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17. Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
17
Hinweise
zur
Auswahl
Selbstverteidigungskurses
eines
In diesem Kapitel möchte ich einige Hinweise geben, wie interessierte Frauen
leichter, den für sie richtigen Selbstverteidigungskurs finden können.
Zunächst einmal müssen wir zwischen Selbstverteidigung und Kampfkunst
unterscheiden. Kampfkunstarten sind Systeme von Techniken, die jahrelang
trainiert werden können. Die Ziele sind vielfältig: Körperbeherrschung, geistige
Entwicklung, die Vervollkommnung des Charakters. Obwohl vieles, was im
Kampfsport gelehrt wird, auch für die Selbstverteidigung nützlich sein kann,
bildet diese nur einen Teilaspekt des Kampfsports.
Die meisten Kampfkunstarten sind von Männern für Männer entwickelt
worden. Weil Männer eher aus sportlichen Gründen oder aus Spaß kämpfen,
selten jedoch um ihr Leben, hält der männliche Ehrenkodex130 Techniken, die
auf den Unterleib oder die Augen abzielen, für zu brutal oder „unfair“. Deshalb
sind die in Kampfsportarten angebotenen Techniken oftmals ungeeignet für
Frauen, die sich in Selbstverteidigung üben wollen.
Zudem reicht die Beherrschung von spezifischen Sporttechniken für die
Selbstverteidigung nicht aus, wenn, was oft in Sportschulen und Sportvereinen
der Fall ist, die psychische Vorbereitung auf eine ernsthaft bedrohliche
Situation fehlt. Der Abbau und die Überwindung der Angst und Passivität, die
Frauen und Mädchen eingeimpft werden – eine Voraussetzung, um körperliche
Techniken gegen einen Angreifer anzuwenden -, finden nicht allein durch
Kampfkunst- oder Kampfsporttraining statt. Obwohl Kampfkunst durchaus zu
empfehlen ist, kann sie kein Ersatz für einen frauenspezifischen
Selbstverteidigungskurs sein.
In den USA werden Selbstverteidigungskurse von und für Frauen seit zwanzig
Jahren angeboten. Ein nationaler Verband für Frauen in der Kampfkunst
(National Women´s Martial Arts Federation) erleichtert die Kommunikation
zwischen Lehrerinnen und organisiert regelmäßige Fortbildungen. Im
Vergleich dazu ist die Selbstverteidigungsbewegung in Deutschland relativ
unorganisiert, da es keinen Nationalverband gibt. Nicht alle
Selbstverteidigungskurse für Frauen und Mädchen sind empfehlenswert.
Oftmals handelt es sich nur um eine Ableitung von Kampfsporttechniken.
Kurse, die besondere Kleidung (wie Judo – oder Karateanzüge) erfordern oder
Ehrenkodex: Bushido (jap.): Ehrenkodex der japanischen Samurai, „Weg des Ritters“
(Bushi); Ethik des von 1192 – 1867 n. Chr. Während der Kamakura-Periode) führenden
Kriegerstandes, z. B. Treue gegen den Herren und Meister, Selbstzucht und Todesverachtung.
Velte, Fachwort-Lexikon, S. 31, 2. Aufl. 1993
130
129
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
sich zu sehr auf körperliche Techniken und zu wenig auf Prävention131 und
Bewußtseinsänderung132 konzentrieren, sollten vermieden werden.
Gemischte Kurse für Frauen und Männer halte ich nicht für sinnvoll, weil
Frauen neben der Vermittlung körperlichen Techniken auch die Möglichkeit
brauchen, ihre durch die weibliche Sozialisation herausgebildete Rolle als
Opfer aufzuarbeiten. Kurse, in denen Männer die Angreifer spielen, sind eher
schädlich, weil in ihnen genau die Machtverhältnisse und Bilder bzw. Rollen,
die wir zerstören wollen (Frauen als Opfer, Männer als starke Angreifer)
unterstützt werden. Die Dauer eines Kurses ist kein Maßstab für seine Qualität.
Ein Tagesseminar oder ein Wochenendkurs unter Anleitung einer qualifizierten
Lehrerin kann viel sinnvoller sein als langfristiges Training in Kampfkunst,
wenn der Schwerpunkt dabei nicht auf der Selbstverteidigung liegt. Eine solide
Grundlage in Selbstverteidigung kann in acht bis zehn Doppelstunden
erworben werden.
Ansatzpunkt und Konzept des Selbstverteidigungskurses sind von
entscheidender Bedeutung. Manchen Kursen liegt der Gedanke zugrunde,
Frauen und Mädchen seien schwach, und es wird versucht, dieses „Defizit“
abzutrainieren und durch „Tricks“ auszugleichen. Im Gegensatz dazu lautet der
Grundsatz eines guten Kurses, daß jede Frau und Mädchen sich sofort
erfolgreich wehren kann. Ich gehe davon aus, daß Frauen und Mädchen stark,
kompetent und handlungsfähig sind, und baue auf dieser Grundlage auf. Alter,
körperliche Behinderung oder Untrainiertheit sollten nicht als Hindernis
für eine effektive Verteidigung betrachtet werden.
Frauenhäuser,
Frauenbuchläden,
Mädchentreffs
Wildwassergruppen,
Frauennotrufeund
beratungsstellen
können
Kontakte
zu
Selbstverteidigungskursen vermitteln. Weil diese Gruppen jedoch oft nicht
über Kompetenz verfügen, solche Kurse zu beurteilen, ist es wichtig, daß
interessierte Frauen sich genau über die angebotenen Kurse informieren und
sich selbst ein Urteil bilden können. Ein guter Selbstverteidigungskurs
enthält die in den nachfolgenden Kapitel aufgeführten Elemente:
131
Prävention: d. h. Vorausplanen, mögliche Gefahren rechtzeitig erkennen und vermeiden.
Frauenreferat des Deutschen Ju Ju Verbandes
Monika Glisovic, 1. Aufl. Lübeck 1994
132
Bewußtsein, Grundbegriff der Philosophie und Psychologie. Allgemein die Fähigkeit des
Menschen, Erlebnisse, Erfahrungen, Veränderungen der Umwelt, Beziehungen zur Außenwelt
usw. aufzunehmen und als Wissen zu speichern.
Universal-Lexikon, S. 234, band 1, 1982
130
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
17.1 Er wird von einer feministischen
qualifizierten Frau geleitet
Nur Frauen kennen die Lebensrealität anderer Frauen und Mädchen – den
alltäglichen Umgang mit Bedrohung und Angst sowie weibliche
Sozialisation, die zu passivem Opferverhalten erzieht. Frauen können die
Hemmungen, Unsicherheiten und Ängste anderer Frauen nachvollziehen.
Qualifizierte Frauen kennen die Schritte, die unternommen werden
müssen, um aus der Opferrolle auszubrechen, und können selbst als
positive Vorbilder dienen. Männern fehlt sowohl dieses
Einfühlungsvermögen als auch die Bereitschaft, Frauen zu
ermutigen, in jeder Situation Widerstand gegen Männergewalt zu
leisten. Die Leiterin sollte sich selbst als Feministin bezeichnen.
Feministinnen sind Expertinnen im Bereich Gewalt gegen Frauen und
Mädchen, nicht, wie so oft behauptet, die Polizei oder sonstige
Institutionen. Viele Frauen haben Gewalt öffentlich gemacht, diskutiert,
analysiert. Sie haben die Polizei, ÄrztInnen und RichterInnenn, die
Medien und die Kampfsportherren gezwungen, Frauen ernst zu nehmen.
Aus ihrer eigenen Erfahrung haben sie Strategien gegen Gewalt
entwickelt.
Die Lehrerin sollte gründlich in Selbstverteidigung für Frauen und
Mädchen ausgebildet sein. Qualifikation (Gürtelrang)133 in Kampfkunst
sagt
nichts
über
die
Qualifikation
einer
Frau
als
Selbstverteidigungslehrerin aus, kann aber eine zusätzliche Indikation134
sein, daß sie auf dem Gebiet der körperlichen Techniken kompetent ist.
Anderseits reicht der Wunsch, anderen Frauen zu helfen und Frauen und
Mädchen über Selbstverteidigung zu informieren, auch nicht aus. Nur
weil ein Kurs sich an Frauen wendet, bedeutet das nicht, daß die Lehrerin
qualifiziert ist, zu unterrichten. Es gibt leider noch zu viele
Kursleiterinnen, die nicht oder nur unzureichend ausgebildet sind.
Wenn eine Frau an einigen Wochenendkursen teilgenommen hat, heißt
das längst nicht, daß sie in der Lage ist, selbst Kurse zu leiten. Ein
Selbstverteidigungskurs soll kein Trainingsfeld für die Lehrerin sein. Es
gibt mittlerweile einige intensive Trainingsprogramme, die von
133
Gürtelrang: Schülergrade = Kyu (jap.); bunte Gürtel, Meistergrade = Dan (jap.);schwarze
Gürtel, das sind auch die Lehrer = Sensei (jap.); es sagt in jedemfalle aus, das der Träger oder
Trägerin eines schwarzen Gürtels den nötigen technischen Wissensstand hat.
W. Harf u. O. Schönbrunner: Der geistige Weg des Taeryon Do 3. Kapitel, 1. Auflage, Ffm
1993
134
Indikation (lat.) zeigt z. B. an, welchen Wissensstand, oder welche Qualifikation und
Ausbildungsstand jemand hat.
Universal-Lexikon, S. 922, Band 3, 1982
131
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
angehenden Lehrerinnen wahrgenommen werden sollten.
Ein gutes Trainingsprogramm für Selbstverteidigungslehrerinnen wird
von einer erfahrenen Lehrerin geleitet und beinhaltet:
 Eine fundierte Ausbildung als Anleiterin
 Eine feministische Analyse der Gewalt gegen Frauen und Mädchen
 Die Vermittlung von Kenntnissen über Gruppendynamik, über
Strategien gegen Rassismus, über den Umgang mit Frauen und
Mädchen, die Erfahrung mit Gewalt und sexuellen Mißbrauch haben,
über Körpersprache, über Selbstbehauptung, verbale und körperliche
Techniken und Erste Hilfe
 Eine Schulung in der Lehrmethode des Konfrontationstrainings
 Regelmäßiges Training in Selbstverteidigung oder Kampfkunst
Die Länge der Ausbildung hängt von den Voraussetzungen der
Auszubildenden ab; eineinhalb bis zwei Jahre scheinen mir jedoch ein
Minimum zu sein.135
Bevor ein Mädchen oder eine Frau sich für einen Kurs entscheidet, sollte sie
die Lehrerin nach ihrer Ausbildung in Frauenselbstverteidigung , nach ihrem
Kurskonzept und ihren Kenntnissen über Gewalt fragen. Sie sollte eine
Unterrichtsstunde auf Probe nehmen, und mit den Teilnehmerinnen über ihre
Erfahrungen sprechen.
17.2 Informationen über Gewalt gegen
Frauen und Mädchen
Es ist wichtig, daß Frauen und Mädchen in einem Selbstverteidigungskurs
richtig über Gewalt informiert werden, so daß sie angemessene
Verteidigungsstrategien entwickeln können. Das Bild des fremden Täters, das
von den Medien verbreitet wird, ist falsch und zeigt den Frauen keine
Handlungsmöglichkeiten, wenn es sich bei dem Angreifer um einen Freund,
Verwandten oder Vorgesetzten handelt.
135
Sunny Graff; Rechtsanwältin, Diplom Psychologin und Selbstverteidigungslehrerin in
mehreren Kampfsportarten, bietet mit ihrer Kampfsportschule in Frankfurt/Main europaweit
eine zweijährige Ausbildung zur Selbstverteidigungslehrerin und Selbstbehauptungslehrerin
nach einem von ihr entwickelten Konzept (Jede Frau und jedes Mädchen kann sich wehren) an.
Angaben aus: Sunny Graff, Mit mir nicht! Selbstbehauptung und Selbstverteidigung im Alltag.
Orlanda-Verlag 1. Aufl. 1995
132
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
Die Ergebnisse der Forschung über Selbstverteidigung sowie einige der
Erfolgsangaben, die ich in den vorangegangenen Kapiteln erwähnt habe,
widersprechen der weitverbreiteten Ansicht, daß Frauen und Mädchen
gewalttätigen Männern hilflos ausgeliefert sind.
17.3 Feministische Analyse der Gewalt gegen
Frauen und Mädchen
Um Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen, müssen wir die Rolle
verstehen, die Gewalt bei der Erhaltung des Patriarchats136 spielt. Obwohl
Selbstverteidigung
individuellen
Frauen
und
Mädchen
Handlungsmöglichkeiten für unangenehme und gefährliche Situationen bietet,
reicht sie allein nicht aus, um strukturelle Gewalt zu beenden. Vielmehr muß
die Machtstruktur der Gesellschaft durch eine organisierte Frauenbewegung
verändert werden, um die Rechte jeder Frau und jedes Mädchens auf Freiheit,
Sicherheit, Mobilität und Integrität zu sichern.
17.4 Konfrontationstraining
Es sollen verbale und körperliche Verhaltensweisen vermittelt werden, die
gegen die alltägliche „Anmache“ und Belästigungen jeder Art eingesetzt
werden können. Durch Körperspracheübungen und Rollenspiele entwickeln
Frauen und Mädchen eine starke, selbstsichere Ausstrahlung und lernen, sich in
allen möglichen Situationen wirksam zu wehren. Die Teilnehmerinnen sollen
lernen, ihre Gefühle wahrzunehmen, bedrohliche Situationen so früh wie
möglich zu erkennen, sofort zu handeln und die Situation erfolgreich zu
beenden.137
17.5 Geistige Übungen
Durch gezielte geistige Übungen wird das Bild der Frau oder des Mädchens als
Opfer durch ein starkes positives Bild ersetzt. Sie visualisieren ihren Erfolg :
Sie stellen sich vor, wie sie angegriffen werden, wie sie darauf reagieren und
dem Angreifer erfolgreich Widerstand zu leisten.
136
Patriarchat (griech.) Vaterherrschaft; von der herrschenden Stellung des männlichen
Familienoberhauptes geprägte Gesellschaftsform
Universal-Lexikon, S. 1596, Band 4, 1982
137
Vgl. Kap. 9 bis 14 in dieser Diplomarbeit
133
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
17.6 Diskussionen
Die Teilnehmerinnen müssen die Chance haben, ihre Ängste und
Unsicherheiten auszusprechen und abzubauen. Es sollten Erfahrungen
ausgetauscht sowie Angst und Hemmungen durch Mut und Wut ersetzt
werden. Die Gruppe sollte gemeinsame Strategien gegen Gewalt entwickeln.
17.7 Körperliche Techniken
Körperliche Techniken sollten bewußt auf die Schwachpunkte des Angreifers
zielen. Die Techniken sollten möglichst einfach zu erlernen und sofort
anwendbar sein. Komplizierte Wurf-, Hebel- und sonstige Befreiungstechniken
sollten vermieden werden.138
17.8 Kampfkunst für Frauen
Wie eingangs erwähnt, dient Kampfkunst in den meisten Schulen nicht in erster
Linie der Selbstverteidigung von Frauen und Mädchen. Regelmäßiges Training
bringt jedoch Kraft, körperliche Fitness, gute Kondition, schnelle Reaktionen,
Gesundheit, Wohlbefinden und Selbstsicherheit. Frauen und Mädchen, die Lust
haben, nach einem Selbstverteidigungskurs weiter zu trainieren, sollten auf
jeden Fall eine Kampfkunstart ausprobieren.
Die verschiedenen Kampfkunstarten (Taewkwon Do, Hapkido, Karate, Judo,
Jiu Jitsu, Ju Jutsu, Arnis usw.) unterscheiden sich durch ihre Herkunft
(japanisch, koreanisch, chinesisch usw.) sowie durch die bevorzugten
Techniken (Tritte, Wurf- und Hebeltechniken usw.) und die unterschiedliche
Betonung des sportlichen Aspekts. Jede Kampfkunstart hat ihre Vorzüge, und
jede Frau sollte sich diejenige aussuchen, die ihr am besten liegt. Wichtiger als
der Stil selbst ist die Einstellung der Lehrerinnen und die Atmosphäre der
Schule oder des Vereins.
Frauenkampfschulen gibt es seit zwei Jahrzehnten in einigen Groß- und
Kleinstädten Deutschlands (Berlin, Frankfurt, Hamburg, Marburg,
Stadtallendorf). Sie haben traditionelles Training erfolgreich mit
Selbstverteidigungstechniken kombiniert. Hier können Frauen unter sich
trainieren, sie werden ernst genommen, finden ihre Stärke, erleben
Unterstützung sowie Solidarität und haben ihren Spaß. Einige Schulen und
Vereine beschränken sich auf fortlaufendes Selbstverteidigungstraining, andere
bieten traditionelle Kampfkunst mit Kampfanzügen und Gürtelprüfungen139 an,
138
Vgl. Kap. 13 und 14 in dieser Diplomarbeit
139
Vgl. Kap. 17.1 und Fußnote 133 über Gürtelrang und Gürtelprüfungen
134
17 Hinweise zur Auswahl eines Selbstverteidigungskurses
wieder andere Kampfkunst, Selbstverteidigung sowie Training für
Selbstverteidigungslehrerinnen.
Frauen und Mädchen, die in Gebieten leben, in denen es keine Frauenschulen
gibt, sollten mehrere traditionelle Schulen besuchen, bevor sie sich für einen
Kurs entscheiden. Kampfkunst ist noch immer hauptsächlich eine
Männerdomäne, und Frauen sind nicht überall willkommen. In traditionellen
Schulen, in denen die Betonung auf orientalischer Philosophie liegt und
Kampfkunst als ein Weg zu Harmonie mit sich selbst und der Umwelt gelehrt
wird, fühlen Frauen sich oftmals wesentlich wohler als in Schulen, wo
Kampfkunst vorrangig als Sport oder unter Wettbewerbsaspekt betrieben wird.
Beobachte einige Unterrichtsstunden und wenn möglich, mache mit. Bring eine
Freundin mit, um dir den Einstieg zu erleichtern. Sprich mit den anderen
TeilnehmerInnen. Sind viele Frauen dabei? Haben die LehrerInnen wirklich
Interesse an Frauen in ihrer Klasse? Geben sie sich Mühe, die Namen der
Schülerinnen zu lernen, oder wissen sie nur die Namen der Männer? Gibt es
Frauen, die einen Gürtel hohen Ranges tragen, Frauen, die schon lange
trainieren oder sogar Kampfkunstlehrerinnen sind? Werden Frauen gefordert
und unterstützt wie die Männer? Oder gibt es besondere „Damentechniken“,
die den Frauen weniger abverlangen als das normale Programm? Sind die
Frauen in die Klasse integriert, werden sie akzeptiert? Werden sie mit Achtung
behandelt? Haben die Männer Lust mit Frauen und Mädchen zu trainieren?
Wenn PartnerInnen gesucht werden, bleiben die Frauen immer übrig? Werden
die Frauen nur anderen Frauen oder Kindern als Partnerinnen zugeordnet?
Werden Frauen in PartnerInnenübungen ernst genommen oder nur toleriert?
Reagieren die Männer ungeduldig oder mit zu viel Kraft auf die Frauen?
Trainieren die Frauen in erster Linie für sich, oder begleiten sie nur ihren
Freund? Müssen sich die Frauen auf den Toiletten umziehen, wogegen die
Männer einen Umkleideraum haben? Das alles sind nützliche Kriterien, die dir
bei der Entscheidung für eine Schule oder einen Verein und für einen Kurs
helfen können.
Wichtig ist, daß Frauen und Mädchen nicht in erster Linie für ihren Platz in der
Schule oder dem Verein kämpfen müssen, sondern sich von vornherein
willkommen fühlen. Die Einstellung der Lehrerin, des Lehrers ist der
wichtigste Faktor einer frauenfreundlichen Schule oder eines Vereins.
In der richtigen Umgebung ist Kampfkunst-Training für Frauen und Mädchen
eine wundervolle Sache.
135
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
18. Planung eines SV140-Kurses für Frauen
und Mädchen
18.1 Planung,
Übungsstunde
Organisation
und
schriftliche
Gliederung
einer
Wichtig bei schriftlicher Vorbereitung / Überlegung:
1.
2.
3.
4.
5.
Name der LehrerInnen,
Anzahl der TeilnehmerInnen,
Alter der TeilnehmerInnen,
Thema,
Stundenzahl,
18.2 Vorüberlegungen
1. Psycho – physische Entwicklungsmerkmale:
Altersstufe,
Leistungsfähigkeit,
Belastbarkeit,
EinzelgängerInnnen in der Gruppe, Gruppenharmonie usw.
Motivation,
2. Stoffliche Besinnung:
Was wurde bisher erarbeitet? Fernziele, Teilziele, Vielfältigkeit,
abwechslungsreiche Angebote, Überlegungen wie Ziele durch spezielle
Spiele oder spielerische Formen erreicht werden können.
3. Methodische Besinnung
Wie verläuft der Weg zur Zielübung? (Methodische Übungsreihe). Wie
kann der Lernprozess verkürzt werden? Welche methodischen Hilfsmittel
setze ich ein? Wie sieht der Ordnungsrahmen aus? Wie steht es mit der
Intensität an Bewegung? Unfallrisiken ausschalten. Wo sind
Beobachtungs-Schwerpunkte?
4. Pädagogische Situation
Welche erzieherischen Werte soll die Stunde vermitteln? Z. B.
Gruppenarbeit,
Mannschaftsgeist,
Hilfsbereitschaft,
Einordnen,
gegenseitiges Verbessern, Verantwortung übernehmen. Erziehung zur
Ehrlichkeit und zum fairen Spiel. Erziehung zur knallharten
Selbstverteidigung, übersteigerten Ehrgeiz beseitigen.
140
SV = Abkürzung für Selbstverteidigung
136
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
18.3
Schema
zum
Übungsstunde
Aufbau
einer
1. Einleitung
Zusammenrufen
Schaffung einer pädagogischen Situation, evtl. Ankündigung des
Stundenzieles
Kleine Laufspiele, Bewegungs- und körperliche Übungen mit
Kleingeräten
Vorbereitung des Organismus, Wecken der Leistungs- oder
Bewegungsbereitschaft
- Dauer der Einleitung ca. 8 –10 Minuten -
2. Hauptteil
Die Übungswahl richtet sich nach dem Stundenziel, z. B. Erlernen
und verfertigen motorischer Fähigkeiten, einschließlich Spiel,
Verbesserung der motorischen Grundeigenschaften
Schwerpunktmäßiges Erarbeiten eines Übungszieles, Hauptbelastung (in
Herz, Muskelleistung und Koordination)
- Dauer des Haupteils ca. 25 Minuten
3. Ausklang
Spiele, Staffeln, Bewegungsaufgabe mit SV-Charakter
Freudvoller Ausklang, Gemeinschaftserlebnis
Bei Überhitzung der Gemüter am Ende, ist eine Beruhigungsphase
erforderlich
Beruhigung des Organismus
- Dauer des Ausklangs ca. 8 – 19 Minuten –
18.4 Aufgaben einer Übungsstunde
1.
2.
Bildungsaufgaben (Eigenschaften, Fertigkeiten, Fähigkeiten,
Kenntnisse, herausbilden von Bewegungseigenschaften mit
Verbesserung und Vervollkommnung).
Erziehungsaufgaben (Ordnung, Selbständigkeit, Ehrlichkeit,
Hilfsbereitschaft, sportliche Kenntnisse).
137
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
18.5
Bestimmte
Stundengestaltung:
wann
wie
wo
wen
warum
Faktoren
für
die
Zeit, Tag, Jahreszeit
Gestaltung, Ziel
Ort, Halle, Platz
Alter, Geschlecht, Anzahl, Leistungsstand
Ziel, Zweck
18.6 Aufbau und Inhalte der Stundenteile
Einleitung:
1. eine pädagogische Situation schaffen,
2. den Organismus vorbereiten,
3. die Übungsbereitschaft wecken
Hauptteil:
leisten, gestalten, üben, festigen.
Schluß:
1. den Organismus beruhigen, oder einen nochmaligen
Höhepunkt der Belastung,
2. das Gefühl aussprechen (Lob)
3.einen pädagogisch wertvollen Abschluß bilden
18.7 Organisatorische Überlegungen des
Anfängertrainings
1. Wirkliche Anfängerausbildung kann nur in geschlossenen Gruppen
durchgeführt werden. Andere Lösungen sind durch mangelnde
Organisation bedingte Notlösungen.
2. Der unterschiedliche Aufbau des Trainings für verschiedene
Altersstufen fordert auch eine Trennung von Kinder – Jugend –
Senioren.
3. Wenn den TrainerInnen diese Aufgabe die Vereinsleitung nicht
abnimmt, sind die ÜbungsleiterInnen zuerst einmal Organisator und
PlanerInnen und dann erst LehrerInnen.
138
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
4.
Es gilt, die räumlichen Voraussetzungen zu schaffen, dann aber
auch Übungsformen und einen Ordnungsrahmen zu finden, die es
ermöglichen, daß alle gleichzeitig üben.
5.
Um einen hohen Wirkungsgrad zu erreichen und um das
Verletzungsrisiko niedrig zu halten, sind Disziplin und Beachtung
der Kampfsport–Etikette141 notwendig.
18.8 Methodik des Anfängertrainings
1. Nach einer Methode unterrichten, heißt planmäßig unterrichten.
Routine und Schema sind jedoch keine Methode.
2. AnfängerInnenausbildung heißt nicht nur Technikschulung, sondern
auch Konditionstraining bzw.-schulung.
3. Die Erlebnisse des Lernerfolges und der Leistungssteigerung sind bei
AnfängerInnen die größten Antriebskräfte und sollten planmäßig
herbeigeführt werden.
4. Fundamentale Dinge (Treten, Schlagen, Kreisbewegungen usw.)
müssen auch am Anfang unterrichtet werden.
5. Wochenlanges Üben nur der Falltechniken ermüdet SchülerInnen und
LehrerInnen Vorübungen zu den verschiedenen Technikgruppen sind
von der ersten Stunde möglich.
6. Geworfen werden (z. B. durch einen Hüft- oder Schulterwurf)
bedeutet einen großen Schock für jeden Anfänger. Diesen Schock zu
vermeiden, muß oberstes Gebot sein.
7. Vorbereitende Übungen und Übungsreihen erleichtern das Erlernen
neuer Techniken.
8. Bei den Übungen zur SV sind immer zwei Personen beteiligt. Die
Rolle von AngreiferInnen (jap. Uke) muß genauso geübt werden, wie
der VerteidigerInnen (jap. Tori), damit eine optimale SV
gewährleistet werden kann.
141
Etikette = Benehmen (Benimmregeln)
139
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
9. Die SV-Techniken müssen direkt als komplexe Aktionen aus der
Bewegung vorgestellt werden, oder die Verbindung zur Bewegung
muß sofort geschaffen werden.
10. Alle bisher aufgezählten Punkte müssen bei einer wirklichen SV
unter Berücksichtigung der (§§ 32 – 35 StGB) abgehandelt werden.142
18.9 Fehlerkorrektur im Übungsbereich
18.9.1 Vorüberlegungen
1. Zielgruppen
In dieser Darstellung versuche ich, die allgemeinen Grundsätze der
Fehlerkorrektur auf die Gegebenheiten des Kampf- und
Selbstverteidigungssportes zu übertragen. Jedes Lernen von
Techniken,
das
Nachvollziehen
und
Verbessern
von
Bewegungsvorgängen erfordert Korrekturen beim Übenden.
Insofern gelten die Erkenntnisse bei der „Fehlerkorrektur“ für alle
LehrerInnnen, ÜbungsleiterInnen und TrainerInnen.
2. Stoffgliederung
Die im Übungsbetrieb und im Training auftretenden Probleme wie
Schwierigkeiten, Koordinationsschwierigkeiten, Mängel in der
Bewegungsfähigkeit u.a. lassen sich am besten lösen, wenn man
systematisch vorgeht. (z. B. Medizin-Psychologie – Pädagogik...).
Damit ist die Gliederung des Stoffes vorgegeben:
Kenntnis: der Voraussetzungen und der Fehlerarten (Anamnese).
Erkennen: der Fehler, ihrer Ursachen und Zusammenhänge
(Diagnose).
Korrekturmaßnahmen: auswählen, durchführen, begründen und
konsequent kontrollieren (Therapie).
18.9.2 Stoffdarstellung
I. Voraussetzungen (Fehlertypologie) und ihre Ursachen
Methodisches Lernen, als geplantes Geschehen, ist ausgerichtet
auf bestimmte Ziele, die vom Schüler selbst angestrebt oder von
LehrerInnen (ÜbungsleiterInnen oder TrainerInnen) gesetzt
werden. Je deutlicher das Ziel vorgestellt oder je klarer es
demonstriert oder beschrieben wird, desto zielstrebiger und
142
§ 32 StGB; bis § 35 StGB; vierter Titel. Notwehr und Notstand
140
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
schneller kann es erreicht werden. Um dabei auftretende
Fehler erfolgreich auszumerzen, müssen vom ÜL143 wichtige
Voraussetzungen erfüllt werden.
A: Genaue Kenntnis des zu lehrenden Übungsablaufs. D. h. die/der
ÜL muß den Ablauf der Technik in den einzelnen Phasen genau
kennen. sie/er muß die Technik durchgearbeitet und durchdacht
haben.
B: Beherrschen der entsprechenden Grundübungen. Daraus folgt,
daß die/der ÜL in der Lage sein muß, mit kooperierenden
PartnerInnen jede Technik, jede Bewegung, die sie/er unterrichtet
auch selber zu demonstrieren. Sie / er kann unmöglich Spezialist
jeder Technik sein – d. h. auch gegen Widerstand Erfolg haben.
Aber für diese Demonstration kann man sich verschiedene
Medien bedienen, wie z. B. Fortgeschrittene der Gruppen, Bilder,
Bildserien, Filme o.ä. und nicht zuletzt der Sprache, indem man
bei der Demonstration einer Grobform der Idealform so
beschreibt, daß die SchülerInnen sie zu sehen glauben.
C: Erfassen des technisch - richtigen Bewegungsbildes. D. H.
die/der ÜL muß den in Bruchteilen von Sekunden erfolgten
Bewegungsablauf (wie ein Film) aufnehmen und dabei mit der
Idealform vergleichen. Einzelphasen müssen dabei kurzfristig
gespeichert (wie im Film – angehalten) werden.
D: Fehler erkennen.
D. h. die/der (ÜL) müssen beim Vergleichen der Idealform mit
dem erfolgten Bewegungsablauf die Abweichungen registrieren.
E: Ursachen ermitteln
D. h. die/der (ÜL) müssen die erkannten und registrierten
Abweichungen von der Idealform im Zusammenhang sehen mit
den individuellen Gegebenheiten der Übenden, orientiert an den
äußeren Erscheinung (Konstitution, Bewegungsfähigkeit,
Kraft...), sowie an der Haltung im Übungsbetrieb (Angst,
Hemmungen, Ablenkbarkeit,...) und auch in Beziehung sehen, zu
der jeweiligen Altersstufe und dem Entwicklungsstand.
143
ÜL = Abkürzung der Schreibweise für Übungsleiter
141
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
II. Fehlerarten (Fehlertypologie) und ihre Ursachen:
Dazu muß die/der (ÜL) die Übenden aus einer gewissen
Entfernung beobachten und jeweils zuerst den wichtigsten Fehler
herausfinden.
Bei
Schwierigkeiten,
notfalls
zuerst
Beinbewegungen kontrollieren – dann Armbewegungen – dann
Hüftbewegungen usw. Alle Abweichungen lassen sich durch
Zuordnung zu bestimmten Fehlertypen leichter analysieren und
dann auch eliminieren.144
A: Fehlerarten (Fehler nach dem Grad des Haftens)
Fast in jeder Technik, gibt es Fehler, die für AnfängerInnen
typisch sind. Solche Anfängerfehler, auch Formfehler genannt,
sind z. B. bei der Fallübung rückwärts (der Kopf schlägt zum
Boden durch) oder bei einem Hüftwurf ( die Füße von Tori stehen
zu weit auseinander) oder bei der großen Außensichel (Tori
sichelt nur die Ferse von Uke und nicht den ganzen Körper), oder
beim Vorschwingen des sichelnden Beines macht Tori ein
Hohlkreuz.
Wenn aber falsch erlernte Bewegungsvorgänge sich bereits
gefestigt haben, spricht man von Gewohnheitsfehlern oder von
automatisierten Fehlern.
Die Gewohnheitsfehler sind oft schon in der Anfängerschulung
vor allem durch „Selbstüben“ entstanden. Sie kommen oft auch
nach beharrlichem Üben der SV oder im Wettkampf wieder zum
Vorschein. Zum Beispiel bei einem Schulterwurf (Tori geht nicht
tief genug in die Knie) und landet mit dem Partner oder Partnerin
auf dem Rücken oder auf dem Bauch. (In allen Übungsstunden
gelingt die Technik einwandfrei.)
B: Fehler nach dem Grad des Abweichens.
Abweichungen vom formgerechten Bewegungsablauf, die fast
immer zu einem Mißlingen der Technik führen, nennt man
Grobfehler. Sie sind individuell verschieden und meist deutlich
erkennbar. (Oft sind sie mit dem „Anfänger- oder Formfehlern“
identisch). Die Anfängerfehler der ersten Gruppe (siehe unter
18.9.2 –I. A bis I. E) sind auch immer die Grobfehler der zweiten
Gruppe (siehe unter 18.9.2 – II. A bis II. C). Feinfehler sind in
der Regel solche, die nicht mehr den Bewegungsablauf hemmen,
aber von der Idealform der Technik abweichen. Vielfach
gewinnen solche individuellen Ausprägungen von
144
eliminieren (lat.) ausscheiden, entfernen, beseitigen.
Universal-Lexikon, S. 509, Band 2, 1982
142
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
Techniken für die SportlerInnen an Wirksamkeit. Elemente der
einen Technik werden in andere ähnliche Techniken wirksam
übernommen.
C: Fehleranalyse
Es genügt jedoch nicht, die Fehler zu erkennen; um sie zu
beseitigen, müssen die ÜbungsleiterInnen ihre Ursachen kennen.
Zum Beispiel: Die Würfe sind nicht tief genug angesetzt (zu schwache
Beinmuskulatur)
Der Kontakt zum Partner/Partnerin wird nicht
hergestellt (mangelnde Kraft in Rumpf und Armen)
Bei Befreiungen aus den Haltegriffen werden die
Beine nicht eingesetzt (schwache Beinmuskulatur
und Koordinationsschwierigkeiten usw.).
Die erkannten Schwächen und Mängel, die vielfach bedingt deutbar
sein
können,
erfordern
eine
individuelle
Korrektur
(Heilbehandlung).
III. Korrekturmaßnahmen
Alle Hilfen und Maßnahmen sind um so erfolgreicher, je kürzer
und unmittelbarer sie auf den gemachten Fehler erfolgen und je
besser sie auf die individuellen physischen, psychischen
Gegebenheiten der Einzelnen abgestimmt sind.
A: Hinlenken auf den Hauptfehler
Vor allem in der AnfängerInnenausbildung, wenn die
Bewegungsvorstellung noch wenig ausgeprägt ist, muß jeweils der
Hauptfehler analysiert und verbessert werden. Dies geschieht am
besten „während“ des Übens, z. B. durch das Sagen (verbal), d. h.
durch Zurufe auf den Fehler aufmerksam machen: „Maria,
Fußansatz höher (Knierad)“. „Anna, beim Eindrehen schon mit
dem Hintern tiefer runtergehen (Hüftwurf)“. „Heike, schneller
umgreifen (Schulterwurf)“ usw.. Bewegungsanweisung in dem
Moment geben, in dem der Fehler auftaucht.
Zeigen (visuell), d. h. man zeigt den SchülerInnen, wie hoch der
Fuß angesetzt , wie tief man mit dem Gesäß kommen soll (in die
Knie gehen) oder wie die Fausthaltung ist (Fauststoß, Faustschlag)
und die LehrerInnen führen die Bewegung und Richtung, schnell,
also mit vollem Schwung aus.
143
18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
Helfen (sensitiv), d. h. man läßt den SchülerInnen die
Bewegung spüren. Man zieht den Fuß oder die Faust an die richtige
Stelle, faßt an der Hüfte und drückt die SchülerInnen tiefer und
schiebt (stößt) sie schneller in die richtige Position.
Ist der (erste) Hauptfehler verbessert und geübt, dann erst wird der
nächste Fehler verbessert. Oft verschwinden mit dem Hauptfehler
schon einige Nebenfehler. Zum Beispiel würde beim Hüftwurf die
breite Beinstellung abgewöhnt, dann ist der Schwung über die
Kniestreckung möglich und das Zerren der PartnerInnen über die
Hüfte verschwindet.
IV. Grundsätze
Aus
allgemeinen
pädagogischen
und
psychologischen
Erkenntnissen lassen sich für die Fehlerkorrektur im Übungsbetrieb
einige wichtige Grundsätze ableiten, die den ÜbungsleiterInnen
stets bewußt sein sollten.
1.
Im voraus selber keine Fehler zeigen. (Lehrerfehler werden oft
nachgemacht)
2.
Nicht persönlich werden, Peinlichkeiten ersparen, Taktgefühl
zeigen. Z. B. nicht sagen: „Du lernst es nie“; „schaut, was (Fritz
oder Anna) wieder zusammenmurkst“.
3.
Stets zuerst dem wesentlichen Fehler verbessern, dann üben,
dann erst den nächsten Fehler verbessern. Z. B. sagen: „Das war
gut, aber...“. Nach dem „Aber“ darf nur jeweils ein Fehler genannt
werden.
4.
Dicht genug dabei stehen, um den Übenden etwas zu zeigen
und sagen zu können, ohne laut werden zu müssen – aber auch weit
genug weg, um alles zu sehen, z. B. notfalls zuerst Beinarbeit
verbessern, danach erst Griffhaltung, Faustschlag usw..
18.9.3 Korrektur typischer Fehler
Bevor man einen Fehler verbessern kann, muß man ihn erkannt
haben. Zur Fehlerkorrektur gehört folgerichtig die Kenntnis der
Techniken und des richtigen Bewegungsablaufes, und da viele
Fehler erst unter extremen SV – und Wettkampfbedingungen
durchbrechen, das Beobachten der SchülerInnen auch im Kampf.
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18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
Davon drei Möglichkeiten, die SchülerInnen zu verbessern:
1. verbal – man macht auf den Fehler aufmerksam
2. visuell – man zeigt die richtige Bewegung
3. sensitiv – man läßt die richtige Bewegung spüren
Um die dritte Methode, die intensivste und besonders dem Kampfsport
eigentümliche Art, zu unterrichten und zu korrigieren, (mit dem Körper
begreifen), müssen die LehrerInnen in der Lage sein, die Technik selber richtig
auszuführen.
In der Anfängerausbildung könnte man die Fehler nach dem Grad des Haftens
oder nach dem Grad des Abweichens von der zweckmäßigen Bewegungsform
einordnen. Das Hauptaugenmerk bei der Fehlerkorrektur wird im Kampfsport
auf die Anfängerfehler der ersten Gruppe, die auch immer die Grobfehler der
zweiten Gruppe sind, zu richten sein. Feinfehler, die sich als
Gewohnheitsfehler erhalten haben, sind nur sehr schwer zu verbessern und oft
ist nicht zu sagen, ob sie nicht gerade eine individuelle Ausprägung der
Technik darstellen.
Bei den AnfängerInnenfehler ist vor allen Dingen darauf zu achten, ob sie nicht
durch mangelhafte physische Voraussetzungen bedingt sind.
Zum Beispiel: Die Würfe werden nicht tief genug angesetzt - zu schwache
Beinmuskulatur.
Der Kontakt zu den PartnerInnen wird nicht hergestellt
- mangelnde Kraft in Rumpf und Armen.
Bei den Befreiungen aus den Haltegriffen können die SchülerInnen
die Arme und Beine nicht einsetzten
- zu schwache Arm-, Bein- und Bauchmuskulatur,
oder die SchülerInnen befreien sich nicht durch „in – die – Brücke
– gehen - nicht genügend entwickelte Nacken- und
Halsmuskulatur.
Korrektur dieser Fehler: Analysieren der Schwäche und spezielle
Kraftübungen für diese Muskelgruppen. Da wir es in der
Anfängerausbildung sehr oft mit Menschen zu tun haben, die noch
nie eine andere Sportart ausgeübt haben, muß man der Ursache
„mangelnde physische Voraussetzungen“ mehr als in anderen
Sportarten Beachtung schenken.
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18. Planung eines SV-Kurses für Frauen
Eine zweite Ursache verhindert genauso sicher die Ausführung einer
Idealvorstellung nahe kommenden Technik: die mangelnde
psychische Voraussetzung, hier besonders das (Nicht – Frei – Sein)
von Angst vor der Konteraktion des Gegners oder Angreifers. Aus
Angst vor dem Risiko wird die Bewegung nicht mit vollem Einsatz
durchgeführt, was sich in den meisten Fällen in einem verkrampfen
der Muskulatur ausdrückt (zurückbleiben der eigenen Technik).
Korrektur dieses Fehlers, der seine Ursache oft in einem zu frühen
Wettkampf hat: Üben unter erleichterten Übungsbedingungen: im
Kampfsport heißt das: unter Ausschaltung der Verteidigung der
PartnerInnen oder GegnerInnen und nur stufenweiser Steigerung
dieser Verteidigung über grundschulmäßiges SV- und
Kampftraining.
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