Das Recht auf unbehinderte Sexualität

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11. Bremer Protesttag gegen Diskriminierung behinderter
Menschen am 6. Mai 2003
zum Thema:
Teilhabe – Gleichstellung – Selbstbestimmung – Wir wählen was
uns wichtig ist!
Für das Recht auf unbehinderte Sexualität.
Redebeitrag von Kassandra Ruhm
Vorwort: Beim 11. Bremer Protesttag wurde eine „Bremer Protesttagswahl“ veranstaltet. Die
behinderten TeilnehmerInnen konnten aus zehn behindertenpolitischen Forderungen die fünf
auswählen, die ihnen am wichtigsten waren.
Eine der Wahlforderungen lautete „Für das Recht auf unbehinderte Sexualität!“ und war vom
Bremer AK Sexybilities eingebracht worden. Die Forderung lief darauf hinaus, dass für
behinderte Menschen Prostituierte bezahlt werden müssten. Ich und ein paar andere
Menschen haben sich darüber geärgert, weil wir fanden, dass „unbehinderte Sexualität“ viel
mehr ist als Prostituiertenbesuche. Deshalb habe ich bei der Kundgebung auf dem Marktplatz
eine Gegenrede zum Redebeitrag des AK Sexybilities und zu ihrer Forderung gehalten.
Ich habe diese Rede im Namen des Arbeitskreises gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen und
Mädchen mit Behinderungen in Bremen und des Schwerpunkts Frauen mit Behinderungen
und chronischen Krankheiten im Frauentherapiezentrum Bremen gehalten.
Die Rede ist absichtlich in einer leichten Sprache geschrieben, damit alle, auch Menschen mit
Lernschwierigkeiten, sie gut verstehen konnten.
Den Anfang der Rede finde ich nicht so spannend. Aber Seite 2-3 gefallen mir gut.
...
(Hier fehlen leider die einleitenden Worte meiner Rede.)
...
Die Wahlforderung des AK Sexybility bedeutet im Klartext: Prostituierte sollen für
behinderte Menschen bezahlt werden. Prostitution ist, wenn jemand für Geld mit einer andern
Person schläft oder andere sexuelle Sachen macht. Es geht in der Forderung eigentlich gar
nicht um Liebe und Zärtlichkeit. Auch wenn ein Herz als Bild neben der Forderung steht.
Sondern nur um die Möglichkeiten von Prostitution.
Ich glaube, dass viele diese Wahlforderung so verstanden haben, dass es um Sex, Liebe,
Zärtlichkeit und Geborgenheit geht und sie deshalb angekreuzt haben. Aber ich finde, der
Wahltext ist irreführend. Die Forderung nach Bezahlung von Prostituierten hat nichts mit
Liebe zu tun!
Viele Menschen sehnen sich nach Liebe. Aber man kann die Sehnsucht nach Liebe und
Zärtlichkeit nicht durch das Bezahlen von Prostituierten erfüllen!
Ich habe Angst, dass morgen in der Zeitung steht: „Die Bremer Behinderten haben gewählt:
Viele finden wichtig, dass endlich Prostituierte bezahlt werden, damit Behinderte ihr Recht
auf Sexualität leben können.“ Viele Nichtbehinderte könnten dann denken: „Aha, Behinderte
sind also so unattraktiv. Deshalb können sie keine Partner finden. Darum brauchen sie
Prostituierte, die bezahlt werden sollen. Klar. Anders geht es nicht.“
Wir finden, das ist eine beschissene Meinung über behinderte Menschen. Und wir möchten
nicht, dass sie durch diesen Protesttag in der Zeitung verbreitet wird!
Wer will denn wirklich gerne zu Prostituierten gehen? Einige wollen das sicherlich. Aber es
gibt auch viele, die das gar nicht wollen.
Ich selber will das nicht. Ich finde es demütigend, wenn eine mich anfasst und mir vorspielt,
mein Körper würde ihr gefallen, weil sie dafür bezahlt wird!
Prostituierte sagen den Leuten, die sie bezahlen, sie fänden sie gut und anziehend und würden
gerne mit ihnen schlafen. Auch wenn sie sie doof, lächerlich oder hässlich finden.
Sie sagen das, weil sie dafür ihr Geld bekommen. Nicht, weil sie es meinen.
Ich will, dass mich eine in den Arm nimmt, weil sie mich mag. Ich will, dass eine Frau von
mir berührt werden will, weil sie in mich verliebt ist und mich süß findet! Wenn sie so etwas
sagt, weil sie dafür Geld bekommt, würde ich mich beschissen fühlen.
Es gibt recht viele Männer, die manchmal gerne zu Prostituierten gehen wollen. Aber es gibt
nur wenige Frauen, die das gerne möchten. Die Forderung nach Sex auf Krankenschein bzw.
dass Prostituierte für behinderte Menschen bezahlt werden, geht an den Wünschen von den
meisten Frauen vorbei! Es ist eine Männer-Forderung, keine Forderung von allen Menschen
mit Behinderungen.
Ich glaube schon, dass es mit Behinderung meistens schwieriger ist, Partnerinnen oder Partner
zu finden. Aber mit der Forderung nach Bezahlung von Prostitution wird nur ein kleiner Teil
des Problems gelöst. Ein Recht auf unbehinderte Sexualität haben wir überhaupt nicht,
dadurch dass es Prostituierte für behinderte Menschen gibt!
Damit behinderte Menschen selbst über ihre Sexualität bestimmen können, müssen sie die
Möglichkeit haben,
 über ihr Leben selbst zu bestimmen.
 Sie müssen „Nein“ sagen können und dürfen, wenn sie etwas nicht wollen.
 Sie müssen die Möglichkeit haben, überall hin zu kommen, wo sie andere Leute
kennen lernen können. Auch wenn sie dafür Hilfe oder Assistenz brauchen! Oder
wenn sie Rollstuhl fahren und nicht über Treppen rollen können!
 Sie müssen jemanden mit nach Hause nehmen können und mit ihm im Zimmer
allein sein und die Tür abschließen können! Sie müssen immer zusammen mit ihm
übernachten können, wenn sie wollen! Auch wenn sie in einem Wohnheim leben!
 Jede Frau muss sich entscheiden können wählen können, ob sie mit einem Mann
leben möchte oder lieber mit einer andern Frau! Auch, wenn ihre Eltern das nicht
gut finden und sie eigentlich deren Hilfe braucht!
 Behinderte Menschen müssen das Recht haben, in einer eigenen Wohnung zu
wohnen, wenn sie das wollen!
 Sie müssen gute, und verständliche Aufklärung bekommen können. Über alles,
was mit Sexualität zu tun hat. Unterstützung von Sexualität darf nicht auf
Prostitution beschränkt sein und Aufklärung nicht auf Pornos und Sex-Shops!
 Alle Menschen – nichtbehinderte und auch die behinderten selbst – müssen
aufhören, zu denken, dass behinderte Menschen nicht so attraktiv, schön und sexy
wären und dass sie lieber keine Beziehung mit ihnen haben würden!
Dann würde die Sexualität nicht mehr behindert werden! Aber nicht dadurch, dass
Prostituierte vom Staat bezahlt werden.
Besondere Assistenz für sexuelle Sachen finde ich voll ok. Wenn sich zum Beispiel 2 oder 3
Menschen lieben und miteinander ins Bett gehen wollen, aber an den Armen und Beinen sind
sie gelähmt und deshalb brauchen sie Hilfe, um zusammen ins Bett zu kommen, dann müssen
sie die Hilfe natürlich bekommen! Und zwar von andern Leuten, als von denen, die ihnen
Essen machen oder sie jeden Tag waschen und anziehen. Sie brauchen dafür gute
Assistentinnen oder Assistenten, die sie unterstützen und ihnen nicht aufdrängen, wie ihre
Sexualität sein soll und wie nicht. Denen es nicht unangenehm ist, bei etwas zu helfen, das
mit Sex zu tun hat. Nur wenige von uns brauchen solche Sex-Assistenz, weil sie sich nicht so
gut selber bewegen können. Aber wenn es jemand braucht, soll es eine gute, ausgebildete und
rücksichtsvolle Sex-Assistenz geben.
In dem Text zu der Wahlforderung steht: „Aufgrund der Behinderung ist die Partnersuche oft
besonders schwer.“ Wir finden, dass es oft nicht an der Behinderung, sondern an den
Bedingungen in dieser Gesellschaft liegt, dass es für viele behinderte Menschen schwieriger
ist, Partnerinnen und Partner zu finden, als für einige Nichtbehinderte.
Es liegt nicht daran, dass ich nicht laufen kann. Sondern daran, dass viele Nichtbehinderte
davor Angst haben oder weil sie Menschen mit Behinderungen nicht so gut finden!
Viele behinderte Männer und bestimmt auch einige behinderte Frauen wollen eine
nichtbehinderte PartnerIn haben. Jemand mit Behinderung wollen sie nicht so gerne. Aber
genau deshalb ist es ja für Menschen mit Behinderungen manchmal schwieriger, eine
Partnerin oder einen Partner zu finden! Weil viele mit behinderten Menschen nicht so gerne
eine Beziehung haben wollen – Nichtbehinderte nicht, aber Behinderte manchmal auch nicht!
Wenn wir selber nur nichtbehinderte, schlanke und gutaussehende PartnerInnen haben wollen,
müssen wir uns nicht wundern, wenn wir niemand finden!
Ich sage nicht, dass Prostitution verboten werden soll. Und ich habe nichts gegen Frauen oder
Männer, die als Prostituierte arbeiten und für Geld Sex mit andern Leuten machen. Sie
beschädigen keine anderen Menschen. Aber ich habe etwas dagegen, wenn Männer glauben,
sie hätten das Recht, Sex mit einer jungen, schlanken, nichtbehinderten, gutaussehenden Frau
oder mit einem jungen Mann zu haben, wenn sie ihnen etwas Geld geben.
Frauen dürfen keine Ware sein, die man kaufen kann!
Wenn ich gerne mit einer bestimmten Person schlafen möchte und genau die will das auch mit
mir, oder wenn ich einen Menschen liebe und genau dieser Mensch liebt mich zurück, dann
ist das ein Glück! Das ist nichts, worauf man einen Rechtsanspruch hat.
Man kann das Recht auf die eigene Sexualität haben. Aber NIE das Recht, dazu den
Körper einer anderen Person zu benutzen!
Abgedruckt in: Dokumentation zum 11. Bremer Protesttag gegen Diskriminierung behinderter
Menschen 2003. Bremen: Hrsg.: LAGH Bremen e.V., heute: LAG Selbsthilfe behinderter
Menschen Bremen e.V.
Wollen Sie mehr? www.Kassandra-Ruhm.de
V.i.S.d.P.: K. Ruhm
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