Hegau – Bodensee – Seminar Arbeitsgemeinschaft für kreatives Schreiben des Nellenburg Gymnasiums Stockach Jahresbericht 08/09 Leitung: Dr. Waltraud Gut Inhalt 1. Ideen und Ziele 2. Projekte 2.1 „Suppenküche“ 2.2 „Flickenteppich“ 2.3 Der innere Konflikt 2.4 Schreiben nach Bildimpulsen 3.5 Poetry Slam 3. Beispielarbeiten 3.1 Sarah: Begegnungen (Projekt „Suppenküche“) 3.2 Linda: Horrorgeschichte (Projekt „Flickenteppich“) 3.3 Victoria: Ich dichte (Poetry Slam) 3.4 Martina: Ich will einen Keks (Poetry Slam) 3.5 Linda: jetzt sinwa halt ma gesellschaftskritisch (Poetry Slam) 3.6 Saskia: Parkbank (Poetry Slam) 3.7 Alex: Traumstunde (Poetry Slam) 3.8 Annika: Er, Sie, Es (Poetry Slam) 1. Ideen und Ziele Auch in diesem Schuljahr trafen sich wieder einige Schreibinteressierte in unserer Arbeitsgemeinschaft „Kreatives Schreiben“, um miteinander literarisch aktiv zu werden. Eines unserer Ziele in diesem Jahr war es, den an sich isolierten Prozess des Schreibens gemeinschaftlich und abwechslungsreich zu gestalten. Am Ende sollte, zumindest hatten wir dies anfänglich vage ins Auge gefasst, ein von der gesamten Gruppe verfasstes Theaterstück entstehen. Projekte, bei denen wir das Schreiben als Gemeinschaftsarbeit trainierten, sollten langsam auf dieses Endziel hinführen. Im Laufe unsere Arbeit verlagerten wir den Schwerpunkt jedoch auf die neuere Gattung des Poetry-Slams und andere Teilarbeiten. 2. Projekte 2.1 „Suppenküche“ Unsere Arbeit begann mit einem Projekt, dem wir im Nachhinein den Namen „Suppenküche“ gaben. In Kleingruppen wurden dabei verschiedene Charaktere erfunden. Vom Aussehen, über den Beruf bis hin zu markanten Charakterzügen, Wünschen und Ängsten sollten die Personen dabei definiert werden. Jede Gruppe präsentierte ihr Ergebnis den anderen AG-Mitgliedern. Im Anschluss daran schrieb jeder von uns eine Geschichte, in der sich die Personen der verschiedenen Gruppen begegneten. Die Herausforderung bei dieser Aufgabe bestand zum einen darin, die Protagonisten so lebendig wie möglich auszuarbeiten, sie also auch mit manchen Feinheiten, die eben einen Menschen ausmachen, auszustatten und zum anderen, diese so entstandenen Figuren sinnvoll miteinander zu verbinden. 2.2 „Flickenteppich“ Beim gemeinschaftlichen Schreiben ist es natürlich wichtig, sich auf die Ideen anderer einzulassen und auch fremde Einfälle in die eigene Geschichte einzubauen. In dem Projekt „Flickenteppich“ ging es nun darum, aus fremd erdachten Schauplätzen und Personen eine Geschichte „zusammenzuflicken“ und das Ganze wenn möglich noch im Stil eines ebenfalls vorgegebenen Genres zu verfassen. 2.3 Der Innere Konflikt „Zwei Seelen toben, ach, in meiner Brust“, schrieb Goethe einst, und tatsächlich, wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen man hin und her gerissen ist, in denen es einem so vorkommt, als höre man zwei sich widersprechende Stimmen in seinem Kopf. Wurden bisher noch alle Geschichten von jedem AG-Mitglied einzeln angefertigt, wenn auch mit Einflüssen von außen, so ging es diesmal wirklich darum, zusammen eine Geschichte zu schreiben. Eine Figur, die mit sich selbst einen inneren Konflikt ausficht, wobei zwei Schreiber je eine der beiden Parteien übernahmen, bot den Rahmen für diese Aufgabe. 2.4 Schreiben nach Bildimpulsen Kreativ zu sein bedeutet, sich von spontanen Einfällen und Impulsen leiten zu lassen. Diese Kompetenz zu üben, stand bei unserem nächsten Projekt im Vordergrund. Kunstpostkarten mit Landschaften oder Portraits boten dabei die Anstöße für unser Schaffen. 2.5 Poetry Slam Inspiriert von einer Poetry Slam Veranstaltung im Konstanzer Stadttheater und einigen Poetry Slam Hörspielen wandten wir uns, nachdem wir bisher ausschließlich Prosa zu Papier gebracht hatten, der Lyrik zu. Hierbei ist die Kreativität ein noch bedeutenderer Schlüssel zum Erfolg, als bei den vorigen Arbeiten. Poetry Slam Beiträge zeichnen sich durch spontanen (Wort-)Witz oder Poesie, durch die fantasievolle Betrachtung von Alltagsgegenständen und – Situationen aus. Das freie Assoziieren und das Formulieren von abstrakten Gedanken fiel insbesondere den „Planschreibern“, sprich denen, die eine Geschichte erst konzipieren, bevor sie sie abfassen, schwer. Doch mit viel Fleiß und Übung gelangte schließlich jeder an sein Ziel. 3. Beispielarbeiten 3.1 Sarah Braun: Begegnungen (Projekt „Suppenküche“) 15.30 Uhr; Irgendwo im Luftraum zwischen Edinburgh und Hamburg Erschöpft lehnte Scott sich in seinem Businessclasssitz zurück, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Die Worte seines Therapeuten schossen ihm durch den Kopf: „Lassen Sie das alles erst gar nicht an sich heran. Bauen Sie eine Mauer um sich herum, hinter der Sie Sich sammeln können, bevor Sie Sich einer neuen Situation stellen. Bauen Sie eine Mauer Scott.“ Er versuchte es. Er versuchte es wirklich, aber mehr als ein kümmerlicher Haufen aufeinander geschichteter, imaginärer Kieselsteine kam dabei nicht zustande. Er hatte Angst, und es wäre zwecklos das leugnen zu wollen. Ihm graute schon vor dem, was ihn in wenigen Stunden erwarten würde. Vor einem ganzen Saal gelangweilter Ärzte, die in Gedanken längst schon beim zweiten Gang des anschließenden Galadinners angekommen waren, sollte er die Eröffnungsrede des diesjährigen Kongresses halten. Ausgerechnet er, wo ihm doch nichts so zuwider war wie fremde Menschen und öffentliche Reden. Eine Kombination aus beidem glich praktisch der Hölle auf Erden. 14.25; Uhr Eine Limousine auf dem Weg nach Kiel „Herr Zarkojew, Es gibt leider ein Problem.“ Igor Zarkojew war seit ca. 30 Stunden auf den Beinen, hatte einen siebenstündigen Flug von Novosibirsk nach Moskau hinter sich, sah einer außerplanmäßig verlängerten Wartezeit bis zum Abflug seiner Maschine nach Berlin entgegen und hatte zu allem Überfluss gerade erfahren müssen, dass das Golfturnier, aufgrund dessen er diese Strapazen auf sich nahm, abgesagt worden war. Seine Laune befand sich also, gelinde ausgedrückt, auf dem Tiefpunkt bzw. sogar knapp darunter. Das alles konnte die junge Dame von der Rezeption des Berliner Ritz-Hotels natürlich nicht wissen, als sie nun telefonisch zu erklären versuchte, dass ein Wasserschaden die von ihm gebuchte Suite vorübergehend unbewohnbar gemacht habe, und er leider bis auf Weiteres mit einem Doppelzimmer vorlieb nehmen müsse. Doch war es genau diese Nachricht die das Fass zum überlaufen brachte. Zarkojew degradierte in wenigen Atemzügen die gesamte Hotelleitung, verlangte mit dem Geschäftsführer zu sprechen und beklagte die Unfähigkeit des Personals im Allgemeinen. Das Ganze nur unterbrochen von einigen russischen Schimpfkanonaden. Anscheinend ruhig nahm der Geschäftsführer seine Beschwerde auf und versprach, inzwischen mit einem unsicheren Unterton in der Stimme, selbstverständlich sofort für adäquaten Ersatz zu sorgen. Schweren Atems legte Zarkojew auf. Mit einem schlohweißen Taschentuch wischte er sich über die Stirn, den kahlrasierten Kopf und den Nacken. War er eigentlich nur von Unfähigen umgeben? 11.00; Uhr Studentencafe in Hamburg Pilar blickte auf die Uhr, trommelte mit den Fingern auf den Tisch, schaute wieder auf die Uhr, warf einen leicht gereizten Blick zur Tür, auf ihr Handy. Nichts. Er kam wieder zu spät. Sie warf den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Fingern durch das lange schwarze Haar. Wenn er in fünf Minuten nicht mit einer glaubhaften Entschuldigung für seine Verspätung vor ihr stünde, dann… Er stand. Nicht nur mit einer Entschuldigung, sondern auch mit einer eiligst irgendwo abgerissenen Rose in der Hand. Die Zeit verging wie im Fluge. Sie hatten sich viel zu erzählen, wie immer nach einer Woche in getrennten Städten. Er würde bald sein Praktikum in einer Kanzlei beginnen. Sie lernte schon für ihr Examen, wenn auch nur halbherzig. Viel wichtiger war doch ihr neues Greenpeace-Projekt. Ob er schon davon gehört hatte? Nein? Ein wunderbares Projekt… Zwei Stunden später mussten sie sich auch schon wieder verabschieden. Doch nicht für lange. Er hatte ein Hotelzimmer für sie beide gebucht. Wann? Noch heute Abend. Sie freute sich. Noch ein letzter liebevoller Kuss, dann verließ Pilar das Cafe mit einem Lächeln auf dem südländischen Gesicht. 18.00 Uhr, in einem Taxi vom Flughafen ins Hotel. Wieder und wieder ging Scott seine Rede durch. Er hatte alles geübt. Jede Silbe, jeder Witz, jede „spontane“ Bemerkung war exakt einstudiert. Er wollte smart, charmant und selbstsicher auftreten. Die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Nervös putze er seine Brille zum was-weiß-Gott-wievielsten Male, rieb sich die inzwischen schon leicht geröteten, wässrig blauen Augen. Atmete tief ein und aus. Er brauchte einen Whisky, sobald er im Hotel ankäme, würde er erst einmal die Minibar in Augenschein nehmen. 18.20 Uhr; In einer Limousine im Hamburger Stadtverkehr. Zarkojew grinste, als er aus dem Fenster blickte. So hatte sich doch noch alles zum Guten gewendet. Einem Anruf seines Geschäftspartners war die kurzfristige Umplanung zu verdanken. Er hatte ihm einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der einen persönlichen Besuch durchaus wert war. So stand nun also statt dem Brandenburger Tor, die Reeperbahn auf dem Programm. Und alles auf Kosten des Hotels, denn dort hatte man sicht nicht oft genug für die Panne entschuldigen können und hatte sich schließlich erleichtert auf eine finanzielle Entschädigung und den Ersatzflug nach Hamburg geeinigt. Die Limousine hielt vor dem Hotel. Ein großer Kasten. Hotel Becker, eine gute Adresse und sehr zentral gelegen, hatte er sich sagen lassen. Er trank sein Champagnerglas leer und stieg aus dem Wagen. 18.30 Uhr, Foyer des Hotel Beckers. Pilar sah sich um. In ihrem Blick lag fast schon etwas Abschätziges. Dieses Hotel hatte er sich also ausgesucht. Etwas zu versnobt für ihren Geschmack. Wie der Portier sie angestarrt hatte. Offenbar gehörten Menschen mit Nasenpiercing und Palitüchern nicht zu der üblichen Klientel, die hier bedient wurde. Welches Zimmer war es doch gleich gewesen? Nr. 103 in der zweiten Etage? Sie blieb vor dem Aufzug stehen. 18.32 Uhr; Foyer Hotel Becker Denk an die Minibar, Scott. Nicht an den Abend denken. Er versuchte sich noch immer Mut einzureden. Inzwischen jedoch nur noch aus Pflichtgefühl gegenüber seinem Therapeuten. So in seine Gedanken versunken, trat er in den Aufzug. Nur zufällig streifte sein Blick dabei die junge Frau mit dem Piercing und dem zotteligen Halstuch neben ihm. 18.33 Uhr Foyer, Hotel Becker Gemessenen Schrittes begab sich Zarkojew hin zur Treppe. Als leidenschaftlicher Sportler vermied er eigentlich Aufzüge. Doch heute gewann doch noch die Bequemlichkeit die Oberhand. So entschied er sich um und trat in den halbleeren Aufzug. Außer ihm befanden sich darin nur noch eine jugendliche Hippiegestalt, die ihn augenblicklich an der Seriosität des Hotels zweifeln ließ, und ein schwammiger Mann mittleren Alters, der ihm gerade mal bis knapp unter den Krawattenknoten ging. Die Tür schloss sich und der Aufzug setzte sich in Bewegung, nach wenigen Metern rumpelte es jedoch plötzlich und die Lichter gingen aus. Und so unterschiedlich die drei Eingeschlossenen auch sein mochten, in diesem Augenblick ging allen derselbe Gedanke durch den Kopf. „Na, toll, ausgerechnet in dieser Gesellschaft.“ 3.2 Linda Harrer: Horrorgeschichte (Projekt „Flickenteppich“) Es war schon Abend als Cindy Carowski die ach so vertraute Glastür hinter sich zuschmetterte und sich ihren groben Wollschal um den Hals wickelte. Seufzend verkniff sie sich eine Träne und hetzte die grauen Treppen des Arbeitsamtes hinunter. Der kalte Dezemberwind peitschte ihr ins Gesicht, als sie den Gehweg betrat. Sie rieb sich die Hände – ab nach Hause. Der pappige Schnee schmatzte unter ihren Stiefeln, der Gedanke an ihre achtjährige Tochter unter ihrer Mütze. Wie gerne würde sie ihr mal wieder etwas Süßes mitbringen, das hatte sie schon lang nicht mehr getan. Doch daran war bei ihrem mageren Hartz4-Einkommen nicht zu denken. Die Sorgen zerfraßen ihr den Kopf, als sie wie jeden Tag um diese Zeit durch die menschenleeren Straßen von Berlin Kreuzberg hetzte. Hoffentlich war das Kindermädchen noch nicht gegangen, sie würde es sowieso schon bald nicht mehr bezahlen können. Außer Atem erreichte Cindy schließlich die Haustür ihrer Mietskaserne und gönnte sich nach dem langen Fußmarsch wenigstens den kostenlosen Aufzug. Sie seufzte. Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock, ... siebter Stock. Und mit einem Quietschen öffnete sich die Aufzugstür. Sie hätte es besser nicht getan. Denn vor Cindy füllte Ursula, das Kindermädchen den schmalen Flur vollständig mit ihren zeltartigen Zigeunerklamotten aus. Ihr Gesicht war wutentbrannt, sie war rot wie eine Tomate. Eine Tomate, die aussah als würde sie Cindy gleich an die Gurgel gehen. Völlig außer sich schrie sie: „DA SIND SIE JA, SIE ELENDE HEXENBRUT!!“ Cindy schluckte: „Ehm, guten Abend, Ursula..“ Sie zwang ein ängstliches Lächeln auf ihre Lippen und versuchte damit, die Situation zu retten. Auch wenn sie keinen Schimmer hatte, was überhaupt vorgefallen war. „ICH GEHE ZUR POLIZEI! VOR GERICHT! NEIN, NOCH BESSER ICH HOLE GLEICH DEN EXORZISTEN!! VOM TEUFEL BESESSEN!!“ Die Schweißperlen standen Ursula auf der Stirn, und man könnte staunen, dass sie mit ihren 62 Jahren noch zu solch einer Aufregung fähig war, ohne umzukippen. Auch wenn Letzteres vielleicht besser gewesen wäre. Cindy lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter, während sie zusah, wie das Nilpferd vor ihr mit Schaum vor'm Maul die Treppe hinunterhetzte und fast über ihre zahlreichen Seidentücher stolperte, als sie versuchte, so schnell wie möglich aus dem Haus zu kommen. „VOM TEUFEL BESESSEN.. vom Teufel besessen!!“ krächzte sie immer leiser werdend vor sich hin, bis die Haustür mit einem gewaltigen Knall zukrachte. Cindy schmunzelte. Aber im nächsten Augenblick riss sie sich wieder am Riemen und zwang sich zu Verantwortungsbewusstsein. Was auch immer ihre Tochter Mindy ihrem noch im letzten Jahrhundert lebenden Kindermädchen angetan hatte, es war nicht zum Lachen. „Mindy,..? Mindy, mein Schatz ... Wo bist du denn?“ trällerte Cindy gespielt arglos durch die Wohnung, als sie die Tür hinter sich sanft mit dem Fuß zuschob und ihren Mantel über den Wohnzimmersessel hängte. Irgendwie war sie ein bisschen enttäuscht. Alles sah aus wie immer. Es war sogar aufgeräumter als sonst. Nach Ursulas Panikattacke hätte sie wohl eher eine blutverschmierte oder ganz weggebombte Wohnung voller Leichenteile erwartet. Stattdessen fand sie ihre Tochter seelenruhig in ihrem Bett vor, als sie das Kinderzimmer betrat. Dieser Anblick zauberte ihr ein Lächeln auf's Gesicht. Ihr schon etwas in die Jahre gekommenes Kindermädchen fürchtete sich vor einem schlafenden kleinen Mädchen. Sie war ja schon immer der Meinung gewesen, dass die spirituell eingestellte Ursula nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Wie friedlich Mindy aussah, mit ihrer Puppe im Arm. Komisch ... Diese Puppe hatte Cindy noch nie zuvor gesehen. Sie sah etwas seltsam aus mit ihren pechschwarzen Haaren in ihrem schwarzweißen Rüschenkleidchen. Ein schmutziges Grau überdeckte die schneeweiße Haut. Fast schon furchteinflößend, diese Puppe. Woher hatte Mindy sie nur? Vielleicht hatte Ursula sie ihr mitgebracht, natürlich bevor sie diesen Wutanfall bekam. Aber die konnte sie jetzt bestimmt nicht mehr fragen, Cindy bekam ja schon eine Gänsehaut, wenn sie nur daran dachte, dass sie Ursula eines Tages auf der Straße oder im Supermarkt begegnen könnte. Aber was war daran auch schon so wichtig, wenigstens hatte Mindy jetzt ein Spielzeug, kaufen können hätte ihre Mutter ihr keines. Mit dem leisen Atmen ihrer Tochter verschwanden diese Gedanken immer mehr aus Cindys Kopf. Liebevoll gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön, mein Engel.“ Mit einem erleichterten, aber zugleich bekümmerten Lächeln verließ sie leise das Zimmer. Klack, klack, klack, klack, ... Cindy schnaufte. Gerade mal drei Stockwerke hatte sie hinter sich gebracht und schon hustete sie durchs ganze Treppenhaus. „Wieso zur Hölle war dieser verdammte Aufzug schon wieder kaputt?!“ murmelte sie tausend Flüche in ihren Schal, als sie in ihren hochhackigen Stiefeln die Treppen hochkletterte. Das letzte Mal, als das Ding defekt war, dauerte es fast einen Monat, bis dieser faule Sack von Hausmeister mal auf die Idee kam, es zu reparieren. Puh. Noch eine letzte Treppe. Drei Stufen, ... zwei Stufen ... eine Stufe ... endlich geschafft. Erleichtert stand Cindy im Flur von Stockwerk sieben. Ihr war noch leicht schwummrig, sie sollte wirklich nicht mehr so viel rauchen. Langsam vorwärts torkelnd ließ sie ihren Blick durch die gewohnte Umgebung schweifen. Aber ... irgendwas war anders. Es lag ein Geruch in der Luft, wie sie ihn noch nie vernommen hatte. Cindy wurde fast übel. Irgendwas in ihr sagte „Gefahr!“. Aber ihre Neugier war stärker und so schritt sie diesem leicht verwesenden Geruch weiter entgegen. Ihr Gehirn schien auszusetzen, sie war von diesem ungewissen Etwas wie magisch angezogen. Und dann traf es sie wie ein Blitz. Ihr Blick hing wie gefesselt an der halb offen stehenden Aufzugtür. Der Schock schnürte ihr die Kehle zu. BLUT. Blut, überall Blut. NEIN. Was war das? Zitternd hangelte sie sich am Geländer bis zum Aufzug, in dem rote Pfützen glitzerten. Der Hausmeister. Alles drehte sich … Sie vernahm einen dumpfen Knall und ihr wurde schwarz vor Augen. „Können sie sich sonst noch an etwas erinnern?“ fragte der spitzbärtige Polizist vor ihr. Mittlerweile war er aufgestanden. Er wurde ungeduldig. „Nein, verdammt, ich kam von meiner Mutter nach Hause, und, und .,.. dann sah ich ihn da im Aufzug liegen, ich, ich, ...“ Sie kämpfte mit den Tränen. Ein kaltes Seufzen erfüllte den Raum „Nun machen sie mir doch nichts vor! Sie sind die einzige Zeugin, und ihre Fingerabdrücke sind auf dem Messer.“ Cindys Stimme zitterte „Ich hab' es ihnen doch schon mal gesagt. Das Messer stammt aus meiner Küche, aber ich habe nichts mit dem Mord zu tun. Wirklich nicht!“ Sie wischte sich mit ihren Ärmeln übers Gesicht. Aber ihre Schminke war sowieso schon von den Augen bis herunter an ihr Kinn gewandert, wo sich die schwarze Wimperntusche in düsteren Tränen verflüchtigte. Mit einem misstrauischen Stirnrunzeln hielt ihr der Polizist eine Plastiktüte vor die Nase. In ihr befand sich eine Kette. Sie war silbern und der schlichte Anhänger hatte die Form eines Kreuzes. Aber er war an der falschen Seite befestigt, das Kreuz hing auf dem Kopf ... mit Absicht? „Was soll das sein?“ stieß Cindy kritisch heraus und hob eine Augenbraue. Sie hatte diese Kette noch nie zuvor gesehen. „Der Tote trug sie um den Hals, als wir ihn vorfanden. Wir dachten, ...“ „NEIN!“ unterbrach Cindy ihn, „ich habe diese verfluchte Kette noch nie gesehen und ich habe nichts mit dem Mord zu tun, und überhaupt, ich will jetzt nach Hause!“ Sie schrie ihn förmlich an. Aber es zeigte Wirkung. Eingeschüchtert brachte er sie nach kurzem Zögern zur Tür und meinte abschließend nur noch, dass er sich melden würde, wenn es noch irgendwelche Fragen gäbe. Fragen. Fragen. Fragen über Fragen. Davon hatte Cindy genug. Wieso das alles? Ihr Hausmeister ist vielleicht etwas faul gewesen, aber wer hätte einen Grund gehabt, diesen armen, unschuldigen alten Mann auf solch bestialische Weise umzubringen? Was hatte diese Kette damit zu tun? Und vor allem, ... Wie kam dieser Jemand an ein Messer aus IHRER Küche? Es klang alles wie ein schlechter Witz. Aber dieser Witz wurde für Cindy zum Albtraum. Sie bekam ein mulmiges Gefühl, als ihr auffiel, dass sie, seitdem sie den Toten gefunden hatte, nicht mehr in ihrer Wohnung war. Sie hatte keine Ahnung, was sie dort erwartete. Ohne zu wissen, dass die unmittelbare Zukunft alle ihre Befürchtungen übertreffen würde, stieg sie in die Straßenbahn. Nichts erinnerte mehr an die grässliche Situation vom letzten Mal, als Cindy an dieser Stelle stand. Es war fast schon wieder unheimlich. Wie lange war sie denn weg gewesen? Zwei, vielleicht auch drei Stunden? Oh Gott. Mindy! Während diesem Drunter und Drüber hatte sie ihre kleine Tochter ganz vergessen. Seit Ursula weg war, hatte sie ja ohnehin schon jedes Mal Angst und ein schlechtes Gewissen, wenn sie sie tagsüber manchmal kurz alleine lassen musste. Cindy fing an zu rennen oder zu hoppeln, was auch immer ihre High Heels eben als schnellsten Laufstil hergaben. Hektisch schloss sie die Wohnungstür auf und rief, während sie sich ihre Tasche von den Schultern streifte, besorgt: „Mindy..? Mindy, ich bin wieder zu Hause. Mami musste heute etwas länger wegbleiben, es tut mir wirklich leid..“ Sie stellte ihre Tasche in die Ecke. Keine Antwort. Leicht verwirrt legte sie den Kopf schief und schritt langsam durch den kurzen Flur, einen kritischen Blick durch jede offene Tür werfend. Nichts. Vor Mindys Kinderzimmertür blieb sie stehen. Sie war einen kleinen Spalt geöffnet. Irgendetwas war hier falsch, es lag so etwas Seltsames in der Luft. Es war zwar schon dämmrig draußen, wie das im Winter so üblich war, aber es war trotzdem noch früher Abend. Zu früh für eine Achtjährige, um schon schlafen zu gehen. Mit einem vorsichtigen Flüstern streckte sie ihren Kopf in das vollständig abgedunkelte Zimmer. „Mindy…? Schätzchen, alles okay..? Schläfst du schon?“ Alles blieb still. Mit leisen Schritten tastete sich die junge Mutter zum Bett ihrer Tochter, um sie gegebenenfalls nicht aufzuwecken. Sachte fuhr sie mit den Fingerspitzen zur Orientierung über die Wand, bis sie plötzlich zusammenzuckte und sich alles in ihr verkrampfte. Da war etwas Feuchtes, etwas Klebriges an ihren Fingern. Die Wand. Sie tropfte! Cindy überkam eine Gänsehaut. Panisch griff sie nach dem Band für die Jalousie und riss es fast aus der Wand. Mit einem Ruck drehte sie sich um und starrte regungslos in den vom Vollmondlicht erfüllten Raum. Die Wände … sie bluteten. Umgedrehte Kreuze tropften rot an ihnen herab. Wohin Cindy sah, wohin sie ihren zitternden Körper drehte, blutige Kreuze, zerrissene Bilderbücher, zerstreute Körperteile von Barbies. Verwüstung. Rote Kreuze an den Wänden. Sie schienen ihr immer näherzukommen, alles wurde immer bedrohlicher. Cindy durchwühlte die Bettdecke. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Nichts, keine Spur von ihrer kleinen Tochter. Aber halt. Da saß sie auf dem Bett. Und sie starrte Cindy an, dass es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Die Puppe. Das konnte nicht wahr sein, es konnte einfach nicht … Die agressiven, roten Augen starrten sie erbarmungslos an, und schienen sie in einen Bann zu ziehen, der plötzlich alles zu erklären schien. Diese Augen, dieser eiskalte, fast schon grinsende Blick. Cindy schrie. Sie schnappte sich die Nachttischlampe und schlug damit auf die Puppe ein. Wie verrückt geworden, riss sie kreischend an dem doch eigentlich ach so harmlosen Spielzeug herum, als ob sie damit irgendetwas verhindern könnte. Tränen quollen aus ihren starren Augen, als sie mit zitternden Fingern das zerrissene Kleidchen der Puppe zur Seite schob und mit ihnen über den feuchten Puppenkörper fuhr. „Nein…“, hauchte sie, als ihre Augen ein weiteres rotes Kreuz erblickten. Genau dasselbe wie an den Wänden. Cindys Atem blieb aus, als sie darunter einen eingestickten Satz entdeckte. „Wollen wir spielen?“ fragte Mindy, die plötzlich blutverschmiert und mit einer silbernen Kette in der Hand im Türrahmen stand, mit einem schaurigen Lächeln auf den Lippen. 3.3 Victoria Menke: Ich dichte Der Entschluss ist gefasst Und ich bin bereit Ich bin jetzt so weit. Wir brauchen Ergebnisse Ich schreib ein Gedicht Schwer fällt mir das nicht. Dachte ich. Motiviert und im Begriff Großes zu vollbringen Beginn ich zuerst mit den einfachen Dingen. Ein Blatt Papier und 'nen Kuli dazu Und schon fang' ich an Weil ich's ja kann! Dachte ich. Zu Heldentaten und anderem bereit Setz' ich entschlossen mich An den Tisch. Ich sitze hier gut Das muss man mal sagen Aber ich könnt' einen Kaffee vertragen! Den hol' ich mir schnell Und unterwegs Auch gleich einen Keks. Leider sind dann in dem Heißgetränk Einige Ameisen ertrunken, Hätten sie nur nach Hilfe gewunken. Ich leer' den Kaffee mit Bedauern weg Und dabei fällt gleich hier am Spiegel Mein Blick auf eingeriss'ne Nägel! Es sind meine, die mich so entsetzen Aber ich kann sie ja schnell noch feilen Ich brauch mich ja nicht zu beeilen. Aber wenn schon, Dann mach ich's auch richtig Und in dem Fall ist Lack mir sehr wichtig! (Projekt Poetry Slam) Denn ich muss schreiben. Jeden Finger in einer anderen Farbe - weil ich mich nicht entscheiden mag Schreite ich nun zur Tat! Der Lack riecht giftig, Wir kennen das alle Und hier wird er zur tödlichen Falle. Eine Spinne kommt angekrabbelt Und in den Bereich des Dunst's. Die zeigt den Fliegen nie mehr ihre Kunst. Dann kommt auch noch Ganz ungelogen 'Ne Motte angeflogen. Ich zucke schnell, Sie wird zermatscht Und dann an die Wand geklatscht. Doch plötzlich steht sie wieder auf Ich wunder' mich Die Motte auch. Und noch einmal Mit voller Kraft Dann ist sie geschafft. Inzwischen ist's dunkel Die Lichter sind an Ich fang' besser an! Doch bevor ich auch nur Eine Taste drücke Kommt das Grauen in Form einer Mücke. Ich schlag' sie tot Bevor sie mich quält Und hab so den sicheren Weg gewählt. Doch bevor ich mich dann wieder Aufs Gedicht konzentriere Kommt eine ganze Armee dieser Tiere. Und noch ehe ich mich Auch nur rühren kann Greifen die mich ohne Vorwarnung an. Doch um der Gerechtigkeit willen Muss ich gestehen, Ich habe die Warnung glatt übersehen. Jetzt ist es zu spät Und ich kann sie nicht schonen, Will ich noch länger lebendig hier wohnen! Nun renn' ich zum Schreibtisch Und setz' mich schnell hin Bereit für'n Beginn Ich muss mich entscheiden, sie oder ich! Ich entscheid' mich für mich. Doch auf was ich da sitz' Das ist nicht mein Platz Sondern eindeutig unsere Katz! Dass ich dieses tu', Wer könnt's mir verdenken? Ich muss einem Gedicht heut' noch Leben schenken! Ich springe auf Die Katze nicht Ich bin sicher ganz bleich im Gesicht. Ich hab' es geschafft Das Gedicht ist geschrieben Naja fast. Es ist dann doch nur beim Titel geblieben Denn der Preis des Schreibens ist hoch, Schon beim Versuch ein ganzes Gedicht zu schreiben Mussten einige auf der Strecke bleiben. . Das Begräbnis war kurz Die Trauer war groß Nun ruht das Tier in Mutter Erdes Schoß. Zum Leichenschmaus Kann ich nicht lang bleiben Ein Spähtrupp Ameisen ist im Kaffee ertrunken, eine Spinne ist im Lack erstunken, 'ne Motte gab den Löffel ab mein Gedicht – ein Massengrab? ein Stubentiger wurd' zerquetscht und ein Geschwader totgebätscht. Es sind sehr viele umgekommen Das hat mir die Lust am Dichteln genommen. 3.4 Martina Keup: Ich will einen Keks (Projekt Poetry Slam) Ich will einen Keks!! Weil ich Hunger hab' Weil ich jemanden nerven muss Weil ich mich langweile Weil ich irgendwas machen will Ich will einen Keks!! Weil Kekse lecker sind Weil Kekse süchtig machen Weil Kekse zum Essen da sind Weil Kekse süß sind Ich will einen Keks!! Weil ich sonst verhungere Weil ich sonst übellaunig werde Weil ich gleich ausraste Weil ich nicht warten will Ich will einen Keks!! Weil es tausend verschiedene Sorten sein können Weil sie irgendwann mal jeder isst Weil sie Lust auf mehr machen Weil sie jeder mag Ich will einen Keks!! Einen Keks zum Essen Einen Keks zum Widerstehen Einen Keks zum Süchtigwerden Einen Keks zum Anbeißen Ich will einen Keks!! Wie der Abt aus „Zeitdieb“ Wie die hungrige Amanda Wie die ganze AG Wie der Weihnachtsmann jeden Tag Ich will einen Keks!! Einen Keks zum Aufessen Einen Keks zum mal dran Knabbern Einen Keks zum Werfen auf Vici Einen Keks zum Naschen Ich will einen Keks!! Der allen Hunger stillt Der alle friedlich stimmt Der allen Einigkeit bringt Der allen Hoffnung gibt Ich will einen Keks!! Haferkeks Nusskeks Ingwerkeks Holderkeks Schokokeks Weihnachtskeks Waffelkeks Scherzkeks Ich will einen Keks!! Keksherz Lebkuchenkeks Mandelkeks Marzipankeks Apfelkeks Käsekeks Bärlauchkeks Kirschkernkeks Ich will einen Keks!! Ein Plätzchen ein Brötle Ein Gutsle ein Läuble Ein Güezi ein Guetsli Ein Chrümli einen Keks Ich will einen Keks!! Ich will ihn sofort Ich will ihn frisch aus dem Ofen Ich will ihn roh als Teig Ich will ihn in rauen Mengen Ich will einen Keks!! Zu einer Tasse Tee Zu einem Grog Zu einem Glas Milch Zu einem Kännchen Kaffee Ich will einen Keks!! Baut ihm ein Denkmal Baut ihm ein Mausoleum Baut ihm ein Museum Baut ihm einen Palast Ich will einen Keks!! Macht ihn zum Nationalessen Macht ihm zum Brot für arme Leute Macht ihn unsterblich Macht ihn übernatürlich gut Ich will einen Keks!! Einen Keks für jeden Moment Einen Keks zum Liebhaben Einen Keks als besten Freund Einen Keks der für jeden immer da ist ICH WILL EINEN KEKS!! 3.5 Linda Harrer: Gesellschaftskritik (Projekt Poetry Slam) Wir hausen nicht mehr in den Höhlen Klötze aus Beton sind besser. Kein Kampf mit Keulen und kein Grölen Wir liegen lieber unterm Messer. Wir jagen keine Tiere, nein Wir sind doch keine Wilden Wir töten im Akkord, ganz fein, um die Viecher zu vertilgen. Felle sind längst aus der Mode, Pelz ist jetzt der neue Trend. Und trägt doch wer mal die falsche Hose Ist jeder froh, der ihn nicht kennt. Wir sind ja keine Primitiven, Edel vornehm, vor allem teuer. Zerschlagen Spinnen, Käfer, Fliegen Wir sind doch keine Ungeheuer. Verätzen uns mit Chemikalien Denn Kräuterbalsam, der ist out Schokoriegel voll Cerealien Weil keiner mehr Getreide kaut. Wir tanzen nicht wie blöd ums Feuer Das sieht doch mega albern aus Das Entertainment hier ist teuer Wir hol’n uns Pay-TV ins Haus. Verfolgen Bärbel, Britt und Olli, wie sie unsre Probleme lösen in der Fresse stets den Lolli, wenn wir vor der Glotze dösen. GZSZ- DAS ist das Leben Wer mit wem, WAS, er betrügt? Bin ich eigentlich selbst vergeben? Ach egal.. ob Clemens lügt? Früher musste man noch spannen Heute guckt man halt Big Brother Tim Mälzer grinst in seine Pfannen Alter, Mann, I’ll fuck your mother! Und jeden Freitag Abend, dann Wirbeln wieder die UrwaldTrommeln Zappeln uns gegenseitig an Und sehen alles sehr verschwommen Irren durch grelles Synthetik-Licht Und fressen kleine bunte Pillen Aber dumm, das ist man nicht Und man hat noch freien Willen Ganz anders als die Steinzeitleute Triebgesteuert bis zum Rande Frei und demokratisch heute Wählt man die Klügsten aus dem Lande Auch sonst sind wir sehr wählerisch, Wir essen doch keine Insekten Nur’s beste kommt uns auf den Tisch Und McDonalds fragt nett „Na schmeckt’s denn?“ Das ist Service, Mann oh Mann Ich glaub ich zieh' in meine Couch ein! Und hab' ich mir mal weh getan, dann schlurf' ich zum nächst besten Arzt rein Prompt bekomm' ich nette Spritzen Und wieder geht es mir tip top doch muss ich im Wartezimmer sitzen verliert gefälligst wer seinen Job! Im Kaufhaus such ich DesignerSocken Und wittere auch gleich meine Beute Entreiß' sie der Schlampe mit den Locken Wir sind zivilisierte Leute. Sie kreischt mir zickig ins Gesicht Das letzte Sockenpaar sie begehrt Sie achtet nicht auf ihr Gewicht Also ist sie es nicht wert. Ja, wir sind eine Gesellschaft In Topform und immer fit Wo Silikon Charakter wettmacht, Der Deko-Pudel immer mit. So viel Style hatten keine Primaten Die hatten doch keine Ahnung vom Leben In unsren Geldbeuteln nur Kreditkarten Wir chatten und camen anstatt zu reden Wir spalten Atome, vernetzen die Welt Neben Kontinenten voller Kummer Dann schaut man halt nur an, was einem gefällt Und kocht sich für dreihundert Euro 'nen Hummer. Grenzen doch wenn plötzlich ganze Völker verschwinden wehe denen, die Schule schwänzen! Wir machen Fortschritt, wir forschen, erfinden Die Technik kennt keine Für Fotos von Britney zahl’n wir Millionen und für Verhungernde gibt’s kein Geld wieso sollten wir bitte Schwächere verschonen? Nur die Starken regier’n die Welt! Ja, genau, so war’s schon immer. Weil es sich einfach so gehört Früher im Urwald war’s noch viel schlimmer Laut dem, was man da im Fernseh’n so hört. 3.6 Saskia Weiterschau: Parkbank (Projekt Poetry Slam) Da ist eine fette Frau. Sie erinnert mich an dich. Ich wüsste gerne, was du davon hältst. Was du sagen würdest, wenn du hier wärst. Ich glaube nicht, dass du das als Kompliment aufnehmen würdest. Ich kenne dich schließlich. Aber ich weiß nicht, was du dann schon wieder hättest. Sie sitzt auf einer Parkbank, die fette Frau. Und packt ihr dick belegtes Sandwich aus. Es ist so dick belegt, dass ich mich frage, wie sie das essen will. Das würde gerade noch so reinpassen, ich meine in den Schnabel eines Pelikans. Aber ihr Mund ist klein. Sie hat einen kleinen Mund, dünne Lippen. Kaum erkennbar. Es sieht fast so aus, als hätte sie einfach nur einen Schlitz im Gesicht. Die fette Frau, sie öffnet ihren kleinen Mund. Sie merkt dass ihr Sandwich nicht reinpasst. In ihren kleinen Mund in ihrem fetten Gesicht. Oh ja, ihr fettes Gesicht. Mit ihrer langen Nase, die einen Buckel hat. Wie eine Hexennase. Und ihre winzigen Augen. Rund, von kurzen Stummelwimpern und Lachfalten umrahmt. Viel zu klein für ihr gigantisches Gesicht. Ihre riesigen Backen, aber nur ein so kleiner Mund. Sie presst es kräftig zusammen, ihr dick belegtes Sandwich. Es muss reinpassen, in ihren Mund! Sie will keine der leckeren Zutaten missen. Salat, Tomaten, kalte Fleischstreifen, Toastkäse, fünf Scheiben, ich kann sie zählen, ich sitze nah bei ihr. Am besten sind die Eier. Eigelb und Eiweiß. Sie mag beides. Am besten auf einem dick belegtem Sandwich, am besten mit Soße. Weißer Kräutersoße. Dickflüssig. Würzig. Sie quillt schon an allen Seiten raus, als die fette Frau ihr Sandwich quetscht. Um es zu in ihren kleinen Mund zu drücken. Es muss rein. Egal wie. Sie zwingt das Sandwich. Sie würde über Leichen gehen, sie ist mörderisch! Ja das ist die dicke Frau. Sie umschlingt mit ihren vorquellenden, nassen Augen das vor Soße triefende Sandwich. Sie will seine nur für sie erkennbare Schönheit umfassen. Ich kann neben ihr spüren, wie ihre Speichelproduktion auf Hochtouren läuft. Sie starrt, als könnte sie ihr Sandwich mit ihren Augen, die noch kleiner sind als ihr Mund, fressen. Sie will sich auf das Sandwich stürzen. Ich kann in ihrem genussvollen, leidenschaftlichen Blick die Gier sehen. Sie will es, sie braucht es. Sie beißt rein. Sie schließt ihre schweißigen, kugelrunden Augen. Sie hat grüne Augen, wie die einer hungrigen Raubkatze. Ihre roten Haare umranden ihr fettes Gesicht, ihr Doppelkinn wird zum Dreifachkinn, als sie genüsslich, voller Zufriedenheit, in ihr Brot, Entschuldigung, in ihr dick belegtes Sandwich beißt, die dicke fette Frau mit den roten Haaren, neben mir auf der Parkbank. Sie schwitzt, ihr Schweiß läuft ihr an den Schläfen runter, bis sich unten, an ihrem Dreifachkinn ein Tropfen bildet. Sie bekleckert sich mit Soße, ausgerechnet auf ihre neue rosarote Häkelweste. Doch das sehen ihre Augen nicht, ihre Augen konzentrieren sich auf ihre Beute. Und sie erinnert mich an dich. Das bist du. Ich sehe dich. Aber nicht weil sie dick ist. Sie hat ein Funkeln in den Augen, als sie den ersten Bissen runterschluckt. Und sich auf den Nächsten freut. Dieses Funkeln in den Augen, erinnert mich an dich. 3.7 Alex Timm: Traumstunde (Projekt Poetry Slam) Schule - Wieso geh ich da hin? wenn ich doch für alles außer lernen zu gebrauchen bin! Im Matheunterricht: Zahlen sind nicht meine Stärke dafür die Fantasie Oft schweif ich dann ab, doch ich merk das nie. Parabeln hören sich an wie eine Insel der Antillen Schön kann’s da nicht sein, sonst würde unser Mathelehrer nicht immer so brüllen. Jetzt sitz ich da doch treibe ich eigentlich dahin Auf Geodreiecksschiffen, ich durch die Meere schwimm So komm ich an den Rand des Meeres und was seh ich da, ein Tor mit rechtem Winkel Super! Hinein hindurch und hinfort! Doch, was ist das? Winkel Alpha macht ärger! Ich sage: Mir egal wie groß du bist, oder wie spitz und stumpf, ich will hindurch! Er sagt: Ruhig Blut, bin Überspitz...DOCH Wohin des Weges? Solltest du nicht woanders sein? Nein! Ich will mit gutem Willen auf den Parabel-Antillen chillen. Die Katheten murren wieder rum, und schreien: Weg du Wicht! Die Hypothenuse schleift sich langsam heran, die dann das Machtwort spricht Mitnichten! Da kommt ein Fisch namens Pythagoras geschwommen und tut das ganze schlichten! Auf dessen Rücken durchkämm ich alle Winkel der Weltmeere. Tangenten ziehen ihre Kreise und bedrohen mein Leben Soll ich ihnen das Bonbon Radius geben? Ein Sturm zieht auf - Oh Gott, oh Gott - der Himmel eine schwarze Wand Oh Mist das ist mein Lehrer - hab ihn fast nicht erkannt! Ich zapple vergebens und strample auch arg Doch Wurzeln und Quadranten begleiten mich zum Sarg Nun wird sie mir entrissen 3.8 Annika Weigele: Er,Sie, Es (Projekt Poetry Slam) Oh schöne neue Welt! Falle von der Palme wie ein Zylinderklotz Die Welt von Quadern und Geraden, von Hyperbeln und Zahlenstrahlen Trollt sich auf der Achse minus Unendlich Nun sag ich auf welche Erkenntnis ich gekommen bin! Mein Ziel zu erreichen Die Welt zu durchstreifen Und Kosinus mit Schaum einzuseifen! Doch weiter geht’s. Sitz' ich schon woanders. Fühle mich wie ein abgetragener Steilhang Die Erosion meiner Gedanken flutet mein Gehirn wie Schmelzwasser nach der Eiszeit Erdkunde. Doch, war da nicht noch was? Genau! Ich brauch noch die Lösung, ich finde sie hier. Und kann mich dann auf meinen Zirkel schwingen Der tut mich dann zu den entlegensten Spitzwinkeln unserer Karten bringen Und der hüpft mit mir über Fugen und Rillen Dann kann ich am Ende auf den Parabel-Antillen chillen. Kasten an Kasten Auf den Tischen Flimmernde Bildschirme. Und sie denken ich denke du denkst er sie es denkt wir denken Tun wir das? Jaa? Dann lasst uns denken Denn wir denken noch!! Ganz anders als die vielen Leute Die sich da draußen rumtreiben und reiben Und die Politiker in ihren hässlichen Sälen Auf ihren hässlichen Stühlen labern hässliche Sätze und hässliche Wörter Mit Sinn und auch Ohne Die denken nicht, da denkt kein er Kein er keine sie und auch kein es. Und wir schon gar nicht. Und trotzdem haben sie die Macht über unser Denken unser Tun Und er sie es wird von ihnen bestimmt Und wir auch. Ja ist dass denn richtig? Nein. Es ist hässlich. Oder NEIN es ist gut Meldet sich das Hirn Weil es gerne glaubt was es hört Und dann hört er auf zu denken Und Sie Und Es Und Wir dann irgendwann auch. Und vielleicht kommen dann andere Mit hässlichen Gesichtern und hässlichen Wörtern Und hässlichen Sätzen in die hässlichen Säle Und vielleicht darf das Er ja dann mal hässlich sein. Und die Sie auch. Oder es werden wieder Fernsehsendungen verboten Wie die Simpsons. Oder Spongebob. Denn diese sind ja sehr primitiv Sie hindern uns am Denken, denkt das Es. Und Sie auch. Und Er denkt schon gar nicht mehr ER guckt Zwei bei Kallwas, Denn Spongebob ist ja zu primitiv. Zu primitiv für diese Schlaue Welt, in der alle denken und kein Verschenken und ihre Arme vor dem Unheil verschrenken und Trotzdem sitzen unter den Dunklen Dunklen Unterführungen Arme Primitive Leute. Diese armen primitiven Leute Die regen ja schon fast zum denken an. Und was nun? Vielleicht treffen sich ja Er und Sie beim Es zum Kaffee Oder auf ein Fläschchen Wein Vielleicht reden sie ja dann Über die neuen Politiker Die bösen Die hässlichen Die primitiven Die nicht denken aber trotzdem entscheiden Entscheiden Bescheiden Bescheidenes System Meint er. Und sie. Und es auch. Und wir? Wir sind schon beim Amoklaufen, obwohl hat uns doch keiner drum gebeten. Gebeten geboten verboten Einfach alles verboten Spongebob schauen und Simpsons schauen Und primitiv und dumm und hässlich sein Und Amoklaufen auch. Sagt sie. Ach nein. Es war Er. Und das Es hat die Flasche Wein leergetrunken. Und Wir? Wir wissen nicht weiter. Gehen zu Zwei bei Kallwas doch die Können uns auch nicht helfen. Also gehen wir zurück in unsere Häuser Unterführungen Vor unsere Fernseher Unsere flimmernden Bildschirme Verkriechen uns in Homer Simpsons Bett Und warten drauf Dass was passiert.