Hegau – Bodensee – Seminar Arbeitsgemeinschaft für kreatives

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Hegau – Bodensee – Seminar
Arbeitsgemeinschaft für kreatives Schreiben
des Nellenburg Gymnasiums Stockach
Jahresbericht 08/09
Leitung: Dr. Waltraud Gut
Inhalt
1. Ideen und Ziele
2. Projekte
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2.1 „Suppenküche“

2.2 „Flickenteppich“
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2.3 Der innere Konflikt

2.4 Schreiben nach Bildimpulsen

3.5 Poetry Slam
3. Beispielarbeiten

3.1 Sarah: Begegnungen (Projekt „Suppenküche“)

3.2 Linda: Horrorgeschichte (Projekt „Flickenteppich“)

3.3 Victoria: Ich dichte (Poetry Slam)

3.4 Martina: Ich will einen Keks (Poetry Slam)

3.5 Linda: jetzt sinwa halt ma gesellschaftskritisch (Poetry Slam)

3.6 Saskia: Parkbank (Poetry Slam)

3.7 Alex: Traumstunde (Poetry Slam)

3.8 Annika: Er, Sie, Es (Poetry Slam)
1. Ideen und Ziele
Auch in diesem Schuljahr trafen sich wieder einige Schreibinteressierte in unserer
Arbeitsgemeinschaft „Kreatives Schreiben“, um miteinander literarisch aktiv zu werden. Eines
unserer Ziele in diesem Jahr war es, den an sich isolierten Prozess des Schreibens
gemeinschaftlich und abwechslungsreich zu gestalten. Am Ende sollte, zumindest hatten wir dies
anfänglich vage ins Auge gefasst, ein von der gesamten Gruppe verfasstes Theaterstück
entstehen. Projekte, bei denen wir das Schreiben als Gemeinschaftsarbeit trainierten, sollten
langsam auf dieses Endziel hinführen. Im Laufe unsere Arbeit verlagerten wir den Schwerpunkt
jedoch auf die neuere Gattung des Poetry-Slams und andere Teilarbeiten.
2. Projekte
2.1 „Suppenküche“
Unsere Arbeit begann mit einem Projekt, dem wir im Nachhinein den Namen „Suppenküche“
gaben. In Kleingruppen wurden dabei verschiedene Charaktere erfunden. Vom Aussehen, über
den Beruf bis hin zu markanten Charakterzügen, Wünschen und Ängsten sollten die Personen
dabei definiert werden. Jede Gruppe präsentierte ihr Ergebnis den anderen AG-Mitgliedern. Im
Anschluss daran schrieb jeder von uns eine Geschichte, in der sich die Personen der
verschiedenen Gruppen begegneten. Die Herausforderung bei dieser Aufgabe bestand zum einen
darin, die Protagonisten so lebendig wie möglich auszuarbeiten, sie also auch mit manchen
Feinheiten, die eben einen Menschen ausmachen, auszustatten und zum anderen, diese so
entstandenen Figuren sinnvoll miteinander zu verbinden.
2.2 „Flickenteppich“
Beim gemeinschaftlichen Schreiben ist es natürlich wichtig, sich auf die Ideen anderer einzulassen
und auch fremde Einfälle in die eigene Geschichte einzubauen. In dem Projekt „Flickenteppich“
ging es nun darum, aus fremd erdachten Schauplätzen und Personen eine Geschichte
„zusammenzuflicken“ und das Ganze wenn möglich noch im Stil eines ebenfalls vorgegebenen
Genres zu verfassen.
2.3 Der Innere Konflikt
„Zwei Seelen toben, ach, in meiner Brust“, schrieb Goethe einst, und
tatsächlich, wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen man hin und
her gerissen ist, in denen es einem so vorkommt, als höre man zwei
sich widersprechende Stimmen in seinem Kopf. Wurden bisher noch
alle Geschichten von jedem AG-Mitglied einzeln angefertigt, wenn auch mit Einflüssen von außen,
so ging es diesmal wirklich darum, zusammen eine Geschichte zu schreiben. Eine Figur, die mit
sich selbst einen inneren Konflikt ausficht, wobei zwei Schreiber je eine der beiden Parteien
übernahmen, bot den Rahmen für diese Aufgabe.
2.4 Schreiben nach Bildimpulsen
Kreativ zu sein bedeutet, sich von spontanen Einfällen und Impulsen leiten zu lassen. Diese
Kompetenz zu üben, stand bei unserem nächsten Projekt im Vordergrund. Kunstpostkarten mit
Landschaften oder Portraits boten dabei die Anstöße für unser Schaffen.
2.5 Poetry Slam
Inspiriert von einer Poetry Slam Veranstaltung im Konstanzer
Stadttheater und einigen Poetry Slam Hörspielen wandten wir
uns, nachdem wir bisher ausschließlich Prosa zu Papier
gebracht hatten, der Lyrik zu.
Hierbei ist die Kreativität ein noch bedeutenderer Schlüssel zum
Erfolg, als bei den vorigen Arbeiten. Poetry Slam Beiträge
zeichnen sich durch spontanen (Wort-)Witz oder Poesie, durch
die fantasievolle Betrachtung von Alltagsgegenständen und –
Situationen aus. Das freie Assoziieren und das Formulieren von
abstrakten Gedanken fiel insbesondere den „Planschreibern“,
sprich denen, die eine Geschichte erst konzipieren, bevor sie
sie abfassen, schwer. Doch mit viel Fleiß und Übung gelangte
schließlich jeder an sein Ziel.
3. Beispielarbeiten
3.1 Sarah Braun: Begegnungen (Projekt „Suppenküche“)
15.30 Uhr; Irgendwo im Luftraum zwischen Edinburgh und Hamburg
Erschöpft lehnte Scott sich in seinem Businessclasssitz zurück, schloss die Augen und versuchte
sich zu entspannen. Die Worte seines Therapeuten schossen ihm durch den Kopf:
„Lassen Sie das alles erst gar nicht an sich heran. Bauen Sie eine Mauer um sich herum, hinter
der Sie Sich sammeln können, bevor Sie Sich einer neuen Situation stellen. Bauen Sie eine Mauer
Scott.“
Er versuchte es. Er versuchte es wirklich, aber mehr als ein kümmerlicher Haufen aufeinander
geschichteter, imaginärer Kieselsteine kam dabei nicht zustande.
Er hatte Angst, und es wäre zwecklos das leugnen zu wollen. Ihm graute schon vor dem, was ihn
in wenigen Stunden erwarten würde. Vor einem ganzen Saal gelangweilter Ärzte, die in Gedanken
längst schon beim zweiten Gang des anschließenden Galadinners angekommen waren, sollte er
die Eröffnungsrede des diesjährigen Kongresses halten. Ausgerechnet er, wo ihm doch nichts so
zuwider war wie fremde Menschen und öffentliche Reden. Eine Kombination aus beidem glich
praktisch der Hölle auf Erden.
14.25; Uhr Eine Limousine auf dem Weg nach Kiel
„Herr Zarkojew, Es gibt leider ein Problem.“
Igor Zarkojew war seit ca. 30 Stunden auf den Beinen, hatte einen siebenstündigen Flug von
Novosibirsk nach Moskau hinter sich, sah einer außerplanmäßig verlängerten Wartezeit bis zum
Abflug seiner Maschine nach Berlin entgegen und hatte zu allem
Überfluss gerade erfahren müssen, dass das Golfturnier, aufgrund dessen er diese Strapazen auf
sich nahm, abgesagt worden war.
Seine Laune befand sich also, gelinde ausgedrückt, auf dem Tiefpunkt bzw. sogar knapp darunter.
Das alles konnte die junge Dame von der Rezeption des Berliner Ritz-Hotels natürlich nicht
wissen, als sie nun telefonisch zu erklären versuchte, dass ein Wasserschaden die von ihm
gebuchte Suite vorübergehend unbewohnbar gemacht habe, und er leider bis auf Weiteres mit
einem Doppelzimmer vorlieb nehmen müsse. Doch war es genau diese Nachricht die das Fass
zum überlaufen brachte. Zarkojew degradierte in wenigen Atemzügen die gesamte Hotelleitung,
verlangte mit dem Geschäftsführer zu sprechen und beklagte die Unfähigkeit des Personals im
Allgemeinen. Das Ganze nur unterbrochen von einigen russischen Schimpfkanonaden.
Anscheinend ruhig nahm der Geschäftsführer seine Beschwerde auf und versprach, inzwischen
mit einem unsicheren Unterton in der Stimme, selbstverständlich sofort für adäquaten Ersatz zu
sorgen.
Schweren Atems legte Zarkojew auf. Mit einem schlohweißen Taschentuch wischte er sich über
die Stirn, den kahlrasierten Kopf und den Nacken. War er eigentlich nur von Unfähigen umgeben?
11.00; Uhr Studentencafe in Hamburg
Pilar blickte auf die Uhr, trommelte mit den Fingern auf den Tisch, schaute wieder auf die Uhr, warf
einen leicht gereizten Blick zur Tür, auf ihr Handy. Nichts. Er kam wieder zu spät.
Sie warf den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit den Fingern durch das lange schwarze Haar.
Wenn er in fünf Minuten nicht mit einer glaubhaften Entschuldigung für seine Verspätung vor ihr
stünde, dann…
Er stand. Nicht nur mit einer Entschuldigung, sondern auch mit einer eiligst irgendwo abgerissenen
Rose in der Hand.
Die Zeit verging wie im Fluge. Sie hatten sich viel zu erzählen, wie immer nach einer Woche in
getrennten Städten. Er würde bald sein Praktikum in einer Kanzlei beginnen. Sie lernte schon für
ihr Examen, wenn auch nur halbherzig. Viel wichtiger war doch ihr neues Greenpeace-Projekt.
Ob er schon davon gehört hatte? Nein? Ein wunderbares Projekt…
Zwei Stunden später mussten sie sich auch schon wieder verabschieden. Doch nicht für lange. Er
hatte ein Hotelzimmer für sie beide gebucht. Wann? Noch heute Abend. Sie freute sich. Noch ein
letzter liebevoller Kuss, dann verließ Pilar das Cafe mit einem Lächeln auf dem südländischen
Gesicht.
18.00 Uhr, in einem Taxi vom Flughafen ins Hotel.
Wieder und wieder ging Scott seine Rede durch. Er hatte alles geübt. Jede Silbe, jeder Witz, jede
„spontane“ Bemerkung war exakt einstudiert. Er wollte smart, charmant und selbstsicher auftreten.
Die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens jagte ihm einen Schauer über den Rücken.
Nervös putze er seine Brille zum was-weiß-Gott-wievielsten Male, rieb sich die inzwischen schon
leicht geröteten, wässrig blauen Augen. Atmete tief ein und aus. Er brauchte einen Whisky, sobald
er im Hotel ankäme, würde er erst einmal die Minibar in Augenschein nehmen.
18.20 Uhr; In einer Limousine im Hamburger Stadtverkehr.
Zarkojew grinste, als er aus dem Fenster blickte. So hatte sich doch noch alles zum Guten
gewendet. Einem Anruf seines Geschäftspartners war die kurzfristige Umplanung zu verdanken. Er
hatte ihm einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der einen persönlichen Besuch durchaus
wert war. So stand nun also statt dem Brandenburger Tor, die Reeperbahn auf dem Programm.
Und alles auf Kosten des Hotels, denn dort hatte man sicht nicht oft genug für die Panne
entschuldigen können und hatte sich schließlich erleichtert auf eine finanzielle Entschädigung und
den Ersatzflug nach Hamburg geeinigt.
Die Limousine hielt vor dem Hotel. Ein großer Kasten. Hotel Becker, eine gute Adresse und sehr
zentral gelegen, hatte er sich sagen lassen. Er trank sein Champagnerglas leer und stieg aus dem
Wagen.
18.30 Uhr, Foyer des Hotel Beckers.
Pilar sah sich um. In ihrem Blick lag fast schon etwas Abschätziges. Dieses Hotel hatte er sich also
ausgesucht. Etwas zu versnobt für ihren Geschmack. Wie der Portier sie angestarrt hatte.
Offenbar gehörten Menschen mit Nasenpiercing und Palitüchern nicht zu der üblichen Klientel, die
hier bedient wurde.
Welches Zimmer war es doch gleich gewesen? Nr. 103 in der zweiten Etage?
Sie blieb vor dem Aufzug stehen.
18.32 Uhr; Foyer Hotel Becker
Denk an die Minibar, Scott. Nicht an den Abend denken. Er versuchte sich noch immer Mut
einzureden. Inzwischen jedoch nur noch aus Pflichtgefühl gegenüber seinem Therapeuten. So in
seine Gedanken versunken, trat er in den Aufzug. Nur zufällig streifte sein Blick dabei die junge
Frau mit dem Piercing und dem zotteligen Halstuch neben ihm.
18.33 Uhr Foyer, Hotel Becker
Gemessenen Schrittes begab sich Zarkojew hin zur Treppe. Als leidenschaftlicher Sportler vermied
er eigentlich Aufzüge. Doch heute gewann doch noch die Bequemlichkeit die Oberhand. So
entschied er sich um und trat in den halbleeren Aufzug. Außer ihm befanden sich darin nur noch
eine jugendliche Hippiegestalt, die ihn augenblicklich an der Seriosität des Hotels zweifeln ließ,
und ein schwammiger Mann mittleren Alters, der ihm gerade mal bis knapp unter den
Krawattenknoten ging.
Die Tür schloss sich und der Aufzug setzte sich in Bewegung, nach wenigen Metern rumpelte es
jedoch plötzlich und die Lichter gingen aus.
Und so unterschiedlich die drei Eingeschlossenen auch sein mochten, in diesem Augenblick ging
allen derselbe Gedanke durch den Kopf.
„Na, toll, ausgerechnet in dieser Gesellschaft.“
3.2 Linda Harrer: Horrorgeschichte (Projekt „Flickenteppich“)
Es war schon Abend als Cindy Carowski die ach so vertraute Glastür hinter sich zuschmetterte und
sich ihren groben Wollschal um den Hals wickelte. Seufzend verkniff sie sich eine Träne und hetzte
die grauen Treppen des Arbeitsamtes hinunter. Der kalte Dezemberwind peitschte ihr ins Gesicht,
als sie den Gehweg betrat. Sie rieb sich die Hände – ab nach Hause. Der pappige Schnee
schmatzte unter ihren Stiefeln, der Gedanke an ihre achtjährige Tochter unter ihrer Mütze. Wie
gerne würde sie ihr mal wieder etwas Süßes mitbringen, das hatte sie schon lang nicht mehr
getan. Doch daran war bei ihrem mageren Hartz4-Einkommen nicht zu denken. Die Sorgen
zerfraßen ihr den Kopf, als sie wie jeden Tag um diese Zeit durch die menschenleeren Straßen von
Berlin Kreuzberg hetzte. Hoffentlich war das Kindermädchen noch nicht gegangen, sie würde es
sowieso schon bald nicht mehr bezahlen können.
Außer Atem erreichte Cindy schließlich die Haustür ihrer Mietskaserne und gönnte sich nach dem
langen Fußmarsch wenigstens den kostenlosen Aufzug. Sie seufzte. Erster Stock, zweiter Stock,
dritter Stock, ... siebter Stock. Und mit einem Quietschen öffnete sich die Aufzugstür.
Sie hätte es besser nicht getan. Denn vor Cindy füllte Ursula, das Kindermädchen den schmalen
Flur vollständig mit ihren zeltartigen Zigeunerklamotten aus. Ihr Gesicht war wutentbrannt, sie war
rot wie eine Tomate. Eine Tomate, die aussah als würde sie Cindy gleich an die Gurgel gehen.
Völlig außer sich schrie sie: „DA SIND SIE JA, SIE ELENDE HEXENBRUT!!“ Cindy schluckte:
„Ehm, guten Abend, Ursula..“ Sie zwang ein ängstliches Lächeln auf ihre Lippen und versuchte
damit, die Situation zu retten. Auch wenn sie keinen Schimmer hatte, was überhaupt vorgefallen
war. „ICH GEHE ZUR POLIZEI! VOR GERICHT! NEIN, NOCH BESSER ICH HOLE GLEICH DEN
EXORZISTEN!! VOM TEUFEL BESESSEN!!“ Die Schweißperlen standen Ursula auf der Stirn, und
man könnte staunen, dass sie mit ihren 62 Jahren noch zu solch einer Aufregung fähig war, ohne
umzukippen. Auch wenn Letzteres vielleicht besser gewesen wäre. Cindy lief ein kalter Schauer
den Rücken hinunter, während sie zusah, wie das Nilpferd vor ihr mit Schaum vor'm Maul die
Treppe hinunterhetzte und fast über ihre zahlreichen Seidentücher stolperte, als sie versuchte, so
schnell wie möglich aus dem Haus zu kommen. „VOM TEUFEL BESESSEN.. vom Teufel
besessen!!“ krächzte sie immer leiser werdend vor sich hin, bis die Haustür mit einem gewaltigen
Knall zukrachte. Cindy schmunzelte. Aber im nächsten Augenblick riss sie sich wieder am Riemen
und zwang sich zu Verantwortungsbewusstsein. Was auch immer ihre Tochter Mindy ihrem noch
im letzten Jahrhundert lebenden Kindermädchen angetan hatte, es war nicht zum Lachen.
„Mindy,..? Mindy, mein Schatz ... Wo bist du denn?“ trällerte Cindy gespielt arglos durch die
Wohnung, als sie die Tür hinter sich sanft mit dem Fuß zuschob und ihren Mantel über den
Wohnzimmersessel hängte. Irgendwie war sie ein bisschen enttäuscht. Alles sah aus wie immer.
Es war sogar aufgeräumter als sonst. Nach Ursulas Panikattacke hätte sie wohl eher eine
blutverschmierte oder ganz weggebombte Wohnung voller Leichenteile erwartet. Stattdessen fand
sie ihre Tochter seelenruhig in ihrem Bett vor, als sie das Kinderzimmer betrat. Dieser Anblick
zauberte ihr ein Lächeln auf's Gesicht. Ihr schon etwas in die Jahre gekommenes Kindermädchen
fürchtete sich vor einem schlafenden kleinen Mädchen. Sie war ja schon immer der Meinung
gewesen, dass die spirituell eingestellte Ursula nicht mehr ganz richtig im Kopf war.
Wie friedlich Mindy aussah, mit ihrer Puppe im Arm.
Komisch ... Diese Puppe hatte Cindy noch nie zuvor gesehen. Sie sah etwas seltsam aus mit ihren
pechschwarzen Haaren in ihrem schwarzweißen Rüschenkleidchen. Ein schmutziges Grau
überdeckte die schneeweiße Haut. Fast schon furchteinflößend, diese Puppe. Woher hatte Mindy
sie nur? Vielleicht hatte Ursula sie ihr mitgebracht, natürlich bevor sie diesen Wutanfall bekam.
Aber die konnte sie jetzt bestimmt nicht mehr fragen, Cindy bekam ja schon eine Gänsehaut, wenn
sie nur daran dachte, dass sie Ursula eines Tages auf der Straße oder im Supermarkt begegnen
könnte. Aber was war daran auch schon so wichtig, wenigstens hatte Mindy jetzt ein Spielzeug,
kaufen können hätte ihre Mutter ihr keines.
Mit dem leisen Atmen ihrer Tochter verschwanden diese Gedanken immer mehr aus Cindys Kopf.
Liebevoll gab sie ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön, mein Engel.“ Mit einem erleichterten,
aber zugleich bekümmerten Lächeln verließ sie leise das Zimmer.
Klack, klack, klack, klack, ...
Cindy schnaufte. Gerade mal drei Stockwerke hatte sie hinter sich gebracht und schon hustete sie
durchs ganze Treppenhaus. „Wieso zur Hölle war dieser verdammte Aufzug schon wieder
kaputt?!“ murmelte sie tausend Flüche in ihren Schal, als sie in ihren hochhackigen Stiefeln die
Treppen hochkletterte. Das letzte Mal, als das Ding defekt war, dauerte es fast einen Monat, bis
dieser faule Sack von Hausmeister mal auf die Idee kam, es zu reparieren. Puh. Noch eine letzte
Treppe. Drei Stufen, ... zwei Stufen ... eine Stufe ... endlich geschafft. Erleichtert stand Cindy im
Flur von Stockwerk sieben. Ihr war noch leicht schwummrig, sie sollte wirklich nicht mehr so viel
rauchen. Langsam vorwärts torkelnd ließ sie ihren Blick durch die gewohnte Umgebung schweifen.
Aber ... irgendwas war anders. Es lag ein Geruch in der Luft, wie sie ihn noch nie vernommen
hatte.
Cindy wurde fast übel. Irgendwas in ihr sagte „Gefahr!“. Aber ihre Neugier war stärker und so
schritt sie diesem leicht verwesenden Geruch weiter entgegen. Ihr Gehirn schien auszusetzen, sie
war von diesem ungewissen Etwas wie magisch angezogen. Und dann traf es sie wie ein Blitz.
Ihr Blick hing wie gefesselt an der halb offen stehenden Aufzugtür. Der Schock schnürte ihr die
Kehle zu. BLUT. Blut, überall Blut. NEIN. Was war das? Zitternd hangelte sie sich am Geländer bis
zum Aufzug, in dem rote Pfützen glitzerten. Der Hausmeister.
Alles drehte sich … Sie vernahm einen dumpfen Knall und ihr wurde schwarz vor Augen.
„Können sie sich sonst noch an etwas erinnern?“ fragte der spitzbärtige Polizist vor ihr. Mittlerweile
war er aufgestanden. Er wurde ungeduldig. „Nein, verdammt, ich kam von meiner Mutter nach
Hause, und, und .,.. dann sah ich ihn da im Aufzug liegen, ich, ich, ...“ Sie kämpfte mit den Tränen.
Ein kaltes Seufzen erfüllte den Raum „Nun machen sie mir doch nichts vor! Sie sind die einzige
Zeugin, und ihre Fingerabdrücke sind auf dem Messer.“ Cindys Stimme zitterte „Ich hab' es ihnen
doch schon mal gesagt. Das Messer stammt aus meiner Küche, aber ich habe nichts mit dem
Mord zu tun. Wirklich nicht!“ Sie wischte sich mit ihren Ärmeln übers Gesicht. Aber ihre Schminke
war sowieso schon von den Augen bis herunter an ihr Kinn gewandert, wo sich die schwarze
Wimperntusche in düsteren Tränen verflüchtigte. Mit einem misstrauischen Stirnrunzeln hielt ihr
der Polizist eine Plastiktüte vor die Nase. In ihr befand sich eine Kette. Sie war silbern und der
schlichte Anhänger hatte die Form eines Kreuzes. Aber er war an der falschen Seite befestigt, das
Kreuz hing auf dem Kopf ... mit Absicht?
„Was soll das sein?“ stieß Cindy kritisch heraus und hob eine Augenbraue. Sie hatte diese Kette
noch nie zuvor gesehen. „Der Tote trug sie um den Hals, als wir ihn vorfanden. Wir dachten, ...“
„NEIN!“ unterbrach Cindy ihn, „ich habe diese verfluchte Kette noch nie gesehen und ich habe
nichts mit dem Mord zu tun, und überhaupt, ich will jetzt nach Hause!“ Sie schrie ihn förmlich an.
Aber es zeigte Wirkung. Eingeschüchtert brachte er sie nach kurzem Zögern zur Tür und meinte
abschließend nur noch, dass er sich melden würde, wenn es noch irgendwelche Fragen gäbe.
Fragen. Fragen. Fragen über Fragen. Davon hatte Cindy genug. Wieso das alles? Ihr Hausmeister
ist vielleicht etwas faul gewesen, aber wer hätte einen Grund gehabt, diesen armen, unschuldigen
alten Mann auf solch bestialische Weise umzubringen? Was hatte diese Kette damit zu tun? Und
vor allem, ... Wie kam dieser Jemand an ein Messer aus IHRER Küche? Es klang alles wie ein
schlechter Witz. Aber dieser Witz wurde für Cindy zum Albtraum. Sie bekam ein mulmiges Gefühl,
als ihr auffiel, dass sie, seitdem sie den Toten gefunden hatte, nicht mehr in ihrer Wohnung war.
Sie hatte keine Ahnung, was sie dort erwartete. Ohne zu wissen, dass die unmittelbare Zukunft alle
ihre Befürchtungen übertreffen würde, stieg sie in die Straßenbahn.
Nichts erinnerte mehr an die grässliche Situation vom letzten Mal, als Cindy an dieser Stelle stand.
Es war fast schon wieder unheimlich. Wie lange war sie denn weg gewesen? Zwei, vielleicht auch
drei Stunden? Oh Gott. Mindy! Während diesem Drunter und Drüber hatte sie ihre kleine Tochter
ganz vergessen. Seit Ursula weg war, hatte sie ja ohnehin schon jedes Mal Angst und ein
schlechtes Gewissen, wenn sie sie tagsüber manchmal kurz alleine lassen musste. Cindy fing an
zu rennen oder zu hoppeln, was auch immer ihre High Heels eben als schnellsten Laufstil
hergaben. Hektisch schloss sie die Wohnungstür auf und rief, während sie sich ihre Tasche von
den Schultern streifte, besorgt: „Mindy..? Mindy, ich bin wieder zu Hause. Mami musste heute
etwas länger wegbleiben, es tut mir wirklich leid..“ Sie stellte ihre Tasche in die Ecke. Keine
Antwort.
Leicht verwirrt legte sie den Kopf schief und schritt langsam durch den kurzen Flur, einen kritischen
Blick durch jede offene Tür werfend. Nichts. Vor Mindys Kinderzimmertür blieb sie stehen. Sie war
einen kleinen Spalt geöffnet. Irgendetwas war hier falsch, es lag so etwas Seltsames in der Luft.
Es war zwar schon dämmrig draußen, wie das im Winter so üblich war, aber es war trotzdem noch
früher Abend. Zu früh für eine Achtjährige, um schon schlafen zu gehen. Mit einem vorsichtigen
Flüstern streckte sie ihren Kopf in das vollständig abgedunkelte Zimmer. „Mindy…? Schätzchen,
alles okay..? Schläfst du schon?“ Alles blieb still.
Mit leisen Schritten tastete sich die junge Mutter zum Bett ihrer Tochter, um sie gegebenenfalls
nicht aufzuwecken. Sachte fuhr sie mit den Fingerspitzen zur Orientierung über die Wand, bis sie
plötzlich zusammenzuckte und sich alles in ihr verkrampfte. Da war etwas Feuchtes, etwas
Klebriges an ihren Fingern. Die Wand. Sie tropfte! Cindy überkam eine Gänsehaut. Panisch griff
sie nach dem Band für die Jalousie und riss es fast aus der Wand. Mit einem Ruck drehte sie sich
um und starrte regungslos in den vom Vollmondlicht erfüllten Raum. Die Wände … sie bluteten.
Umgedrehte Kreuze tropften rot an ihnen herab. Wohin Cindy sah, wohin sie ihren zitternden
Körper drehte, blutige Kreuze, zerrissene Bilderbücher, zerstreute Körperteile von Barbies.
Verwüstung. Rote Kreuze an den Wänden. Sie schienen ihr immer näherzukommen, alles wurde
immer bedrohlicher.
Cindy durchwühlte die Bettdecke. Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Nichts, keine Spur von ihrer
kleinen Tochter. Aber halt. Da saß sie auf dem Bett. Und sie starrte Cindy an, dass es ihr kalt den
Rücken hinunterlief.
Die Puppe. Das konnte nicht wahr sein, es konnte einfach nicht … Die agressiven, roten Augen
starrten sie erbarmungslos an, und schienen sie in einen Bann zu ziehen, der plötzlich alles zu
erklären schien. Diese Augen, dieser eiskalte, fast schon grinsende Blick.
Cindy schrie. Sie schnappte sich die Nachttischlampe und schlug damit auf die Puppe ein. Wie
verrückt geworden, riss sie kreischend an dem doch eigentlich ach so harmlosen Spielzeug herum,
als ob sie damit irgendetwas verhindern könnte. Tränen quollen aus ihren starren Augen, als sie
mit zitternden Fingern das zerrissene Kleidchen der Puppe zur Seite schob und mit ihnen über den
feuchten Puppenkörper fuhr. „Nein…“, hauchte sie, als ihre Augen ein weiteres rotes Kreuz
erblickten. Genau dasselbe wie an den Wänden. Cindys Atem blieb aus, als sie darunter einen
eingestickten Satz entdeckte.
„Wollen wir spielen?“ fragte Mindy, die plötzlich blutverschmiert und mit einer silbernen Kette in der
Hand im Türrahmen stand, mit einem schaurigen Lächeln auf den Lippen.
3.3 Victoria Menke: Ich dichte
Der Entschluss ist gefasst
Und ich bin bereit
Ich bin jetzt so weit.
Wir brauchen Ergebnisse
Ich schreib ein Gedicht
Schwer fällt mir das nicht.
Dachte ich.
Motiviert und im Begriff
Großes zu vollbringen
Beginn ich zuerst mit den
einfachen Dingen.
Ein Blatt Papier und 'nen Kuli
dazu
Und schon fang' ich an
Weil ich's ja kann!
Dachte ich.
Zu Heldentaten und anderem
bereit
Setz' ich entschlossen mich
An den Tisch.
Ich sitze hier gut
Das muss man mal sagen
Aber ich könnt' einen Kaffee
vertragen!
Den hol' ich mir schnell
Und unterwegs
Auch gleich einen Keks.
Leider sind dann in dem
Heißgetränk
Einige Ameisen ertrunken,
Hätten sie nur nach Hilfe
gewunken.
Ich leer' den Kaffee mit
Bedauern weg
Und dabei fällt gleich hier am
Spiegel
Mein Blick auf eingeriss'ne
Nägel!
Es sind meine, die mich so
entsetzen
Aber ich kann sie ja schnell
noch feilen
Ich brauch mich ja nicht zu
beeilen.
Aber wenn schon,
Dann mach ich's auch richtig
Und in dem Fall ist Lack mir
sehr wichtig!
(Projekt Poetry Slam)
Denn ich muss schreiben.
Jeden Finger in einer
anderen Farbe
- weil ich mich nicht
entscheiden mag Schreite ich nun zur Tat!
Der Lack riecht giftig,
Wir kennen das alle
Und hier wird er zur
tödlichen Falle.
Eine Spinne kommt
angekrabbelt
Und in den Bereich des
Dunst's.
Die zeigt den Fliegen nie
mehr ihre Kunst.
Dann kommt auch noch
Ganz ungelogen
'Ne Motte angeflogen.
Ich zucke schnell,
Sie wird zermatscht
Und dann an die Wand
geklatscht.
Doch plötzlich steht sie
wieder auf
Ich wunder' mich
Die Motte auch.
Und noch einmal
Mit voller Kraft
Dann ist sie geschafft.
Inzwischen ist's dunkel
Die Lichter sind an
Ich fang' besser an!
Doch bevor ich auch nur
Eine Taste drücke
Kommt das Grauen in Form
einer Mücke.
Ich schlag' sie tot
Bevor sie mich quält
Und hab so den sicheren Weg
gewählt.
Doch bevor ich mich dann
wieder
Aufs Gedicht konzentriere
Kommt eine ganze Armee
dieser Tiere.
Und noch ehe ich mich
Auch nur rühren kann
Greifen die mich ohne
Vorwarnung an.
Doch um der Gerechtigkeit
willen
Muss ich gestehen,
Ich habe die Warnung glatt
übersehen.
Jetzt ist es zu spät
Und ich kann sie nicht schonen,
Will ich noch länger lebendig
hier wohnen!
Nun renn' ich zum
Schreibtisch
Und setz' mich schnell hin
Bereit für'n Beginn
Ich muss mich entscheiden,
sie oder ich!
Ich entscheid' mich für mich.
Doch auf was ich da sitz'
Das ist nicht mein Platz
Sondern eindeutig unsere
Katz!
Dass ich dieses tu',
Wer könnt's mir verdenken?
Ich muss einem Gedicht heut'
noch Leben schenken!
Ich springe auf
Die Katze nicht
Ich bin sicher ganz bleich
im Gesicht.
Ich hab' es geschafft
Das Gedicht ist geschrieben
Naja fast.
Es ist dann doch nur beim Titel
geblieben
Denn der Preis des Schreibens
ist hoch,
Schon beim Versuch ein ganzes
Gedicht zu schreiben
Mussten einige auf der Strecke
bleiben.
.
Das Begräbnis war kurz
Die Trauer war groß
Nun ruht das Tier in Mutter
Erdes Schoß.
Zum Leichenschmaus
Kann ich nicht lang bleiben
Ein Spähtrupp Ameisen ist im
Kaffee ertrunken,
eine Spinne ist im Lack
erstunken,
'ne Motte gab den Löffel ab
mein Gedicht – ein
Massengrab?
ein Stubentiger wurd'
zerquetscht
und ein Geschwader
totgebätscht.
Es sind sehr viele
umgekommen
Das hat mir die Lust am
Dichteln genommen.
3.4 Martina Keup: Ich will einen Keks (Projekt Poetry Slam)
Ich will einen Keks!!
Weil ich Hunger hab'
Weil ich jemanden nerven
muss
Weil ich mich langweile
Weil ich irgendwas
machen will
Ich will einen Keks!!
Weil Kekse lecker sind
Weil Kekse süchtig
machen
Weil Kekse zum Essen da
sind
Weil Kekse süß sind
Ich will einen Keks!!
Weil ich sonst verhungere
Weil ich sonst übellaunig
werde
Weil ich gleich ausraste
Weil ich nicht warten will
Ich will einen Keks!!
Weil es tausend
verschiedene Sorten sein
können
Weil sie irgendwann mal
jeder isst
Weil sie Lust auf mehr
machen
Weil sie jeder mag
Ich will einen Keks!!
Einen Keks zum Essen
Einen Keks zum
Widerstehen
Einen Keks zum
Süchtigwerden
Einen Keks zum Anbeißen
Ich will einen Keks!!
Wie der Abt aus
„Zeitdieb“
Wie die hungrige
Amanda
Wie die ganze AG
Wie der
Weihnachtsmann jeden
Tag
Ich will einen Keks!!
Einen Keks zum
Aufessen
Einen Keks zum mal
dran Knabbern
Einen Keks zum
Werfen auf Vici
Einen Keks zum
Naschen
Ich will einen Keks!!
Der allen Hunger stillt
Der alle friedlich stimmt
Der allen Einigkeit
bringt
Der allen Hoffnung gibt
Ich will einen Keks!!
Haferkeks Nusskeks
Ingwerkeks Holderkeks
Schokokeks
Weihnachtskeks
Waffelkeks Scherzkeks
Ich will einen Keks!!
Keksherz
Lebkuchenkeks
Mandelkeks
Marzipankeks
Apfelkeks Käsekeks
Bärlauchkeks
Kirschkernkeks
Ich will einen Keks!!
Ein Plätzchen ein Brötle
Ein Gutsle ein Läuble
Ein Güezi ein Guetsli
Ein Chrümli einen Keks
Ich will einen Keks!!
Ich will ihn sofort
Ich will ihn frisch aus dem
Ofen
Ich will ihn roh als Teig
Ich will ihn in rauen
Mengen
Ich will einen Keks!!
Zu einer Tasse Tee
Zu einem Grog
Zu einem Glas Milch
Zu einem Kännchen
Kaffee
Ich will einen Keks!!
Baut ihm ein Denkmal
Baut ihm ein Mausoleum
Baut ihm ein Museum
Baut ihm einen Palast
Ich will einen Keks!!
Macht ihn zum
Nationalessen
Macht ihm zum Brot für
arme Leute
Macht ihn unsterblich
Macht ihn übernatürlich
gut
Ich will einen Keks!!
Einen Keks für jeden
Moment
Einen Keks zum
Liebhaben
Einen Keks als besten
Freund
Einen Keks der für
jeden immer da ist
ICH WILL EINEN KEKS!!
3.5 Linda Harrer: Gesellschaftskritik (Projekt Poetry Slam)
Wir hausen nicht mehr in den
Höhlen
Klötze aus Beton sind besser.
Kein Kampf mit Keulen und kein
Grölen
Wir liegen lieber unterm
Messer.
Wir jagen keine Tiere, nein
Wir sind doch keine Wilden
Wir töten im Akkord, ganz fein,
um die Viecher zu vertilgen.
Felle sind längst aus der Mode,
Pelz ist jetzt der neue Trend.
Und trägt doch wer mal die
falsche Hose
Ist jeder froh, der ihn nicht
kennt.
Wir sind ja keine Primitiven,
Edel vornehm, vor allem teuer.
Zerschlagen Spinnen, Käfer,
Fliegen
Wir sind doch keine Ungeheuer.
Verätzen uns mit Chemikalien
Denn Kräuterbalsam, der ist out
Schokoriegel voll Cerealien
Weil keiner mehr Getreide kaut.
Wir tanzen nicht wie blöd ums
Feuer
Das sieht doch mega albern
aus
Das Entertainment hier ist teuer
Wir hol’n uns Pay-TV ins Haus.
Verfolgen Bärbel, Britt und Olli,
wie sie unsre Probleme lösen
in der Fresse stets den Lolli,
wenn wir vor der Glotze dösen.
GZSZ- DAS ist das Leben
Wer mit wem, WAS, er betrügt?
Bin ich eigentlich selbst
vergeben?
Ach egal.. ob Clemens lügt?
Früher musste man noch
spannen
Heute guckt man halt Big
Brother
Tim Mälzer grinst in seine
Pfannen
Alter, Mann, I’ll fuck your
mother!
Und jeden Freitag Abend,
dann
Wirbeln wieder die UrwaldTrommeln
Zappeln uns gegenseitig an
Und sehen alles sehr
verschwommen
Irren durch grelles
Synthetik-Licht
Und fressen kleine bunte
Pillen
Aber dumm, das ist man
nicht
Und man hat noch freien
Willen
Ganz anders als die
Steinzeitleute
Triebgesteuert bis zum
Rande
Frei und demokratisch
heute
Wählt man die Klügsten aus
dem Lande
Auch sonst sind wir sehr
wählerisch,
Wir essen doch keine
Insekten
Nur’s beste kommt uns auf
den Tisch
Und McDonalds fragt nett
„Na schmeckt’s denn?“
Das ist Service, Mann oh Mann
Ich glaub ich zieh' in meine
Couch ein!
Und hab' ich mir mal weh getan,
dann schlurf' ich zum nächst
besten Arzt rein
Prompt bekomm' ich nette
Spritzen
Und wieder geht es mir tip top
doch muss ich im Wartezimmer
sitzen
verliert gefälligst wer seinen
Job!
Im Kaufhaus such ich DesignerSocken
Und wittere auch gleich meine
Beute
Entreiß' sie der Schlampe mit
den Locken
Wir sind zivilisierte Leute.
Sie kreischt mir zickig ins
Gesicht
Das letzte Sockenpaar sie
begehrt
Sie achtet nicht auf ihr Gewicht
Also ist sie es nicht wert.
Ja, wir sind eine Gesellschaft
In Topform und immer fit
Wo Silikon Charakter
wettmacht,
Der Deko-Pudel immer mit.
So viel Style hatten keine
Primaten
Die hatten doch keine Ahnung
vom Leben
In unsren Geldbeuteln nur
Kreditkarten
Wir chatten und camen anstatt
zu reden
Wir spalten Atome, vernetzen
die Welt
Neben Kontinenten voller
Kummer
Dann schaut man halt nur an,
was einem gefällt
Und kocht sich für dreihundert
Euro 'nen Hummer.
Grenzen
doch wenn plötzlich ganze
Völker verschwinden
wehe denen, die Schule
schwänzen!
Wir machen Fortschritt, wir
forschen, erfinden
Die Technik kennt keine
Für Fotos von Britney zahl’n
wir Millionen
und für Verhungernde gibt’s
kein Geld
wieso sollten wir bitte
Schwächere verschonen?
Nur die Starken regier’n die
Welt!
Ja, genau, so war’s schon
immer.
Weil es sich einfach so gehört
Früher im Urwald war’s noch
viel schlimmer
Laut dem, was man da im
Fernseh’n so hört.
3.6 Saskia Weiterschau: Parkbank (Projekt Poetry Slam)
Da ist eine fette Frau.
Sie erinnert mich an dich.
Ich wüsste gerne, was du davon hältst. Was du sagen würdest, wenn du hier wärst.
Ich glaube nicht, dass du das als Kompliment aufnehmen würdest.
Ich kenne dich schließlich.
Aber ich weiß nicht, was du dann schon wieder hättest.
Sie sitzt auf einer Parkbank, die fette Frau.
Und packt ihr dick belegtes Sandwich aus. Es ist so dick belegt, dass ich mich frage, wie sie das essen
will.
Das würde gerade noch so reinpassen, ich meine in den Schnabel eines Pelikans.
Aber ihr Mund ist klein. Sie hat einen kleinen Mund, dünne Lippen. Kaum erkennbar. Es sieht fast so
aus, als hätte sie einfach nur einen Schlitz im Gesicht.
Die fette Frau, sie öffnet ihren kleinen Mund. Sie merkt dass ihr Sandwich nicht reinpasst. In ihren
kleinen Mund in ihrem fetten Gesicht. Oh ja, ihr fettes Gesicht. Mit ihrer langen Nase, die einen Buckel
hat. Wie eine Hexennase. Und ihre winzigen Augen. Rund, von kurzen Stummelwimpern und
Lachfalten umrahmt. Viel zu klein für ihr gigantisches Gesicht. Ihre riesigen Backen, aber nur ein so
kleiner Mund.
Sie presst es kräftig zusammen, ihr dick belegtes Sandwich. Es muss reinpassen, in ihren Mund! Sie
will keine der leckeren Zutaten missen. Salat, Tomaten, kalte Fleischstreifen, Toastkäse, fünf Scheiben,
ich kann sie zählen, ich sitze nah bei ihr. Am besten sind die Eier. Eigelb und Eiweiß. Sie mag beides.
Am besten auf einem dick belegtem Sandwich, am besten mit Soße. Weißer Kräutersoße. Dickflüssig.
Würzig. Sie quillt schon an allen Seiten raus, als die fette Frau ihr Sandwich quetscht. Um es zu in
ihren kleinen Mund zu drücken. Es muss rein. Egal wie. Sie zwingt das Sandwich. Sie würde über
Leichen gehen, sie ist mörderisch! Ja das ist die dicke Frau.
Sie umschlingt mit ihren vorquellenden, nassen Augen das vor Soße triefende Sandwich. Sie will seine
nur für sie erkennbare Schönheit umfassen. Ich kann neben ihr spüren, wie ihre Speichelproduktion auf
Hochtouren läuft. Sie starrt, als könnte sie ihr Sandwich mit ihren Augen, die noch kleiner sind als ihr
Mund, fressen. Sie will sich auf das Sandwich stürzen. Ich kann in ihrem genussvollen,
leidenschaftlichen Blick die Gier sehen.
Sie will es, sie braucht es. Sie beißt rein.
Sie schließt ihre schweißigen, kugelrunden Augen. Sie hat grüne Augen, wie die einer hungrigen
Raubkatze. Ihre roten Haare umranden ihr fettes Gesicht, ihr Doppelkinn wird zum Dreifachkinn, als sie
genüsslich, voller Zufriedenheit, in ihr Brot, Entschuldigung, in ihr dick belegtes Sandwich beißt, die
dicke fette Frau mit den roten Haaren, neben mir auf der Parkbank. Sie schwitzt, ihr Schweiß läuft ihr
an den Schläfen runter, bis sich unten, an ihrem Dreifachkinn ein Tropfen bildet. Sie bekleckert sich mit
Soße, ausgerechnet auf ihre neue rosarote Häkelweste. Doch das sehen ihre Augen nicht, ihre Augen
konzentrieren sich auf ihre Beute.
Und sie erinnert mich an dich. Das bist du. Ich sehe dich.
Aber nicht weil sie dick ist.
Sie hat ein Funkeln in den Augen, als sie den ersten Bissen runterschluckt. Und sich auf den Nächsten
freut. Dieses Funkeln in den Augen, erinnert mich an dich.
3.7 Alex Timm: Traumstunde (Projekt Poetry Slam)
Schule - Wieso geh ich da
hin?
wenn ich doch für alles
außer lernen zu gebrauchen
bin!
Im Matheunterricht:
Zahlen sind nicht meine
Stärke dafür die Fantasie
Oft schweif ich dann ab,
doch ich merk das nie.
Parabeln hören sich an wie
eine Insel der Antillen
Schön kann’s da nicht sein,
sonst würde unser
Mathelehrer nicht immer so
brüllen.
Jetzt sitz ich da doch treibe
ich eigentlich dahin
Auf Geodreiecksschiffen, ich
durch die Meere schwimm
So komm ich an den Rand
des Meeres und was seh ich
da, ein Tor mit rechtem
Winkel
Super! Hinein hindurch und
hinfort!
Doch, was ist das?
Winkel Alpha macht ärger!
Ich sage: Mir egal wie groß
du bist, oder wie spitz und
stumpf, ich will hindurch!
Er sagt: Ruhig Blut, bin
Überspitz...DOCH
Wohin des Weges?
Solltest du nicht woanders
sein?
Nein!
Ich will mit gutem Willen auf
den Parabel-Antillen chillen.
Die Katheten murren
wieder rum, und
schreien: Weg du Wicht!
Die Hypothenuse schleift
sich langsam heran, die
dann das Machtwort
spricht
Mitnichten!
Da kommt ein Fisch
namens Pythagoras
geschwommen und tut
das ganze schlichten!
Auf dessen Rücken
durchkämm ich alle
Winkel der Weltmeere.
Tangenten ziehen ihre
Kreise und bedrohen
mein Leben
Soll ich ihnen das
Bonbon Radius geben?
Ein Sturm zieht auf - Oh
Gott, oh Gott - der
Himmel eine schwarze
Wand
Oh Mist das ist mein
Lehrer - hab ihn fast nicht
erkannt!
Ich zapple vergebens
und strample auch arg
Doch Wurzeln und
Quadranten begleiten
mich zum Sarg
Nun wird sie mir
entrissen
3.8 Annika Weigele: Er,Sie, Es (Projekt Poetry Slam)
Oh schöne neue Welt!
Falle von der Palme wie ein
Zylinderklotz
Die Welt von Quadern und
Geraden, von Hyperbeln und
Zahlenstrahlen
Trollt sich auf der Achse
minus Unendlich
Nun sag ich auf welche
Erkenntnis ich gekommen
bin!
Mein Ziel zu erreichen
Die Welt zu durchstreifen
Und Kosinus mit Schaum
einzuseifen!
Doch weiter geht’s.
Sitz' ich schon woanders.
Fühle mich wie ein
abgetragener Steilhang
Die Erosion meiner
Gedanken flutet mein Gehirn
wie Schmelzwasser nach der
Eiszeit
Erdkunde.
Doch, war da nicht noch
was?
Genau!
Ich brauch noch die Lösung,
ich finde sie hier.
Und kann mich dann auf
meinen Zirkel schwingen
Der tut mich dann zu den
entlegensten Spitzwinkeln
unserer Karten bringen
Und der hüpft mit mir über
Fugen und Rillen
Dann kann ich am Ende auf
den Parabel-Antillen chillen.
Kasten an Kasten
Auf den Tischen
Flimmernde Bildschirme.
Und sie denken ich denke du
denkst er sie es denkt wir
denken
Tun wir das?
Jaa?
Dann lasst uns denken
Denn wir denken noch!!
Ganz anders als die vielen
Leute
Die sich da draußen
rumtreiben und reiben
Und die Politiker in ihren
hässlichen Sälen
Auf ihren hässlichen Stühlen
labern hässliche Sätze und
hässliche Wörter
Mit Sinn und auch
Ohne
Die denken nicht, da denkt
kein er
Kein er keine sie und auch
kein es.
Und wir schon gar nicht.
Und trotzdem haben sie die
Macht über unser Denken
unser Tun
Und er sie es wird von ihnen
bestimmt
Und wir auch.
Ja ist dass denn richtig?
Nein. Es ist hässlich. Oder
NEIN es ist gut
Meldet sich das Hirn
Weil es gerne glaubt was es
hört
Und dann hört er auf zu
denken
Und Sie
Und Es
Und Wir dann irgendwann
auch.
Und vielleicht kommen dann
andere
Mit hässlichen Gesichtern
und hässlichen Wörtern
Und hässlichen Sätzen in
die hässlichen Säle
Und vielleicht darf das Er
ja dann mal hässlich
sein.
Und die Sie auch.
Oder es werden wieder
Fernsehsendungen
verboten
Wie die Simpsons.
Oder Spongebob.
Denn diese sind ja sehr
primitiv
Sie hindern uns am
Denken,
denkt das Es.
Und Sie auch.
Und Er denkt schon gar
nicht mehr
ER guckt Zwei bei
Kallwas,
Denn Spongebob ist ja
zu primitiv.
Zu primitiv für diese
Schlaue Welt,
in der alle denken und
kein Verschenken
und ihre Arme vor dem
Unheil verschrenken und
Trotzdem
sitzen unter den Dunklen
Dunklen
Unterführungen
Arme Primitive Leute.
Diese armen primitiven
Leute
Die regen ja schon fast
zum denken an.
Und was nun?
Vielleicht treffen sich ja
Er und Sie beim Es zum
Kaffee
Oder auf ein Fläschchen
Wein
Vielleicht reden sie ja
dann
Über die neuen Politiker
Die bösen
Die hässlichen
Die primitiven
Die nicht denken aber
trotzdem entscheiden
Entscheiden
Bescheiden
Bescheidenes System
Meint er.
Und sie.
Und es auch.
Und wir?
Wir sind schon beim
Amoklaufen,
obwohl
hat uns doch keiner drum
gebeten.
Gebeten geboten verboten
Einfach alles verboten
Spongebob schauen und
Simpsons schauen
Und primitiv und dumm und
hässlich sein
Und Amoklaufen auch.
Sagt sie.
Ach nein.
Es war Er.
Und das Es hat die Flasche
Wein leergetrunken.
Und Wir?
Wir wissen nicht weiter.
Gehen zu Zwei bei Kallwas
doch die
Können uns auch nicht
helfen.
Also gehen wir zurück in
unsere Häuser
Unterführungen
Vor unsere Fernseher
Unsere flimmernden
Bildschirme
Verkriechen uns in Homer
Simpsons Bett
Und warten drauf
Dass was passiert.
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