Zeit der Zukunft – Über den Umgang mit Nichtwissen

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Zeit der Zukunft – Über den Umgang mit Nichtwissen
Zeitakademie des Tutzinger Projekts
„Ökologie der Zeit“
28. bis 30. April 2006
Barbara Adam
Leere und Gelebte Zeit – Über den Umgang mit Zukunft
Einleitung: Das Verhältnis von Zeit und Zukunft
Warum das Thema Zukunft? Warum jetzt, nach 13 Jahren von zeitökologischen
Tagungen? Meine Anworten auf diese beiden Fragen sind eng miteinander verknüpft.
1. Wenn wir uns mit der Zeit befassen, geht es auch immer implizit um die Zukunft:
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stellen unseren zeitlichen Handlungsraum
dar. Sie sind nicht nur der Rahmen, innerhalb dessen wir unser tägliches Leben
meistern, sondern auch das Resultat dieses Lebens – wir produzieren Vergangenheit
und Zukunft. Zusätzlich bilden sie auch noch die Basis, auf der wir unsere
Handlungen aufbauen, denn unsere Entscheidungen, die wir in der Gegenwart
treffen, sind untrennbar verknüpft mit der Erfahrung von Vergangenheit und der
Erwartung von Zukünftigem. Unser Handeln orientiert sich an unseren Erfahrungen
und an unseren Erwartungen. Und, aus unseren Erfahrungen und Erwartungen ergibt
sich, was zu tun und was zu vermeiden ist.
2. Was hat es dann mit der Zukunft auf sich, dass wir uns gesondert mit ihr befassen
wollen? Für diese Tagung haben wir die Zukunft zu einem eigenen Thema gemacht,
erstens, weil die Zukunft so eine bedeutende Rolle spielt in unserem
Umweltverhalten; zweitens, weil die Funktion der Zukunft unsichtbar bleibt, solange
sie nur mitbehandelt, aber nicht für sich selbst betrachtet wird; und drittens, weil
unsere Zukunftspolitik einer solchen expliziten Aufmerksamkeit und
Berücksichtigung bedarf.
3. Und warum, wenn es so dringend nötig ist, haben wir dann all diese Jahre gewartet,
bis wir uns dem Thema widmen? Die Anwort auf diese Frage ist einfach: weil die
Zukunft ohne Zweifel das schwierigste der Themen ist, denen wir uns bis jetzt
gewidmet haben. Der Umgang mit der Zukunft ist voller Widersprüche, die
auszuleuchten alles andere als einfach ist. Nach all den Jahren der Arbeit am Project
Ökologie der Zeit sahen wir die Notwendigkeit, nun trotz der Schwierigkeiten auch
dieses Thema zu bearbeiten. Wie schon von Herrn Held erwähnt, haben wir diese
Tagung zusammen mit Kollegen vom Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität
Augsburg geplant und vorbereitet, deren Expertise in diesem Arbeitsfeld eine extra
Dimension zu unserem Projekt beigetragen hat.
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Problemstellung und Fokusierung
In meinem Vortrag gehe ich von der These aus, dass drei Elemente im Umgang mit der
Zukunft zusammengehören und deshalb bei der Behandlung des Themas Zukunft
zusammengedacht und zusammengehalten werden sollten. Diese drei Elemente fügen
sich zu einem Dreiecksverhältnis von:
1. making futures: Die Produktion der Zukunft, also Zukunft erschaffen und gestalten =
HANDLUNG / ACTION
2. knowing futures: Das Wissen von der Zukunft, also wie wir sie erkennen und
vorhersagen, als Grundbedingung für jegliche Praxis, egal ob diese auf Wünschen,
Hoffnungen oder Plänen beruht = WISSEN / KNOWLEDGE
3. minding futures: das ist am schwersten zu übersetzen: hier geht es nicht nur um Vorsorge, sondern auch um Fürsorge und um Verantwortung für die Zukunft.
Minding futures ist auch verbunden mit der Schwierigkeit, dass wir verantwortlich
sind für die Zukünfte, die wir durch unser Handeln ständig produzieren, ohne die
Auswirkungen unserer Handlungen voraussehen oder vorhersagen zu können. =
ETHIK / ETHICS
Ich möchte die Behauptung aufstellen, dass nur wenn wir diese drei Elemente in ihrem
Verhältnis zueinander und in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit verstehen, wir auch
Ansätze finden können, vorsorglich und fürsorglich mit der Zukunft umzugehen, sie zu
bewahren, sie als Aspekt in unserem Denken und Handeln zu beherzigen,
verantwortungsvoll über sie zu walten, und sie mit der nötigen Vorsicht zu produzieren
und gestalten.
Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass wir in diesen drei Bereichen der Zukunftspraxis
- von Produzieren, Wissen und Verantwortung – sehr unterschiedliche Kompetenzen
haben.
Wir alle sind Experten im Zukunft produzieren: im täglichen Leben, in der
Arbeit, in der Politik und Wirtschaft, in Medizin und Erziehung, in der
Wissenschaft und Technik.
Fast alles, was wir tun, produziert Zukunft (hat also Auswirkungen auf die
Zukunft) für die nächste Stunde, den kommenden Tag, das nächste Jahr. Wir
machen unsere berufliche Karriere. Wir schaffen künstlerische oder
wissenschaftliche Werke, die uns überleben. Wir erzeugen Chemikalien, die
weltweit und zukunftsoffen in die Nahrungskette eindringen, so dass kaum ein
Lebewesen davon nicht beeinflusst ist. Wir hinterlassen mit unseren nuklearen
Technologien Radioaktivität, die für tausende von Jahren auf der Ebene der
Zellen Wirkung trägt. Wir produzieren Umweltverschmutzung, die unsere
Erdatmosphäre für unbestimmt lange Zeiten einschneidend verändert. All diese
Beispiele zeugen dafür, dass wir unendlich gut sind im Zukünfte produzieren.
In keiner Hinsicht auch nur annähernd so gut aber sind wir im Wissen über diese
vom Menschen produzierten Zukünfte, d.h. wir wissen äußerst schlecht und
ungenau, welche Zukünfte wir da ständig produzieren.
Mit diesem mangelnden Gleichgewicht zwischen unserem Tun und Wissen möchte ich
mich in diesem Vortrag etwas näher beschäftigen.
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Die Schwierigkeit bei der Vor- und Für-sorge für die Zukunft entsteht, so mein
Argument, weil wir (und so lange wir) die Verantwortung für die vom Menschen
geschaffene Zukunft mit dem Wissen um die zukünftigen Auswirkungen koppeln. Denn
nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch im Recht besteht die Einstellung, dass ich
nicht verantwortlich sein kann fuer das, was ich nicht weiss und wissen kann. Hier stellt
sich die Frage, ob dieser Grundsatz heute noch tragfähig ist, oder ob wir hier nach
anderen Richtlinien suchen müssen.
In meinem derzeitigen Forschungsprojekt untersuche ich sechs verschiedene Arten mit
der Zukunft umzugehen. Im Englischen fangen sie all mit T an; im Deutschen konnte ich
leider keine ähnliche Klammer finden. Ich habe meine sechs Ts des Umgangs mit der
Zukunft folgendermassen übersetzt:
 Tell & know
vorhersagen, & (er)kennen, wissen
 Tame
zähmen, bändigen, in den Griff bekommen, gefügig machen
 Trade
handeln, im Sinne von Handel treiben mit der Zukunft
 Transform
gestalten, umgestalten, formen, verwandeln
 Tend & mind
vor/umsorgen, hüten, pflegen, achten, sich kümmern, beherzigen
 Traverse
durchqueren, durchschweifen, durchziehen, durchkreuzen,
überschreiten,
aber auch leugnen, verhindern, anfechten, negieren, bestreiten traverse ist also ein interessantes und schillerndes Wort das höchst
treffend unseren heutigen paradoxen Umgang mit der Zukunft
benennt
Im Folgenden werde ich mich nur mit dem Wissen (tell & know), der Zähmung (tame)
und der Für- und Vor-sorge (tend & mind) befassen. Andere Vorträge dagegen werden
sich mehr auf den Handel mit der Zukunft und das Gestalten der Zukunft konzentrieren.
Das Wissen um die Zukunft
Um die Paradoxien besser sichtbar zu machen, die für uns heute mit diesen Formen des
Umgangs mit der Zukunft verbunden sind, möchte ich gerne, durch zwei
kulturgeschichtliche Rückblicke, die Eigenart unseres heutigen Umgangs mit der Zukunft
in groben Zügen umreissen.
In dem ersten geschichtlichen Rückblick geht es um knowledge, um Wissen von der
Zukunft. Hier geht es um die Frage was wir wissen oder voraussehen können, und ob wir
es mit Wirklichkeiten oder Möglichkeiten zu tun haben. Diese Frage ist
kulturgeschichtlich sehr unterschiedlich beantwortet worden, und ihre Beantwortung
hängt von einem Bündel von Annahmen ab, so zum Beispiel, von unserer Ansicht, wer
der Besitzer, (Eigentümer, Herr oder Herrscher) der Zukunft ist; von unserem Glauben,
wo die Zukunft ihren Ursprung hat, von unserer Annahme, in welche zeitliche Richtung
die Zukunft läuft; von unserer Ansicht, wer als Zukunftsexperte gelten kann, und
schließlich davon, welche Mittel und Methoden wir als angemessen und legitim
akzeptieren.
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Wenn wir uns in die mythische Welt versetzen, dann befinden wir uns in einer Kultur, in
der die Zukunft das Eigentum von Göttern oder Ahnen war. D. h., die Zukunft war von
Göttern oder Ahnen vorherbestimmt, und Zukunftsexperten waren jene Menschen, die
am besten die Zeichen und Symbole der Götter oder Ahnen zu deuten wußten. Die
Zukunft, obwohl in der Vergangenheit bestimmt, war als Wirklichkeit verstanden, die es
als zukünftige Gegenwart zu erfahren galt. So haben wir, z. B. von der griechischen
Mythologie gelernt, dass das Wissen um das Kommende dieses nicht verhindern,
sondern nur dazu verhelfen konnte, sich auf das Vorbestimmte vorzubereiten.
Wenn wir uns dagegen in die christliche Welt des Alten und Neuen Testaments
versetzen, dann sehen wir, dass dort ein anderes Bündel von Annahmen konstelliert ist.
Hier ist Gott der Herr und Besitzer der Zukunft und Zukuntsexperten sind die Propheten,
durch deren Wahrnehmungen Gottes Verheissungen und Offenbarungen unter die
Gläubigen gebracht werden. Auch hier ist also die Zukunft in der Vergangenheit
verankert. Für die Christen aber spielt die zukünftige Gegenwart eine noch grössere
Rolle als das für die Menschen im mythischen Zeitalter und in der griechischen Antike
der Fall war, denn sie leben in der heilsgeschichtlichen Erwartung des Jüngsten
Gerichts.
In beiden Beispielen aber liegt die Verantwortung für die Zukunft bei den Besitzern der
Zukunft, also bei den Ahnen, den Göttern oder bei Gott. Die Menschen hier tragen keine
Verantwortung für das, was ihnen nicht gehört, also was nicht in ihrer Macht ist. Sie
können sich ihm gegenüber nur verantwortlich verhalten. Hier zeigt sich ein wichtiger
Unterschied zu heute, d. h. der Unterschied zwischen verantwortlichem Verhalten
gegenüber einer Zukunft die uns nicht gehört and verantwortlich sein für unsere
Handlungen und deren Auswirkungen in einer Zukunft die wir als unsere Resource, also
unseren Besitz, betrachten.
Wenn wir nun unsere eigene Situation näher betrachten, dann erkennen wir schnell, dass
sich fast alle der eben aufgeführten Parameter und Annahmen geändert haben: Wir
verstehen uns, wenn nicht unbedingt als ‘Besitzer’ (Herren?), so doch als Manager und
Produzenten unserer Zukunft. Wir haben die Zukunft in unserer eigenen Hand, wenn sie
auch nicht immer so verläuft, wie wir sie geplant haben. Wir handeln in Bezug auf
unsere Zukunft nicht mit der Annahme einer vorbestimmten, kommenden Wirklichkeit,
sondern wir gehen von einer offenen Zukunft aus. D.h. wir verstehen die Zukunft als
einen Bereich von Potentialen und Möglichkeiten, den unsere Handlungen nicht nur
beinflussen, sondern co-produzieren und verwirklichen. Wir tun das selbst dann, wenn
wir gottesgläubig sind oder in unseren Erwartungen stark auf Schicksal, Glück oder die
Sterne setzen. Zukunftsexperten in dieser Situation (also in unseren modernen
Industriegesellschaften) kalkulieren and projezieren diese potentiale Welt auf der Basis
von gesammelten Erfahrungen und gesellschaftlich verankertem Wissen. Das bedeutet,
dass für uns Vorhersagbarkeit aus Erfahrung gewonnen wird, die aus der Vergangenheit
stammt, und von der aus die Zukunft kalkuliert, berechnet und geschätzt wird. Für uns
sind Langzeitphänomene und Zyklen der Wiederholung des Ähnlichen und
Vergleichbaren die verlässlichsten Quellen von Zukunftswissen, und als solche haben
sie die Funktion und Wirkung eines strukturellen Gerüsts, das unser tägliches Handeln
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stützt und uns ermöglicht, für ähnliche Situationen Schlüsse zu ziehen. Je mehr und
intensiver wir aber Zukunft gestalten, und je mehr und intensiver unsere innovativen
Handlungen Veränderungsprozesse einleiten, desto schwieriger wird eine kalkulierbare
Vorhersage. Mit erhöhter Veränderungsgeschwindigkeit werden Strukturen zu
Veränderungsprozessen, verflüssigt sich die Stabiliät, wird also Vorhersagbares zum
Unvorhersagbaren. Außerdem beinhalten Fortschritt und Innovation, dass sie ja gerade
auf Neuerung und Neues ausgerichtet sind. Beim Neuen aber fehlt logischerweise die
Erfahrungsbasis, ohne die unsere Zukunftsprognosen ihren Boden in der Wirklichkeit
verlieren und deshalb auf purer Vermutung und Schätzung beruhen.
Zusammenfassend können wir über das Zukunftswissen sagen, dass die Konstellationen
für Vorhersagbarkeit in der mythischen und antiken Welt wesentlich günstiger waren,
als sie es in der Moderne sind. Eine extern – von Ahnen, Göttern oder Gott vorbestimmte Zukunft bedarf nur der angemessenen Deutung von zukünftigen
Gegenwarten, also von etwas, das schon feststeht, von dem wir auch wissen, dass es
feststeht, das aber erst in der Zukunft eintritt.
Eine von Menschen geschaffene Zukunft, verstanden als offener Rahmen für
gegenwärtige Zukünfte, (d.h. in der Gegenwart entworfene und gestaltete Zukünfte),
benötigt dagegen enorme Phantasie und Vorstellungskraft; denn nur wo wir es mit
angesammelter Erfahrung zu tun haben, können wir die Vergangenheit als vergangene
Zukünfte in die Zukunft hochrechnen. Für uns steht also die Vorhersagbarkeit in einem
umgekehrten Verhältnis zu dem ansteigenden Tempo der Veränderung, dem erhöhten
Innovationsdruck, und der verstärkten Vernetzung von Prozessen und Handlungen. Die
leere Zukunft, die wir mit der Freiheit und den Errungenschaften der Neuzeit
assoziieren, ist deshalb mit einem hohen Preis besetzt: In unserem Besitz verliert die
Zukunft ihren Wirklichkeitscharakter. Sie zerfließt und entzieht sich zunehmend
unserem Wissen und unserer Vorhersagefähigkeit. Als Besitzer, als Herrn und Herrscher
über die Zukunft, aber, sind wir trotz unseres Nichtwissens für sie verantwortlich.
Die Zukunft im Griff?
Mit dem Versuch die Zukunft zu zähmen, sie in den Griff zu bekommen, verhält es sich
ähnlich. Zukunftsfähigkeit und Vorsorge, das Zwillingsziel für verantwortungsvolle
Umweltpolitik entzieht sich unserem Griff mit zunehmendem Nichtwissen über jene
langfristigen Auswirkungen, die unsere technologischen Innovationen begleiten.
Geschichtlich gesehen, stehen Versuche, die Zukunft gesellschaftlich zu zähmen, immer
schon drei Schwierigkeiten gegenüber: dem Wandel (change), der flüchtigen
Vergänglichkeit (transience) und der Endlichkeit (finitude). Auch hier zeigt sich, dass
mit diesen Zukunftsproblemen sehr unterschiedlich umgegangen wurde.
Wandel, Vergänglichkeit und Sterblichkeit sind Merkmale allen Lebens. Sie beinhalten
Zukünftigkeit, eine Zukünftigkeit mit Richtung, und solange sich das Leben in
natürlichen Bahnen bewegt, ist diese gerichtete Zukünftigkeit von Prozessen und
Wiederholungen des Ähnlichen ausreichend für Organismen und Spezien, sich zu
entwickeln und zu entfalten. Menschen dagegen haben versucht, die ungenauen und
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vagen Zukünfte genauer zu bestimmen und besser zu sichern. Sie strebten nach stetiger
Fortdauer und zusammenhängender Beständigkeit. Sie suchten die Unsterblichkeit. Mit
diesen Zielen vor Augen verwandelten sie Lebenszyklen in Kreise. Die offene Spirale,
das Symbol des Lebens, wurde geschlossen im rituellen und sakralen Kreis. Im Kreis
aber wiederholt sich nicht das Ähnliche, sondern das Gleiche: Vergangenheit und
Zukunft werden in der Gegenwart in absoluter Gleichheit reproduziert. Diese kulturelle
Errungenschaft macht die Zukunft gefügig und zuverlässig, sie versetzt uns in die Lage,
planen zu können. Dieses System, welches im Ritual seine Perfektion erzielte,
funktioniert aber nur, so lange wir keine Veränderungen zulassen. Ähnliches gilt für
Versprechen aller Art. Diese lassen uns nur dann auf eine verlässliche Zukunft
schliessen, wenn sie unabänderlich eingehalten werden, egal ob sich das auf ein
Hochzeitsversprechen, einen Arbeitsvertrag oder ein Rentenabkommen bezieht.
Veränderung jeglicher Art macht diese gesellschaftliche Leistung, die Zukunft zu
meistern, nichtig.
Nicht nur Veränderung, sondern auch Endlichkeit und Sterblichkeit wurden auf geniale
Weise umgangen und überwunden: Helden, MärtyrerInnen und Heilige erzielten
Unsterblichkeit durch ihr exemplarisches Leben. Das Überleben in unseren Werken ist
eine andere Art, Unsterblichkeit zu erreichen: Michelangelo ist verewigt in seiner Kunst,
Newton in seiner Physik, Beethoven in seiner Musik, Madame Curie in ihrer Arbeit an
radioaktiver Strahlung, Petra Kelly in ihrer Umweltarbeit.
Diese Methoden, die Zukunft zu zähmen, sind in unserer heutigen Gesellschaft nicht
mehr haltbar. Mit dem Streben nach Fortschritt steigt das Tempo der Veränderung bis
zuletzt nicht mehr Stabilität und Beständigkeit, sondern Veränderung selbst zum Ziel
werden. Das aber hat verheerende Folgen für unsere Anstrengungen, die Zukunft zu
zähmen auf den beiden Ebenen, die ich hier angesprochen habe: auf der Ebene des
Wissens und auf der Ebene der Praxis. Und da wir weiterhin Verantwortung mit Wissen
gekoppelt haben, hat es auch auf der Ebene der Ethik eine absolut lähmende Wirkung.
Wenn Nichtwissen proportional mit Fortschritt und technologischer Innovation ansteigt,
dann ist die Folge, dass verantwortungsvolle Zukunftsgestaltung zum unerfüllbaren
Wunschtraum wird. Das aber kann und darf nicht sein.
Nichtwissen und Wissen, Praxis und Produktion, vorsorgende und verantwortliche
Zukunftsfähigkeit müssen anders konstelliert und die technologische Zukunft anders
verstanden werden. Der nächste Vortrag befasst sich mit dem Nichtwissen deshalb werde
ich mich mit diesem Thema hier nicht näher befasse und mich statt dessen mit den
Annahmen auseinandersetzen, die unser technologisches Zukunftsverständnis
unterbauen.
Vergangene Zukunft, gegenwärtige Zukunft, zukünftige Gegenwart
Im dritten Teil meines Vortrags möchte ich nun die Annahme einer offenen und deshalb
unbesetzten Zukunft beleuchten und hinterfragen. Die Zukunft ist offen sagen wir, ein
leerer Behälter den es mit geplanten Inhalten zu füllen gilt, ein Fruchtboden dessen
Potenzial durch uns zur Blüte und Reife zu bringen ist. Wenn es so krass vorgestellt
wird, dann glauben wir selbstverständlich nicht an diese leere Zukunft, die es zu
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kolonisieren gilt. Aber auch, wenn unser Zukunftsverständnis etwas komplexer angelegt
ist als diese Karikatur, handeln wir doch so, als wäre die leere Zukunft eine
unerschütterliche Grundannahme, von der wir ausgehen können. Wie so oft im
alltäglichen Leben stehen die selbstverständlichen Annahmen, die unsere Praxis
unterbauen, und das hinterfragte und durchdachte Wissen in einem Spannungsverhältnis.
Sobald wir aber explizit über die technologisch produzierte Zukunft nachdenken, wird
uns klar, dass die Zukunft nicht ein leerer, offener Möglichkeitsraum, sondern immer
schon besetzt ist, dass sie schon im Voraus bestimmte Wirklichkeit ist, auch wenn die
angefangenen Prozesse noch keine Symptome als Wirkung zeigen. Wir erkennen, dass
die gelebte Zeit eine belebte Zukunft produziert. So ist, zum Beispiel, die nukleare
Zukunft Erfahrungswelt auf der Ebene der Zellen, auch wenn wir noch nicht am Krebs
erkrankt sind und auch wenn unsere zukünftige Krebskrankeit sich nicht auf radioaktive
Strahlung zurückführen lässt.
Unsere jetztige Wissensbasis versteht das Nichtgewusste und das noch nicht
materialisierte als nichtwirklich und unwirklich. Das ist ein grosser Fehler, der
gravierend unsere Fähigkeit, mit technologischen Zukünften umzugehen, beeinflußt. Wir
müssen deshalb Wege finden, das noch nicht Verwirklichte als potentiale (virtuelle)
Wirklichkeit anzuerkennen, als vorbesetzte Zukunft, vorbesetzt in diesem Fall nicht von
Göttern, sondern von unserer technologischen Praxis. Demzufolge ist die Zukunft
dessen, was wir gegenwärtig an nuklearen Prozessen in die Wege leiten, nicht
unwirklich, bis sich die Wirkungen zeigen, sondern diese Zukunft ist schon jetzt als
latente, virtuelle Realität, also zukünftige Gegenwart zu verstehen.
Eine zweite, notwendige Korrektur betrifft unsere Rolle in der angenommenen leeren
Zukunft. Auch hier, wenn wir darüber nachdenken, wird uns schnell bewusst, dass die
gedachte offene Zukunft immer schon von vergangenen Zukünften besezt ist, das heißt,
dass die ‘leere Zukunft’ unserer Vorgänger unsere Gegenwart und unsere Zukunft zum
grössten Teil schon belegt, eingenommen und angefüllt hat. Wir wissen weiter, dass
gegenwärtige Zukunftspolitik grösstenteils Aufarbeitung der vergangen Zukunft ist,
ebenso wie unsere offene Zukunft die besezte Gegenwart und vergangene Zukunft
unserer Nachfahren sein wird. Die Zukunft ist also immer schon und unverweigerlich ein
besetztes Territorium. Auch kann sie nicht uns gehören, wenn die Auswirkungen unserer
Aktivitäten nicht nur uns, sondern Andere und unsere Nachkommen betreffen und
beeinträchtigen. In diesem Fall sind wir nicht Besitzer, sondern Unbefugte – trespassers –
auf dem Territorium der Zukunft. Die Unvermeidlichkeit dieser Situation ändert nichts
an der Tatsache, dass wir moralisch kein Recht haben, das Leben Anderer (Menschen
und auch Mitlebewesen) zu gefährden, oder zu verkürzen. Auch was wir heute als
positive Entwicklungen sehen, sollte mit Vorsicht der Nachwelt hinterlassen werden:
denken wir nur an den Triumph der Nukleartechnologien oder auch an das Automobil
und den Kühlschrank. Aufgrund unseres Nichtwissens können wir ja nicht sicherstellen,
dass der triumphale Fortschritt nicht in eine katastrophale Zukunft umschlägt, die
Anderen und der Nachwelt nichts als Sorgen und Probleme bringt.
Was ergibt sich nun aus diesen Überlegungen für verantwortungsvolle
Zukunftsfähigkeit? Als erstes ist festzuhalten, dass jeder von Ihnen aus diesen Gedanken
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Schlüsse zieht, die relevant sind für Ihre Wissens- und Erfahrungsbasis und deshalb auch
für Ihre individuelle zukunftsgerichtete Praxis. Ich möchte mich deshalb mit ein paar
wenigen Bildern und Sätzen verabschieden. Sie sind aus meiner Sicht als Denkanstöße
gemeint, die Sie in keiner Weise einschränken sollen. Im Gegenteil, ich wünsche mir,
dass sie Ihre Wahrnehmung und Erfahrung erweitern.
 Die Zukunft is ein fremdes Land, das ausserhalb unseres Erfahrungsbereiches
angesiedelt ist.
 Die Zukunft ist ein besetztes Land, das immer und notwendigerweise schon von
unseren Vorgängern vorbeschattet, d.h. eingenommen und bearbeitet worden ist.
 Die Zukunft ist nicht nur unser Möglichkeitshorizont, sondern nichterfahrbare
Realität.
 Erfahrungswissen ist Vergangenheits- und Gegenwartswissen.
Wo Vergangenheit und Gegenwart sich nicht unproblematisch in die Zukunft
fortsetzen, ist dem Erfahrungswissen keine priviligierte Position mehr zuzuschreiben.
 Wenn wir das Dreiecksverhältnis von Gestalten/Produzieren, Wissen und vor- und
für-sorglicher Verantwortung stets im Sinn behalten, dann erkennen wir, dass in
einigen technologisch bestimmten Situationen das Erfahrungswissen nur noch
bedingt anwendbar ist.
 In solchen Situationen ist die Verbindung zwischen Praxis und Ethik direkt zu
erstellen und die Schlaufe über das Erfahrungswissen auszuklammern.
 Unser Interesse muß also in erster Linie nicht darauf gerichtet sein, was sein wird,
sondern auf was recht, gerecht und verantwortbar ist.
 Nur so werden wir Wege finden, die Verantwortung für unsere technologischen
Zukünfte zu übernehmen. Nur so können wir uns verantwortungsvoll den Zukünften
gegenüber verhalten, die uns von Anderen vorgegeben wurden.
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