Grundbegriffe der Lyrik

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Epochenseminar: Literatur des Barock
Seminarleitung: Florian Trabert – Wintersemester 2005 / 06
Grundbegriffe der Lyrik-Interpretation
1. Metrik
1.1. Versmaße
Trochäus (fallende, alternierende Verse): ´ _ ´ _ ´ _
Jambus (steigende, alternierende Verse): _ ´ _ ´ _ ´
Daktylus (fallende Verse mit Doppelsenkungen): ´ _ _ ´ _ _ ´ _ _
Anapäst (steigende Verse mit Doppelsenkungen): _ _ ´ _ _ ´ _ _ ´
1.2. Grundbegriffe der Metrik
katalektisch: Unvollständigkeit des letzten Versfußes
´_
_
´
_
_
´ _
_ ´_
_
´ _
Da ich zum abschied die hände – Luzilla - dir biete (hier katalektischer Daktylus)
(George: An Luzilla)
akatalektisch: Vollständigkeit des letzten Versfußes
_
´ _ ´  _
´_
´_
´ _
´
Was diser heute baut / reist jener morgen ein:
(Gryphius: Es ist alles eitel)
hyperkatalektisch: überzählige Silbe über den letzten regelmäßig gefüllten Vers hinaus
_
´
_
´ _ ´  _
´_
´ _
´ _
DU sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden.
(Gryphius: Es ist alles eitel)
Hebungsprall: Aufeinanderstoßen zweier betonter Silben; vor allem in antiken Vers- und
Strophenformen (s.u.)
´
_
_
´_
_
´
´ _ _ ´
_
_
´
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
(Schiller: Nänie)
Füllungsfreiheit: Metrum ohne zwingende Alternation: zwischen zwei Hebungen können
eine, zwei oder noch mehr Senkungen liegen; im Folgenden gekennzeichnet durch ()
_
´
_
´_
_
´ _
´ _
Zu fragmentarisch ist Welt und Leben!
(Heine: Buch der Lieder)
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Zäsur: syntaktischer oder metrischer Einschnitt in einem Vers, häufig mit dem Stilmittel der
Antithese verbunden; im Folgenden gekennzeichnet durch |
_
´
_
´
_
´  _
´ _
´ _
´ _
Itzt lacht das Glück uns an / bald donnern die Beschwerden.
(Gryphius: Es ist alles eitel)
schwebende Betonung: ausgleichende Akzentuierung von Verspartien, Hebung und Senkung
werden aneinander angeglichen; im Folgenden gekennzeichnet durch ~
Und meine Seele spannte
~ ~ _
´ _
´
Weit ihre Flügel aus,
(Eichendorff: Mondnacht)
Tonbeugung: Eine normalerweise unbetonte Silbe wird dem Metrum entsprechend betont
_
´
_
´ _
´ _
´
Wie schön leuchtet der Morgenstern
(Nicolai: Ein Geistlich Braut Lied der gläubigen Seelen)
Enjambement: Übergreifen des Satzgefüges über das Versende hinaus (Extremform:
Strophenenjambement)
Da drunten fließt der blaue
Stadtgraben in stiller Ruh’
(Heine: Buch der Lieder)
2. Klangfiguren
2.1. Reim
Endreim: Gleichklang von Wörtern ab der letzten betonten Silbe
männlicher Reim: Reim endet auf betonter Silbe (wie frz. grand; vgl. Beispiel für
akatalektisches Versende)
weiblicher Reim: Reim endet auf unbetonter Silbe (wie frz. grande; vgl. Beispiel für
katalektisches Versende)
dreisilbiger Reim: drittletzte Silbe ist betont: reitende / leitende (zählt als weiblicher Reim)
erweiterter Reim: Laute stimmen auch noch vor dem letzten betonten Vokal überein
Dann seh ich wie sich duftige nebel lüpfen
In einer sonnerfüllten klaren freie
Die nur umfängt auf fernsten bergesschlüpfen
(George: Entrückung)
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identischer Reim: identisches Reimwort (Spezialfall der Epipher, s.u.)
O Mutter! Was ist Seligkeit?
O Mutter! was ist Hölle?
Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit,
Und ohne Wilhelm Hölle! –
(Bürger: Lenore)
unreiner Reim: nicht alle Laute von der letzten betonten Silbe stimmen überein; zumeist
Kombination von langen und kurzen Vokalen (ruft / Luft), von Vokalen und Umlauten (Liebe
/ trübe) oder verschiedenen Diphthongen (reichen / keuchen) oder konsonantische
Abweichungen (meist stimmhaft / stimmlos)
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt
(Goethe: Urworte. Orphisch)
Ausschlaggebend ist das Lautbild, nicht das Schriftbild: Welt / hält z.B. gilt als reiner Reim!
2.2. Reimformen
Paarreim: aa bb cc dd …
Kreuzreim: abab cdcd … (vgl. das Beispiel für Chevy-Chase Strophe und Romanzenstrophe)
Blockreim: abba cddc … (auch umarmender oder umschließender Reim genannt)
Schweifreim: aabccb … (Paarreim + Blockreim)
Haufenreim: aaaa …
Augen, meine lieben Fensterlein
a
Gebt mir schon so lange holden Schein,
a
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
a
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
a
(Keller)
Waise: reimloser Vers, zumeist mit x gekennzeichnet
Veilchen träumen schon,
a
wollen balde kommen.
b
- Horch, von fern ein leiser Harfenton!
a
Frühling, ja du bist’s!
x
Dich hab’ ich vernommen!
b
(Mörike: Er ist’s -)
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2.3. Sonstige Klangfiguren
Anfangsreim: Reim am Versanfang
Was äffst du nach mein Liebesleid,
Das mich gequält auf dieser Stelle
(Heine: Der Doppelgänger)
Anapher: Wiederholung eines Wortes am Anfang aufeinander folgender Sätze, Satzteile,
Verse oder Strophen (vgl. die ersten beiden Verse des Beispiels für identischen Reim)
Epipher: Wiederholung eines Wortes am Ende aufeinander folgender Sätze, Satzteile, Verse
oder Strophen (vgl. das Beispiel für identischen Reim)
Binnenreim: Reim im inneren eines Verses
O Stern und Blume, Geist und Kleid
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit
(Brentano: 20. Jänner nach großen Leid)
Schlagreim: Reim direkt aufeinander folgender Worte (im Gegensatz zum Binnenreim):
So jubelnd recht in die hellen,
Klingenden, singenden Wellen
Des vollen Frühlings hinaus.
(Eichendorff: Die zwei Gesellen)
Assonanz: Übereinstimmung der Vokale, nicht aber der Konsonanten (im Gegensatz zum
Reim)
In des ernsten Thales Büschen,
Ist die Nachtigall entschlafen,
Mondenschein muß auch verblühen,
wehet schon der Frühe Athem
(Brentano)
Alliteration: gleicher Anlaut aufeinanderfolgender (im weniger strengen Sinne auch nicht
aufeinanderfolgender) Wörter
Komm, Kühle, komm, küsse den Kummer
Süß säuselnd von sinnender Stirn
(Brentano: Rheinmärchen)
Onomatopoesie: Verwendung klangnachahmender, lautmalender Wörter
Dann klippert’s und klappert’s mitunter hinein,
Als schlüg man die Hölzlein zum Takte.
(Goethe: Totentanz)
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3. Versformen
Die in der deutschsprachigen Lyrik üblichen Versformen lassen sich nach ihrem
Herkunftsbereich unterschieden. Neben deutschen Versformen wie Lied- und Knittelvers sind
vor allem die romanischen und antiken (griechisch-römischen) Versformen von Bedeutung.
3.1. Romanische Versformen
Alexandriner: _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ ()
seit dem altfranzösischen Alexanderroman (1180) klassischer Vers der französischen
Literatur, typisch ist die Zäsur in der Versmitte
Vers commun: _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ ()
verkürzte Variante des Alexandriners, mit einer Zäsur nach der zweiten Hebung
Was ist die Welt und ihr berühmtes gläntzen?
(Hofmannswaldau: Die Welt)
Endecasillabo: _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _
seit Dante (1265-1321) ist der Elfsilbler der klassische Vers der italienischen Literatur; in den
der italienischen Literatur entstammenden Vers- und Gedichtformen (s.u.) wird er jedoch
bisweilen um eine Silbe verkürzt (vgl. das Beispiel für die Terzine)
Ich fühle Luft von anderen Planeten
(George: Entrückung)
Blankvers: _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ ()
entwickelte sich in der englischen Literatur als reimlose Nachbildung des vers commun (s.o.);
vor allem als Dramenvers von Bedeutung, wurde er in der Lyrik selten verwendet
Mit silbergrauem Dufte des dunklen Tales
Verschwammen meine dämmernden Gedanken
(Hofmannsthal: Erlebnis)
3.2. Antike Versformen
stets reimlos, ebenso wie die antiken Strophenformen Elegie und Ode
Hexameter: ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ _ _ ´ _
Pentameter: ´ _ () ´ _ () ´ ´ _ _ ´ _ _ ´
die Verbindung von Hexameter und Pentameter bezeichnet man als elegisches Distichon
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab.
(Schiller: Das Distichon)
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4. Strophenformen
Ähnlich wie die Versformen sind auch die Strophenformen zumeist antiken oder romanischen
Ursprungs.
4.1. Romanische Strophenformen
Romanzenstrophe: diese der spanischen Dichtung entlehnte Strophe ist in der Zeit von 1770
bis 1900 die beliebteste Strophenform der deutschen Lyrik; eine seltenere Form mit
durchgängig weiblichen Kadenzen wird auch als Schenkenstrophe bezeichnet
´_ ´_ ´_ ´_
a
Dämmrung senkte sich von oben,
´_ ´_ ´_ ´
b
Schon ist alle Nähe fern;
´_ ´_ ´_ ´_
a
Doch zuerst emporgehoben
´_ ´_ ´_ ´
b
Holden Lichts der Abendstern!
(Goethe: Deutsch-chinesische Jahres- und Tageszeiten)
Terzine: diese Strophenform führte Dante mit seiner Divina Commedia in die Literatur ein;
kennzeichnend ist die durch das Reimschema bedingte Verkettung der einzelnen Terzinen
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () a
Viel königlicher als ein Perlenband
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () b
Und kühn wie ein junges Meer im Morgenduft,
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () a
So war ein großer Traum – wie ich ihn fand.
bcb cdc ded…
Durch offene Glastüren ging die Luft.
Ich schlief im Pavillon zu ebner Erde,
Und durch vier offne Türen ging die Luft –
(Hofmannsthal: Ein Traum von großer Magie)
Stanze: die klassische Strophe des italienischen Epos’ (Ariosto, Tasso) wurde in der
deutschen Literatur vorrangig für Gedankenlyrik verwendet
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () a
Nun sollen wir versagte Tage lange
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () b
Ertragen in des Widerstandes Rinde;
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () a
Uns immer wehrend, nimmer an der Wange
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () b
Das Tiefe fühlend aufgetaner Winde.
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () a
Die Nacht ist stark, doch von so fernem Gange,
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () b
Die schwache Lampe überredet linde.
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () c
Laß dich’s getrösten: Frost und Harsch bereiten
_ ´ _ ´ _ ´ _ ´ _ ´ () c
Die Spannung künftiger Empfänglichkeiten.
(Rilke: Winterliche Stanzen)
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4.2. Antike Strophenformen
Sapphische Odenstrophe: kennzeichnend für diese nach der griechischen Dichterin Sappho
(um 600 vor Christus) benannte Strophe ist die dreimalige Wiederkehr eines fünfhebigen
trochäischen Verses mit einer Doppelsenkung nach der dritten Hebung
´_ ´_ ´__ ´_ ´_
Ach, es hat dein brennendes Auge mir sich
´_ ´_ ´__ ´_ ´_
Zugewandt, huldvolle Gespräche sprach es,
´_ ´_ ´__ ´_ ´_
Ja, ich sah’s anfüllen sich sanft, vergehn im
´__ ´_
Taue der Sehnsucht!
(Platen: Liebe, Liebreiz, Winke der Gunst)
Asklepiadische Odenstrophe: der Hebungsprall in der Versmitte der ersten beiden Verse
bewirkt eine deutliche Zäsur und teilt den Vers in zwei spiegelbildliche Hälften
_ ´__ ´| ´__ ´_ ´
Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
_ ´__ ´| ´__ ´_ ´
Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied,
´_ ´__ ´_
Du, der Vaterlandsstädte
´_ ´__ ´_ ´
Ländlichschönste, so viel ich sah.
(Hölderlin: Heidelberg)
Alkäische Odenstrophe: durch das vollkommene Fehlen eines Hebungspralls tendiert die
alkäische Ode im Gegensatz zur asklepiadischen zu einer fließenden Sprachbewegung; beide
Strophenformen wurden insbesondere von Hölderlin verwendet
_ ´_ ´_| ´__ ´_ ´
Du stiller Ort! in Träumen erschienst du fern
_ ´_ ´_| ´__ ´_ ´
Nach hoffnungslosem Tage dem Sehnenden,
_ ´_ ´_ ´_ ´_
Und du mein Haus, und ihr, Gespielinnen,
´__ ´__ ´_ ´_
Bäume des Hügels, ihr wohlbekannten!
(Hölderlin: Rückkehr in die Heimath)
4.3. Sonstige Strophenformen
Chevy-Chase Strophe: diese nach einer englischen Ballade des 15. Jahrhunderts benannte
Strophe zeichnet sich insbesondere durch ihre durchgängig männlichen Verskadenzen aus,
weshalb sie sich insbesondere für energische Inhalte eignet
_ ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ a
Im Felde schleich ich still und wild
_ ´ _ () ´ _ () ´
Gespannt mein Feuerrohr.
b
_ ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ a
Da schwebt so licht dein liebes Bild
_ ´ _ () ´ _ () ´
Dein süßes Bild mir vor.
b
(Goethe: Der Jäger)
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Vagantenstrophe: aus der mittelalterlichen Vagantendichtung stammend, ist diese Strophe
ein naher Verwandter der Chevy-Chase Strophe, jedoch mit alternierenden Verskadenzen
() ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ a
Es läutet beim Professor Stein,
() ´ _ () ´ _ () ´
Die Köchin rupft die Hühner.
b
() ´ _ () ´ _ () ´ _ () ´ a
Die Minna geht: wer kann das sein? –
() ´ _ () ´ _ () ´
Ein Gaul steht vor der Türe.
b
(Morgenstern: Galgenlieder)
5. Gedichtformen
Die im Folgenden angeführten Gedichtformen erlebten ihre Blütezeit in der Lyrik des 17. bis
19. Jahrhunderts, sind jedoch im 20. Jahrhundert weitgehend bedeutungslos geworden – mit
der gewichtigen Ausnahme des Sonetts.
5.1. Sonett
Diese in der italienischen Lyrik des 13. Jahrhunderts entstandene Gedichtform erreichte ihren
ersten Höhepunkt im Canzoniere Petrarcas (14. Jahrhundert). Sie wurde in die deutsche Lyrik
zuerst nach dem Vorbild der französischen Renaissance (Ronsard und die französische
Dichtergruppe Pléiade) übernommen (Versform zumeist Alexandriner), erst ab der Romantik
waren italienische Modelle prägend (Versform zumeist Endecasillabo). Unter dem Einfluß der
französischen Symbolisten (Baudelaire, Mallarmé) wurde die strenge Form des Sonetts ab
dem späten 19. Jahrhundert zunehmend mit Abweichungen von den klassischen
Reimschemata und Metren verwendet (so insbesondere von Rilke). Das Sonett ist die einzige
Gedichtform, die in der deutschen Lyrik vom 16. bis ins 20. Jahrhundert verwendet wurde.
Kennzeichnend ist die Gliederung in ein Oktett und ein Sextett, dieser formalen Teilung
entspricht zumeist auch eine inhaltliche; das Oktett ist wiederum in zwei Quartette, das
Sextett in zwei Terzette geteilt; in den Terzetten ist das Reimschema freier.
alter italienischer Typ (eher selten): abab abab cdc dcd (Terzette auch: cde cde)
neuerer italienischer Typ: abba abba cdc dcd (Terzette auch: cde cde)
französischer Typ: abba abba ccd ede (Terzette auch: ccd eed)
Shakespeare-Sonett: abab cdcd efef gg (in der deutschen Lyrik sehr selten)
sonnet licencieux („freizügiges“ Sonett): dieser der französischen Lyrik entstammende Typ
mit vier Reimen in den Quartetten (abba cddc) findet sich in der deutschen Lyrik recht häufig,
was sich durch die geringere Anzahl an Reimwörtern im Vergleich zu den romanischen
Sprachen erklären läßt
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August Wilhelm Schlegel: Das Sonett
Zwey Reime heiss’ ich viermal kehren wieder,
Und stelle sie, getheilt, in gleiche Reihen,
Dass hier und dort zwey eingefasst von zweyen
Im Doppelchore schweben auf und nieder.
Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwey Glieder
sich freyer wechselnd, jegliches von dreyen.
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen
Die zartesten und stolzesten der Lieder.
Den wird’ ich nie mit meinen Zeilen kränzen,
Dem eitle Spielerey mein Wesen dünket,
Und Eigensinn die künstlichsten Gesetze.
Doch, wem in mir geheimer Zauber winket,
Dem leih’ ich Hoheit, Füll’ in engen Gränzen,
Und reines Ebenmass der Gegensätze.
5.2. Ode
Die Gedichtform der Ode umfaßt eine Vielzahl von Unterformen: zunächst die Gedichte, die
sich aus den verschiedenen Odenstrophen (s.o.) zusammensetzen; im 17. Jahrhundert
bezeichnet der Begriff Ode jedoch vorrangig ein streng in Strophen unterteiltes Lied;
bisweilen orientiert sich die barocke Ode auch am dreiteiligen Aufbau der pindarischen Ode
(Strophe, Antistrophe, Epode).
5.3. Madrigal
Diese der italienischen Oper entstammende Gedichtform ist sehr frei und daher nur schwer zu
bestimmen: Zwar findet sich häufig das Reimschema abb cdd eff gg hh, jedoch können
sowohl die Verslänge als auch die Versanzahl variieren, zudem können auch Waisen (s.o.)
vorkommen; das Madrigal ist insbesondere eine Form der bukolisch-idyllischen
Liebesdichtung.
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Harsdörffer: Pegnesisches Schäfergedicht
Schöne Linde
Deine Rinde
Nehm den Wunsch von meiner Hand:
Kröne mit dem sanfften Schatten
Diese stets begrasten Matten /
Stehe sicher vor dem Brand;
Reist die graue Zeit hier nieder
Deine Brüder /
Sol der Lentzen diese Aest’
Jedes Jahr belauben wieder
Und dich hegen Wurtzelfest.
5.4. Epigramm
Wenngleich die für das Epigramm üblichsten Versmaße das elegische Distichon und der
Alexandriner (s.o.) sind, ist diese Gedichtform weniger durch formale als durch inhaltliche
Kriterien bestimmt. Kennzeichnend für das Epigramm ist neben der Kürze (selten länger als
vier Zeilen) die Zweiteilung in einen Erwartungsteil und eine Pointe bzw. überraschende
Schlußwendung, die eine geistreiche Interpretation eines Gegenstandes oder Sachverhaltes
gibt. Die durch den Römer Martial (31 / 41-102) eingeführte Form war in der deutschen
Literatur insbesondere im Barock (Logau, Angelus Silesius) und in der Klassik (von Goethe
und Schiller gemeinsam verfaßte Xenien) beliebt.
Goethe / Schiller: Xenien
Koffers führen wir nicht. Wir führen nicht mehr, als zwei Taschen
Tragen, und die, wie bekannt, sind bei Poeten nicht schwer.
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