und Gemeinden sind nach dieser Bestimmung in erster Linie in die Verantwortung zu ziehen. Gemäss geltender Verfassung tragen sie die primäre Verantwortung. Der Begriff "Gemeinden" erfasst sowohl die Einwohner- als auch die Ortsbürgergemeinden. In der geltenden kantonalen Spezialgesetzgebung ist dieses der Verfassung zugrunde liegende Haftungsmodell jedoch durchbrochen. Insbesondere gegenüber den selbstständigen Staatsanstalten besteht – entgegen der verfassungsrechtlichen Bestimmung – keine oder nur eine nachrangige, subsidiäre Ausfallhaftung des Kantons. So bestimmt § 43 Abs. 1 des Gebäudeversicherungsgesetzes vom 19. September 2006 (AGS 2007 Seite 156), dass für die Erfüllung der Aufgaben der Aargauischen Gebäudeversicherung ausschliesslich die Mittel der Gebäudeversicherung zur Verfügung stehen und keine Haftung des Kantons besteht. Gemäss § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die Aargauische Kantonalbank vom 27. März 2007 (AGS 2007 S. 148) haftet der Kanton für alle Verbindlichkeiten der Bank, soweit deren eigene Mittel nicht ausreichen. § 4 des Verantwortlichkeitsgesetzes (SAR 150.100) sieht bei den Anstalten ("öffentliche Betriebe mit selbstständiger Rechtspersönlichkeit") nicht einmal eine Ausfallhaftung des Gemeinwesens vor. Dies ist verfassungswidrig und es besteht Anpassungsbedarf. - 23 - Kein Änderungsbedarf besteht bezüglich Absatz 4 des geltenden Verfassungstexts: 4 Für Äusserungen im Grossen Rat und in seinen Kommissionen sind die Mitglieder des Grossen Rates rechtlich nicht verantwortlich. Der Grosse Rat ist jedoch befugt, hinsichtlich einer Äusserung die Straffreiheit aufzuheben, wenn diese offensichtlich missbraucht wird. Hier geht es um die strafrechtliche Verantwortlichkeit, die im Rahmen dieser Gesetzesreform nicht angetastet wird. b) Hinweise zur revidierten Fassung § 75 Abs. 1 KV Diese Bestimmung statuiert die primäre Haftung des Gemeinwesens bei widerrechtlicher oder rechtmässiger Schädigung von Dritten durch seine Mitarbeitenden in Ausübung der amtlichen Tätigkeit. Die Bestimmung lässt Raum für eine davon abweichende Regelung auf Stufe des (formellen) Gesetzes. Eine solche Ausnahme wird zum Beispiel bei Schäden wegen falscher Auskunft vorgesehen, wo nur eine vorsätzlich oder grobfahrlässig falsche Auskunft zu einem Haftungsanspruch berechtigen soll (vgl. § 5 des Gesetzesentwurfs). Amtliche Tätigkeit Das Obligationenrecht spricht noch von der amtlichen "Verrichtung". Mit dem Ausdruck "Tätigkeit" soll einzeitgemässer, synonym verstandener Begriff verwendet werden. Mit "amtlicher" Tätigkeit ist die Erfüllung einer öffentlicher Aufgabe gemeint. Der Begriff der amtlichen "Tätigkeit" ist bei der Staatshaftung im umfassenden Sinn zu verstehen. Erfasst sind damit das Tun, Dulden, Unterlassen oder Gewähren (vgl. auch Kommentar Eichenberger; § 75 Rz. 1). Schädigung in Ausübung der amtlichen Tätigkeit Die Tatsache, dass eine Schädigung durch eine Person erfolgt ist, welche mit einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Gemeinwesens betraut ist, genügt nicht für die Begründung einer Haftung von Kanton oder Gemeinde. Erforderlich ist vielmehr überdies, dass die Schädigung "in Ausübung der amtlichen Tätigkeit" erfolgt ist. Selbst wenn eine Schädigung anlässlich der Ausübung dienstlicher Tätigkeiten erfolgt, haftet das Gemeinwesen nach Lehre und Praxis nicht, wenn der funktionale Zusammenhang zwischen der dienstlichen Aufgabe und der Schädigung fehlt; wenn die schädigende Handlung lediglich bei Gelegenheit der Ausübung dienstlicher Tätigkeit erfolgt, fehlt dieser Zusammenhang und entfällt somit die Haftung des Gemeinwesens. Die Abgrenzung zwischen Schädigungen in Ausübung dienstlicher Tätigkeit und solchen bei Gelegenheit der Erfüllung dienstlicher Aufgaben bereitet oft Schwierigkeiten. Als Schulbeispiel für eine Schädigung bei Gelegenheit der Ausübung dienstlicher Tätigkeit wird der Zöllner genannt, der bei der Zollkontrolle etwas aus einem kontrollierten Gepäckstück stiehlt (Jaag Tobias, Staats- und Beamtenhaftung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, hrsg. von Heinrich Koller unter anderem, 2. Auflage, Basel/Frankfurt a.M. 2006; Rz. 81 ff.). - 24 - § 75 Abs. 2 KV § 75 Abs. 2 KV statuiert eine Grundregel und lässt Ausnahmen durch Gesetz zu: Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für widerrechtlich verursachte Schäden mit ihrem eigenen Vermögen. Für den nicht gedeckten Betrag haftet das auftraggebende Gemeinwesen aber subsidiär. Somit bildet nach dieser Verfassungsbestimmung die Ausfallhaftung die Regel. § 75 Abs. 2 letzter Satz KV lässt Raum für eine von diesem Grundsatz abweichende Regelung auf Stufe Gesetz. § 1 Abs. 2 HG macht von der Ausnahmeregelung Gebrauch und statuiert generell bei Privaten, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, die Streichung der Ausfallhaftung des Gemeinwesens. Würde durch eine Häufung von Ausnahmen die Ausfallhaftung des Gemeinwesens ausgeschaltet, wäre die verfassungsmässig verankerte Regel ins Gegenteil verwandelt. Dies ist aber nicht der Fall, da nach § 93 Abs. 3 KV Private nur ausnahmsweise mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben beauftragt werden können. Zudem ist nach der geltenden kantonalen Gesetzgebung eine Ausfallhaftung des Kantons nur bei der Aargauischen Gebäudeversicherung (§ 43 Abs. 1 des Gebäudeversicherungsgesetzes vom 19. September 2006; AGS 2007 S. 156) und bei Spitälern mit einem Leistungsauftrag ausgeschlossen. Auf der anderen Seite würde den Kanton bei der SVA Aargau bereits heute eine Ausfallhaftung des Kantons treffen. Eine Staatsgarantie, die noch weiter als eine blosse Ausfallhaftung geht, besteht auch bei der Aargauischen Kantonalbank (§ 5 des Gesetzes über die Aargauische Kantonalbank vom 27. März 2007; AGS 2007 S. 148). Mit "Organisationen und Personen" sind alle denkbaren Auftragsverhältnisse abgedeckt. Erfasst werden insbesondere selbstständige Organisationen des öffentlichen und privaten Rechts von Kanton und Gemeinden (zum Beispiel die selbstständigen Anstalten oder die Aktiengesellschaften des Kantons); es kann ausnahmsweise aber auch eine beauftragte einzelne natürliche Person sein. Zur Frage der Ausfallhaftung vgl. auch die Ausführungen unter Ziffer 2.1.1. § 75 Abs. 3 KV Danach regelt das Gesetz den Rückgriff von Kanton und Gemeinden auf die Person, die den Schaden verursacht hat (vgl. die §§ 12 ff. des Gesetzesentwurfs). Für Schäden, die Mitarbeitende dem Kanton direkt verursachen, kommt § 31 des Personalgesetzes zur Anwendung. Daran soll sich nichts ändern. 6.1.2 § 100 Abs. 3 (neu) KV 3 Streitigkeiten über die Haftung von Kanton und Gemeinden sowie von Organisationen und Personen, die übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, entscheidet das Verwaltungsgericht. Das Gesetz kann Ausnahmen vorsehen. Gemäss dieser neuen Bestimmung entscheidet das Verwaltungsgericht Streitigkeiten über die Haftung von Kanton und Gemeinden; bisher lag die Zuständigkeit bei den Zivilgerichten. Die neue Regelung soll unabhängig davon gelten, ob der Rechtsgrund des Haftungsanspruchs privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist. Die umfassende Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für die die drei Gewalten übergreifende Staatshaftung liegt im Interesse der Geschädigten, die sich an eine einzige Stelle wenden können. Das Verfahren vor Verwaltungsgericht wird im Haftungsgesetz festgelegt. - 25 - Gestützt auf Satz 2 kann das Gesetz Ausnahmen vorsehen. Als Ausnahmen können zum Beispiel das Verfahren für die Entschädigung bei ungerechtfertigter Verhaftung oder das Enteignungsverfahren vor der Schätzungskommission nach Baugesetz erwähnt werden. Daran soll sich nichts ändern. Die geschädigte Person braucht sich – unabhängig vom Rechtsgrund des Haftungsanspruchs – nur an eine einzige Stelle zu wenden, wenn sie einen Haftungsanspruch gegenüber dem Gemeinwesen geltend machen will. Zu vermeiden sind eine Gabelung beziehungsweise Aufspaltung des Rechtswegs. Dies hat in Verfahren, in denen ein Haftungsanspruch gleichzeitig zusammen mit einer anderen Rechtsfrage entschieden wird (zum Beispiel bei der Entschädigung für Verhaftung im Strafverfahren oder für die Parteientschädigung im Verwaltungsverfahren) zur Konsequenz, dass auch andere Gerichte als das Verwaltungsgericht über einen Haftungsanspruch entscheiden können. Immerhin stellt sich die Frage, welches Verfahrensrecht das Verwaltungsgericht bei Haftungsansprüchen privatrechtlicher Natur nach Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) anzuwenden hat. Gemäss Art. 1 lit. a des Entwurfs für eine Schweizerische Zivilprozessordnung gilt die ZPO für alle streitigen Zivilsachen und damit wohl auch für zivilrechtliche Haftungsansprüche gegenüber dem Gemeinwesen. Dies würde bedeuten, dass die Bestimmungen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRPG) über das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren bei zivilrechtlichen Haftungsansprüchen keine Anwendung finden könnten. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die Kantone gestützt auf die Organisationsautonomie befugt sind, abweichende Lösungen vorzusehen (zit. Gutachten, Seite 8). Eine wichtige weitere Ausnahme gilt für die Rückgriffsregelung. Rückgriffsansprüche nach dem Verantwortlichkeitsgesetz werden bereits heute vom Personalrekursgericht (und nicht vom Verwaltungsgericht) im Klageverfahren beurteilt (§ 39 lit. c Personalgesetz). Daran soll sich wie erwähnt nichts ändern. 6.2 Das neue Haftungsgesetz (HG) Titel Da die strafrechtliche, disziplinarische und politische/gesellschaftliche Verantwortlichkeit nicht Gegenstand der Revision sind, trägt das neue Gesetz statt der Bezeichnung "Verantwortlichkeitsgesetz" den Titel "Haftungsgesetz (HG". Der Titel "Staatshaftungsgesetz" wurde deshalb nicht gewählt, weil nicht nur der Staat (Kanton), sondern auch die Gemeinden, privatrechtliche Organisationen sowie Mitarbeitende von Kanton und Gemeinden (Rückgriff) als Haftungssubjekte ins Recht gefasst werden. - 26 - 6.2.1 Haftung für Schaden § 1 Geltungsbereich 1 Gegenstand dieses Gesetzes ist die vermögensrechtliche Haftung des Gemeinwesens und seiner Mitarbeitenden sowie der mit öffentlichen Aufgaben betrauten Organisationen und Personen. 2 Private, die vom Gemeinwesen übertragene öffentliche Aufgaben erfüllen, haften für dabei verursachte Schäden mit ihrem eigenen Vermögen. Eine Ausfallhaftung des Gemeinwesens entfällt. Ansprüche sind nach den Bestimmungen des Bundesprivatrechts auf zivilprozessualem Weg geltend zu machen. 3 Vorbehalten bleiben die besonderen Haftungsbestimmungen des kantonalen Rechts. Abs. 1 erfasst zum Beispiel auch im Einzelfall beigezogene Begleit- beziehungsweise Hilfspersonen. § 1 Abs. 2 HG statuiert nebst der primären und der subsidiären Haftung des Gemeinwesens gemäss § 75 Abs. 1 und 2 KV den weiteren (dritten) Haftungsgrundsatz, dass das Haftungsgesetz auf Private, die öffentliche Aufgaben erfüllen, keine Anwendung findet, diese mit andern Worten von der Unterstellung unter das Haftungsgesetz ausgenommen sind. Mit dieser Lösung wird zwar der Grundsatz des einheitlichen Rechtswegs und der verschuldensunabhängigen Haftung durchbrochen. Hingegen wird damit dem wichtigen Grundsatz nachgelebt, dass Private auch nur privatrechtlich haften sollen. Ein genügender Rechtsschutz ist auch mit den zivilprozessualen Mitteln gewährleistet. § 1 Abs. 2 HG findet zum Beispiel Anwendung, falls eine öffentliche Aufgabe wie der Kantonsstrassenbau an einen privaten Generalunternehmer oder der Wasserbau an Private übertragen wird. Abklärungen bei den Spitalaktiengesellschaften haben ergeben, dass seit Inkrafttreten des neuen Spitalgesetzes die Haftungsfälle vollständig nach privatrechtlichen Grundsätzen abgewickelt werden. Spitäler und deren zuständige Haftpflichtversicherer gehen somit von der Anwendung des Privatrechts aus. Es kann auch auf die Ausführungen unter Ziffer 2.1.2 verwiesen werden. Absatz 3 behält die speziellen Haftungsregeln in anderen Gesetzen vor. Zu denken ist etwa an das Enteignungsrecht oder das Entschädigungsrecht im Strafprozessrecht. Unter den Vorbehalt von Absatz 3 fällt auch die Möglichkeit, bei einer grundsätzlich privatrechtlichen Haftung spezialgesetzlich eine Ausfallhaftung des Staats vorzusehen. Mit Absatz 3 soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das vorliegende Haftungsgesetz zusammen mit der Verfassungsbestimmung als allgemeiner Teil, bestehende oder neue Haftungsbestimmungen in einzelnen Bereichen als besonderer Teil des kantonalen Haftungsrechts gelten. Dass auch die Haftungsbestimmungen des übergeordneten Bundesrechts zu beachten sind, versteht sich von selbst und sollte im Erlasstext, da rechtssetzungstechnisch falsch, nicht zusätzlich erwähnt werden. - 27 - § 2 Ergänzendes Recht Soweit das Gesetz nichts Abweichendes regelt, gelten die Bestimmungen des Bundesprivatrechts, insbesondere die Art. 41–61 des Schweizerischen Obligationenrechts, als ergänzendes kantonales Recht. Im Haftungsgesetz werden nur diejenigen Punkte geregelt, die vom Obligationenrecht (OR) abweichen. Deshalb wird auch auf Begriffsdefinitionen aus dem Obligationenrecht weitgehend verzichtet. Die Grundvoraussetzungen der Haftung sind nach herrschender Lehre und bundesgerichtlicher Praxis bereits wie folgt definiert, und zwar sowohl für die Haftung Privater als auch für die Staatshaftung: a) Schaden Schaden im haftungsrechtlichen Sinn ist der materielle Schaden, eine finanzielle Verschlechterung. Er entspricht der Differenz zwischen dem Stand des Vermögens nach dem schädigenden Ereignis und dem Stand, den das Vermögen ohne dieses Ereignis hätte. Der Schaden kann sowohl in einer Vermögenseinbusse als auch in entgangenem Gewinn liegen. Schaden ist Personen-, Sach- oder (reiner) Vermögensschaden. Die Schädigung des direkt Geschädigten kann zur Folge haben, dass weitere Personen indirekt einen Schaden erleiden; man spricht von einem Reflexschaden oder Drittschaden (zum Beispiel Versorgerschaden; siehe § 5 HG). b) Kausalzusammenhang Eine Haftung besteht nur dann, wenn zwischen der schädigenden Handlung oder Unterlassung einerseits und dem eingetretenen Schaden andererseits ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang besteht. Der natürliche Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn das schädigende Ereignis unabdingbare, notwendige Voraussetzung ("conditio sine qua non") des Schadens ist. Der Kausalzusammenhang ist adäquat, wenn die schädigende Handlung oder Unterlassung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach den allgemeinen Erfahrungen des Lebens geeignet ist, den eingetretenen Erfolg herbeizuführen oder zumindest zu begünstigen. c) Widerrechtlichkeit Eine Schädigung ist dann widerrechtlich, wenn entweder ein absolutes Rechtsgut des Geschädigten beeinträchtigt wird, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt, oder eine reine Vermögensschädigung durch Verstoss gegen eine Norm bewirkt wird, die nach ihrem Zweck vor derartigen Schäden schützen soll. Absolute Rechtsgüter sind Leib, Leben, Freiheit, Persönlichkeit, Eigentum und Besitz. Eine Verletzung absoluter Rechtsgüter liegt somit vor bei Tötung und Körperverletzung, bei Persönlichkeitsverletzung, bei Verletzung von Freiheit, Eigentum und Besitz. - 28 - d) Verschulden Verschulden ist der Vorwurf eines missbilligten Verhaltens. Verschulden beruht entweder auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Für die Haftung des Gemeinwesens gegenüber der geschädigten Person ist, unter Vorbehalt von § 4 HG (Rechtsmittel) und § 6 HG (falsche Auskunft), kein Verschulden der schadenverursachenden Person nötig, wohl aber für den Rückgriff (Regress) des Staats gegenüber dieser Person. e) Vorsatz/Fahrlässigkeit Die Begriffe des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit sind die gleichen wie im privatrechtlichen Haftungsrecht. Vorsatz liegt vor, wenn die schädigende Handlung mit Wissen und Willen begangen worden ist. Die Mitarbeitenden müssen sich der Konsequenzen ihrer Tätigkeit bewusst sein und diese anstreben (Absicht), voraussetzen (direkter Vorsatz) oder zumindest in Kauf nehmen (Eventualvorsatz). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Schaden verursachenden Mitarbeitenden des Gemeinwesens die erforderliche Sorgfalt in krasser Weise verletzen, wenn ihnen also der Vorwurf der Missachtung elementarster Vorsichtsgebote gemacht werden kann. Dabei sind die gesamten Umstände des einzelnen Falls zu berücksichtigen. Dass die Anforderungen an grobe Fahrlässigkeit hoch sind, zeigt sich daran, dass in den vom Bundesgericht in den letzten Jahren publizierten Fällen in der Regel die grobe Fahrlässigkeit verneint wurde (Jaag Tobias, a.a.O.; Rz. 278 ff.). Unter Vorbehalt von § 16 HG ist das Zivilrecht auch für Fragen der Verjährung heranzuziehen, insbesondere auch Art. 60 OR. Gemäss Art. 60 Abs. 1 und 2 OR verjährt der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung in einem Jahr von dem Tag an, seit dem die geschädigte Person Kenntnis vom Schaden und von der ersatzpflichtigen Person erlangt hat, jedenfalls aber mit dem Ablauf von 10 Jahren, vom Tag der schädigenden Handlung gerechnet. Wird jedoch die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt, gilt diese auch für den Haftungsanspruch. § 3 Gemeinwesen Haftpflichtige Gemeinwesen gemäss diesem Gesetz sind der Kanton, die Einwohner- und Ortsbürgergemeinden sowie die interkommunalen Organisationen (Gemeindeverbände) oder die von ihnen mit öffentlichen Aufgaben betrauten Organisationen des öffentlichen Rechts. Diese gesetzliche Definition dient der Klarstellung und leichteren Lesbarkeit des Gesetzes. Mit den "interkommunalen Organisationen" sind v.a. die Gemeindeverbände angesprochen. Daraus folgt auch, dass die Landeskirchen von der hier geregelten Haftung ausgenommen sind. - 29 - § 4 Haftungsbeschränkung a. Rechtsmittel 1 Wird ein Entscheid im Rechtsmittelverfahren geändert oder aufgehoben, besteht eine Haftung nur dann, wenn die Vorinstanz vorsätzlich oder grobfahrlässig falsch entschieden hat. 2 Die Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Entscheide kann im Haftungsverfahren nicht überprüft werden. Um die Haftung des Gemeinwesens zu beschränken, weicht das Haftungsgesetz in zwei Fällen vom Grundsatz der Kausalhaftung ab und macht die Schadenersatzpflicht vom Vorliegen eines Verschuldens abhängig. Dies ist einerseits bei der Änderung oder Aufhebung eines Entscheids im Rechtsmittelverfahren (§ 4 Abs. 1 HG) und anderseits bei der Auskunftserteilung (§ 6 HG) der Fall. Solche Haftungsbeschränkungen sehen auch eine Vielzahl anderer Kantone mit grundsätzlicher Kausalhaftung vor. Diese von der Kausalhaftung abweichenden Regelungen sind durch § 75 Abs.1 und 2 KV abgedeckt. Wird eine Verfügung oder ein Entscheid (das Haftungsgesetz umfasst – in Anlehnung an das neue Verwaltungsrechtspflegegesetz- mit dem Begriff "Entscheid" auch den Begriff "Verfügung") erfolgreich angefochten und durch eine Rechtsmittelinstanz geändert oder aufgehoben, so steht seine Rechtswidrigkeit fest. Die dadurch zum Ausdruck gelangende Widerrechtlichkeit des vorinstanzlichen Entscheids stellt allerdings nicht eine Widerrechtlichkeit im haftungsrechtlichen Sinn dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts besteht nur dann eine Haftung des Gemeinwesens, wenn der entscheidenden Instanz ein qualifizierter Verstoss gegen eine Rechtsnorm, eine wesentliche Amtspflichtverletzung, vorgeworfen werden kann. Eine Staatshaftung fällt nach der Praxis erst dort in Betracht, wo es sich um eine unentschuldbare Fehlentscheidung handelt, das heisst eine Fehlleistung bei der Beurteilung der Rechts- oder Sachlage, die einem pflichtbewussten Richter oder Beamten nicht unterlaufen wäre. Anstatt eine qualifizierte Widerrechtlichkeit zu verlangen, macht § 4 Abs. 1 HG die Schadenersatzpflicht des Gemeinwesens vom Verschulden der Vorinstanz abhängig; diese muss vorsätzlich oder grobfahrlässig falsch entschieden haben. Das Abstellen auf Verschuldenselemente mag bei einer Kausalhaftung zwar systemwidrig erscheinen; letztlich hat aber auch die bundesgerichtliche Praxis zur Folge, dass eine Staatshaftung nur dann besteht, wenn Verwaltung oder Justiz ein Verschulden vorgeworfen werden kann. Die in § 4 Abs. 1 vorgeschlagene Regelung ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht zu beanstanden (Gutachten Jaag/Rüssli, Seite 17 f.) Ergänzend ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass eine Haftung des Gemeinwesens nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch für sogenannte Justizschäden gegeben sein kann, so etwa bei wesentlicher Amtspflichtverletzung in Form einer krassen Rechtsverzögerung (Alfred Bühler/Andreas Edelmann/Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 2. Auflage 1998; § 120 Rz. 2). § 4 Abs. 2 HG verankert den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsschutzes. Das heisst, dass allfällige Mängel eines Rechtsakts im Verfahren der Verwaltungsrechtspflege zu rügen sind. Die Rechtmässigkeit formell rechtskräftiger Verfügungen, Entscheide und Urteile darf im Haftungsprozess nicht mehr überprüft werden. Von einem angeblich widerrechtlichen Rechtsakt Geschädigte müssen auf dem Weg der Verwaltungsrechtspflege gegen den Entscheid vorgehen. Tun sie dies nicht oder weist die Beschwerdeinstanz das Rechtsmittel - 30 - ab, ist es nicht möglich, anschliessend ein Staatshaftungsverfahren durchzuführen, da der Entscheid in Rechtskraft erwachsen ist. Der Haftungsanspruch entfällt somit nicht nur, wenn Geschädigte keinen Gebrauch von den zur Verfügung stehenden Rechtsmittel machen, sondern auch dann, wenn das Rechtsmittel abgewiesen wird. § 5 b. Indirekt Betroffene 1 Personen, die als Folge der Schädigung einer anderen Person einen Vermögensschaden erlitten haben, ohne dass ein widerrechtlicher Eingriff in ihre eigenen Rechtsgüter erfolgte, haben keinen Ersatzanspruch gegen das Gemeinwesen. 2 Haben Personen durch Tötung ihren Versorger oder ihre Versorgerin verloren, ist ihnen der dadurch entstandene Schaden zu ersetzen. Einen direkten Schaden erleidet die Person, die direkt (unmittelbar) durch einen Nachteil betroffen wird. Die Schädigung des direkt Geschädigten kann zur Folge haben, dass weitere Personen indirekt einen Schaden erleiden; man spricht von Reflexschaden oder Drittschaden. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Arbeitnehmer verletzt und dadurch während einiger Zeit arbeitsunfähig wird; indirekt geschädigt wird dadurch der Arbeitgeber, dem eine Arbeitskraft fehlt und der aus diesem Grund einen Auftrag nicht fristgerecht erfüllen kann und deshalb schadenersatzpflichtig wird. Indirekt geschädigt sind auch die Kinder, deren Vater oder Mutter getötet wird und die dadurch ihre Versorgerin beziehungsweise ihren Versorger verlieren; in diesem Fall spricht man vom Versorgerschaden. Auch das Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes und die Praxis dazu anerkennen den Versorgerschaden, nicht aber andere Reflexschäden als haftungsbegründend. Wenn ein Vater beim Unfalltod seiner Kinder einen Schock erleidet und dadurch bleibend arbeitsunfähig wird, handelt es sich nach der Praxis um einen direkten Schaden, nicht um einen Reflexschaden; der Vater wird dadurch in seiner körperlichen Integrität und damit in einem absoluten Rechtsgut verletzt. Die Abgrenzung zwischen direktem Schaden und Reflexschaden bereitet allerdings oft Schwierigkeiten (Jaag Tobias, Staats- und Beamtenhaftung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, herausgegeben von Heinrich Koller unter anderem, 2. Auflage, Basel/Frankfurt a.M. 2006; Rz. 58, 59, 165). § 6 c. Falsche Auskunft 1 Für Schaden aus falscher Auskunft haftet das Gemeinwesen nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Auskunft erteilenden Person. 2 Vorausgesetzt wird weiter, dass eine zuständige Person die Auskunft vorbehaltlos erteilt hat und die geschädigte Person gestützt darauf gutgläubig Dispositionen getroffen oder unterlassen hat, die eine Schädigung ihres Vermögens bewirkten. Ebenfalls vom Vorliegen eines Verschuldens wird die Haftung für falsche Auskunft abhängig gemacht (§ 6 Abs. 1 HG). Zwar mag es auch hier systemwidrig erscheinen, wenn die Haftung für den erlittenen Vertrauensschaden nur bei Verschulden der Auskunft erteilenden Person gewährt wird. Das Verschuldensprinzip lässt sich indessen damit begründen, dass die Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens gewährleistet bleiben muss; es soll nicht Gefahr laufen, bei jeder falschen Auskunft schadenersatzpflichtig zu werden. Sonst ist zu befürchten, dass aus Angst vor Haftungsverfahren keine Auskünfte mehr erteilt werden. Auch diese Regelung ist, wie unter den Erläuterungen zu § 4 HG ausgeführt, verfassungsrechtlich abgedeckt. - 31 - - 32 - Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch, dass der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten kann, in Durchbrechung des Legalitätsprinzips eine Bindung an die falsche Auskunft vorzusehen. Schadenersatz ist daher nicht die einzige rechtliche Konsequenz einer falschen Auskunft. Es kann auch sein, dass zum Beispiel Fristen wiederhergestellt werden oder dass eine "falsche" Zusicherung eingehalten wird, sodass gar kein Schaden entsteht. § 7 Haftung für rechtmässig verursachten Schaden 1 Rechtmässig verursachten Schaden haben die Betroffenen selbst zu tragen. dies als unzumutbar, weil der Schaden Einzelne schwer trifft, kann eine angemessene Entschädigung zugesprochen werden, insbesondere wenn die geschädigte Person die schädigende Handlung oder Unterlassung weder veranlasst noch davon profitiert hat. 2 Erscheint § 7 konkretisiert § 75 Abs. 2 KV. Als Beispiel für solche sogenannten "Sonderopfer" kann etwa die Requirierung eines privaten Fahrzeugs für einen Polizei- oder Feuerwehreinsatz genannt werden, das dabei beschädigt wird. Auch Schäden von Personen, die den staatlichen Institutionen helfen, sollen entschädigt werden (zum Beispiel Private, die bei einem Polizeieinsatz Hilfe leisten oder Begleitpersonen bei einem Schulausflug; zur Haftung bei Polizeieinsätzen vgl. auch die Ausführungen betreffend die teilweise Aufhebung des Polizeigesetzes (vgl. III. Ziffer 7 HG). § 8 Genugtuung Bei Tötung oder Körperverletzung eines Menschen sowie bei schwerer Persönlichkeitsverletzung kann in Würdigung der Umstände zusätzlich zum Schadenersatz eine angemessene Summe als Genugtuung zugesprochen werden. Die obligationenrechtliche Regelung der Genugtuung wird hier ergänzt durch die schwere Persönlichkeitsverletzung, die ebenfalls eine Genugtuung rechtfertigt. Mit Persönlichkeitsverletzungen im Sinne von Art. 28 ff. ZGB sind in der Regel massive Vertrauensverluste in staatliches Handeln verbunden. Diese sind durch die Genugtuungsleistung zu mildern. § 9 Haftung mehrerer Gemeinwesen Haben Personen, die im Dienst verschiedener Gemeinwesen stehen, Schaden verursacht, haften diese solidarisch, wenn die amtliche Tätigkeit nicht einem Gemeinwesen allein zuzurechnen ist. Beispiel zu § 9 HG: Gemeinsamer Einsatz von Kantons- und Gemeindepolizei oder von unterschiedlichen Partnern des Bevölkerungsschutzes (Zivilschutz, kantonaler Führungsstab, Feuerwehr). - 33 - 6.2.2 Geltendmachung des Haftungsanspruchs § 10 Klagerecht 1 Geschädigte Dritte haben gegenüber natürlichen Personen, die Schaden verursacht haben, keinen Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung. 2 Hat eine mit öffentlichen Aufgaben betraute Organisation des öffentlichen Rechts den Schaden verursacht, ist das zuständige Gemeinwesen zum Verfahren beizuladen. In Absatz 1 wird der Grundsatz verdeutlicht, dass primär das Gemeinwesen haftet und nicht die natürliche Person, die in Ausübung amtlicher Tätigkeit den Schaden verursacht hat. Damit wird vermieden, dass die schädigende Person trotz Staatshaftung auf zivilrechtlichem Weg belangt wird. Der Ausschluss des direkten Klagerechts gegen die Mitarbeitenden von Kanton und Gemeinden gilt aber nur für geschädigte Dritte. Bei direkter Schädigung des Gemeinwesens durch seine Mitarbeitenden kommt nicht diese Bestimmung, sondern vielmehr § 31 des Personalgesetzes zur Anwendung. § 10 Abs. 1 HG findet keine Anwendung in den Fällen von § 1 Abs. 2 HG (Aufgabenerfüllung durch Private), da sich die Haftung hier nach dem Bundeszivilrecht richtet und nicht in den Geltungsbereich des Haftungsgesetzes fällt. Die Beiladung gemäss Absatz 2 hat den Zweck, die Rechtskraft des Urteils auf den Beigeladenen auszudehnen, damit dieser in einem späteren gegen ihn gerichteten Prozess das Urteil im Beiladungsprozess gegen sich gelten lassen muss. Die Beiladung dient damit der Rechtssicherheit durch Ausdehnung der Rechtskraft sowie der Prozessökonomie und verhindert sich widersprechende Urteile. Der Beigeladene kann die Beteiligung nicht mit der Wirkung ausschlagen, dass das betreffende Urteil für ihn nicht gilt; selbst wenn er auf die aktive Mitwirkung (Stellung von Anträgen) am Verfahren verzichtet, entfaltet das Urteil auch ihm gegenüber Rechtswirkungen, hingegen trägt er diesfalls kein Kostenrisiko. Der beigeladene Dritte erhält Parteistellung. § 11 Klageverfahren 1 Vor Einreichung einer Klage ist mit dem Gemeinwesen der Vergleich zu suchen. Übrigen richtet sich das Verfahren nach den Bestimmungen des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens. 3 Der Regierungsrat bestimmt durch Verordnung diejenige Stelle, bei der der Haftungsanspruch gegenüber dem Kanton geltend zu machen ist. 2 Im § 11 Abs. 1 HG betont das Interesse von Kanton und Gemeinden an einer Vergleichslösung. Konsens ist volkswirtschaftlich billiger als eine gerichtliche Entscheidung (Konferieren statt Prozessieren). Das obligatorische Vergleichsverfahren zwischen Geschädigten und Gemeinwesen will verhindern, dass eine Partei klagt, ohne dass die beklagte Partei überhaupt etwas von den geltend gemachten Ansprüchen weiss. Allerdings kann es diese Zwecksetzung nur unvollständig erfüllen, da es keinen vermittelnden Dritten gibt. Bei Scheitern der Vergleichsbemühungen hindert § 11 Abs. 1 HG das mit der Instruktion betraute Mitglied des Verwaltungsgerichts nicht daran, den Parteien einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zur Stellungnahme zu unterbreiten oder sie zu einer Vermittlungsverhandlung einzuladen (§ 62 des neuen Verwaltungsrechtspflegegesetzes [VRPG] vom 4. Dezember 2007). Die Verjährung richtet sich auch hier nach dem - 34 - Obligationenrecht. Absatz 2: Für das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren gelten die §§ 60–67 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRPG; SAR 271.100) vom 9. Juli 1968 beziehungsweise die §§ 60–63 des neuen VRPG vom 4. Dezember 2007. Ein im Anhörungsverfahren vorgeschlagenes, davon abweichendes besonderes Vorverfahren stiess auf massive Kritik und wurde deshalb nicht weiterverfolgt. Gestützt auf Absatz 3 regelt der Regierungsrat durch Organisationsverordnung, wo Haftungsansprüche anzumelden sind. Die Gemeinden sollen selber bestimmen können, wer diese Anlaufstelle bei Haftungsansprüchen gegen die Gemeinde ist. Der Regierungsrat will hier nicht in die Organisationsautonomie der Gemeinden eingreifen. 6.2.3 Rückgriff auf die Schaden verursachende Person § 12 Rückgriff 1 Hat das Gemeinwesen Schadenersatz oder Genugtuung geleistet, kann es auf die verantwortliche Person Rückgriff nehmen, falls sie sich vorsätzlich oder grobfahrlässig widerrechtlich verhalten hat. 2 Zur Klageerhebung gegenüber Mitgliedern des Grossen Rats, des Regierungsrats und der Gerichte bedarf es eines Beschlusses des Grossen Rats; ein vorgängiges Schlichtungsverfahren entfällt. 3 Der Rückgriff ist ausgeschlossen, wenn die verantwortliche Person nicht sofort über das Haftungsbegehren informiert worden ist. Diese Bestimmung regelt den Rückgriff auf die schädigende Person. Alle Regelungen betreffend den Rückgriff werden neu im allgemein gültigen Haftungsgesetz getroffen. § 39 lit. c Personalgesetz wird deshalb aufgehoben. Personen, die nach Obligationenrecht angestellt sind, haften auch danach, so auch beigezogene Begleit- und Hilfspersonen. Zur Klageerhebung gegenüber Mitgliedern des Grossen Rats, des Regierungsrats und der Gerichte bedarf es eines vorausgehenden Beschlusses des Grossen Rats. Bereits das geltende Verantwortlichkeitsgesetz aus dem Jahr 1939 macht die Klageanhebung gegenüber Mitgliedern des Regierungsrats und des Obergerichts davon abhängig (§ 1 Abs. 2 Verantwortlichkeitsgesetz). Weil aber die Zuständigkeit der verwaltungsinternen Schlichtungskommission mit anschliessender Verfügung der Anstellungsbehörde (§ 37 Personalgesetz) weder organisatorisch noch funktional auf Magistratspersonen zugeschnitten ist, entfällt ein Schlichtungsverfahren vor dieser verwaltungsinternen Kommission. Meldet eine geschädigte Person gegenüber dem Gemeinwesen einen Haftungsanspruch an, so ist die Person, die den Schaden verursacht hat, davon sofort in Kenntnis zu setzen, damit sie das Gemeinwesen in der Abwehr der Ansprüche unterstützen und im Fall eines Rückgriffs auf dem Ergebnis des Verfahrens zwischen Geschädigtem und Gemeinwesen behaftet werden kann. Auch der Bund sieht eine solche Rechtspflicht in Art. 3 Abs. 4 seines Verantwortlichkeitsgesetzes vor. - 35 - § 13 Rückgriff auf mehrere Personen 1 Haben mehrere Personen den Schaden verursacht, haften sie anteilmässig nach Massgabe ihres Verschuldens. 2 Mitglieder von Kollegialbehörden haften solidarisch. Sie sind von der Haftung befreit, wenn sie nachweisen können, dass sie dem Schaden verursachenden Beschluss nicht zugestimmt haben. Absatz 1: Eine inhaltlich gleiche Regelung findet sich § 31 des Personalgesetzes. Danach werden Ersatzansprüche nach Massgabe des Verschuldens anteilmässig geltend gemacht, wenn mehrere Personen dem Kanton (also bei direkter Schädigung des Kantons) Schaden verursacht haben. Gemäss Absatz 2 haben Mitglieder von Kollegialbehörden die Möglichkeit des Exkulpationsbeweises. Es wäre stossend, sie für rechtswidrige Entscheide haften zu lassen, die sie nicht mitgetragen haben. Das Kollegialitätsprinzip muss am Legalitätsprinzip seine Grenze finden, auch wenn befürchtet wird, dass die Geschlossenheit von Kollegialbehörden dadurch noch mehr aufgeweicht werden könnte. § 14 Einreden und Haftungsbefreiung 1 Der beklagten Person stehen alle Einreden und Einwendungen zu, die dem Rückgriff nehmenden Gemeinwesen im Verfahren gegen die geschädigte Person zugestanden haben, wenn darüber nicht rechtskräftig entschieden worden ist. 2 Auf eine Klageanhebung kann verzichtet werden, insbesondere wenn sie die für den Schaden verantwortliche Person unverhältnismässig hart treffen würde. Diese Bestimmung hat insbesondere in denjenigen Fällen Bedeutung, in denen das Gemeinwesen mit der geschädigten Person einen Vergleich abgeschlossen hat, ohne die Voraussetzungen der Haftung im Detail abgeklärt zu haben. Im Rückgriffsverfahren muss es der beklagten Person möglich sein, alle Voraussetzungen der Haftung abklären zu lassen. Der gerichtliche oder aussergerichtliche Vergleich zwischen geschädigter Person und Gemeinwesen hat daher keine präjudizielle Wirkung auf das Verhältnis zwischen Gemeinwesen und schädigender Person. § 15 Verrechnung mit Lohnansprüchen Rückgriffsansprüche dürfen ohne Zustimmung der Schaden verursachenden Person erst dann mit deren Lohn- oder anderen Entschädigungsansprüchen verrechnet werden, wenn sie in einem Vergleich oder Urteil rechtskräftig festgestellt worden sind. Mit dieser Bestimmung wird verhindert, dass das Gemeinwesen die Prozessrollen vertauschen und die schädigende Person ohne deren Zustimmung in die schwierigere Klägerrolle drängen kann. Gemeint ist darin nicht der Vergleich zwischen Gemeinwesen und geschädigter Person im Sinne von § 11 Abs. 1, sondern der Vergleich zwischen Gemeinwesen und schädigender Person. Über das zulässige Mass (Höhe) der Verrechnung äussert sich diese Bestimmung nicht. Sonderbestimmungen in anderen Erlassen bleiben daher vorbehalten. So bestimmt etwa § 26 Abs. 2 des Dekrets über die Löhne des kantonalen Personals (Lohndekret; SAR 165.130) vom 30. November 1999, dass zur - 36 - Verrechnung einer anerkannten Forderung oder als Sicherheit für eine bestrittene Forderung aus dem Arbeitsverhältnis vom Monatslohn höchstens ein Zehntel, insgesamt jedoch nicht mehr als der Lohn für eine Arbeitswoche zurückbehalten werden kann. § 16 Verjährung 1 Der Rückgriffsanspruch verjährt innert einem Jahr seit der rechtskräftigen Feststellung des Haftungsanspruchs. 2 Wird der Anspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, gelten die strafrechtlichen Verjährungsfristen, sofern diese länger sind. Diese Norm gibt dem Gemeinwesen ausreichend Zeit zum Rückgriff auf die schädigende Person. § 17 Geltendmachung Rückgriffsansprüche gegen natürliche Personen sind gemäss den §§ 37 und 39 des Gesetzes über die Grundzüge des Personalrechts (Personalgesetz, PersG) vom 16. Mai 2000 geltend zu machen. § 17 HG ist anwendbar auf alle Personen, die nach Personalgesetz oder nach dem Gesetz über die Anstellung der Lehrpersonen (GAL) in einem Anstellungs- oder Beamtenverhältnis zum Gemeinwesen stehen. Das Personalgesetz gilt betreffend Rechtsschutz aber auch für die Gemeindeangestellten (§ 48 PersG). Personen, die nach dem Obligationenrecht angestellt sind oder nicht bei einer dienstlichen Verrichtung gehandelt haben, sind zivilprozessual zu belangen. 6.2.4 Schluss- und Übergangsbestimmungen § 18 Übergangsrecht Vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes verursachte Schäden werden nach bisherigem Recht beurteilt. Eine gleichlautende übergangsrechtliche Regelung kennt zum Beispiel auch der Kanton Zug. Abklärungen bei den Spitalaktiengesellschaften haben ergeben, dass seit Inkrafttreten des neuen Spitalgesetzes Haftungsfälle vollständig nach privatrechtlichen Grundsätzen abgewickelt werden. Spitäler und deren Haftpflichtversicherer gehen somit von der Anwendung des Privatrechts aus. Daraus ergibt sich, dass ein Bedarf nach zusätzlichen übergangsrechtlichen Bestimmungen für pendente Haftpflichtverfahren auch hier nicht besteht. § 19 Publikation und Inkrafttreten Dieses Gesetz ist nach unbenütztem Ablauf der Referendumsfrist beziehungsweise nach Annahme durch das Volk in der Gesetzessammlung zu publizieren. Der Regierungsrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens. § 19 entspricht der für die Publikation und das Inkrafttreten eines Gesetzes üblichen Formulierung. - 37 - 6.2.5 Fremdänderung II. Das Zivilrechtspflegegesetz (Zivilprozessordnung, ZPO) vom 18. Dezember 1984 wird wie folgt geändert: § 27 Klagen gegen den Kanton und die selbstständigen staatlichen Anstalten können beim Richter des Kantonshauptortes oder am aargauischen Wohnsitz des Klägers erhoben werden. Vorbehalten bleiben besondere Regelungen über die Haftung des Gemeinwesens. Durch eine Fremdänderung (Ergänzung) von § 27 ZPO soll klargestellt werden, dass für die Haftung des Gemeinwesens besondere Regelungen vorbehalten bleiben. 6.2.6 Fremdaufhebungen ІІІ. Es werden aufgehoben: 1. Das Gesetz über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz) vom 21. Dezember 1939. Das vorliegende Gesetz ersetzt das Verantwortlichkeitsgesetz. 2. § 39 lit. c des Gesetzes über die Grundzüge des Personalrechts (Personalgesetz, PersG) vom 16. Mai 2000. Der Rückgriff wird ausschliesslich im Haftungsgesetz geregelt. 3. § 12 des Gerichtsorganisationsgesetzes (Gesetz über die Organisation der ordentlichen richterlichen Behörden, GOG) vom 11. Dezember 1984. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um einen überflüssigen Verweis. 4. § 120 des Zivilrechtspflegegesetzes (Zivilprozessordnung, ZPO) vom 18. Dezember 1984. Neu sollen Haftungsansprüche im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren entschieden werden. Entschädigungen wegen rechtswidriger Entscheide sind nach § 4 Abs. 1 HG zuzusprechen. Angesichts des Umstands, dass gestützt auf § 120 ZPO bei Verstoss des erstinstanzlichen Richters gegen grundlegende gesetzliche Bestimmungen ein Kostenanspruch der Partei zulasten der zum allgemeinen Staatshaushalt gehörenden "Gerichtskasse" bestehen kann, vermag nicht zu überzeugen, warum die Justizbehörden davon ausgehen, dass es sich bei diesem Anspruch nicht um einen Haftungsanspruch - 38 - gegen das Gemeinwesen handeln soll. Tatsächlich geht es hier um einen sogenannten Justizschaden (vgl. dazu: Alfred Bühler/Andreas Edelmann/Albert Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, Aarau 1998, Rz. 1 ff. zu § 120, Seite 291). 5. § 24 des Einführungsgesetzes zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (EG SchKG) vom 22. Februar 2005. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um einen überflüssigen Verweis. 6. § 36 lit. c des Gesetzes über die Anstellung von Lehrpersonen (GAL) vom 17. Dezember 2002. Der Rückgriff wird ausschliesslich im Haftungsgesetz geregelt. 7. § 56 Absätze 1–3 des Gesetzes über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit (Polizeigesetz, PolG) vom 6. Dezember 2005. Bei den Absätzen 1 und 3 handelt es sich um einen überflüssigen Verweis. An die Stelle von Absatz 2 tritt § 9 HG. Die gänzliche Aufhebung von § 56 des Polizeigesetzes (PolG) würde zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der geschädigten Personen gegenüber der heutigen Regelung führen, da die Gemeinden nach § 56 Abs. 4 PolG unter anderem auch für Schädigungen durch Einsätze von beauftragten privaten Sicherheitsdiensten haften, was nach § 1 Abs. 2 HG nicht mehr der Fall wäre. Verzichtet wird auch auf eine Aufhebung von § 56 Abs. 5 PolG. Danach können Personen, die den Polizeiorganen Hilfe geleistet haben und dabei Schaden erleiden, vom zuständigen Gemeinwesen für den erlittenen Schaden entschädigt werden. Zwar wäre eine Haftung für Hilfeleistung bei Polizeieinsätzen bei rechtmässig zugefügten Schäden (zum Beispiel Schäden auf der Parzelle durch Umleitung des Verkehrs oder durch polizeiliche Massnahmen und Fahrzeuge) durch § 7 HG abgedeckt. Der Anwendungsbereich von § 56 Abs. 5 PolG erstreckt sich indessen auch auf Fälle, in welchen die Hilfe leistenden Personen widerrechtlich und absichtlich oder fahrlässig Schaden durch Dritte erleiden (zum Beispiel auf Personen, die der Polizei bei der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung bei Sport- oder Musikveranstaltungen geholfen und dabei Schaden erlitten haben). 8. § 16 des Feuerwehrgesetzes (FwG) vom 23. März 1971. Bei § 16 Abs. 1 und 2 handelt es sich um überflüssige Verweise. Aufgrund einer nochmaligen Überprüfung im Rahmen des Mitberichtsverfahrens kann in Absprache mit der Aargauischen Gebäudeversicherung der ganze § 16 des Feuerwehrgesetzes (FwG) aufgehoben werden. Es kommen bereits heute einzig die Bestimmungen der Feuerfondsverordnung vom 2. Mai 2007 zur Anwendung. Die Kosten für die FeuerwehrHaftpflichtversicherung der Gemeinden sind in den jährlichen Pauschalen enthalten, die die - 39 - Gebäudeversicherung ihnen ausrichtet (§ 3 lit. f i.V.m. § 4 Abs. 1 und Abs. 4 der Feuerfondsverordnung). 6.2.7 Schluss ІV. Die Änderung und die Aufhebungen unter Ziff. II. und III. sind nach unbenütztem Ablauf der Referendumsfrist beziehungsweise nach Annahme durch das Volk in der Gesetzessammlung zu publizieren. Der Regierungsrat bestimmt den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Hier stehen die üblichen Bestimmungen betreffend Publikation und Inkrafttreten. Der Regierungsrat wird das Inkrafttreten dann beschliessen, wenn er das kantonale Haftungsrecht auch auf Verordnungsebene bereinigt hat. Antrag: 1. Der vorliegende Entwurf einer Teilrevision der Kantonsverfassung (KV) wird in 1. Beratung zum Beschluss erhoben. 2. Der vorliegende Entwurf einer Totalrevision des Gesetzes über die Verantwortlichkeit der öffentlichen Beamten und Angestellten und über die Haftung des Staates und der Gemeinden für ihre Beamten (Verantwortlichkeitsgesetz) wird in 1. Beratung zum Beschluss erhoben. 3. Die (4297) Motion Dr. Benno Studer, Frick, vom 11. November 1986 betreffend Revision des Verantwortlichkeitsgesetzes wird als erledigt abgeschrieben. Aarau, 23. April 2008 IM NAMEN DES REGIERUNGSRATS Landammann: Peter C. Beyeler Staatsschreiber: - 40 - Dr. Peter Grünenfelder Beilagen: Synopse Verfassung des Kantons Aargau Synopse Haftungsgesetz (HG)