Der Kampf des Lebens - Abenteuer Philosophie

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Das Emblem des Calmecac,
der aztekischen Philosophenund Kriegerschule
Der Kampf des Lebens
Mag. Martin Peschaut, Betriebswirt, beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit dem
Thema Kampfkunst. Er hält den 3. Dan im Jiu Jitsu sowie den jeweils 1. Dan im Ko Budo,
Bo Jutsu und Nei Kung. Martin Peschaut ist Leiter des „Vereins Bodhidharma - Institut für philosophische
Kampfkünste“ in Österreich. Abenteuer Philosophie sprach mit ihm über die Beziehung von
Kampfkunst und Philosophie.
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Philosophie und Kampfkunst - ist das
nicht unvereinbar?
damit letztlich mehr Freiheit von sich
selbst zu gewinnen.
Die Kampfkunst im klassischen Sinn ist
ein Weg der Suche nach Weisheit, so wie
Philosophie ja vom Wort her ebenso Liebe zur Weisheit bedeutet. Die Kampfkunst
sucht in ihrem spezifischen Weg ebenfalls
nach Weisheit und ist daher eigentlich ein
philosophischer Weg, ich würde sogar so
weit gehen, zu sagen, dass sie ohne Philosophie gefährlich wird.
Denn es ist die Philosophie, die die
Ethik, Moral und Vorbilder in die Kampfkunst einbringt. Wenn das fehlt, wird aus
der Kampfkunst nichts weiter als eine Ansammlung mehr oder weniger wirksamer
Techniken ohne ethischen Grundbau.
Die philosophische Kampfkunst setzt
daher nicht primär bei der Technik an,
sondern bei der Charakterbildung. Über
die Technik können Dinge in der Praxis
erlebbar gemacht werden, die Technik ist
aber nur der Ausdruck eines auf einer höheren Ebene existierenden Konzeptes.
Daher ist in einer philosophischen Kampfkunst die Technik nicht von primärem
Interesse. Leider sind die meisten Kampfkunstschulen heute fast ausschließlich
technikorientiert.
Wenn Sie sagen, dass das Ziel der Kampfkunst das Nicht-Kämpfen ist, dann klingt
das ja fast schon pazifistisch.
Warum ist die Kampfkunst ein Weg der
Suche nach Weisheit? Können Sie das näher erklären?
Im Sinn ihrer „Erfinder“ ist das
eigentliche Ziel der Kampfkunst die Überwindung des Kampfes, die aber nur erreicht werden kann, wenn man lernt, die
eigene Persönlichkeit „in den Griff zu
kriegen“.
Um in einem Kampf siegen zu können,
müssen Emotionen und Verstand unter
Kontrolle gebracht werden, und das ist ein
philosophischer Weg, denn man lernt, störende Elemente der eigenen Persönlichkeit zu erkennen und zu kontrollieren, um
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Pazifismus ist ein von Bertha von Suttner geschaffener Kunstbegriff. Für mich
hat dieses Wort immer etwas mit Passivität und ohnmächtigem Erdulden zu tun.
Die Kampfkunst lehrt hingegen eine aktive Herangehensweise an das Leben und
akzeptiert das Leben als Kampf.
Solange man nämlich nicht in Übereinstimmung mit den Gesetzen des eigenen
Lebens lebt, tauchen Widerstände auf, die
aber dazu da sind, überwunden zu werden.
Letztendlich ist die Kampfkunst nichts anderes als die Auseinandersetzung mit diesen Widerständen, und der Gegner ist ein
Symbol dafür. Er fungiert in einem Kampf
wie ein Spiegel, der mir meine Stärken
und Schwächen zeigt. Dort, wo ich unterliege, habe ich eine Schwäche und ich
weiß, wo ich ansetzen muss, um an mir zu
arbeiten.
Die Überwindung des Kampfes liegt
daher nicht im Pazifismus, sondern im
permanenten Lernen, im Sich-Verbessern
und in der Vervollkommnung - mit einem
Wort: im Kampf.
Wird der Kampf im eigenen Leben weniger bzw. werden die Widerstände geringer,
wenn man eine Kampfkunst erlernt?
Nein, das nicht (lacht). Was man lernt,
ist, den Kampf nicht als Feind, sondern als
natürlichen Bestandteil des Lebens zu verstehen und das Leben selbst als ein Sammeln von Erfahrungen, indem man sich
diesen Widerständen und Herausforderungen stellt. Unsere Hauptgegner sind
keine äußeren Feinde, sondern innere wie
Angst, Feigheit, Zweifel, falsche Selbsteinschätzung.
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Wie sehen Sie die immer stärker zunehmende Gewaltbereitschaft unserer heutigen Welt?
Dieses Phänomen ist für mich leicht erklärbar: Gewalt nimmt in dem Maß zu wie
es Menschen gibt, die sich als Opfer fühlen. Ohne Opfer - keine Gewalt.
Können Sie das näher erklären?
Die Menschen werden heute zur
Schwäche erzogen, das kämpferische Element wird ausgeklammert, sodass immer
weniger Menschen schon als Kinder
lernen, sich mutig den Widerständen des
Lebens zu stellen.
Dadurch können sie keine Selbstsicherheit und kein Vertrauen in ihre eigene
Kraft aufbauen. Daraus entsteht eine Lebenshaltung, in der man sich immer als
Opfer der Umstände fühlt.
Wer sich aber als Opfer fühlt, möchte
sich vor Schmerzen jeglicher Art, seien
sie physisch oder psychisch, schützen,
auch wenn man dazu selbst Gewalt gegen
andere anwenden muss. Der Gewalttäter
ist feige und aus Selbstschutz heraus gewaltbereit, er bekommt daher aber auch
von anderen wieder Schläge. Und so entsteht eine Spirale von Opfern und Tätern.
Der gewaltfreie Mensch ist jemand, der
in sich stark ist. Ich gehe daher so weit zu
sagen, dass nur eine positive Förderung
des Kriegerischen im Sinne der philosophischen Kampfkunst im Menschen eine
effektive Maßnahme gegen die zunehmende Gewalt in unserer Welt ist.
Worin sehen Sie einen Ausweg aus der
Gewaltspirale?
Zum einen darin, dass man bereits in
den Kindern die Risikobereitschaft fördern sollte. Indem man Dinge verbietet,
werden sie erst subjektiv gesehen gefährlich. Einen gesunden Abenteuergeist sehe
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ich als wichtigen Bestandteil, um sich zu
einem konfliktoffenen Menschen zu entwickeln. Darüber hinaus sollte in den
Schulen Ethikunterricht auf einer philosophischen und nicht auf einer religiösen
Basis eingeführt werden, denn in vielen
philosophischen Traditionen wird der
Kampf als Teil des Lebens gelehrt und akzeptiert, in den Religionen, und vor allem
der christlichen, steht aber Leiden und
Dulden an oberster Stelle.
Ein weiteres Element ist für mich, dass
der Staat seinen Bürgern mehr Raum zum
Selbstschutz geben sollte, auch im Sinne
der Förderung eines kollektiven und gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins. In diesen Elementen sehe ich eine
Möglichkeit, langsam aus der Spirale der
Gewalt herauszukommen, aber ich bin
pessimistisch, dass wir es schaffen werden. Selbst die heutigen Kriege sind feige!
Ich möchte auf das Thema des Institutes
Bodhidharma zurückkommen: Können
Sie uns den Hintergrund dieses Namens
erklären?
Bodhidharma war ein Patriarch des
Zen-Buddhismus, der nach China zog und
dort in einem Shaolin-Kloster wirkte. Das
Shaolin war eine Schule der Philosophie
und die Kampfkunst darin ein Ausbildungszweig. Der Weg nach innen bestand
in philosophischer Ausbildung und Meditation, die Kampfkunst bildete den Weg
nach außen, das Ziel lag in der Stärkung
der inneren und äußeren Handlungsfähigkeit.
Das Institut Bodhidharma lehrt eine eigene Kampfkunstrichtung, das Nei Kung.
Worin unterscheidet sich das Nei Kung
von anderen Kampfkunstrichtungen?
Gängige Kampfkünste, wie z.B. Karate,
bestehen im Allgemeinen zu rund 70% aus
Technik, im Nei Kung nur 40%, denn hier
liegt der Schwerpunkt auf der Charakterbildung, also der Philosophie.
Worin liegt die Botschaft der philosophischen Kampfkünste für den heutigen Menschen?
Bodhidharma, Patriarch des Zen-Buddhismus
gänglich ist. Michele Echenique, der
internationale Direktor des Institutes Bodhidharma, wurde das Nei Kung von einem
Shaolin-Meister übertragen. Die Essenz
dieser Richtung liegt in der Charakterbildung.
„Wenn du den Frieden willst, so rüste
zum Krieg“, sagten die alten Römer, und
sie schufen auf dieser Grundlage ihr Weltreich.
Wenn unsere Kultur daran interessiert
ist, einen dauerhaften und tragfähigen
Frieden zu schaffen, der nicht von Atombomben erzwungen, sondern von den
Herzen der Menschen getragen wird, dann
wird sie sich wieder mit dieser Dualität
von Krieg und Frieden aktiv befassen
müssen und die Frieden bringenden Elemente des Kriegerischen nicht hinter einem falschen Pazifismus verstecken dürfen.
Wenn jeder jeden Tag so handeln würde, als ob es sein letzter wäre, dann wäre
jeder Tag ein guter Tag zum Sterben und
alle Kriege wären überflüssig. Ein Weg zu
dieser Haltung ist die Kampfkunst in ihrem philosophischen Sinn.
Danke für das Gespräch.
Wenn Sie mehr über den
„Verein Bodhidharma Institut für philosophische
Kampfkünste“
wissen möchten, dann
wenden Sie sich bitte an:
Mag. Martin Peschaut,
[email protected]
Nei Kung ist eine Tradition aus dem
Shaolin, die seit 500 Jahren nicht mehr öffentlich gelehrt wurde und nun wieder zu-
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