Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl für Technische Chemie www.techem.ruhr-uni-bochum.de Fortgeschrittenen - Praktikum "Technische Chemie" Versuch F1: Diskontinuierliche Rektifikation Versuchsanleitung und Betriebsanweisung Version F01_SS2004.doc Betreuer: Dipl.-Chem. N. Hoffmann Dr. M. Bergmann (NBCF 04/687, Tel. 24518) F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 1 2 Einführung Die Rektifikation stellt das Haupttrennverfahren für flüssige Vielstoffgemische dar. Das der Auftrennung zugrundeliegende Prinzip sind unterschiedliche Dampfdrücke der einzelnen Komponenten, die temperaturabhängig sind. Technische Anwendung finden Rektifizierkolonnen unter anderem in der petrochemischen Industrie, z.B. um das Rohöl in seine Siedeklassen aufzutrennen (Gasöl, Naphtha, leichtes Heizöl, Schweröl, etc.). Auch in der Umsetzung von Erdölfolgeprodukten und bei der Isolierung bzw. Aufkonzentration des Hauptprodukts von chemischen Synthesen unterschiedlicher Natur werden destillative Trennverfahren in großem Maßstab angewendet. Im Praktikumsversuch wird am Beispiel der Trennung eines binären Alkoholgemisches (Ethanol/iso-Propanol: ca 50/50 Vol.%) die grundsätzliche Verfahrensproblematik bei der Auslegung und dem Betrieb von Rektifizierkolonnen verdeutlicht. 2 Aufgabenstellung Für eine Glockenbodenkolonne soll mit unendlichem Rücklaufverhältnis (d.h. im diskontinuierlichen Betrieb) die Zahl der theoretischen Böden bestimmt werden. Die Bestimmung soll sowohl graphisch (Stufenkonstruktion im MCCABE-THIELE-Diagramm) als auch durch das Trennfaktorenverfahren (FENSKE-Gleichung) erfolgen. Daraus soll der Bodenwirkungsgrad der Kolonne ermittelt werden. Zusätzlich sollen der Temperatur- und Konzentrationsverlauf entlang der Kolonne aufgenommen und die Flüssigkeits- bzw. Dampfströme gemessen werden. 3 3.1 Theoretische Grundlagen Allgemeines Destillation und Rektifikation werden bei der Trennung von Flüssigkeitsgemischen angewendet. Beide Verfahren beruhen darauf, daß die verschiedenen Flüssigphasenbestandteile bei gegebener Temperatur unterschiedliche Dampfdrücke besitzen. Beim einfachen Destillieren, d.h. beim einmaligen Verdampfen, wird nur teilweise eine Trennung von Lösungen in ihre Bestandteile erreicht; die Trennwirkung ist vom Verhältnis der Dampfdrücke der einzelnen Komponenten abhängig. Um eine bessere Trennung zu erreichen, wird die Rektifikation F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 3 benutzt, bei der Dampf und Flüssigkeit im Gegenstrom unter inniger Berührung geführt werden und es so zu einer mehrmaligen Gleichgewichtseinstellung kommt. 3.2 Trennfaktor Die Trennbarkeit eines binären Gemisches - die folgenden Betrachtungen beschränken sich auf Zweistoffgemische - wird durch den Trennfaktor (auch relative Flüchtigkeit) beschrieben, der bei idealem Verhalten des Gemisches direkt aus dem RAOULTschen und dem DALTONschen Gesetz hergeleitet werden kann, wobei folgendermaßen definiert ist:. p1 Trennfaktor p2 Mit p1 x1 p1 (RAOULTsches Gesetz) p2 (1 x1 ) p 2 xi = Molenbruch der Komponente i in der Flüssigkeit p1 folgt und p1 p y1 p2 x1 x2 (DALTONsches Gesetz) p 2 p (1 y1 ) p p1 p 2 folgt yi Molenbruch der Komponente i im Gas y1 p x1 y x 1 2 y2 p y 2 x1 x2 Gemische zeigen ideales Verhalten, wenn: 1. die beiden Molekülsorten unipolar und klein sind (z.B. N2, O2, Ar...), 2. es sich um Isomere handelt (z.B. i-Butan, n-Butan), 3. die beiden Molekülsorten dicht benachbart in einer homologen Reihe sind (z.B. Methanol, Ethanol), 4. die Moleküle chemisch verwandt sind und die Differenz der Siedetemperaturen nicht zu groß ist (z.B. Benzol, Toluol). F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 4 ist bei solchen Gemischen über den gesamten Konzentrationsbereich in erster Näherung konstant; bei mäßigen Abweichungen wird jedoch mit dem geometrischen Mittel, das aus verschiedenen xi (Ti) gebildet wird, gerechnet. Bei stärkeren Abweichungen ist die Abhängigkeit von xi bzw. yi aus Berechnungen des Tau- und Siedepunktes (bei bekannten Dampfdruckkurven der Reinstoffe) exakt zu ermitteln. Bei Stoffgemischen mit realem Verhalten muß mit Aktivitäts- (flüssige Phase) und Fugazitätskoeffizienten (gasförmige Phase) gerechnet werden. 3.3 Berechnung von Bodenkolonnen bei vollständigem Rücklauf Die Zusammensetzung der Dampf- und Flüssigphase ändert sich in Bodenkolonnen diskontinuierlich von Boden zu Boden entlang der Kolonne. Die Trennleistung einer Bodenkolonne wird durch ihre Zahl an theoretischen Böden charakterisiert. Auf einem theoretischen Boden stehen der vom Boden aufsteigende Dampf mit der auf dem Boden vorhandenen Flüssigkeit im thermodynamischen Gleichgewicht. Apparativ wird eine hohe Austauschfläche, die eine schnelle Gleichgewichtseinstellung garantiert, durch Dispergieren der Gas- in der Flüssigphase mit Glockenoder Siebböden hergestellt; unvollständige Gleichgewichtseinstellung auf einem praktischen Boden kann durch den Bodenwirkungsgrad erfaßt werden: n ntheo. : Zahl der theoretischen Böden theo. ntats. ntats. : Zahl der eingebauten Böden Da innerhalb der Kolonne der Massenerhaltungssatz gilt, kann eine Stoffmengenbilanz aufgestellt werden: Annahmen: die Kolonne arbeitet adiabatisch die beiden Komponenten haben gleiche molare Verdampfungsenthalpien es treten keine Mischungsenthalpien auf. F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 5 Daraus folgt, daß der molare Dampf- (V) und Flüssigkeitsstrom (L) in der Kolonne konstant sind. Daher ergibt sich als Stoffmengenbilanz für einen Kolonnenabschnitt: (1) V L V Für die leichter siedende Komponente ergibt sich somit: V y L x (2) L (Bei der Auslegung von Rektifizierkolonnen für binäre Gemische ist es üblich, die Molenbrüche der leichtersiedenden Komponente in der flüssigen bzw. dampfförmigen Phase mit x und y zu bezeichnen.) V L Einsetzen von (1) in (2) führt zur Bilanzgeraden bei diskontinuierlichem Betrieb (Diagonale im MCCABETHIELE-Diagramm): yx V’ L’ Die theoretische Stufenzahl kann damit durch einen Treppenzug im MCCABE-THIELE-Diagramm bestimmt werden (Siehe Theorie F2). Abb.1: Schematische Darstellung einer Rektifizierapparatur Wenn der Trennfaktor konstant und das Rücklaufverhältnis unendlich sind, ist die Ermittlung der Bodenzahl auch auf rechnerischem Weg über die FENSKEGleichung möglich: xD 1 xB lg 1 xD xB ntheo. 1 FENSKE-Gleichung lg Molenbruch der leichtersiedenden Komponente im Kopf der Kolonne lg xD xB Molenbruch der leichtersiedenden Komponente im Sumpf der Kolonne Diese Gleichung kann über die Definition des Trennfaktors und dem RAOULTschen und DALTONschen Gesetz abgeleitet werden: y1i 1 x1i 1 Mit für den (i+1)-ten Boden y2i 1 x2i 1 und x1i 1 y1i x 2i 1 y 2i (vgl. Treppenzüge im MCCABE-THIELE-Diagramm) F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 6 0 y1n n 1 x1 y 2n x20 folgt für den n-ten Boden: Dieses wird nach n aufgelöst und man erhält die FENSKE-Gleichung. Der n-te Boden entspricht dem Kopf, der nullte Boden dem Sumpf der Kolonne. PCSystem D Steuerung + Datenaufnahme B Abb.2: Schema der Rektifikationsapparatur F F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 4 4.1 7 Versuchsbeschreibung Apparatur Die Versuchsanlage ist in Abb. 2 schematisch dargestellt. Sie besteht im wesentlichen aus dem Verstärker- und dem Abtriebsteil mit geheiztem Zulauf (F) und geheizter Blase. Das am Kopf der Kolonne ankommende Dampfgemisch wird mit dem Rücklaufkühler vollständig kondensiert und läuft bei diskontinuierlichem Betrieb wieder vollständig in die Kolonne zurück. Die Regelung der Sumpf-(Blasen-)temperatur erfolgt über einen EUROTHERM-Regler, der über einen Computer gesteuert wird. Um ein adiabatisches Verhalten der Kolonne zu erreichen, werden die nicht isolierten Stellen der Kolonne mit einem Thermostaten auf eine Temperatur wenig unterhalb der Siedetemperatur erwärmt. Entlang der Kolonne (Boden 4, 9, 14, 19; insgesamt 20 Böden) sind Meßstellen für die Temperatur und Entnahmestellen für Flüssigkeitsproben vorhanden. Die Steuerung der Heizregler und das Auslesen der Temperaturen längst der Kolonne erfolgt mittels eines Labview-Programmes am Computer. Die ausgelesenen Temperaturdaten können kontinuierlich abgespeichert werden. 4.2 Versuchsdurchführung 4.2.1 Apparatives Zubehör Refraktometer Pipette Stoppuhr 6 Schnappdeckelgläser Thermostate 100 ml Meßzylinder 2 x 10 l Vorratsbehälter 4.2.2 Anfahren der Versuchsapparatur 1. Kühlung für Rücklauf und Ablauf anstellen, Thermostatisierung einschalten. 2. Schlauchpumpe anschalten, Überlaufgefäß füllen bis Überlauf eintritt. 3. Sumpfumlaufverdampfergefäß über den Zulauf bis zur roten Markierung füllen. Zulaufventil schließen. 4. Anschließend wird die Sumpf-Zieltemperatur sowie eine niedrige Heizrate im LabviewProgramm vorgegeben. (Absprache mit den Assistenten!) 4.2.3 Abschalten der Apparatur 1. Herunterregeln der Sumpftemperatur auf Raumtemperatur im Labview-Programm sowie Ausschalten der Kolonnenthermostatisierung 2. Überlaufgefäß in den unteren Voratsbehälter entleeren F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 8 3. Die Rücklaufkühlung muß noch solange angeschaltet bleiben, bis sich die Kolonne abgekühlt hat 5 5.1 Experimentelle Messungen und Auswertung Messungen 1. Bei einsetzendem Rücklauf soll mit der Aufnahme des Temperatur- (Labview) und Konzentrationsverlaufs entlang der Kolonne begonnen werden, wobei die Konzentrationsbestimmung mit dem Refraktometer erfolgen soll. Zur Bestimmung des Konzentrationsprofils darf jeweils nur sehr wenig Flüssigkeit (einige Tropfen) entnommen werden. Die einzelnen Messungen werden zu Beginn des Versuchs (etwa 3 h) alle 30 min, später alle 15 min durchgeführt, bis die Konzentrations- und Temperaturverläufe zeitlich konstant sind. 2. Bei stationär arbeitender Kolonne sollen die Flüssigkeits- bzw. Dampfströme gemessen werden. 5.2 Auswertung 1. Auftragung von Konzentrations- und Temperaturverläufen als Funktion der Meßzeit bzw. der Kolonnenhöhe 2. Bestimmung der theoretischen Bodenzahl aus dem MCCABE-THIELE-Diagramm und der FENSKE-Gleichung. Fehlerabschätzung zur vergleichenden Diskussion. Das MCCABETHIELE-Diagramm sowie Tabellen zur Bestimmung von sind im Anhang zu finden. 3. Ermittlung des Bodenwirkungsgrades 6 Sicherheitshinweise Die Sicherheitshinweise zur Handhabung von Ethanol und Isopropanol sind den beigefügten Datenblättern zu entnehmen. Informieren Sie sich über Standorte von Feuerlöschern, Notdusche und Fluchtwege. 7 Literatur [1] P. Grassmann, F. Widmer; Einführung in die thermische Verfahrenstechnik; Walter de Gruyter Verlag, Berlin, 1974. F1 - Diskontinuierliche Rektifikation 9 [2] K, Dialer, U. Onken, K. Leschonski; Grundzüge der Verfahrenstechnik und Reaktionstechnik, Hanser Verlag, München, 1986. [3] W.L. Mc Cabe, J.C. Smith, P. Harriot; Unit Operations of Chemical Engineering; Mc Craw-Hill, New York, 1985. [4] E.U. Schlünder, F. Thurner; Destillation, Absorption, Extraktion; Georg Thieme Verlag, Stuttgart, 1986. [5] P. Grassmann; Physikalische Grundlagen der Verfahrenstechnik, Salle und Sauerländer Verlag, Frankfurt, 1983. [6] U. Onken; Thermische Verfahrenstechnik; Hanser Verlag, München, 1975. [7] R. Billet; Industrielle Destillation, Verlag Chemie, Weinheim, 1973. 8 Anhang Umrechnung Brechungsindex in Molenbruch Binäres Siedediagramm Ethanol/iso-Propanol (Tabelle) 9 Abkürzungsverzeichnis pi0 Dampfdruck der reinen Komponente i bei gegebener Temperatur [Pa pi Partialdruck der Komponente i [Pa p Gesamtdruck [Pa xi Molenbruch der Komponente i in der flüssigen Phase yi Molenbruch der Komponente i in der gasförmigen Phase Trennfaktor Bodenwirkungsgrad V Dampfstrom [mol/s] L Flüssigkeitsstrom [mol/s] xD Molenbruch der leichter flüchtigen Komponente im Kopfstrom xB Molenbruch der leichter flüchtigen Komponente im Sumpfstrom