3.2 Entscheidung bei Risiko (subjektive oder objektive) Eintrittswahrscheinlichkeiten für das Eintreten der möglichen Umweltzustände können vom Entscheidungsträger zugeordnet werden Beispiele für Entscheidungssituationen mit objektiven Anhaltspunkten zur Bestimmung dieser Wahrscheinlichkeiten: Teilnahme an einem Glücksspiel, an einer staatlichen Lotterie usw.; (kombinatorische Überlegungen) Abschluß eines Versicherungsvertrages; (umfangreiches versicherungsstatistisches Datenmaterials) Kauf eines Neu- oder Gebrauchtwagens; (längerfristige KfzStatistiken für Lebensdauer und jährliche Reparaturkosten) Dispositionen bzgl. der Lagerhaltung; (Zeitreihen früherer Perioden). Auch im Risikofall ist das Entscheidungsproblem gelöst, wenn eine dominante Aktion in A existiert. 25 3.2.1 Erwartungswert-Kriterium zur einmaligen Lösung des Entscheidungsproblems "Bilde für jede Handlungsalternative die Summe der mit ihren Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichteten Ergebnisse und wähle die Handlungsalternative, die die höchste Summe (d.h. den maximalen Erwartungswert) aufweist." m Ei i p jx ij j1 s1 s2 s3 0,5 0,3 0,2 a1 230 100 -95 a2 190 125 -70 a3 150 160 -10 a4 120 135 0 a5 70 70 70 a6 130 135 -10 i E( ai ) Gewinnmatrix und Erwartungswerte mit w(s1) = 0,5, w(s2) = 0,3, w(s3) = 0,2. Einmalige Entscheidung In der Praxis Orientierung am Erwartungswert ?? Gründe für andere Entscheidung?? 26 3.2.2 Erwartungswert-Kriterium zur mehrmaligen Lösung des Entscheidungsproblems Orientierung am Durchschnittserfolg s1 s2 s3 1 E(a1 ) a1 210 95 -85 116,5 w(si) 0,5 0,3 0,2 Gewinnverteilung der Alternative a1 27 p 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 -85 50 -50 95 150 210 G Verteilung des „durchschnittlichen Gewinns“ bei 1 Wiederholung p 0,2 0,1 0,05 -85 -50 50 95 150 210 G Verteilung des „durchschnittlichen Gewinns“ bei 4 Wiederholungen p 0,15 0,1 0,05 -85 -50 50 95 150 210 G Verteilung des „durchschnittlichen Gewinns“ bei 6 Wiederholungen 28 Verteilung der "durchschnittlichen Gewinne" konvergiert mit wachsender Anzahl der Wiederholungen n gegen Normalverteilung, die wie alle Durchschnittsgewinne G(n) den stets gleichen Mittelwert 1 E(a1 ) =116,5 aufweist. E(G(n)) = E( 1 [G (1) G (2) G (n )]) n = 1 [G (1) G (2) G (n )] = 1 [n ] = , n n Bei häufigen Wiederholungen wird Verteilung durch und adäquat beschrieben. 2 (G (n ) ) = E (G (n ) 2 n ) E ( 1 G ( r ) ) 2 r 1 n n n 2 1 1 = E ( ( G ( r ) n ) ) = E ( (G ( r ) ) 2 ) n 2 r 1 n 2 r 1 n 2 1 = 1 2 = n n 2 r 1 Für n domiert Erwartungswert die Streuung. -Regel und --Regel dann rationale Handlungsmaxime 29 3.2.3 Erwartungswert-Kriterium zur mehrmaligen Lösung des Entscheidungsproblems Orientierung am Gesamterfolg E([G(1) G(2) G(n )]) = G(1) G(2) G(n ) = n und n 2 n ([G(1) G(2) G(n )]) = E ( G (r ) n) = 2 = 2 r 1 r 1 n 2. --Regel auch bei Orientierung am Gesamterfolg und bei Vorliegen der Normalverteilung adäquate Entscheidungsregel. -Regel allerdings problematisch, da vernachlässigt wird, daß mit steigendem n - wenn auch immer kleiner werdend – wächst. ([G(1) G(2) G(n )]) = n 30 St. Petersburger Spiel/St. Petersburger Paradoxon Bedingungen: ideale Münze, Adler und Zahl, wird solange geworfen bis zum ersten Mal Adler erscheint: Adler beim n-ten Wurf = Bank zahlt 2n € Frage: Welchen Betrag ist ein Spieler bereit zu riskieren? n n 1 1 1 = 2 4 8 (2 2 ) 1 2 4 8 n 1 n 1 d.h. nach dem Erwartungswert-Kriterium müßte ein Spieler bereit sein, extrem hohe Beträge einzusetzen, aber in der Realität keine größeren Einsätze denkbar -Regel verschiedene Entscheidungsträger beurteilen risikobehaftete Alternativen i.a. verschieden, deswegen kann der Erwartungswert der mit den Handlungsalternativen verknüpften monetären Ergebnisse keine generell verwendbare Größe darstellen für einen RISIKONEUTRALEN ENTSCHEIDER ist der Erwartungswert jedoch ein rationales und akzeptables Entscheidungskriterium !! 31 3.2.4 DAS BERNOULLI-Prinzip Daniel BERNOULLI (1738) - Beurteilung von Glücksspielen nicht durch Erwartungswert der möglichen Gewinne, sondern durch Erwartungswert des aus den Gewinnen resultierenden Nutzens Grundgedanke des BERNOULLI-Prinzips: Existenz einer Nutzenfunktion u, die Ergebniswerte entsprechend der subjektiven Einschätzung eines Entscheidungsträgers in Nutzenwerte umwandelt: 1. Allen Ergebnissen xij einer Handlungsalternative ai wird mittels einer Nutzenfunktion u(x) ein Nutzenwert uij = u(xij) zugeordnet. 2. Der entscheidungsrelevante Präferenzwert (ai) einer Handlungsalternative ai wird als Erwartungswert dieser Nutzenwerte ermittelt. Maximierung der Nutzenerwartungswerte UTILITY-Funktion, BERNOULLI-Nutzen, Risiko-Nutzen, V. NEUMANN-MORGENSTERN-Nutzen oder Risikopräferenzfunktion 32 Bernoulli: Die zu einem Entscheidungsträger gehörende Funktion u ist eine kardinale Nutzenfunktion, die bis auf wachsende lineare Transformationen eindeutig bestimmt ist. d.h. eine Nutzenfunktion u und eine aus u durch lineare Trasnformation hervorgegangene Nutzenfunktion û au , für a 0, beliebig, liefern die gleiche Präferenzordnung der zur Auswahl stehenden Alternativen. d.h. Für die Nutzentransformation muß das Verhältnis von Nutzendifferenzen eindeutig fixiert sein. Die Nutzenfunktion selbst liegt erst dann numerisch eindeutig fest, wenn für zwei (verschiedene) Konsequenzen x und y die Nutzenwerte willkürlich fixiert werden. Bei monetären Auszahlungen i.d.R. Normierung u(0) = 0 und u(1) = 1 33 Nutzenfunktionen sind personen- und situationsabhängig. BERNOULLI-Prinzip ist nicht auf Risikosituationen mit monetären Auszahlungen beschränkt. unterschiedlichste Ergebniswerte lassen sich in vergleichbare abstrakte Nutzenwerte transformieren und die Präferenzordnung ist dann einfach berstimmbar. Grund für hohe Verbreitung des Konzepts in der Literatur Problem in der Praxis liegt in der Bestimmung der Nutzenfunktion durch den Entscheider 34 3.2.5 Empirische Ermittlung des BERNOULLI-Nutzens Grundidee nach RAMSEY [1931] Vorlage von relativ einfach strukturierten, hypothetischen Indifferenzsituationen 1 a1 a2 x p c 1-p d mit c x d Die Wahrscheinlichkeit p wird solange variiert, bis der Entscheidungsträger zwischen a1 und a2 indifferent wird, d.h. beide Alternativen stiften den gleichen Nutzen "x ist das Sicherheitsäquivalent zufallsabhängigen Auszahlung a2 " (SÄ) der Über Wiederholungen und aus dem registrierten Verhalten des Entscheidungsträgers läßt sich die Nutzenfunktion u berechnen: 35 Konkrete Vorgehensweise 1. Normierung der Nutzenfunktion u(xmin) = 0 und u(xmax) = 1 2. hypothetische Indifferenzsituation sichere Alternative a1 = SÄ: Auswahl eines weiteren, vorliegenden Ergebnisses zufallsabhängige Alternative a2 mit p für besten Wert und (1-p) für schlechtesten Wert de r Ergebnismatrix 1 a1 a2 x p xmin 1-p xmax Entscheider muß nun nach subjektivem Ermessen die Wahrscheinlichkeit p(xmax) so benennen, daß er indifferent zwischen beiden Alternativen ist. Orientierungshilfe: prinzipielle Risikoeinstellung risikoneutraler ET Indifferenz bei SÄ = EW risikofreudiger ET SÄ > EW risikoscheuer ET SÄ < EW 36 Für diese p(xmax) stimmen Nutzenerwartungswerte von a1 und a2 überein!! u(x) = u(xmax) p + u(xmin) (1-p) = 1 p + 0 (1-p) u(x) = p d.h. der Nutzenwert des Sicherheitsäquivalents entspricht der subjektiven Indifferenzwahrscheinlichkeit !! 3. Für übrige Werte der Ergebnismatrix analog hypothetische Indifferenzsituation und Bestimmung der Nutzenwerte Möglichkeit der Bestimmung der Nutzenfunktion durch (beliebige) Variation der Ergebniswerte u(x) = p(x) 4. Bestimmung des Erwartungsnutzens der Handlungsalternativen Maximierung des Nutzenerwartungswertes! 37 Beispiel – Empirische Bestimmung der Nutzenwerte Entscheidungssituation bei Risiko 0,5 s1 0,3 s2 0,2 s3 a1 25.000 25.000 40.000 a2 80.000 -60.000 40.000 E(a) 38 3.2.6 Begründung des Bernoulli-Prinzips BERNOULLI: "Der Entscheidungsträger besitzt eine Nutzenfunktion u, so daß er in allen Risikosituationen seine Aktionen anhand des zugehörigen Nutzenerwartungswertes beurteilt." empirische Bestätigung??!! Axiomatische Begründung des Bernoulli-Prinzips: Formulierung einfacher Forderungen, die ein Entscheidungsprinzip erfüllen muß, um als rationale Handlungsempfehlung akzeptiert werden Akzeptanz der Plausibilität der Axiome begründet dann Rationalität des Bernoulli-Kriteriums! Axiomensystem von V. NEUMANN/MORGENSTERN [1944] Axiomensystem von LUCE/RAIFFA [1957] Axiomensystem von SCHNEEWEIß [1967] 1. Ordinales Prinzip 2. Stetigkeitsaxiom 3. Substitutionsaxiom 39 1. Ordinales Prinzip Die Präferenzrelation ist transitiv und vollständig, d. h. a) Für je drei Zufallsvariablen X, Y, V gilt: XY und Y V X V Transitivität b) Für je zwei Zufallsvariablen X und Y gilt: XY oder Y X Vollständigkeit widerspruchsfreie und vollständige Präferenzen 2. Stetigkeitsaxiom Drei Auszahlungen x, y und v : yxv, es existiert ein p]0, 1[, so daß die feste Auszahlung x der Zweipunktverteilung y p v gleichwertig wird: x~ypv bei Gültigkeit des BERNOULLI-Prinzips folgt aus der Indifferenz x ~ y p v die Gleichung u(x) = p u(y) + (1 - p) u(v). Begründung für stetige Nutzenfunktion!!! Bildungsgesetz für Nutzenfunktion basiert auf Indifferenz zwischen Sicherheitsäquivalent und Lotterie p Nutzenfunktion bei entsprechender Normierung stetige Entwicklung der Minder- oder Mehrschätzung 40 3. Substitutionsaxiom Ist V eine beliebige zufallsabhängige Auszahlung und p [0, 1] eine beliebige Wahrscheinlichkeit, so gilt XY XpVYpV. die geforderte Äquivalenz besagt für die Nutzenerwartungswerte: E[u(X)] E[u(Y)] p E[u(X)] + (1 - p) E[u(V)] p E[u(Y)] + (1 - p) E[u(V)] Die Bezeichnung „Substitutionsaxiom“ rührt daher, daß es gestattet, von einer zusammengesetzten zufallsabhängigen Auszahlung Y p V zu einer gleichwertigen oder präferierten zufallsabhängigen Auszahlung X p V zu gelangen, indem man Y durch das gleichwertige oder präferierte X substituiert. Fortsetzbarkeit der Erwartungswertbildung 41 3.2.7 Diskussion ausgewählter Nutzenfunktionen Lineare Nutzenfunktionen Konvexe Nutzenfunktionen Konkave Nutzenfunktionen Nutzenfunktionen mit konvexen und konkaven Stücken Annahme: monetäre Auszahlungen Normierung der Nutzenfunktion gemäß u(0) = 0 und u(1) = 1 Punkte (0, 0) und (1, 1). monoton steigende Nutzenfunktion Weitere Eigenschaften Vorstellungen des ET ab. hängen von den speziellen 42 Lineare Nutzenfunktion u(x) = x Entscheider orientiert sich nur am Erwartungswert Erwartungswert der Auszahlg. = Nutzenerwartungswert SÄ = EW u(x) x Entscheider ist risikoneutral Bsp.: Er wird Versicherungsabschlüssen gegenüber indifferent sein, wenn Prämie = Schadenserwartungswert; er ignoriert die Streuung 43 Konvexe Nutzenfunktion Grenzrisikonutzen steigt mit steigender Auszahlung SÄ > EW Entscheider ist risikofreudig Bsp.: Spekulation an der Börse, Glücksspieler, Arbeiten auf Provisionsbasis, Selbständigkeit, Versicherungsabschlüsse werden nur getätigt, wenn Prämie < Schadenserwartungswert u(x) x 44 Konkave Nutzenfunktion Grenznutzen fällt mit steigendem e SÄ < EW Entscheider ist risikoscheu Bsp.: konservative Investitionspolitik, Abschlüsse am Waren- oder Devisenterminmarkt, Absatzsicherung durch Steigerung der Abonnementen u(x) x 45 Risikonutzenfunktion mit konvexen und konkaven Stücken in Realität sind Entscheider je nach Situation oft risikofreudig und -scheu daher Nutzenfunktion mit konkaven und konvexen Teilstücken von Friedman und Savage vorgeschlagene und empirisch überprüfte Risikonutzenfunktion: 1. konkaves Teilstück erklärt Abschluß von Versicherungsverträgen 2. konvexes Teilstück erklärt Teilnahme an Lotterie oder Glücksspielen 3. konkaves Teilstück erklärt, warum eine Lotterie durch Einführung eines riesigen, aber entsprechend unwahrscheinlichen Gewinns nicht beliebig attraktiv gestaltet werden kann u(x) x 46