Prof. Dr. R. Knütel Rheinische Friedrich-Wilhelms-Univesität Bonn Rechtslexika im Wandel der Zeiten: Fundgruben einst und jetzt I. Vorbemerkung II. Einführung 1. Vorbilder des Jap. ZGB v. 1898 2. Das antike römische Recht und das Corpus iuris civilis 3. Die Rezeption und das ius commune III. Die Rechtslexika 1. Der Digesten-Titel D. 50,16 – Über die Bedeutung der Wörter 2. Erste Wörterbücher (Verrius Flaccus, Sextus Pompeius Festus, Paulus Diaconus) 3. Die Anfänge (Jodocus von Erfurt, Albericus de Rosate) 4. Ausweitungen der Materie 5. Sprachgeschichtliche Bedeutung 6. Die Ausrichtung der Rechtslexika auf die Praxis 7. Die Rechtslexika als Zeugnisse vergangener Welten 8. Die Rechtslexika und Rechtsfragen unserer Zeit IV. Schlußbemerkung I. Vorbemerkung Zwei Anlässe bestehen, um Glückwünsche auszusprechen. Auf den einen werde ich am Ende eingehen, mit dem anderen mache ich den Anfang. Die auch international hochangesehene Chuo-Universität begeht das Jubiläum ihres Bestehens über 125 Jahre. Dazu sei ihr der lateinische Glückwunsch: Vivat, crescat, floreat! entboten, sogleich ergänzt: in multa saecula – sie möge also lebhaft wirken, wachsen und erblühen, und dies weitere Jahrhunderte lang! Fünf Vierteljahrhunderte sind eine lange Zeit. Denken wir an die damalige Zeit zurück, so ist aus juristischer Sicht wohl bemerkenswert, daß im Gründungsjahr 1885 Gustave Boissonade 60 Jahre alt wurde und mitten in seinen Arbeiten für ein „Projet de Code civil pour l´Empire du Japon“ steckte (1881-1888); das Buch über Sachenrecht hatte er bereits abgeschlossen (Les Biens, 2. Aufl., Tokyo 1882). Und im fernen Deutschland ging es mit den Arbeiten für den (Ersten) „Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich“ zügig voran (1874-1887); 1888 kam die Druckfassung heraus. II. Einführung 1. Vorbilder des Jap. ZGB v. 1898 Bekanntlich sind der französische Code civil von 1804 – vermittelt insbesondere durch die Entwürfe Boissonades – und der Erste Entwurf des deutschen BGB die maßgeblichen Vorbilder für das japanische Zivilgesetzbuch v. 1898 geworden. Da der Code civil zum überwiegenden Teil und der Erste Entwurf des BGB zum noch größeren Teil Rechtsfiguren, Rechtsprinzipien und rechtliche Entscheidungen aus dem römischen 1 Recht übernommen haben, versteht es sich ohne weiteres, daß auch das Japanische ZGB weithin römischrechtliches Gedankengut enthält. Für einige Bereiche habe ich das vor 12 Jahren anläßlich der Hunderjahr-Feier im einzelnen dargelegt. 2. Das antike römische Recht und das Corpus Iuris Civilis Unter dem römischen Recht ist zuvörderst das Recht des antiken römischen Imperiums zu verstehen. Dieses Recht wird mit der Zwölftafel-Gesetzgebung von 450 v. Chr. erstmals hinreichend faßbar, und es gedieh zur Hochblüte in den ersten 250 Jahren nach der Zeitenwende, in der sog. „klassischen Periode“. Genauer müßten wir von der „klassischen Periode der römischen Rechtswissenschaft“ sprechen, denn das römische Recht war in erster Linie Juristenrecht; seine Lösungen und Regeln wurden also von Fachjuristen aus der rechtlichen Problematik heraus entwickelt. Die staatliche Gesetzgebung beschränkte sich in Rom, wenn man von der Zwölftafelgesetzgebung (450 v. Chr.) und der Reformgesetzgebung des Kaisers Augustus (27 vor – 14 nach Chr.) absieht, im wesentlichen auf die Regelung von Einzelfragen. Das Recht dieser klassischen Zeit wurde knapp 300 Jahre später von dem byzantinischen Kaiser Justinian (527-565) in einer bereinigten Sammlung zusammengefaßt und in den Jahren 533, 534 mit Gesetzeskraft ausgestattet und verkündet. Diese Sammlung, die später (ab 1583) als Corpus Iuris Civilis bezeichnet wurde, bestand zunächst aus drei Teilen, den Institutionen, einem die Grundlagen vermittelnden Lehrbuch (bestehend aus 4 Büchern), den Digesten, einer Sammlung von Auszügen aus den Schriften der klassischen Juristen in 50 Büchern – diese Digesten sind das Herzstück des Corpus Iuris; sie enthalten die höchststehenden juristischen Erörterungen der Menschheit. Den 3. Teil des Corpus Iuris bildet der Codex (Iustinianus), der eine Vielzahl von Erlassen oder Gesetzen der römischen Kaiser ab Hadrian (117-138 n. Chr.) in 12 Büchern enthält. Zu diesen 3 Teilen kamen nach 534 weitere Reformgesetze Justinians hinzu, die „Novellen“ (Novellae constitutiones post codicem, die neuen Gesetze nach dem Codex), von denen 168 in der maßgeblichen Ausgabe erfaßt sind. 3. Die Rezeption und das ius commune Im Jahr 395 war es zur endgültigen Teilung des römischen Reiches gekommen und die Westhälfte war seit 476 unter germanische Herrschaft gelangt. Damit gingen die Kenntnisse vom römischen Recht immer mehr verloren. Erst als 1135 eine hervorragende Handschrift der Digesten entdeckt wurde, kam es – ausgehend von Bologna in Norditalien – zu neuen und schon schnell sehr intensiven Arbeiten an diesem Gesetzbuch und damit am römischen Recht. Von hier aus breiteten sich das Studium des römischen Rechts und seine Anwendung in der Praxis recht schnell über Italien, Frankreich und Spanien auch nach Mitteleuropa und damit auch nach Deutschland aus. Es war ein sehr komplexer Vorgang mit vielfältigen und in den einzelnen Territorien auch unterschiedlichen Ursachen, der dazu geführt hat, daß römisches Recht an den europäischen Universitäten gelehrt wurde und in den kontinentaleuropäischen Ländern zur Geltung kam. Wir bezeichnen diesen Vorgang als die Rezeption, die Aufnahme oder Übernahme des römischen Rechts, und unterscheiden eine frühe Phase von ca. 1200 bis 1450, in der römisches Recht mit einzelnen Regelungen in die Territorialgesetzgebung eindringt und im römischen Recht geschulte Juristen in den Verwaltungen der Landesherren der Kirche und der Städte auftauchen. Darauf folgte die Hauptrezeption von ca. 1450 bis 1600, in der die Juristen und mit ihnen das von ihnen studierte römische Recht die Gerichtsbarkeit „übernehmen“, als Richter oder als Anwälte, eine Zeit, in der aus dem zuvor mündlichen Prozeßverfahren ein weithin schriftliches wird und eine Verwissenschaftlichung der Rechtspflege 2 einsetzt. In Deutschland, um nur dieses Beispiel zu nennen, fand die Rezeption 1495 ihren Abschluß in § 3 der Gerichtsordnung des Reichskammergerichts, des damals höchsten Gerichts im Reich. Dieser § 3 bestimmte, es sei römisches Recht anzuwenden, soweit nicht Partikularrecht, also besondere Gesetze, Statuten oder Gewohnheiten, als einschlägig nachgewiesen, in seiner Geltung also bewiesen werde. Das heißt, römisches Recht galt subsidiär, freilich nicht das gesamte römische Recht, denn nicht alle Bereiche waren überall rezipiert worden, z.B. generell nicht das Sklavenrecht, großenteils nicht das Strafrecht oder prozessuale Besonderheiten. Die Zeit gebietet, es bei diesen oberflächlichen Bemerkungen bewenden zu lassen. Als Fazit sei festgehalten, daß sich aufgrund der Rezeption in Kontinentaleuropa ein gemeinsames Recht, das sog. ius commune, herausbildete, das das römische Recht zur Grundlage hatte, in den einzelnen Territorien aber in vielen Einzelheiten unterschiedlich ausgestaltet war. Die durch das ius commune begründete Rechtseinheit im alten Europa zerbrach seit den Anfängen des 19. Jahrhunderts mit dem Inkrafttreten der großen Naturrechtskodifikationen von Preußen (ALR v. 1794), Frankreich (Code civil v. 1804) und Österreich (ABGB v. 1811). Doch sind diese Gesetzbücher ebenso wie die dann folgenden Kodifikationen der anderen Länder aus dem Material des ius commune, also letztlich des römischen Rechts, gebildet. Davon abgesehen wurde das ius commune zu Anfang des 19. Jh. auch dadurch verdrängt, daß die Wissenschaft nach dem Programm der von Savigny begründeten „Historischen Rechtsschule“ erneut unmittelbar an die Texte des Corpus Iuris anknüpfte – und damit die sog. „Nachrezeption“ auslöste. – Dessenungeachtet bleibt bemerkenswert, daß in unserer Zeit beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) seit längerem nicht selten auf Rechtsprinzipien des ius commune zurückgegriffen wird, vor allem natürlich von den Generalanwälten. III. Die Rechtslexika 1. Der Digesten-Titel D. 50,16: De verborum significatione – Über die Bedeutung der Wörter Nach diesen Einführungen komme ich nun zu meinem Hauptanliegen, und das mit zwei Fragen zu diesem juristischen Fachbuch von 1647 (im Duodez-Format): 1) Warum ist dieses Buch so klein? Die Antwort ist ganz einfach: Damit es sich leicht mitnehmen läßt. Wir müssen an die Zeiten zurückdenken, als überall in Europa der Rechtsunterricht auf der Grundlage der Texte des Corpus Iuris stattfand und die Studenten auf ihrer peregrinatio academica, ihrer akademischen Pilgerreise, von Coimbra in Portugal nach Krakau in Polen oder von Perugia in Italien nach Heidelberg oder von Paris nach Prag zogen. Auf diesen Reisen zu Fuß oder zu Pferde mußte man möglichst wenig Gepäck dabeihaben, brauchte aber doch seine juristische Basisliteratur. 2) Die 2. Frage: Was ist der Inhalt des Buches? Wie sehr viele andere in diesem Format aus der Zeit von 1500 bis 1800 vereint es auf seinen 444 Textseiten (plus Register) die Institutionen Justinians, die seit dem späten Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert hinein am Anfang und am Ende des juristischen Studiums standen – als eine Art juristischer Elementargrammatik. Im Anschluß an den Institutionentext folgen die beiden letzten Titel aus dem 50. Buch der Digesten: D. 50,16 „Über die Bedeutungen der Wörter“ und D. 50,17: „Über die verschiedenen Regeln des alten Rechts“ – also die wichtigsten Rechtsregeln oder -prinzipien und die wichtigsten Begriffe. Sie stehen als besonders bedeutungsvoll und als Ertrag der Mühen aus der Auswertung von 2000 Büchern der klassischen Rechtsliteratur am Ende der Digesten und sind damit sehr hervorgehoben. Das ist auch ohne weiteres begreiflich, 3 denn ein Jurist muß mit den Prinzipien der Rechtsordnung und mit den „Wörtern“ – womit die Begriffe gemeint sind – gut vertraut sein. Man darf bei dieser Gelegenheit an das berühmte Wort Savignys zur Methode der römischen Juristen erinnern (im „Beruf“, 1814, S. 29): „Die Begriffe und Sätze ihrer Wissenschaft erscheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervorgebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist. Darum eben hat ihr ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie sie sich sonst außer der Mathematik nicht findet, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß sie mit ihren Begriffen rechnen“. 2. Erste Wörterbücher (Verrius Flaccus, Sextus Pompeius Festus, Paulus Diaconus) Die Zusammenstellung von Begriffen nebst Erläuterung ist freilich keine Erfindung Justinians. Unter Augustus und Tiberius, also um die Zeitenwende, hatte bereits der berühmte lateinische Grammatiker Verrius Flaccus (der Beiname Flaccus bedeutet übrigens „Schlappohr“) ein Werk von wohl 80 Büchern mit dem Titel „De verborum significatu“ (Über die Bedeutung der Wörter) verfaßt, das ein Lexikon seltener Begriffe mit grammatikalischen und antiquarischen Erklärungen war. Aus diesem Werk ist uns – ebenfalls unter dem Titel „De verborum significatu“ ein Auszug in 20 Büchern von Sextus Pompeius Festus überliefert, einem Grammatiker aus dem 2. Jahrhundert. Das erst um 1470 in Rom entdeckte Original ist leider beklagenswert lückenhaft; doch können manche Lücken aus einem vereinfachenden Auszug ergänzt werden, den im 8. Jahrhundert der Mönch Paulus Diaconus (ca. 725-795) im Kloster Montecassino (in Mittelitalien) ausfertigt hat. „Wörterbücher“ haben also eine rund 2000-jährige Tradition. Und was das Wörterbuch des Festus angeht, so weist dieses zahlreiche Rechtsbegriffe auf, vor allem aus dem älteren römischen Recht, etwa zu der eigenartigen „Haussuchung lance et licio“, bei der der Verfolger nackt und nur mit einem Strick und einer Schale versehen vor dem Hause erscheinen mußte, oder zur Scheidung durch diffarreatio, bei der die Eheleute offenbar auf zusammengebundenen Stühlen saßen, deren Bindung gelöst wurde, während sie ein Brot aus Dinkel verspeisten, oder das nexum, ein Geschäft, mit dem sich ein Darlehensschuldner in die Schuldknechtschaft beim Gläubiger begab. Alldas hat Wurzeln, die weit in das altrömische Recht zurückreichen und die Forschung noch heute beschäftigen. Das Werk des Festus sollte deshalb in einer Sammlung von Rechtslexika nicht fehlen – und es fehlt auch nicht in der Sammlung, die wir nun in den Blick nehmen wollen. 3. Die Anfänge (Jodocus von Erfurt, Albericus de Rosate) Die höchst eindrucksvolle Sammlung umfaßt 95 Werke in insgesamt 287 Bänden. Sie reichen von der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bis in die Anfänge des vergangenen Jahrhunderts. Das vom Erscheinungsjahr her älteste ist der Vocabularius iuris utriusque des Rechtslehrers Jodocus von Erfurt in einer Ausgabe von 1513, also das „Wörterverzeichnis beider Rechte“, womit das rezipierte römische Recht und das Kirchenrecht gemeint sind. Zum Kirchenrecht sei hier nur gesagt, daß es sich um eine Rechtsmasse handelt, die das Organisationsrecht, das Prozeßrecht und die Rechtsmaterien umfaßte, für die die (katholische) Kirche die Entscheidungsgewalt beanspruchte, wie etwa Ehe-, Testaments- und Eidessachen. Diese Rechtsmasse ist in vier Teilen in der Zeit von 1140-1317 zusammengestellt worden, gründet sich jedoch weithin auf wesentlich ältere Rechtstraditionen (Bibel, Konzilsbeschlüsse, Schriften der Kirchenväter, Papsterlasse [Dekretalien] etc.); wo eigene Regelungen fehlten, griff auch die Kirche auf das römische Recht zurück. Hervorzuheben ist noch, daß der Einfluß des 4 in vielem moderneren Kirchenrechts auf die abendländische Rechtsentwicklung groß war. Es war deshalb selbstverständlich, daß die Rechtslexika bis ins 19. Jahrhundert hinein das Kirchenrecht mit Sorgfalt einbezogen. So verhält es sich auch mit dem in der Sache ältesten Werk in unserer Sammlung, dem Dictionarium des Albericus de Rosate, das in der Sammlung in der Ausgabe Venedig 1581 vorliegt. Albericus lebte jedoch von etwa 1290-1354 in Bergamo (Norditalien) – hochberühmt. Er hatte ursprünglich zwei Dictionarien geschrieben, eines für das römische und eines für das kirchliche Recht, die dann nach seinem Tod vereinigt worden sind. Das Werk enthält eine Unmenge an in der Regel knappen Worterklärungen mit Nachweisen, wo der Begriff im Corpus Iuris, im Kirchenrecht oder in sonstigen Gesetzen oder in der Literatur (Glossen, Kommentare) vorkommt, ferner sind in die alphabetische Ordnung eingefügt außerordentlich viele Rechtsregeln oder auch mehr oder minder passende Gemeinplätze. So wird etwa zum Begriff der Frau, mulier, angeführt: Mulier dicitur à molliciementis, das Wort sei also von der mollities, der Nachgiebigkeit oder Schwäche ihres Geistes her geprägt – was schon etymologisch eine unsinnige Erklärung ist. Andererseits Mulierem bonam qui invenit: inveniet bonum, wer eine gute Frau findet, wird das Gute finden. - Albericus bietet also zu einer Unmenge von Wörtern, die irgendwo im Recht vorkommen, Information und Nachweise; er ist so etwas wie Google für die Juristen des späten Mittelalters – kein Wunder, daß die juristischen Praktiker ihn „anbeten“ (Practici adorant eum), wie wir aus einer späteren Quelle erfahren (Diplovataccius, 1468-1541). 4. Ausweitungen der Materie Da es nun nicht meine Aufgabe sein kann, alle 95 Werke vorzustellen, beschränke ich mich darauf, einige allgemeine Eindrücke wiederzugeben. Das bekannte Phänomen, daß juristische Nachschlagewerke im Laufe der Zeit immer umfänglicher werden, wird auch bei den Rechtslexika deutlich: Müllers Promtuarium vom Ende des 18. Jahrhunderts (1785-1790) kommt bereits auf 12 Bände. Das ist jedoch gut begreiflich. Denn mit den Jahrhunderten sind weitere Rechtsmassen hinzugekommen, insbesondere die Territorialrechte und unter ihnen vor allem das Sächsische Recht, dessen wesentliche Grundlage der Sachsenspiegel aus der Zeit zwischen 1220-1235 war und das eine mächtige Ausstrahlungswirkung hatte, ferner das Lehnsrecht (ius feudale), die Rechtssetzungen des damaligen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation („Reichsabschiede“, etc.), die Rechtsprechung des Reichskammergerichts und des Wiener Hofgerichts, die zahlreichen Kommentare und Traktate zum ius commune, daneben die von großem Erkenntnisdrang getriebenen Werke der Humanisten (Cujaz, Donellus, Dionysus und Jacobus, Gothofredus, Faber u.a.m.) und hernach die Systeme des Naturrechts. Des weiteren sind die Entwicklungen des Handels- und des Personengesellschaftsrechts anzuführen, beispielsweise bringt Karl Ferdinand Hommel (1722-1781), ein sehr bedeutender sächsischer Jurist, „der deutsche Beccaria“, im 1. Band seines Promtuarium von 1777 eine sehr ausführliche und darum wichtige Darstellung des Wechselrechts und des Wechselprozeßrechts (S. 175-206, zu Cambium bis Cambialis processus). Demgegenüber befolgten andere den Weg der strikten Beschränkung, etwa auf die in den römischen Rechtstexten verwendeten Wörter und Begriffe, wie zum Beispiel Brissonius (1531-1591) und Heumann (1812-1866) in ihren Spezial-Lexika, mit denen die Wissenschaft noch heute arbeitet. Oder die Beschränkung erfolgt auf die kirchenrechtlichen Dekretalien mitsamt ihren Kommentierungen bei Zabarella (1360- 5 1417) in seinem Aureum et singulare Repertorium. Oder auf das sächsische Recht, wie Thomas Haymen in seinen Digesta Iuris Saxonici v. 1732. Ein besonderes Wort ist noch zu Barnabas Brissonius zu sagen. Er hebt sich (ebenso wie Hotman, der ein Jahr vor ihm ein Rechtslexikon im Geiste des Humanismus herausbrachte) von den früheren Verfassern von Rechtslexika deutlich davon ab, daß er sich an den römisch-juristischen Sprachgebrauch ohne die ab 1135 hinzugekommenen Beimischungen hält und diese Begriffe aus hervorragender Kenntnis und Anschauung der Überlieferung im Corpus Iuris Civilis und in weiteren antiken Texten erläutert. Ferner berücksichtigt er die Berichtigungen und Verbesserungen, die zu diesen Texten erkannt oder vermutet worden waren, jedoch nur nach kritischer Überprüfung; er geht also von der – wissenschaftlich gesehen – zu seiner Zeit besten Überlieferungen aus. Drittens schließlich bringt er viel mehr als die früheren Lexikographen zu den verschiedenen Wortverbindungen und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Bedeutungen des jeweiligen Wortes. Wissenschaftlich stellt das Lexikon des Brissonius – die erste Ausgabe erschien 1559 – deshalb einen sehr großen Fortschritt dar. Es verwundert deshalb nicht, daß nach seinem Tod das Werk von hervorragenden Juristen fortgeführt und erweitert worden ist (etwa von Heineccius). Natürlich spielen auch persönliche Neigungen der Autoren eine Rolle. Müller etwa nahm in seine 12 Bände eher mehr als weniger auf; zum Beispiel bringt er (im Band VIII, ed. 1788, S. 1523) das Stichwort „Narr“, das selbstverständlich kein Rechtsbegriff ist, nur um mitzuteilen, daß eine Beschimpfung des Vaters mit den Worten „du Narr“, den Vater nicht schon berechtigt, das Kind zu enterben. 5. Sprachgeschichtliche Bedeutung Daran läßt sich der Hinweis anknüpfen, daß die Rechtslexika auch sprachgeschichtlich sehr aufschlußreich sind. Die deutsche Rechtsterminologie hat sich unter dem deutlichen Einfluß der römischen Rechtssprache herausgebildet. Diese Entwicklung setzte im frühen 16. Jahrhundert ein – ein Markstein ist Thomas Murners Übersetzung der Institutionen von 1519 (weitere folgten) – und die Entwicklung wurde vor allem dadurch gefördert, daß die großen Gesetze des damaligen Reichs schon im 16. Jahrhundert in deutscher Sprache erlassen wurden (etwa die Reichskammergerichtsordnungen, die Reichspolizeiordnungen, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V v. 1532). Als Beispiele für den prägenden Einfluß und die Vorbildfunktion der römischen Rechtssprache seien aus der riesigen Fülle nur einige Lehnübersetzungen genannt: Verbindlichkeit (von obligatio), Eigentum (von proprietas), Gläubiger (von creditor), Schuldner (von debitor), Nießbrauch (von ususfructus), Erbeinsetzung (von heredis institutio) etc. etc. Soweit als Rechtsbegriffe im Japanischen Recht in Anlehnung an Begriffe des deutschen Rechts gebildet worden sind, werden sie nicht selten letztlich auf das römische Recht zurückgehen. In den Rechtslexika des 16. Jahrhunderts, bei Jodocus von Erfurt (1513), in Oldendorps De copia verborum etc. und De duplici verborum et rerum significatione (1546 bzw. 1558, beide freilich in Lyon erschienen) und in Nebrissensis’ Vocabularius Iuris Utriusque (1579, ebenfalls Lyon) kommen deutsche Begriffe noch nicht vor. Doch dringt im 17. Jahrhundert die deutsche Sprache auch in diese Literatur ein, und im 18. Jahrhundert treten dann in den deutschsprachigen Territorien Lexika in deutscher neben die in lateinischer Sprache. So ergab sich für das wichtige und wertvolle Promptuarium Iuris Practicum, das von Benedikt Carpzov in lateinischer Sprache begründet und dann in zwei weiteren Auflagen von Johann Georg Bertoch fortgeführt worden war, eine 6 Spaltung: Da Buchhändler Anstalten machten, eine deutsche Übersetzung davon herauszubringen, kam Bertoch ihnen zuvor und brachte die Neuauflage 1740 (Leipzig und Zittau. Auch J. A. Hellfelds Repertorium von 1753 ist in deutscher Sprache geschrieben) in deutscher Übersetzung heraus. Eine deutlich erweiterte Neuauflage der lateinischen Version wurde hingegen 1777 von Karl Ferdinand Hommel in seinem Promptuarium Iuris Bertochianum ad Modum Lexici Iuris Practici etc. (Bertochs Nachschlagewerk des Rechts nach Art eines praktischen Rechtslexikons) publiziert. 6. Die Ausrichtung der Rechtslexika auf die Praxis Die Rechtslexika sind Werke für die juristische Praxis, und man konnte mit ihnen – wie mit den heutigen Büchern für den Praktiker – auch damals gut Geld verdienen. Der Praktiker will Informationen, nicht Diskussionen; die Lexika bringen deshalb Definitionen, Darstellungen und Hinweise, vor allem auf die Rechtsquellen, aber kaum jemals Begründungen, warum etwas so ist wie dargestellt. Zum Beispiel wird zum Stichwort „Schatz“/„Thesaurus“ durchweg die Definition mitgeteilt: „eine Sache, die so lange verborgen gewesen ist, daß der Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist“ und dargelegt, daß bei einem Schatzfund auf fremdem Boden das Eigentum zur Hälfte dem Finder zufällt und zur anderen Hälfte dem Grundstückseigentümer. Nicht aber wird gesagt, weshalb diese Lösung gilt, die sich in den meisten Zivilgesetzbüchern findet, auch in Art. 241 des Jap. ZGB. Die Lösung, die auf eine Entscheidung des römischen Kaisers Hadrian (117-138 n. Chr.) zurückgeht, erklärt sich aus der Kollision zweier Prinzipien: Einerseits folgen Nebensachen in ihrem Rechtsschicksal der Hauptsache (accessio cedit principali, vgl. etwa Art. 87 Abs. 2 Jap. ZGB) – dies spricht für den Grundstückseigentümer –; andererseits erwirbt derjenige, der eine herrenlose bewegliche Sache mit Eigentumswillen in Besitz nimmt, das Eigentum an ihr (kraft occupatio, Aneignung, vgl. Art. 239 Jap. ZGB) – dies spricht für den Finder. Der Anwendung jedes dieser beiden Prinzipien steht jedoch entgegen, daß der Schatz keine herrenlose Sache ist; vielmehr jemandem gehört, der jedoch nicht ermittelt werden kann. Da beide Prinzipien also unter derselben Schwäche leiden, sonst aber gleichwertig sind, drängt sich die „Mittellösung“ (media sententia) auf, die Hadrian denn auch getroffen hat. Aus ihrer Anlage als Praktikerliteratur erklärt sich auch, daß die Verfasser der Rechtslexika juristisches Bildungswissen weitestgehend beiseitelassen. Für die Zeit des Humanismus (ca. 1500-1620) sind freilich einige Einschränkungen zu machen. So finden wir beispielsweise bei Antonius Nebrissensis (in seinem Vocabularium Iuris Utriusque in der vorzüglichen Ausgabe von Lyon 1579, S. 125) ein Stichwort zu dem römischen Juristen Caius (heute: Gaius), den er als den erfahrensten von allen bezeichnet (peritissimus omnium) – was dem Kenner recht abwegig erscheinen muß. Auch widmet sich Nebrissensis über eine gute Seite der Frage, weshalb die Digesten in der früheren Literatur mit einem doppelten f, also ff, zitiert werden, und gelangt am Ende zu der Erklärung des Alciat (1492-1550), die auch heute weit überwiegend für richtig gehalten wird (Mißverständnis zum Akzent circumflex über dem griechischen -Pi, für Pandectae, S. 227f.). Man wird diese und vergleichbare Informationen jedoch nicht überbewerten dürfen. Sie sind (wie Hans Erich Troje zu dem sog. „Genfer Rechtslexikon“, von dem eine Ausgabe von 1607 sich ebenfalls in unserer Sammlung befindet, beobachtet hat) wohl kaum mehr als werbestrategisch motivierte Anpassungen an den Zeitgeist. 7 Im 17. und 18. Jahrhundert, nach dem Auslaufen der humanistischen Periode, tritt die praktische Ausrichtung noch deutlicher zutage. Zunehmend wird in die Titel oder Untertitel der Rechtslexika das Adjektiv „praktisch“ (practicus oder pragmaticus) aufgenommen, etwa von Bertoch 1740: „Promptuarium Iuris Practicum oder Practischer Vorrath zu einer gründlichen Rechts-Wissenschaft“ (und auch Hommel kommt in der lateinischen „Schwesterausgabe“ nicht ohne entsprechende Kennzeichnung aus: Promptuarium ... ad Modum Lexici Iuris Practici ..., Leipzig 1777; s. ferner etwa die Titel von Calvin, Wehner, Sabellus, Castejon und Hellfeld). Diese Orientierung an den Anforderungen der Praxis hat übrigens den für uns heute noch wichtigen Vorteil, daß in den Lexika vermehrt angegeben wird, auf welchem Territorium welches Recht gegolten hat – eine Frage, die heutzutage nicht immer ganz einfach zu klären ist. Mit der zunehmenden Ausrichtung der meisten Rechtslexika auf die Praxis wird der Unterschied zu denjenigen Lexika deutlicher, die an dem ursprünglichen Anliegen dieser Werkgattung festhalten, die lateinischen Begriffe und Wörter der römischen und der zeitgenössischen Rechtssprache ins Deutsche zu übersetzen und zu erklären, wie das – außer dem bereits gerühmten Werk des Brissonius – insbesondere in dem Lexicon Juridicum Romano-Teutonicum von Samuel Oberländer der Fall ist (erstmals 1721 in Nürnberg erschienen, sodann 1723 [diese Auflage in der Sammlung], 1725, 1726, 1736 und 1753). In diesem Werk konnten die Zeitgenossen Näheres zu den Rechtsbegriffen und Namen erfahren, die dem römischen Recht entstammten und weithin auch im ius commune noch benutzt wurden. Das Buch bietet mit der Fülle seiner Informationen bisweilen auch Überraschendes. Nach meinem Eindruck dürfte es das einzige Rechtslexikon des 18. Jahrhunderts sein, das Ausführungen zum Stichwort „Lex Regia“, Königliches Gesetz, enthält. Oberländer weist darauf hin, daß dieser Begriff in einer seiner beiden Bedeutungen ein Gesetz aus der römischen Königszeit (753-510) bezeichnet, und er hebt dazu hervor, davon sei keines mehr außer dem einen in Digesten 11,8,2 „noch übrig“ (Ausgabe Nürnberg 1753, S. 442) – was wohl meint: noch in Geltung. Der angeführte Digestentext lautet: Ein Gesetz aus der Königszeit besagt, daß es dem Sakralrecht widerspricht, eine schwangere Frau, die gestorben ist, zu bestatten, bevor ihr das Kind [durch Kaiserschnitt] entnommen worden ist; wer dagegen verstößt wird so angesehen, als habe er mit der [Bestattung der] Schwangeren die Hoffnung eines beseelten Lebens auf Leben zerstört. Dazu nur zwei kurze Bemerkungen: Erstens liegt der Grund für dieses Gesetz, das auf religios Unerlaubtes Bezug nimmt, offenbar in dem Bestreben, das Unheil zu vermeiden, das sich aus einem Konflikt oder sogar Zusammenstoß ergäbe zwischen den Göttern der Unterwelt, die „Anspruch“ auf die Verstorbenen haben, und den Gottheiten der Oberwelt, die die Lebenden schützen. Zweitens haben wir es hier mit einem Fall zu tun, in dem das Recht den Fortschritt, hier den medizinischen Fortschritt, vorangebracht hat – in der Regel behindert es ja den Fortschritt –, müßte es danach doch schon in der römischen Königszeit den sog. „Kaiserschnitt“ gegeben haben. Der Name kommt übrigens (wie Plinius, Naturalis historia 7,7,47 berichtet) von caedere, schlagen, aufschneiden (mit dem Partizip Perfekt caesum), und einer der Vorfahren des Imperators Gaius Iulius Caesar soll auf diese Weise zur Welt gekommen sein und deshalb den Beinamen Caeso erhalten haben (der sich schon im 3. Jahrhundert v. Chr. in Caesar verändert haben muß). 7. Die Rechtslexika als Zeugnisse vergangener Welten Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Ende kommen mit zwei Beobachtungen, die an sich etwas Selbstverständliches wiedergeben, aber bei dem 8 heutigen Anlaß doch angesprochen werden sollten. Die erste ist, daß wir in den Rechtslexika zwei vergangenen Welten begegnen, wie schon verschiedentlich deutlich wurde, der antiken römischen Welt, und zwar aus dem Blick der zweiten, der spätmittelalterlichen und mehr noch der frühneuzeitlichen christlich europäischen Welt. Die Autoren der Rechtslexika sehen natürlich die Unterschiede und berücksichtigen sie, so bringen sie z.B. in der Regel wenig zur ältesten Art des Eigentumserwerbs, der occupatio (Aneignung), aber viel zur venatio, der Jagd, die in der aufgeteilten Welt der praktisch wichtigste Fall der occupatio geblieben war. Das rührt daher, daß es in Rom einem jeden frei stand zu jagen, wann und wo es ihm beliebte (sofern er nicht von Grundstückseigentümern daran gehindert wurde), während seit dem Mittelalter die Jagd zum Vorrecht der Landesherren und des Adels geworden war – grundsätzlich und mit zahllosen – in den einzelnen Territorien überdies sehr unterschiedlichen – Besonderheiten, die in den Lexika mehr oder minder breit dargestellt werden. Überdies lassen sich aus den Rechtsbegriffen und den rechtlichen Regelungen, auf die wir in den Lexika stoßen, die Nöte und Probleme erschließen, mit denen die Zeit unserer Lexikonautoren zu kämpfen hatte. So lesen wir etwa von der obsessio viae, der Wegelagerei, bei der es in der Regel um die Beraubung der Reisenden ging, oft unter Mord oder Totschlag, mit der Strafe der Enthauptung, in minder schweren Fällen durch Handabschlagen, Prügelstrafe oder Landesverweisung (Müller, Bd. VIII, S. 1650) – und wir erkennen sofort die Unsicherheit der damaligen Verkehrswege. Wir lesen von einer Vereinbarung der „Kerker-Pflicht“ (pactum de obligatione ad carcerem imitum). Müller, der darüber 18 Seiten schreibt (Bd. VIII, S. 1814-1832), gibt auch ein Standard-Formular für die Erklärung des Schuldners wieder: „Ich gebe auch meinem Gläubiger volle Macht und Gewalt, mich im Fall der Nichtzahlung an allen Orten und Enden, wo er mich antreffen möchte, mit persönlichem Arrest zu belegen, aus welchem ich vor gänzlichem Abtrag des Kapitals samt den Zinsen und verursachten Unkosten nicht entweichen will“ (S. 1818). Zu solchen Vereinbarungen, die grundsätzlich als wirksam anerkannt wurden, kann es nur kommen, wenn im jeweiligen Territorium die Justiz zu langsam oder überhaupt ineffektiv arbeitet. Oder – ein letztes Beispiel – wir lesen, daß Selbstmörder bestraft wurden, daß vor- und überhaupt außerehelicher Geschlechtsverkehr strafbar war (und stoßen deshalb auf lange Ausführungen, ob dann, wenn ein Kind schon nach weniger als 7 Monaten nach Eheschluß zur Welt kommt, vorehelicher Verkehr zu vermuten ist) – und wir erkennen, daß hier christliche Moralgebote, nach denen außerehelicher Verkehr Sünde ist, unter dem Druck der Kirche in weltliche Rechtsvorschriften übersetzt wurden. Die Beispiele machen deutlich, daß die Rechtslexika immensen Stoff nicht nur dem Rechtshistoriker bieten, sondern auch dem Wirtschaftshistoriker, dem Allgemeinhistoriker, dem Soziologen und anderen Wissenschaftlern. 8. Die Rechtslexika und Rechtsfragen unserer Zeit Was den letzten Punkt angeht, so sei daran erinnert, daß die Rechtsvorstellungen in Europa aus dem römischen Recht und dem ius commune erwachsen und an weiteren Geistesströmungen, wie Humanismus (im Zeitalter der Renaissance), Naturrecht (im Zeitalter der Aufklärung) und dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts gereift sind. Die Rechtslexika enthalten deshalb vieles, sogar sehr vieles, was uns das Verständnis des heutigen Rechts und auch seine Ausfüllung erleichtert, etwa über die Generalklauseln, in deren Rahmen ja insbesondere Rechtsprinzipien Anwendung finden können. Dazu ein letztes Beispiel: Im Zuge von Antidumping-Maßnahmen hatte der Ministerrat der Europäischen Union 1968 eine Grundverordnung (Nr. 459/68) erlassen. Später war er im Hinblick auf die 9 japanischen „Großen Vier“ der Kugellagerbranche jedoch in einer weiteren Verordnung (Nr. 1778/77) von den Regeln der Grundverordnung abgewichen. Dagegen klagten die benachteiligten japanischen Hersteller vor dem Europäischen Gerichtshof, EuGH. Im Verfahren hob der Generalanwalt Werner hervor, hier komme der Grundsatz zur Anwendung: Patere legem quam fecisti, erdulde das Gesetz, das du gemacht hast oder freier: Laß das Gesetz, das du gemacht hast, auch gegen dich gelten! Der Generalanwalt kennzeichnete diesen Grundsatz wie folgt: Nach diesem Grundsatz darf eine Behörde, die im Wege des Erlasses allgemeiner Rechtsvorschriften die auf eine bestimmte Fallgruppe anzuwendenden Regeln festgelegt hat, diese Regeln zwar jederzeit durch den Erlaß weiterer Rechtsvorschriften ändern; sie darf jedoch bei der Behandlung von zu dieser Gruppe gehörenden Einzelfällen nicht von ihnen abweichen“. Es ging also um den Grundsatz einheitlicher Rechtsanwendung. Der EuGH ist dem Generalanwalt gefolgt und hat die der Grundordnung widersprechenden Bestimmungen der späteren Verordnung wegen Verstoßes gegen das Prinzip Patere legem quam fecisti... für nichtig erklärt (EuGH, Sammlung 1979, S. 1185ff., 1211; GA Warner ebda., S. 1249f.). Der genannte Rechtsgrundsatz ist juristisch erstmals durch die lex Cornelia de iurisdictione von 67 v. Chr. festgelegt worden, durch die bestimmt wurde, daß die Prätoren, die Höchstbeamten der römischen Justiz, an die Bestimmungen, die sie in ihren Edikten getroffen hatten, auch selbst gebunden waren. Zudem enthalten die Digesten einen Titel (D. 2,2): Quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur, das Recht, das jemand einem anderen gegenüber festgesetzt hat, das muß er auch selbst befolgen. Der kommentierende römische Jurist Ulpian hebt die summa aequitas, die höchste Gerechtigkeit eines solchen Prinzips hervor. Sie sichert die gleichmäßige Rechtsanwendung und enthält das Verbot willkürlicher Rechtsfindung, das heutzutage im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes um so nachdrücklicher zu betonen ist. In unseren Rechtslexika wird dieses Prinzip mehrfach hervorgehoben: Müller bringt es in der soeben zitierten Formulierung des Digestentitels (D. 2,2: Quod quisque ...; s. Bd. VI, S. 620 Nr. 10), Hommel formuliert: Princeps legibus a se datis parere debet (S. 1074 Nr. 5), der Fürst muß den von ihm erlassenen Gesetzen gehorchen, auch Albericus spielt darauf an (ed. Venedig 1573, S. 425: Licet conditor ...), und man darf annehmen, daß sich in dem einen oder anderen Lexikon der Rechtsgrundsatz auch in der Formulierung Patere legem quam fecisti ... findet. Es ist nicht selten, daß sich ein Rechtsgrundsatz in unterschiedlichen Formulierungen findet. Mit Fug und Recht können wir also sagen, daß wir in den Rechtslexika auch Informationen finden, die für die Bewältigung von Problemen unserer Zeit wertvoll sind, auch in Fällen, in denen es um viel Geld geht. IV. Schlußbemerkung Die Stichworte „wertvoll“ und „viel Geld“ führen mich zu meinem zweiten Glückwunsch: Aus unseren Betrachtungen dürfte deutlich geworden sein, daß die Chuo Universität mit dem Erwerb der großartigen Sammlung von Rechtslexika, die weltweit kaum ihresgleichen finden dürfte, einen überaus wertvollen Schatz erlangt hat. Möge dieser Schatz unter der Obhut der Chuo Universität dazu dienen, möglichst Viele auf dem Wege zur Erkenntnis des Guten und Gerechten voranzubringen! 10