Kochbüchlein des Templerforums für lagerfähige Rezepte Vorwort (-wörter): Essen und Trinken Die von den Chronisten nicht allzu häufig überlieferten Speisefolgen diverser Festessen, sagen bei genauerer Betrachtung sehr viel aus. So erkennt man zum Beispiel die ständische Gebundenheit der Speisen, wenn von Pfeffer und Safran die Rede ist, die eindeutig zur Herrenspeise und nicht zur Bauernspeise gehören, oder auch die Jahreszeit, in der die Speisen serviert wurden (Kirschen und frische Bohnen deuten auf Frühsommer, Zwetschgen zum gebratenen Huhn deuten auf ein spätherbstliches Menü). Weit mehr, als wir uns heute vorstellen können, war das Essen im Mittelalter vom jahreszeitlichen Angebot an Früchten, Gemüsen und Fleisch abhängig, da es nur wenig Konservierungsmöglichkeiten gab. Läßt sich Fleisch an der Tafel finden, wissen wir, daß es nicht an einem Fasttag serviert wurde. Was gegessen wurde ist also nicht nur von der natürlichen Jahreszeit sondern auch vom Kirchenkalender abhängig. Den Überfluß, den die Berichte von Festgelagen suggerieren, gab es wohl nur nach einer ertragreichen Ernte und in der Zeit des Schlachtens. Sonst steht das Übermaß an Essen den krassen Hungersnöten, von denen hauptsächlich Bauern und Leibeigene, die ihre Abgaben in Naturalien leisten müssen, betroffen waren, gegenüber. Einer Mißernte folgte sofort eine Teuerung, weil kein ausreichendes Saatgut vorhanden war. Die Konsequenz waren oft geringere Aussaaten und eine neuerliche Mißernte. Große Schwankungen zwischen Überfluß und Mangel und die Ungewißheit, ob morgen noch etwas da sein wird, machen die Lust am Essen verständlich. Ein grober Unterschied wurde zwischen Herren- und Bauernspeise gemacht. Das aus fein gemahlenem Weizenmehl hergestellte Weißbrot ist dem Herrentisch reserviert, während Hafer oder Roggenbrot auf dem bäuerlichen Tisch zu finden ist. Der Anteil vegetabiler Nahrung ist in der bäuerlichen Küche viel höher als in der Herrenküche, wo Fleisch eine große Rolle spielt. Alle Arten von heimischem Gemüse, vor allem Rüben und Kohl, ist auf allen Tafeln zu finden. Von den Fleischsorten ist nur das Wild dem Herrentisch vorbehalten, der Großteil des Fleisches wird aber von den Haustieren geliefert. Eier, Milch und Milchprodukte werden sowohl in der bäuerlichen wie auch in der Herrenküche verwendet. Als Fett dienen in erster Linie Schweineschmalz und Speck, ergänzt wird das Angebot in der Herrenküche durch Öl und durch Butter. Die heimischen Früchte stehen allen Ständen zur Verfügung, auf dem Herrentisch sorgen importierte Früchte wie Feigen, Datteln, Limonen und Mandeln für größere Vielfalt. Vor allem Mandeln sind unentbehrlich, da viel Gerichte auf der Basis von Mandelmilch hergestellt werden. Gesüßt wurde hauptsächlich mit Honig. Auch in den Getränken unterscheiden sich Herr und Bauer. Während auf der herrschaftlichen Tafel neben Wasser hauptsächlich Wein gereicht wird, finden sich auf dem bäuerlichen Tisch außer Wasser vor allem Bier, Obstsäfte und Obstweine. Frischhalten Auch heute wird die Marktsituation von saisonalen Schwankungen geprägt, was vor allem in unserer Zeit hauptsächlich für Obst und Gemüse gilt. Im Mittelalter galt es natürlich auch für Obst und Gemüse aber auch für Fisch und Fleisch. Beispielsweise ist die Nachfrage nach Fleisch nur in der Stadt groß genug für eine kontinuierliche Fleischversorgung. Der Inbegriff eines mittelalterlichen Vorratsraums war der Keller. Vor allem in bäuerlichen Bereichen spielte er eine große Rolle. Man muß sich das so vorstellen, daß der Keller kein unterirdischer Bauteil war, sondern ein separates Haus. Es war im 15. Jahrhundert keine Seltenheit, daß man sich einen Jahresvorrat an Korn, Wein, Öl, Fisch, Fleisch und Schmalz angelegt hat. Die ländlichen Häuser waren meist nur mit simplen Grubenbauten ausgestattet und dienten zur Aufbewahrung von Feldfrüchten, Milch und Milchprodukten. In der Stadt war durch den Mauerring die Baufläche beschränkt und so überwogen unterirdische Anlagen. Formen des Frischhaltens: Die wichtigsten Verfahren im Mittelalter waren das Beizen, das Einsalzen, das Räuchern und das Dörren. Einfach und praktisch erfolgte die Konservierung von Fisch. Speziell der Hering, aber auch andere Arten wie Kabeljau, Lachs, Hecht, Barsch und Aal wurden für die Festtage haltbar gemacht. Der Hering hatte von allen Arten die beste Haltbarkeit durch das Einsalzen. Ein sehr beliebtes Massennahrungsmittel für alle Bevölkerungsschichten war das Kraut, das durch Einsäuern konserviert wurde. Früchte oder eingedickte Fruchtsäfte wurden solange gekocht, bis der Wassergehalt so niedrig war, daß es möglich war, die zähflüssigen Scheiben aufzuhängen und als Delikatesse zu verzehren. Sie wurden Latweg oder Defrut genannt, und es wurde ihnen auch medizinische Heilkraft zugesprochen. Bestimmte Obstsorten wie Kirschen, Birnen, Pflaumen und Weinbeeren eigneten sich zum Dörren. Das Dörren von Kirschen erfolgte im Backofen, danach wurden sie in einem Gefäß auf dem Dachboden gelagert. Wiederaufbereitet wurden sie durch das Einlegen in frisches Wasser. Besteck und Geschirr Die häufigsten Gegenstände in der Benutzung waren Hände, Löffel und Messer. Die Gabel, noch mit einem geraden Zinken, wurde nur zum aufspießen von Fleisch genutzt. Erst im 17. Jahrhundert gehörte die Gabel zum üblichen Besteck. Man speiste von Tellern, Schüsseln und großen Platten aus Holz, in den wohlhabenden Häusern war dieses Geschirr auch schon aus Zinn. Es war durchaus nicht unüblich das zwei Personen von einem Teller aßen, die Bauern nutzten oft auch ein großes Stück Brot als solchen. Das Holzgeschirr, insbesondere die Trinkgefäße, waren oft auch mit Metall beschlagen (seit dem späten 12. Jahrhundert). Das einzig wahre Besteckteil zur damaligen Zeit, der Löffel, war meist aus Holz oder Horn geschnitzt. Metall spielte überwiegend in den Küchen der Reichen eine Rolle. Seit jeher bestanden Kochkessel, Bratpfannen, Kellen, Grillroste, Feuerböcke, Kochdreibeine, Spieße, Messer und Fleischgabeln aus Eisen, aber auch Bronze, Messing und Kupfer kamen vor. Besonders beliebt waren auch Waschgarnituren aus Gießgefäßen und Auffangbecken, denn da noch überwiegend die Hände zum Essen benötigt wurden legte man Wert auf Reinigungsmöglichkeiten. Eine Neuerung aus dem 13. Jahrhundert war der Dreibeintopf aus Bronze, so brauchte man kein zusätzliches Ständerwerk zum Kochen. Zinngeschirr verbreitete sich erst in Massen im 14. Jahrhundert. Glas stellte eine Besonderheit dar und war wenn überhaupt nur bei den Wohlhabenden zu finden, um 1200 nach orientalischer Anregung. Um 1300 nahm der Gebrauch von Trinkgläsern dann zu. Besteck Bezeichnung für einen Behälter zum Einstecken von Werkzeug oder für dieses selbst. Ein an der Schwertscheide angebrachtes Futteral wird mit einem oder mehreren Beimessern unterschiedlichster Klingenform besteckt; sie dienen je nach Art und Beschaffenheit als Eßgerät, zur Ausweidung von Wild etc. . Wer kein Schwert führt, trägt sein Besteck in einem Köcher am Gürtel hängend. Diese Aufbewahrungsart bringt die Notwendigkeit einer besonders reichen Ausgestaltung der Griffe mit sich. Ein Eßbesteck, bestehend aus Gabel, Messer und Löffel, kennt das Mittelalter noch nicht, nur das Tranchier- und Vorlegebesteck besteht bereits aus Messern und Gabeln. Gabel Die mittelalterliche Gabel erscheint in verschiedenen Materialien und Formen vor allem im landwirtschaftlichen und häuslichen Bereich. Im Hausgebrauch ist sie, jeweils zweizinkig, geläufiges Heiz- und Kochutensil oder Teil des vornehmen festlichen Tranchierbestecks, nicht aber alltägliches Eßgerät. Maßgeblich ist hierfür die kirchliche Diffamierung der zweizinkigen Gabel als Strafwerkzeug des Teufels. Obwohl bereits in der römischen Antike belegt, bleibt die Eßgabel im Mittelalter eine Randerscheinung. Sie wird im 11. Jahrhundert von Byzanz aus am Hof des Dogen v. Venedig bekannt, verbreitet sich aber selbst im festlichen Milieu bis 1500 nur sehr zaghaft. Oberschichtliche Statusfunktion, Fertigung aus Edelmetall, geringe Stückzahl, zierliche Größe und eingeschränkte Funktion (meist nur für klebrige und triefende Nachspeisen) sind ihre Kennzeichen. Löffel Eßgerät, hergestellt vor allem aus Holz, Bein, Bronze und Silber. Für die römische Eßkultur sind Löffel unterschiedlicher Bezeichnung und Ausformung überliefert (cochlear, ligula). Zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert entsteht eine Löffelform, die Merkmale der cochlear und ligula verbindet. Sie besitzt eine langovale Laffe, einen spitz zugelaufenen Griff und dazwischen eine offene Rolle. Die als cochlear bezeichneten Löffel des 5. bis 7. Jahrhundert gehen auf diese Löffelform zurück, besitzen aber eine geschlossene Rolle. Daneben treten weitere Löffelformen wie z.B. Schwanenhalslöffel und Weinsieblöffel auf. Messer Blankwaffe mit einschneidiger Klinge und asymmetrischem Handgriff, kurz, mittellang oder von schwertartiger Länge (langes Streitmesser). In der gesamten antiken Welt bekannt, hauptsächlich in Asien verbreitet, wo im Frühmittelalter der gerade pers. Pallasch und der osttürkische-mongolische Säbel mit krummer Klinge erschienen. Das asiatische Messer wurde oft in kurzer und langer Ausführung zusammen getragen, wie die fälschlicherweise Schwerter genannten Blankwaffen der japan. Samurai. In Europa reicht die Geschichte dieser Waffe von der griech. Macheira, dem keltischen Messer, dem altgermanischen Sachs (Vimose-Typus), dem frühmittelalterlichen Sachs hunnischen Ursprungs bis hin zur spätmittelalterlichen Bauernwehr (Hirschfänger, Dussack). Im 13. Jahrhundert erschien unter orientalischem Einfluß der mit Schwertgriff, geradem Klingenrücken und gekrümmter Schneide ausgestattete Malchus (engl. Falchion). Im Spätmittelalter wurden ähnliche Bastardformen mit Messerklinge und schwertähnlichen Griffen häufig. Teller Nach Ausweis der schriftlichen und archäologischen Quellen hat es Teller als Bestandteil des Tischgeschirrs im heutigen Sinne im frühen Mittelalter nur sehr selten gegeben. Definiert werden Teller als runde oder scheibenförmige Geräte von flacher oder tiefer Form mit erhöhtem Rand, auf die Speisen gelegt und zerteilt werden und von denen gegessen wird. Um auf neutralem Weg die richtige Bezeichnung zu finden, hat es sich als praktikabel erwiesen, Maßverhältnisse zu ermitteln. Ist das Verhältnis Durchmesser zu Höhe größer als 1:5, handelt es sich um einen Teller. Sind die Proportionen geringer als 1:5, liegt eine Schale (Durchmesser unter 20 cm) oder eine Schüssel (Durchmesser über 20 cm) vor. Mahlzeiten Begonnen wurde der Tag mit einem Frühstück (ientaculum), das aus einem Becher Wein bestand. Erst gegen 9 Uhr morgens folgte das Frühmahl (prandium) und hier wurden dann mehrere Gänge aufgetischt, während das Mittagessen (merenda) wiederum nur aus einem Becher Wein bestand, in den nun Brot getunkt wurde. Bereits am Nachmittag, zwischen 15 und 18 Uhr, wurde das Abendessen (cena) aufgetragen - wieder aus mehreren Gängen bestehend. Diese Speisenfolge während eines Tages bezieht sich selbstverständlich wieder auf die oberen Stände. Bauern und Arbeiter konnten ihre Arbeit nicht für mehrere Mahlzeiten am Tag unterbrechen. Statt Wein am Morgen gab es Biersuppe und statt gebratenem Fleisch und Süßspeisen kamen Gerstenbrei und Gemüseeintopf auf den bäuerlichen Tisch - oft gab es nur eine spärliche Mahlzeit pro Tag. Nicht zu verwechseln sind die Gänge mit unserer heutigen Vorstellung von einem Gang. Die "Gänge" eines mittelalterlichen Menues bezogen sich auf den Gang des Personals mit dem Essen zum Tisch aufgetragen wurden dabei mehrere Gerichte und Speisen. Die heutige Abfolge eines Menüs mit einer Speise pro Gang kam erst im 18. Jahrhundert auf - als "Menue a la Russe" - aus Rußland kommend und erst als Modetorheit belacht und abgetan - so kann man sich irren... Wer ein Gastmahl ausrichten ließ - sei es zu Taufe, Hochzeit oder Begräbnis - stürzte sich oftmals in tiefste Schulden. Um diesen Zustand ein Ende zu bereiten, wurde viele Erlässe herausgegeben, die die Anzahl der Speisen der einzelnen Gänge enorm beschränkten - manchmal auch die Anzahl der geladenen Gäste. Philipp III. von Frankreich erließ beispielsweise 1279 das Gesetz "daß kein Herzog, kein Baron, kein Graf, kein Prälat, kein Ritter, kein Kleriker und sonst niemand im Königreich, welches Standes er auch sei, zum Essen mehr als drei ganz gewöhnliche Gänge ausgeben dürfe ..." Obst und Käse - nicht als Torten oder Gebäck - wurden nicht mitgezählt. Trotz dieser Verordnung wurde mit einem Gang mehr aufgetragen als wir heutzutage in einer kompletten Menüfolge reichen. Tischmanieren Der Begriff Tischsitten, der noch aus der "alten" Kulturgeschichte stammt, kann definiert werden mit den soziokulturell und konextuell bedingten Normen und Verhaltensweisen beim (gemeinschaftlichen) Essen und Trinken. Infolge der Andersartigkeit der mittelalterlichen Tischkultur (z.B. Essen mit den Fingern, rechtl. Implikationen und Gemeinschaftsbezug des Essens) und wiederholter Schilderung von Auswüchsen (Völlerei, Trunksucht, schlechtes Benehmen) reizt das Studium der Tischsitten häufig zu oberflächlichen Kulturvoyeurismus, der an der mittelalterlichen Mentalität und an den Intentionen der Quellen (Vorbild vs. Abschreckung) vorbeigeht. Der eigentliche Hintergrund der Tischsitten ist das religiös fundierte Ideal des "züchtigen" (= verantwortungsbewußten) Umganges mit Triebhaftigkeit und Ichbezogenheit im Rahmen vom Essen und Trinken. Insofern sind höfische Tischsitten Ausdruck für die höchste christliche Tugend, die Demut (= der sozial verträglichste Stand der Persönlichkeitsentwicklung), und infolgedessen zählen die Tischsitten (wie etwa die Ernährung oder die Kleidung) zu den zentralen Standesabzeichen des mittelalterlichen ordo-Denkens. Eine spezifische Regelung erfährt die Tischkultur in den Regeln der religiösen Orden. Schriftlich faßbar werden Tischsitten erstmals im 12. Jahrhundert. Tafelszenen auf mittelalterlichen Bildern repräsentieren dasselbe Ideengebäude und dürfen ebenso wenig als Wiedergaben unmittelbarer Ist-Zustände aufgefaßt werden. Sehr wahrscheinlich sind Darstellungen der Tischsitten durch die Rezeption der frz. Hofsitten mitgeprägt, haben aber ältere Vorstufen und behalten dem Prinzip nach bis weit in die Neuzeit ihre Verbindlichkeit. Exemplarische Anregungen zur festlichen Ausgestaltung von Mahlzeiten und Tischzeremoniell geben Mitte den 13. Jahrhundert Bf. Robert Grosseteste v. Lincoln in seinen Anweisungen zur Haushaltsführung und der engl. Franziskaner Bartholomaeus Anglicus in seinem Traktat De proprietatibus rerum. Da viele Einzelheiten profaner Tischsitten aus Westeuropa und (nicht zuletzt aus Gründen von Selbstdarstellung und Personencharakteristik) aus dem Milieu des Adels überliefert sind, ist unser Bild entsprechend einseitig. Es erfaßt eher Ideal- und Ausnahmesituationen und viel weniger den Alltag. Indiz hierfür ist der Begriff Tafel. Er bezeichnet strenggenommen einen leicht transportablen und nur im Anlaßfall (ganz nüchtern mittels zusammenlegbarer Schragen und Böcke) aufgestellten Teil der häuslichen Möbel. Literarisches Symbol für den gedachten Gegensatz zu "Höflichkeit" und "Zucht" ist der Bauer. Dies bedeutet aber kein Fehlen von Tischsitten im bäuerlichen Milieu, sondern soll - wohl ohne direkten Standesbezug einfach potentielle Mängel im individuellen Bewusstseinsstand um Sinn und Auftrag der Tischsitten signalisieren. Im Umgang mit Gästen, also im gesellschaftlichen Anlassfall, offenbaren die Tischsitten Kriterien aus den christlichen Werken der Barmherzigkeit (Fremde beherbergen, den Hungrigen zu essen geben, den Durstigen zu Trinken geben). Entsprechenden Indizien sind: Almosen an Bedürftige (Armut und Armenfürsorge, also keinenfalls spezifische Armenspeisen); die Freundlichkeit und Selbstlosigkeit des Gastgebers; seine persönliche Zuwendung und Obsorge für die Gäste; und v.a. deren standesgemäße Bewirtung. Ihr qualitatives Niveau entspricht dem legitimen Aufwand (= das je nach dem sozialen/mentalen Status unerläßliche bis maximal zulässige, Luxusverordnungen). Ein typischer Indikator hierfür ist die Anzahl der Gänge: je bedeutender eine Tischgesellschaft oder auch der Anlaß zum Essen (z.B. eine Frühmahlzeit, ein Fest- oder Sonntag), desto mehr Speisen (zehn, zwölf oder darüber) - desto kleiner allerdings auch die je Speise verzehrten Teilmengen. Außer in den Quantitäten spiegelt sich der angemessene Aufwand auch in der von Speiseordnungen getroffenen sozialen Hierarchisierung von Abläufen (z.B. Reihenfolge der Bedienung) und Strukturen (z.B. Sitzordnung), in hygienischen/rituellen Obliegenheiten (weiße Tischlaken, Handwaschung vor/nach dem Essen) bzw. generell in Grad der "Köstlichkeit". Dieser mittelalterliche Terminus meint den sozial und mental adäquaten Aufwand an Tafelgeräten, an Ingredienzien, an Weinen, Gewürzen und sonstigen Exotismen, an gestalterischen Effekten sowohl der Speisen als auch des Essplatzes (z.B. kostbare Textilien als Wandschmuck) sowie an Zeremoniell - also alles, was die Würde des Gastes oder des Gastgebers zu visualisieren vermag. Die Sitzordnung soll (unter Bedachtnahme auf die Damen) damit korrelieren: Die Priorität des Vor-Sitzes ist in der Regel durch Singularität und Ausgestaltung des betreffenden Sitzmöbels unterstrichen (z.B. Armlehnen, Sitzkissen, Scherenstuhl). Die beiden ihm benachbarten Bei-Sitze sowie ein allfälliger Gegen-Sitz sind die nächsten Ehrenplätze. Maßgeblich geprägt sind die Tischsitten ferner durch die im Mittelalter für "gutes" Essen kennzeichnenden, ganzheitl. Orientierten medizin.-diätet. Rücksichten (Regimina): die passende Wahl der Stätte des Essens; vegetabiler Schmuck (auf den Tischen, auf dem Fußboden etc.); die kundige Zusammensetzung, Zubereitung und Abfolge der Speisen; gute (= nach ihrer diätet. Wirkung ausgewählte oder aufbereitete) Weine; die Kleinheit der Essensmenge pro Gang; kommunikationsfreudige Nachbarn; die musikalische Umrahmung des Essens (Musik); eine großzügig bemessene Dauer. Schließlich gehört hierher auch der richtige Zeitpunkt des Essens. Er schwankt im Jahreslauf mit dem Sonnenstand (die Hauptmahlzeit etwa 3½ Stunden nach Sonnenaufgang, 8.30/10.30 Uhr, das Abendessen etwa 1½ Stunden vor Sonnenuntergang). Allgemeine Tischzucht Man darf nicht zu hastig essen. Man darf dem Nachbarn nicht das beste Stück wegnehmen Das in mundgerechte Stücke geschnittene Fleisch nimmt man mit drei Fingern (nicht mehr!) aus der gemeinsamen Schüssel und legt es auf eigens dafür gebackene Brotscheiben. Das Händewaschen vor und nach der Mahlzeit ist ebenso ein fester Punkt im Ablauf des Mahls wie das einleitende und abschließende Gebet Beide Geschlechter sind in bunter Reihe an der Tafel verteilt (französische Tischsitte). Die Paare bedienen sich gegenseitig, trinken aus einem Becher und essen von einem Teller. Besonderheiten beim Adel Ein Vorschneider nimmt den Braten mit einem besonderen Besteck auseinander. Vor dem Essen nimmt der Edelmann eine Giftprobe vor oder das Essen wird mit einer giftanzeigenden Substanz berührt. Auf dem Tisch des Herrn müssen sich immer Pfeffer und Salz befinden. Besonderheiten beim Bauern Der Mann bringt sein eigenes Eßbesteck mit. Nach dem Essen wird das Messer mit einem Stück Brot oder der Hand rasch abgewischt. Es gilt als unfein, sich am Tischtuch zu schneuzen. Getreide-, Obst- und Gemüsesorten im Mittelalter Europas: Getreidesorten: Dinkel, Weizen, Roggen, Hirse und Buchweizen Gemüse: Erbsen, Linsen, Bohnen, Wasser- und Herbstrüben, rote Bete, Möhren, Zwiebeln, Kresse und Salat sowie auch Rettich, Kopfkohl (Rot- und Weißkohl), verschiedene Kürbisgewächse, Ampferarten, Wegerich, Brennesseln, Sellerie, Kümmel, Senf, Porree, Radieschen und Spinat. Obst und sonstiges: Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Feigen, Datteln, Trauben, Haselnüssen, Walnüssen, Pfirsichen, Tamarinden, Quitten, Mandeln und Schlehen Einiges wurde importiert und nur von "Wohlhabenden" verspeist. Eine Liste verwendeter Gewürze findet sich in Teil 4 des Büchleins.