Das Emblem des Calmecac, der aztekischen Philosophenund Kriegerschule Der Kampf des Lebens Mag. Martin Peschaut, Betriebswirt, beschäftigt sich seit über zwanzig Jahren mit dem Thema Kampfkunst. Er hält den 3. Dan im Jiu Jitsu sowie den jeweils 1. Dan im Ko Budo, Bo Jutsu und Nei Kung. Martin Peschaut ist Leiter des „Vereins Bodhidharma - Institut für philosophische Kampfkünste“ in Österreich. Abenteuer Philosophie sprach mit ihm über die Beziehung von Kampfkunst und Philosophie. A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 6 philoSOCIETY Philosophie und Kampfkunst - ist das nicht unvereinbar? damit letztlich mehr Freiheit von sich selbst zu gewinnen. Die Kampfkunst im klassischen Sinn ist ein Weg der Suche nach Weisheit, so wie Philosophie ja vom Wort her ebenso Liebe zur Weisheit bedeutet. Die Kampfkunst sucht in ihrem spezifischen Weg ebenfalls nach Weisheit und ist daher eigentlich ein philosophischer Weg, ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass sie ohne Philosophie gefährlich wird. Denn es ist die Philosophie, die die Ethik, Moral und Vorbilder in die Kampfkunst einbringt. Wenn das fehlt, wird aus der Kampfkunst nichts weiter als eine Ansammlung mehr oder weniger wirksamer Techniken ohne ethischen Grundbau. Die philosophische Kampfkunst setzt daher nicht primär bei der Technik an, sondern bei der Charakterbildung. Über die Technik können Dinge in der Praxis erlebbar gemacht werden, die Technik ist aber nur der Ausdruck eines auf einer höheren Ebene existierenden Konzeptes. Daher ist in einer philosophischen Kampfkunst die Technik nicht von primärem Interesse. Leider sind die meisten Kampfkunstschulen heute fast ausschließlich technikorientiert. Wenn Sie sagen, dass das Ziel der Kampfkunst das Nicht-Kämpfen ist, dann klingt das ja fast schon pazifistisch. Warum ist die Kampfkunst ein Weg der Suche nach Weisheit? Können Sie das näher erklären? Im Sinn ihrer „Erfinder“ ist das eigentliche Ziel der Kampfkunst die Überwindung des Kampfes, die aber nur erreicht werden kann, wenn man lernt, die eigene Persönlichkeit „in den Griff zu kriegen“. Um in einem Kampf siegen zu können, müssen Emotionen und Verstand unter Kontrolle gebracht werden, und das ist ein philosophischer Weg, denn man lernt, störende Elemente der eigenen Persönlichkeit zu erkennen und zu kontrollieren, um A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 6 Pazifismus ist ein von Bertha von Suttner geschaffener Kunstbegriff. Für mich hat dieses Wort immer etwas mit Passivität und ohnmächtigem Erdulden zu tun. Die Kampfkunst lehrt hingegen eine aktive Herangehensweise an das Leben und akzeptiert das Leben als Kampf. Solange man nämlich nicht in Übereinstimmung mit den Gesetzen des eigenen Lebens lebt, tauchen Widerstände auf, die aber dazu da sind, überwunden zu werden. Letztendlich ist die Kampfkunst nichts anderes als die Auseinandersetzung mit diesen Widerständen, und der Gegner ist ein Symbol dafür. Er fungiert in einem Kampf wie ein Spiegel, der mir meine Stärken und Schwächen zeigt. Dort, wo ich unterliege, habe ich eine Schwäche und ich weiß, wo ich ansetzen muss, um an mir zu arbeiten. Die Überwindung des Kampfes liegt daher nicht im Pazifismus, sondern im permanenten Lernen, im Sich-Verbessern und in der Vervollkommnung - mit einem Wort: im Kampf. Wird der Kampf im eigenen Leben weniger bzw. werden die Widerstände geringer, wenn man eine Kampfkunst erlernt? Nein, das nicht (lacht). Was man lernt, ist, den Kampf nicht als Feind, sondern als natürlichen Bestandteil des Lebens zu verstehen und das Leben selbst als ein Sammeln von Erfahrungen, indem man sich diesen Widerständen und Herausforderungen stellt. Unsere Hauptgegner sind keine äußeren Feinde, sondern innere wie Angst, Feigheit, Zweifel, falsche Selbsteinschätzung. 61 Wie sehen Sie die immer stärker zunehmende Gewaltbereitschaft unserer heutigen Welt? Dieses Phänomen ist für mich leicht erklärbar: Gewalt nimmt in dem Maß zu wie es Menschen gibt, die sich als Opfer fühlen. Ohne Opfer - keine Gewalt. Können Sie das näher erklären? Die Menschen werden heute zur Schwäche erzogen, das kämpferische Element wird ausgeklammert, sodass immer weniger Menschen schon als Kinder lernen, sich mutig den Widerständen des Lebens zu stellen. Dadurch können sie keine Selbstsicherheit und kein Vertrauen in ihre eigene Kraft aufbauen. Daraus entsteht eine Lebenshaltung, in der man sich immer als Opfer der Umstände fühlt. Wer sich aber als Opfer fühlt, möchte sich vor Schmerzen jeglicher Art, seien sie physisch oder psychisch, schützen, auch wenn man dazu selbst Gewalt gegen andere anwenden muss. Der Gewalttäter ist feige und aus Selbstschutz heraus gewaltbereit, er bekommt daher aber auch von anderen wieder Schläge. Und so entsteht eine Spirale von Opfern und Tätern. Der gewaltfreie Mensch ist jemand, der in sich stark ist. Ich gehe daher so weit zu sagen, dass nur eine positive Förderung des Kriegerischen im Sinne der philosophischen Kampfkunst im Menschen eine effektive Maßnahme gegen die zunehmende Gewalt in unserer Welt ist. Worin sehen Sie einen Ausweg aus der Gewaltspirale? Zum einen darin, dass man bereits in den Kindern die Risikobereitschaft fördern sollte. Indem man Dinge verbietet, werden sie erst subjektiv gesehen gefährlich. Einen gesunden Abenteuergeist sehe 62 philoSOCIETY ich als wichtigen Bestandteil, um sich zu einem konfliktoffenen Menschen zu entwickeln. Darüber hinaus sollte in den Schulen Ethikunterricht auf einer philosophischen und nicht auf einer religiösen Basis eingeführt werden, denn in vielen philosophischen Traditionen wird der Kampf als Teil des Lebens gelehrt und akzeptiert, in den Religionen, und vor allem der christlichen, steht aber Leiden und Dulden an oberster Stelle. Ein weiteres Element ist für mich, dass der Staat seinen Bürgern mehr Raum zum Selbstschutz geben sollte, auch im Sinne der Förderung eines kollektiven und gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins. In diesen Elementen sehe ich eine Möglichkeit, langsam aus der Spirale der Gewalt herauszukommen, aber ich bin pessimistisch, dass wir es schaffen werden. Selbst die heutigen Kriege sind feige! Ich möchte auf das Thema des Institutes Bodhidharma zurückkommen: Können Sie uns den Hintergrund dieses Namens erklären? Bodhidharma war ein Patriarch des Zen-Buddhismus, der nach China zog und dort in einem Shaolin-Kloster wirkte. Das Shaolin war eine Schule der Philosophie und die Kampfkunst darin ein Ausbildungszweig. Der Weg nach innen bestand in philosophischer Ausbildung und Meditation, die Kampfkunst bildete den Weg nach außen, das Ziel lag in der Stärkung der inneren und äußeren Handlungsfähigkeit. Das Institut Bodhidharma lehrt eine eigene Kampfkunstrichtung, das Nei Kung. Worin unterscheidet sich das Nei Kung von anderen Kampfkunstrichtungen? Gängige Kampfkünste, wie z.B. Karate, bestehen im Allgemeinen zu rund 70% aus Technik, im Nei Kung nur 40%, denn hier liegt der Schwerpunkt auf der Charakterbildung, also der Philosophie. Worin liegt die Botschaft der philosophischen Kampfkünste für den heutigen Menschen? Bodhidharma, Patriarch des Zen-Buddhismus gänglich ist. Michele Echenique, der internationale Direktor des Institutes Bodhidharma, wurde das Nei Kung von einem Shaolin-Meister übertragen. Die Essenz dieser Richtung liegt in der Charakterbildung. „Wenn du den Frieden willst, so rüste zum Krieg“, sagten die alten Römer, und sie schufen auf dieser Grundlage ihr Weltreich. Wenn unsere Kultur daran interessiert ist, einen dauerhaften und tragfähigen Frieden zu schaffen, der nicht von Atombomben erzwungen, sondern von den Herzen der Menschen getragen wird, dann wird sie sich wieder mit dieser Dualität von Krieg und Frieden aktiv befassen müssen und die Frieden bringenden Elemente des Kriegerischen nicht hinter einem falschen Pazifismus verstecken dürfen. Wenn jeder jeden Tag so handeln würde, als ob es sein letzter wäre, dann wäre jeder Tag ein guter Tag zum Sterben und alle Kriege wären überflüssig. Ein Weg zu dieser Haltung ist die Kampfkunst in ihrem philosophischen Sinn. Danke für das Gespräch. Wenn Sie mehr über den „Verein Bodhidharma Institut für philosophische Kampfkünste“ wissen möchten, dann wenden Sie sich bitte an: Mag. Martin Peschaut, [email protected] Nei Kung ist eine Tradition aus dem Shaolin, die seit 500 Jahren nicht mehr öffentlich gelehrt wurde und nun wieder zu- A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 2 / 2 0 0 6